6
2. Literaturpreis zum 50. Jubiläum des Humboldt Magazins / Goethe Institut Der Gringo ließ immer auf sich warten. Wir legten uns in den Schatten der Bäume, während er sich fertig machte, um mit uns nach draußen spielen zu gehen. In der Zwischenzeit versuchte einer von uns, den geflickten Ball, Zeuge unzähliger Nachmittagskicks, mit selbst ausgedachten Kunststückchen unter Kontrolle zu bringen. Die Sonne schien durch die Paternosterbäume und stach in unsere Augen, während ihre warmen Streicheleinheiten wie Flecken auf unseren Gesichtern lagen. Wir wichen ihr trotzdem nicht aus, runzelten die Brauen und zogen die Stirn in Falten, damit sie uns nicht vollständig blendete. „Dauert es noch lange, Gringo?”, drängelte der Ungeduldigste unter uns. Derweil strömte aus dem Küchenfenster von Frau Gertrud der süßliche Duft hausgemachten Gebäcks. „Ich komm’ gleich!“, rief der Gringo durch dasselbe Fensterchen. Wenn man die Ohren spitzte, konnte man jene unaussprechlichen und seltsamen Sätze vernehmen, die er mit seiner Mutter wechselte. Manchmal hörte der Gringo auf, so komisch zu sprechen, und benutzte das eine oder andere spanische Wort, verfiel aber unmittelbar darauf erneut in die ihm vertraute Muttersprache und verhandelte weiter, um länger auf dem Bolzplatz bleiben zu dürfen. Die immer näher kommenden Stimmen wanderten bis zur Türschwelle, bis ein Schlüsselbund gegen das Schloss klimperte. Die Tür war noch nicht ganz offen, als Hansi schon triumphierend hervorschaute, weil er es geschafft hatte, eine halbe Stunde mehr Ausgang herauszuschlagen. Er sprang von der zweiten Treppenstufe mitten in die Gruppe runter, die ihren Unmut über die Warterei nicht verbergen mochte. Jede Minute bedeutete weniger Zeit für Wettrennen, Fußball und Versteckspielen. Seine Mutter grüßte uns mehr mit Blicken als mit Worten. Sie gab noch einige Anweisungen in einem Spanisch mit übertriebenen gutturalen R’s und vergaß nie die letzten unverständlichen Ermahnungen, die sich wahrscheinlich kaum von denen unterschieden, die meine Alte mir Minuten vorher, als ich das Haus verließ, mit auf den Weg gegeben hatte. Mit einem musikalischen „Tschüss“ beschleunigte Hansi seinen Schritt, um bald die Ecke zu erreichen, wo er die Richtung zum Bolzplatz einschlug. Frau Gertrud beugte sich weiter nach

Hansi, der Gringo / El Gringo Hansi

Embed Size (px)

DESCRIPTION

Erzählung von der Kindhet / Relatos de la infancia

Citation preview

Page 1: Hansi, der Gringo  / El Gringo Hansi

2. Literaturpreis zum 50. Jubiläum des Humboldt Magazins / Goethe Institut

Der Gringo ließ immer auf sich warten. Wir legten uns in den Schatten der Bäume, während er sich

fertig machte, um mit uns nach draußen spielen zu gehen. In der Zwischenzeit versuchte einer von

uns, den geflickten Ball, Zeuge unzähliger Nachmittagskicks, mit selbst ausgedachten

Kunststückchen unter Kontrolle zu bringen. Die Sonne schien durch die Paternosterbäume und

stach in unsere Augen, während ihre warmen Streicheleinheiten wie Flecken auf unseren

Gesichtern lagen. Wir wichen ihr trotzdem nicht aus, runzelten die Brauen und zogen die Stirn in

Falten, damit sie uns nicht vollständig blendete.

„Dauert es noch lange, Gringo?”, drängelte der Ungeduldigste unter uns. Derweil strömte aus dem

Küchenfenster von Frau Gertrud der süßliche Duft hausgemachten Gebäcks. „Ich komm’ gleich!“,

rief der Gringo durch dasselbe Fensterchen. Wenn man die Ohren spitzte, konnte man jene

unaussprechlichen und seltsamen Sätze vernehmen, die er mit seiner Mutter wechselte.

Manchmal hörte der Gringo auf, so komisch zu sprechen, und benutzte das eine oder andere

spanische Wort, verfiel aber unmittelbar darauf erneut in die ihm vertraute Muttersprache und

verhandelte weiter, um länger auf dem Bolzplatz bleiben zu dürfen.

