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Universität Potsdam Wirtschafts - und Sozialwissenschaftliche Fakultät Professur für das politische Diplomarbeit zum Thema: Typologien des Gedenkens in Deutschland nach der Wiedervereinigung Paradigmenwechsel in der Gedenkkultur am Beispiel der KZ-Gedenkstätten - Verlieren die KZ-Gedenkstätten ihre Funktion als primäre authentische Gedenkorte? 1. März – 2. Juli 2004 vorgelegt bei Prof. Dr. Jürgen Dittberner eingereicht von: Franziska Schumann Dipl. Verwaltungswissenschaft Matrikelnummer: 136365 Adresse: Paul-Neumann-Straße 66, 14482, Potsdam Telefon: 0331-740 66 13; E-Mail: [email protected]

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Universität Potsdam

Wirtschafts - und Sozialwissenschaftliche Fakultät

Professur für das politische System der Bundesrepublik Deutschland

Diplomarbeit zum Thema:

Typologien des Gedenkens in Deutschland nach der Wiedervereinigung

Paradigmenwechsel in der Gedenkkultur am Beispiel der KZ-

Gedenkstätten - Verlieren die KZ-Gedenkstätten ihre Funktion als

primäre authentische Gedenkorte?

1. März – 2. Juli 2004

vorgelegt bei

Prof. Dr. Jürgen Dittberner

eingereicht von:

Franziska SchumannDipl. Verwaltungswissenschaft

Matrikelnummer: 136365 Adresse: Paul-Neumann-Straße 66, 14482, Potsdam

Telefon: 0331-740 66 13; E-Mail: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

VORWORT..................................................................................................................3

EINLEITUNG...............................................................................................................4

1. DIE KONSTRUKTION DER VERGANGENHEIT.................................................71.1 Formen der kollektiven Erinnerung: Das kommunikative und das

kulturelle Gedächtnis................................................................................101.2 Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus - Zur Spezifität des

Opfergedenkens........................................................................................142. ZUGANG ZU EINER ERINNERUNGSKULTUR................................................18

2.1 Erinnerungskultur im geteilten Deutschland.........................................222.1.1 Die Erinnerungskultur in der Bundesrepublik......................................232.1.2 Die Erinnerungskultur in der DDR.......................................................27

2.2 Ein vorläufiges Fazit.................................................................................292.3 Zur Semantik der Erinnerungskultur.......................................................30

2.3.1 Annäherung an den Begriff der modernen Erinnerungskultur............312.3.2 Ein facettenreicher Terminus.............................................................34

2.4 Von der Erinnerungskultur zur Gedenkkultur - Ein Gedankenspiel?. .353. ANSÄTZE ZUR GENESE EINER GEDENKKULTUR........................................40

3.1 Abgrenzung zum Terminus der modernen Erinnerungskultur.............453.2 Die Konstituanten der Gedenkkultur.......................................................49

3.2.1 Typologien des Gedenkens................................................................503.2.2 Grafische Darstellung der Typologien des Gedenkens.......................57

3.3 Zur Transformation der Gedenkkultur im vereinten Deutschland - Herausforderungen und Ansprüche.......................................................58

3.3.1 Die Neukonzeption der Gedenkstätten und die Enquête-Kommissionen........................................................................................................

643.3.2 Ein vorläufiges Fazit............................................................................68

3.4 Gedenken am authentischen Ort - Die KZ-Gedenkstätten....................694. DIE GEDENKSTÄTTEN BERGEN-BELSEN, SACHSENHAUSEN UND

MITTELBAU-DORA...........................................................................................724.1 Die Auswahl der Untersuchungsobjekte................................................734.2 Vorgehensweise und Methode................................................................734.3. Geschichtlicher Exkurs............................................................................734.4 Aufbau und Struktur der einzelnen Untersuchungsobjekte: Bergen-

Belsen, Sachsenhausen und Mittelbau-Dora.........................................794.4.1 KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen........................................................804.4.2 KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen......................................................834.4.3 KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora........................................................844.4.4 Kurze Bewertung der Ergebnisse.......................................................85

Typologien des Gedenkens

4.5 Die funktionale Gedenkstätte...................................................................864.6 Der Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis am

