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Harald Rau Qualität in einer Ökonomie der Publizistik

Harald Rau Qualität in einer Ökonomie der Publizistik · Ökonomie und medialer Kommunikation erklären wollen – zu einer antidogmatischen und gerade deshalb gesunden Auseinandersetzung

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Harald Rau

Qualität in einer Ökonomie der Publizistik

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Harald Rau

Qualität in einer Ökonomie der PublizistikBetriebswirtschaftliche Lösungen für die Redaktion

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1. Auflage Mai 2007

Alle Rechte vorbehalten© VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2007

Lektorat: Monika Mülhausen / Tanja Köhler

Der VS Verlag für Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media.www.vs-verlag.de

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. JedeVerwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohneZustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere fürVervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherungund Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werkberechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen imSinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und dahervon jedermann benutzt werden dürften.

Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, HeidelbergDruck und buchbinderische Verarbeitung: Krips b.v., MeppelGedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem PapierPrinted in the Netherlands

ISBN 978-3-531-15086-4

Bibliografische Information Der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über<http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

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Lass dich deine Lektüre nicht beherrschen, sondern herrsche über sie.

Georg Christoph Lichtenberg, Sudelbücher

Vorwort

Die Beziehung zwischen Ökonomie und Medien ist fraglos eine besondere. Es ist eine Beziehung, die schwer zu fassen ist. In der Vergangenheit gab es viele Versuche, die oft verwirrend scheinenden Verbindungslinien zu entflechten. Sie sind wertvoll, denn sie ha-ben gezeigt: Man kann sich diesem Feld auf unterschiedliche Weise nähern, zum Beispiel die Erklärungsmodelle der klassischen Volkswirtschaftslehre und darüber hinausgehend die Erkenntnisse aus der Politischen, der Institutionen- oder der Konstitutionenökonomie anle-gen und deren Theoriekonzepte anwenden, ohne sich am Ende paradigmatisch entscheiden zu müssen. Beide Konstrukte, beide Begriffsfamilien – Ökonomie wie (massen)mediale Kommunikation – laden sogar nachgerade dazu ein, sich von verschiedenartigen Ebenen und Theorieplattformen zu nähern. So wäre es aus meiner Sicht auch fatal, sich dann – vom theoriegetriebenen Standpunkt aus und angesichts beobachtbarer Realitätszustände oder empirisch gewonnener Daten – eindeutig für eine unverrückbare „Lehre“ zu entscheiden. Oder, anders gesagt: In der Vielfalt ihrer Ansätze – auch solcher fern des Mainstreams – liegt der Reiz der Medienökonomie. Jede kompromisslos gewählte theoretische Annähe-rung reduziert das durchaus philosophisch zu betrachtende Gesamtsystem auf die Begren-zungen von Modellen. Diese mögen alle für sich genommen schlüssig sein, sie können jedoch im Gegenzug nicht alle beobachtbaren Phänomene erklären. Deshalb auch hat für die Diskussion der Beziehung zwischen Ökonomie und Medien die im Kommunikations-begriff durchaus anti-humanistisch angelegte Systemtheorie ebenso ihre Daseinsberechti-gung wie die Kritische Theorie oder, ganz grundsätzlich, handlungstheoretische Überle-gungen. Diese neutralisierte Betrachtungsweise verweist Theorien in die Schranken ihrer, zur Reduktion von Komplexität fraglos sinnvollen, Modellhaftigkeit – eine Haltung, die auch der modernen wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion gut zu Gesicht stünde.

Das vorliegende Buch wirkt im besten Sinne integrativ. Es will – allein schon, indem es die Modellhaftigkeit aller Versuche postuliert, die die beschriebene Beziehung zwischen Ökonomie und medialer Kommunikation erklären wollen – zu einer antidogmatischen und gerade deshalb gesunden Auseinandersetzung einladen. Dafür werden Arbeitstechniken der Betriebswirtschaftslehre von ihrem Gewinnmaximierungsanspruch befreit und auf diese Weise in eine neue Ökonomie der Publizistik integriert. Es geht nunmehr nicht länger um das Individuum des Medienakteurs, das kürzlich ja auch als homo oeconomicus neu veror-tet wurde, und es geht auch nur am Rande um mögliche neue Geschäftsmodelle, die ein Überleben auch in veränderten massenkommunikativen Medienwelten sichern helfen. Vielmehr geht es einer Ökonomie der Publizistik um die Annäherung zweier Welten. Die Ökonomie der Publizistik will ausgleichen und dem Medienbetrieb die Möglichkeiten öff-nen, die in vielen ökonomisch motivierten Werkzeugen liegen. Die im Buch gewählten

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Beispiele und Fallstudien könnten übrigens getrost gegen andere ausgetauscht werden. Vielleicht gelingt es ja auf diese Weise auch erstmalig, eine dann stabil zu beschreitende Brücke zu schlagen – eine Brücke zwischen Medien-, Institutionen- und Politischer Öko-nomie, zwischen Journalismus, Publizistik und Betriebswirtschaftslehre. Vielleicht gelingt es ja darüber hinaus, das verwirrende Knäuel, das die Theoriestränge zwischen Ökonomie und Publizistik eben nach wie vor kennzeichnet, ein wenig zu lösen. Wenn das Buch auch nur einen Hauch davon erreichen kann, wird es die Publizistik befruchten. Es wäre ein Wunsch. Nicht von ungefähr, wurde als Objekt einer solchen Ökonomie der Publizistik das schwierig zu fassende Konstrukt publizistischer Qualität ausgewählt. Zeigt es doch idealty-pisch die Grenzen auf – und verdeutlicht im Gegenzug, wie wichtig es bei aller Theorie-gläubigkeit ist, den Mut zu eindeutigen und klaren Setzungen aufzubringen. Nur diese ma-chen auch journalistische Qualität begreif- und damit im weitesten Sinne messbar.

Basis dieses Buches ist meine Habilitationsschrift (Universität Leipzig), und dieses Projekt hätte ich nicht ohne die Unterstützung lieber und mir wichtiger Menschen abschlie-ßen können. Deshalb sage ich an dieser Stelle „Danke!“ – für wertvolle Anregungen, gute, tiefgehende Gespräche und auch die freundschaftlich-kritische Reflektion, die diese Schrift erst zu dem gemacht haben, was sie heute darstellt. Das große Dankeschön gilt insofern also all jenen, die mich auf dem Weg zu einer Ökonomie der Publizistik begleitet haben. Meine Frau Elke möchte ich voranstellen – da sie den Entstehungsprozess hautnah erleben durfte, über weite Strecken auch musste und die mich dennoch getragen hat. Dabei habe ich einmal mehr ihre Analyse zu schätzen gelernt – wie anders ist zu erklären, dass sich plötz-lich und unerwartet noch neue Wege öffnen konnten, die Meritorik in der Medienwirtschaft zu beleuchten. Auch Michael Haller möchte ich ausdrücklich danken, der nicht nur als Betreuer meiner Habilitation sondern als inzwischen langjähriger Freund wesentliche Hin-weise zu Gliederung und Aufbau sowie zur generellen Anlage dieses Buches gegeben hat. Christoph Neuberger hat nicht nur als Gutachter mit freundschaftlich-kritischem Blick Fragestellungen konkretisiert, sondern entscheidend auch zu einer Reflektion und zu dieser Endfassung des Manuskriptes beigetragen – seinen wachen Geist, seinen tiefen theoreti-schen Fundus und seine klare Urteilsfähigkeit habe ich dabei sehr schätzen gelernt. Auch Mike Friedrichsen schließe ich in den Dank ein; er begutachtete die Habilitationsschrift mit dem Blick des Ökonomen und verstand es im Entstehungsprozess immer wieder, Interdis-ziplinarität zu reklamieren. Ganz bewusst möchte ich hier auch die Kolleginnen und Kolle-gen am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft sowie diejenigen der Wirt-schaftswissenschaften an der Universität Leipzig einbeziehen, und darüber hinaus jene der Fachgruppe Medienökonomie in der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommuni-kationswissenschaft (DGPuK) nennen, die in zahlreichen Gesprächen und am Rande von Tagungen und Fachgruppentreffen wertvolle Erfahrungen eingebracht haben – viele dieser Ansätze konnte ich konkret in dieser Arbeit umsetzen. Schließlich danke ich meinen Freun-den Lars Rosumek und Manfred Schimmel für Ihre Kommentierungen und ihre große Ge-duld. Ein Letztes: Würde dieses Buch eine Widmung tragen, so wären hier die Namen meiner Studenten einzutragen, die mich in den vergangenen Jahren immer wieder beein-druckt und mir gezeigt haben, wie wertvoll und befruchtend der offene und eben ganz un-dogmatische Diskurs ist.

Harald Rau Schriesheim, Frühjahr 2007

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Inhalt

1 Kommerzialisierung, Meritorik und eine Ökonomie der Publizistik............ 11

1.1 Anmerkungen zu den Fragestellungen und zur Methodik............................... 111.2 Zielsetzung und Anlage der Untersuchung ..................................................... 141.3 Ökonomisierung, Kommerzialisierung, Kommodifizierung........................... 19

1.3.1 Die „Medienkrise“ und die Ökonomie der Publizistik ............................... 191.3.2 Aspekte einer Kommerzialisierungsdebatte ............................................... 24

1.4 Publizistik, Meritorik und die Frage der Präferenzen ..................................... 291.4.1 „Moral Sentiments“, Interventionen und die Meritorik.............................. 301.4.2 Meritorische Bedürfnisse und die Gütersystematik.................................... 331.4.3 Meritorik und konfligierende Präferenzebenen .......................................... 351.4.4 Beeinflussung der Konsumentensouveränität als Legitimationsproblem... 381.4.5 Rückführung des Begriffs auf den Bedürfniskontext ................................. 391.4.6 Die Problematik der Meritorik aus Rezipientensicht.................................. 42

1.5 Die Anpassungshypothese: Medienkritik der späten 1960er Jahre ................. 461.5.1 Die duale Ökonomie wirkt auf die Qualität................................................ 481.5.2 Qualitätsdruck und der Akerlof-Prozess..................................................... 511.5.3 Kritik der Anpassungshypothese................................................................ 531.5.4 Verifizierungsansätze zur Anpassungshypothese....................................... 55

1.6 Die Ökonomie der Publizistik im Kontext: Eine erste Bewertung.................. 631.7 Die Wertschöpfungskette und eine Ökonomie der Publizistik........................ 65

1.7.1 Hintergründe: „Konzentration auf das Kerngeschäft“................................ 651.7.2 Unterschiedliche Paradigmen: Kerngeschäft und Kernkompetenz ............ 671.7.3 Kernkompetenzen in journalistisch orientierten Medien............................ 681.7.4 Die diskursive Annäherung an die Konstrukte........................................... 701.7.5 Die Entflechtung von Wertschöpfungsketten............................................. 72

1.8 Für die weitere Argumentation zusammengefasste Aspekte........................... 80

2 Qualität – Begriff und Diskussionsgrundlage im Journalismus .................... 83

2.1 Journalistische Qualität – ein schwerfälliges Konstrukt.................................. 832.1.1 Segmentierung, Fragmentierung und die Antworten des Journalismus ..... 832.1.2 Das Qualitätsverständnis in der Betriebswirtschaftslehre .......................... 862.1.3 Journalistische Qualität in der Komplexitätsfalle....................................... 892.1.4 Die Problemfelder der Bestimmung journalistischer Qualität.................. 1082.1.5 Meritorische Qualität als Kategoriensystem............................................. 1112.1.6 Konsequenzen aus dem Kategoriensystem „meritorische Qualität“ ........ 114

2.2 Qualität und Qualitätsmanagement ............................................................... 1172.2.1 Total Quality Management: Nähe zur Ökonomie der Publizistik ............ 1172.2.2 Total Quality Management und Journalismusforschung .......................... 121

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2.2.3 Eine Rückführung auf die Kriterien von Deming..................................... 1292.3 Qualität in einer Ökonomie der Publizistik ................................................... 134

3 Publizistische Ökonomie am Beispiel der Disziplin Marketing ................... 137

3.1 Markterfordernisse und Marketing................................................................ 1383.1.1 Eine betriebswirtschaftliche Arbeitstechnik im Wandel .......................... 1393.1.2 Medienmarketing – eine grobe Skizze am Beispiel Tageszeitung ........... 1413.1.3 Marketing – der Begriff als Objekt der Veränderung............................... 143

3.2 Marketing als dominante Führungsfunktion ................................................. 1463.2.1 Strategisches Marketing: erweiternde Dimension .................................... 1483.2.2 Marketing für Nonprofit-Organisationen ................................................. 1493.2.3 Vom Nonprofit- zum Social Marketing.................................................... 1513.2.4 Öko-Marketing und eine Ökonomie der Publizistik................................. 154

3.3 Die Elemente des Marketing-Management ................................................... 1553.3.1 Die zwei Komponenten im Marketing-Management ............................... 1553.3.2 Marktforschung: Basis für die reaktive Komponente............................... 1563.3.3 Marktforschung im Rezipientenmarkt...................................................... 1593.3.4 Reaktion und Aktion im Marketing-Mix.................................................. 171

