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HANS (JULIUS ANTON EDWARD) HUBNER). Im Jahre 1884 hat der Tod eine reiche Ernte unter den Chemikern gehalten. Wie viel glanzende Sterne der Wissenschaft sind in kurzer Frist erloschen ! Beruhrt uns das Hinscheiden eines hochbetagten, beriihmten Forschers nahe, so erkennen wir doch in einem solchen Verlnst die unfehlbare Forderung des Laufes aller Dinge. Mit ganz anderen Gefiihlen treten wir an das Grab eines jringen Forachers, der in der Bliithe der Jahre, im Vollbesitze aller Krafte vom unerbittlichen Schicksale abberufen wurde. Das war nicht ein miider Arbeiter, dessen altersschwache Hande langst nicht mehr das Handwerkszeug zu halten vermochten; hier ist uns ein Genome, ein Lehrer und Mensch entrissen worden mitten aus seiner segensreichen Thatigkeit. Kurz war die Spanne seines Lebens und doch wie viel hatte er bereits geleistet, wie viel gewirkt und geniitzt, und wie viel hatte eine so seltene, treue, ungewohnlich ausdauernde Kraft noch geleistet! J. Hiibner’) wurde am 13. October 1837 in Diisseldorf geboren. Sein Vater war der bekann te, hervorragende Maler J u li u s H ii b n e r, Director der Dresdener Gemaldegallerie. Die Gymnasialbildung er- hielt Hiibner in Dresden im Blochmann’schen Institute (1847 bis 1854), hesuchte 1854 bis 1857 die polytechnische Schule in Dresden und bezog im Friihjahr 1857 die Universitat Gottingen, wo er alsbald einer der eifrigsten Schiiler unseres nnvergesslichen Meisters W 6 h 1 e r wurde. Hier promovirte Hiibner am 1. November 1859 zum Doctor der Philosophie und blieb dann ein Jahr in Heidelberg, wohin ihn der Ruhm des gefeierten Lehrers dieser Hochschule B u n s en lockte. In Heidelberg hatte sich Hiibner wesentlich mit nnorganischer Chemie beschaftigt; urn nun auch in der organischen Chemie sein *) Die im Nachfolgenden enthaltenen hiographischen Notizen und Er- innerungen riihren theilweise von der Wittwe Hub n er’s, theilweise von Prof. J. Post in Hannover her. Die Uebersicht der Arbeiten Hiibner’s ist von Prof. 0. W a l l a c h in Bonn verfasst. [55*]

Hans (Julius Anton Edward) Hübner

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HANS (JULIUS ANTON EDWARD) HUBNER).

I m Jahre 1884 hat der Tod eine reiche Ernte unter den Chemikern gehalten. Wie viel glanzende Sterne der Wissenschaft sind in kurzer Frist erloschen ! Beruhrt uns das Hinscheiden eines hochbetagten, beriihmten Forschers nahe, so erkennen wir doch in einem solchen Verlnst die unfehlbare Forderung des Laufes aller Dinge. Mit ganz anderen Gefiihlen treten wir an das Grab eines jringen Forachers, der in der Bliithe der Jahre, im Vollbesitze aller Krafte vom unerbittlichen Schicksale abberufen wurde. Das war nicht ein miider Arbeiter, dessen altersschwache Hande langst nicht mehr das Handwerkszeug zu halten vermochten; hier ist uns ein Genome, ein Lehrer und Mensch entrissen worden mitten aus seiner segensreichen Thatigkeit. Kurz war die Spanne seines Lebens und doch wie viel hatte e r bereits geleistet, wie viel gewirkt und geniitzt, und wie viel hatte eine so seltene, treue, ungewohnlich ausdauernde Kraft noch geleistet!

J. Hi ibner ’ ) wurde am 13. October 1837 in Diisseldorf geboren. Sein Vater war der bekann te, hervorragende Maler J u l i u s H ii b n e r, Director der Dresdener Gemaldegallerie. Die Gymnasialbildung er- hielt H i i b n e r in Dresden im B l o c h m a n n ’ s c h e n Institute (1847 bis 1854), hesuchte 1854 bis 1857 die polytechnische Schule in Dresden und bezog im Friihjahr 1857 die Universitat Gottingen, wo er alsbald einer der eifrigsten Schiiler unseres nnvergesslichen Meisters W 6 h 1 e r wurde. Hier promovirte H i i b n e r am 1. November 1859 zum Doctor der Philosophie und blieb dann ein J a h r i n Heidelberg, wohin ihn der Ruhm des gefeierten Lehrers dieser Hochschule B u n s e n lockte. I n Heidelberg hatte sich H i i b n e r wesentlich mit n n o r g a n i s c h e r Chemie beschaftigt; urn nun auch in der o r g a n i s c h e n Chemie sein

*) Die im Nachfolgenden enthaltenen hiographischen Notizen und Er- innerungen riihren theilweise von der Wittwe Hub n er’s, theilweise von Prof. J. Post in Hannover her. Die Uebersicht der Arbeiten Hiibner’s ist von Prof. 0. W a l l a c h in Bonn verfasst.

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Wissen zu bereichern, reiste H i i b n e r i m Herbst 1860 nach G I [it, um dort in dem lieu eingerichteten Laboratorium uuter K e k u l 6 ’ s Leitung zu arbeiten. Der Aufenthalt in Gent worde fiir Hi ihner ’s Zukunft bestimmend. Angeregt durch den belebrnden. g e i s t i p i Ver- krhr in K e k u l B ’ s Laboratorium entschloss sich HU br i e r . der lieb gewordenen Wissenschaft nicht mehr zu entsagen. Als Vritclit seines Fleisses in Gent erschienen die Arbeiten iiber Acetylcyaoid , welche den ersten Qrund legteri zu der spater bewirkten Synthese des Cyanphosphors.

