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Hans Förstl (Hrsg.) Frontalhirn Funktionen und Erkrankungen 2., neu bearbeitete und erweiterte Auflage

Hans Förstl (Hrsg.) · jeder Moral und letztlich der höchsten Personifikation jenes sozialen Regelwerks darstellt, die eben auf dem Umschlagbild im Frontalhirn sitzt. Ähnlich wie

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Page 1: Hans Förstl (Hrsg.) · jeder Moral und letztlich der höchsten Personifikation jenes sozialen Regelwerks darstellt, die eben auf dem Umschlagbild im Frontalhirn sitzt. Ähnlich wie

Hans Förstl (Hrsg.)

Frontalhirn

Funktionen und Erkrankungen

2., neu bearbeitete und erweiterte Auflage

Page 2: Hans Förstl (Hrsg.) · jeder Moral und letztlich der höchsten Personifikation jenes sozialen Regelwerks darstellt, die eben auf dem Umschlagbild im Frontalhirn sitzt. Ähnlich wie

Hans Förstl (Hrsg.)

FrontalhirnFunktionen und Erkrankungen

2., neu bearbeitete und erweiterte Auflage

Mit 68 Abbildungen, davon einige in Farbeund 28 Tabellen

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Page 3: Hans Förstl (Hrsg.) · jeder Moral und letztlich der höchsten Personifikation jenes sozialen Regelwerks darstellt, die eben auf dem Umschlagbild im Frontalhirn sitzt. Ähnlich wie

Prof. Dr. Hans FörstlKlinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie

Technische Universität München

Klinikum rechts der Isar

Ismaninger Str. 22

81675 München

ISBN 3-540-20485-7Springer Medizin Verlag Heidelberg

Bibliografische Information Der Deutschen BibliothekDie Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Über-setzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungs-anlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkesoder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen desUrheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltendenFassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestim-mungen des Urheberrechtsgesetzes.

Springer Medizin Verlag. Ein Unternehmen von Springer Science+Business Mediaspringer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2002, 2005 Printed in Germany

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne be-sondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Marken-schutzgesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keineGewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand an-derer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden.

Planung: Renate Scheddin Projektmanagement: Gisela Zech-WillenbacherLektorat: Miriam Geißler, Neuss Design: deblik Berlin

SPIN: 10938874Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH, WürzburgDruck: Mercedes-Druck, Berlin

Gedruckt auf säurefreiem Papier 26/3160/SM – 5 4 3 2 1 0

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Vorwort zur 2. Auflage

Michelangelo malte einen gehirnförmigen Mantel, aus dessen frontaler Konvexität derSchöpfer hinausgreift, um den auf einer kahlen Erde konkav hingelagerten, aus Acker-boden (adamah) geformten Menschen mit Geist zu versehen. Sucht man also nach einerfrühen Darstellung (1510–1511) der »Theory of Mind« als bedeutender frontaler Leistung,ist sie in den Deckenfresken der Sixtinischen Kapelle zu finden. Das Frontalhirn unter-stellt anderen jenen Geist, dessen Annahme Grundlage jeder sozialen Interaktion, damitjeder Moral und letztlich der höchsten Personifikation jenes sozialen Regelwerks darstellt,die eben auf dem Umschlagbild im Frontalhirn sitzt.

Ähnlich wie andere psychische Probleme ist auch die Philosophie auf den Frontallap-pen angewiesen. Meilensteine der literarischen Verarbeitung frontaler Leistungen sindetwa die Odyssee (noch nicht aber Ilias; Jaynes 1976), die Meditationen über die erstePhilosophie (Descartes 1642) und die Lehre vom Blick der anderen, von Scham und Stolz(Sartre 1943). Kant lieferte in seinen Hauptwerken ausführliche Kritiken von drei promi-nenten frontalen Regelkreisen.

Da auch die Leser die zentrale Bedeutung des Frontalhirns erkannten und die 1. Auf-lage dieses Buches rasch aufkauften, fühlten sich Autoren, Verlag und Herausgeber ver-pflichtet, ihre Beiträge zu aktualisieren und zu erweitern; eine Reihe wichtiger Themenkam hinzu.

Hans FörstlMünchen, im Sommer 2004

Quellen

Descartes R (1642) Meditationen über die Erste Philosophie, 2. Aufl. Ludwig Elsevier, AmsterdamJaynes J (1976) The origins of consciousness in the breakdown of the bicameral mind. Houghton Mifflin,

BostonSartre JP (1943) L’Etre et le Néant. Librairie Gallimard, Paris

V

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Vorwort zur 1. Auflage

Die »frontale Hauptregion« sei die räumlich bei weitem ausgedehnteste Hauptzone derGroßhirnrinde des Menschen; dies stellt Brodmann (1909) in seiner vergleichenden Lo-kalisationslehre der Großhirnrinde fest. Sie umfasse den ganzen vor dem Sulcus centra-lis gelegenen Stirnlappen mit Ausnahme der Regio praecentralis (Area gigantopyrami-dalis) und der Regio praecingularis an der Medianfläche der Hemisphären. Sie zeigt imVerlaufe der evolutionären Neokortikalisation auf dem Weg zum Homo sapiens die stärks-te Größenzunahme und umfasst beim Igel weniger als 1%, Kaninchen 2,2%, fliegendenHund 2,3%, bei der Katze 3,4%, beim Hund 6,9%, Maki 8,3%, Kapuzineraffen 9,2%, Gib-bon 11,3%, Schimpansen 17% und beim Menschen 29% (Brodmann 1912). HistologischesMerkmal sei die geschlossene innere Körnerschicht. Diese Hirnregion erhält keine direk-ten sensorischen Afferenzen,sondern z.T.multimodal vorverarbeitete Informationen; derGroßteil der Efferenzen verläuft über mehrere Stationen kurzer, sequenziell verschalteterAssoziationsfasern. Mit solchen hervorgehobenen Eigenschaften – Größe, Komplexitätund Entbindung von einfachen sensorischen und motorischen Funktionen – empfiehltsich diese Hirnregion als ein wesentliches anatomisches Korrelat menschlichen Geistesund damit auch seiner Erkrankungen. Dies belegen die Beiträge zu diesem Buch. Theo-dor Meynerts Auffassung »Psychiatrie – Klinik der Erkrankungen des Vorderhirns« (1884)– er verstand darunter den Neokortex – kann also noch weiter spezifiziert werden: Tat-sächlich sind psychische Erkrankungen und eine Reihe neuropsychologisch definierba-rer Störungen ohne eine Beteiligung des Präfrontalkortex nicht denkbar.

Der Herausgeber ist den Autoren,Frau Pommering,Frau Nirschl sowie Frau Scheddinund Frau Zech vom Springer-Verlag,die an der Entstehung dieses Buches mit großem En-thusiasmus beteiligt waren, zu großem Dank verpflichtet.

Hans FörstlMünchen, im Frühjahr 2002

Literatur

Brodmann K (1909) Vergleichende Lokalisationslehre der Großhirnrinde in ihren Prinzipien dargestellt auf-grund des Zellenbaues, Barth, Leipzig

Brodmann K (1912) Neuere Ergebnisse über die vergleichende histologische Lokalisation der Großhirn-rinde mit besonderer Berücksichtigung des Stirnhirns. Anat Anz 41 (Suppl): 157–216

Meynert T (1884) Psychiatrie. Klinik der Erkrankungen des Vorderhirns. Braumüller, Wien

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Inhaltsverzeichnis

VII

1 Historische Konzepte der Frontalhirn-funktionen und -erkrankungen   .  .  .  .  .  . 1H. Förstl

I Grundlagen

2 Neurobiologische Grundlagen  .  .  .  .  .  .  . 15O. Gruber, T. Arendt, D. Y. von Cramon

3 Kognitive Neurologie und Neuropsychologie   .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 41A. Danek, T. Göhringer

4 Psychopathologie   .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 83F. M. Reischies

5 Psychosomatische Aspekte am Beispiel der Alexithymie und chronischer Schmerzen   .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 103H. Gündel

6 Neurale Korrelate des Perspektivwechsels und der sozialen Kognition: vom Selbst-bewusstsein zur »Theory of Mind«   .  .  .  . 129K. Vogeley, G. Fink

II Klinik

7 Neurodegenerative und verwandteErkrankungen   .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 143H. Förstl

8 Motion und Emotion: Morbus Parkinson und Depression   .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 177M. R. Lemke

9 Vaskuläre Erkrankungen   .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 193R. R. Diehl

10 Schizophrene Erkrankungen   .  .  .  .  .  .  .  . 213B. Bogerts

11 Affektive Störungen   .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 233F. Schneider; U. Habel, S. Bestmann

12 Angsterkrankungen   .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 267G. Wiedemann

13 Zwangsstörungen   .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 293R. Zimmer

14 Borderline- und antisozialePersönlichkeitsstörung   .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 321H. J. Kunert, S. Herpertz, H. Saß

15 Alkoholabhängigkeit   .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 347A. Heinz, M. N. Smolka, K. Mann

16 Epilepsien   .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 361S. Noachtar

17 Schädel-Hirn-Trauma   .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 377C.-W. Wallesch

III Therapeutische Perspektiven

18 Grundsätzliche Überlegungen   .  .  .  .  .  .  . 387C.-W. Wallesch

19 Neuropsychologische Therapieprogramme  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 395S. Gauggel

Glossar   .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 417

Farbtafeln  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 431

Namen- und Sachverzeichnis   .  .  .  .  .  .  .  .  .  . 437

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Arendt, Thomas, Prof. Dr.

Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung, Abt. Neuroanatomie, Jahnallee 59, 04109 Leipzig

Bestmann, Sven, Dipl.-Psych.

Max-Planck-Institut für Biophysikalische ChemieGöttingen, Am Faßberg 11, 37077 Göttingen

Bogerts, Bernhard, Prof. Dr.

Psychiatrische Klinik, Otto-von Guericke-Universität,Leipziger Str. 44, 39120 Magdeburg

Cramon, Yves D. von, Prof. Dr.

Max-Planck-Institut für Neurologische Forschung,Arbeitsbereich Neurologie, Stephanstr. 1a, 04103 Leipzig

Danek, Adrian, Prof. Dr.

Neurologische Klinik und Poliklinik, Klinikum derLMU Großhadern, Marchioninistr. 15, 81377 München

Diehl, Rolf R., Priv.-Doz. Dr.

Klinik für Neurologie mit KlinischerNeurophysiologie, Alfried-Krupp-Krankenhaus,Alfried-Krupp-Str. 21, 45117 Essen-Rüttenscheid

Fink, Gereon R., Prof. Dr.

Institut für Medizin, Forschungszentrum Jülich,52425 Jülich

Förstl, Hans, Prof. Dr.

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie undPsychotherapie, Technische Universität München,Klinikum rechts der Isar, Ismaninger Str. 22,81675 München

Gauggel, Siegfried, Prof. Dr.

Institut für Psychologie, Technische UniversitätChemnitz, Wilhelm-Raabe-Str. 43, 09120 Chemnitz

Göhringer, Thomas

Neurologische Klinik und Poliklinik, Klinikum derLMU Großhadern, Marchioninistr. 15, 81377 München

Gruber, Oliver, Dr.

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie,Universitätskliniken des Saarlands, 66421 Homburg/Saar

Gündel, Harald, Priv.-Doz. Dr.

Institut und Poliklinik für Psychosomatische Medizin,Psychotherapie und Medizinische Psychologie,Technische Universität München, Klinikum rechts derIsar, Langerstr. 3/1, 81675 München

Habel, Ute, Dr. Dipl.-Psych.

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie undPsychotherapie, Heinrich-Heine-Universität,Bergische Landstr. 2, 40629 Düsseldorf

Heinz, Andreas, Prof. Dr.

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie undPsychotherapie, Charité Berlin, Schumannstr. 20–21,10117 Berlin

Herpertz, Sabine, Prof. Dr.

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie undPsychotherapie am Zentrum für Nervenheilkunde,Universitätsklinikum Rostock, Gehlsheimer Str. 20,18147 Rostock

Kunert, Hanns Jürgen, Dr.

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, RWTH Aachen, Pauwelsstr. 30, 52075 Aachen

Lemke, Matthias R., Priv.-Doz. Dr.

Rheinische Kliniken Bonn, Kaiser-Karl-Ring 20,53111 Bonn

Mann, Karl, Prof. Dr.

Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Klinik fürPsychiatrie und Psychotherapie, J 5, 68159 Mannheim

Noachtar, Soheyl, Priv.-Doz. Dr.

Neurologische Klinik und Poliklinik, Klinikum derLMU Großhadern, Marchioninistr. 15, 81377 München

IX

Autorenverzeichnis

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Reischies, Friedel M., Prof. Dr.

FU Berlin, Klinikum Benjamin Franklin, PsychiatrischeUniversitätsklinik, Eschenallee 3, 14050 Berlin

Saß, Henning, Prof. Dr.

Klinik für Psychiatrie u. Psychotherapie,Universitätsklinikum der RWTH Aachen,Pauwelsstr. 30, 52074 Aachen

Schneider, Frank, Prof. Dr. Dr.

Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie/Universitätsklinikum der RWTH Aachen,Pauwelsstr. 30, 52074 Aachen

Smolka, Michael N., Dr.

Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, J 5, 68159 Mannheim

Vogeley, Kai, Priv.-Doz. Dr. Dr.

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie undPsychotherapie, Universitätsklinikum Bonn,Sigmund-Freud-Str. 25, 53105 Bonn

Wallesch, Claus-Werner, Prof. Dr.

Universitätsklinikum Otto-von-Guericke-Universität,Zentrum für Nervenheilkunde, Leipziger Str. 44,39120 Magdeburg

Wiedemann, Georg, Priv.-Doz. Dr.

Klinikum der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität,Zentrum der Psychiatrie und Psychotherapie,Heinrich-Hoffmann-Str. 10,60528 Frankfurt am Main

Zimmer, Reinhilde, Dr.

Klinik und Poliklinik für Psychiatrie undPsychotherapie, Technische Universität München,Klinikum rechts der Isar, Ismaninger Str. 22,81675 München

X Autorenverzeichnis

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ACA Arteria cerebri anteriorACC »anterior cingulate cortex«,

anteriorer zingulärer KortexACI Arteria carotis internaACM Arteria cerebri mediaAcomA Arteria communicans anteriorAcomP Arteria communicans posteriorACP Arteria cerebri posteriorACTH adrenokortikotropes HormonAD Alzheimer-DemenzADHS »Attention-deficit-hyperactivity«-

SyndromAPT Aufmerksamkeits-Prozess-

TrainingAV Arteria vertebralisAVM arteriovenöse MalformationenBA Brodmann-Area BADS »behavioural assessment of the

dysexecutive syndrome«BPS Borderline-PersönlichkeitsstörungCANTAB »Cambridge neuropsychological

test-automated-battery«CCT »cranial computed tomography«,

kraniale ComputertomographieCET Cognitive-Estimation-TestCMA »cingular motor area«, zinguläre

MotorareaCOMT Catecho-O-Methyl-TransferaseCOWAT »controlled oral word association

test«CPT »continuous performance task«CRF, CRH Cortisol-releasing-Faktor,

Cortisol-releasing-HormonCS »contention scheduling«CT ComputertomografieDLDH »dementia lacking distinctive

histopathology«, Demenz ohnedistinkte Histopathologie

DLPFC »dorsolateral prefrontal cortex«,dorsolateraler präfrontaler Kortex

DSM »Diagnostic and StatisticalManual of Mental Diseases«

DTI »diffusion tensor imaging«ECD »99mTc-ethyl cysteinate dimer«EDA elektrodermale AktivitätEEG ElektroenzephalogrammEKT ElektrokrampftherapieEMG ElektromyogrammESR »emotional self rating scala«EXIT »executive interview«FAB »frontal assessment battery«FBI »frontal behavioral inventory«,

frontales VerhaltensinventarFDG FluordesoxyglukoseFE FrontallappenepilepsieFEF »frontal eye field«, frontales

AugenfeldFLS »frontal lobe score«fMRT funktionelle

MagnetresonanztomografieFTD frontotemporale DegenerationGABA Gamma-AminobuttersäureGSK3 Glykogen-Synthase-Kinase 3HAMD Hamilton-Depressions-SkalaHERA »hemispheric encoding and

retrieval asymmetry«5-HIAA 5-HydroxyindolessigsäureHMPAO Hexamethylpropylenamine

oximeICB intrazerebrale BlutungICD International Classification of

DiseasesIWM »internal working model«,

inneres ArbeitsmodellLPFC »lateral prefrontal cortex«,

lateraler präfrontaler KortexLTP »long term potentiation«MAO MonoaminoxidaseMAP Mikrotubulus-assoziiertes

Protein

XI

Abkürzungsverzeichnis

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MCA Arteria cerebri mediaMD mediodorsalMIT »magnetization transfer imaging«MOFC »medial orbitofrontal cortex«,

medialer orbitofrontaler KortexMOG »myelin oligodendrozyte glyco-

protein«MPFC »medial prefrontal cortex«, media-

ler präfrontaler KortexMRS MagnetresonanzspektroskopieMRT MagnetresonanztomografieMS multiple SkleroseMST »magnetic seizure therapy«,

MagnetkrampftherapieNAA N-Acetyl-AspartatNBTS »Neurobehavioural-Rating-

Scale«NIRS Nah-Infrarot-SpektroskopieNIST Nucleus interstitialis striae

terminalisNMDA N-Methyl-D-AspartatNPGi Nucleus paragigantocellularisOFC »orbitofrontal cortex«, orbito-

frontaler KortexORT Object-Reversal-TestPANDAS »pediatric autoimmune neuro-

psychiatric disorders associatedwith streptococcal infections«

PET PositronenemissionstomografiePFC präfrontaler KortexpORT Probability-Object-Reversal-Test1PP Erste-Person-Perspektive3PP Dritte-Person-PerspektivePTSD posttraumatische

