Hausarbeit - Prometheus Und Die Aufklärer

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Prometheus - Hausarbeit über die Aufklärung.

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Eberhard Karls Universitt Tbingen 05.10.2007Deutsches SeminarSommersemester 2007Dozent: Dr. Philipp TheisohnPS II: Prometheus Die Literatur und der Mythos der Kultur

Prometheus und die AufklrerDie Figur des Prometheus nebst einer Analyse des Dialogsin der Epoche der Aufklrung

Jonathan GaussGermanistik/Politik Lehramt (2.Semester)Ludwigstr. 1172072 Tbingen0176/22726904INHALTSVERZEICHNIS

EinleitungS. 3

Hauptteil

2.1. Zur Theorie des literarischen Dialogs.S. 42.2. Der Dialog: Spiegel der Emanzipationsprozesse der Aufklrung?S. 62.3. Prometheus: Eine Identifikationsfigur der Aufklrung?S. 72.4. Herder und Wieland und ihr Umgang mit der Figur des Prometheus sowie dem Mittel des Dialogs.S. 9

SchlussfolgerungS. 16

BibliographieS. 18

1. Prometheus im Dialog: Gedanken zur Rolle des Menschenbildners in der Epoche der Aufklrung

Fllt das Wort Dialog, wird damit meistens eine Aussprache zwischen zwei oder mehr Personen, ein Gesprch, assoziiert, oder aber ein Drama, das gespielte und geknstelte Schauspiel vor Publikum. Sprachgeschichtlich lsst sich das Wort aus den altgriechischen Wrtern (dia: hindurch) und (logos: Wort, Sinn, Bedeutung) rekonstruieren. Das Flieen von Sinn stellt also die Bedeutung des Wortes dar. Wie gro der Fluss von Sinn in den meisten Dialogen des Alltags wirklich ist, sei einmal dahingestellt, aber der literarische Dialog stellt eine bedeutende Gattung dar. Seit Plato bernimmt der Dialog besonders in philosophischen Errterungen eine tragende Funktion und untersttzt den Autor, seinen Lesern tiefere Einsichten zu vermitteln, indem Figuren eine Problematik aus verschiedenen Perspektiven diskutieren. In der Epoche der Aufklrung wird die Dialogform wiederentdeckt, viele bedeutende Autoren und Philosophen dieser Zeit, wie Lessing, Wieland, Gottsched oder Herder bedienen sich des Dialogs, um ihre Thesen und Ideen nach der Befreiung des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmndigkeit aufzustellen. Christoph Martin Wieland und Johann Gottfried Herder sind fr die Epoche der Aufklrung bedeutende Dichter und Philosophen, aber auch Sprachwissenschaftler. Beide haben bedeutende Thesen und Interpretationen fr das Projekt Aufklrung beigesteuert, beide nutzen den literarischen Dialog nicht nur in ihren Schriften, sondern setzen sich auch methodisch mit ihm aus-einander. Sie verwirklichen aber auch den fr die Aufklrung wichtigen Mythos vom Menschenbildner Prometheus - in Dialogen. Im Folgenden sollen zunchst theoretische Aspekte des Dialogs in der Aufklrung betrachtet werden. Dabei spielen sowohl seine Wiederentdeckung im achtzehnten Jahrhundert, als auch die Bedingungen, unter denen Schriftsteller ihn nutzen, eine Rolle. Ebenso stellt sich die Frage, inwiefern sich die Emanzipationsprozesse der Aufklrung und die Entwicklung des Dialogs gegenseitig beeinflussen. Der nchste Abschnitt setzt sich dann mit der Figur des Prometheus und den fr das achtzehnte Jahrhundert interessanten Aspekten des Mythos auseinander. Gelungene Literatur solle erfreuen und nutzen, lautet ein wichtiger Leitspruch dieser Zeit. Deshalb soll dieser Aspekt anhand der beiden Texte Wielands wie Herders genauer beleuchtet werden. Wie nutzen die beiden Autoren das Mittel des Dialogs, um ihre eigene Rezeption des Prometheus Mythos zu verwirklichen? Inwiefern sind beide Texte bedeutend fr den Diskurs der Aufklrung, welche neuen Anstze lassen sich aus den Dialogen erkennen? Hier stiftet insbesondere Wieland einen neuen Zusammenhang zwischen der Aufklrungsfrage nach der Natur des Menschen und dem Mythos.

2.1.: Zur Theorie des literarischen Dialogs

Dialoge sind [...] das Akzeptieren des Gesprchsteilnehmers als Redepartner und Person, Gedanken- und Gefhlsaustausch mit ihm bei beiderseitiger Anerkennung der gegenseitigen Unterschiede in Meinung, Willensrichtung oder Gefhl, womit prinzipiell die Bereitschaft verbunden ist, sich gegenseitig in Frage zu stellen, eventuell die Unterschiede aufzuheben und sich zwanglos zu einigen.1Winter, Hans-Gerhard: Dialog und Dialogroman in der Aufklrung. Darmstadt 1974. S. 31.

