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18 KLINIK & PRAXIS Zahn Krone 3/10 In den vergangenen Jahren hat sich der Einsatz des Dentalmikroskops in der Endodontie etabliert. Vor allem Anfang der 1990er-Jahre wurden aufgrund der speziellen Erfordernisse in der Zahnmedizin die Geräte in ihrer Funktionalität erweitert. Dentalmikroskope ermöglichen bei bis zu 30-facher Vergrößerung einen direkten Einblick in den Zahn. Zudem sorgen die hohe Beweglichkeit und die koaxiale Lichtzufuhr für eine optimale Ausleuchtung selbst kleinster Wurzelkanalgänge. „Was man nicht sieht, kann auch nicht behandelt werden.“ Prof. Dr. Syngcuk Kim, University of Pennsylvania, Philadelphia/USA Dr. med. univ. et dent. André D. Hanna O hne spezielle Sichthilfe ist es für den Zahnarzt schwierig, bei schlechten Lichtverhältnissen optimal zu arbeiten. Mit dem Dentalmikros- kop können Zahnstrukturen und -veränderungen dargestellt werden, die mit dem bloßen Auge nicht auszuma- chen sind. Beispielsweise werden Ge- websreste (Debris), die sich unter Überhängen befinden, oder Karies, die bis zum Wurzelkanal penetriert ist, leicht übersehen. Nicht entferntes Gewebe ist der beste Nährboden für Keime! Der Erfolg einer Wurzelka- nalbehandlung hängt daher erheblich von der Beseitigung dieser Faktoren ab (Abb. 1a – c). Differenziertes therapeutisches Vorgehen Die Anwendung eines Dentalmikros- kops hat den Vorteil der frühzeitigen Diagnose wie beispielsweise bei der Darstellung feinster Risse, Querfrak- turen oder Längsfrakturen. Damit sind ein differenziertes therapeuti- sches Vorgehen und eine deutlich bes- sere prognostische Beurteilung mög- lich. Alle diese Punkte sind dank der heutigen Technik fotografierbar und somit dokumentierbar (Abb. 2a – c). Ein weiteres Problem in der Wurzel- kanalbehandlung besteht darin, kleins- te (anatomische) Zahnstrukturen zu erkennen und zu differenzieren. Häu- fig werden Wurzelkanäle aufgrund unzureichender Sicht- und Lichtbe- dingungen übersehen oder nicht aus- reichend dargestellt, weil sie von vor- handenen Zahnstrukturen verdeckt werden. Hier wären die Dentikel zu erwähnen, die sehr oft die Sicht im Pulpacavum behindern. Mittels neuer Ultraschalltechnologie sind diese Be- hinderungen leicht und schonend zu entfernen. Wissenschaftliche Studien belegen seit vielen Jahren, dass nicht aufgefundene und unbehandelt ge- bliebene Wurzelkanäle, in denen sich zahlreiche Keime befinden, die Ursa- che für fortbestehende Symptome Das Dentalmikroskop hat die Endodontie in kurzer Zeit revolutioniert Abbildung 1 a – c: Präzises und sauberes Arbeiten mittels Dentalmikroskop a: Verunreinigte Kavität b + c: Beispiele für saubere Kavitäten ohne Debris zwischen den Kanaleingängen

Hanna Zahnkrone 3 10

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18 KLINIK & PRAXIS Zahn Krone 3/10

In den vergangenen Jahren hat sich der Einsatz des Dentalmikroskops in der Endodontie etabliert. Vor allem Anfang der 1990er-Jahre wurden aufgrund der speziellen Erfordernisse in der Zahnmedizin die Geräte in ihrer Funktionalität erweitert. Dentalmikroskope ermöglichen bei bis zu 30-facher Vergrößerung einen direkten Einblick in den Zahn. Zudem sorgen die hohe Beweglichkeit und die koaxiale Lichtzufuhr für eine optimale Ausleuchtung selbst kleinster Wurzelkanalgänge.