3.4 Marketing als Qualitätsinstrument der Redaktion......................................... 1823.5 Marketing und meritorische Qualität: Total Community Coverage.............. 183

3.5.1 Medien in lokalen Zusammenhängen....................................................... 1833.5.2 Total Community Coverage – Ansätze für die Berichterstattung............. 1883.5.3 USA und Europa: Ideale Redaktionsbesetzung durch Diversität? ........... 1933.5.4 TCC und Diversität: Zur Situation in Deutschland .................................. 1963.5.5 Medienangebote und ethnische Minderheiten in Deutschland ................. 2003.5.6 Eine Bewertung: TCC, Marketing und Journalismus............................... 202

4 Mit Benchmarking auf dem Weg zu erweiterter Medienpluralität............. 205

4.1 Grundlegende Anmerkungen zum Einsatz von Benchmarking .................... 2054.2 Benchmarking als definitorisches Problem................................................... 207

4.2.1 Benchmarking – der Begriff und seine Dimensionen............................... 2074.2.2 Problemkreise: Kultur und Kommunikation ............................................ 212

4.3 Ordnung 1: Vergleichskonzepte und der Branchenbezug ............................. 2154.3.1 Benchmarking innerhalb der Organisation............................................... 2154.3.2 Benchmarking im konkurrierenden Branchenumfeld............................... 2174.3.3 Benchmarking in einer funktionalen Betrachtungsweise ......................... 2204.3.4 Benchmarking im übertragenden Konzept ............................................... 222

4.4 Ordnung 2: Benchmarking-Varianten nach Objektgruppen.......................... 2244.4.1 Strategisches Benchmarking .................................................................... 2244.4.2 Kostenorientiertes Benchmarking ............................................................ 2264.4.3 Kundenorientiertes Benchmarking........................................................... 228

4.5 Ordnung 3: Objekte des Benchmarking ........................................................ 2294.6 Benchmarking für die Redaktion .................................................................. 231

4.6.1 Der Fokus Tageszeitung im Leipziger Benchmarking-Projekt ................ 2314.6.2 Benchmarks für den überregionalen Nachrichtenteil ............................... 2334.6.3 Benchmarks für den Lokalteil von regionalen Tageszeitungen................ 236

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4.6.4 Das Leipziger Benchmarking-Projekt, eine Bewertung ........................... 2384.7 Der Prozesscharakter in der Vorgehensweise ............................................... 2384.8 Das Elementenmodell als Basis für die medienökonomische Annäherung .. 241

4.8.1 Ein mehrstufiges Modell integrierter Elemente........................................ 2414.8.2 Die Elemente des Modells im Überblick.................................................. 2424.8.3 Das Beziehungsgeflecht der Elemente ..................................................... 244

4.9 Eine Bewertung: Benchmarking als Qualitätsinstrument der Publizistik...... 246

5 Publizistik im ökonomischen Kontext – ein Fazit ......................................... 249

5.1 Zu einer Ökonomie der Publizistik ............................................................... 2495.2 Die Diskursfelder und ihre Bewertung im Überblick.................................... 257

5.2.1 Diskursfeld 1: Ausgangspunkt Kommerzialisierung................................ 2575.2.2 Diskursfeld 2: Rezipienten-Präferenzen und die Frage der Anpassung ... 2595.2.3 Diskursfeld 3: Publizistische Qualität und Qualitätsmanagement............ 2615.2.4 Diskursfeld 4: Beispielinstrument Marketing........................................... 2645.2.5 Diskursfeld 5: Beispielinstrument Benchmarking.................................... 267

5.3 Medienmanagement: Schlüssel zu einer Ökonomie der Publizistik.............. 2705.4 Zum guten Schluss: alles Theorie!? .............................................................. 273

Literatur.......................................................................................................................... 277

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Im Jetzigen muss das Künftige schon verborgen liegen. Das heißt Plan. Ohne dieses ist nichts in der Welt gut.

Georg Christoph Lichtenberg (Sudelbücher C 193 gek., 1772/73)

1 Kommerzialisierung, Meritorik und eine Ökonomie der Publizistik

Die Ökonomie der Publizistik ist ein ebenso wertvolles wie kritisches Konstrukt, und auf den folgenden Seiten mag man sich angesichts der Komplexität der präsentierten Zusam-menhänge die Logik und Stringenz einfacher Erklärungsmodelle herbeiwünschen. Diesen Gefallen wird dieses Buch nicht tun können, da die Wechselwirkungen zwischen Ökono-mie und Publizistik vielschichtig sind, ihr Beziehungsgefüge von so unterschiedlichen Posi-tionen aus betrachtet werden kann, dass eine Reduktion den Anspruch dieser Arbeit nach-gerade konterkarieren würde. Nun also bleibt Komplexität. Dabei ist das eigentliche Er-kenntnisinteresse dieses Buches leicht erklärt. Es geht um die Frage, ob (und ansatzweise auch inwiefern) betriebswirtschaftliche Arbeitstechniken in publizistischen, genauer: in journalistischen, Produktionszusammenhängen einzusetzen sind, um Medieninhalte qualita-tiv zu beeinflussen.

1.1 Anmerkungen zu den Fragestellungen und zur Methodik

Mehrere Problembereiche sind mit dieser Thesenstellung verknüpft – die schwierige Be-stimmung von Medienqualität auf der einen, die Versöhnung publizistisch orientierter In-haltsproduzenten mit Werkzeugen, die normalerweise kommerziellen Regeln folgen, auf der anderen Seite. So gesehen, liegt die Leistung der folgenden Seiten einerseits darin, diese Werkzeuge zu entkommerzialisieren und andererseits darin, zu mutigen – publizis-tisch motivierten – Setzungen bei der Bestimmung von Medienqualität zu gelangen. Dem entsprechend ergeben sich die Diskursfelder wie folgt:

Diskursfeld 1: Ausgangspunkt und Grundphänomen Kommerzialisierung 1. Welche Wirkungen hat eine Ökonomie der Publizistik bezogen auf Kom-merzialisierungstendenzen – unabhängig davon, ob diese plausibel erklärt werden können oder nicht? 1.1 Wie ist Kommerzialisierung zu definieren? 1.2 Welche Implikationen hat Kommerzialisierung auf die Aussagenprodukti-on im Medienkontext? 1.3 Welche Instrumente einer Ökonomie der Publizistik können beobachtba-ren Kommerzialisierungstendenzen begegnen?

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1.4 Wie können diese Instrumente eingesetzt werden? Diskursfeld 2: Rezipienten-Präferenzen und die Frage der Anpassung

1. Stützt die Meritorik eine Ökonomie der Publizistik? 1.1 Welche Rolle spielt die Einschätzung von Konsumenten- oder, in diesem Falle besser, Rezipientenpräferenzen im Sinne der Meritorik? 1.2 Wie ist über das Konzept der Konsumenten- oder eben wiederum der Re-zipientensouveränität auch in Anbetracht der theoretischen Überlegungen zur Meritorik zu urteilen? 2. Welche Implikationen auf das Angebot von Medieninhalten hat eine An-passung an vermutete oder gemessene Rezipienteninteressen? 2.1 Wie kann man die Diskussion um „Anpassungsjournalismus“ der 1970er Jahre befruchtend auf aktuelle Zusammenhänge übertragen? 2.2 Wie ist über das Thema „Anpassung“ aktuell zu entscheiden? 2.3 Welche theoriegetriebenen Verifizierungsansätze für die Anpassungs-hypothese sind denkbar?

Diskursfeld 3: Medienqualität, journalistische Qualität, Qualitätsmanagement 1. Wie ist über journalistische Qualität zu urteilen? 1.1 Welchen Qualitätsbegriff legt man für die Produktion informatorisch ge-triebener Medieninhalte zugrunde? 1.2 Wie konsistent oder flexibel ist ein solcher Qualitätsbegriff? 1.3 Welche Setzungen kann man vornehmen, um die Bestrebungen in einer Ökonomie der Publizistik zu stützen? 1.4 Was kann eine Dynamisierung des Qualitätskonzeptes bewirken? 1.5 Führt ein neues Kategoriensystem für journalistische Qualität auch zur stringenteren Wahl von Qualitätskriterien? 1.6 Kann ein solches Kategoriensystem auch meritorisch verankert werden? 2. Können Ansätze des Qualitätsmanagements als Steuergröße einer Ökono-mie der Publizistik dienen? 2.1 Lösen Überlegungen zum Qualitätsmanagement das definitorische Di-lemma? 2.2 Liegt im „Total Quality Management“ bereits ein Werkzeug der Ökono-mie der Publizistik verborgen? 2.3 Wie ist die Situation bei einer Rückführung der Diskussion auf den ur-sprünglichen TQM-Katalog nach Deming zu beurteilen?

Diskursfeld 4: Beispielinstrument einer Ökonomie der Publizistik: Marketing 1. In welcher Weise beeinflusst das Instrument Marketing meritorische Quali-tät? 1.1 Ist Marketing als Instrument entmonetarisiert im Sinne einer Ökonomie der Publizistik einsetzbar? 1.2 Wie wirkt Nonprofit-Marketing in einer Ökonomie der Publizistik? 1.3 Welche Hinweise für eine Umsetzung in der Redaktion können zusätzlich gegeben werden?

Diskursfeld 5: Beispielinstrument einer Ökonomie der Publizistik: Benchmarking 1. In welcher Weise beeinflusst das Instrument Benchmarking das Katego-riensystem publizistischer Qualität?

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1.1 Ist Benchmarking als Instrument entmonetarisiert im Sinne einer Ökono-mie der Publizistik einsetzbar? 1.2 Welche Spielarten von Benchmarking kann man systematisieren und da-mit für die Ökonomie der Publizistik fruchtbar machen? 1.3 Wie wirkt Benchmarking in einer Ökonomie der Publizistik? 1.4 Welche Hinweise für eine Umsetzung in der Redaktion kann man geben?

Wer sich nun direkt einer Zusammenfassung der Ergebnisse und der Bewertung dieser Diskursfelder als Essenz der Untersuchung zur Qualität in einer Ökonomie der Publizistik zuwenden will, sei direkt an das Schlusskapitel und den Abschnitt 5.2 ab Seite 255 verwie-sen. Dort werden die hier geöffneten Felder jeweils einzeln einer analytischen Betrachtung unterzogen.

Insgesamt zeigt die vorliegende Studie zweierlei:

Zum einen wird vorgeführt, dass ein nonprofit-orientiertes, entmonetarisiertes be-triebswirtschaftliches Verständnis auch für publizistische Zusammenhänge fruchtbar entwickelt werden kann. Deswegen wird auch – im Unterschied beispielsweise zu volkswirtschaftlich geprägten institutionenökonomischen Ansätzen – die Begrifflich-keit einer Ökonomie der Publizistik eingeführt. Zum zweiten werden beispielhaft mehrere Arbeitstechniken aus dem beinahe unbe-grenzten Feld betriebswirtschaftlicher Werkzeuge ausgewählt und direkt überprüft. Hinzuzufügen bleibt dabei: Es wird regelmäßig ausgeblendet, dass ein Einsatz dieser Arbeitstechniken im redaktionellen Umfeld von (Massen-)Medienorganisationen auch andere – nämlich später durchaus am (monetären) Gewinn messbare – Reaktionen zei-tigen können. Da dies außerhalb des Erkenntnisinteresses dieser Untersuchung liegt, wird auf die Diskussion dieser Zusammenhänge verzichtet.

Die Untersuchung stellt im Kontext dieser beiden Punkte Zusammenhänge her und leitet die unterschiedlichen Aspekte vorzugsweise aus der Tradition der Betriebswirtschaftslehre ab – dies gilt insbesondere für die Abschnitte, die sich mit konkreten Werkzeugen wie Total Quality Management, Marketing und Benchmarking beschäftigen. Überall dort, wo es um Grundlagenbildung geht, werden insbesondere medien- und kommunikationswissenschaft-liche sowie darunter spezifisch medienökonomische Ansätze herangezogen. Bei letzteren zeigt sich im Übrigen die durchgängig volkswirtschaftliche Tradition der deutschsprachigen Medienökonomie. Methodisch erschließt sich diese Untersuchung ihr Feld über weite Stre-cken explorativ – insbesondere auch deshalb, weil die Zusammenhänge in einer von be-triebswirtschaftlichen Instrumenten motivierten Ökonomie der Publizistik als übergreifen-der Ansatz erstmalig präsentiert werden. So öffnet sich im vorliegenden Buch eine Fülle von Aspekten, die im Rahmen der weiterführenden Forschung nicht nur aufgegriffen, son-dern sinnvoll und vermutlich ausgesprochen fruchtbar vertieft werden können.