H u b n e r kehrte 1862 nach Gijttingen zariiclr und rkhtete sich ein Privatlaboratorium ein, das er aber sctioti lij63 aufgab, um im CiiiversitSitsIaboratoriuin zu arbeitrn. Irri selben Jahre hahilitirk er sich urid wurde am 19. December 1864 als Assistent ain Urriversitiits- laboratorium angestellt. Nun begann fiir ihn eine Zeit des E’leisses nnd der rashosen Thatigkeit , die buchstablich andaoerte bis er den Ietzten Athemzug gethan. Zu den vielen Kerafsarbeiteu uiid der rein wissenschaftlichen, experimmtellen Thdtigkeit kani t i u n auch noch eine niiihsame literarisehe Arbeit hinzu. Im Verein ntit F i t t i g cind H i i b n e r ubernahm der Untcrzeiclinete im Jahre 1x65 die Heraus- gabe der einst von Keku lB 11. A. begrundcten , Z e i t s c l i r i f t fiir C h e n i i e c( anf neuer Grrindlage. Wir schufeii ein Organ das kurz, aber vollstdndig, iiber a 11 e Erscheinungen der Chernie berichten sollte. Das Atifertigen der Referate iibernahnteri P i t t i g und ich, die gauze Last der Redaction, Correspondenz, Correctur mid des Registers rulite auf Hii b ner . Und dies dauerte fort, bis durch Grundung der deutsclieu chemischen Gesellschaft eiti ergiebigerer Brennpunlrt des chemischen Wirkens geschaffen wurcle. Niclit ohne Riihrung gedeuke ich der gliicklichen Tage, wo wir alle drei als Gehulfen des gefeierten Meisters W 6 h l e r unsrrem Berute lebten. Des Tags iiber wurden die Arbeiten vertheilt und besprochen, die am Abend auszufiihren wiiren ocler bereits fwtig rorlageri und ani Sonntag empfing UIIS das gastfreie Haus F i t t i g ’s, wo die junge, lieleliswurdige Gattin unseres Collegen, welche leider den Ihrigen so fruh durch den Tod entrissen wurde, den Sinn anch fur andere als chemische Frageii zu fesseln verstand. Es war ein gunstiges Zusammentreffen, dass die drei Collegen nicht blos durch die Arbeiten der )) Redaktioncc oder das Wirken am Laboratorium zusammeiigehalten wurden, sondern auch durch die Bande einer innigen Freundschaft. Allein allmiihlicli loste sich das Band: erst verliess der eine und dann der andere der Collegen den Musensitz an der Leine und H u b n e r blieb allein zuruck. Er wurde am 14. Marz ISTO ausserordentlicher Professor und am 7. Mai 1874 zum ordentlichen Professor in der philosophischen Fakultat bef6rdert. Unserem Meister war die Arbeit. allmatilich zu schwer geworden und daher erfolgte bereits a m 21. October Id74 die Ernennung H u b n e r ’ s zuin Mit-

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direktor des chemischen Laboratorims. Nach W o h l e r ’ s Tode (23. Sep- tember 1882) wurde H u b n e r alleiniger Direktor des Laboratoriunls und irn daiauf fnlgendeii Jahre ubersiedelte er in die Wohnung seines bciiihmten Vargiirigere, die er nicht einmal ein Jalir lang bewohnen sollte!

Am 27. November 1871 wurde H i i b n e r als Assessor i n die physikalische Klasse der Kdnigl. Gesellschaft drr Wissenschaften in Gtittingeii gewkhlt, d r r er vom 2. December 1876 a n als ordentliches Mitglicd angeliiirte.

Der nneigenniitzige Charakter, dt.n wir aus H u b n er’s Privatleben kmi ten , iritt nns such in seiner wissenschaftliclien Thiitigkeit entgegen. Da firidet sich i r i keiner Periode seines Schaffens jene hastige Arbeit, d i e nach Buswren Erfolgen drangt, da werden keirie Themata ge- whhlt, die ein rnit leichter Miihe erreichbares Resultat vorherveheii lassen, d:ia 7ur ) Publicationcc geeignet ist, keine Aufgaben werden in Aiigriff geno~nnien, dereri Losung weniger von theoretischem als ron prxktischeni Interesse zu werden Perspricht: fast die ganze Lebens- arbeit Hiibriei’s weudet sich Zielen zu, die von vorne herein iiur dnrcli sehr langwierige und gewissenhafte Arbeit erreichbar erscheinen. &in Strebeii ging nie dahin, die Theorie durch Entdeckung der re r scliiedenartigaten neuen Verbindungsgruppen bereichem zu wollen, deren Anffindung ein gescliicktes Tasten im Unbekannten vorraussetzt. Wichtigrr schien es ihm, eine sichere Orientirung auf bereits ge- wonneiiein (kbie t allmstreben, als eine Methode anzuaenden, welche anf die Eischliessang neiierl Terrains gerichtet ist. Hu b n er’s Untcr- suchungen mogen daher zum Theil Manchem reizlos erscheinen , i m Grgensatz zu vielen anderen, gariz neue Gebiete erschliessenden Ar- beiten - Entdrckungsreisen in riocli nnbekannten Landern lesen sich allerdings rrngenehmer als Be,schreibungen neuer geologischer Aof- nalirnrn im langst bekannteii Heiinatlilande - nur ein thiirichtes UI theil wird aber Arbeiten der letztern Art als minderwerthig mit (+rringschatzung behandelti. Und so wird Keiner, der Hii b n e r’ s Arbeiten eingehend studirt , seine volle Anerkennung der sorgfdtigen, peiulicli grwissenbaften und selbstlosen Forschung versagen ktiniien, welche, getragen ron echt wissenschaftlicheni Geiste, auf jede lussere Anerkennuirg verzichtend, fur die Fiirderung der Wissenschaft so vie1 wichtiger ist . als ruheloses, oberflacbliches Schiirfen auf allrrlei Ge- bicteii, das gelegentlich zii einrrn ergiebigeri Raubbau fuhren kaiin, aber sich nie die Zeit lasst, in die Tiefe der Dinge eineudringen rind eine systeniatisclie Durcharbeitung des \erschlossenen Gebietes in Angriff zu nehmen.