Die immer näher kommenden Stimmen wanderten bis zur Türschwelle, bis ein Schlüsselbund gegen das Schloss klimperte. Die Tür war noch nicht ganz offen, als Hansi schon triumphierend hervorschaute, weil er es geschafft hatte, eine halbe Stunde mehr Ausgang herauszuschlagen. Er sprang von der zweiten Treppenstufe mitten in die Gruppe runter, die ihren Unmut über die Warterei nicht verbergen mochte. Jede Minute bedeutete weniger Zeit für Wettrennen, Fußball und Versteckspielen. Seine Mutter grüßte uns mehr mit Blicken als mit Worten. Sie gab noch einige Anweisungen in einem Spanisch mit übertriebenen gutturalen R’s und vergaß nie die letzten unverständlichen Ermahnungen, die sich wahrscheinlich kaum von denen unterschieden, die meine Alte mir Minuten vorher, als ich das Haus verließ, mit auf den Weg gegeben hatte. Mit einem musikalischen „Tschüss“ beschleunigte Hansi seinen Schritt, um bald die Ecke zu erreichen, wo er die Richtung zum Bolzplatz einschlug. Frau Gertrud beugte sich weiter nach

Page 2: Hansi, der Gringo  / El Gringo Hansi

draußen, um ihm mit ihren diamantblauen Augen zu folgen. Unter einem Konzert ächzender, rostiger Metalle stand die Haustür auf einmal sperrangelweit offen und ließ es zu, dass ganz Deutschland auf die Straße entwich und das Viertel meiner Geburt, Valle del Parque, zumindest zum Teil einnahm. Die kurze Diele war eine schmale Vorbühne, die auf einen Innenhof mit großen bunten Fliesen führte. Ein seitlicher Bogen gab den Blick frei auf einen rustikalen Holztisch, an dem wir bei der einen oder anderen Gelegenheit riesige Tassen heißer Milch, Brot und selbst gebackene süße Stückchen zu uns genommen hatten. Auf diesem Tisch wartete stets ein Teigklumpen darauf, von den hellweißen Händen Frau Gertruds geknetet zu werden. Manchmal verwandelte er sich in köstliche, verführerische kleine Brote, die mein blonder Freund „Brötchen“ nannte. Andere Male wurde er so lange ausgewalzt, dass er aufgrund seiner Transparenz nicht von dem darunterliegenden Tuch zu unterscheiden war. Dann verteilte Frau Gertrud eine Art Apfelbrei mit vielen, vielen Rosinen und manchmal Nüssen darüber und rollte alles mithilfe des Stoffs zusammen, als wäre es ein nur speziell für Naschkatzen zubereitetes Stück Rollbraten. Im Patio zerstampfte die Oma – ein aus einem Märchen entsprungenes altes Weib, das ein noch schwerer verständliches Deutsch sprach – mit Salz und Essig vermischten Weißkohl in einer Holzschüssel. Sie erinnerte an eine Alchemistin, die die Kohlblätter mit einem Orakel von Wacholderbeeren und Kümmel presste und abschmeckte. Später würde sie das Kraut in Gefäße füllen und hinten in dem kleinen Zimmer aufbewahren, das mit einer Unzahl von mit Essen und Eingemachtem gefüllten Gläsern vollgestopft war – bereit, einen Krieg zu überstehen. Im Haus schien das Radio auf ewig einen eigenwilligen Polkarhythmus oder eine Art entstellten Chamamé-Tanz zu übertragen, aber mit den teuflisch gespielten Noten eines Akkordeons und einer Tuba, die den Melodien einen typisch mitteleuropäischen Klang verliehen. Ich musste beim Zuhören grinsen. Der Oma trieb es die Tränen in die Augen. „Und? Kommst du jetzt oder nicht?” Nun war ich derjenige, der sich verspätete, der von einer farbenfrohen, gleichzeitig so vertrauten wie fremden Atmosphäre überwältigt worden war. „Wartet mal, hey, ich komm’ schon!” Ich ging zum Bolzplatz, Hansi öffnete die mitgebrachte Tüte aus speckigem Packpapier. Wie die Raben stürzten wir uns auf jene süßen Stückchen, die der Gringo, weil er sie immer bei der Hand hatte, mit einer gewissen Gleichgültigkeit behandelte. Schon bald war von dem Proviant nicht ein einziger Krümel mehr übrig. Lediglich unsere Puderzuckerschnurrbärte verrieten, dass es ihn gegeben hatte. Den Fußball malträtierten wir so lange, bis uns die Puste ausging. Dann tranken wir von dem Hahn im Gang des hübschen Häuschens an der Ecke Wasser, ohne dass uns der Besitzer sehen durfte, spielten weiter und traten munter auf den Ball ein. Der „Toiche”[1] Hansi schrie mal „¡Goool!”, mal „Tor”, so wie es ihm gerade auf der Zunge lag. Nach diesen Partien mit zehn, fünfzehn, vielleicht zwanzig Toren verwandelten wir die Fahrräder in Araberpferde und erklommen das Gebirge aus festgestampfter Erde, das den Bolzplatz im Hintergrund begrenzte. Wenn die Streitrösser erschöpft waren, schlug die Stunde des Lockenwicklerkriegs. Es war alles eine Frage der Strategie. Zu allererst kam es darauf an, unseren Müttern einen Lockenwickler zu entwenden, ohne auf

