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Seite 367 AUSGABE 11/2008 18. JAHRGANG WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Unlängst wurden im New England Journal of Medicine die mit Spannung erwarteten Ergebnisse der „Hyperglycemia and Ad- verse Pregnancy Outcomes“ – kurz HAPO-Studiengruppe pu- bliziert. Welche Konsequenzen für die Schwangerschaftsbetreuung in Deutschland sind nun zu erwarten? Der Gestationsdiabetes ist als eine erstmals in der Schwanger- schaft aufgetretene oder diagnostizierte Glukosetoleranzstö- rung definiert. Das schließt die Erstmanifestation anderer Diabetesformen sowie bereits präkonzeptionell manifeste aber noch nicht diagnostizierte Typ-2 Formen ein. Die für Westeuropa angegebene Prävalenz von drei bis fünf Prozent ist mit Sicherheit zu niedrig, da kein allgemeines Screening in den Mutterschaftsrichtlinien vorgesehen ist. Der Gemeinsame Bundesausschuß der Krankenkassen stellt 2003 fest, daß auf- grund der international uneinheitlichen diagnostischen Krite- rien für den oralen Glucosetoleranztest (oGTT) und fehlender Daten, daß unbehandelter Schwangerschaftsdiabetes Mutter und Kind schädigen, eine routinemäßige Untersuchung in der Schwangerschaft nicht als Kassenleistung eingeführt werden soll. Die von Pedersen 1952 aufgestellte Hypothese, daß mütterli- che Hyperglykämie zu fetaler Hyperglykämie mit konsekutiver Hypertrophie des fetalen Pankreas und daraus resultierendem fetalen Hyperinsulinismus führt, hat noch heute Gültigkeit. Diagnostisch beweisend ist der 75 g oGTT mit den von der Deutschen Diabetesgesellschaft empfohlenen Grenzwerten (NBZ 5,0 mmol/l kapillares Vollblut/5,3 mmol/l venöses Plasma, 1h Wert 10,0 mmol/l, 2h Wert 8,6 mmol/l). Die Kernfrage der HAPO-Studie war, welcher Grad der Hyper- glykämie in der Schwangerschaft unterhalb der Kriterien eines manifesten Diabetes mellitus mit ungünstigen mütterlichen, fetalen und neonatalen Ergebnissen assoziiert ist. Es handelte sich vom Studiendesign um eine Beobachtungsstudie. Die Pa- tientinnen wurden im Zeitraum von 07/2000 bis 04/2006 re- krutiert. Insgesamt nahmen 15 Zentren in neun Ländern auf HAPO-Studie – Konsequenzen für die Schwangerschaftsbetreuung B. Hinken, M. Zygmunt vier Kontinenten (Nordamerika, Asien, Europa, Australien) teil. Zur Auswertung blieben 23316 Mutter/Kind-Paare. Zwi- schen der 24. bis 32. SSW (Schwangerschaftswoche) wurde doppelblind ein 75 g oGTT durchgeführt. Aus ethischen Gründen erfolgte eine Entbindung bei NBZ 5,8 mmol/l, 2h Wert 11,1 mmol/l oder bei einem beliebigen Testwert 2,5 mmol/l und bei Gelegenheitwerten zwischen der 32. bis 34. SSW 8,9 mmol/l. ANZEIGE So wie die Gesundheitspolitik permanent in Bewegung ist, ist es auch der Gesundheitsmarkt. Dabei gehen für die Gesund- heitswirtschaft eher fördernde Impulse von der Politik aus; für die Gesundheitsversorgung ist dies durchaus nicht immer der Fall. Wir dürfen gespannt auf die weitere Entwicklung sein. Ob Gesundheitswirtschaft, -versorgung oder -politik – Ge- sundheit ist in jedem Fall zuallererst ärztliches Anliegen. Schon deshalb bleiben wir am Ball! Dr. Wilfried Schimanke

HAPO-Studie – Konsequenzen für die · PDF fileHyperbilirubinämie 5. Präeklampsie Die gemessenen Glukosekategorien wurden in eins bis sieben unterteilt, wobei Kategorie fünf etwa

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Seite 367AUSGABE 11/2008 18. JAHRGANG

WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG

Unlängst wurden im New England Journal of Medicine die mit Spannung erwarteten Ergebnisse der „Hyperglycemia and Ad-verse Pregnancy Outcomes“ – kurz HAPO-Studiengruppe pu-bliziert.Welche Konsequenzen für die Schwangerschaftsbetreuung in Deutschland sind nun zu erwarten?Der Gestationsdiabetes ist als eine erstmals in der Schwanger-schaft aufgetretene oder diagnostizierte Glukosetoleranzstö-rung definiert. Das schließt die Erstmanifestation anderer Dia betesformen sowie bereits präkonzeptionell manifeste aber noch nicht diagnostizierte Typ-2 Formen ein. Die für Westeuropa angegebene Prävalenz von drei bis fünf Prozent ist mit Sicherheit zu niedrig, da kein allgemeines Screening in den Mutterschaftsrichtlinien vorgesehen ist. Der Gemeinsame Bundesausschuß der Krankenkassen stellt 2003 fest, daß auf-grund der international uneinheitlichen diagnostischen Krite-rien für den oralen Glucosetoleranztest (oGTT) und fehlender Daten, daß unbehandelter Schwangerschaftsdiabetes Mutter und Kind schädigen, eine routinemäßige Untersuchung in der Schwangerschaft nicht als Kassenleistung eingeführt werden soll.Die von Pedersen 1952 aufgestellte Hypothese, daß mütterli-che Hyperglykämie zu fetaler Hyperglykämie mit konsekutiver Hypertrophie des fetalen Pankreas und daraus resultierendem fetalen Hyperinsulinismus führt, hat noch heute Gültigkeit. Diagnostisch beweisend ist der 75 g oGTT mit den von der Deutschen Diabetesgesellschaft empfohlenen Grenzwerten (NBZ 5,0 mmol/l kapillares Vollblut/5,3 mmol/l venöses Plasma, 1h Wert 10,0 mmol/l, 2h Wert 8,6 mmol/l).

Die Kernfrage der HAPO-Studie war, welcher Grad der Hyper-glykämie in der Schwangerschaft unterhalb der Kriterien eines manifesten Diabetes mellitus mit ungünstigen mütterlichen, fetalen und neonatalen Ergebnissen assoziiert ist. Es handelte sich vom Studiendesign um eine Beobachtungsstudie. Die Pa-tientinnen wurden im Zeitraum von 07/2000 bis 04/2006 re-krutiert. Insgesamt nahmen 15 Zentren in neun Ländern auf

HAPO-Studie – Konsequenzen für die Schwangerschaftsbetreuung B. Hinken, M. Zygmunt

vier Kontinenten (Nordamerika, Asien, Europa, Australien) teil. Zur Auswertung blieben 23316 Mutter/Kind-Paare. Zwi-schen der 24. bis 32. SSW (Schwangerschaftswoche) wurde doppelblind ein 75 g oGTT durchgeführt.Aus ethischen Gründen erfolgte eine Entbindung bei NBZ ≥ 5,8 mmol/l, 2h Wert ≥ 11,1 mmol/l oder bei einem beliebigen Testwert ≤ 2,5 mmol/l und bei Gelegenheitwerten zwischen der 32. bis 34. SSW ≥ 8,9 mmol/l.

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So wie die Gesundheitspolitik permanent in Bewegung ist, ist es auch der Gesundheitsmarkt. Dabei gehen für die Gesund-heitswirtschaft eher fördernde Impulse von der Politik aus; für die Gesundheitsversorgung ist dies durchaus nicht immer der Fall. Wir dürfen gespannt auf die weitere Entwicklung sein.

Ob Gesundheitswirtschaft, -versorgung oder -politik – Ge-sundheit ist in jedem Fall zuallererst ärztliches Anliegen. Schon deshalb bleiben wir am Ball!