Dieses einführende Kapitel gibt einen kurzen Überblick über die Zielsetzung und An-lage der Arbeit, und es führt jene für die weitere Diskussion grundlegenden Begriffe und theoretischen Ansatzpunkte ein. Das argumentative Gerüst bedarf insbesondere der Ab-grenzung der Begriffe Ökonomisierung, Kommerzialisierung und Kommodifizierung. Au-ßerdem ist eine Ökonomie der Publizistik nicht ohne eine Anerkennung meritorischer Be-dürfnisse denkbar – deshalb kommen im weiteren Verlauf dieses Kapitels auch von eindi-

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mensionalen Konsumentenpräferenzen entkoppelte Güteraspekte in den Blick. Ebenfalls wird bereits in dieser Einführung eine Zunahme kommerzieller Ansprüche in Medienunter-nehmen mit der daraus möglicherweise folgenden Wirkung auf die Qualität verbunden. Dies erfolgt – weil es im direkten Zusammenhang mit der Kommerzialisierungsdebatte steht – bereits vor einer definitorischen Annäherung an den Komplex journalistische oder publizistische Qualität. Im Grunde könnte die aus Sicht dieser Arbeit notwendige Beschäf-tigung mit dem Terminus Anpassungsjournalismus (die ebenfalls in diesem ersten Kapitel angesiedelt ist) sinnreich auch nach der Qualitätsdiskussion und damit nach dem zweiten Kapitel eingefügt werden. Um jedoch einen deutlicheren Spannungsbogen zu ziehen, wird dies vorgezogen. So stehen die Thesen und Argumente dieser Arbeit in einem Kontext, der am Ende ein Fazit erlaubt, das von der reinen Theorie abstrahierend die Konsequenzen einer Ökonomie der Publizistik für redaktionelle Führungs- und Arbeitsrealitäten bestimmt.

1.2 Zielsetzung und Anlage der Untersuchung

Die konkrete Zielsetzung dieser Arbeit liegt darin, anhand von drei gesondert vertieften Beispielen das Konstrukt einer Ökonomie der Publizistik zu verdeutlichen, die vom mone-tären Gewinnmaximierungsanspruch einer neoklassischen, liberalistischen Denkhaltung befreit ist. Sie fußt damit – ähnlich wie die Institutionen- oder die Verfassungsökonomik oder auch das Konzept einer Aufmerksamkeitsökonomie – auf der Überzeugung, dass die Ökonomie ein breit auszulegender Ansatz der Sozialwissenschaften ist, der weit mehr als nur realökonomische oder monetär-ertragsbezogene Zusammenhänge erklären kann. Wäh-rend sich die klassische Institutionenökonomik als (evolutionstheoretischer) ökonomischer Ansatz – bereits seit Ende des 18. Jahrhunderts in den USA – mit den Wechselwirkungen von Wirtschaft, Institutionen und Gesellschaft beschäftigt, befasst sich die neue Institutio-nenökonomik mit Systemen von Regeln oder Normen auf Basis einer Ökonomie-Definition als Lehre von der kooperativen Schaffung gemeinsamer Vorteile. Dabei nimmt sie als we-sentlichen Gegenstand die Wirkung von Institutionen auf die Ökonomie in den Blick. Die Ökonomie der Publizistik dagegen will die Träger der journalistischen Verantwortung aus ihren realökonomischen Bindungen herauslösen und die Wirkung betriebswirtschaftlicher Methodik auf Qualitätskriterien anwenden, die über das gewählte Hilfskonstrukt vermuteter Meritorik auch rein publizistisch von Interesse sind.

Fraglos sind redaktionelle Einheiten – zumindest jene der privatwirtschaftlich organi-sierten Medienformen – in betriebswirtschaftliche Realitäten eingebunden und jede auf Veränderung der Inhaltsstruktur zielende Aktivität, wird in diesen wie auch immer gelager-te Folgen zeitigen. Dessen ungeachtet erlaubt die Ökonomie der Publizistik über die real-ökonomischen Zusammenhänge hinausgehend, die Aspekte öffentlicher Güter, die Me-dienprodukte unstrittig besitzen, durch den Einsatz betriebswirtschaftlicher Werkzeuge zu stützen. Diese Vorgehensweise präsentiert also auch eine Reaktionsmöglichkeit des Journa-lismus auf das von zunehmender Kommerzialisierung und Kommodifizierung geprägte Marktgeschehen (eine ausführliche Diskussion der Begrifflichkeiten folgt im zweiten Ab-schnitt dieses Kapitels). Um diesen Kunstgriff anzuwenden, werden Redaktionen aus dem neoklassischen Umfeld des freien Marktgeschehens argumentativ herausgelöst und so be-trachtet, als wären sie ähnlich wie Museen, Kirchen oder gemeinnützige Vereine von einem Nonprofit-Ansatz getragen. Dies ist eine durchaus plausibel nachvollziehbare Vorgehens-

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weise, wenn man die über das normative Leistungsspektrum der Gesellschaft zugewiesenen Funktionen voraussetzt. Es muss dazu allerdings der Charakter journalistischer Medien als öffentliche Güter eigener Prägung einbezogen und damit ganz besonders auf die vermuteten meritorischen Bedürfnisaspekte der kommunikativen Leistung verwiesen werden. Dies wird im Verlauf dieses Kapitels geschehen. Zur Erinnerung: Öffentliche Güter sind auch Rechtssicherheit, sozialer Frieden und ebenfalls eine gut informierte Öffentlichkeit. Diese Güter bereitzustellen, schafft erheblichen Aufwand. Und weil von der Nutzung selbst nie-mand ausgeschlossen werden kann und/oder beim Konsum keine Rivalität auftritt, ziehen es Akteure höchstwahrscheinlich vor, eines dieser öffentlichen Güter zu nutzen, ohne im Gegenzug adäquate Aufwendungen zu leisten. Damit ist die kontinuierliche Bereitstellung des öffentlichen Gutes tendenziell gefährdet. Da aber ein allgemeines Interesse (wie auch immer dies im Einzelfall ausgeprägt sein mag, sei hier dahingestellt) an der Bereitstellung der genannten öffentlichen Güter besteht, ist es entsprechend politisch durchsetzbar, diese Bereitstellung durch verbindliche Regeln zu sichern. Damit beziehen sich letzten Endes viele medienökonomischen Fragestellungen auf die Rolle des Staates, auf die Legitimation von Marktinterventionen. Dies gilt nicht nur für die Medienmärkte insgesamt sondern auch für den publizistischen Wettbewerb. Die Ökonomie der Publizistik greift diese Zusammen-hänge jedoch nur insoweit auf, als sie daraus das Spannungsfeld zwischen publizistischem Markterfolg und Anpassung an möglicherweise „niedere“ Bedürfnisse eines (informatori-schen) Massenmarktes aufzeigt. Dies muss deshalb eingebracht und vertieft werden, weil man daran erkennt, in welcher gesellschaftlichen Verantwortung der Einsatz von Instru-menten einer Ökonomie der Publizistik steht. Wenn Marketing und Benchmarking – zwei ausgewählte Arbeitstechniken, an denen die Umsetzung eines entmonetarisierten ökonomi-schen Anspruches der Redaktion verdeutlicht werden soll – positive Wirkungen auf Krite-rien des Kategoriensystems meritorischer Qualität (vgl. Kapitel 2), so muss die Meritorität von bestimmten Medieninhalten oder, genauer, die Meritorität der Bedürfnisse, die diese Inhalte beim Rezipienten befriedigen, festgestellt und die Instanzen, die diese Feststellung treffen, legitimiert sein. Hierin liegt eines der größten Probleme moderner Medienwissen-schaft. Diese Zusammenhänge können nun über gesetzliche Regelungen in ein System gesellschaftlicher Normierung eingebettet sein – damit freilich ist die Legitimation nicht geklärt. Dennoch geht es in dieser Arbeit auch um eine Ökonomie der Redaktion, deren Legitimation auf Basis eines meritorischen Qualitätsbegriffes für das journalistische Pro-dukt erfolgt. Problematisch dabei ist – und davor darf man nicht die Augen verschließen –, dass dies nur über konsequente Setzungen erfolgreich durchgeführt werden kann, und so auch die Frage nach der Qualität in einer Ökonomie der Publizistik stets eine Frage der gewählten Strategie und damit eine nach der Ausrichtung des Medienmanagements ist.

Die vorliegende Arbeit leistet in diesem Kontext folgendes:

Sie grenzt die Begriffsfamilie der Ökonomisierung, Kommerzialisierung und Kommo-difizierung neu ab, um insbesondere die Ökonomisierungs-Debatte auf eine bislang ungewohnte Weise zu neutralisieren. Sie erläutert darüber hinaus, warum der Zeitpunkt, das Konstrukt der publizistischen Ökonomie zu diskutieren, gut gewählt ist. Die vielfach betonte (vgl. Friedrich-sen/Kurad 2004, S. 21; Schenk/Wolf 2004, S. 35 ff.) aber auch zurückgewiesene (vgl. Ludwig 2004, S. 45) Krise der Medienwirtschaft (vgl. zur Gesamtproblematik Fried-

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richsen/Schenk 2004) verlangt geradezu nach einer strukturierten Vorgehensweise der Redaktionen. Sie beschäftigt sich mit dem Konzept der Meritorik und führt die Auseinandersetzung mit diesem auf den ursprünglichen Ansatz von Musgrave (1959) zurück, der von meri-torischen Bedürfnissen ausgeht und erst weit später (vgl. z.B. 1987) von meritorischen Gütern spricht. So gesehen wird bei der Anwendung der Meritorik auf journalistische Medien, insbesondere deren Inhaltsaspekte, einer nachfrageorientierten Betrachtung (Bedürfnisaspekte) höheres Gewicht zugesprochen als der angebotsorientierten (Gü-teraspekt). Die nachfrageorientierte Betrachtung muss auch handlungstheoretische Überlegungen in den Blick nehmen, um gesellschaftlich normierte Funktionen der Medien zu disku-tieren – mehr nicht, da ja schon diese Normierung unter konsequent handlungstheore-tischen Gesichtspunkten in Frage steht. Will sagen: Auch die Meritorik-Diskussion ist stets mit einem Fragezeichen zu versehen, da ihre Legitimation über Präferenzen aus handlungstheoretischer Sicht schwer abzuleiten ist. Hinzu kommt die Problematik, dass vielfach mit unpräzisen Rechtsbegriffen gearbeitet wird, was schließlich ist „öf-fentliche Aufgabe“? Sie greift die Anpassungshypothese als Erklärungsmodell der frühen 1970er Jahre wieder auf, da dieses Konstrukt nach wie vor hohe Erklärungskraft für Medienqualität in der wissenschaftlichen Annäherung besitzt – unabhängig von einer möglichen Veri-fizierung oder Falsifizierung. Viele Ansätze und Konzeptionen verweisen bis heute auf die Zusammenhänge der Anpassungshypothese und ihre formulierte Befürchtung von negativen Auswirkungen auf die Inhaltsqualität von Medien bei fortschreitender Kommerzialisierung (die Betonung der betriebswirtschaftlichen Seite in der Medien-produktion führt nach Holzer (1969) zu einer Orientierung am vermeintlichen Mas-sengeschmack und damit zu einer Qualitätsverschlechterung des Medieninhalts). In der Auseinandersetzung mit dieser These kann zusätzlich eine Unterscheidung zwi-schen Gratis- und Kaufmedien als sinnvoll erachtet werden, da bei letzteren zusätzlich der Aspekt der „Wertigkeit“ hinzukommt. Oder, wie es die Betriebswirtschaftslehre formuliert: bei Kaufmedien spielt der im Vergleich deutlich höher liegende „wahrge-nommene Wert“ eine Rolle. Sie zeigt in diesem Zusammenhang, dass Qualität für journalistische Arbeitsrealitäten ein definiertes Qualitätsverständnis benötigt, das in Form von Setzungen erfolgt. Qua-lität ist damit ein Instrument strategischer Wahl – so wie andere Aspekte ebenso stra-tegisch wählbar sind, die Frage nach einer Gestaltung der Medienorganisation im Sin-ne von Kerngeschäft oder Kernkompetenz. Dieser Ansatz wird zur Veranschaulichung beispielhaft hier entwickelt. Sie stellt unterschiedliche Wege vor, wie Qualität im Journalismus definiert, kategori-siert oder gemessen werden kann und entwickelt in einem Akt konsequenter Redukti-on den Begriff der meritorischen Qualität. In diesen dürfen allein jene Kriterien Ein-zug halten, die dem (nachfrageorientierten) Konzept der Meritorik, wie es in dieser Arbeit gewählt wird, nicht zuwider laufen. Meritorische Qualität wird hier als ein zent-rales Kategoriensystem eingeführt, das bei entsprechenden strategischen Optionen des Medienmanagements am Ende auch Subventionen für die mediale Inhaltsproduktion rechtfertigen kann.