Beispiel der Untersuchungsobjekte........................................................914.7. Die Gedenkstätten unter Anpassungsdruck - Eine zusammen-

fassende Betrachtung der Ergebnisse...................................................945. DER WIRKUNGSGRAD DER GEDENKTYPOLOGIEN - ENTZAUBERUNG

DER AUTHENTISCHEN ORTE?.......................................................................985.1 Kritische Einordnung der Mahnmaldebatte...........................................995.2 Instrumentalisierung der öffentlichen Kommemoration.....................104

6. ZUSAMMENFASSUNG UND BEWERTUNG DER ERGEBNISSE.................106

SCHLUSSBETRACHTUNG....................................................................................109

7. ANHANG..........................................................................................................110

8. LITERATURVERZEICHNIS UND QUELLENNACHWEIS...............................113

Ehrenwörtliche Erklärung

2

Typologien des Gedenkens

VorwortDie Überlegungen dieser Arbeit sind ein Angebot, eine Diskussionsbasis. Sie

bringen keine Beweise vor, sondern nur Indizien, Hinweise und persönliche

Einstellungen, die für sich eine Plausibilität und innere Stimmigkeit beanspruchen,

weil ich versuche, sie aus verschiedenen Evidenzquellen und aus den Befragungen

zusammenzufügen. Zum Teil getroffene Aussagen und Wertungen sind in der Regel

nicht das Resultat akademischer Überlegungen, sondern persönlicher Erfahrungen.

Eine enge persönliche Verbundenheit zum Thema, zur Auseinandersetzung mit der

Geschichte der Zeit der NS-Herrschaft und ihren verheerenden Folgen noch für

Generationen, verhindern oftmals eine objektive Einschätzung. Meine jahrelange

Mitgliedschaft in einem Jugendverein, welcher an eine Gedenkstätte formell

angegliedert ist und zum Teil freundschaftliche Beziehungen zu überlebenden

ehemaligen Häftlingen pflegt, führt teilweise zu apologetischen oder gar

moralisierenden Aussagen.

Auch wenn die Ausgangslage denkbar ungünstig für eine wissenschaftliche

Herangehensweise ist, so lag es mir am Herzen mit dieser Arbeit ein Plädoyer für

die ortfeste Gedenkpraxis in KZ-Gedenkstätten zu setzen.

3

Typologien des Gedenkens

EinleitungDie dunklen Prognosen, dass unsere Gesellschaft unter Gedächtnisverlust leidet

und dies einen Rückgang der öffentlichen Beschäftigung mit dem

Nationalsozialismus mit sich bringt, haben sich nicht erfüllt. Als diametrale

Erscheinung ist hingegen der Geschichts- und Erinnerungsboom Wirklichkeit

geworden. Die vielen Kontroversen im geschichtspolitischen Bereich zeigen, dass

die Bedeutung der Vergangenheit und die Geschichtsdeutung in pluralistisch

verfassten Gesellschaften nicht sinkt, sondern dass den Konflikten um die historisch

orientierte Sinndeutung eine besonders große Bedeutung bei der Fixierung von

Werten beigemessen wird.

Der Begriff der Erinnerung hat Konjunktur und resultiert aus einer spezifischen

Situation: in Bezug auf die Erinnerung an die nationalsozialistische Vergangenheit

stehen wir an einer Epochenschwelle: am Übergang vom kommunikativen zum

institutionellen, kulturellen Gedächtnis. Prekärerweise konvergiert der Übergang zum

kulturellen Gedächtnis mit einem weiteren historischen Ereignis, das die Virulenz der

Erinnerungsdiskussion verstärkt. Die Vereinigung der beiden deutschen Staaten

stellt aus der Sicht der gesellschaftlichen Integration des kollektiven Gedächtnisses

eine doppelte Herausforderung dar: zum einen werden zwei völlig unterschiedliche

Erinnerungskulturen zusammengeführt und konfrontiert und zum anderen bedarf es

der Berücksichtigung der Geschichte von SED-Diktatur und Stalinismus. Mit dieser

Konstellation war von Anfang an die Angst verbunden, dass die Diskurse um die

DDR-Vergangenheit und die Bedeutung der Abgrenzung zum Unrecht im NS-

Regime deren Verbrechen relativieren können. Mit der Liberalisierung der

Gedenkplattform konnten sich neben der ortsfesten Gedenkpraxis weitere Formen

des reflexiven Umgangs mit dem Nationalsozialismus ausbilden und sich eine

weiter-entwickelte Form der Erinnerungskultur konstituieren - die Gedenkkultur. Die