So definiert Hans-Gerhard Winter in seinem Buch Dialog und Dialogroman in der Aufklrung prgnant den Begriff und seine Bedeutung. Dem Leser ist es selten bewusst, aber bei jeder Lektre eines Textes findet auf der Metaebene ein Dialog zwischen dem Leser und dem Text statt: Er interpretiert den Text, gleicht ihn also seinem eigenen Verstndnishorizont an und umgekehrt. Das dialogische Prinzip ist omniprsent, weite Teile des Lebensalltags spielen sich in These und Antithese, Plus und Minus, actio und reactio ab. So ist es kaum verwunderlich, dass in der Epoche der Aufklrung der Dialog in der Wissenschaft bedeutend fr die Wissensvermittlung wurde. Schlielich strebten die Aufklrer nach der Befreiung des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmndigkeit und mndig wird nur derjenige, der zu sprechen wagt. Das Mittel des bereits von Plato bekannten literarischen Dialogs wird reanimiert. So produzieren die auf-klrerischen Dichter und Philosophen eine groe Zahl an Dramen und Dialogromanen, aber eben auch kurze Dialogtexte. Bei der Untersuchung des literarischen Dialogs sind folgende Fragen zu bercksichtigen: Lassen sich verschiedene Arten von Dialogen unterscheiden, welchen formalen Gesetzen fol-gen sie, wie binden sie den Mythos des Prometheus ein? Die dialogische Gattung schlechthin ist natrlich das Drama, welches abgesehen von kleinen Szenenanweisungen des Autors nur aus Rede und Gegenrede mehrerer Figuren besteht. Aber auch in der Gattung des im 18. Jhd. populren Dialogromans werden sie als prgendes Mittel der Erzhlung eingesetzt. Diese Arbeit beschftigt sich jedoch nur mit der spezifischen Gattung Dialog, die sich hufig in philosophischen Zeitschriften, wie etwa den Moralischen Wochenschriften findet. Hier sollten zunchst die Ziele der Verfasser klar werden. Die Inhalte sollten einer mglichst breiten Leserschicht vermittelt werden, gut verstndlich sein und das selbststndige Denken anregen. Im besten Fall folgt auf das Lesen und Verstehen des Textes eine Diskussionsrunde im Freundes- oder Verwandtenkreis. Ein groes Vorbild der Philosophen im achtzehnten Jahrhundert sind die antiken Griechen, insbesondere in den sokratisch-platonischen Dialogen sehen sie Vorteile fr den Prozess der Wahrheits- und Wissensvermittlung. Whrend eine abstrakte Darbietungsform die Zuhrer rasch ermden lsst, gestaltet Plato seine Thesen in einen schnen Rahmen, eine fiktive Hand-lung oder Situation verbildlicht sie dem Leser. Besonders der britische Moralist Shaftesbury orientiert sich nicht nur inhaltlich an Platos Ideen, sondern bernimmt auch das Gesprch als sthetische Form fr seine Texte. In dem 1746 auch in deutscher Sprache publizierten Essay Soliloquy or Advice to an Author2A.A. Earl of Shaftesbury: Philosophische Werke. Aus dem Englischen 1776-1779. Bd. 1. S. 206 f.

empfiehlt er jedem Dichter und Philosophen das Geschft der Selbstzertheilung3Ebd.

: In einem inneren Dialog soll das Gedachte selbstkritisch auf seine Verstndlichkeit und Richtigkeit berprft werden: Lassen sich die aufgestellten Thesen sttzen? Gibt es Ungereimtheiten? Wie knnte meine Meinung aus einem vllig anderen Blickwinkel aussehen?Der Schritt vom nur Gedachten hin zum Ausformulieren und Niederschreiben eines Dialogs ist nun fr Shaftesbury ein kleiner. Der Dialog soll Wissenschaft pragmatisch machen: jedes Argument ist eingebettet in eine Handlung, also in einen zwischenmenschlich gestalteten Raum. Wissensvermittlung wird aus staubigen, kaum verstndlichen Bchern in das Kaminzimmer des aufstrebenden Bildungsbrgertums geholt. Die Aufklrer versuchen die Funktion von Literatur, nmlich delectare et prodesse, gleichzeitig zu erfreuen und zu nutzen, in ihren Schriften einzuhalten und umzusetzen. Die theoretische Funktionsweise ist simpel: Jede im Dialog auftretende Figur reprsentiert ein bestimmtes Argument. Der Autor verschwindet scheinbar hinter den Figuren, seine Meinung ist zunchst wenig greifbar, denn er lsst andere fr sich sprechen. Die Position mit den besten Argumenten oder auch nur der besten Argumentation berzeugt schlielich, wobei eine conclusio nicht zwingend notwendig ist teils knnen die Dialoge im gemeinsamen Konsens enden, oft jedoch gibt es keine endgltige Schlussfolgerung oder Wahrheit, so dass dem Leser Raum zum selbstndigen Denken und Weiterentwickeln des Stoffes gelassen wird er wird selbst Teil des Dialogs. Der Dialog fhrt vor, wie der Mensch durch seine Vernunft erkennen und handeln soll. Somit kommt es in der Gesprchsform nicht so sehr auf die Ergebnisse, sondern auf das intellektuelle Herausfordern der Leser und die Frderung der Toleranz gegenber anderen Meinungen an4Vgl. Dialog zwischen Recha und dem jungen Tempelherr in: Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. In: Lessings Werke, Bd. I. Hrsg. von Kurt Wlfel. Frankfurt am Main 1967.

. Gleichzeitig kommt der literarische Dialog einer anderen Entwicklung dieser Zeit entgegen: Wissenschaftliche Argumentation bewegt sich vom Verfahren der Deduktion weg, vielen Philosophen und Wissenschaftlern erscheint die Induktion als logische Konsequenz. In diesem Zusammenhang bietet sich der Dialog als Mittel der Darstellung an. Im Gesprch gewonnene Einsichten werden reflektiert und als These verallgemeinert.

2.2.: Der Dialog: Spiegel der Emanzipationsprozesse der Aufklrung?

Der wichtigste soziale Prozess im 18. Jhd. ist die Emanzipationsbewegung der brgerlichen Schichten, der eng mit der damaligen deutschen Literatur verknpft ist. In Dramen oder Romanen nimmt der Dialog schon lange eine zentrale Funktion ein, als selbststndige Gattung Dialog wird er erst in den Moralischen Wochenschriften wieder reanimiert. Die Autoren um Johann Christoph Gottsched vertreten die Auffassung, dass es nicht notwendig sei, neuen Leserschichten auch neue Wahrheiten darzulegen. Vielmehr sei es wichtig, die Wahrheiten durch eine gute Einkleidung, durch angenehme Abwechselung im Vortrage5Neue Bibliothek der schnen Wissenschaften und der freien Knste Bd. 1. Leipzig 1765. S.116.

so zu gestalten, dass sie mit einer lchelnden Miene bald bestrafet, bald unterrichtet, Bilder aufstellet [...]6Ebd.