Die Frage, die sich wie ein rother Faden durch die uberwiegende Melirzahl der A~beiteri H i i b n e r ’ s zieht, ist die nach der Stellung der Wasserstoffatome im Brnzol. Ein Schuler K e k u l e ’s, eiii Bewuiiderer

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und Anhanger dessen genialer Hypothese iiber die Constitution der Benzolverbindungen, ist H ii b n e r auf das eifrigste thatig gewesen, um das experimentelle Material herbeischaffen zu helfen , welches fur die Priifung der Richtigkeit jener Anschauung von Belang war. Bedingung fiir die Liisung letzterer Aufgabe erschien aber von vorne herein ein sehr eingehendes Studium der Isomerieverh~ltnisse innerhalb der Renzol- verbindungen und die Ermittelung, welche Beziehung die Wasserstoff- atome im Benzol zu einander haben. Diesem ebertso vie1 Geduld wie Scharfe der Beobachtung verlaugenden Studium sehen wir nun H d b n e r auf das eingehendste sich widmen. Ohne zu ermiiden, stets das Ziel im Auge, fiihrte er durch Jahre seine Untersuchungen fort und zahlreiche Abhandlungen, dereii experimenteller Inhalt vielfach unter seiner speciellen Leitung von Schulern des Gottinger Labora- toriums ausgefiihrt worden is t , legen Zeugniss ab , mit welcher Rast- losigkeit die Arbeit dahinfloss.

Einem grossen Theil jener erfolgreichen Forschungeii liegt fol- gende leitende und fur den damaligen Stand der Kenntniase sehr beachtenswerthe Idee zu Grunde. Man wasste, dass bei der Ein- fiihrung mehrerer Atorngruppen in die Benzolverbiitdungeii Isomerie- falle auftreten, die darin ihren Grund haben, dass die eingefuhrten Gruppen eine verschiedene gegenseitige Stellung zu einander haben. Bisher war man aber auf solche Isomerien nur sporadisch und z u - f g l l i g gestossen. Es handelte sich 111111 darum, ein Verfahren zu finden, welches die Darstellung verschiedener isomerer Verbiiidungen der letztgenannten Gattung beliebig erlaubt und das nanientlich ganz allgemein dahin fiihrt, a u s e i n e r G r u n d v e r b i n d u n g a l le m o g - l i c h e n i s o m e r e n A b k i i m m l i n g e d a r z u s t e l l e n . Das von H i i b n e r zur Losung dieses Problems ersonnene Verfahren beruht nun - um seine eigenen Worte (Ann. Chem. Pharm. 149, 130) zu gebrauchen - darauf, adass in dem einen Fall leicht verdrangbare Grundstoffatome einer Verbindung durch andere Bestandtheile einfach vertreten werden, in den iibrjgen Fallen aber vor dieser Vertretung eirie oder niehrere Stellen in der Verbindung v o r ii be r g e h e n d durch Ausfulleii mit Grundstoffen, die sich durch die einzufuhrenden Bestandtbeile nicht verdrangen lassen, unzuglnglich gernacht werden.i Die Anwendbarkeit dieser Methode, welche die Annahme zur Voraussetzung hat, dass gleichartige, z. B. chernisch negatite Bestandtheile, wie Cl, Br, KO2 in einer Verbindung dasselbe Wasserstoffatom verdrangen , wird nun an vielen Beispielen erprobt und bewahrt gefunden. Es ergiebt sich z. B., dass, wenn man Toluol zuerst nitrirt und dann amidirt, das be- kannte (jetzige Para-) Toluidin entsteht. Wird aber Toluol zuerst broniirt, dann das Brom durch nascirenden Wasserstoff entfernt und gleichzeitig die Nitrogruppe in die Amidogriippe iibergefiihrt , so be- koninit inan ein n e u e s, von den1 gewohnlichen verschiedenes T o l u i din.

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Aehnliches wird fiir die Darstellung von O x y d e r i v a t e n , C a r b o n - sauren, S u l f o n s a u r e n u. s. w. des Benzol uiid seiner Homologen beiiu tzt.

Ungemein zahlreiche nrue Verbindangen werden nun im Verlaufe der einschlagenden Versuche dargestellt uiid beschrieben , marirhe von grossern Interesse und von besoiiderer Wichtigkeit, weil sie eben his dahin nnbekannt gebliebene Isomeriefdle an’s Licht ziehen. Es sei nur elinnert an die Isolirung des f e s t e n K r o m t o l u o l aus den] bis dahin fur einheitlich gehaltenen, bei der direkten Kromirung des Toluol entstehenden fliissigen Gernische.

Voii den vielen neuen inid interessanten Beobachtungen, welche sich in jenen Arbeiteii H u b n e r ’ s finden, ist Pine von besoiiderer Re- deutung; sie wird in der Gesrhichte der Theorie der Berizolverbin- dungen stets cine Rolle spieleii und :tiif sie sol1 deslialb besoiiders hiiigewiesen werden .

In eiiier der fruhesteri Abhandlungeri Hiibner’s, die eine mit O h l y und P h i l i p p gemeinsani aubgefuhrte Untersuchung bringt, wird die Thatsache mitgetheilt , dass beini Nitriren der gewiihnlicheri R r o m - berizoEsarir e z w e i isoinere B r o m n i t i o b e n z o F s h u r e n entsteheii. Es verdient dabei heiit, wo die IJedeutung krystallographischer Be- stirnniungen bei isomeren Substaiizen so anwlmint ist , wohl hervor- gehoberi zu weiden, dass H 5 b i i e i ( 1 807) die gefimderieri isomeren K6rps.r einem krystal1ogr:tpliisclirn Vergleich durch 0. P h i l i p p unter- ziehen liess ))urn zir seheii ob die iiirieren Uiiterschiede aucli durch Vrrschiedeiiheit an der Gebtalt bcnierkbar sind iind soinit die Gestalt eiiien IGickschlnss auf die Lagerurig der Hestaiidtlieile drr Verbin- doogeu gestattet (( (Ann. Chem Phai rn 14.3, 2 5 2 ) .

Im Verfolg der eben ervv8huteii Beobachtungrn fanden H iib ii e r uiid P e t e r m a n n iiuii (Ann. Chcni. Pharin. 139, 129) , dass, wenn man in den beiden isomeren Kroniiiitrobeiizot;sliureii Rrom durch Wasserstoff ersetzt mid gleichzeitig die Nitrogi uppc in die Amido- groppe uberfuhrt , dass dann in beiden Phlleii d i e s e l b e Bniidos%ure uiid zwar Ari th r a n i l s i i u r e entsteht. Die Kenntniss dieser Thnt- sache hat bekanntlich zur Klkrririg u i d Chai‘ikterisii ung der Orts- verhlltnisse innerhalb der aromatisclien Reilie sehr wesrntlich bei- getragen.