konstitutiven Elemente der Gedenkkultur werden als miteinander konkurrierende

Gedenktypologien vorgestellt und zueinander in Relation gesetzt. Die Memoration

am authentischen Ort ist der Ausgangspunkt für alle anderen Formen des

Gedenkens, ohne dieses könnten die anderen Formen theoretisch nicht

4

Typologien des Gedenkens

ausgewiesen werden. In Anbetracht der Tatsache, dass hier der ortsfesten

Gedenkmemoria die vorrangige Stellung innerhalb der Gedenkkultur eingeräumt

werden wird, soll diese Abhandlung aufzeigen, dass sich die KZ-Gedenkstätten nicht

nur den offensichtlichen Faktoren, wie der veränderten Wahrnehmung unserer

Umwelt und dem Verlust der Zeitzeugen stellen müssen, sondern sich auch gegen

die zahlreichen virtuellen Debatten über Gedenkkultur und Denkmalkultur

emanzipieren müssen.

Diese Ausgangssituation akzentuiert einen Aspekt, welcher in der

Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust bisher nur

wenig Aufsehen erregte. Sowohl das Bewusstwerden des bevorstehenden Verlusts

der Zeitzeugenschaft, als auch die staatliche Vereinigung rücken die Bedeutung von

kollektiv verbindlichen Entscheidungen über die Ausgestaltung einer offiziellen

Gedenkkultur in den Fokus des Interesses. Die daraus resultierenden Fragen nach

den Beiträgen des politischen Systems zu Form und Inhalt des institutionalisierten

Gedenkens manifestieren sich zuerst anschaulich an den authentischen Orten - den

KZ- Gedenkstätten.

Die zentrale These dieser Arbeit ist, dass wir einen Paradigmenwechsel in der

Gedenkkultur erleben, der zum Verlust der primären Stellung der authentischen

Orte, genauer, der KZ-Gedenkstätten führt. Dieser Paradigmenwechsel lässt sich als

Resultat einer Metamorphose innerhalb der Gedenkkultur feststellen. Dieser Prozess

beginnt mit der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten und dem

Zusammenführen zweier disparater Erinnerungskulturen. Mit der Transformation der

beiden deutschen Erinnerungskulturen zu einer bundesweiten Gedenkkultur wird die

zweite Phase des Paradigmenwechsels eingeläutet. Die daraus resultierende

Liberalisierung archaischer Trauer- und Gedenkriten und die Erweiterung der

konventionellen Handlungsfelder der KZ-Gedenkstätten, stellen diese vor immense

Herausforderungen und sie geraten innerhalb der politischen Sphäre immer wieder

in ein Spannungsverhältnis zwischen Emanzipation und moralisch-pädagogischer

Verpflichtung.

Wie weit die KZ-Gedenkstätten in unserer Gedenkkultur und unserer Gesellschaft

als sinnbildende Elemente und multifunktionale Lernorte verankert sind, wird durch

5

Typologien des Gedenkens

die Ergebnisse der Literaturrecherche zur Thematik aufgezeigt und Aussagen und

Prognosen auch durch die Experteninterviews gestützt. Die getroffenen Aussagen

beziehen sich im weiteren Sinn auf die KZ-Gedenkstätten im bundesdeutschen

Gebiet. Im engeren Sinn werden die Aussagen den drei untersuchten Objekten

zugeordnet werden. Da nur insgesamt drei Experteninterviews in den Gedenkstätten

geführt worden sind, sollen keine apodiktischen Schlussfolgerungen gezogen

werden. Die verschiedenen Ausführungen zur Gedenkkultur und den einzelnen

Gedenktypologien beziehen sich wiederum auf die KZ-Gedenkstätten und können

ihrerseits nur im Licht des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland

betrachtet werden.

6

Typologien des Gedenkens

„Es gibt keine menschliche Kultur ohne das für sie

konstitutive Element der gemeinsamen Erinnerung.