. So verwenden sie zur Ausgestaltung der Texte Briefe, Geschichten und Fabeln und eben die Dialogform. Diese fungiert zunchst vor allem als Mittel, um den moralischen Diskurs mglichst nah an den Leser heranzutragen. Die Dialoge in Gottscheds Vernnftige Tadlerinnen nutzen bekannte Pltze und Brgerhuser in Leipzig als Kulisse, die Sprache verwendet Dialekt. Die Sprache und die auftretenden Figuren knnen gezielt dazu genutzt werden, Sympathien zu schaffen und den Blickwinkel des Lesers zu beeinflussen. In der zweiten Hlfte des 18. Jahrhunderts greifen fast alle bedeutenden deutschen Aufklrer auf die Dialogform zurck. Lessing, Wieland, Mendelsohn, Herder und zahlreiche andere Zeitgenossen perfektionieren den Dialog und versuchen mit dessen Hilfe das Band zwischen der Philosophie und den schnen Wissenschaften zu zerschneiden. Dieser Arbeit liegt einerseits der Dialog Traumgesprch mit Prometheus7Wieland, Christoph Martin: ber die von J.J. Rousseau vorgeschlagenen Versuche den wahren Stand der Natur des Menschen zu entdecken nebst einem Traumgesprch mit Prometheus. Kap. 13-18. In: Christoph Martin Wieland: Smmtliche Werke. Leipzig 1794-1811. Bd. XIV. S.206-235.

von Christoph Martin Wieland, der sich durch ein kunstvoll gestaltetes, mehrperspektivisches Gesprch auszeichnet und aufgeworfene Fragen nur andeutungsweise oder ironisch zu beantworten versucht, zu Grunde. Andererseits soll Johann Gottfried Herders Dialog8Herder, Johann Gottfried: Voraussicht und Zurcksicht. Ein Gesprch. In: Herder, Johann Gottfried: Smtliche Werke. Hrsg. von Bernhard Suphan. Berlin 1883. Bd.18. S.377-380.

zwischen Epimetheus, Prometheus und Pallas Athene analysiert werden, in dem mehr die Untersuchung selbst, als denn die verschiedenen Argumente und deren poetische Ausgestaltung im Mittel-punkt steht. Die Dialoge unterscheiden sich in ihrer Ausarbeitung und stilistischen Aus-gestaltung also fundamental. Beide Texte verbindet neben der Dialogform jedoch vor allem ein inhaltlicher Aspekt: Sie knpfen an den Mythos von Prometheus an bzw. bauen auf ihm auf. Doch weshalb stellt der Menschenbildner fr die beiden Philosophen und Aufklrer eine solch bedeutende Figur dar?

2.3.: Prometheus eine Identifikationsfigur der Aufklrer?

Der Mythos von Prometheus ist fr die Aufklrer in mehrerer Hinsicht attraktiv.Im Unterschied zum monotheistischen Christentum greifen in der griechischen Mythologie meist mehrere Gtter, Titanen und sonstige Wesen in das Geschehen ein. Diese gleich-berechtigt zu nennen oder auf dieselbe Stufe zu stellen, wre vermessen, dennoch ist die in der Antike populre Grundtendenz zur Streitkultur im positiven Sinn durchaus zu erkennen. Da viele Aufklrer die Ideen der griechischen Philosophen aufgreifen und aktualisieren, ist es kaum verwunderlich, dass infolgedessen auch die Gtter des Olymp wieder strker fokusiert werden. Diese agieren einerseits hnlich den verhassten alten Obrigkeiten, Unterdrckung, Listen sowie das Ablenken von den eigentlichen Problemen und die hufige Reduktion ihres Handelns auf ihren eigenen Machterhalt verhindern eine Weiterentwicklung. Menschen werden wie Objekte behandelt. Zugleich sind auch die antiken Gtter nicht unfehlbar, denn sie treffen falsche Entscheidungen, machen sich dadurch verwundbar und ihre Machtposition angreifbar. So emanzipierten sich die antiken Griechen schrittweise von ihren Gttern. Anfangs noch verehrt und gefrchtet, wurden sie sptestens in der Wirkungszeit Aischylos zu Marionetten auf den Schaubhnen der Athener Theater reduziert. Die Philosophen sind nun die treibenden Krfte, Vernunft und Geist lsen die Gtter als Maxime ab. Hier lassen sich also sicherlich Parallelen zur Emanzipationsbewegung der Aufklrung ziehen. Ehemalige Gtter nun als Figuren im Theater, nur noch Relikte einer vergangenen ra. Theater bedeutet zunchst einmal Drama und tragende Form des Theaters ist der Dialog. Die Gtter stehen nicht mehr als Individuen vor dem Publikum, vielmehr spielen sie ihre figur-typischen Rollen. Herder und Wieland entwickeln diesen Aspekt offensichtlich weiter: Herders Prometheus wird aus der Rezeption des Mythos heraus zu einer stereotypen, eindimensionalen Figur. Wieland hingegen berrascht in seinem Dialog mit einer ungewhnlichen Auslegung des Menschenbildners. Der zentrale Aspekt, weswegen der Mythos von Prometheus so stark in den Fokus der Aufklrer rckte, ist jedoch das ungelste Hauptproblem der Aufklrung, das ihrer geschichtlichen Selbsterfassung9Blumenberg, Hans: sthetische Aufheiterung. In: Blumenberg, Hans: Arbeit am Mythos. Dritter Teil, Kap. IV. Frankfurt am Main. 1979. S. 415.