Eine besondere Reihe voii Versucheri Hubner ’ s richtet sich nun weiter darauf, die Gleichwerthigkeit der Wasserstoffatonie in] Beiizol zii beweisen. Der Weg, der zur Err richung dieses Ziels eiugeschlagen wurde, ist den1 obeu eiwklinteri gaiiz eiitsprechend. So werden z B. *4nilin und Benzolsulfh ydrat auf Umwcgeii durch Vertretung verschie- dener Wasserstoffatome des Kenzols dargestellt und die a u f verschie- deneri Wegeii gewonnenen Kiirper als ideritisch befundeii. Rei all’

(Vergl. diesr Berichte 1869, 140.)

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seine11 in dies Gebiet schlagendtvi Ai4.)eiten ist dabei €1 iibiier bemuht, sich frei von vorgefassten Meiriurigeii iind tianientlich seiiie ,4rgumen- tationen niiiclichst uiiabhiingig voii cinein bestininiteii Poriiielbild nnd ron uiierwieseiirii Voraussetzniigen z ~ i halten. (Vrrgl. Ann. Chr~n. Pharni. 15S, 3;3, 1 6 9 , 1, diese Bericlite VIII, 3221.) Ebenso wird bei der Auswahl der zur Ariwendung komiiieiiden Untersnchungs- inethoderi streng kritisch rerfatii.cn. So ist es ii. a. I l i ibner gewesen, der schoii friih anf die jetzt allgeiririii anerkaiinte That,sache hinge- wiesen hat , dass die Kalischmclze zu Ortsbestimiiiai~gen in der aronia- tischen Reihe )>iiiir mit Vorsicht zii verwendeii ista ))da durch die Schmelze leicht eine ziir nrapriinglich entstandeiien isomrre Verliindung entstchen kanncc und 'es niclit vorlier zu selieii ist, ob sich nicht durch die Dauer der Schinelziing oder die Trniperatur 11. s. w. die Mengcn- rwhiiltnisse der Isonieren willltiirlicli werde veriindcrn lassencc . (Ann. Clieni. Pharni. 162, 76 . )

Die Resultate der Arbrireii, wc,lche iilwr specielle lsomerieverhlilt- nisse i n der aroinatischrii Reihe handrln , siiid iianirntlich z i~sanin~t~~i - gestellt. i i i drn Abhandluiigc~ii voii € l i i b n c r nrid Schnei d e r iiber i s n i i i e r e D i n i t r o p h e n o l e (Ann. Ctiein. Pharm. 167, F j l ) , H6bi ie r und P o s t fiber B r o m t o l u o l r u n d Verl ia i ter i i h r e r Wasse r - s t o f f a t o m e (Ann. Cheiii Phariu. 170, 117), H i i b n e r wid 1 ) o n g l a s W i l l i a i i i s iiber die Natiir einer Su l fo - u n d S n l f o i i i t i . o b i b r o i i i - b e ii z o 1 sii ii r c (Aiiii. Clieni. Pli;irni. 167 , 11 7), €1 t i \ ) 11 e r iiber X i t r n - s a l i c y 1 s % 11 r e n u n cl d i e I s o ni e r i en d e r H e iiz 01 a b k 6 n: 111 1 i 11 g e , und eiidlich ill der nocli kiirzlich eiwhicneiirvi, sehr unifangreicht~n, jahreliiiige Brobaclitmigc~ii ziisainnieufassericlell Aluhandlnng iiher s i i b - s t i t u i r t e 13 en zo I sfi 11 r e i t ii ii d d i e Ka t iir d e r W a s s e r s to f f a t oine i r r i R e n z o l ( A i i n . Clieiii. €'harm. 2 2 2 , 6 7 , 1CiCi). Es ist nicht wohl m6glich, den Geaamrntinlialt d i rsw Arbeiten, deieri Gedankengang wir obeii Itennen gelernt halmi , iii knrzen Worten zii resiimiren. Die darin enthaltenrii niiendlich zahlreichrn Eiiizelbeobachtiiiigeii haben aucli niir ilire Bedeiitiiiig als Ciirizes. In wie writ Nii1)ner a.ber der AiifgaGe. die e r sicli gestellt hat ~ gerrcht geworclen ist, ersehen wir namrntlich ails dt.11 letztgrnaniitrn Abliaiidluiigen, durch dercri Iiihalt der Nachweis grfulirt w i d , dass Xitrogrnppeii i i i niononitrirt,eni Benzol haiiptr8clilicti solche Wasserstotfrttoitie vertrctcii , welche zur Nitro- griippe in der Metastelluiig strheii, nnd zwar uiibekiirnmert urn vor- haiideiie Carboxyl-, Amido-, Metliylgruppen, weiiii die Meta-Wasswstoff- atoine noch nicht, ersetzt siiid. Ferner wird darin ein iieuer Reweis aufgestellt f i r das Vorhandeiisein voii 2 Meta -WasSerstoffatoiiien irn Beiizol. und zwar durch das Stndium der L~niwai~dlu~igsprodi~kte der ~ ~ e t a i i i t r ~ ~ n ~ e t a n l i d o ~ ~ ~ i i ~ o ~ ~ s ~ i i r ~ .

Weriu, wie sc,hon gesagt, die Benzolderivate als Liebliiigsgegeiistatid der Hub ti er'schen Stodien bezeichiiet werden rriiissen, so belehrt uiis

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eiri Blick auf seine sonstigeii Publikationen , dass er kei~~eswegs gnliz eiiiseitig dieses Arbeitsfeld kultivirt hat.