[1]

Phonetische Umschreibung von „Deutsche“ im Spanischen.

Page 3: Hansi, der Gringo  / El Gringo Hansi

frischer Tat ertappt zu werden. Danach mussten wir einen Luftballon besorgen und ihn über ein Ende des Lockenwicklers ziehen, um ihn so in ein tödliches Geschütz zu verwandeln. Schließlich musste man nur noch genügend „Giftpfeilchen” sammeln oder die klebrigen Beeren, die von den Paternosterbäumen fielen und als Kampfmunition fungierten. Die Schlacht war der Hammer! Die Erdhügel auf dem Bolzplatz dienten uns als Schützengräben, in denen wir uns verschanzten. Unsere von Schweiß und Lehm verschmierten Gesichter stellten die perfekte Tarnung dar. Von Zeit zu Zeit kam ein Verrückter auf die Idee – sei es, weil ihm die „Giftpfeilchen“ ausgegangen waren, sei es, weil er schlicht bösartig war –, seinen Lockenwickler mit kleinen Steinchen vom Bolzplatz zu laden. In der Regel war er am Ende derjenige, der von allen anderen angegriffen wurde, als Vergeltung dafür, dass er versucht hatte, sich über uns alle zu stellen. Wie viele Murmeln gewannen wir so als Kriegsbeute! Nie gelang es uns, Hansi verständlich zu machen, dass wir jeden, der ein Spiel verlor und ein Unterpfand besaß, nach Berlin schickten. Nicht einmal wir selbst kannten den Grund für jenes ausgedachte Schicksal. Aber jedes Mal, wenn wir den Verlierer unter dem Gesang „Berlin, Berlin, du kriegst gar nix hin …” ausriefen, fing der Gringo zu lachen an, und seine Wangen verzogen sich zu einem herrlichen Gelächter.

Page 4: Hansi, der Gringo  / El Gringo Hansi

2º Premio de literatura de la edición del 50 Aniversario de la revista Humboldt / Goethe Institut

Al gringo siempre había que esperarlo. Nos tirábamos a la sombra mientras él se disponía a salir a la vereda. Mientras tanto alguno se encargaba de amansar con jueguitos rebuscados a la pelota recauchutada, testigo de mil y un picaditos por la tarde. El sol se colaba entre los paraísos y nos pegaba en los ojos mientras nos manchaba la cara con acaloradas caricias de verano. Igual nos animábamos a hacerle frente frunciendo el ceño y arrugando la nariz para que no nos cegara del todo. –“¿Falta mucho, gringo?”- apuraba algún impaciente mientras que desde la ventanita de la cocina de doña Gertrud se escapaban aromas empalagosos de una repostería casera e inconfundible. –“¡Ya salgo!” –respondía el gringo arrojándonos su respuesta por la misma ventanita. Con cierta atención se podían escuchar aquellas frases impronunciables y extrañas que intercambiaba con su mamá. A veces el gringo dejaba de hablar raro para meter alguna que otra palabra en castellano, pero de inmediato retomaba su arraigado y materno alemán y seguía negociando para poder estirar un poco la hora de regreso del potrero. Las voces, cada vez más cerca, caminaban por el zaguán hasta que las llaves cascabeleaban contra la cerradura. Todavía se estaba abriendo la puerta cuando en un primer plano surgía Hansi, victorioso tras haber logrado media hora de gracia para volver a casa. Saltaba desde el segundo escalón al medio del grupo que no disimulaba su fastidio por la espera. Cada minuto significaba menos tiempo de carreras, fútbol y escondidas. Su madre nos saludaba más con la mirada que con sus palabras. Daba un par de recomendaciones en un castellano de erres exageradas y guturales y nunca se olvidaba de unos últimos recados indescifrables, seguramente muy similares a los que me había dicho mi vieja minutos antes cuando dejé mi casa. Con un musical “Tschüß!” Hansi apuraba el paso para alcanzar la esquina y tomar la calle del potrero. Doña Gertrud se asomaba un poco más entonces para seguirle con sus ojos de diamante azul. En un concierto de quejidos