. Die Aufklrer sehen ihre Epoche als einen klaren Schnitt, einen durch die Vernunft des Menschen voran getriebenen Neuanfang. Allerdings stecken sie im Dilemma. Denn eine Begrndung, weshalb die seit je her im menschlichen Geist vorhandene Vernunft die Geschichte so hat abtreiben lassen, dass dieser Schnitt ntig wurde, bleiben sie weitgehend schuldig. Wenn die Vernunft eine Konstante der menschlichen Ausstattung ist, auf die man sich fortan sollte verlassen knnen, lt sich nur schwer einsehen, weshalb sie nicht eine Konstante der menscheitlichen Geschichte seit jeher gewesen ist.10Ebd.

In einem Lsungsansatz versucht sich zwar schon Kant, indem er die Unmndigkeit des Menschen als selbstverschuldet bezeichnet, doch wann und worin sich die Menschheit der Vernunft verschuldete, bleibt unklar. Erst J.J. Rousseau wagt es, die Erbsnde als Ursache und Begrndung des Selbstverschuldens wieder in den Diskurs einzubringen. Der Urzustand des Menschen ist frei von Fehlern und Snde, er ist jedoch auf die reine Selbsterhaltung beschrnkt. Doch durch Neugierde und Wnsche ffnet der Mensch die zuvor geschlossene Schranke, was ihn unweigerlich auf den Umweg der Geschichte fhrt. Eine einfache Umkehr ist ausgeschlossen: Die Menschen sind verdorben, und sie wrden noch elender sein, wenn sie das Unglck gehabt htten, gelehrt geboren zu werden,11Rousseau, Jean-Jaques: Discours sur les sciences et les arts. In: Kleines Archiv des 18. Jahrhunderts. bersetzt von Johann Daniel Tietz.

schreibt Rousseau 1750 in seinem Discours sur les sciences et les arts. Jede menschliche Existenz ist mit dem nun fehlerhaften Band der Geschichte fest verwoben, hat einen gewissen Einfluss auf das weitere Geschehen, kann das Vergangene jedoch nicht rckwirkend beeinflussen; deshalb ist kein Mensch makellos. Die Aufgabe der seit je her dem Menschen inne wohnenden Vernunft besteht nun darin, den Menschen auf dem eingeschlagenen Weg mglichst unbeschadet voranzubringen. Rousseau stellt in seiner Abhandlung Kulturvlker wie Griechenland oder das antike Rom Vlkern entgegen, welche von dieser ansteckenden Seuche einer eitlen Gelehrsamkeit frei geblieben, durch ihre Tugend ihr eigenes Glck befrdert und anderen Nationen als Beispiel gedient haben.12Ebd.

Rousseau stellt diese einfachen, natrlichen Vlker in einem positiven Licht dar und kritisiert, dass der von der Natur vorgesehene Urzustand htte gengen mssen, um den Menschen glcklich zu machen. Kultur und Wissenschaft strzen den Menschen ins Dilemma, der Feuerbringer Prometheus stahl und verschenkte, die Folgen seines Handelns trgt jedoch der Mensch. Wieland antwortet im Traumgesprch mit Prometheus auf Rousseaus Thesen und nennt sie paradox: Er gebrauche nmlich die Mittel der kritisierten Kultur, um die Natur zu beschreiben. Schlielich betrachte der Franzose die menschliche Entwicklung rckblickend aus einer vllig verzerrten Perspektive, unter Bedingungen, die keineswegs dem Urzustand entsprechen. Dadurch werde das Ergebnis verflscht. Wieland erkennt das Paradoxon, dass sich Versuchsbedingungen fr eine objektive Analyse Rousseaus Thesen in der existierenden Welt nicht mehr schaffen lassen, aber doch lieen sich diese Konfiguration wenigstens trumen?

2.4.: Wieland und Herder: Ihr Umgang mit der Figur des Prometheus sowie dem Mittel des Dialogs

Christoph Martin Wieland verffentlicht 1770 sein Traumgesprch mit Prometheus im Zusammenhang des Diskurses mit Rousseau und bringt so den Menschenbildner mit der Aufklrungsfrage nach dem wahren Stand der Natur des Menschen in Verbindung. Bei Wielands Abhandlung kommt neben dem Mittel des Dialogs zustzlich noch die Komponente des Traumes hinzu. In der Hinfhrung hadert der Erzhler zunchst damit, seinen Traum zu erzhlen, verspricht sich aber durch dieses Mittel volle Aufmerksamkeit des fiktiven Auditoriums bzw. des Lesers. Der Trumer steht pltzlich dem angeschmiedeten Prometheus im Gebirge des Kaukasus gegenber. Bezeichnend fr einen Traum werden die beiden in einem Augenblick die besten Freunde13Wieland, Christoph Martin: ber die von J.J. Rousseau vorgeschlagenen Versuche den wahren Stand der Natur des Menschen zu entdecken nebst einem Traumgesprch mit Prometheus. Kap. 13-18. In: Christoph Martin Wieland: Smmtliche Werke. Leipzig 1794-1811. Bd. XIV. S.210.

und den Menschenbildner drngt es zu erfahren, wie es um die Menschen stehe, und wie sie sich das Daseyn zu nutze machten, welches seiner plastischen Kunst und seiner Gutherzigkeit zu danken htten?14Ebd.

Der Trumer gibt Antwort, die dem Leser jedoch verborgen bleibt, jedoch eine enttuschte Reaktion des Gefesselten nach sich zieht. Der Trumende geht nher ins Detail. Einer der Weisen sei der berzeugung, es wrde nicht besser mit uns werden, bis wir uns entschlssen, in den Stand der Natur zurck zu treten15Ebd.

, stellt er Rousseaus These dar. Im Stand der Natur habe die Menschheit keine Wissenschaften, keine Gesetze, keine Kultur ntig und erst das vllige Revision dieser Dinge schaffe die Grundlage fr Glckseligkeit. Die Reaktion des Prometheus ist irritierend, denn er bricht ganz und gar untypisch fr einen philosophischen Dialog in lautes Lachen aus. Die menschlichen Philosophen bezeichnet er daraufhin als Grillenfnger, welche Wolken fr Gttinnen, Abstrakzionen fr Wahrheit umfangen, und nie sehen was vor ihrer Nase liegt [...]16Ebd. S.213.