Dr. Wilfried Schimanke

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WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG

Seite 368 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN

NBZ 1 h Wert 2 h Wert

Kategorie 1 unter 4,2 mmol/l unter 5,8 mmol/l unter 5,0 mmol/l

Kategorie 2 4,2 bis 4,4 mmol/l 5,9 bis 7,3 mmol/l 5,1 bis 6,0 mmol/l

Kategorie 3 4,5 bis 4,7 mmol/l 7,4 bis 8,6 mmol/l 6,1 bis 6,9 mmol/l

Kategorie 4 4,8 bis 4,9 mmol/l 8,7 bis 9,5 mmol/l 7,0 bis 7,7 mmol/l

Kategorie 5 5,0 bis 5,2 mmol/l 9,6 bis 10,7 mmol/l 7,8 bis 8,7 mmol/l

Kategorie 6 5,3 bis 5,5 mmol/l 10,8 bis 11,7 mmol/l 8,8 bis 9,8 mmol/l

Kategorie 7 mehr als 5,6 mmol/l mehr als 11,8 mmol/l mehr als 9,9 mmol/l

Tab. 1: Einteilung der Glucosekategorien in 1 - 7

Primäre Kriterien waren:1. Geburtsgewicht oberhalb der 90. Perzentile nach Gestati-

onsalter2. Primäre Sectiorate3. Klinisch diagnostizierte neonatale Hypoglykämien4. Nabelschnur-C-Peptid oberhalb der 90. Perzentile (Parameter für fetalen Hyperinsulinismus)

Als sekundäre Kriterien wurden ausgewertet:1. Geburt vor der 37. SSW2. Schulterdystokie und Geburtsverletzungen des Neugebore-

nen3. Notwendigkeit neonataler Intensivbehandlung4. Hyperbilirubinämie5. Präeklampsie

Die gemessenen Glukosekategorien wurden in eins bis sieben unterteilt, wobei Kategorie fünf etwa den Werten für einen manifesten Gestationsdiabetes entspricht (Tab. 1). Sowohl Ge-burtsgewicht, primäre Sectiorate als auch Nabelschnur-C-Pep-tid stiegen mit Nüchternglukosewerten, 1h Wert und 2h Wert von Kategorie eins bis sieben an, lediglich klinisch relevante Hypoglykämien waren bis auf den Anstieg bei NBZ Werten von über 5,6 mmol/l gleichbleibend in der Häufigkeit. Bei den sekundären Kriterien war der Zusammenhang mit zunehmen-der mütterlicher Hyperglykämie ebenfalls nachweisbar, aber weniger ausgeprägt. Keine Korrelation bestand bei NBZ zu Frühgeburt, Notwendigkeit neonataler Intensivbehandlung und fetaler Hyperbilirubinämie.

Zusammenfassung/ Fazit:

Hauptergebnis der Studie ist der Nachweis, daß mit steigen-den mütterlichen Blutglukosewerten unterhalb der definier-

ten Grenzbereiche für eigentlichen Diabetes bereits die Risiken für das Auftreten der primären und sekundären Kriterien zu-nehmen. Zusammenhänge sind für NBZ, 1 h Wert und 2h Wert erkennbar. Allerdings ist kein Schwellenwert erkennbar und die Relevanz der einzelnen primären Kriterien ist sehr unter-schiedlich.

Limitationen der Studie sind die Teilnehmerzahl von 54 Pro-zent der Schwangeren und der Beobachtungscharakter – das heißt, Zusammenhänge sind wahrscheinlich, aber nicht bewie-sen. Außerdem fanden Ernährungsstatus der Frauen und Ge-wichtszunahme während der Schwangerschaft keine Berück-sichtigung. Zusätzlich wird die Wahl des Entbindungsmodus möglicherweise auch beeinflußt von mütterlichem BMI oder in der vorherigen Schwangerschaft aufgetretenem Gestations-diabetes, fetaler Makrosomie oder Schulterdystokie.

Der unbestrittene Nutzen der Studie besteht darin, daß die HAPO-Ergebnisse jetzt in klinische Grenzwerte übersetzt wer-den müssen, um endlich ein Screening als festen Bestandteil der Mutterschaftsvorsorge zu integrieren. Es sollte außerdem ein Umdenken einsetzen, daß BZ-Werte in der Schwanger-schaft unterhalb der Grenzbereiche des Gestationsdiabetes schon Einfluß auf mütterliches und fetales outcome haben.

Verfasserin:Dr. med. Britta Hinken

Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe

Ernst-Moritz-Arndt-Universität

Wollweberstr. 1-3

17475 Greifswald

E-Mail: [email protected]