Page 5: Hansi, der Gringo  / El Gringo Hansi

herrumbrosos se abría la pesada puerta, dejando que toda Alemania se escapara hacia la calle, invadiendo un poco mi Villa del Parque natal. El corto zaguán era un breve proscenio que desembocaba en un patio de baldosones coloridos. Una arcada lateral dejaba ver la rústica mesa de madera, en donde en más de una ocasión tomamos tremendos tazones de leche caliente con pan y dulces caseros. Era esa mesa la que siempre tenía un bollo de masa esperando ser enredado en aquellas manos blanquísimas de doña Gertrud. A veces se transformaba en pancitos deliciosos y tentadores que mi rubio amigo llamaba “Brötchen”. Otras veces parecía estirarse hasta confundirse por su transparencia con el trapo que estaba debajo. Después doña Gertrud esparcía como un puré hecho con manzanas, abundantes pasas de uva, y a veces nueces, y enroscaba todo con la ayuda del lienzo como si fuera un matambre, pero especial para golosos. En el patio, siempre en una batea de madera, la Oma, una viejita salida de un cuento de hadas que hablaba un alemán todavía más difícil, prensaba repollo mezclado con vinagre y sal. Parecía toda una alquimista machacando y sazonando aquellas hojas con el sortilegio del enebro y del kummel. Más tarde lo enfrascaría y lo dejaría en el cuartito del fondo que estaba atestado de frascos y más frascos con comida y encurtidos como para pasar una guerra. En la casa, la radio parecía transmitir siempre un caprichoso ritmo de polka, o ranchera, o una especie de chamamé desfigurado, pero con acordeones de notas endemoniadas y una tuba que le daba a las melodías un típico sabor centroeuropeo. A mí me arrancaba sonrisas. A la Oma lágrimas. –“¿Y? ¿Vas a venir o no?”. Ahora era yo el demorado, el que se había quedado atrapado en aquella atmósfera tan colorida, tan familiar y extraña a la vez. –“¡Paren, che, ya voy! “. Camino al potrero el Hansi abrió la bolsa de papel madera engrasado que traía. Como cuervos devoramos aquellas masitas que el gringo, por tenerlas siempre a mano, trataba con cierta indiferencia. Pronto no quedaba rastro o evidencia alguna de aquellas confituras. Solamente nos delataban los bigotes de azúcar impalpable. A la pelota la gastábamos hasta que el corazón parecía saltarnos del pecho. Entonces, a tomar agua de la canilla del pasillo de la casita linda de la esquina sin que nos viera el dueño, y vuelta a jugar, a romperla. El “Toiche” Hansi a veces gritaba “¡Goool!” y otras “Toooor!”, según le salía. Después de aquellos partidos a diez, a quince, o mejor a veinte goles, transformábamos a las bicicletas en caballos del lejano oeste y remontábamos la cordillera de tierra apisonada que delimitaba el potrero al fondo. Cuando los corceles se agotaban, era hora de la guerra con ruleros. Era toda una estrategia. Lo primero era robar los ruleros de las madres sin ser descubiertos en el intento. Después conseguir un globo para poner en un extremo del rulero y convertirlo así en un dispositivo letal. Finalmente, sólo quedaba acopiar los suficientes “venenitos” o las bolitas pastosas que caían de los árboles paraísos que oficiarían de municiones para el conflicto. El combate era alucinante. Los montículos de tierra servían de trincheras para parapetarnos. Rostros desdibujados de sudor y barro eran el camouflage perfecto. De vez en cuando había un loco que, ya sea porque agotó sus venenitos o bien de puro malo nomás, cargaba su rulero con piedritas del potrero. Por lo general, era el que terminaba siendo atacado por todos como paga por pretender aventajarnos. ¡Cuántas bolitas de vidrio ganamos como botín de guerra! Nunca conseguimos hacerle entender a Hansi porqué cuando alguien perdía algún juego y tenía alguna prenda, lo mandábamos a Berlín. Tampoco nosotros entendíamos la razón de aquel destino

Page 6: Hansi, der Gringo  / El Gringo Hansi

imaginario. Pero cada vez que llamábamos al perdedor al canto de “Berlín, Berlín, cara de chupetín…”, el gringo echaba a reír uniendo los cachetes colorados con una sonrisa de perlas.