. Damit scheint Prometheus zunchst einmal Position gegen Rousseaus Thesen zu beziehen. Wieland lsst Prometheus, den mythischen Erschaffer der Menschen gegen die philosophische Idee des Urzustandes Stellung beziehen: Ich, der die Menschen gemacht hat, sollte am besten wissen, wie ich sie gemacht habe17Ebd. S.214.

, brstet sich der Gefesselte. Doch deine Filosofen scheinen mir die Leute nicht zu seyn, die sich von Prometheus belehren lassen18Ebd.

, erkennt er schnell. Dennoch drngt es ihn, die Geschichte von der Erschaffung der Menschen zu erzhlen und seine Sicht auf das Geschehen darzulegen: Aus welchen Beweggrnden entschloss sich der Menschenmacher, seinem Namen gerecht zu werden; wieso erschuf er die Menschen so unvollkommen, dass sie erst noch aufgeklrt werden mssen?Diese Fragen wurden in bisherigen Mythos Rezeptionen nie eindeutig geklrt, umso ernchternder fr den Trumer fllt die Antwort des Titanen aus: Weil ich gerade nichts bessers zu thun hatte19Ebd. S.216.

, antwortet dieser lapidar. Die gesamte Schpfung verkommt zu einem Produkt der Langeweile, Prometheus kreiert groteske Tiere, um sich die Zeit zu vertreiben. Erst im Prozess selbst wird die Idee geboren, eine Mittelart zwischen uns Gttern und meinen Thieren20Wieland, Christoph Martin: ber die von J.J. Rousseau vorgeschlagenen Versuche den wahren Stand der Natur des Menschen zu entdecken nebst einem Traumgesprch mit Prometheus. Kap. 13-18. In: Christoph Martin Wieland: Smmtliche Werke. Leipzig 1794-1811. Bd. XIV. S.217.

zu schaffen. Erst nach und nach entwickelt sich eine Art von Liebe21Ebd. S.217.

zu seinen Geschpfen, die Prometheus von da an empfand und bis zum Zeitpunkt des Gesprchs weiter empfindet obwohl er seit tausenden Jahren keine Nachricht mehr von den Menschen erhielt. Wieland attestiert dem Menschenschpfer also doch ein moralisches Gewissen, das sich auch in dessen Unfhigkeit zu begreifen, weshalb sie trotz seiner Aufopferung nicht glcklich geworden sind, uert. Prometheus lsst die Geburtsstunde der Menschheit Revue passieren und lsst somit vor dem inneren Auge des Lesers ein Bild des Urzustandes entstehen. Diese Idylle habe erst die Bchse der Pandora jh beendet, die sein Bruder Prometheus ffnete, und tausend in die Farbe des Vergngens gekleidete Bedrfnisse22Ebd. S.224.

heraus strzten. Prometheus verdammt die Bchse der Pandora und damit die neuen Bedrfnisse des Menschen. Indem er diesen die eigentliche Schuld an der Misere der Mensch-heit gibt, wird er der zuvor in Gelchter ber die Ideen der Philosophen ausbrach eben selbst zum Anhnger und Vertreter der Thesen Rousseaus: Er selbst, Prometheus, gab ihnen gerade so viel Verstand als sie nthig hatten, um glcklicher zu seyn als sie es durch die Sinne allein gewesen wren.23Ebd. S.225.

Mit dieser Aussage verliert Prometheus fr den Trumer jegliche Glaubwrdigkeit. Das Dilemma der Menschen auf die Bchse der Pandora zu reduzieren, lsst den Titanen einfltig erscheinen und wirft einen negativen Schatten auf Rousseaus Thesen, die nun zwar auch die Position Prometheus' widerspiegeln, dabei aber ebenfalls auf das Verdammen der Bedrfnisse reduziert werden. Der Trumer erwacht, ohne erfahren zu haben, was genau die Bchse der Pandora sein knnte, die so viel Unglck anzurichten vermochte24Ebd. S.228.

. Wielands Trumer reduziert die Bchse schlielich auf eine einfache Schminkbchse. Rousseaus Thesen werden durch Wieland parodiert. Der Diskurs ber den wahren Stand der Natur, die Kritik des Franzosen an der Kultur, die reiner Selbstzweck sei, wird nun auf falsche Jugend und geschminkte Schnheit reduziert. Durch die Schminkbchse war es bald um die kunstlose Unschuld und Aufrichtigkeit der menschlichen Natur geschehen25Ebd. S.231.

. Schein und Sein differenzierten sich mehr und mehr, dem Menschen bot sich die Mglichkeit, als jemand aufzutreten, der er nicht ist:Bald sah man kein natrliches Gesicht und keinen natrlichen Karakter mehr; alles war geschminkt und verflscht; geschminkte Frmmigkeit, geschminkte Freundschaft, geschminkter Patriotismus, geschminkte Moral, geschminkte Staatskunst, geschminkte Beredsamkeit Himmel! was wurde nicht geschminkt?26Ebd.

Diese Kunst des Schminkens, des Scheins, machte weitere Knste notwendig, um sich mit dem Schein auseinanderzusetzen, das Geschminkte zu entlarven und aufzudecken. Der aus dem Mythos hervorgehende Prozess verselbststndigt sich, tritt eine Lawine von actio und reactio los. Doch wie fgt sich dies alles mit dem Anspruch der Aufklrung zusammen? Erst die menschliche Vernunft ermglicht es, das Wirrwarr zumindest in Teilen zu erfassen und zu ordnen, sie mu immer wieder auf das zurckkommen, was hinter ihr zu liegen scheint; als Kritik ist sie wieder der Kritik bedrftig27Blumenberg, Hans: sthetische Aufheiterung. In: Blumenberg, Hans: Arbeit am Mythos. Dritter Teil, Kap. IV. Frankfurt am Main. 1979. S.421.