Durch Erinnern, Deuten und Repräsentieren der

Vergangenheit verstehen die Menschen ihr gegen-

wärtiges Leben und entwickeln eine Zukunfts-

perspektive von sich selbst und ihrer Welt.“

(Jörn Rüsen)

1. Die Konstruktion der Vergangenheit

Kein historisches Ereignis hat die Frage nach der Funktion, nach den Grenzen und

nach der Zerstörung von Erinnerung zugleich so radikal gestellt wie der Holocaust.

Seit einigen Jahre wird eine anhaltende, länderübergreifende Diskussion in den

Kulturwissenschaften zur Erinnerung im weitesten Sinne geführt. Beteiligt sind daran

nicht nur die Geschichtswissenschaften, sondern, um hier nur exemplarisch die

Wichtigsten zu nennen, ebenso die Literatur- und Kunstwissenschaften, die

Ethnologie sowie die Soziologie und Politikwissenschaft. Wie so häufig in aktuellen

wissenschaftlichen Diskussionen, erweist sich die Debatte um die Erinnerung als

facettenreich: wissenschaftsintern steht sie im Kontext der intensivierten Reflexion

auf die grundlegenden Bedingungen wissenschaftlicher Erkenntnis. Gefragt wird

nach dem Zusammenhang von individueller und kollektiver Erinnerung, nach dem

Verhältnis von Geschichte und Erinnerung, nach den medialen Trägern1 von

Erinnerungen: Schrift und Bild, Denkmale, Orte, Gegenstände und Rituale des

alltäglichen Gebrauchs.

Darüber hinaus hat die Diskussion aber gerade in Deutschland eine herausragende

politische Aktualität: Wir fragen seit einiger Zeit intensiver als früher nach der

Bedeutung unserer Erinnerung an die Zeit nationalsozialistischer Herrschaft in 1 Vgl. Assmann, Jan: Kollektives und kulturelles Gedächtnis- Zur Phänomenologie und Funktion von Gegen-Erinnerung, S. 13-32, in: Borsdorf, Ulrich/ Grütter, Heinrich Theodor (Hg.): Orte der Erinnerung- Denkmal, Gedenkstätte und Museum, Frankfurt/ New York, 1999.

7

Typologien des Gedenkens

Deutschland für unsere eigene Gegenwart und Zukunft, nach dem rechten

moralischen und politischen Umgang mit dieser Erinnerung im Angesicht neuer

politischer Konstellationen und Herausforderungen. Erstmals fragen wir nach den

Chancen und Gefahren des Vergessens. Dass wir uns gerade jetzt so intensiv mit

Erinnerungen beschäftigen wollen, korreliert vor allem mit dem fortschreitenden

Generationenwechsel. Er rückt die Epoche des deutschen Faschismus heute über

die pure zeitliche Distanz hinaus, in eine neue existenzielle Ferne. So ist uns

konsequenterweise die jüngere deutsche Geschichte ein wesentlicher Anstoß, für

die Frage nach dem Wesen und der Struktur von Erinnerung und meines Erachtens

auch notwendig, um die Angst und Konsequenzen des Vergessens zu begreifen.

Der Bezug menschlicher Gesellschaften zu ihrer Vergangenheit ist ein

außerordentlich komplexer, kultureller Prozess. In der Erinnerung wird

Vergangenheit rekonstruiert. Der Begriff der Erinnerung setzt hohe Ansprüche an die

Beschreibung komplexer Gesellschaften. Als Wertebegriff oder Ursprungsschema,

so wie in der des christlichen Abendlandes, kann es nicht genügen, um die vielen

einzelnen, die Vorstellungen einer Zugehörigkeit, eines Zusammenhalts oder einer

Verpflichtung zu begründen. Offenbar brauchen wir Erzählungen über gemeinsam

errungen Siege, gemeinsam erlittene Verfolgung oder eben gemeinsam begangene

Verbrechen, die starke Wir-Gefühle erzeugen können und so den Horizont möglicher

Zuschreibung begrenzen. Das alles weist auf eine lange und endlose Geschichte

hin, die nie zu Ende erzählt werden kann und selten aufgeht. Wahrscheinlich hängt

dies mit dem „sperrigen Charakter“2 von Erinnerungen zusammen, die schwerlich

auf

eine Linie zu bringen sind, weil sie schnell zu abseitigen, vergessenen und

unterdrückten Geschichten führen.