Das Interesse, die Lageriingsrerhiiltliisse der Atolne orgaliiscller Verbindungen zu erforschen, sehen wir ihn auch atif die Verbindungen der Fettreihe iibertragen. So nimmt er auf der Leipziger Natnrforscher- rersammluiig (1872) Gelegenheit, die Frage nac,h der H o n s t i t u t i o n d e r F u m a r - n n d M a l e i ‘ n s a n r e einer eingelienden Resprechnng zu unterziehen, dazu veranhsst dwch eiiie Reihe neuer Versuche, nament- lich iiber die Molekulargriisse der bet.reffenden Vcrbindongen, welche e r in Gemeinschaft niit S c h r e i b e r kurz vorher aiisgefiihrt hatte. (Z. f. Cherii. 1871, 712.) - Ebenso wendet er sich wiederholt den G l y c e r i n - u n d A l l y l v e r b i n d u n g e n zu. Schon 1859 (Ann. Chem. Pharm. 114, 35) publicirte er eine sehr interessante Abhandluug iiber das A k r o l e i ’ n in Gemeinschaft niit A. G e u t h e r . Ein spater aus- gefiihrter Versuch , ob niaii nicht eine~i mit dem gewiihnlichen Allyl- alkohol isomeren Alkohol darstelleii kctine, fiihrt zwa,r zu eiiiem negativen Resultat, aber (gemeinsam mit K. M u 11 e r ) wird gezeigt, dass der Allylalkohol, welcher ails den1 bei 1740 siedendem Dichlor- hydriri durch Chlorentziehung entstrht, wenn er wieder niit Chlor ver- buriden wird, das i s n n i e r e , b e i 182O s i e d e n d e D i c h l o r h y d r i u giebt, und dass das rohe, aus Glycerin uiid Salzsaure darstellbare Dichlorhydrin eiii Gemenge dieser beiden Isomeren ist. (Ann. Chem. Yharm. 159, I(%.) Bei der Fortsetzuiig dieser Arbeiten (diese Re- richte XIII, 1G0, XIV, 207) wird dnnn ein Dijodpropylalkohol keiineii gelehrt.

Besonders iiiuss aber daran erinnert werden, dass Hii b n e r der Eritdecker des C y a n a c e t y 1 iat, das ails Cyansil!~er und Xcctylchlorid darznstellen ihm grlingt und desseri Umwandlting in eirie polymere Modifikatiori er gleichzeitig heobachtet. Beide Verbindurigen wurdeu nnsfulirlich und sorgfaltig studirt (Ann. Cheni Pharm. 120, 334, 124, 315) und die gemachten Erfahrungcn spater fur die Darstelluiig voii Cyan e s s i gs ii u r e b 1-0 in i d , V a l e - r i a n s i i u r e c y a n i d verwerthet. (Aim. Chem. Pharm. 131, 66.) Die Ueberfiihrang dieser ii1trressantt.n Siiurecyanide in die zugehiirigen Ketonsaiiren, mit der C1 a i sell sich spatcr so erfolgreich beschaftigte, war audi von Hii b i i e r in Aussicht geiinmmen, wie seine At)liandluiig uber die > P h e n o x y l s a n r e ~ zeigt.

Das Studium der Cyanverbindungen fiihrt ihn auch zur Entdeckung eiiier nierkwurtligen Reaktion zwischen C h l o r a l uiid A c e t o i i i t r i l (diese Berichte VI, 109). Ferner werden neue Verbindungen erhalten durch die Wechsclwirkung zwischeii J n d c y an uiid verwhiedenartigen Aminen mid namentlich D i a m i n e n (diese Berichte IX, 776, X, 1715). So entsteht aus Orthodiatnidobeiizol iind Jodcynii eiiie Base ron der Formel [C6 H4 (N H)& C.

R r o 111 e s s i g s 2 u r e c ya 11 i d und

(Diese Bericlite X, 479.)

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Zu einer anderen Gruppe ron Arbeitm, meist Blterrn Datums, gr- hiiren Versuche iiber die Einwirl~iing von Pliosphol.pentachlorid auf Acetylchlorid (Ann. Chem. Pharm. 120, 330). Als Reaktioiisprodukte werden die Chloride der gechlorten Essigsauren aufgefundeii, deren Bildang das spater so oft beobuchtete Verhalten des Phmpliorpenta- chlorid als €'CIS und freies Chlor bei chemischen Umsetzungen illustrirt. Gleichzeitig wird aber festgestellt , dass zum Theil der Sauerstoff der Carbonylgruppe durch Chlor ersetzt worden ist. Nach einer Reihe von Jahreti werden diese Versuche in Gemeinschaft mit F r . C. G. Mul l e r wieder aufgegriffen und der Nachweis gefuhrt, dims die Wechselwirkung zwischen Phosphorpentachlorid und Acetylchlorid bis zur Bildung von ChlorkohlenstoR, Ca C16, fiihren kann (Zeitschr. f. Chem. 1x70, 328).

Von umfattgreichen Arbeiten endlich aus dem Gebiet der orga- nischen Chemie, welche den Dahingegangenen und atif seine Veran- lassung viele seiner Schiiler bis in die neoeste Zeit besclibftigten, sind in Jedermaiini Gedachtniss die ausgedehnten untersuchungen iiber die der Grnppe der Arnidine zugehiirigen sogenannten A n h y d r o b a s e n

des Typus R: 11 ,NIX x

' N ; , C R.

Mit welchem Fleiss und mit welcher Griindlichkcit auch l)ei diesen Uiitersuchiingen zu Werke gegangen wurde, ersieht man a m bestsn atis den in mrhrereri Annalenabhandlungen zusammengefassten Ergeb- nissen. (Anii. Chern. Pharin. 208, 278, 209, 339, 210, 328.)

Ankiiiipfend an kltere Arbeiien \on A. W. H o f n i a n n und EIo- b r e c k e r zeigt H i i b n e r , dass nut' die Orthodiwiine der aromatischen Reihe fghig sind, Anhydrobasen zii liefern. Nach verschiedelien Ver- fahren kann man diese erhalten. Entweder werden Orthonitroamido- verbindungrn, welche eiri Stiarer:idiknl in der Amidogruppe enthalten, redncirt und dann rrwlrmt, oder es werden fertig grbildete Ortho- diatiiine mit Skureanhydriden oder wasserfreien Sauren erhitzt. Das letzteie Veifahren ist wesenflich \on L a d e n b u r g in Anwendung ge- bracht, das erstere wird an mannichfaltigen Reispielen und mehrfach modificirt vnn H ii b 11 e r durchgefuhrt.