BelastungsstörungPVN Nucleus paraventricularisQEEG quantitatives

ElektroenzephalogrammrCBF »regional cerebral blood flow«,

regionaler zerebraler BlutflussREM »rapid eye movements«

rTMS repetitive transkranielleMagnetstimulation

SAE subkortikale arteriosklerotischeEnzephalopathie

SAS »supervisory attentional system«SEF »supplemental eye field«,

supplementäres AugenfeldSHT Schädel-Hirn-TraumaSLP standardisierte Link’sche ProbeSMA supplementär-motorische AreaSPECT Single-Photonen-

EmissionscomputertomografieSPM »standard progressive matrices«SSMA supplementär sensomotorisches

ArealSSRI »selective serotonin reuptake

inhibitor«, selektiver Serotonin-Wiederaufnahmehemmer

TAP Testbatterie zurAufmerksamkeitsprüfung

TAS Toronto-Alexithymie-SkalaTE TemporallappenepilepsieTIA transitorische ischämische AttackeTKS Test zum kognitiven SchätzenTMS transkranielle MagnetstimulationToM »theory of mind«TOOTS »time out of the spot«VA ventral-anteriorVBR »ventricle-to-brain-ratio«VD vaskuläre DemenzVMPFC »ventromedial prefrontal cortex«,

ventromedialer präfrontalerKortex

VNS Vagusnerv-StimulationVT VerhaltenstherapieVTA ventrales tegmentales ArealWCST Wisconsin-Card-Sorting-TestWML »white matter lesion«ZMT Ziel-Management-

TrainingsgruppeZS Zwangsstörung

XII Abkürzungsverzeichnis

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Historische Konzepte der Frontalhirnfunktionenund -erkrankungen

H. Förstl

1.1 Frühe Vorstellungen über die Hirnentwicklung – 2Denkerstirn und Evolution – 2Terminologie – 2Kammerdoktrin – 2Organologie – 3

1.2 Kasuistiken – 5

1.3 Tierexperimente – 6

1.4 Neuro-(»Psycho«-)Chirurgie – 6

1.5 Empirisch gestützte Modelle – 7

1.6 Epistemologie – 10

Literatur – 10

1

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1.1 Frühe Vorstellungen über die Hirnentwicklung

Denkerstirn und Evolution

Götter, Philosophen und Dichter werden in griechischen Skulpturen meist mit besondersausgeprägter, Arbeiter und Athleten mit eherschmächtig entwickelter Stirn gezeigt (Zanker1995). Die Denkerstirn als Ausdruck großer Geisteskraft findet sich auch noch später als iko-nografisches Merkmal bedeutender, genialerMenschen. Bekannt sind etwa entsprechendeBüsten Goethes und Beethovens.

Georges Cuvier (1805), ein Polyhistor, fandeine stetige Zunahme des Camper-Gesichtswin-kels (Winkel zwischen den Profillinien Gehör-gang – Nasenöffnung und Nasenöffnung – Stirn)vom niedrigen Primaten bis zum weißen Euro-päer und zog daraus Rückschlüsse auf die geisti-ge Leistungsfähigkeit. 1854 befand Gratiolet, dieGröße des Frontallappens unterscheide Menschund Tier.Ernst Haeckel illustrierte in seiner Ent-wicklungsgeschichte des Menschen die Bezie-hung von embryonaler Hirnentwicklung undStirnbildung (⊡ Abb. 1.1).

Terminologie

Constanzo Varolio (1573) unterschied in den He-misphären einen vorderen, mittleren und hinte-ren Anteil (prominentia). Thomas Willis (1664)bezeichnete die durch die Fissura sylvii getrenn-ten Hirnteile als Lobus anterior und Lobus pos-terior. Francois Chaussier (1807) führte mit derDifferenzierung von 4 Hirnlappen den BegriffLobus frontalis ein. Richard Owen (1868) be-nützte erstmals den Begriff »Präfrontalkortex«.Luciani und Tamburini (1878) verwendeten denTerminus »präfrontal«,also vor dem Gyrus prae-centralis gelegen.

Kammerdoktrin

In der klassischen Ventrikellehre der Kirchenvä-ter wurde die vordere Hirnkammer mit Wahr-nehmungsaufgaben in Verbindung gebracht.Vondieser Hirnkammer wurde angenommen, dasssie die engsten Nervenverbindungen zur Außen-welt habe.Hier wohnt das Sensorium commune,während die rationalen Leistungen in der mittle-ren, Gedächtnis und Bewegung in der hinterenHirnkammer angesiedelt werden (Clarke u.Dewhurst 1973; Magoun 1957;⊡Abb. 1.2).DiesesModell orientiert sich am Aufbau griechischerTempel in denen Gericht gehalten wurde. Dort

2 Kapitel 1 · Historische Konzepte der Frontalhirnfunktionen und -erkrankungen

1

⊡ Abb. 1.1. Ernst Haeckels Illustration zur Entwicklungdes menschlichen Gesichts findet sich als erste Tafel in der»Anthropogenie oder Entwicklungsgeschichte des Men-schen« (1874). Sie zeigt die Beziehung zwischen der Aus-bildung des Vorderhirns (v) und der Stirn. Die Gestalt ent-spricht antiken Idealen. (Aus: Haeckel 1874)

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wurden die Information in der ersten Kammergesammelt, in der zweiten erwogen und in derdritten fiel die Entscheidung. Das Sensoriumcommune kann gleichzeitig als Ort des Bewusst-seins aufgefasst werden, in dem alle Empfindun-gen zusammenfließen. Varolio erkannte Endedes 16. Jahrhunderts, dass sich in den Hirnkam-mern nicht Luft (spiritus), sondern Flüssigkeitbefand und vermutete, sie diene einer nachge-ordneten Aufgabe, nämlich der Entsorgung beider Denkarbeit sich bildender Abfallstoffe. Abernoch Soemmerring (1796, S. 32f.) glaubte, es lie-

ße »sich wahrscheinlich machen, wo nicht be-weisen: Daß dies Sensorium commune in derFeuchtigkeit der Hirnhöhlen (Aqua Ventriculo-rum Cerebri) bestehe, oder in der Feuchtigkeitder Hirnhöhlen sich finde, oder wenigstens inder Feuchtigkeit der Hirnhöhlen gesucht werdenmüsse; kurz: daß die Flüssigkeit der Hirnhöhlendas Organ derselben sey.«

Organologie

Emanuel Swedenborg lokalisierte etwa 1740 Den-ken,Vorstellung und Gedächtnis in den vorderenHirnanteilen; er betrachtete den Stirnlappen alsübergeordnetes Funktionsareal, bei dessen Ver-letzung der Wille verloren gehe. Nach 1809 for-mulierten Franz Gall und Johann Spurzheim alsReaktion auf Soemmerring und verwandte The-orien die Grundthesen der Phrenologie. Sie be-ruhte auf zwei Grundannahmen:1. Im Gehirn sind differente Organe, zuständig

für bestimmte Teilleistungen (Organologie).2. Die Ausprägung dieser Organe kann an der

Schädelform abgelesen werden (Kranio-skopie).

Auch sie lokalisierten im Frontallappen diehöchsten mentalen Leistungen,etwa Gedächtnisund Sprache. Mitentscheidend war die frühe Be-obachtung Galls an einem Mitschüler mit her-vortretenden Augen,der ein auffallend gutes Ge-dächtnis besaß. Spurzheim (1833) vertrat nach-haltig die Ansicht, Geisteskrankheiten seienGehirnkrankheiten (diese Feststellung wirdmeist fälschlich Wilhelm Griesinger zugeschrie-ben), schränkte aber ein, die Bedeutung derKopfform dürfe weder übersehen noch über-schätzt werden (Spurzheim 1833, S. 109). GeorgeCombes »System der Phrenologie« (1833) ord-nete dem Präfrontalkortex sowohl Gefühle, alsauch Denkvermögen und Erkenntnisvermö-gen zu und lässt damit eine oberflächliche Nähe zur klassischen Kammerdoktrin erkennen (⊡Abb. 1.3).Es war sicherlich ein wichtiges Ver-

1.1 · Frühe Vorstellungen über die Hirnentwicklung3 1

⊡ Abb. 1.2. Seit der Antike wurden den Hirnkammernbestimmte Funktionen zugeordnet (Kammerdoktrin). Dievordere Hirnkammer enthält nach dieser Auffassung den»Sensus communis« bzw. das »Sensorium commune«. Dahinter wurden Fantasie, Kognition, Urteilskraft und imletzten Ventrikel das Gedächtnis lokalisiert. Aufgrund derengen räumlichen Beziehungen zu den Sinnesorganenlag es nahe, der vorderen Hirnkammer den Sinn für dieAußenwelt zuzuordnen und sie als Zentrum für die Einheitdes Erlebens aufzufassen. Die Theorie hatte Bestand bis indie Renaissance und wurde z. T. bis ins Zeitalter der Auf-klärung weiterentwickelt. Die Abbildung entstammt derChirurgie des Hieronymus Brunschwigk (1525)

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4 Kapitel 1 · Historische Konzepte der Frontalhirnfunktionen und -erkrankungen

1

⊡ Abb. 1.3. George Combe lokalisierte in seinem »System der Phrenologie« (1833) zahlreiche mentale Fakultäten imFrontalhirn, nämlich

