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Mediendienst 6 25. Juni 2015 Haiti ist ein fragiler Staat Entwicklungsprojekte in schwierigem Kontext Karin Mathis Der Mediendienst der Caritas Schweiz ist ein Angebot mit Hintergrundtexten zur freien Verwendung. Für Rückfragen stehen die Autorinnen und Autoren gerne zur Verfügung.

Haiti ist ein fragiler Staat - Entwicklungsprojekte in schwierigem Kontext

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Mediendienst 6/2015 Haiti ist ein fragiler Staat Entwicklungsprojekte in schwierigem Kontext (Karin Mathis)

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Page 1: Haiti ist ein fragiler Staat - Entwicklungsprojekte in schwierigem Kontext

Mediendienst 6 25. Juni 2015

Haiti ist ein fragiler Staat

Entwicklungsprojekte in schwierigem Kontext Karin Mathis

Der Mediendienst der Caritas Schweiz ist ein Angebot mit Hintergrundtexten zur freien Verwendung.

Für Rückfragen stehen die Autorinnen und Autoren gerne zur Verfügung.

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Caritas Schweiz, Mediendienst 6, 25. Juni 2015

Haiti ist ein fragiler Staat

Entwicklungsprojekte in schwierigem Kontext

Caritas Schweiz hat in Haiti nach dem Erdbeben vom Januar 2010 Nothilfe geleistet sowie Häu-

ser und Schulen aufgebaut, heute stehen Entwicklungsprojekte im Zentrum. Diese Arbeit steht

in einem erschwerten Kontext. Haiti gilt als fragiler Staat.

Seit dem 12. Januar 2015 - fünf Jahre und zwei Tage nach dem verheerenden Erdbeben im 2010 - hat

Haiti kein funktionierendes Parlament mehr. Die seit über zwei Jahren fällige Wahlen wurden immer

wieder verschoben, bis die offizielle Amtszeit der ganzen Abgeordnetenkammer und eines Drittels des

Senates Anfang dieses Jahres ablief. Der Druck der internationalen Gemeinschaft auf die Regierung ist

gross, Wahlen sind jetzt für die zweite Hälfte 2015 geplant.

Caritas hat ihre Wiederaufbauprojekte in Haiti – der Bau von fünf Schulen und 610 individuellen Häu-

sern – abgeschlossen. Im Gegensatz zu vielen anderen Organisationen bleibt aber Caritas nach wie vor

in Haiti tätig, und richtet ihren Fokus wie vor dem Erdbeben wieder vermehrt auf Entwicklungsprojek-

te. Diese sollen dazu beitragen, die Armut zu reduzieren.

Defizite eines fragilen Staats

Wie arbeitet eine Organisation in einem Staat welcher als „fragil“ gilt? Das heisst in einem Kontext

tätig ist, welcher Defizite bezüglich guter Regierungsführung, staatlicher Infrastruktur und Dienstleis-

tungen sowie Einhaltungen der Menschenrechte aufweist, oft mit erhöhter Unsicherheit durch Gewalt-

konflikte? In einem Staat welcher gemäss dem Monitoring-Bericht 2013 der Weltbank zur Erreichung

der Milleniumsentwicklungsziele der UNO zu den sechs fragilen Staaten weltweit gehört, welche kein

einziges Ziel erreichen werden?

Die grosse Herausforderung liegt in der Nachhaltigkeit der Massnahmen. Um die Lebensbedingungen

langfristig zu verbessern, ist es Caritas sehr wichtig, lokale Kapazitäten aufzubauen und mit Partner-

organisationen vor Ort Projekte umzusetzen. Oft verfügen diese nicht über das notwendige Wissen,

um anspruchsvolle Projekte durchzuführen. Eine spätere Übergabe von Projekten in die Eigenverant-

wortung der lokalen Bevölkerung gestaltet sich meist schwierig. Um eine ausreichende Verankerung

des Projektes in der Gesellschaft zu erreichen, braucht es innovative Ideen und Ansätze, förderliche

Rahmenbedingungen und somit auch Zeit und Geduld.