„Was man nicht sieht, kann auch nicht behandelt werden.“Prof. Dr. Syngcuk Kim, University of Pennsylvania, Philadelphia/USA

Dr. med. univ. et dent. André D. Hanna

Ohne spezielle Sichthilfe ist es fürden Zahnarzt schwierig, bei

schlechten Lichtverhältnissen optimalzu arbeiten. Mit dem Dentalmikros -kop können Zahnstrukturen und -veränderungen dargestellt werden, diemit dem bloßen Auge nicht auszuma-chen sind. Beispielsweise werden Ge-websreste (Debris), die sich unterÜberhängen befinden, oder Karies,die bis zum Wurzelkanal penetriertist, leicht übersehen. Nicht entferntesGewebe ist der beste Nährboden fürKeime! Der Erfolg einer Wurzelka-nalbehandlung hängt daher erheblichvon der Beseitigung dieser Faktorenab (Abb. 1a – c).

Differenziertes therapeutisches Vorgehen

Die Anwendung eines Dentalmikros -kops hat den Vorteil der frühzeitigenDiagnose wie beispielsweise bei derDarstellung feinster Risse, Querfrak-turen oder Längsfrakturen. Damitsind ein differenziertes therapeuti-sches Vorgehen und eine deutlich bes-sere prognostische Beurteilung mög-lich. Alle diese Punkte sind dank derheutigen Technik fotografierbar undsomit dokumentierbar (Abb. 2a – c). Ein weiteres Problem in der Wurzel-kanalbehandlung besteht darin, kleins -te (anatomische) Zahnstrukturen zu

erkennen und zu differenzieren. Häu-fig werden Wurzelkanäle aufgrundunzureichender Sicht- und Lichtbe-dingungen übersehen oder nicht aus-reichend dargestellt, weil sie von vor-handenen Zahnstrukturen verdecktwerden. Hier wären die Dentikel zuerwähnen, die sehr oft die Sicht imPulpacavum behindern. Mittels neuerUltraschalltechnologie sind diese Be-hinderungen leicht und schonend zuentfernen. Wissenschaftliche Studienbelegen seit vielen Jahren, dass nichtaufgefundene und unbehandelt ge-bliebene Wurzelkanäle, in denen sichzahlreiche Keime befinden, die Ursa-che für fortbestehende Symptome

Das Dentalmikroskop hat die Endodontiein kurzer Zeit revolutioniert

Abbildung 1

a – c: Präzises und sauberes Arbeiten mittels Dentalmikroskop

a: Verunreinigte Kavität b + c: Beispiele für saubere Kavitäten ohne Debris zwischen den Kanaleingängen

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und somit für eine fehlende Aushei-lung verantwortlich sind. Mithilfe ei-nes Dentalmikroskops werden, wiezahlreiche Studien bestätigen, die bes -

ten Ergebnisse erzielt, um Wurzelka-näle und deren Struktur auszumachen(Abb. 3).

Sorgfältige und schonende Reinigung unter Sicht

Im weiteren Verlauf einer endodonti-schen Therapie erfolgen zahlreicheEinzelschritte, im Zuge derer dasWurzelkanalsystem optimal gereinigt,desinfiziert und ein bakteriendichterVerschluss vorbereitet wird. Erfolgtdies ohne optische Kontrolle, bestehtdie Gefahr, dass der Abtransport vonDentinspänen und Weichteilgewebenunterbleibt. Zudem könnten biologi-sche Komplikationen entstehen, bei-spielsweise durch den Transport voninfiziertem Material über das Wurzel-kanalsystem hinaus in das umliegen-de Gewebe. Seitliche Kanalerweite-

rungen verbergen oftmals infiziertesMaterial, das ebenfalls einen Behand-lungserfolg verhindert. Diese Lakunen lassen sich unter Sichtmit Ultraschallfeilen sorgfältig undsubstanzschonend reinigen und desin-fizieren. Natriumhypochlorid (NaOCl5,5%), Chlorhexidin (CHX 2%) undÄthylendiamintetraacetat (EDTA17%) sind Mittel der Wahl bei Desin-fektionslösungen. Diese Lösungensollten insgesamt mindestens 30 Mi-nuten mittels einer Sonofeile irrigiertwerden (Abb. 4).

Kenntnis der Zahnanatomie Voraussetzung

Als Voraussetzung für eine effektiveBehandlung ist die Kenntnis der Zahn -anatomie von größter Bedeutung. Dif-ferenziert werden muss zunächst, wie

In der endodontischen Praxis ist der Zahnarzt tagtäglich mit neuen Herausforderungen konfrontiert.