Empfindungen Verstand

I. Triebe III. Erkenntnisvermögen 32 Tonsinn8 Erwerbtrieb 23 Gestaltsinn 33 Sprachsinn9 Bautrieb 24 Größensinn

25 Gewichtssinn IV. DenkvermögenII. Gefühle 26 Farbensinn 34 Vergleichsvermögen

13 Wohlwollen 27 Ortsinn 35 Schlussvermögen18 Wunder (?) 28 Zahlensinn19 Idealität 29 Ordnungsinn20 Witz, Fröhlichkeit 30 Thatsachensinn21 Nachahmung 31 Zeitsinn

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dienst der Phrenologie, die Hirnsubstanz undnicht die Ventrikel als Substrat intellektuellerLeistungen vorzuschlagen. Combe erwähnte inseinem populären Werk (1833; S. 380) eine Kasu-istik, in der ein Zusammenhang zwischen neu-ropathologisch verifizierter links frontolateralerHirnläsion und motorischer Aphasie belegt wur-de. Ähnliche Zusammenhänge wurden spätervon anderen, z. B. Dax und Broca, mitgeteilt, wa-ren aber schon in den umfangreichen klinisch-neuropathologischen Sammlungen von Aber-crombie und Andral enthalten, ohne von diesenselbst gewürdigt zu werden (Förstl 1991).Die Zu-rückhaltung mancher Autoren in der Zuordnungvon Funktion und Lokalisation kann als Gegen-bewegung zu den Auswüchsen der Phrenologieaufgefasst werden, die ohne ausreichende empi-rische Basis eine Unzahl postulierter Partialleis-tungen in kleinen kortikalen Arealen ansiedelte(⊡ Abb. 1.3).

1.2 Kasuistiken

Eine Reihe klinischer Beobachtungen lieferte er-ste Hinweise auf die Funktion des Frontalhirns.Guido Lanfranchi beobachtete 1315 zwei Soldatenmit Gedächtnisstörungen und anderen intellek-tuellen Defiziten nach Stirnhirnläsionen. FelixPlatter (1614) beschrieb einen Patienten mit apa-thischer, demenzähnlicher Symptomatik, beidem sich ein Tumor über dem Corpus callosumim Bereich des Frontallappens fand. Morgagni(1761) untersuchte einen 30-jährigen Mann mitcholerischem Temperament, dessen rechte Au-genhöhle mit einem spitzen Degen durchbohrtwurde und welcher danach 3 Tage angeblichohne körperliche Beschwerden verbrachte.Nachseinem Tod am 4. Tag stellte man mit einer Son-de fest, dass der Knochen in der geraden Rich-tung des rechten Auges durchbohrt war; der De-gen war – ohne das Auge zu verletzen – in das Ge-hirn eingedrungen und das Ende der Wunde warnur einen Finger breit vom rechten Seitenventri-kel entfernt.

Der Anatom Friedrich Burdach (1819–1826)bemerkte einen Zusammenhang zwischen an-gestrengtem Nachdenken und nachfolgendemfrontal betontem Kopfschmerz und zog darausdie entsprechenden funktionell-neuroanatomi-schen Schlüsse. Zu derartigen Wahrnehmungenmeinte Meynert später (1866), es könnten ebennur pathologische, hypochondrische Empfin-dungen eine solche Wahrnehmung des Ortes derDenkvorgänge vorspiegeln, »nachdem heute dieKenntnis dieses Ortes (des Frontallappens!) einepopuläre Vorstellung (!) geworden ist.«

Larrey (1829) beschrieb Patienten mit Apha-sien,Gedächtnisstörungen und Verwirrtheitszu-ständen nach frontalen Hirnläsionen. Bouillaud(1825) brachte den Frontallappen mit Sprach-funktionen in Verbindung. De Nobele (1835; zit.nach Blumer u. Benson 1975) beschrieb den Falleines vordem verschlossenen,einfältigen 16-Jäh-rigen,der sich mitten in den orbitalen Stirnanteilschoss und erblindete. Er schien danach gleich-gültig und sogar läppisch enthemmt. Trousseau(1861) erwähnte einen Offizier, der bei einemDuell im Jahr 1825 mit einem Kopfschuss verletztwurde, bei welchem die Kugel an einer Schläfeein-, an der anderen wieder austrat; er überlebtedie Verletzung 6 Monate ohne Lähmungen,Sprachstörungen oder sonstige kognitive Beein-trächtigung, obwohl die Kugel angeblich beideFrontallappen »mitten durchschlagen« hatte.1848 erlitt Phineas Gage mit 25 Jahren eineschwere Sprengverletzung, bei der eine 1 m langeund 3 cm dicke Eisenstange Kiefer und Kalottedurchschlug und dabei mediale Anteile v.a. deslinken Frontallappens zerstörte.Er überlebte denUnfall um mehr als 12 Jahre und starb an einemepileptischen Anfall. Sein Verhalten war nachdem Unfall schwer verändert; er war unvernünf-tig und jähzornig (Harlow 1868).

Am 15.Juni 1886 morgens um 8 Uhr wurde imMarterzimmer der Münchner Residenz die Lei-che »weiland seiner Majestät des höchstseligenKönig Ludwig II. von Bayern« seziert; laut Sek-tionsprotokoll waren die »ersten, zweiten unddritten Stirnwindungen« atrophisch und »die

1.2 · Kasuistiken5 1

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graue Substanz der Windungen etwas schmal«;die Arachnoidea über dem Frontallappen warverdickt und milchig-weiß getrübt.

Jastrowitz (1888) beobachtete an Patientenmit Stirnhirntumoren eine »bitter-launige« Ge-mütslage mit einem Hang zum »läppischen Iro-niesieren«, den er »Moria« nannte. Oppenheim(1889) bezeichnete diesen inadäquaten Humorals »Witzelsucht«. Leonore Welt (1888) schlossaus eigenen Beobachtungen und der Litera-tur, dass besonders rechts medioorbitale Läsio-nen zu Veränderungen des Charakters und ver-hältnismäßig geringen kognitiven Störungenführen.

1.3 Tierexperimente

Flourens (1824, 1842) vertrat die antilokalisatio-nistische zerebrale Äquipotenztheorie, also diefunktionelle Einheitlichkeit der Hemisphären,die er in Tierversuchen zu untermauern ver-suchte. Fritsch und Hitzig (1870) stellten tierex-perimentell fest, der Präfrontalkortex sei nichtelektrisch stimulierbar (⊡ Abb. 1.4); seine Ex-stirpation führte zu keiner sensiblen oder moto-rischen Lähmung,sondern zu einem Nachlassender intellektuellen Leistung. Sie schlossen da-

raus, der Präfrontalkortex sei das Organ für ab-straktes Denken, zuständig für Intelligenz undAufmerksamkeit.Sie wagten also den Schritt vonder lokalisatorischen Zuordnung leicht beob-achtbarer sensomotorischer Reaktionen hin zuhöheren geistigen Leistungen. Hitzig (1874) be-tonte dabei ausdrücklich die Ähnlichkeiten zwi-schen Menschen und Schimpansen. Broadbent(1872) argumentierte, gerade jene zwischenge-schalteten Nervenzentren, die keine direktensensorischen Afferenzen erhalten und keine di-rekten motorischen Efferenzen aussenden,müs-sten als Sitz der intellektuellen Verarbeitung an-gesehen werden. David Ferrier (1892) bestätigtedie elektrische Unerregbarkeit des Präfrontalk-ortex. Experimentelle Läsionen an Versuchstie-ren führten nicht zu fassbaren motorischen De-fiziten, jedoch je nach Lokalisation zu Apathieoder Reizbarkeit und Enthemmung von Be-wegungsmustern. Er vermutete, das Stirnhirn sei für Aufmerksamkeitsleistungen zuständig.Munk (1877, 1890) meinte, bei Ferriers früherenBeobachtungen an Affen handele es sich v.a. umunspezifische Operationsfolgen. Er teilte in die-sem Punkt Goltz’(1877) Auffassung,der Präfron-talkortex diene komplexen motorischen Aufga-ben. Bianchi (1894, 1895) behauptete, der Prä-frontalkortex verbinde die Wahrnehmungen mitEmotionen und sorge für den »psychischen To-nus«; bei einer Läsion würden somit diese Syn-theseleistung und der Antrieb gestört; seine Af-fen demonstrierten ein »dolce far niente«. VonFranz (1915) konnte in Tierexperimenten mitstandardisierten Lernparadigmen eine Beteili-gung des Präfrontalkortex an Gedächtnisleis-tungen belegt werden.