Um dem Mythos gleich vorweg zu greifen: authentische Erinnerung gibt es nicht,

denn es gibt sie nur als Verfremdung der tatsächlichen Erfahrung, als Schmerz oder

als Kontinuitäts- und Traditionsbruch, verbunden mit dem steten Versuch, der

Vergangenheit habhaft zu werden. Dabei ist die Erinnerung als solche keine fraglos

vorauszusetzende Basis, sich über die Vergangenheit zu verständigen, sondern eine

in sich höchst widersprüchliche soziale Form und ein kulturelles Konstrukt, das 2 Vgl. Bude, Heinz: Erinnerung der Generationen, S. 69, in: König/Kohlstruck/Wöll (Hg.): Vergangenheitsbewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, Opladen/ Wiesbaden, 1998.

8

Typologien des Gedenkens

zumeist durch Trennung und Tod als natürliche Zäsuren in der kollektiven

Erfahrungsgeschichte ausgelöst wird. Erinnerung ist nicht einfach nur Bewahrung,

Festhalten und Speichern. Vielmehr ist Erinnerung ein „kreativer, modellbildender

9

Typologien des Gedenkens

Prozeß.“3

Das schwierigste Problem allerdings ergibt sich aus der Perspektive des Erinnerns,

denn Erinnerung ist auch ein Prozess der Semiose: man erinnert sich vor allem an

das, was einem wichtig ist; von dem Punkt beginnend, an dem Licht auf die

Ereignisse fällt. Wessen Erinnerung ist nun maßgebend? Was wird in welcher Form

erinnert und wer darf wann Einspruch erheben und Korrekturen vornehmen? Welche

selektiven Maßnahmen wirken in der Gemeinschaft oder Gesellschaft, um eine

bestimmte Erinnerung durchzusetzen und eine andere zu verhindern?

Vom Erinnern ist das Vergessen nicht abzulösen, es hat notwendig an ihm Teil

und geht in dieses ein. Die konsequente Verbindung von Erinnern und Vergessen

zeigt sich noch einmal in seiner paradoxen Form, nach der ein Phänomen erst

abhanden gekommen sein muss, damit es in das volle Bewusstsein zurückgelangen

kann. Bewusstsein entwickelt sich erst dann, wenn etwas vergangen ist, das nicht

mehr der Gegenwart angehört.

In der Erinnerung wird die Vergangenheit rekonstruiert, wenn man Bezug auf sie

nimmt. Dass man sich auf die Vergangenheit beziehen kann, setzt zwei Dinge

voraus: die Vergangenheit darf nicht völlig verschwunden sein, es muss Zeugnisse

darüber geben und diese Zeugnisse müssen eine charakteristische Differenz zur

Gegenwart aufweisen.4 Diese Differenz kann sich am deutlichsten im Sprachwandel

erklären, der sich langsam vollzieht und auch erst dann ins Bewusstsein tritt, wenn

man auf sogenannte Sondersprachen oder alte Sprachen stößt. Diese Differenz

zwischen dem alten und dem Neuen kann allerdings auf jede andere Art und Weise

auftreten, als durch den sprachlichen Wandel. Jeder Kontinuitätsbruch kann zur

Entstehung von Vergangenheit führen und zwar dann, wenn nach solch einer Zäsur

ein Neuanfang versucht wird. Deutlich wird dies besonders am Beispiel der

Renaissance: Neuanfänge treten immer in der Form eines Rückgriffs auf die

Vergangenheit auf. In dem Maße wie die Zukunft erschlossen und produziert wird, in

dem Maße wird Vergangenheit entdeckt.

3 Assmann, Jan: Kollektives und kulturelles Gedächtnis, S. 16, in: Borsdorf/Grütter (Hg.): Orte der Erinnerung, 1999.4 Vgl. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis- Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München, 2002, S.32f.