Auf dem Weg, der z ~ i r Erreichung des endlichen Zwecks einge- schlagen wird, werden nun wiederiim eine grosse Reihe we1 thvoller Beobachtungrn gemarht. So finden wir ausfiihilichr Angaben iiber die Nitriiung des Benzanilid und das Verhalten der jsomrien Heiiz- nitroanilide, Benznitrotoluidine, Henznitronaphtylamine, Nitrodipheiiyle, benzoylirte Amidophrnole, Nitrooxanilide, Nitrooxtoluidide, Nitrosuccin- anilide u. s. f. 11. s. f., sowie deren entsprechende Reduktionsprodiikte.

Die Anhydrobasen selbst, ihr Verhalten gegen Allryljodide, sodann eigenartige Abkiimmlinge der Basen, wie die Phenylenaiihydrotolu~l-

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, N : siiare CgH4’ ,C- -CsE&COaH und deren Keton, 11. a. werden

%NH, auf das genaueste untcrsucht. Isomeriecerhiiltnisse, welche bei sub- stitoirten Anhydrobasen anftreten kiinnen , werdeii naturlich auch hier mit besondei e r Vorliebe beriicksichtigt ond ausfuhrlich behandelt und diese Ausfuhrlichkeit entspringt nicht etwa den] Wunsche, diese AI beiten ynantitativ ausgedelint zn machen , als vielmehr dem unab- weislichen Bediirfniss, dorch erschiipfende Mannichfaltigkeit miiglichst grosse Klarlieit in die zu behandelnden Fragen zu bringen.

Es fehlt hier an Raum, nm alle zur Untersuchong knmmenden Verhindrutgeii auch ixur summarisch aafzufihren, wer abur eioen Blick in die erwiihnten Abhandluugen thut, wird staonen uber den Fleiss und die Ausdauer, die dazii gehiirte, um eine solche Fiille von Material zu bewiiltigen.

Wir durfen VOII den die organische Isomerie betreffenden Arbeiten H u b n e r ’ s iiicht scheideii, ohne der letzten griisseren Abhnndlcrng zu gedenken , welche seiner Feder entstainnit und weiiige Wocheri vor seinem Tode eingelaufeii ist (Ann. Chem. Pharm. 224, 331). In dieser Untersuchung, welche getneirisam mit T i i l l e tind A t h r n s t a d t aus- gefiihrt wurde, wendet sich der Verfasser einem neuen Thema zu, wimlich dein Studium des Verhaltens tertikrer aroniatischer Basen (wie des Bimethyltoluidin und Dimethylanilin) gegen Aethylenbromid. -

Weniger oft ala it) das Gebiet der organischen Cheniie hat H u b - n e r seine Arbeiten in das der u n o r g a n i s c h e n gelegt. Docli zeigen eiiie in Gemeinschaft mit Gixe r o n t ausgefuhrte Untersuchung iiber Chlorschwefel (2 f Clieni 1870, 455), gelegentlich welcher die Existenz des Chlorides S Clz neben Sz C12 bicliergestellt wurde, sowie eine &Itere Arbeit iiber den C y a n p h o s p h o r (Ann. Chem. Pharm. 12S, 254, 136, 277), das- H u b n e r auch auf diesem Feld Fruchtbares zu leisten verstand.

Bei seiner Vorliebe fur die Hehandlung theoretischer Fragen kann es nicht Wunder nehmeii , dass wir unter seirien Publikationen einer Reihe voii AizfsLtzen begegnen , welche fast ausschliesslich cler Be- sprechung allgemeiner theoretischer Anschanongen gewidmet sitid.

So entwickelt H u b n e r (Z. f. Ch. 1865, 475) seine Anscliauungen uber die Bedentung, welche das Volumgesetz der Gase und Diimpfe fiir gewisse chemische Betrachttmgen hat und rnacht darauf auf- merksam, dass die beobaclitete a Werthigkeitcc der Elemente im All- gemeinen mit steigender Temperatur abnimmt. Spiiter (Ann. Chem. Pharm. 169, 12) niinmt er iioch einmal Veranlassung, seine Ansichten iiber den Begriff der Werthigkeit , Cber Molekularrerbindailgen und iiber die Natur der Iirystnllwasserverbindungen darzalegen. In einer

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anderen interessauteii Abhandlung haiidelt er iibrr die Wirkung schwacher SBureu a u f die Salze stiirkerer (Ber. d . €3. G. VIII, 466). Es wird durch das Experiment nachgewiesen, dass eine schwache Saure (Benzocslure) eine starkere (Nitrobenzo&anre) , in Lviisung , zii einein Theil aus ihren Salzen aostreiben kann und ferner wird es wahr- scheiiilich geniacht, dass dic Menge der abgeschiedrnen starkereu Siiure von der Menge der vorhendeiieii schwiicheren Siiure al)liangig ist und so bildet diese Arbeit eincn iiicht anwicht.igen Beitrag zu der Liisung der seit B e r g m a n n ’ s und B e r t h o l l e t ’ s Zeiten mit so vieleni Eii‘er eriirterten Frage nach dem Ziistand mehrerer Verbind tingen in eiiier Filssigkeit.