1.4 Neuro-(»Psycho«-)Chirurgie

Burckhardt (1891) führte an mehreren Patientenmit schweren psychischen Erkrankungen Hirn-rindenexzisionen im Frontal- und Parietalbe-reich durch.Egas Moniz (1937) und Freeman undWatts (1942) propagierten in einer Ära,die kaum

6 Kapitel 1 · Historische Konzepte der Frontalhirnfunktionen und -erkrankungen

1

⊡ Abb. 1.4. Elektrische Stimulation am Hundehirn(Fritsch 1874). Erregbare Areale, deren Stimulation zu ei-ner beobachtbaren motorischen Reaktion führte, sindschraffiert dargestellt. (Aus: Hitzig 1874, S. 79, Abb. 5). F. S.Fissura sylvii, L. f. Stirnregion, L. o. Hinterhauptsregion, S. c.Sulcus crucialis, a–d Stirnwindungen, e–h Scheitelwindun-gen, m–o Hinterhauptswindungen. Reizpunkte: + vordereExtremität, # hintere Extremität, Rumpfmuskeln, Schwanz,Kieferöffnung, x Ohrbewegungen

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wirksame Behandlungsverfahren schwerer neu-ropsychiatrischer Erkrankungen kannte, diePsychochirurgie in den Varianten Leukotomie,Lobotomie oder Topektomie zur Behandlungunterschiedlichster neuropsychiatrischer Stö-rungen von der Epilepsie bis zu Schizophrenie,Zwangskrankheit und Alkoholismus.

Umfangreiche Erfahrungen mit der »selekti-ven partiellen Ablation des Frontalkortex« beidiversen neurologischen und psychiatrischenIndikationen wurden nach dem 2. Weltkrieg inden USA zusammengetragen; die kritische Aus-wertung lieferte keine wesentlichen neuen Er-gebnisse, weder hinsichtlich der funktionellenAnatomie des Frontalhirns,noch hinsichtlich destherapeutischen Nutzens invasiver Maßnahmen(Mettler 1949).

Penfield und Rasmussen (1950, S. 226) beob-achteten,dass Patienten,während große Teile desPräfrontalkortex neurochirurgisch entfernt wur-den, weiter sprachen, ohne das Bewusstsein zuverlieren (»unaware of the fact, that he is beingdeprived of that area which most distinguisheshis brain from that of a chimpanzee«) und dassetwaige postablative Defizite hinsichtlich Planenund Initiative vom Patienten oft nicht bemerktwurden. Daraus schlossen sie, dass der Präfron-talkortex nicht den Sitz des Bewusstseins, son-dern die engste Verbindung zur obersten Orga-nisationsebene des Dienzephalons darstellt.Diese Annahme lag auch aufgrund elektro-physiologischer Befunde von Moruzzi und Ma-goun (1949) nahe. Luria (1969) betrachtete dieStörung von Aufmerksamkeit und Konzentra-tion sowie eine Unfähigkeit komplexere Arbeits-sequenzen auszuführen als neuropsychologischeCharakteristika der Frontallappenläsionen underklärte damit zum einen die Apathie, zum an-deren den Konkretismus der Patienten.

1.5 Empirisch gestützte Modelle

J. H. Jackson (1884a) arrangierte in der zweitenseiner »Croonian Lectures« die Hierarchie derNervenzentren nach anatomisch-physiologi-schen Prinzipien:▬ von den spinalen Vorderhörnern, deren

Motoneuronen einzelne Bewegungselementere-präsentieren,

▬ über die mittleren motorischen Zentren (Gy-rus praecentralis,Striatum) die re-re-präsen-tativ sind und zuständig für komplexere Be-wegungsabläufe größerer Körperareale,

▬ hin zum Frontalhirn,das re-re-re-präsentativund dabei zuständig für die höchst komple-xen motorischen Funktionen sei.

Jackson insistiert auf einer rein senso-moto-rischen Betrachtungsweise zerebraler Funk-tionen, wobei also die postzentralen Anteile grundsätzlich für Sensorisches, die frontalen für motorische Abläufe verantwortlich seien;einem heuristischen Nutzen der Konzepte Wil-le,Verstand,Emotion,Gedächtnis kann er in sei-ner positivistischen Herangehensweise nichtsabgewinnen; sie seien künstlich abgegrenzteAspekte einer einzigen Angelegenheit, nämlichdes Bewusstseinszustandes (Jackson 1884b).Jackson integrierte in sein Modell eigene klini-sche Erfahrung und den Diskussionsstand sei-ner Zeit.

Flechsig (1896, S. 63) stellt fest, »dass das po-sitive Wissen nicht unmittelbar leidet, wenn dasStirnhirn zerstört wird – wohl aber die zweck-mässige Verwertung desselben, indem evtl. einevollständige Interesselosigkeit,ein Hinwegfall al-ler persönlichen Antheilnahme an inneren undäusseren Vorgängen sich geltend macht«; er ge-wann den Eindruck, dass eine Läsion mit einer»Herabsetzung aller persönlicher Bethätigun-gen, der activen Aufmerksamkeit, des Nachden-kens u.dgl.m. einhergeht (…) sei das frontaleCentrum (…) an dem aus sich heraus hemmendund anregend wirkenden ICH betheiligt«.Er hat-

1.5 · Empirisch gestützte Modelle7 1

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te die späte Myelinisierung und – im Vergleich zuanderen Teilen des Neokortex – mangelnde Rei-fe des Präfrontalkortex nachgewiesen.

Für Anton und Zingerle (1902, S. 187) reprä-sentierte das menschliche Stirnhirn ein Aggregataller Sinnessphären, deren Zusammenarbeit diepsychische Leistung ermöglicht; »damit bleibtnoch keineswegs ausgeschlossen, dass demStirnhirne als Theil der motorischen und Kör-perfühlsphäre sowie evtl. als Centralstation füreinzelne Theile des Kleinhirns eine führende,ordnende Bedeutung für die gesamte Intelli-genzleistung zukommt«. Mills und Weisenburg(1906) betrachteten den Präfrontalkortex v.a.derlinken Hemisphäre als Sitz höchster mentaler Fä-higkeiten und zitieren Beispiele einer besondershohen morphologischen Entwicklung bei gro-ßen Geistern, die sie mit Befunden an psychischKranken verglichen.

Karl Kleist (1934) kartierte anhand seiner Er-fahrungen bei Hirnverletzten die Funktionendes gesamten Kortex. Er unterschied zwischendem »eigentlichen Stirnhirn« – hierunter ver-stand er Außenfläche und mediales Randgebiet– und dem »Innenhirn« bestehend aus Orbital-hirn mit Regio olfactoria, Gyrus cinguli, Retro-splenium und Hippokampus. Innerhalb des »ei-gentlichen Stirnhirns« unterschied er eine sen-sorische,motorische und »psychische Zone«; dieKonvexitätsläsionen führten zu Antriebs-, Initi-ativ- und Willenlosigkeit.Als Folge frontoorbita-ler Läsionen registrierte er »Störungen am Ge-meinschafts- und religiösen Ich, Selbst-Ich, …«(⊡ Abb. 1.5).

Blumer und Benson (1975) bezeichneten dieentsprechenden Syndrome als pseudopsycho-pathisch und als pseudodepressiv (pseudoneu-rasthenisch).

8 Kapitel 1 · Historische Konzepte der Frontalhirnfunktionen und -erkrankungen

1

⊡ Abb. 1.5a, b. Lokalisation der Funktionen der Großhirnrinde. a Außenseite

a

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Holmes (1931) unterschied 3 Syndrome nachFrontallappenläsionen:1. Apathie und Indifferenz,2. Depression, intellektuellen Abbau, Inkonti-

nenz und3. Rastlosigkeit,Reizbarkeit,überbordende Eu-

phorie, kindisch läppisches Gebaren und be-sonderen Egoismus.

Cummings (1985) differenzierte:1. das Konvexitätssyndrom mit Apathie, Indif-

ferenz, psychomotorischer Retardierung,Haltlosigkeit und Stimulusabhängigkeit so-wie verminderter Abstraktionsfähigkeit,

2. das mediale Frontalhirnsyndrom mit redu-zierter Motorik (Mimik, Gestik) und einge-schränkten Sprach- und Gefühlsäußerungensowie

3. das orbitofrontale Syndrom mit Enthem-mung, Ablenkbarkeit, Impulsivität, emotio-

naler Labilität bei eingeschränkter Einsichts-und Urteilsfähigkeit.

Nauta (1973) untersuchte die Verbindungen desPräfrontalkortex zum limbischen System. DieseErgebnisse verwendeten Alexander et al. (1990)und v.a.Benson (1994) und seine Schüler,um den3 vorgeschlagenen klinischen Präfrontalsyndro-men bestimmte kortikosubkortikale Regelkreisezuzuordnen:1. dorsolateraler-präfrontaler Kortex – Cauda-

tum – Globus pallidus, Substantia nigra –Thalamus (ventral anterior und mediodor-sal),

2. Gyrus cinguli anterior – Nucleus accumbens– Globus pallidus, Substantia nigra – Thala-mus (mediodorsal) und

3. lateral-orbitofrontaler Kortex – Caudatum –Globus pallidus,Substantia nigra – Thalamus(ventral anterior und mediodorsal).

1.5 · Empirisch gestützte Modelle9 1

⊡ Abb. 1.5b. Innenseite (Kleist 1934)

b

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Dieses Modell orientiert sich an den derzeit üb-lichen Methoden und Konzepten Strukturen undFunktionen zu korrelieren.