Abbildung 2

a: Querfraktur eines Molaren b: Längsfraktur eines Prämolaren c: Undichte Aufbaufüllung

Abb. 3: Aufsuchen von Kanälen mittels Dentalmikroskopund C-Pilotfeile

Abb. 4: Irrigation, ultraschallaktivierte Spülung

Abb. 5: Saubere Kavität mit Darstellung des zweiten mesio -bukkalen Kanals (MB II)

a – c: Querfrakturen, Längsfrakturen oder undichte Füllungen lassen sich mit dem Mikroskop gut fotografieren und dokumentieren.

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viele Kanäle ein Zahn haben könnte.So kann z.B. der erste Molar im Ober-kiefer – wenngleich sehr selten – bis zufünf oder sechs Kanäle aufweisen. Inca. 65% der Fälle finden sich jedochvier Kanäle. Der MB II (zweiter me-siobukkaler Kanal), der schwer zu fin-den ist, ist hauptverantwortlich für per-sistierende apikale Läsionen der me-

siobukkalen Wurzel des ersten Mola-ren im Oberkiefer (Abb. 5).

Bakteriendichte Wurzelkanal -füllung gewährleistet

Ohne perfekte Sichtkontrolle ist diemechanische und chemische Reini-

gung der Wurzelkanäle und Isthmenvon verbliebenen Debrisanteilen nichtgewährleistet. Das Gleiche gilt für diegelungene Wurzelkanalfüllung undden adhäsiven bakteriendichten Ver-schluss. Weiters muss bei MTA-Fül-lungen (Mineral-Trioxid-Aggregat) –z.B. bei retrograden Wurzelspitzenre-sektionen – unter Sicht eine genaue

Abbildung 6

a – e: Darstellung abgebrochener Instrumente

b: Abgebrochenes Instrument, transapikal

d: Instrument mittels Ultraschallfeile entfernt e: Apikale Füllung mit Mineral-Trioxid-Aggregat(MTA)

a: Mikroskopisches Bild: abgebrochenes Instrument im Kanallumen

b – e: Röntgenbilder der Regio 44

c: Nach Entfernung der Wurzelfüllung ist das Instru-ment sichtbar.

Abbildung 7

a – d: Weitere Beispiele für die präziseDarstellung mittels Dentalmikroskop

d: Abstehendes Inlay

a: Plaque, Zahnstein

b + c: Zu kurzer Kronenrand

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Applikation dieses Zementes durchge-führt werden. Allgemein sollte bei Wur-zelspitzenresektionen eine horizontaleResektion 3 mm vom Apex entfernt er-folgen (aufgrund der Ramifikationen)und anschließend 3 mm mit MTA dichtgefüllt werden (Abb. 6). Cave: Die ortho-grade WSR weist im Vergleich zur rei-nen retrograden WSR eine bessere Prog -nose auf (Erfolg liegt bei etwa 50%)! Mithilfe des Dentalmikroskops sindWurzelfülltechniken möglich, bei denendie Kanäle am Apex sicher verschlossenwerden können. So sind auch tief lie-gende Wurzelkanalaufbreitungen (Sepa-rationen), die sonst zu einer persistie-renden mikrobiellen Besiedelung führenkönnten, durchführbar. Vor allem weiteKanalausgänge wie bei Apexifikatio-nen, iatrogenen Perforationen oder

beispielsweise nach einer Wurzelspit-zenresektion können direkt an derWurzelspitze mit dem oben schon er-wähnten MTA gezielt (mit oder ohneBarriere) verschlossen werden. Auchabgebrochene Wurzelkanalinstrumentelassen sich mithilfe des Mikroskopsmeistens gut darstellen und eventuellentfernen (Abb. 6a – e).

Größtmögliche Sicherheit durch optimale Sicht

Alle diese Argumente verdeutlichendie Notwendigkeit des Dentalmikros -kops in der Endodontie. Nur durchdiese Sichthilfe werden feinste Detailsder Zahnstruktur, Wurzelkanäle, Per-forationen oder Mikrofrakturen sicht-

bar. Das Mikroskop gibt daher größt-mögliche Sicherheit bei Diagnose undTherapie durch optimale Sicht. Man darf gespannt sein, was die Zu-kunft an neuen Hilfsmitteln in derZahnmedizin bringen wird, um unsereTherapien weiter zu optimieren. n

Dr. med. univ. et med. dent.André D. HannaFacharzt für ZMK,

Schwerpunkt Endodontie Vizepräsident der ÖGEndo

(Österreichische Gesellschaftfür Endodontie), Curriculum

Endodontie der DGEndowww.hanna.at

[email protected]