, postuliert Hans Blumenberg in seiner Arbeit ber den Mythos. Wieland fhrt seine Gedanken dem Schluss zu. Prometheus sei blind fr den Fehler seiner Geschpfe gewesen, da er zu sehr in sein eigenes Werk verliebt gewesen sei: Geschpfe, deren Unschuld und Glckseligkeit von ihrer Unwissenheit abhngt, [...] befinden sich immer in einer sehr unsichern Lage28Wieland, Christoph Martin: ber die von J.J. Rousseau vorgeschlagenen Versuche den wahren Stand der Natur des Menschen zu entdecken nebst einem Traumgesprch mit Prometheus. Kap. 13-18. In: Christoph Martin Wieland: Smmtliche Werke. Leipzig 1794-1811. Bd. XIV. S.233.

. Sptestens an dieser Stelle bemerkt der Leser eine gravierende Abweichung von anderen Prometheus Rezeptionen: der Feuerraub, ansonsten ein zentrales Element des Mythos, findet bei Wieland nicht statt. Der Mensch bleibt unmndig und ist durch seinen Schpfer, der selbst ein Rousseauist ist, niemals aufgeklrt worden. Diese zentrale Aufgabe kommt jetzt der Aufklrung zu, um die ansonsten gelungene Schpfung des Menschen zu Ende zu fhren. In Wielands Text ist die Dialogform zunchst nicht eindeutig als solche zu erkennen. Der Dialog ist eingebettet in eine Einleitung zum Traum und darauf folgende erzhlerische Elemente. Erst als Prometheus mit der Erzhlung seiner Erschaffung der Menschen beginnt, markiert Wieland die direkte Rede. Der Dialog ist geprgt von der Rede des an den Felsen Gefesselten, die nur vereinzelt vom Trumer unterbrochen wird. Die Elemente eines Traums finden sich im Text wieder, so wird etwa der Trumer unmittelbar ins Geschehen geworfen und wundert sich auch nicht ber das Treffen mit Prometheus. Auch das pltzliche Erwachen auf dem Hhepunkt des Erzhlstrangs ist symptomatisch. Wieland setzt in seinem philo-sophischen Dialog also Stilmittel anderer Gattungen wie etwa des Traumes ein, obwohl es wider die Regeln der feinen Lebensart sey, in guter Gesellschaft seine Trume zu erzhlen.29Ebd. S.207.

Durch die Herleitung und den Abschluss des Dialogs mit narrativen Mitteln, den subtilen Sarkasmus sowie die Unterbrechung der Erzhlung Prometheus' spinnt Wieland eine dichte und glaubwrdige Atmosphre, in der sich sein philosophisches Gedankengut voll entfalten kann.Whrend Christoph Martin Wieland in seinem philosophischen Dialog einen Trumer ber den wahren Stand der menschlichen Natur sinnieren lsst, widmet sich Johann Gottfried Herder ebenfalls zentralen Forderungen der Aufklrung. Das Gesprch in Herders Dialog Voraussicht und Zurcksicht30Herder, Johann Gottfried: Voraussicht und Zurcksicht. Ein Gesprch. In: Herder, Johann Gottfried: Smtliche Werke. Hrsg. von Bernhard Suphan. Berlin 1883. Bd.18. S.377ff.

findet nach der Befreiung des Prometheus statt, eine Situation, welche die meisten Mythos-Rezeptionen nicht kennen oder ausklammern. Bereits die berschrift des Textes ist mit Ein Gesprch untertitelt und lsst einen Dialog ohne erzhlerische Elemente folgen. Herder lsst als Figuren die Brder Prometheus und Epimetheus auftreten, erst spter mischt sich Pallas ins Gesprch ein und wirkt schlichtend auf den Gesprchsverlauf ein, so dass zum Schluss sogar eine conclusio steht. Seinen Figuren schreibt Herder stereotype und aus der bisherigen Rezeption des Mythos erwartbare Rollen zu: Epimetheus mimt den unwissenden Tlpel aus Aischylos' Prometherie, der wider besseres Wissen die Bchse der Pandora ffnet und somit nebst der Hoffnung auch die Reue und Entschuldigung frei lsst. Sein Bruder spielt wie so oft die Rolle des wissenden Knstlers, der seine Geschpfe zu kennen meint, aber stets etwas selbstschtig agiert. Prometheus sieht sich selbst als ber seinem Bruder stehend und somit ist ihm seine Hybris im gesamten Gesprch anzumerken. Schlielich tritt noch die Gttin Pallas Athene hinzu, die zwar darauf bedacht ist, das Gesprch zu beruhigen, dabei aber lediglich mit Prometheus zu kommunizieren scheint und seinen Bruder vollkommen ignoriert. Sie bernimmt die Aufgabe einer Moderatorin, wobei sie das Gesprch zielstrebig auf ein Ende hinfhrt. Als Gttin steht sie in der Hierarchie ber den Brdern und gleicht teilweise einer Mutter, die ihre trotzigen Kinder zurechtweist. In der ersten Hlfte des Dialogs stehen sich die Positionen von Epimetheus und Prometheus gegenber. Die Figur des Prometheus reprsentiert die Ideen der Aufklrer, er gehrt einer Minderheit an, denn die meisten [Menschen] sind von Epimetheus' Art31Ebd. S.378.

. Ausgangspunkt fr das Gesprch ist die Erschaffung der Menschen: Epimetheus ist der Meinung, sein Bruder habe ihnen zu viel Voraussicht oder auch Vorsicht zugetraut, dieser jedoch hlt entgegen, die trgerische Hoffnung sowie Reue und Entschuldigung aus der Bchse der Pandorra freizulassen, sei der eigentliche Fehler gewesen. Zunchst bedarf es nun der Klrung des Begriffs der Voraussicht oder Vorsicht aus dem Kontext. Herders Prometheus definiert ihn weniger als kluges Reflektieren und Schlussfolgern aus der Vergangenheit, sondern als richtiges Einschtzen der Zukunft durch geistige berlegung. Dabei solle die Zurcksicht lediglich zur Strkung und Erholung32Ebd. S.378.

dienen, aber weder Grundlage noch ein Ersatz fr den Blick nach vorne werden. Vorsicht ist das den Menschen berbrachte himmlische Licht, das ihnen eine Weiterentwicklung erst ermglicht und somit die Grundlage fr das Lernen und Lehren darstellt. Aus der Diskussion der ungleichen Brder ergeben sich im Wesentlichen zwei Kernthesen, die Prometheus stellvertretend fr die Aufklrer aufstellt. Wenn aber das lige Rckwrtssehen den Blick der Vorsicht schwcht, [...] da ist die Rckerinnerung verderblich, uerst verderblich33Ebd.