1.6 Epistemologie

Von Monakow erläutert die immer noch aktuel-len prinzipiellen methodischen und konzeptio-nellen Schwierigkeiten bei der Analyse frontalerLeistungen:

Das Schwierigste bei der Erörterung derphysiologischen Bedeutung vor allem desStirnhirns und der Lokalisation der geistigenVorgänge ist wie bei allen komplizierten wis-senschaftlichen Problemen, die richtige Fra-gestellung; eine solche ist meines Erachtenszurzeit überhaupt noch gar nicht möglich.Der Verstand und die anderen höheren Leis-tungen des Zentralnervensystems (geistigeKonzentration, Gesittung) sind allgemeinpsychologische Begriffe, die sich (…) wederins Physiologische und noch vollends insAnatomische übersetzen lassen, wenigstensheute nicht, wo wir noch nach den Lokalisa-tionsprinzipien für die roheren physiologi-schen Operationen im Kortex (Sinneswahr-nehmung, Fertigkeits- und Ausdrucksbewe-gungen etc.) ringen (m. E. aber auch inZukunft nicht).Die Intelligenz ist eine enormkomplizierte Ableitung aus einer Unsummevon Einzelverrichtungen, die durch die Tä-tigkeit der Sinne und des Muskelapparatesim Verlauf des gesamten Vorlebens und ins-besondere der Kinderzeit sukzessive erwor-ben werden. Nun sind aber schon die aller-ersten, an die Tätigkeit eines jeden einzelnenSinnes unmittelbar sich anknüpfenden psy-chischen Akte so verwickelte und sicher un-ter integrierender Mitarbeit des ganzen Kor-tex sich abspielende Dinge, die man unmög-lich vom Gesichtspunkte einer Lokalisationnach Windungen und Rindeninseln betrach-ten kann (Monakow 1914, S. 879f.).

Ausführliche Darstellungen zur Historie der Er-forschung des Frontallappens/Präfrontalkortexetc. finden sich in Feuchtwanger (1923), Finger(1994), Häfner (1957), Markowitsch (1992), Mar-shall und Magoun (1998) und in vielen der zitier-ten Arbeiten.

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10 Kapitel 1 · Historische Konzepte der Frontalhirnfunktionen und -erkrankungen

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12 Kapitel 1 · Historische Konzepte der Frontalhirnfunktionen und -erkrankungen

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Neurobiologie und Neuropsychologiedes Frontalhirns

2 Neurobiologische Grundlagen – 15O. Gruber, T. Arendt, D. Y. von Cramon

3 Kognitive Neurologie und Neuropsychologie – 41A. Danek, T. Göhringer

4 Psychopathologie – 83F. M. Reischies

5 Psychosomatische Aspekte am Beispiel der Alexithymie und chronischer Schmerzen – 103H. Gündel

6 Neurale Korrelate des Perspektivwechsels und der sozialen Kognition: vom Selbstbewusstsein zur »Theory of Mind« – 129K. Vogeley, G. R. Fink

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Neurobiologische Grundlagen O. Gruber, T. Arendt, D.Y. von Cramon

2.1 Strukturelle Organisation des Stirnhirns – 16Abgrenzung des präfrontalen Kortex – 16Zytoarchitektonik – 16Prinzipien der neuronalen Konnektivität des präfrontalen Kortex – 17Intrakortikale Verbindungen – 19Verbindungen mit limbischen Hirnstrukturen – 19Verbindungen mit Basalganglien und Thalamus – 19Neurotransmitter – 20

2.2 Funktionelle Organisation des Stirnhirns – 21Beiträge der Neurophysiologie – 23Beiträge der funktionellen Bildgebung – 27Zukunftsperspektiven – 34

Literatur – 35

2

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2.1 Strukturelle Organisationdes Stirnhirns

Abgrenzung des präfrontalen Kortex

Der präfrontale Kortex bildet den Kortex des ros-tralen Pols der Hirnrinde. Die Kriterien seinerAbgrenzung gegenüber anderen neokortikalenHirnregionen und damit das Verständnis dessen,was dem präfrontalen Kortex zuzurechnen ist,ist historisch mehrfach revidiert worden und so-mit Ausdruck sich entwickelnder Paradigmender Stirnhirnfunktion.

Zunächst wurde der präfrontale Kortex nachzytoarchitektonischen Kriterien als der granulä-re frontale Kortex abgegrenzt (Brodmann 1909)und galt als ein Spezifikum des Primatenhirns.Spätere Konzepte,die bei seiner Abgrenzung vonanderen Kriterien, wie seiner Konnektivität mitdem mediodorsalen Thalamuskern (Rose u.Woolsey 1948),seiner dopaminergen Innervationaus dem ventralen Mesenzephalon (Thierry etal. 1973; Björklund et al. 1978),sowie spezifischenfunktionellen Aspekten (Preuss 1995) ausgingen,haben jedoch gezeigt, dass sich ein »präfronta-ler« Kortex vom motorischen bzw. prämotori-schen Kortex auch im Gehirn von anderen Säu-gern (Reep 1984; Uylings u. VanEden 1990) ab-grenzen lässt und sich homologe Strukturenbeispielsweise auch im Gehirn von Vögeln finden(Divac et al. 1987).

Der präfrontale Kortex ist ein Bestandteil desisokortikalen Assoziationskortex,der am Prima-tengehirn makroskopisch durch den Sulcus ar-cuatus,die Fissura centralis inferior und den Sul-cus cinguli begrenzt wird. Während der Evolu-tion nimmt der präfrontale Kortex relativ stärkerals andere Hirnanteile an Größe zu und erreichtseine größte relative Ausdehnung im mensch-lichen Gehirn. Diese phylogenetisch nachweis-bare Größenzunahme ist innerhalb des präfron-talen Kortex jedoch uneinheitlich und spiegeltsich in den zytoarchitektonischen Unterschiedeninnerhalb des präfrontalen Kortex wieder. Sozählen insbesondere die dorsalen und lateralen

Anteile des präfrontalen Kortex zu den phyloge-netisch jüngsten Hirnregionen.

In ihren Grundzügen ist die zytoarchitekto-nische ontogenetische Entwicklung am mensch-lichen Gehirn zum Zeitpunkt der Geburt be-reits abgeschlossen. Das dendritische Wachs-tum sowie die Ausbildung von Synapsennehmen im Primatengehirn jedoch nach derGeburt weiter zu und erreichen erst im Jugend-lichen- bzw. Erwachsenenalter ihre endgültigeAusprägung. In gleicher Weise nimmt die Mye-linisierung der im präfrontalen Kortex ent-springenden Fasern nach der Geburt zu. Derpräfrontale Kortex ist damit eine der Hirnregio-nen, dessen Myelinisierung als letztes in der ontogenetischen Entwicklung die volle Reife erreicht.

Zytoarchitektonik

Die Charakterisierung einer »regio frontalis« desFrontallappens, einer Region, die etwa seit derMitte des 20. Jahrhunderts als präfrontaler Kor-tex bezeichnet wird, basiert auf den klassischenzytoarchitektonischen Arbeiten von Brodmann(1909).Er bezeichnet hiermit ein Gebiet,das sichrostral vom motorischen und prämotorischenKortex befindet und sich durch die Ausbildungeiner granulären Lamina IV von den kaudal ge-legenen kortikalen Feldern unterscheidet,denendiese Schicht fehlt,und die daher als »agranulär«bezeichnet werden.

Brodmann (1909) erkannte durch seine ver-gleichend neuroanatomischen Untersuchungen,dass der granuläre frontale Kortex nur im Ge-hirn des Menschen und nichtmenschlicher Pri-maten vorhanden ist. Spätere zytoarchitektoni-sche Untersuchungen am Primatenhirn habenjedoch ergeben, dass einige der von Brodmann(1909) dem granulären Kortex zugerechnetenRegionen über keine oder nur eine gering ausge-prägte granuläre Schicht IV verfügen. Beispielehierfür sind seine Areae 13 sowie 25 (Barbas u.Pandya 1989).

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Obgleich sich im Gehirn der meisten Nicht-Primaten keine granuläre Schicht IV nachweisenlässt (Uylings u. VanEden 1990), ist der frontaleKortex dieser Säugetiere in die Realisierung weit-gehend vergleichbarer Funktionen involviert unddem präfrontalen Kortex der Primaten homolog.

Der präfrontale Kortex umfasst die Areale 8bis 12 sowie 44 bis 47 der Regio frontalis nachBrodmann sowie die Areale 24 und 32 der Regiocingularis. Der präfrontale Kortex ist zytoarchi-tektonisch heterogen, und besteht aus granulä-ren als auch agranulären Anteilen. Die Areale 8bis 12 und 44 bis 47 besitzen eine deutliche inne-re granuläre Schicht (Lamina 4) und zählen da-mit zum granulären Kortex. Demgegenüber istdiese in der Area 24 nicht vorhanden und in derArea 32 nur schwach ausgebildet. Damit bestehtder präfrontale Kortex zum größten Teil aus gra-nulären kortikalen Regionen (Area 8 bis 12 und44 bis 47) sowie aus einer agranulären (Area 24)und einer dysgranulären (Area 32) kortikalenRegion. Der granuläre Anteil des präfrontalenKortex erstreckt sich insbesondere über die late-ralen Areale, während der agranuläre Anteilhauptsächlich den medialen präfrontalen Kor-tex einnimmt. Der granuläre Anteil ist nur imPrimatenhirn vorhanden und erreicht immenschlichen Gehirn seine größte Ausdehnung.Innerhalb des granulären Kortex gibt es einenrostrokaudalen Gradienten im Ausprägungsgradder inneren granulären Schicht, die in den ros-tralen Anteilen deutlich ausgebildet ist,währendsie in den kaudalen Anteilen des präfrontalenKortex, der bereits Übergänge zum agranulärenprämotorischen Kortex bildet, nur eine geringeAusdehnung erreicht.