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Sie macht plausibel, dass betriebswirtschaftliche Arbeitstechniken auch in Nonprofit-Situationen funktionsfähig angewendet werden können. Wenn dies der Fall ist, kann man ihren Einsatz im redaktionellen Umfeld ohne den gesamtunternehmerischen An-spruch der Gewinnmaximierung erproben. Dies ist sozusagen auch Voraussetzung da-für, einen Qualitätsbegriff zu formulieren, der (gesellschaftliche, von höheren Präfe-renzordnungen geprägte) Standards (meritorische Qualität) vorgibt. Sie grenzt einen eher statisch angelegten Qualitätsbegriff von einem dynamisierten, aktivitätsorientierten Kategoriensystem sowie von strategischem Qualitätsmanagement ab. Die Vermischung der Ebenen, hat in der jüngeren Vergangenheit – auch und insbe-sondere in der Beschäftigung mit Total Quality Management (TQM) – für eine nicht immer konsistente Auseinandersetzung mit den Ebenen der betriebswirtschaftlich mo-tivierten Arbeitstechniken gesorgt. Die Rückführung auf die Deming-Kriterien (vgl. Deming 1982, 1986) als Ausgangspunkt für Qualitätsmanagement vermeidet die Ge-fahr, dass TQM als quasi selbstreferenzielles System institutioneller Selbstoptimierung implementiert wird. Sie zeigt an ausgewählten Arbeitstechniken der Betriebswirtschaftslehre, dass deren Einsatz in der Praxis durchaus positiv auf die Qualität des Mediums wirken kann – und zwar unabhängig davon, ob ein stark individualistisch gewichtetes (marketingori-entierter Begriff) oder ein als gesellschaftlicher Standard vorgebbares Verständnis von Qualität zugrunde gelegt wird. Die Betriebswirtschafts-, genauer die Managementlehre der vergangenen 50 Jahre hat eine Vielzahl von Methoden und Werkzeugen entwi-ckelt, mit deren Hilfe sich Qualität in Herstellungssituationen optimieren lässt; sie hat Modelle geschaffen, die ohne Probleme auch für Medienunternehmen heranzuziehen sind und die sich auch auf die journalistische Arbeitssituation anwenden lassen. Dies gilt selbst bei der sicher auch weiterhin starken Trennung zwischen betriebswirtschaft-lichen und redaktionellen Einheiten in Medienunternehmen.

Viele dieser Arbeitstechniken können als wertvolle Hilfsmittel der Zukunftssi-cherung der Redaktionen dienen – sei es Marketing (vgl. Kotler/ Bliemel 1997, Nieschlag/Dichtl/Hörschgen 1994), Controlling (vgl. Horváth 1990, vgl. May-er/Weber 1990), seien es Balanced Scorecards (vgl. Kaplan/Norton 1992, 1993, 1996), sei es Dezentralisierung (vgl. Sloan 1963, 1966, 1986), seien es Konzepte der Lernenden Organisation (vgl. Senge 1990, 1994), oder solche, die Action Learning im Sinne von Revans (vgl. Revans 1966, 1971, 1979) bzw. Wettbewerbsstrategien (Porter 1980, 1985, 1986, 1990) in den Mittelpunkt stellen. Ebenso lassen sich die Führungsprinzipien im Sinne der „Management by Objectives“ (vgl. Humble 1971) oder Hygiene- und Motivationsfaktoren nach Herzberg (vgl. 1966, 1968, 1976 sowie Herzberg/Mausner/Snyderman 1959) in der Medienpraxis anwenden. Ebenso gut kann man das Konzept der Kompetenzkreuzungen nach Meier (2002, vgl. S. 428 f.) als qualitätsrelevant berücksichtigen, das sich direkt auf die Organisation der Redaktion bezieht. Das wäre deshalb interessant, weil auch Meier seine Forschungen nicht fern ökonomisch motivierter Einflussfak-toren positioniert (vgl. 2002, S. 327 ff.). Meier (2002) argumentiert mit Hilfe des Begriffs Ressortautonomie (vgl. 2002, S. 128 und 356). Das ist in seinem Ansatz konsequent und richtig. Er postuliert dabei den Abschied von der Glei-

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chung Ressort = Sparte (vgl. S. 428). Im Gegensatz dazu greift diese Arbeit weiter und liefert Hilfestellungen, wie einem im Kommerzialisierungsprozess (vgl. den folgenden Abschnitt) drohenden Abschied von der Redaktionsauto-nomie entgegenzutreten ist.

Sie stellt für die Analyse zwei mit Punkt 3 kompatible Arbeitstechniken in den Blick-punkt: erstens Marketing, zweitens Benchmarking. Diese beiden Arbeitstechniken werden aus dem angedeuteten Katalog bewusst ausgewählt.

Marketing avancierte in den vergangenen 20 Jahren zur Führungsfunktion in Unternehmen – vor allen Dingen deshalb, weil sich in immer mehr Branchen der Wandel von einem Verkäufer- hin zu einem Käufermarkt, von der Produk-tions- hin zur Marketingorientierung vollzogen hat. Selbst wenn dies nicht flä-chendeckend für die Wirtschaftspraxis und nach wie vor überwiegend im Ide-albild der Wirtschaftswissenschaften gilt, dominiert die Orientierung am Markt alle wertschöpfungsrelevanten betrieblichen Einheiten (vgl. dazu insbes. Kot-ler/Bliemel 1997). Die Studien zum redaktionellen Marketing (vgl. Rau 2000a, Möllmann 2000) werden aus Sicht der Theorie erheblich erweitert und eine Marketingorientie-rung mit Ausrichtung auf den in der dualen Ökonomie bereits in früheren Pub-likationen als dominant abgeleiteten Rezipientenmarkt (vgl. Rau 2000a, S. 101 f.) praxiskonform diskutiert. Es wird außerdem ersichtlich, dass der Einsatz von redaktionellem Marketing nicht zwingend eine Orientierung am (vermeintlichen) Massengeschmack der Rezipienten bedeutet. Marketing agiert nie frei von Beschränkungen, gesell-schaftlichen Normenkatalogen oder geltenden rechtlichen Rahmenbedingun-gen. Dabei muss auch klar werden, dass die Implementierung von Methoden wie Marketing zwar in einem Nonprofit-Umfeld stattfinden kann (also in einer be-wusst aus dem realökonomischen Kontext herausgelösten Redaktion bei-spielsweise), dass in privatwirtschaftlichen Organisationen aber dennoch auch Wirkungen auf den ökonomischen Gesamtzusammenhang möglich sind. Setzt man also zum Beispiel redaktionelles Marketing ein und versteht es als Opti-mierungswerkzeug im Kategoriensystem meritorischer Qualität (dieser Begriff wird in Abgrenzung später herauszuarbeiten sein), hat der Einsatz dennoch Wirkungen auf die ökonomische Realität und damit eventuell auch auf die Er-tragskraft des Medienunternehmens. Ein Einsatz von betriebswirtschaftlichen Werkzeugen ohne den Basiskonsens zum Erhalt der Unternehmung ist damit ausgeschlossen. Es gibt also restringierende Faktoren für den Einsatz der Me-thoden.

Benchmarking ist eines der betriebswirtschaftlichen Instrumente, denen eine Nähe zur Frage nach Qualität inhärent ist. So ist der Einsatz von Benchmarking ein wesentliches Kriterium bei der Vergabe von Auszeichnungen wie dem Malcolm Baldridge Award oder dem European Quality Award. Dennoch ist Benchmarking zumindest im europäi-schen Kulturkreis ein noch immer eher wenig verbreitetes Werkzeug der unternehme-

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rischen Praxis (vgl. z.B. Rau 2000b), insbesondere dann, wenn funktionales oder über-tragendes Benchmarking ins Zentrum der Recherche rücken, also dann, wenn man mit Hilfe der Methode über den eigenen Branchen-Tellerrand hinausblicken muss. Gerade diese Varianten der Benchmarking-Aktivität bieten eine Vielzahl von Lernaspekten für Medienunternehmen.

1.3 Ökonomisierung, Kommerzialisierung, Kommodifizierung

In den vergangenen Jahren wurde immer wieder das Bild der Medienkrise bemüht (vgl. u.a. Friedrichsen/Schenk 2004; Sjurts 2004). Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit zentralen Begriffen und will nicht erneut die Frage nach einer tatsächlichen oder nur vermeintlichen Medienkrise stellen und bekannte Argumente wiederholen – vielmehr wird angesichts eines fortschreitenden Kommerzialisierungsprozesses eine Krise des Journalismus impliziert – dies auch, um die Ökonomie der Publizistik in einen aktuellen Zusammenhang zu stellen. Das heißt: Es wird davon ausgegangen, dass den Journalisten (nicht zuletzt auf Basis der Forschungen in den 1990er Jahren, die eine Ökonomieferne der Redaktion nachweisen konnten, vgl. Rau 2000a, S. 115 ff.) vielfach der Zugang zu ökonomischem Verständnis fehlt. Damit werden aber auch positive Wirkungen ausgegrenzt, die Rationalisierung und Effizienzsteigerung fraglos haben können. Die Redaktion unterwirft sich, wenn der Druck auf die Bilanzen zunimmt, „kampflos“ den vom Kommerzialisierungsstreben geprägten Einheiten in Medienunternehmen, weil sie keine zielführenden Antworten bereithält. (Die-ser Bilanzdruck wird übrigens traditionell gerade in Presseunternehmen schnell weiterge-geben, da eine Fremd- (als Zwischen-)finanzierung über Kredite in der Vergangenheit ger-ne mit dem Argument abgelehnt wurde, dass man sich dann in große Abhängigkeiten von Kreditinstituten begebe, die man als „vierte Gewalt“ schließlich auch zu „überwachen“ habe). In diesen Zusammenhängen liegt die eigentliche Ursache für die Krise des Journa-lismus und die Ökonomie der Publizistik wird zu einem Hilfsmittel der Redaktion, in einer zunehmend konfliktreichen gesamtwirtschaftlichen Situation, die Befriedigung von merito-rischen Bedürfnissen weiterhin zu ermöglichen. Weil die Begrifflichkeiten nach wie vor unscharf verwendet werden, erfolgt in diesem Abschnitt eine Neuverortung, wobei insbe-sondere der Ökonomisierungsbegriff in anderer Weise als der bisher Gewohnten (vgl. z.B. Heinrich 2001b) abgegrenzt und als zusätzliche Option die Kommodifizierung eingeführt wird.

1.3.1 Die „Medienkrise“ und die Ökonomie der Publizistik

Die Kernfrage medienökonomischer Diskussion hat bereits Max Weber auf seiner Rede auf dem ersten Deutschen Soziologentag in Frankfurt im Jahr 1910 in eine Kurzform gebracht: „Wir müssen uns fragen: Was bedeutet die kapitalistische Entwicklung innerhalb des Pres-sewesens für die soziologische Position der Presse im Allgemeinen, für ihre Rolle innerhalb der Entstehung der öffentlichen Meinung?“ (Weber 1988a, S. 431 ff., Weber 1988b, S. 20). Diese Äußerung wird bis heute von zahlreichen Medienökonomen aufgegriffen (vgl. z.B. Steininger, 2002, S. 257 oder auch Kiefer 2001): „Diese Frage ist auch heute von der Kommunikationswissenschaft als der für Medien und öffentliche Kommunikation zustän-

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digen Wissenschaftsdisziplin noch weitgehend unbeantwortet.“ Kiefer (2001, S. 17). Oder Denis McQuail: Er sah in der Folge in einer fortschreitenden Kommerzialisierung ange-sichts der Transformationsprozesse im Übergang zum Dualen Rundfunk die Gefahr, dass die erkannten Ambivalenzen zwischen den Charakteristika öffentlicher Güter (journalisti-sche Inhaltsproduktion) und jenen marktfähiger Konsumgüter (Medien als Kuppelprodukt) zu kippen drohen. Die ökonomischen Ziele werden mit den „ideellen“ oder kommunikati-ven Zielen in Konflikt geraten, diese schließlich verdrängen und Selbstzweck werden (vgl. McQuail 1986, S. 635).