, mahnt Prometheus. Der Blick sollte nach vorne gerichtet sein, zwar gibt das in der Vergangenheit geleistete neue Kraft, aber die Fehler der Geschichte knnen verngstigen, das Betrachten des Geleisteten lsst bequem werden. Prometheus der Aufklrer hat Angst vor dem ungelsten Dilemma der Aufklrung nach ihrer eigenen Selbsterfassung. Er tritt die Flucht nach vorne an und will den Prozess weiter vorantreiben. Die Argumentation seines Bruders, man knne schlielich aus den Fehlern und Erfahrungen anderer lernen, lehnt er ab. Jedes Geschehen msse aus neuer, eigener Perspektive betrachtet werden: Wer nur von anderen lernen will, wird andre nie verstehen, wird sich und andere nie lehren34Ebd.

. Das eigenstndige Denken ist somit die zweite Forderung, die Prometheus aufstellt. Himmlisch ist das Licht, das ich den Sterblichen gab; es stammet nicht von der Erde35Ebd.

, also msse der Mensch seinen Horizont ber das bloe Wiedergeben und Erneuern von Irdischem erweitern und dadurch Fortschritt ermglichen. Die Abkehr von bereits Geschehenem ist aber gleichzeitig auch die Abkehr von berholten Vorstellungen, Idealen und gesellschaftlichen Normen, welche die Aufklrung fordert. Das himmlische Licht ist Sinnbild fr das vernnftige Denken und erst der vllige Schnitt ermglicht es, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Deshalb verurteilt Prometheus auch derart vehement die von Epimetheus aus der Bchse der Pandorra befreite Hoffnung als trgerisch, denn die verhassten alten Obrigkeiten nutzten diese, um ihr System weiterbestehen zu lassen und eine Auflehnung der unmndigen Unterdrckten abzuwenden. Sowohl der individuelle als auch der gesellschaftliche geistige Emanzipationsprozess soll weiter vorangetrieben werden. Prometheus ist seinem Bruder in der Argumentation berlegen, erst das Auftreten von Pallas revidiert dessen ungestme Aussagen zum Teil. Pallas wirkt zugleich vermittelnd als auch erklrend auf den Streit ein. Sie ordnet die Menschheit den beiden Brdern zu: Die meisten sind von Epimetheus' Art; sie mssen und wollen nur durch Schaden klug werden.36Ebd.

. Diese Menschen bentigen Reue und Entschuldigung und ohne Hoffnung auf Besserung knnten sie nicht existieren. Sie stehen fr den unmndigen, noch nicht aufgeklrten Teil der Menschheit. Seit je her stellen die das Gros der Menschen dar. Die wenigen hingegen von deiner Art, Prometheus, denen ich selbst den himmlischen Funken in die Seele senkte [...]37Ebd. S.379.

, fhlen sich durch die brigen gehindert. Doch auch sie bleiben, ebenso wie Prometheus, nicht frei von Irrtmern. Pallas erinnert Prometheus an dessen Gefangenschaft, in der dieser zwar folgerte, dass er befreit werde, aber den Zeitpunkt nicht datieren konnte: Die khnsten Voraussehenden irren sich, wie Du, meistens in der Zeitfolge ihrer Unternehmungen: was ihr Blick schnell umfate, kann der trge Fu der Menschen erst langsam und mit Mhe erreichen.38Ebd.

Diese Metapher Pallas' stellt die zentrale Aussage des Dialogs dar. Sie mahnt die Aufklrer zur Geduld. Sie stellt die von Prometheus gechtete Hoffnung auf eine Stufe mit der Vorsicht. Dem Menschen gelte es, die Gaben der Brder konstruktiv anzuwenden und zu nutzen. Da das Leben eines jeden Menschen einen eng begrenzten Rahmen habe, gelte es fr jeden einzelnen, zu jedem Zeitpunkt das richtige Ma an Vorsicht und Zurcksicht zu finden. Dadurch erst knne der Mensch Weisheit erlangen. Der Dialog dient in Herders Text vor allem als treibendes Element der Argumentation zwischen den Protagonisten und folgt einheitlich dem Schema von These und Gegenthese. Dabei steht jedoch oft Aussage gegen Aussage, die Thesen werden lediglich argumentativ untersttzt, denn illustrierende Beispiele fehlen vllig. Dafr bedienen sich die Figuren griffiger Metaphern, durch welche dem Leser und Interpreten die zentralen Aspekte verdeutlicht werden.