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Typologien des Gedenkens

Die ursprünglichste Form, in der sich die Entscheidung zwischen Verschwinden

und Bewahren stellt, ist der Tod. Gewissermaßen ist der Tod die Ur-Erfahrung des

zeitlichen Bruchs und die Basis, um eine Erinnerungskultur auszuprägen. Das

Totengedenken ist die ursprünglichste und verbreitetste Form der Erinnerungskultur

und hat mit dem Begriff Tradition und damit, was wir darunter verstehen, weniger

gemein. Dass man sich beispielsweise an Verstorbene erinnert, ist nicht eine Frage

der Tradition, sondern

„…Sache affektiver Bindung, kultureller Formung und bewussten, den Bruch überwindenden Vergangenheitsbezugs.“5

Sowohl die kulturelle Formung, als auch der bewusste Vergangenheitsbezug sind

Bestandteile dessen, was wir als kulturelles Gedächtnis bezeichnen und sich

dadurch klar vom Begriff der Tradition ablösen.

1.1 Formen der kollektiven Erinnerung: Das kommunikative und das kulturelle Gedächtnis

Die historischen Ereignisse der Massenverbrechen im 20. Jahrhundert werden in

ihrer Repräsentation im kollektiven Gedächtnis mit unterschiedlichen Kategorien

belegt. Betrachtet man zum Beispiel die geringe Resonanz, die der in unserer Zeit,

zwar auf einem anderen Kontinent mit anderen kulturellen Traditionen6, begangene

Genozid bei uns gefunden hat und sicherlich auch später in unserem Gedächtnis

haben wird, dann wird sichtbar, wie sehr unsere „eigene Kultur wie ein Filter“ 7 in

solchen Dingen wirkt. Denn entscheidend ist nicht was passiert ist, sondern vielmehr

wer etwas erinnert und um welchen spezifischen Fall es sich handelt - das

zusammen ist ausschlaggebend für die Repräsentation im Gedächtnis. Das heißt

auch, dass nicht das Verbrechen, die Vernichtung von Menschen als solches im

Vordergrund steht, sondern von wem es welcher Gruppe zugefügt wurde und

welche kulturellen Gedächtnistraditionen dafür eine Rolle spielen und damit die

Wertigkeit in unserer Erinnerung bestimmen.8 Dabei werden gespeicherte 5 Assman, J.: Kulturelles Gedächtnis, 2002, S.34.6 Es handelt sich um den Genozid an den Tutsi und oppositionellen Hutu in Ruanda, Beginn April 1994.7 Diner, Dan: Massenvernichtung und Gedächtnis- Zur kulturellen Strukturierung historischer Ereignisse, S. 47, in: Loewy, Hanno/ Moltmann, Bernhard (Hg.): Erlebnis-Gedächtnis-Sinn: authentische und konstruierte Erinnerung, Frankfurt a.M., 1996.8 Ebd.

11

Typologien des Gedenkens

Erfahrungen und Ausschnitte aus der Wirklichkeit von jedem anders wahrgenommen

und auf eine eigene Weise mit dem „subjektiven Beziehungsnetz“9 der Lebenswelt

verknüpft. Die persönliche Erinnerung wird aber durchaus nicht allein vom eigenen,

primären Erleben bestimmt, sondern ist immer auch ein Teil größerer

Zusammenhänge, von denen es beeinflusst wird, mit denen es lebt und sich

verändert. In den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelte der französische

Soziologe Maurice Halbwachs seinen Begriff des „mémoire collective“10. Die zentrale

These, die Halbwachs in seinen Werken voranstellte, ist die von der sozialen

Bedingtheit des Gedächtnisses. Die neusten Erkenntnisse in der Hirnforschung und

Bewusstseinspsychologie bestätigen den theoretischen Ansatz von Maurice

Halbwachs. Wir wissen heute, dass sich das menschliche Bewusstsein inklusive

Gedächtnis nur in der Kommunikation mit anderen Individuen entwickelt und

persönliche Erinnerung immer auch Teil größerer Zusammenhänge ist. Darauf will

der Begriff des kollektiven Gedächtnisses aufmerksam machen. Hier ist es sinnvoll,

den Begriff des kollektiven Gedächtnisses als Oberbegriff zu verwenden, innerhalb

dessen wir zwischen zwei Gedächtnisrahmen unterscheiden: dem kommunikativen

und dem kulturellen Gedächtnis.