Es soll im Rahmen dieser Arbeit bewusst nicht weiter vertieft werden, inwieweit poli-tische Einflussnahme oder eine, wie es Hoffmann-Riem (2002, S. 49 f.) formuliert, „regu-lierte Selbstregulierung“ die publizistischen Akteure vom Prozess der Kommerzialisierung entlastet oder gar befreit. Auch auf diesem Feld ist die Diskussion weit fortgeschritten – zumal sich hier die Globalisierungsdebatte im Sinne einer weiter um sich greifenden verti-kalen Konzentration niederschlägt. Besonders konsequent hat dies sicher Leidinger (2003, S. 334 ff.) beschrieben, die eine Entwicklung von der Transnationalisierung zur Globalisie-rung der Medien nachvollzieht, in dem sie insbesondere auf die vertikale Konzentrations-bewegung abhebt. Ein zusätzlicher Punkt soll hier jedoch zumindest angedeutet werden, da dieser Aspekt von hohem Interesse für die Situation im medienwirtschaftlichen Entschei-dungsumfeld ist. Goldschmidt (2000, S. 12) nutzt den Begriff der „Therapeutokratie“ und stützt sich damit auf einen von Habermas (1981, S. 533) geprägten Ansatz. Gemeint ist, dass Politik immer nur therapeutisch-reduziert, im Grunde punktuell eingreift, nie aber umfassend-reformerische Großlösungen bereithält. Dies verstärkt die dualistische Trennung von ökonomischer und sozialer Sphäre und wird nur durch ein integratives Verständnis beider Bereiche gelöst, wie es zum Beispiel die Ordoliberalisten präsentieren. Natürlich wird niemand einschreiten wollen, solange ausreichend Gewinne erwirtschaftet werden, solange in der „sozialen Marktwirtschaft“ genügend Wachstum generiert wird, das die Folgen materieller Ungleichheit kompensieren kann. Verlangsamt sich aber das wirtschaft-liche Wachstum, treten die Probleme des Wohlfahrtsstaates am Kristallisationspunkt des finanziellen Bankrotts offen zu Tage. Auch in der Medienwirtschaft waren die Manage-mentinstrumente an einer „Schönwetter-Programmatik“ ausgerichtet, wie sie Pies (1998, S. 107) für die „soziale Marktwirtschaft“ beschreibt. Die Berücksichtigung, ja gerade die programmatische Stützung öffentlicher und vielleicht gar vermeintlicher meritorischer Güteraspekte ist leicht durchzusetzen, wenn Umsatzrenditen davon unbeeinträchtigt blei-ben. Zeigt die Wachstumskurve – wie für die großen Tageszeitungsverlage nach dem Jahr-tausendwechsel – nach unten, rückt zunehmend eine konsequente Marktausrichtung ins Zentrum der Überlegungen. Das Risiko steigt, dass Medienschaffende in immer geringerem Ausmaß den Anspruch haben, Bedürfnisse zu befriedigen, die nicht unbedingt mit dem Produktabsatz korrelieren. Vielleicht müsste man die von McQuail im Jahre 1986 vorge-schlagene Kosten-Nutzen-Analyse heute erneut durchführen, und möglicherweise käme man zu einem neuen Schluss. Damals jedenfalls betonte er (S. 642 f.), dass marktwirt-schaftliche Ausrichtung und gemeinwohlorientierte öffentliche Kommunikation harmoni-siert bestehen können, und sich die Unabhängigkeit der Journalisten bewahren lässt. Diese Arbeit will genau an diesem Punkt ansetzen und zu einer Aktivierung der Redaktionen beitragen, indem funktionsfähige Hilfsmittel beziehungsweise im Grunde leicht anzuwen-dende und einfach zu implementierende Arbeitstechniken offeriert werden. Denn es steht zu befürchten, dass diese einem im globalen Maßstab weiter voranschreitenden Kommerzi-

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alisierungsprozess sprach- und regungslos gegenüberstehen. Ein Indiz? Spätestens mit den Übernahme von Berliner Zeitung und Berliner Kurier (Holtzbrinck-Verlagsgruppe) durch den britischen Investor David „Rommel“ Montgomery (über die Beteiligungsgesellschaften Mecom und Veronis, Suhler, Stevenson) ist erstmalig auch der bislang fest in deutscher Hand befindliche Markt für die regionalen Tageszeitungen Objekt der internationalen Be-gehrlichkeit geworden (Kielinger 2005). Das Beispiel Berlin eignet sich gut dafür, die Re-daktionen aufzufordern, sich zumindest mittelfristig mit Einflüssen einer zunehmenden Internationalisierung der Medienmärkte auf ihre berufliche Situation, genauer ihre Arbeits- und Produktionsbedingungen zu beschäftigen. Bislang zeigt sich diese Internationalisierung noch überwiegend im Bereich der Besitzverhältnisse – es mehren sich jedoch Anzeichen, die den Kommerzialisierungsdruck in einem internationalen Kontext definieren. So wurden bereits Einflussnahmen westeuropäischer Verleger auf die redaktionelle Gestaltung von Zeitungen in Osteuropa verzeichnet, und der Umbau von Redaktionen unter internationalen (monetär motivierten) Effizienzkriterien ist angesichts von weniger publizistisch denn be-triebswirtschaftlich ausgewiesenen Akteuren im Management von Medienunternehmen bald zu erwarten.

1.3.1.1 Vier Thesen zur „Medienkrise“

Zu Beginn dieses Abschnittes einige polemisch-pointierte Aussagen: Haben sich die öko-nomischen Rahmenbedingungen verändert, hat die zunehmende Auseinandersetzung mit den „neuen“ Medien, mit Onlineangeboten insbesondere, die Medienanbieter das Fürchten gelehrt? Die Medienwirtschaft steht derzeit am Beginn eines evolutorischen Transformati-onsprozesses, dessen Tragweite und Dramatik kaum abzuschätzen ist. Die aktuellen Ge-schäftsmodelle stehen auf dem Prüfstand und sie werden sich verändern müssen. Die Marktakteure dürfen derweil nach neuen Wegen des transparenten Ausgleichs zwischen Angebot und Nachfrage im wirtschaftlichen und publizistischen Wettbewerb suchen. Und schließlich haben sie sich im demokratischen Umfeld einmal mehr Gedanken über die Grundfrage aller Medienökonomie zu machen: wie Markt und Meritorik zu harmonisieren sind: „Denn jene Krise, die heute schon eine Krise des Journalismus ist, wird sich weiter verschärfen.“ (vgl. Rau 2003).

Eine prinzipiell viergeteilte These hilft bei der Einschätzung der Krisensituation:

Die Medienkrise ist (k)eine ökonomische. Umsatzrenditen fallen, über Jahrzehnte ertragreiche Unternehmen schreiben im laufenden Betrieb (also ohne Neuinvestitio-nen) Verluste, der Ausflug in das Internet hat in vielen Unternehmen zu Beginn des dritten Jahrtausends Geld verbrannt, das Erträge aus dem Neugeschäft nicht wieder einbringen konnten. Dass diese ökonomisch-betriebswirtschaftliche Krise nicht schär-fer und dramatischer ist als diejenige, die andere Branchen zu durchlaufen hatten oder haben, hat im Übrigen Ludwig (2004, S. 45 ff.) anschaulich nachgewiesen. Die Medienkrise ist (k)eine konjunkturelle. Der Werbemarkt bricht in der Rezession ein. Möglicherweise lassen sich auch Werbeausgaben als Frühindikator für rezessive Tendenzen einer Volkswirtschaft heranziehen. Die Abhängigkeit der privatwirtschaft-lichen Medienproduktion vom Werbemarkt ist eines ihrer wesentlichen Charakteristi-ka, die duale Ökonomie ist längst Paradigma. Der Preis, den der Rezipient für ein Me-

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dium bezahlt, setzt sich zum einen aus dem (Geld-)Betrag zusammen, den er für das Medienangebot bezahlen muss (Kaufpreis für Zeitschriften, Zeitungen, Gebühren für die öffentlich-rechtlichen Sendeangebote, Kaufpreis für Bezahlangebote im elektroni-schen Bereich („Pay per View“)), zum anderen aus der Bereitschaft, Werbebotschaften zu konsumieren. Dass auch die informatorischen Inhalte der Werbeaussagen eine durchaus positive Wertigkeit haben können und als Grund des Medienkonsums dienen können, soll hier außer Acht gelassen werden. Bereits 2000 wurde über den Auflagen-vergleich von Tageszeitungen und von Anzeigenblättern (vgl. Rau 2000, S. 101) nachgewiesen, dass die Märkte in einer klaren Abhängigkeit stehen, und die Werbeak-zeptanz für die Produktion des journalistischen Medieninhalts und Angebots in der theoretischen Analyse unbeachtet bleiben kann. Die Medienkrise ist eine (!) managementbezogene. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten, funktionieren Strategien der Erweiterung nur dann, wenn dieses Wachstum durch zusätzliche Erträge gesichert ist. Manager, die im Aufbau positive Kräfte entfal-ten, sind im Abschwung stark überfordert – und umgekehrt. Es liegt in der Natur der Sache, dass betriebswirtschaftliche Reaktionen in die eine wie in die andere Richtung heftig ausfallen können (vgl. Rau 2004b, S. 244). Vor allen Dingen dann, wenn die Medienrezeption nachwachsender Generationen stark durch Phänomene geprägt ist, die im noch immer unzureichend definitorisch gefüllten Terminus Web 2.0 zusam-mengefasst werden. Im vom „user generated content“ getriebenen Web 2.0 sind jene Medienmanager besonders erfolgreich, die Inhalte nicht mehr länger redaktionell-journalistisch aufbereiten wollen, sondern jene, die Plattformen mit hoher Reichweite und nahezu unbegrenzter „Connectivity“ zur Verfügung stellen. Wirtschaftlicher Er-folg korreliert hier direkt mit dem netzwerkeffektabhängigen Faktor „Connectivity“, der allerdings erst dadurch zur wirtschaftlichen Größe wird, weil er in höchstem Maße transparent ist. Die Medienkrise ist eine (!) journalistische. Der Journalismus hat in den vergange-nen Jahren in vielen Mediengattungen die Annäherung an betriebswirtschaftliche Fra-gestellungen abgelehnt (vgl. Rau 2000 mit dem Stichwort „die Ökonomieferne der Redaktion“). Dies rächt sich in Zeiten, in denen der wirtschaftliche Druck auf die Me-dien und ihre Unternehmer wächst. Es gibt keine Eskalationspläne, keine geübten Me-chanismen der Reaktion auf zunehmenden ökonomischen Druck. Hinzu kommt ein weiterer Faktor: Die Führungsetagen haben sich verändert. Statt inhaltlich vorgepräg-ter, journalistisch versierter Manager als Herausgeber oder Programmdirektoren, hält in vielen Medienunternehmen zunehmend eine neue Generation Einzug, die nicht mehr länger auf eine „journalistische Sozialisation“ verweisen kann. An die Stelle großer Gründergestalten sind Verlagsmanager getreten (Haller 1997, S. 62). So pro-movierte beispielsweise der Geschäftsführer des Mannheimer Morgen als Maschinen-bauer über Schweißtechnologien unter Wasser. Und an seiner Seite ist nicht mehr län-ger ein starker Herausgeber wie Karl Ackermann, der als „Ex-Kommunist“ und Li-zenznehmer der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg über Jahrzehnte die Geschicke des Zeitungshauses maßgeblich beeinflusst hat1.

1 Diese Aussagen gehen auf ein persönliches Gespräch mit Gert Goebel, dem seinerzeitigen Leiter der Wirtschafts-redaktion des Mannheimer Morgen, am Rande einer Veranstaltung des Clubs kurpfälzischer Wirtschaftsjournalis-ten zurück.

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1.3.1.2 Ökonomie als Triebfeder der Transformationsprozesse

Die Basis für eine freiheitliche demokratische Medienlandschaft hat sich gewandelt (zu einer näheren Betrachtung vgl. Rau 2004b). Als These kann man formulieren: Transforma-tionsprozesse im Medienmarkt der vergangenen Jahrzehnte waren technikinduziert oder von ökonomischen Veränderungen getrieben. All diese Transformationen hatten auch und insbesondere Auswirkungen auf die Gestaltung, die Mischung und die Präsentation der Inhalte. Ein Indiz bestätigt: Der Diskurs zur Feier des zehnjährigen Bestehens des Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig, bei dem es unter dem Titel „Die Attraktion der Medien“ vor allen Dingen um die Subjekt-Objekt-Relation ging, begann und endete – obwohl bewusst interdisziplinär angelegt – bei der Ökonomie. „Das Programm des Programms ist nicht Inhalt, sondern Ökonomie“, sagte zum Beispiel Rüdiger Steinmetz (2003, o.S.) vom Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig. Für Christian Fenner, Politikwissenschaftler der Universität (2003, o.S.), ist es überhaupt das Ziel der Politik, Marktversagen zu korrigieren. Demokratie sei in seinem thesenartigen Verständnis „die Folge der liberalisierenden industriellen Revoluti-on“.

Journalisten in privatwirtschaftlich operierenden Medien können sich dem nicht ver-schließen. Als Mitarbeiter in den Redaktionen sind sie Teil von Organisationen, die im Grunde einem ökonomischen Prinzip folgen: der Gewinnmaximierung. Nun kann man dieses Bestreben mit Hilfe von Gesetzen, Regelungen, Verordnungen und auch mit Maß-nahmen der Selbstbeschränkung, mit einem Kodex oder geübtem Standesrecht steuern und beeinflussen, um damit unerwünschte Marktentwicklungen oder echtes, beziehungsweise vermeintliches Marktversagen zu beeinflussen (mit dem Anspruch entsprechend über Sank-tionen oder Subventionen marktgestaltend einzuwirken). Man wird dies aber nur insoweit können, als man die Gewinnerzielungsabsicht nicht konterkariert oder aber für Güterange-bote, die meritorische Bedürfnisse befriedigen können, alternative, von der Gesellschaft gestützte Formen der Finanzierung findet. Das ist ebenso simpel wie einleuchtend: Ein Medienunternehmen kann eben als privatwirtschaftlich organisiertes Subjekt am Markt nur so lange überleben, wie sich Erlöse und Kosten auf Dauer mindestens die Waage halten. Die Zwischenfinanzierung von vorübergehenden Engpässen oder langfristig orientierten Investitionen im unternehmerischen Risiko ist mit Hilfe von Fremdkapital natürlich mög-lich. Dennoch wird die Sicherung des reinen Status quo nicht ausreichen. Erst dann, wenn Gewinne die Kosten übersteigen, wird das Engagement für den Investor interessant und zumindest attraktiver als andere Anlageformen. Deshalb steigt zum Beispiel regelmäßig die Zahl der Anträge zur Fusionierung von Wirtschaftssubjekten der Branche, wenn die wirt-schaftlichen Daten in dieser nach unten zeigen. In diesen Zeiten werden andere Anlagen bevorzugt. Nicht erst seit Einführung des privaten Rundfunks in den 1980er Jahren oder der bestehenden – beziehungsweise vielleicht ja auch nur vermeintlichen – Medienkrise des beginnenden Jahrtausends ist es, so gesehen, geradezu Journalistenpflicht, sich mit medien-ökonomischen Zusammenhängen auseinanderzusetzen.