In der jüngeren Vergangenheit ist der prä-frontale Kortex Gegenstand sehr detaillierter zy-toarchitektonischer Untersuchungen gewesen,die bis zu 60 Areale innerhalb des präfrontalenKortex abgrenzen (Bailey u. von Bonin 1955; Sar-kissov et al. 1955; Sanides 1962), im Allgemeinenjedoch eine recht gute Übereinstimmung mit dervon Brodmann (1909) vorgenommenen Gliede-rung zeigen.

Prinzipien der neuronalenKonnektivität des präfrontalenKortex als Voraussetzung der multimodalen Informations-verarbeitung

Aus Tracerstudien an nichtmenschlichen Prima-tenhirnen ist bekannt, dass der präfrontale Kor-tex direkte oder indirekte Verbindungen mit nahezu allen Hirnregionen, mit Ausnahme desprimär sensomotorischen Kortex und der sub-kortikalen sensorischen Relaykerne besitzt (Zilles et al. 1988; Fuster 1989; Stuss u. Benson1986; Barbas u. Pandya 1991; Pandya u. Yeterian1990; Goldman-Rakic 1987). So bestehen ins-besondere Verbindungen mit▬ den heteromodalen kortikalen Assoziations-

arealen,▬ allen sensorischen Assoziationsarealen,▬ den Basalganglien und dem Thalamus,▬ den limbischen Hirnstrukturen einschließ-

lich der Amygdala und des Hippokampus,▬ dem Hypothalamus,▬ der Septalregion und▬ dem Hirnstamm.

Nahezu alle Verbindungen mit dem präfrontalenKortex sind reziprok. Eine Ausnahme hiervonbilden die Basalganglien, die vom präfrontalenKortex in nichtreziproker Weise innerviert wer-den (� s. unten).

Afferenzen sowie Efferenzen des präfronta-len Kortex zeigen eine topografische Organisa-tion,die insbesondere am Primatenhirn gut aus-gebildet ist.So ist der orbitale präfrontale Kortexhauptsächlich mit dem medialen Thalamus,demHypothalamus, dem ventromedialen Nucleuscaudatus und der Amygdala verschaltet.Demge-genüber besitzt der dorsolaterale präfrontaleKortex Verbindungen zum lateralen Thalamus,zum dorsalen Nucleus caudatus, zum Hippo-kampus und zum Neokortex. Jede dieser mitdem präfrontalen Kortex in Verbindung stehen-den Hirnstrukturen ist wiederum Bestandteilvon sich teilweise überlappenden neuronalen

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Netzwerken, die an der Verarbeitung von Infor-mationen unterschiedlicher Modalitäten betei-ligt sind.Hierdurch erhält der präfrontale Kortexdie Funktion einer übergeordneten Hirnstruk-tur der multimodalen bzw. supramodalen Infor-mationsverarbeitung (⊡ Abb. 2.1).

Der präfrontale Kortex weist eine kolumnäreOrganisation auf. Diese Kolumnen haben einen

Durchmesser von 300–700 µm, umfassen in die-sem Bereich alle kortikalen Schichten und stellendamit eine vertikale Einheit von Neuronen mitspezifischen Input-Output-Beziehungen und in-trinsischen synaptischen Verbindungen dar.Kortikale Kolumnen mit ipsilateralen bzw.kontralateralen Projektionsverhältnissen wech-seln dabei ab. Es kann angenommen werden,dass die sehr starke Gyrifizierung und die rela-tive Zunahme des präfrontalen Kortex immenschlichen Gehirn mit einer Zunahme derAnzahl kortikaler Kolumnen verbunden sind.Die alternierende Abfolge kortikaler Kolumnenhinsichtlich ihrer Afferentierung gilt in gleichemMaße auch für die Efferenzen.Axonale Endigun-gen neuronaler Systeme finden sich häufig in dengleichen Kolumnen, in denen auch die Efferen-zen zu diesen Systemen entspringen.

Durch diese Segregation der Eingänge unddie starke kolumnäre Separation der Konnekti-vität ist ein moduläres Prinzip der Organisationder Projektionsverhältnisse im präfrontalenKortex realisiert,das eines seiner wesentlichstenstrukturell-funktionellen Organisationsmerk-male darstellt. Entsprechend sind die mit ver-schiedenen Anteilen des präfrontalen Kortex inVerbindung stehenden Fasersysteme im sub-kortikalen Bereich, wie auf der Ebene von Ba-salganglien und Thalamus, relativ isoliert orga-nisiert und funktionell segregiert, und es gibtdamit wenig Raum für »Cross-talk« auf dieserEbene. Die Integration dieser parallel ver-arbeiteten Information (motorisch, kognitiv,limbisch) erfolgt erst auf der Ebene des prä-frontalen Kortex (Rakic 1975; Goldman-Rakic1987). Es wird gegenwärtig angenommen, dassdie Integration von Information aus den Be-reichen sensorischer und multimodaler korti-kaler Assoziationsareale, limbischer Hirnregio-nen sowie den Basalganglien auf der Ebene des präfrontalen Kortex durch lokale Interneu-rone erfolgt, deren dendritische Ausdehnungmehrere kortikale Schichten und kortikale Kolumnen überspannt (Rakic 1975; Goldman-Rakic 1987).

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⊡ Abb. 2.1. Die integrative Konnektivität des präfronta-len Kortex (Makakenhirn; die Nummern beziehen sich aufzytoarchitektonische Rindenfelder nach Brodmann). Ein-zelne Subregionen des präfrontalen Kortex haben di-stinkte, jedoch z. T. überlappende Verbindungen mit an-deren Hirnregionen. Dabei stehen die mehr posteriorenund dorsalen Anteile des lateralen präfrontalen Kortexinsbesondere mit Hirnregionen in Verbindung, die an der Verarbeitung visuell-räumlicher und motorischer In-formation beteiligt sind. Ventrale Regionen zeigen be-sonders starke Konnektivität mit kortikalen Regionen, diean der Informationsverarbeitung der visuellen Form undStimulusintensität beteiligt sind. Weiter anterior gelege-ne Anteile des lateralen präfrontalen Kortex haben engeVerbindungen zu auditorischen Kortizes, und orbitofron-tale Anteile stehen insbesondere mit subkortikalen Hirn-strukturen in Verbindung, die in die Verarbeitung »inter-ner« Information einbezogen sind. Neben dieser regiona-len Spezifität in der Konnektivität gibt es jedoch einemultimodale Konvergenz in der Verschaltung. So erhal-ten präfrontale Regionen konvergierende Eingänge vonmindestens 2 sensorischen Modalitäten. Außerdem gibtes eine starke intrakortikale Konnektivität innerhalb despräfrontalen Kortex. AS arcuate sulcus (Sulcus arcuatus),PS principal sulcus (Sulcus principalis). (Mod. nach Miller2000a)

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Intrakortikale Verbindungen

Die wesentlichsten kortikalen Afferenzen zumpräfrontalen Kortex entspringen in anderen kor-tikalen Arealen der gleichen (ipsilaterale Assozi-ationsfasern) sowie kontralateralen Hemisphäre(kalossale Verbindungen). Diese Verbindungensind reziprok organisiert. Von besonderer Be-deutung ist die reziproke Verschaltung mit denparietalen, temporalen und visuellen Assozia-tionsarealen.Diese projizieren auf jeweils unter-schiedliche, umschriebene präfrontale Arealeund sind an der Vermittlung des visuellen,audi-torischen und somatosensorischen assoziativenInputs beteiligt. Die Fasern des parietalen Asso-ziationskortex terminieren in der Lamina I undIV des präfrontalen Kortex (»feed forward sys-tem«, Van Essen u. Maunsell 1983), die rezipro-ken Efferenzen des präfrontalen Kortex afferen-tieren die Laminae I und V/VI der Assoziations-areale. Durch diese Verschaltung kann der»präfrontale feedback« in den heteromodalenAssoziationsarealen deren kortikale Ausgängemodulieren.

Obgleich alle Formen sensorischer Informa-tion letztlich zum präfrontalen Kortex geleitetwerden, erreichen ihn diese ausschließlich überdie sensorischen kortikalen Assoziationsareale,sodass die gesamte hier konvergierende Infor-mation bereits eine assoziative Bewertung er-fahren hat.

Zahlreiche neokortikale Regionen entsen-den einerseits direkt Fasern zum präfrontalenKortex und erreichen diesen andererseits indi-rekt nach Umschaltung über die Basalganglien(� s. unten), wo eine »exekutive Informations-bewertung« stattfindet. Es wird daher ange-nommen, dass diese Möglichkeit der parallelenInformationsverarbeitung eine wesentlicheFunktionsgrundlage des präfrontalen Kortexdarstellt.