Im kommunikativen Gedächtnis beziehen sich die Erinnerungen auf die rezente

Vergangenheit. Es sind Erinnerungen, die die Menschen mit ihren Zeitgenossen

teilen. Gemeint ist damit der Erfahrungsaustausch in der Alltagskommunikation in

der Familie, in privaten Kreisen und in anderen sozialen Milieus. Das kommunikative

Gedächtnis lebt von zufälligen Interaktionen, es ist nicht eingebettet in signifikante

Muster, sondern es ist informeller Gestalt. Ein typischer Fall dafür ist das

Generationengedächtnis, welches der Gruppe historisch zuwächst, das heißt, es

wächst mit seinen Trägern und vergeht auch mit seinen Trägern. Das

kommunikative Gedächtnis setzt die Träger der Erinnerungen in eine rege

Beziehung zueinander und schafft „lebendige Erinnerungsgemeinschaften“11. Diese

Gemeinschaften basieren auf spezifischen Erinnerungsstützen, zu denen

beispielsweise das familiäre Fotoalbum zählt. Man könnte auch sagen, dass es sich 9 Hockerts, Hans Günter: Zugänge zur Zeitgeschichte: Primärerfahrungen, Erinnerungskultur, Geschichtswissenschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 28/ 2001, S. 17f.10 Assman, J.: Kulturelles Gedächtnis, 2002, S.35.11 Hockerts, H.G.: Zugänge zur Zeitgeschichte, 2001, S.18.

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Typologien des Gedenkens

beim kommunikativen Gedächtnis um ein Kurzzeitgedächtnis handelt, mit dem sich

die Gruppenmitglieder über ihre selbst erfahrene Vergangenheit verständigen. Wenn

man das kommunikative Gedächtnis in eine Zeitstruktur setzte, würde man von

einem Zeithorizont von 3-4 Generation oder von ca. 80-100 Jahren sprechen.

Durch die enge Beziehung der Erinnerungsträger zueinander wird das

kommunikative Gedächtnis zwar zu einem gruppenbezogenen, aber

trägerunspezifischen Gedächtnis, weil es sich grundsätzlich um Zeitzeugen einer

Erinnerungsebene handelt, die nicht unbedingt einer spezifischen Gruppe

angehören.

Der andere Modus hingegen, das kulturelle Gedächtnis, richtet sich auf Fixpunkte in

der Vergangenheit. Die Vergangenheit wird zu einer symbolischen Größe, an die

sich die Erinnerungen heften. Die absolute Vergangenheit oder auch Urzeit ist eine

symbolische Figur, die sich in Vätergeschichten, in Revolutionen, in

Wüstenwanderungen oder auch im Exil wiederfindet und die etwa in liturgischen

Festen begangen wird.

Für das kulturelle Gedächtnis zählt nicht die faktische Erinnerung, sondern

ausschließlich die erinnerte Geschichte. Man könnte auch sagen, dass im kulturellen

Gedächtnis die faktische Geschichte erinnert wird und dadurch in Mythos

transformiert wird. Das Mythische bekommt nicht dadurch etwas unwirkliches,

sondern wird erst durch die Transformation zum realen Gegenstand. Der Mythos

dient der Erhellung der Geschichte vom Ursprung zur Gegenwart und wird zur

„(…) fortdauernden normativen und formativen Kraft.“12

Im Gegensatz zum kommunikativen Gedächtnis, ist es hier kaum möglich, einen

Zeithorizont zuzuschreiben. Beim kulturellen Gedächtnis kann sich der Zeitlauf von

einer mythischen Urzeit bis in die Gegenwart erstrecken. Jan Assmann geht in

seinem bahnbrechenden Werk „Das kulturelle Gedächtnis“ davon aus, dass dem

kulturellen Gedächtnis etwas Sakrales und Religiöses anhaftet. Die

Erinnerungsfiguren tragen einen religiösen Charakter, der sich in der

Vergegenwärtigung widerspiegelt, die sich häufig in Form eines feierlichen Aktes

vollzieht. Das Fest oder der Feierakt dienen neben vielen anderen Funktionen im

kulturellen Gedächtnis vor allem dazu, dass Vergangene zu vergegenwärtigen. Sie

12 Assmann, J.: Das kulturelle Gedächtnis, 2002, S. 52.

13

Typologien des Gedenkens

strukturieren und rhythmisieren den Zeitfluss. Durch den feierlichen Rückblick

fundiert die Gruppe in der Erinnerung ihre Identität in der momentanen Realität. Hier