Die Beschäftigung mit den Auswirkungen von Kommerzialisierungsprozessen zeigt, die meisten Lösungen für wichtige Fragestellungen der Publizistischen Ökonomie werden von den Wirtschaftswissenschaften bereits zur Verfügung gestellt und der Begriff kann damit tatsächlich dem der Medienökonomie zur Seite gestellt werden:

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Die Publizistische Ökonomie oder Ökonomie der Publizistik beschreibt dann all jene akteursgebundenen Aspekte der Medienökonomie, die nicht länger auf monetär-gewinn-maximierende Zusammenhänge ausgerichtet sind. Diese Differenzierung hilft der Argumen-tation dieser Arbeit und betont regelmäßig den Nonprofit-Aspekt in den hier bemühten medienwirtschaftlichen Denkmodellen.

1.3.2 Aspekte einer Kommerzialisierungsdebatte

1.3.2.1 Die „Medienkrise“ und die Politische Ökonomie der Medien

Ob und wie Medienunternehmen in der Krise stecken und welche Implikationen und Maß-nahmen daraus resultieren, beschäftigte Medienschaffende und Medienökonomen im histo-rischen Kontext immer wieder: Im vergangenen Jahrhundert war dies insbesondere zu jenen Gelegenheiten der Fall, in denen Medienmärkte Konzentrationsschübe erlebten. So erschien zum Beispiel die wohl breitflächigste medienökonomische Auseinandersetzung mit den Faktoren „Produktion“ (vgl. Prokop 1972c) und „Konsumtion“ (vgl. Prokop 1973) in den frühen 1970er Jahren, also just zu jener Zeit, als aufgrund der Konzentrationswellen im deutschen Tageszeitungsmarkt auch eine neue Pressefusionskontrolle vorbereitet und auf den Weg gebracht wurde. Das beginnende dritte Jahrtausend nimmt, wie beschrieben, eben-falls in differenzierter Weise Krisenszenarien in den Blick (vgl. Friedrichsen/Schenk 2004, S. 21 ff.) – wobei interessant erscheint, dass viele Fragestellungen und Themen erneut auf der Tagesordnung stehen. Beispielsweise regte ja auch die vor der Übernahme durch die britisch-amerikanischen Investoren die paradoxe Situation auf dem Berliner Zeitungsmarkt dazu an, eine neue Pressefusionskontrolle zu diskutieren. In den ursprünglichen Überlegun-gen der Holtzbrinck-Gruppe, Tagesspiegel und Berliner Zeitung (mit Berliner Kurier) unter einem verlegerischen Dach zusammenzuführen und eine Stiftung einzurichten, die die re-daktionelle Selbständigkeit der einzelnen Objekte sichert, sollte der Befürchtung begegnet werden, dass die strengen Richtlinien aus den 1970er Jahren Veräußerungen und Übernah-men sogar befördern. Damit würde das Gegenteil von dem bewirkt, was die Gesetzesväter ursprünglich beabsichtigten. Dass die medienökonomischen Themen- und Thesenstellun-gen gerade der 1970er Jahre wieder neue Aktualität besitzen, dokumentiert schließlich auch die Fachgruppe Medienökonomie in der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kom-munikationswissenschaft mit ihrem Workshop zur Politischen Ökonomie der Medien im Jahr 2005 (Salzburg). Vielfach wurde dort an Fragestellungen angeknüpft, die sich bereits gut 30 Jahre zurück breiten Raum geschaffen hatten, möglicherweise aber nicht bis in ihren Kern diskutiert wurden oder zumindest nach einer Aktualisierung verlangen (vgl. Knoche 2005, o.S.). Gemeinsam ist allen aktuellen Ansätzen einer Politischen Ökonomie der Me-dien – sei es mit Fokus auf eine Neue Politische Ökonomie der Medien (Kiefer 2001; Stei-ninger 2000, 2003), sei es auf Basis der Neuen Institutionenökonomik in Anwendung auf Medienrealitäten (Heinrich/Lobigs 2003) oder in Form einer Kritik der politischen Ökono-mie der Medien (Knoche 2001, S. 177 ff.) – das Ziel, Defizite der Neoklassik zu überwin-den. Dies geschieht, indem der Blick auf das Verhältnis von Staat und Politik, von Gesell-schaft, Ökonomie und Massenkommunikation gerichtet wird (Knoche/Steininger 2004, S. 2).

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Der Verweis auf die Aktualität der Politischen Ökonomie der Medien ist für diese Ar-beit deshalb von besonderem Reiz, da sie sich im Grunde ganz ähnlich wie die Neue Insti-tutionenökonomik (als Teildisziplin einer Politischen Ökonomie) einer Übertragung wirt-schaftswissenschaftlicher Theoriebildung und Erkenntnisse bedient. Den Grund für die Wiederbelebung der Politischen Ökonomie der Medien sehen Knoche und Steininger (2004, S. 1) dabei unter anderem in der „unübersehbar fortschreitenden weltweiten Privati-sierung, Ökonomisierung, Kommerzialisierung und Kapitalisierung der Medienindustrie“. Da sie immer wieder im Zusammenhang mit einer Veränderung journalistischen Angebots angeführt werden, müssen für diese Arbeit insbesondere die beiden Vokabeln Ökonomisie-rung und Kommerzialisierung näher betrachtet werden. Schließlich rechtfertigt gerade der Begriff der Kommerzialisierung auch in dieser Arbeit als argumentativ-kausale Grundlage eine Ökonomie der Publizistik, die sich – wie noch zu zeigen sein wird – akteursbezogen versteht.

1.3.2.2 Ein neuer Ökonomisierungsbegriff

Im argumentativen Kontext dieser Arbeit fällt es vergleichsweise schwer, einen funktions-fähigen Begriff für Ökonomisierung zu finden. Meier und Jarren (2001, S. 145) betonen, dass es in der Literatur weder einen Konsens darüber gibt, welche Phänomene mit Ökono-misierung gemeint sind, noch darüber, ob der Begriff der Kommerzialisierung synonym verwendet werden kann. Diese Problematik verdichtet sich in dieser Arbeit weiter. Im Sin-ne der Ökonomie der Publizistik kann der Begriff der Ökonomisierung auch mit in der gesellschaftlichen Wirkung positivem Vorzeichen gesetzt werden, weil er nun vom Ge-winnmaximierungsanspruch und dem Primat des „Rational Choice“-Ansatzes befreit ist. So gesehen muss sich die hier verwendete Begrifflichkeit von derjenigen unterscheiden, die Heinrich (2001b) aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive für die medienökonomische Diskussion gesetzt hat. Er sieht Ökonomisierung als „die Zunahme monetärer und egoisti-scher Elemente in der Nutzenfunktion der Wirtschaftssubjekte und eine zunehmend strikte-re Anwendung des Nutzenmaximierungspostulats“ (2001b, S. 159). Auch eine Annäherung über die Beziehung der „Systemrationalitäten ‚Publizität’ und ‚Geld’“ greift so gesehen zu kurz, weil ebenfalls (über die Auswahl dieser Rationalitäten) der monetäre Fokus gesetzt wird. Auf der Ebene der Medienorganisationen mit einer Verbindung zum „Rational Choi-ce“-Ansatz ließe sich die Durchsetzungskraft der beiden Rationalitäten diskutieren – so jedenfalls schlägt es Gabriele Siegert (2001, S. 167) im Rahmen einer systemtheoretischen Betrachtung vor.

Ein kurzer Exkurs zur Frage nach der Gültigkeit des „Rational Choice“- Ansatzes, die zentraler Bestandteil jeder medienökonomischen Auseinandersetzung sein muss: Schließlich beschäftigt sich damit auch eine der jüngeren, bedeutenden Untersuchungen zur Theorie der rationalen Ent-scheidungen. Susanne Fengler und Stephan Ruß-Mohl (2005) haben den Journalisten als homo oeconomicus entdeckt und nachgewiesen, dass Journalisten vielfach eben nicht die neutralen In-formationsvermittler und selbstlosen Anwälte des Gemeinwohls sind, sondern eigene Interessen verfolgen. Zur Erinnerung: Das Menschbild des homo oeconomicus versteht den Menschen als Träger individueller Präferenzen, anhand derer er unter Ausnutzung aller verfügbaren Informa-tionen stets die für ihn vorteilhafteste Handlungsoption auswählt. In den Wirtschaftswissen-schaften werden die Akteure in der Regel deshalb als egozentrische Nutzenmaximierer model-

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liert, weil dies für viele Fragestellungen als sachgerechte Vereinfachung akzeptiert wird – gera-de unter der Voraussetzung widerstreitender Interessen (Falk 2001, S. 6). Jede Handlung des homo oeconomicus wird allein durch die Maximierung des persönlichen Nutzens auf Basis rationaler Überlegungen determiniert. In den Sozialwissenschaften, insbesondere in der Soziologie und den Wirtschaftswissenschaften,werden Ansätze, die in ihren Grundannahmen auf das Menschenbild des homo oeconomicus aufbauen, als „Rational Choice“-Ansätze bezeichnet. Insbesondere die experimentelle Ökono-mik, die Evolutions- und Verhaltensökonomik befassen sich mit beschränkt rationalen Verhal-tensmustern des Menschen, deren Gründe unter anderem in der Komplexität der Entscheidungs-situationen (Informationsbewertung, Bildung von Zukunftserwartungen etc.) liegen. Dahrendorf (1959 und erweitert 1977) hat analog dazu für seine Rollentheorie den Begriff homo sociologi-cus geprägt und verwandt. Dabei wird der homo oeconomicus oftmals als unsoziales oder amo-ralisches Wesen missverstanden. Auch Täuschung und Betrug liegen innerhalb des Spektrums rationaler Handlungsweisen zum eigenen Vorteil. Soweit jedoch seine Präferenzen das Wohlbe-finden anderer Akteure nutzensteigernd umfassen, agiert er altruistisch und egoistisch zugleich. In diesem Sinne ist beispielsweise die Fürsorge der Eltern um ihre Kinder oder Sozialismus mit dem Menschenbild des homo oeconomicus verträglich (vgl. Downs 1968, der maßgeblich zur Verbreitung des Menschenbildes homo oeconomicus in anderen Disziplinen – hier speziell in seiner ökonomischen Theorie der Politik – gesorgt hat). Eine Ökonomie der Publizistik kann unter „Nutzengesichtspunkten“ auch mit dieser Begriff-lichkeit arbeiten, braucht konsequenter gesehen jedoch das Menschenbild eines homo oecono-micus socialis, das den nutzenmaximierend denkenden „homo oeconomicus“ in einen sozialen Zusammenhang der Gemeinschaft stellt. Spätestens die spieltheoretischen Ansätze von Ocken-fels (Ockenfels/Weimann 1996, Ockenfels 1999, sowie Güth/Kliemt/Ockenfels 2003) haben bewusst gemacht, dass Menschen in klar identifizierbaren Entscheidungssituationen nicht nur egoistisch sondern ebenso altruistisch handeln – und zwar in einem Maße, das über die reine Umsetzung eigener Präferenzen (siehe oben) hinausreicht. Unfaires Verhalten anderer wird in den Spielsituationen umgehend sanktioniert (Ockenfels 1999, o.S.). Ein individualistisch ge-prägter „Rational Choice“-Ansatz für den Journalismus (wie ihn Fengler und Ruß-Mohl impli-zieren, vgl. 2005), ist somit einerseits nachvollzieh- und begründbar, andererseits ist er spätes-tens mit diesen Näherungen auf Basis der Spieltheorie zu erweitern. Das Konstrukt des homo oeconomicus socialis scheint eine begrifflich günstige Alternative. Schließlich stellt diese Be-grifflichkeit die Theorie der Rationalen Entscheidung in einen gesellschaftlichen Zusammen-hang und ermöglicht so die Berücksichtigung freiwillig übernommener normativer Aspekte. Dies ist im Kontext der Meritorik im folgenden Abschnitt (Diskussion der Präferenzen) noch einmal aufzugreifen. Der hier übernommene Begriff des homo oeconomicus socialis ist also ge-rade nicht das Gegenmodell zum homo oeconomicus. Zusätzlich wäre die Bezeichnung homo reciprocans (Falk 2001, S. 2) einzuführen, da verschiedene Experimentalstudien nach Falk bele-gen, dass der homo oeconomicus „weitaus weniger universell ist, als gemeinhin angenommen“. Die Mehrheit der Experimentalteilnehmer würde sich reziprok verhalten, das heißt sie belohne faires Verhalten und bestrafe unfaires Verhalten, selbst wenn dies mit Kosten verbunden sei (Falk 2001, S. 2). Aus der Existenz des homo reciprocans folgt, dass Gesellschaften über infor-melle Mechanismen zur Durchsetzung von Normen und Regeln verfügen. Für eine Ökonomie der Publizistik wird die Begrifflichkeit des homo oeconomicus socialis bevorzugt, da es in die-sem ökonomischen Ansatz darum geht, Nutzenkomponenten, Präferenzen und Bedürfnisstruktu-ren in neue Zusammenhänge zu stellen – hier also in einen sozial-gesellschaftlichen.