3. Schlussfolgerung

Prometheus war, ist und bleibt auch in Zukunft eine bedeutende, vielschichtige Figur fr Literaten und Schriftsteller. Bereits der Blick durch das Fenster der Aufklrung offenbart die Mglichkeiten des Mythos und ffnet somit die Tr zu den Ideen, den Menschen und der Literatur dieser Epoche. Wieland und Herder verarbeiten den Mythos des Menschenbildners zwar in der selben Epoche, in der selben Form eines Dialogs und mit der Absicht, Dinge zu erklren und Gedanken durch literarische Ausgestaltung anschaulich zu machen. Dennoch unterscheiden sich die Texte wesentlich, auf stilistischer Ebene verwenden beide unterschiedliche Mittel und die Figur des Prometheus wird gnzlich verschieden dargestellt. Einerseits ist da der rckstndig wirkende und in der Vergangenheit seines Gedankenguts gefangene Prometheus Wielands, der sich trotz seines mythologischen Hintergrundes als in Wielands Augen unaufgeklrter und egozentrischer Titan auftritt. Er stellt die Position Rousseaus und damit den Gegenpol zu Wielands Meinung dar. Im seinem Dialog Traumgesprch mit Prometheus meistert dieser das Paradoxon, den kreativen Schpfer Prometheus als ein verbittertes Relikt der Vergangenheit darzustellen, dessen Werk Mensch der eigenen Langeweile entsprang und der von seiner eigenen Hybris vllig verblendet den Bezug zur Gegenwart verloren hat. Die dadurch erzeugte Spannung dieser Parodie gipfelt schlielich mit dem Erwachen aus dem Traum und der nun folgenden Frage nach dem wahren Wesen der Bchse Pandorras. Dass sich diese als simple Schminkbchse entpuppt, parodiert Rousseaus Thesen der Unntzlichkeit der menschlichen Kultur. In Herders Prometheus Rezeption wird allerdings ein anderer Prometheus geschildert. Entfesselt von seinen Ketten reflektiert dieser im Dialog mit seinem Bruder und der Gttin Pallas ber Voraussicht und Rcksicht. Die Dialogform folgt hier strikt den Regeln eines Dramas mit Rede und Gegenrede, ohne weitlufige Einfhrung wird der Leser mit den Positionen der Figuren konfrontiert und genauso abrupt endet der Dialog mit dem finalen Satz der Gttin, ohne jedoch die Debatte ber das richtige Ma an Voraussicht endgltig abzuschlieen. Beide Texte lassen den Lesern Raum fr die Weiterentwicklung der Thesen und bieten weitlufige Diskussionsmglichkeiten. Die Autoren vermeiden es, eine fr die Leserschaft offensichtliche Wertung in ihre Texte einflieen zu lassen, subtile Anspielungen lassen sich jedoch bei Wieland nicht berlesen, dessen Text merklich Teil eines Diskurses ist. Die beiden Prometheus Rezeptionen zeichnen also ein durchaus differenziertes Bild einer Epoche, die ohne Zweifel einen der bedeutendsten Zeitabschnitte in der Entwicklung westlichen Kultur darstellt. Aus heutiger Perspektive betrachtet, knnte den Ideen und Forderungen der Aufklrung erneut groe Bedeutung zukommen. Die Konzeption des Dialogs der Kulturen fordert gegenseitiges Verstndnis und Kompromissbereitschaft, ber ihr hngt jedoch das Damokles Schwert vom drohenden Kampf der Kulturen39Huntington, Samuel P.: Kampf der Kulturen: die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. 5. Auflage. Mnchen 2002.

. Doch kann eine westliche Welt, die sich mehr und mehr ihrer eigenen Privilegien beschneidet mit Menschen aus Kulturkreisen in einen Dialog treten, die selbst keine Aufklrung erfahren haben? Herders Pallas Athene teilt die Menschen Epimetheus und Prometheus zu, fordert die Brder dazu auf, die Menschen Voraussicht zu lehren. Die heutige westliche Kultur, die sich mehr und mehr Mammon unterwirft, die erkmpfte Freiheit und Unabhngigkeit stckweise revidiert und in der die Produktion von Schminkbchsen das Limit des Mglichen schon lange erreicht hat, scheint wohl kaum in der Lage, reinen Gewissens die Position des Prometheus vertreten zu knnen.

4. Bibliographie

Primrliteratur:Herder, Johann Gottfried: Voraussicht und Zurcksicht. Ein Gesprch. In: Herder, Johann Gottfried: Smtliche Werke. Hrsg. von Bernhard Suphan. Berlin 1883. Bd. 18, S. 377-380.

Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. In: Lessings Werke, Bd. I. Hrsg. von Kurt Wlfel. Frankfurt am Main 1967.

Rousseau, Jean-Jaques: Discours sur les sciences et les arts. In: Kleines Archiv des 18. Jahrhunderts. bersetzt von Johann Daniel Tietz.

Wieland, Christoph Martin: ber die von J.J. Rousseau vorgeschlagenen Versuche den wahren Stand der Natur des Menschen zu entdecken nebst einem Traumgesprch mit Prometheus. Kap. 13-18. In: Christoph Martin Wieland: Smmtliche Werke. Leipzig 1794-1811. Bd. XIV, 206-235.

Sekundrliteratur:Alt, Peter-Andr: Der Schlaf der Vernunft. Traum und Traumtheorie in der europischen Aufklrung. In: Das Achtzehnte Jahrhundert. Hrsg. von Carsten Zelle. Wolfenbttel 2001. S. 56 82.

Blumenberg, Hans: sthetische Aufheiterung. In: Blumenberg, Hans: Arbeit am Mythos. Dritter Teil, Kap. IV. Frankfurt am Main. 1979. S. 412-431.

Blumenberg, Hans: Zndkraut einer Explosion. In: Blumenberg, Hans: Arbeit am Mythos. Vierter Teil, Kap. I. Frankfurt am Main 1979. S. 438-466.

A.A. Earl of Shaftesbury: Philosophische Werke. Aus dem Englischen 1776-1779. Bd. 1. S. 206f.

Winter, Hans-Gerhard: Dialog und Dialogroman in der Aufklrung. Mit einer Analyse von J.J. Engels Gesprchstheorie. Darmstadt 1974.

Christoph Martin Wieland. Epoche Werk Wirkung. Hrsg. von Sven-Aage Jrgensen, Herbert Jaumann, John A. McCarthy, Hort Thom. Mnchen 1994.

Erklrung

Hiermit versichere ich, Jonathan Gau, dass ich die Arbeit selbststndig und nur mit den angegeben Quellen und Hilfsmitteln angefertigt habe. Alle Stellen der Arbeit, die ich anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach entnommen habe, sind kenntlich gemacht.

Ort, Datum:Unterschrift:

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