Upload
pschmitz
View
684
Download
2
Embed Size (px)
DESCRIPTION
Beiwerke des Buches: Gérard Genettes Ansatz der Paratexte
Citation preview
PS Theorien und interdisziplinäre Ansätze 27.5.2008Dozentin: Dr. Sandra Rühr SS 2008Referentinnen: Miriam Lang, Paula Nowakowski, Kristin Siegele, Anna Zeh
Gérard Genette »Paratexte«
»Paratexte, damit sind alle jene Begleittexte gemeint, die einem literarischen Werk auf seinem Weg durch die Öffentlichkeit zur Seite gehen: Titel und Zwischentitel, Vorworte und Nachworte, Widmungen und Motti und natürlich alle Arten von Anmerkungen – schließlich aber auch jene ›Epitexte‹ im Umfeld eines literarischen Werkes, mit denen ein Autor, beispielsweise in Form von Selbstanzeigen und Interviews, ein Werk aus seiner Sicht erläutert.«
Transaktion zwischen Text und Nicht-Text durch die Paratexte bessere Rezeption der Texte
räumliche, zeitliche, stoffliche, pragmatische und funktionale Eigenschaften
Wo? / Wie? / Vom wem? An wen? / Wozu? Paratext = Peritext + Epitext
Peritext = im Umfeld des Textes, innerhalb ein und desselben Bandes Epitext = in respektvoller Entfernung zum Text / Mitteilungen außerhalb
des Textes
Titel Unterscheidung: Titel, Untertitel, Gattungsangabe 4 obligatorische Stellungen: Umschlagseite 1 / Umschlagrücken /
Titelseite / Schmutztitel Titelinstanz = Mitteilung, Adressant und Adressat
Adressat des Titels > Adressat des Textes Funktionen:
Bezeichnungs- und Identifizierungsfunktion Inhaltsfunktion Verführungsfunktion
thematische Titel vs. rhematische Titel worüber man spricht/subjektal was man darüber sagt/objektalBezug zum Inhalt Bezug auf den Text selbstverschiedene Typen (wörtliche Titel)
z. B. Nennung von Gattungstiteln
Möglichkeit von »gemischten Titeln«
Widmungen → zueignen für die Widmung eines Werks → widmen für die Widmung eines Exemplars
Die Zueignung des Werks Ursprung im alten Rom; klassisches Verfahren der Huldigung eines
Beschützer und/oder Wohltäters selbstständige Aussage: entweder eine kurze Erwähnung des Adressaten
oder eine längere Rede an ihn Ort: seit Ende 19. Jh. üblicherweise am Anfang; auf der ersten rechten
Seite nach dem Titelblatt Zeitpunkt: Originalausgabe, manchmal sogar schon im Vorabdruck Zueigner: der Autor, manchmal auch der Übersetzer
PS Theorien und interdisziplinäre Ansätze 27.5.2008Dozentin: Dr. Sandra Rühr SS 2008Referentinnen: Miriam Lang, Paula Nowakowski, Kristin Siegele, Anna Zeh
Zueignungsadressanten: privat oder öffentlich Funktion: Zurschaustellung einer Beziehung
Die Widmung eines Exemplars Signatur der Besprechungsexemplare (»ich mache dir eine schöne
Widmung, damit du mir einen schönen Artikel machst«)
+ Signieren in den Buchhandlungen (Verkaufsargument, da autographe Widmung) Ort: heute Vorsatzblatt bzw. Schmutztitel Zeitpunkt: »Herauskommen des Buches«, Erstausgabe
(Besprechungsexemplare und Autoren- exemplare) + Signieren
Motti Def.: Ein Zitat, das im Allgemeinen an den Beginn eines Werkes oder
eines Werkabschnittes gesetzt wird Ort: möglichst nahe am Text Funktionen:
Funktion des Kommentars und der Verdeutlichung des Titels Kommentar zum Text; dessen Bedeutung wird indirekt präzisiert
oder hervorgehoben Name des zitierten Autors ist relevanter als Zitat selbst Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines Mottos ist, als
solches bereits eine Signatur für die Epoche, die Gattung oder die Tendenz eines Werks
Die Instanz des Vorworts Def.: alle Arten von Texten (seien sie einleitend oder ausleitend), die aus
einem Diskurs bestehen, der anlässlich des nachgestellten oder vorangestellten Textes produziert wurde
häufigste Form: Prosadiskurs (Ausnahmen: Form eines Dialogs; Umstände der Niederschrift)
Ort: Voranstellung oder Nachstellung (diese allerdings unauffälliger) 3 wichtige Zeitpunkte:
Originalvorwort (in der Originalausgabe) nachträgliches Vorwort (meist in der zweiten Ausgabe) spätes Vorwort (späte Neuausgabe) meist ein Ort für eine
„reifere“ Reflexion, die oft testamentarisch klingt
wirklichen oder fiktiven Person zugeschrieben Adressat: Leser des Textes, nicht bloß Angehöriger des Publikums
Die Funktionen des Originalvorwortes Vorwortfunktionen weichen je nach Vorworttyp voneinander ab 2 Aktionen des Originalvorwortes:
eine Lektüre bewirken bewirken, dass diese Lektüre gut verläuft
Warum es zu lesen sei? Leser festhalten und Text aufwerten (Lobung des Themas)
PS Theorien und interdisziplinäre Ansätze 27.5.2008Dozentin: Dr. Sandra Rühr SS 2008Referentinnen: Miriam Lang, Paula Nowakowski, Kristin Siegele, Anna Zeh
Bedeutung: Themaaufwertung, religiöser Nutzen, gesellschaftlicher Nutzen, usw.