Zurück zur Frage der Ökonomisierung: Im Gegensatz zur bereits umfassend geführten Ökonomisierungsdebatte schlägt diese Arbeit vor, den wirtschaftswissenschaftlichen Beg-riff der Ökonomisierung von seiner monetären Koppelung zu befreien und so zu „neutrali-sieren“.

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Ökonomisierung beschreibt demnach die Übernahme wirtschaftsbezogener Denk- und Handlungsmuster in individual- oder organisationsbezogenen Entscheidungssituationen. In diesem Anspruch folgt die Arbeit auch der Forderung von Held und Ruß-Mohl (2005, S. 49; vgl. auch Held/Ruß-Mohl 2000, S. 361 ff.), Ökonomisierung, Rationalisierung und Effizienzsteigerung gerade im Hinblick auf eine Qualitätssteuerung in der journalistischen Produktion in einem neuen Licht zu betrachten: Diese sollten nicht mehr länger als „Anti-poden von Qualitätssicherung und Professionalisierung“ begriffen werden, vielmehr gelte es, Qualität und Effizienz in Einklang zu bringen. Übernimmt eine Redaktion Instrumente der Betriebswirtschaftslehre, um auf diesem Weg die Qualität (wie diese für solches Ent-scheidungshandeln zu definieren ist, wird erst das folgende Kapitel zeigen können) ihres Produktes zu verändern, ist dies ebenfalls ein Prozess der Ökonomisierung. Dieser muss aber nicht zwingend monetären Bezug besitzen, ja nicht einmal auf der Theorie rationaler Entscheidung basieren. Im Sinne dieser Arbeit kann also der Begriff der Ökonomisierung im Kontext einer Ökonomie der Publizistik ökonomische Regeln und Werkzeuge auf jour-nalistische Arbeitsrealitäten anwenden. Der Begriff ist – mit Blick auf den Journalismus – hier in einem weiteren Sinne zu verstehen und beschränkt sich aus Sicht der Redaktion gerade nicht auf die Transformation meritorischer in marktfähige Güter mit den Zielsetzun-gen der „Erweiterung des Marktes“ und dem „Abbau von Gründen für Marktversagen“ auch wenn hier unstrittig bleibt, dass Produkte der Medienarbeit vielfach ein überwiegend öffentliches und meritorisches (darauf wird noch näher einzugehen sein), dabei nur bedingt marktfähiges Gut darstellen (vgl. Haller 2005, S. 297).

Bei konsequenter Betrachtung lässt sich eine Form der Ökonomisierung für Medien-schaffende tatsächlich als Antwort auf die zunehmende Kommerzialisierung ihrer Produkte sehen und der im Jahr 2004 für das Hamburger Forum Medienökonomie gewählte Titel eines Beitrages „Ökonomisiert Euch, bevor Ihr ökonomisiert werdet!“ (vgl. Rau 2004c, S. 29) erhält eine eigene Bedeutung (wenn auch konkreter zu sagen wäre: „Ökonomisiert Euch, bevor Ihr kommerzialisiert werdet!“, vgl. unten, S. 72). Aus Sicht der wissenschaftli-chen Diskussion jedenfalls, scheint es fahrlässig, Ökonomisierung und Kommerzialisierung in einem Atemzug (vgl. Knoche/Steininger 2005, S. 1) zu nennen und annähernd synonym zu gebrauchen (Kommerzialisierung als „abwertend gemeinte Bezeichnung für Ökonomi-sierung“, vgl. Heinrich 2001b, S. 159).

1.3.2.3 Zur Unterscheidung: der Kommerzialisierungsbegriff

Kommerzialisierung bezeichnet im Unterschied zur Ökonomisierung hier die stringente Übernahme einer monetär-gewinnmaximierenden Haltung im Sinne einer neoklassischen Theoriebildung. Die Ursachen hierfür können in einem Wandel des Leitbildes der Wirt-schaftspolitik gesehen werden, als eine Abkehr vom konstruktivistischen Rationalismus (rationale politische Steuerung von Marktprozessen ist notwendig und möglich) und eine Hinwendung zum „offenen Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“ (vgl. Heinrich 2001b, S. 160, dort allerdings bezogen auf dessen Begriff der Ökonomisierung). Geht man mit Kiefer (2001, S. 156) davon aus, dass Medien Kuppelprodukte sind, wird Kommerzialisie-rung zu einem Prozess, in dessen Folge die Regeln in der dualen Ökonomie für alle Pro-duktbestandteile angeglichen werden. Der Teil „immaterielles öffentliches Gut“, der sich in der redaktionellen Leistung manifestiert, hat sich dann den Ordnungsregeln der Neoklassik

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mit einem freien Spiel von Angebot und Nachfrage zu unterwerfen. Der solchermaßen prozessuale Kommerzialisierungsbegriff beschreibt für die Medienwirtschaft die Eliminie-rung meritorischer Gütermerkmale und die Verwandlung des Kuppelproduktes zu einem homogenen privaten Gut, dessen Märkte in der dualen Ökonomie (Werbemarkt und Rezi-pientenmarkt) vollständig verschränkt werden. Das Regelwerk des Rezipientenmarktes wird in zunehmendem Maße von dem des Werbemarktes bestimmt. Der publizistische Wettbewerb, der für den meritorischen Produktbestandteil wesentlich ist, verliert zuneh-mend an Bedeutung, da das im neoklassischen Sinne marktfähige Produkt ja nicht in den redaktionellen Leistungen, sondern im Zugang zum Rezipienten liegt (vgl. Heinrich 2001b, S. 60 f.; zur „Überformung“ des redaktionellen Teils durch die Ökonomie des Werbeträgers vgl. auch Haller 2005, S. 298). Bei alledem bleibt unbenommen, dass die „Kommerzialität“ des Medienprodukts, so lange Medienunternehmen privatwirtschaftlich organisiert sind, erst die Voraussetzung schaffen, dass redaktioneller Inhalt mit den Aspekten öffentlicher Güter ein breites Publikum erreichen kann; Medienunternehmen können also nur dann die – über normative gesellschaftspolitische Einflussnahme – zugewiesenen Funktionen für das Gemeinwohl erfüllen, wenn ihr Produkt kommerziell erfolgreich ist (vgl. auch McQuail 1986, S. 635).

Der Ökonom Jochen Röpke (nicht zu verwechseln mit einem der Wegbereiter der so-zialen Marktwirtschaft Wilhelm Röpke (siehe unten) vgl. Röpke 1994) konstatiert im Jahr 1970 (S. 171 ff.) eine Schizoidität in der Rollen- und Funktionsstruktur der Presseorgane, die sowohl verfassungsrechtlich sanktionierte Institutionen mit gesellschaftlicher Aufgabe als auch streng kalkulierende Wirtschaftsunternehmen sein sollen (vgl. auch Steininger 2002, S. 263; vgl. Nussberger 1961, 1966 und 1984). Presseunternehmer verkaufen nach Röpke zwei Güter: Kollektivgüter (öffentliche Meinung) und Privatgüter (selektive Anrei-ze) – das Medium wird zum Kuppelprodukt. Aus gutem Grund, denn es muss das rational operierende Wirtschaftssubjekt dazu bringen, Kosten für die Bereitstellung des Kollektiv-gutes der öffentlichen Meinung zu übernehmen. Kommerzialisierungstendenzen führen nun mit Röpke dazu, dass der Anteil des Kollektivgutes am Gesamtprodukt im Wettbewerb sinkt (vgl. 1970, S. 188). So gesehen beschreibt Röpke die in der Anpassungshypothese (vgl. Abschnitt 1.4) niedergelegten Zusammenhänge (vgl. dazu insbesondere Holzer 1969 sowie Kiock 1974) aus Sicht des Ökonomen und liefert gleichzeitig erstmalig ein kausales Gerüst, das die schwierigen Aspekte der „Qualitätsreduktion“ in einen wirtschaftstheoreti-schen Rahmen stellt.

1.3.2.4 Zur Erweiterung: der Begriff der Kommodifizierung

Noch nicht geleistet ist in der Medienökonomie bislang die konsequente Erweiterung der Begrifflichkeit hin zu einer Kommodifizierung, ein Begriff der Sozialwissenschaften, der auf den Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi (1978, 1987) zurückgeht. Seine zentrale Unter-suchung der „Great Transformation“ beschäftigt sich mit dem Wandel des in die Gesell-schaft eingebetteten Marktes zu einer entbetteten Marktgesellschaft in England und stellt die negativen Effekte dieses Prozesses in den Blickpunkt. Kommodifizierung ist dabei die Anpassung aller Produktionsfaktoren (Boden, Arbeit, Kapital) an das reine Marktregime. Nach Ansicht von Polanyi komme es zu einer sozialen Desintegration und zur Ablösung humaner Werte durch einen materialistischen Individualismus im Sinne einer allumfassen-

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den Konsumgesellschaft. In dieser Auffassung lässt sich auch die Kritik an liberalistischen und neoliberalen Wirtschaftskonzepten subsumieren, die in der Medienökonomie ebenfalls vertreten ist (vgl. u. a. Knoche 2001). Für die Medienwirtschaft ist in diesem Zusammen-hang die Auseinandersetzung mit der Anpassungshypothese von Bedeutung, die in den 1970er Jahren von Holzer (1969) zur Grundlage einer breiteren Diskussion gemacht wurde. Diese These beschreibt den Zusammenhang zwischen der (markt-)wirtschaftlichen Aus-richtung von Medienunternehmen und einer Orientierung am vermeintlichen Massenge-schmack, was wiederum eine Qualitätsverschlechterung des Medieninhaltes bedinge (zur differenzierten Diskussion der These vgl. Abschnitt 1.4). Auch Hofer, Siegert und Renger (2001, S. 39) sehen in der Medienfinanzierung über Werbeeinnahmen eine hohe Wahr-scheinlichkeit der inhaltlichen Ausrichtung am größtmöglichen Publikum.

Für eine in Zukunft ausgeweitete wissenschaftliche Beschäftigung mit der Kommodi-fizierung gibt es zwei Argumente:

Heute ist – bis in die Programme der Sozialdemokratie hinein – die Ausweitung der Marktlogik auf klassische öffentliche Güter wie Bildung, Gesundheitswesen, soziale Sicherung zu beobachten. Genau genommen handelt es sich dabei um eine Kommodi-fizierung dieser Bereiche. Da Güter, wie sie Medieninhalte repräsentieren, dieser Marktlogik noch näher stehen als die genannten Bereiche öffentlicher Einflussnahme, scheint es geradezu in der Natur der Sache zu liegen, die Kommodifizierung für den Medienbereich neu zu diskutieren. Mit dem zunehmenden Interesse ausländischer Akteure aus anderen Kulturkreisen am deutschen Medienmarkt, werden gesellschaftliche Ansprüche noch stärker von markt-wirtschaftlichen verdrängt. Vor diesem Hintergrund wird es spannend sein, die jüngs-ten Entwicklungen auf dem Berliner und dem Hamburger Tageszeitungsmarkt weiter-zuverfolgen (vgl. Kielinger 2005).

Das Feld der Kommodifizierung wird hier der zukünftigen Forschungsarbeit empfohlen und in dieser Arbeit für die Medienwirtschaft zwar eröffnet, jedoch nicht vertieft. Stattdes-sen konzentrieren sich die folgenden Seiten auf den Handlungsbezug der Redaktion, auf Optionen und Chancen in der Publizistischen Ökonomie, die befreit vom monetären An-spruch neue Optionen einer Nonprofit-Ökonomie integriert. Die Publizistische Ökonomie profitiert dabei von der Möglichkeit, dass die Redaktion eben aufgrund des fraglos nach-vollziehbaren Gemeinwohlanspruches, ihres von der Gesellschaft normativ zugewiesenen Auftrages und des in diesem Zusammenhang noch zu diskutierenden meritorischen Charak-ters ihres Angebotsspektrums als Leistungseinheit durchaus unter Nonprofit-Gesichtspunk-ten betrachtet werden kann, darf und muss.