Verbindungen mit limbischenHirnstrukturen

Der präfrontale Kortex stellt die einzige neokor-tikale Region dar, in der eine Repräsentation vonInformation aus limbischen Netzwerken erfolgt(Nauta 1971; McLean 1990). Die anatomischeGrundlage hierzu ist durch seine direkten undindirekten Verbindungen zu dem Hippokampus,der Amygdala, dem limbischem Kortex (ein-schließlich Gyrus cinguli und Gyrus parahippo-campalis), den thalamischen Relaykernen (ein-schließlich Nuclei ventralis anterior, mediodor-salis, anteriomedialis, sowie den intralaminarenKernen) sowie dem Pulvinar gegeben. Darüberhinaus ist der präfrontale Kortex die einzige neo-kortikale Hirnregion mit direkter Verbindungzum Hypothalamus. Aus dem posterioren Be-reich des parietalen Assoziationskortex sowiedem präfrontalen Kortex entspringen paralleleProjektionen zu identischen thalamischen undlimbischen Kerngebieten,die möglicherweise fürdie räumliche Gedächtnisbildung von Bedeutungsind (Goldman-Rakic 1987a, b; � s. unten).

Das Verschaltungsmuster des präfrontalenKortex mit limbischen Netzwerken ist so organi-siert, dass die von ihm ausgehenden Verbindun-gen sowohl Ein- als auch Ausgänge limbischerSchaltkreise regulieren und damit eine »gating«-Funktion auf limbische Informationen ausübenkönnen. Der Umstand, dass die Mehrzahl dieserVerbindungen reziproker Natur sind, machtdeutlich, dass dieses »gating« limbischer Infor-mation im Kontext der im präfrontalen Kortexrepräsentierten multimodalen Information er-folgt.

Verbindungen mit Basalganglienund Thalamus

Der präfrontale Kortex besitzt wesentliche di-rekte und indirekte reziproke Verbindungen mitden Basalganglien.Dabei bestehen zum einen di-rekte Projektionen vom dorsolateralen präfron-

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talen Kortex auf den Nucleus caudatus, das me-diale Pallidum, die Substantia nigra sowie denanterioventralen und mediodorsalen Thalamus(Verarbeitung kognitiver Information) und zumanderen vom orbitalen/medialen präfrontalenKortex auf den Nucleus accumbens (Shell-Re-gion), das ventrale Pallidum und den mediodor-salen Thalamus (Verarbeitung limbischer Infor-mation; Alexander et al. 1986, 1990; Gerfen 1992;⊡ Abb. 2.2).

Im Unterschied zur Bidirektionalität der Ver-schaltung des präfrontalen Kortex mit limbi-schen Netzwerken, bestehen direkte Verbindun-gen mit den Basalganglien nur im kortikofuga-len Bereich. Damit erreicht das Feedback dieserSysteme den präfrontalen Kortex seinerseits nurüber thalamokortikale Verbindungen,und damitnur nach einer spezifischen thalamischen Mo-dulation der Information.Der präfrontale Kortexerhält seine hauptsächlichen thalamischen Ein-gänge aus dem mediodorsalen Kern des Thala-mus, wobei der mediale Anteil dieses Kerns zumventromedialen, der laterale Anteil dieses Kernszum dorsolateralen Anteil des Präfrontalkortexprojiziert.

Diese Projektionen aus dem mediodorsalenThalamus stellen eine Eigenschaft des präfron-talen Kortex dar, die in der Vergangenheit eben-falls für seine Abgrenzung herangezogen wurde(� s. oben).Ausgehend von der Vorstellung,dass

einzelne thalamische Kerne nur mit ganz be-stimmten kortikalen Regionen verschaltet sind,führte die Identifikation der mediodorsalen tha-lamischen Projektion auf den präfrontalen Kor-tex (Rose u. Woolsey 1948) zunächst zu der Annahme, dass diese Projektionsverhältnissesich für eine Identifizierung von kortikalen Regionen eignen könnten, die im Gehirn vonNicht-Primaten dem präfrontalen Kortex ho-molog sind. Spätere detaillierte Tracingstudien(Akert 1964; Goldman-Rakic u. Porrino 1985;Kievit u. Kuypers 1977; Barbas et al. 1991) habenjedoch gezeigt,dass die Verbindungen zwischenpräfrontalem Kortex und mediodorsalem Tha-lamus nicht so spezifisch sind, wie zunächst an-genommen. So erhält der präfrontale Kortexzum einen Fasern aus anderen, insbesondereanterioventralen thalamischen Kernen,zum an-deren erreichen Projektionen des mediodorsa-len Thalamus auch Bereiche des prämotori-schen, primär motorischen sowie zingulärenKortex.

Neurotransmitter

Aus dem Bereich des Hirnstamms erreichen denpräfrontalen Kortex Fasern dreier monoaminer-ger Systeme unter Umgehung des Thalamus.Dies sind:

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⊡ Abb. 2.2. SchematischeDarstellung der Verbindungenzwischen präfrontalem Kortex,Basalganglien und Thalamus.MD mediodorsal, VA ventralanterior (Mod. nach Weinber-ger 1993)

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1. noradrenerge Fasern aus dem Locus coeru-leus,

2. dopaminerge Fasern aus der Area ventralistegmentalis sowie

3. serotonerge Fasern aus den Raphe-Kernen.

Die cholinerge Innervation nimmt ihren Ur-sprung in den Projektionsneuronen des basalenVorderhirns (Nucleus basalis Meynert) und er-reicht den präfrontalen Kortex insbesondere inden Schichten III und VI.

Der präfrontale Kortex ist die einzige korti-kale Region mit einer direkten Projektion zu die-sen aminergen Projektionsneuronen des Hirn-stamms sowie den cholinergen Projektionsneu-ronen des basalen Vorderhirns (Beckstead 1979;Porrino u. Goldman-Rakic 1982; Arnsten u.Goldman-Rakic 1984; Sesak et al. 1989). Damitverfügt der präfrontale Kortex nicht nur über dieVoraussetzungen, seine eigene cholinerge, sero-tonerge, noradrenerge und dopaminerge Affe-rentierung zu modulieren, sondern er kann da-mit auch die aminerge und cholinerge Innerva-tion anderer kortikaler Areale kontrollieren.

Während die den Neokortex erreichendennoradrenergen Fasern diesen diffus innervieren(die höchste Innervationsdichte liegt im Bereichdes somatosensorischen Kortex) und die seroto-nergen Fasern hauptsächlich auf sensorische(insbesondere visuelle) Areale projizieren,errei-chen dopaminerge Fasern insbesondere den prä-frontalen Kortex. Die dopaminerge Innervationkonzentriert sich dabei hauptsächlich auf die tie-feren kortikalen Schichten (V und VI). Dieserdopaminerge Eingang aus dem ventralen Me-senzephalon stellt ein weiteres strukturelles Kri-terium dar, das von einigen Autoren für die Ab-grenzung des präfrontalen Kortex herangezogenwurde (Divac u. Mogenson 1985). Obgleich diesedopaminerge Innervation eine wichtige Voraus-setzung für die Funktion des präfrontalen Kortexdarstellt, ist sie als Abgrenzungskriterium jedochwenig geeignet.Dopaminerge Fasern aus diesemBereich des ventralen Mesenzephalons erreicheninsbesondere im Primatenhirn auch den prämo-

torischen sowie primär motorischen Kortex ineiner Dichte, die teilweise sogar höher ist als impräfrontalen Kortex.

Die 3 Aminosäuretransmitter▬ Gamma-Aminobuttersäure (GABA),▬ Glutamat und▬ Aspartat

stellen die Neurotransmitter der intrinsischenNeuronensysteme des präfrontalen Kortex dar.Die Projektion vom frontalen Kortex auf Stria-tum und Thalamus sind ebenfalls hauptsächlichglutamaterg. Neben den klassischen Neuro-transmittern sind im Bereich des präfrontalenKortex eine Reihe von Neuropeptiden als Neuro-modulatoren nachgewiesen worden. Von diesensind Somatostatin und Substanz P die wichtig-sten.Diese können mit GABA koexprimiert wer-den. Der Neurotransmitterapparat des präfron-talen Kortex entwickelt sich ontogenetisch rela-tiv zeitig und ist im Primaten zum Zeitpunkt derGeburt im Wesentlichen ausgereift. Demgegen-über erreichen die den präfrontalen Kortexinnervierenden monoaminergen (Noradrenalin,Dopamin, Serotonin) sowie die cholinergen Fa-sern den präfrontalen Kortex teilweise erst nachder Geburt.

2.2 Funktionelle Organisationdes Stirnhirns

Im Vergleich zu dem Wissen über die Strukturendes Stirnhirns ist das Wissen über seine funktio-nelle Organisation bislang begrenzt. Entspre-chend ist die Funktionalität des StirnhirnsGegenstand intensiver aktueller Forschungsbe-mühungen.

Lange Zeit waren direkte Untersuchungenam lebenden, weitgehend unversehrten Gehirnnur im Rahmen von invasiven neurobiologi-schen Studien an nichtmenschlichen Speziesmöglich. Das Wissen über die Funktionen despräfrontalen Kortex beim Menschen konnte sichlediglich auf aus diesen Tierstudien abgeleitete

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