Originalvorwort kann den Leser über die Geburt des Werkes, über die Umstände seiner Nieder-schrift und die Etappen seiner Entstehung informieren (manchmal Angaben der Quelle oder Danksagungen)
Funktionen des Vorwortes Fiktionsverträge: Vorwort als Beteuerung der Fiktivität Reihenfolge der Lektüre:Vorwort als Erläuterung der Inhaltsangabe Angabe über den Kontext Absichtserklärung: Interpretation des Textes durch Autor
Nachwort Nachteil: versetzte Kommunikationsinstanz Vorteil: richtet sich an tatsächlichen nicht-potenziellen Leser
gewährleistet logische Lektüre
nachträgliches Vorwort bei weiteren Ausgaben des Werks kann der Autor nachträglich ein
Vorwort anbringen um neues Publikum ansprechen Nachholversuche Antwort auf erste Reaktion / Kritik typographische Säuberungen
verschwindet aufgrund allmählichen Funktionsmangels
spätes Vorwort auch als testamentarisches Vorwort« bezeichnet Nachholfunktion autobiographischer Natur Äußerung des Autors wird auch als letztes Vorwort zum Gesamttext verwendet
allographes Vorwort Allographie: Trennung zwischen Adressanten des Textes (Autor) und des
Vorwortes (Vorwort- verfasser) Funktionen:
Lektüre fordern/lenken Informationsfunktion Empfehlungsfunktion
verneinende Auktoriale fiktive Zuschreibung des Textes Funktionen:
Schilderung von Umständen Angaben über eventuelle Korrekturen Kurzbiographie Simulation
fiktive Auktoriale
PS Theorien und interdisziplinäre Ansätze 27.5.2008Dozentin: Dr. Sandra Rühr SS 2008Referentinnen: Miriam Lang, Paula Nowakowski, Kristin Siegele, Anna Zeh
paratextuelles Spiel der Autorenunterschiebung fiktive Allographe
simuliert authentisch allographe Vorwort Unterschied: wird imaginärem Dritten zugeschrieben Funktion:
Detailangaben Erwähnung eventueller Korrekturen moralische Kommentare
Zwischentitel (= Binnentitel für eingeschränktes Publikum)
Fälle von Abwesenheit: bei vollständigen/geschlossenen Texten wenn Texte zu sehr unterteilt sind Texttypen, die von mündlicher Funktion geprägt sind
Zwischentitel im Wandel der Epochen Mittelalter: thematische Einleitung Klassische (Antike): Nüchternheit mechanische Zahleneinteilung Barock: großer Titelaufwand Romantik: nüchternes Modell 20. Jh.: nominaler Stil vs. stumme Betitelung
Der öffentliche Epitext Def. Epitext: Epitext ist jedes paratextuelle Element, das nicht materiell in
ein und demselben Band als Anhang zum Text steht »anywhere out of the book« = Ort des Epitextes Folgen: Erreichen eines größeren Publikums Vermittelung einer wesentlich vergänglicheren Botschaft
zeitliche Anlässe: vorhergehend, original, nachträglich/spät
Adressanten, Adressaten Adressant: meist der Autor (o. Verleger o. autorisierter Dritter) Adressat: Publikum
Funktionen bzw. Typologie Epitext besteht aus einer Menge von Diskursen »Brocken« des Paratextes erst finden = Paratexteffekt
verlegerischer Epitext: Werbung offiziös-allographer Epitext: durch Autor „autorisiert“ ; z.B. vom Verlag
veröffentlicht öffentlich-auktorialer Epitext: vom Autor vollständig verantwortet
PS Theorien und interdisziplinäre Ansätze 27.5.2008Dozentin: Dr. Sandra Rühr SS 2008Referentinnen: Miriam Lang, Paula Nowakowski, Kristin Siegele, Anna Zeh
privat-auktorialer Epitext außerdem: öffentliche Antworten, Vermittlungen, Kolloquien etc.
Unterscheidung zwischen Interview und Gespräch Interview: kurz; Journalist; aktueller Anlass; Funktion: Werbung oder
Mitteilung Gespräch: unfangreicher; kein präziser Anlass; interessierterer
Vermittler; Funktion: weniger Werbung, eher Infos über Arbeitsgewohnheiten etc.
Der private Epitext Unterschied zwischen öffentlichem und privatem Epitext: beim privaten Epitext ist ein primärer Adressat eingeschoben
Funktionen bzw. Typologie vertraulicher Epitext Briefwechsel: paratextueller Effekt; ist eine
Art Zeugnis über die Entstehung eines Werkes
mündliche Mitteilungen intimer Epitext = direkte oder indirekte Mitteilung über ein Werk der
Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft, die der Autor mit oder ohne spätere Publikationsabsicht an sich selbst richtet
Tagebücher: intentional; evtl. verfälschter Eindruck, da nur bestimmte Ereignisse notiert werden; subjektives Zeugnis Vortexte: meist Manuskripte, die absichtlich hinterlassen wurden; objektives Dokument
Schluss außerdem paratextuelle Relevanz: Übersetzung, Vorabdruck und
Illustration Paratext ist eine Übergangszone zwischen Text und Außer-Text mit
undefinierten Rändern Funktionaler Charakter des Paratextes Wirkung des Paratextes: unbewusste Beeinflussung/Manipulation, die
man wahrnehmen sollte
Quelle:GENETTE, GÉRARD: Paratexte. Das Buch vom Beiwerk des Buches. Frankfurt a.M. et al. 1989. [07BW/H610]