I-ebrrblickt inan das Lebenswerk W i ib n e r ’ s , so sollte man glaiiben, dass die erstauriliche Thgtigkeit als Lehrer und Gelehrter ihn n) l la~i f in Anspruch nahm und ihm keine Zeit ubrig liess zu anderen Dingeu. So war es anch fast zwei .Jnhrzehnte hindurch. H u b n e r hatte sich kein Heim gegriindet; seine Schiiler waren seiiie Familie. Da Lichelte ihm das Lebensgluck : er hatte einc Gefiihrtin gefurrden, die alle seine Ideale verwirklichte. W a s er kauni zii er- traumen gehoRt, war zur Wirkliclikeit geworden. SpLter als es sonst gewviihrilich zu sein pflegt, schloss cr einen Lebensbond, clessen Freiiden er daruirr auch uni so inniger und dankba.rer enipfand. Am 20. Marz l $ i S fiihrtr er L o u i s e P e t e r s o n heini, eiiie Tochtcr des verstorbeneii Direktors der Obe~rechnutigskarnnler in E’otsdani. I m dnraiif folgenden ,Jahre beschenkte ihn seine juiige Gattin rriit Zwilliugrn und als ihm dann 1882 noch ein Sohu geboren wurde, war sein Gluck vollkonimen. Jetzt erst war auch sein inneres Lehen zuni befriedigenden Abschluss gekomrnen tind die rolle Harmoiiie ailcr Neigiiirgen hergestellt. Nun kannte er keirie anderen Sorgen mehr als solche uni das Wohl der Srinigen wid entwand sich ihm ein Seufzer, so war es das Bedaoern, nicht schon friiher die volle Seligkeit des Daseins enipfunden zii haben. In diescr Stimniung traf ich ihn, als ich nach 1 lijahriger Abwesenheit, im Jahre 1883, wieder nach Giittingrii kxm. Welch’ ein entziic,kendes Bild bat sich niir dar. Dn s a h ic,h meinen alten Fi.eiind in einer Waaslichkeit ~ \vie ich sie niir schijner, beneidenswcrther riicht hiitte denken k6niien. Im Labriratoriciin irrimer noch dnselbe rastlose Eifer \vie damals, aber zii Ilause a~igei<ouiirir:ii, scliien es , als liatte der ge- lehrte Mann all’ sein Wissen drausaeii gelassen uiid hatte IIUI’ Augen und Theilnahnie fiir seine kleinen Sprijsslinge. Und waren dime daiin versorgt, so wurde aus dem V a t e r der liebende G a t t e .

Fast in Allem gleich beanlagt uiid entwickelt, wie fiir einander gesc,liaffen, hatte sich zwischen den Gatteii die sch6nste Eintracht her- gestellt, wo jeder Theil dem Andern zur Erganzung diente und obwohl zur vollen Geltung koniniend , doch fur sich fast verschwand oder sich doch ganz unterzdordnen schien. Das Alles klang wie ein ein-

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ziger , ausdanrrrider, herdictier Akkord. Und w i e entsetzlich sc,hiiell sollte dieser lautere Akkord zur grellrn Dissonmz werden!

I m Herbste 1883 bezog Hi ibne r die neue Dienstwohrning, die er so behaglich als miiglich eingerirhtrt hatte. Der Garten am Hause g;ib ihm Gelegenheit zu allerhaitd Arbeiten nnd diente ihni und seiner Familie znr erquickenden Erhol ling.. Alles sc,hien sich aufs Schijnste zu gestalten und noch am 1 1. Juli 1x84 konnte seine C4at.tin seiner Mutter nielden: wr ist so frisch wie srlten soiist irn Semester, der Garten thut ihm gewiss gutcc. Am Solintage den 114. J u l i hntte er eifrig a n der Durchsicht einer Dissertation gearbeitet, um deli Abend f i r die Seinigen frei zu haben. Es war ein ungewijhnlich schwiiler Tag. Die ganze Familie machte sich auf zum Spazierengehen, da aber bald ein drohendes Gewitter heranfzog , beschloss man rasch nach Hause zu kehren. H i i b n e r fuhrte seine zwei Siihnchen an der Hand ; xlass uns schneller gehen, damit die Kinder nicht nass werdenc, sagte e r zu seiner Gattin, stolperte dabei urid fie1 hin, die Siihnchen niit sich niederreissend. Die Gattin mit dem Tiichterchen bleibt stehen und wartet bis er aufbteht. Konnte sie ahnen, dass das die Setzten Worte waren, welche sie von ihrem Gatten vor dem Tode hijren sollte? Endlich wird das Warten zu lang; ein voriibergehender Soldat hilft der s e l b s t h i l f s b e d i i r f t i g e r i Frau den Mann aufheben und nun erst wird sie gewalir, wie furchtbar er sich verdndert hatte. Fremde Leute trugen den inzwischen schon Verschiedenen in das nachste Haus; es war dasselbe Haus in der Riirgerstrasse, in welcliem er einst gewohnt hnt.te und nun noch einmal als todter Gast cinkehrte. Aerzte wurden gerufen, a k i n sie konnt,en nicht mehr helfen. Ein Herzschlag liatte seinem Leben ein Ende bereitet. Die Sektiou ergzb eiae Verkniicheruug der Herzarterien urid es ist fast eiri Wunder, dass er nie gelitten. Seine lusserst nidssige Lebensweise hatte ihn vor allen Schmerzen bewa,hrt. Drei Wochen, nachdem man ihri, un- fern seines beriihmten Vorglngers, zur ewigen Ruhe gebettet, wnrde ihm eio Sohn geboren. Wie hatte er sich auf dieses Ercigniss gefreut und nun hat der jiingste Sohn seinen Vater nicht einmal in1 Tode gesehen. Armer Freuud, Du bist z u gliicklich gewesen; die Gijtter beneideten Dich uni Dein Schicksal.

So gelangte ein Lebeii schmerzlos zum Abscbluss, dem lusserer herber Sc,hmerz, dem bittere Entbehrungen und Eutsagungen erspart geblieben zu sein scheinen. Vielleicht verlieh gerade dieser Umstand seiner Yersijnlichkeit jene Heiterkeit klassischer Lebensanschaunng, die den Umgang mit ihm so anziehend machte; eiii Wesen, welc.hes den feinen gesellschaftlichen Verkehr liebte und in dieser Gesellscllaft stets und iiberall gesucht war.