1.4 Publizistik, Meritorik und die Frage der Präferenzen

Während der letzte Abschnitt die Arbeit quasi positioniert und beschreibt, warum es gerade unter den aktuellen Gegebenheiten interessant erscheint, sich mit einer Ökonomie der Pub-lizistik zu beschäftigen, wird im Folgenden eine weitere Grundlage für die Argumentation gelegt. Es wird gezeigt, dass die Besonderheiten publizistischer Angebote auch einen neuen ökonomischen Zugang erfordern. Die informatorischen Leistungen der Medien befriedigen

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vielfach Bedürfnisse, die aufgrund ihrer mangelnden Harmonisierbarkeit mit den Konsu-mentenpräferenzen neben einer Gütersystematik, die in öffentliche und private Güter unter-scheidet, eine andere Art der Einteilung fordern. Medienangebote sind in ihrem Güteraspekt schwer zu fassen – dies hat die Medienökonomie immer wieder feststellen müssen. Neben vielen unumstrittenen Güteraspekten der Medien konzentriert sich – insbesondere dann, wenn journalistische Medienangebote und ihre Leistungen im Fokus stehen – die Diskussi-on auf das Konzept der Meritorik. Die Frage allerdings, ob es sich bei Medien oder zumin-dest ihren Teilangeboten in der Kuppelproduktion um meritorische Güter handelt, ist so leicht nicht zu beantworten. Der folgende Abschnitt versucht die Annäherung.

1.4.1 „Moral Sentiments“, Interventionen und die Meritorik

An dieser Stelle lohnt der Blick zurück zu Adam Smith, dem Vater der Nationalökonomie. 1776 erschien das Hauptwerk „Wohlstand der Nationen – Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen„ (Originaltitel: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations), an dem er zehn Jahre lang zurückgezogen im schottischen Kirkcaldy gearbeitet hatte. Hierin wird Arbeit zur Quelle und zum Maßstab allen Wertes. Im Gegensatz zur Anschauung der Merkantilisten und Physiokraten ist in seinem Verständnis jede nützliche Arbeit produktiv (vgl. Smith 1987, S. 430). Freier Wettbewerb ist bei Smith, ebenso wie bei den Physiokraten, Grundlage für eine richtige Arbeitsteilung. Der für die weitere Dis-kussion relevante Schluss ist folgender: Eben diese freie innere und internationale Allokati-onsmöglichkeit von Produktionsfaktoren und Produkten schafft nicht nur beste Vorausset-zung für eine sinnvolle und zweckdienliche raumzeitliche Verteilung von Kräften und Mit-teln, sorgt nicht nur für Preisbildung und ausgeglichene Gewinne, sondern trägt eben auch zur Beförderung des Gemeinwohls bei. Smith folgert: Das allgemeine, gesellschaftliche Glück werde maximiert, indem jedes Individuum im Rahmen seiner „ethischen Gefühle“ versucht, sein persönliches Glück zu erhöhen. Durch eine unsichtbare Hand erhöht persön-liches Glücksstreben gleichzeitig das allgemeine, gesellschaftliche Glück. Diese Schluss-folgerung ist im Grunde eine pragmatische und kann sich ihrer Evidenz zum Beispiel bei der Betrachtung funktionierender, freier Märkte nicht entziehen. Problematisch jedoch ist ihre Verallgemeinerung auf ein universales Leitprinzip. Dies muss umstritten bleiben. Für Kritiker sei angemerkt, dass Smith stets die Begrenzung des persönlichen Glückstrebens durch „ethische Gefühle“ in seinem Denkmodell berücksichtigt hat. So gesehen können seine Theorien nicht als Freibrief herangezogen werden, ohne Reflexion und Rücksicht auf andere Wirtschaftssubjekte Gewinne zu maximieren. Man sollte in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen, dass Smith als Moralphilosoph 1759 – und damit lange vor dem „Wealth of Nations“ – seine „Theory of Moral Sentiments“ („Theorie der ethischen Gefüh-le“) publiziert hat. Hier setzt er Verständnis und Sympathie für den Mitmenschen als Grundlage aller Moral und als Triebfeder der menschlichen Arbeit, also jenes Begriffes der im „Wealth of Nations“ zentrale Bedeutung erlangt. (Dies haben bereits Wilson und Skin-ner in ihren „Essays in Honour of Adam Smith“ 1976 verdeutlicht; vgl. auch Musgrave 1986, S. 254 ff.).

Nun wird deutlich, warum eine solch ausführliche Vorrede ihre Daseinsberechtigung hat. Denn die bei Smith angelegte Diskussion führt direkt zur Frage, wie mit der „Meta-morphose allseits verfolgten Eigennutzes“ (Kiefer 2001, S. 22) in „Allgemeinwohl“ me-

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dienökonomisch umzugehen ist (wobei – das wurde auch von Kiefer richtig erkannt – zwi-schen einer ökonomischen und einer publizistischen Definition des „Allgemeinwohls“ zu unterscheiden ist). Die sich daraus ergebende Frage bleibt diejenige nach der Existenz von Bereichen, die mit den Erklärungsmodellen des Marktes nicht vereinbar sind – also die „Jenseits von Angebot und Nachfrage“ liegen, wie es in einem Buchtitel Röpkes heißt. Darin befürchtet Röpke (1958, S. 174), dass die Gesetzte des Marktes und seine Maßstäbe auf Felder „überquellen“, die eigentlich eben nicht den Gesetzen von Angebot und Nach-frage gehorchen „sollten“. In eben diesem „sollten“ steckt nun wiederum die schon von Smith eingeforderte Verbindung zu einer ethischen Komponente. Immer dann, wenn man von den „gesellschaftlich normierten“ Funktionen der Medien, von ihrem am „publizisti-schen Normensystem (…) orientierten Sachziel“ (Kiefer 2001, S. 22) ausgeht, müsse man auch diese Überwindung eines möglicherweise übergeordneten gesellschaftlichen Interes-ses zuwiderlaufenden Ausgleichs von Angebot und Nachfrage erreichen.

Diese Sichtweise ist aus nachvollziehbaren Gründen nicht unumstritten, wird doch mit einer solchen Argumentationskette auch die Einflussnahme wie auch immer legitimierter Instanzen in den Medienmarkt gerechtfertigt. In repräsentativ-demokratisch verfassten Gesellschaften2 wird in diesem Zusammenhang stets die Rolle des Staates beziehungsweise die seiner Repräsentanten diskutiert, und dabei die Möglichkeiten zu legitimierender Ein-flussnahme erörtert. Der Versuch, Staatsferne als Grundregel für Rundfunkangebote in zahlreichen Ländern der westlichen Welt zu etablieren, ist schließlich eines der Ergebnisse dieser Diskussion. (Aus Sicht des Autors, ist dies beispielsweise beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland nur ansatzweise gelungen, dessen Staatsferne und damit auch dessen Legitimation angesichts der tatsächlichen Besetzung eigentlich staatsfer-ner und rein an der Programmaufsicht ausgerichteter Rundfunkräte fraglich erscheinen.) Am Ende geht es stets um die normative Bestimmung der Notwendigkeit oder selbst der Möglichkeit staatlicher Zu- und Eingriffe auf den Medienmärkten. Regulierung oder Dere-gulierung als Re-Regulierung sind die relevanten Vokabeln. Wettbewerb gilt im marktwirt-schaftlichen Grundverständnis als schützenswertes Gut. Allein um diesen zu schützen, erlauben die meisten auch marktwirtschaftlich verfassten Volkswirtschaften Eingriffe des Staates – auch aus Sicht einer Ökonomie der Publizistik ist das von Interesse, da beispiels-weise die medienökonomischen Rahmenbedingungen in Deutschland stark durch kartell-rechtliche Fragestellungen bestimmt werden. Hierbei spielen aktuell vor allen Dingen Fra-gen crossmedialer Verflechtungen eine Rolle. Dies ist deshalb herausfordernd, weil auch unter publizistischen Gesichtspunkten dem Wettbewerb – häufig unter dem Stichwort „Vielfalt“ – eine positive Grundwirkung zugeschrieben wird.

In realökonomischen Zusammenhängen gelten Eingriffe in das Marktgeschehen als riskant, da die Folgen dieser Eingriffe nur schwerlich abzuschätzen sind. Analoges gilt für den publizistischen Wettbewerb, hier muss vor allem anderen das Instanzenproblem thema-tisiert werden: Welche gesellschaftlich gesicherten Instanzen dürfen eine wie auch immer 2 Bezogen auf die Medienökonomie wäre es von großem Interesse, den Demokratiebegriff und seine Implikationen gesondert aufzuarbeiten, um dann zu beurteilen, ob neben beispielsweise einem republikanischen Demokratiebeg-riff, nicht weitaus besser mit Hilfe eines deliberativen Demokratieverständnisses zu argumentieren ist. Zumindest einer theoretisch-interpretativen Medienökonomie würde die Deliberation neue Ansatzpunkte öffnen. Dies soll im Zusammenhang der zielgerichteten Untersuchung jedoch nicht erfolgen. Stattdessen sei auf die interessanten Einlassungen von Habermas im Zuge der Jahreskonferenz der ICA, der International Communication Association in Dresden (Juni 2006) verwiesen, die richtungweisend die Brücke zwischen Kommerzialisierungstendenzen in der Medienwirtschaft und deliberativem Demokratieverständnis schlagen (vgl. Habermas 2006).

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gestaltete Regulierung beschließen? Es soll an dieser Stelle bei diesem Streiflicht auf die Ansprüche einer normativen Wirtschaftswissenschaft (die sich in der Medienökonomie nicht zuletzt durch ihre Empfehlungen für die Rundfunkpolitik legitimieren will) bleiben, die negative wie positive externe Effekte und als eine Sonderform dieser Effekte auch die Meritorik prüft und Interventionen begründet. Die auf diese Weise politikberatende Me-dienökonomie legitimiert sich auf eine weitere Weise: Stabile Rechtsreglungen erhöhen die Wahrscheinlichkeit reibungsloser Vertragserfüllung und senken damit Transaktionskosten.

Doch zurück zur eigentlichen Fragestellung, die des Ausgleichs gesamtgesellschaftli-cher Interessen. Die Volkswirtschaftslehre, genauer, die Finanzwissenschaft hat für all diese Situationen ein wertvolles Konstrukt entwickelt, das 1957 erstmals in der Literatur dokumentiert wird: das der „Meritorik“. Dieses Konstrukt ist hier vor allen Dingen deshalb von Bedeutung, da „der in den westeuropäischen Staaten nach 1945 entwickelte Begrün-dungsrahmen die Informationsfreiheit (Informationszugangs-, Meinungs- sowie Pressefrei-heit) für den Bestand der demokratischen Gesellschaftsorganisation als notwendig fest-schreibt“ (Haller 2004, S. 61). Bestimmte Medieninhalte, insbesondere solche journalisti-scher Natur, können als solche eingestuft werden, die auch meritorische Bedürfnisse befrie-digen können. Die Medienökonomik folgt dieser Auffassung weitestgehend (vgl. Kiefer 2001, S. 136 f.; sowie Heinrich 2001a, S. 101) wobei im Umkehrschluss nicht auszuschlie-ßen ist, dass journalistische Medien auch demeritorische Inhalte verbreiten können, die mit Heinrich (2001a, S. 101) im Konzept der Meritorität eine Konsumminderung verlangen würden. Zu denken ist hier an die Verletzung von Persönlichkeitsrechten durch die Bericht-erstattung, sensationalistische Darstellung oder Gewaltverherrlichung. Die plastische Dar-stellung der tagesaktuellen Publikationspraxis in Spanien veranschaulicht die Nähe demeri-torischer Inhalte zum meritorischen Inhaltsangebot (Ingendaay 2005, S. 33): „Berichte über ausgehobene Menschenschlepperringe sind in spanischen Tageszeitungen so alltäglich geworden wie die Wettervorhersage. Oder besser: So alltäglich wie die zahllosen Anzeigen von Prostituierten, die selbst von den hochnäsigsten, verzopftesten, prüdesten spanischen Tageszeitungen gedruckt werden und in denen neben der detaillierten Beschreibung des Serviceangebots auch die Tarife erscheinen. Das Hinundherblättern zwischen dem erhe-benden Moralgewäsch der Leitartikel und der kruden Realität der Anzeigen, die unter dem Rubrum „Massage“ oder „Relax“ stehen, verrät deutlicher als jede soziologische Analyse, dass die Gesellschaft sich in einer Schizophrenie ganz eigener Prägung eingerichtet hat.“ Ebenso könnte man die Frage nach der (De-)Meritorik des Fernsehens, der Klatschpresse, des Boulevardjournalismus stellen.

Das Konstrukt der Meritorik ist in den europäischen Medienmärkten von höchster Be-deutung – schließlich werden auf seiner Basis öffentlich-rechtliche Rundfunkangebote begründet, wie sie in Deutschland verbreitet sind. Aber auch die englische BBC oder skan-dinavische Modelle wären nicht denk- und durchsetzbar, ohne eine Existenz von meritori-schen Bezügen zu postulieren. Für die weitere Argumentation dieser Arbeit ist die Merito-rik ebenfalls zentral und führt sogar zur Begründung eines (zu setzenden) „meritorischen“ Kategoriensystems journalistischer Qualität des Medienangebots. Deshalb sei an dieser Stelle gestattet, die Grundlagen dieses Konzeptes etwas umfassender zu durchleuchten.