Caritas arbeitet mit einem eigenen Büro in Haiti und konzentriert sich auf zwei Themengebiete: Bil-

dung und Landwirtschaft. Die Stärkung der Zivilgesellschaft ist für die Caritas wichtig. Deswegen

arbeitet sie mit lokalen Nicht-Regierungsorganisationen zusammen, welche in ihrer Gemeinschaft gut

eingebettet sind. In abgelegenen Gebieten ist der Staat schwach oder gar nicht präsent. Gewählten

Vertretern fehlt es an finanziellen Möglichkeiten, oft schon für nur für den Transport. Die relevanten

Regierungsstellen auf allen Ebenen werden in den Caritas-Projekten mit eingebunden und selbstver-

ständlich werden die Regierungsstrategien und Vorgaben im jeweiligen Arbeitsgebiet berücksichtigt.

Die Partnerorganisationen der Caritas sind engagiert, aber alle haben Probleme gut ausgebildete Fach-

kräfte zu finden – je weiter von der Hauptstadt und damit abgelegener, desto schwieriger gestaltet sich

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dies. So ist es zum Beispiel fast unmöglich, in abgelegenen Gebieten qualifizierte Primarschullehrer

zu finden. Oftmals wird hier einfach eingestellt, wer die längste Schulzeit absolviert hat. Manchmal

haben solche Lehrerin oder Lehrer knapp die Sekundarstufe abgeschlossen, wenn überhaupt.

Wer kann, wandert aus

Alles konzentriert sich auf die Hauptstadt Port-au-Prince. Nicht nur hochqualifizierte Leute wandern

aus, sobald sich ihnen eine Möglichkeit dazu eröffnet. In einem Bewässerungsprojekt im Norden des

Landes wurde ein Komitee von 15 Leuten ausgebildet – mit dem Ziel, dass dieses Irrigationssystem

nach dem Projekt von den Bauern und Bäuerinnen autonom geführt wird. Nach einem Jahr sind vier

der fünfzehn Bauern nach Brasilien ausgewandert.

Bildung – sei es schulische Bildung oder Weiterbildungen und Wissensaneignungen im Rahmen von

Projekten – sind die Grundlage für die Entwicklung eines Landes. Der Zugang zu Bildung gilt in der

Schweiz als selbstverständlich. Auch in Haiti hat Bildung einen hohen Stellenwert, in allen Schichten

der Bevölkerung. Wer kann, schickt die Kinder in die Schule – aber nicht jeder kann es sich leisten,

und nur zehn Prozent der Schulen sind öffentlich geführt. Zudem ist die Qualität der Bildung nicht

garantiert.

Partizipation ist entscheidend für Projekterfolg

Landwirtschaft ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige in Haiti, die Mehrheit der Bevölkerung lebt

davon. Die hohe Subventionierung der Landwirtschaft in der Schweiz ist unantastbar – ein Bauer in

Haiti muss sich mit Wenigem über Wasser halten. Vom Staat kann er keine Hilfe erwarten. Da auch

sonst in ländlichen Gebieten keine Infrastruktur existiert – weder Strom noch Wasseranschluss – ist

Holz eine wichtige Energiequelle und der Hauptgrund für die fast komplette Abholzung im Land. In

Caritas-Projekten lernen Bauern unter anderem bessere Anbaumethoden und setzen sich gemeinsam

gegen die Abholzung und die daraus resultierende Erosion der Böden ein.

Die Stärkung der lokalen Kapazitäten, die Bildung der Kinder und damit die Zukunft des Landes sind

Hauptanliegen der Caritas in Haiti. Ein wichtiger Aspekt zur Erreichung der angepeilten Resultate ist

es, dass die Bevölkerung von Anfang an mit eingebunden wird, vom Projekt überzeugt ist und mit-

macht. Ohne Partizipation kann keine nachhaltige Wirkung erreicht werden.

Caritas-Positionspapier „In den Zwängen fragiler Staatlichkeit“: www.caritas.ch/positionspapiere

Karin Mathis, Delegierte Haiti, Caritas Schweiz, E-Mail [email protected], Tel. 041 419 22 47