Aber dass man sich dauemd, und j e langer man ihn kannte, um

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so unwiderstehlicher, an ihn gefesselt fuhlte, riihrte wohl nicht von diesem glucklichen Xaturell her, sondern war zunachst das Ergebniss einer besonders sorgfaltigen Erzjehung. Die Eltern, beide von seltener Begabang fur schopferische und sichtende Thatigkeit auf allen Gebieten rein menschlichen Wirkens und Schaffens, hatten bei der Ausbildung ihres Sohnes eine Harmoaie in der Entwickelung aller Krafte erstrebt, so unifassend, daw keine Richtung zum Verfolg zu gering geachtet wurde und doch bei keiner die Kenntniss an der Schale haften blieb. Eben darurn erreichten sie eine Tiichtigkeit, die nicht in landlaufigem Wissen oder Kiinnen bestand, sondern in dem, was ein umfassendes, harmonisches Wissen und Kiinnen erzengt und im ganzen Sein der Persiinlichkeit sich auspragt. Diese gelangte, wie Jeder weiss, der mit H i i b n e r selbst in Beriihrnng gekornmen, Zuni Ausdruck in einen von Kunstverstandniss und Geschmack getragenen Feinsinn , der all’ sein Thun, all’ seine Gewohnheiten, die ganze Lebensweise durch- drang und sich im kleinsten ebenso ausserte wie im grossen. Frei von jetier, beim Gelehrten oft beklagten Einseitigkeit im Berufsfach, frei r o n jeglicher Ueberschatzung der Wissenschaft gegeniiber den anderen Gebieten menschlicher Thatigkeit, lehnte H u b n e r es iiicht ab, auch auf dem Kampfplatz der Bffentlichen Angelegenheiten zu er- scheinen; hiiufig uriter dem Visir. Nicht zufallig fiel, wenn in Gottingen Verstandniss und Sachkenntniss auf dem Gebiete jrgend einer Kunst gesucht, oder patriotische Hingebung oder Organ fur die kleine und schlichte Arbeit auf communalem oder gemeinniitzigem Gebiete gesucht wurde, die Wahl auf den Chemiker H u b n e r .

Denjenigen iibrigens, welche sich van dem Entschlafenen ange- zogen fiihlten , waren diese glanzenderen Eigenschaften doch nur die Zugabe zti Clem, was seine Art eigentlich ausmachte. Verdeckt durch eine Schiirfe wid Unbeugsamkeit des Urtheils, die den Fernerstehenden sogar uber die Natur der Persiinlichkeit, deren Stirrke die Kritik bildete, zu tauschen vermochte - war ein stilles, jegliches Hervor- treten rerabscheuendes Wohlwollen das Leitmotiv in seinem ganzen Wirken. Schon in dem , ihn allein umfassenden Hausstande versam- melte der geborene Kinderfreund haufig die Jugend seiner naheren Bekanntschaft, ja machte seine Wohnung zum Lazareth, als eine miir- derische Diphteritis seine jungen Freunde erfasste.

Dieser Zug lautersten Wohlwollens verlieh auch seiner Lehr- thatigkeit einen seltenen Erfolg. Er war , wie kein Anderer , bereit, nicht nur selbst wissenschaftlich thatig zu sein , sondern wissenschaft- lichen Sinn und Geist in Anderen zu wecken und zu pflegen. Denn das Beste, was er konnte und besass, e r verwendete es nicht in zu- riickgezogener Arbeit fiir sich allein , sondern theilte freigiebig nach aussen mit. So werden Hunderte von Schulern bereit win, es dankbar

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zu bezeugen, iiiit welcher Sorgfalt H u b n e r sie in die Wissenschaft eingefuhrt , rnit welcher Aufopferung er ihnen bei der Ueberwindung von Schwierigkeiten aller Ar t zur Seite gestanden, mit welcher Liehe und Hingalne er sie fur die Aufgaben seiner Wissenschaft zu begeistern verniocht hat.

Die Darbietungm mannigfachster Art - sie sollten stets nur dem Empfiinger bekannt werden - welche den Kranken eryuickten, den Verzagten anfeuerten, dem Unbemittelten Muth machten , finden allein deshalb hier Erwahnung, weil sie darthun, dass in den Schiilern ein hoher Grad von Empfanglichkeit fur den Einfluss des Lehrers geweckt werden m u s s t e . Dieser erfasste nun seine Aufgabe nicht nur ge- wissenhaft und tief, sondern rnit unverkennbarer Freudigkeit und ganzer Hingebung.

Seine Einwirkung war jedoch nie eine gemachte, kaum war sie bewusst gewollt; sie entwickelte sich van selbst, eben im tagtaglichen Verkehr des Laboratoriums.

Aber diese bestechende Freundlichkeit, die als Gefass jeder Dar- reichung diente, war nicht etwa der Ausfluss jener landlaufigen Gutmuthigkeit, welclie Niemandem etwas abzuschlagen vermag. Sie war vielniehr der Ausdruck eines warmen Interesses an dem Eigen- artigen im Menschen, die theilnehmende Freude an der Entwickelung Derjenigen , welche uberhaupt entwickelungsfahig waren. Das Wesen dieser Einzelnen beschaftigte H u b n e r eingehend. In den Unter- haltungen mit seinen Freunden und Kollegen zeigte sich unverkennbar, wie er es liebte, seine Schuler fiirmlich zn studiren und dann der Ent- wickelung mehr durch Anregung als durch eigentlichen Unterricht Vorschub zu leisten, die Mauern des Vorurtheils niederzareissen, ohne Schonung, aber rnit unbeschreiblicher Geduld, die Ansichten zu klaren, Einseitigkeit und Engherzigkeit zu Lannen, die Bahn frei zu machen fiir eignes selbstandiges Forschen und Schaffen und so Bsein eigen Sein zu seiner Schuler Sein zii erweitern.cc

Und wenn man sagen kann, dass er die Wissenschaft nicht nur um ihrer selbst willen pflegte, sondern auch nach besten Kraften, ja oft genug bis an das ausserste Maass der karperlichen Kriifte, stets unverdrossen danach zu ringen bestrebt war , dass wissenschaftlicher Geist ond wissenschaftliches Leben sich fortpflanzte auf die spateren Generationen - dann gilt auch on ibm gewiss das Wort, dass ihm ein Denkmal sicher ist, dauerhafter als Erz und vornehmer als mar- morene Prachtbauten auf Grabmiilern. Niemand hat wohl weniger als H u b n e r danach gegeizt, nach seinem 'rode einen Lobredner fiir seine wissenschaftlichen Bestrebungen, eine Anerkennung und Wiir- digung seiner Leistungen zu finden, das entsprach nicht der Persiin-

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lichkeit, nicht dem edlen und uneigenniitzigen Charakter des Mannes: Niemand wird aber sicherer sein diirfen, dass die Anerkennung und Dankbarkeit fur das, was er geschafft und gethan, nie erlijschen wird in den Herzen derer, die als seine Schiiler seiuen zu fruhen Heimgang betrauern.

St. P e t e r s b u r g , den 16. December 1584.

F. B e i l s t e i n .