meint Assmann, dass diese feierliche und kollektive Retrospektive etwas

Außergewöhnliches, nicht Alltägliches hat. Sie ist sozusagen „überlebensgroß“.13

Das kulturelle Gedächtnis erhält durch die zeremonielle und kollektive

Kommunikation eine besondere Formung. Abweichend vom kommunikativen

Gedächtnis zeichnet es sich durch einen hohen „Grad von Geformtheit“14 ab, der

sich zunächst in den zeremoniellen und wiederkehrenden Festen und einer

traditionellen Kodierung abzeichnet. Die Kodierung vollzieht sich als solche in

Texten, Bildern, Tänzen und Riten. Durch die Feierlichkeit verliert das kulturelle

Gedächtnis den informellen Alltagscharakter und ist nicht länger Bestandteil der

Alttagskommunikation.

Während im kommunikativen Gedächtnis die Träger unspezifisch sind und man

zumeist von Zeitzeugen einer Erinnerungsgemeinschaft spricht, sind die Träger des

kulturellen Gedächtnis spezifisch. Das korrespondiert mit der speziellen Position des

kulturellen Gedächtnisses, der Alltagsenthobenheit. Diese besondere Form der

Kommunikation bedarf einer spezialisierten Trägergemeinschaft, die den

zeremoniellen Charakter auch adäquat weitergeben kann. Zu dieser Trägerschaft

gehören zum Beispiel Priester und auch Lehrer und Künstler. Da sich das kulturelle

Gedächtnis im Gegensatz zum kommunikativen nicht von selbst herumspricht,

bedarf es hier einer gewissen Einweisung und Kontrolle. Gleichzeitig

kann durch die Abgrenzung gewährleistet werden, dass das spezifische Wissen über

die Vergangenheit nur an Gruppenmitglieder weitergeben wird, aber es wird auch

dazu führen, dass ein Teil vom Wissen verborgen bleibt für andere. Im Judentum

wurden gezielt die Frauen vom „elitären“ Wissen um die Vergangenheit

ausgeschlossen, in der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts waren es die

unteren Schichten, denen konsequent der Zugang hierzu verweigert wurde.

Die Unterscheidung der beiden Erinnerungsmodi ist wichtig, da im folgenden

Hauptteil die Begriffe häufiger verwendet werden. Es ist als Voraussetzung

notwendig, um zu verstehen, was mit dem Übergang vom kommunikativen zum

13 Assmann, J.: Das kulturelle Gedächtnis, 2002, S. 53.14 Vgl. dazu: Reichel, Peter: Politik mit der Erinnerung- Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit, München/ Wien, 1995, Grafik S.359.

14

Typologien des Gedenkens

kulturellen Gedächtnis gemeint ist. Als logische Anknüpfung würde sich die

öffentliche Erinnerungskultur hier auch als Gedächtnismodus zum Vergleich

anbieten. Doch die Erinnerungskultur wird als theoretisches Rahmenkonstrukt

genutzt, um darin die beiden Gedächtnismodi einzubetten und um die Gedenkkultur

zu generieren. Deshalb wird an dieser Stelle darauf verzichtet. Ferner ist die

Erinnerungskultur ein eigenes Handlungsfeld mit einer komplizierten

Entwicklungsgeschichte und verdient einen eigenen Bearbeitungsteil.

1.2 Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus - Zur Spezifität des Opfergedenkens

Sucht man nach einem historischen Ereignis, an dem sich im Sinn einer politischen

Basiskultur sowohl das individuelle Verhalten, als auch die staatliche Politik

orientieren könnte, so findet man kein herausragendes positives Ereignis oder große

soziale und politische Errungenschaften - obwohl es einige davon gäbe. Vielmehr ist

es die Verfolgung und Vernichtung der Juden durch das nationalsozialistische

Deutschland, die als Verbrechen gegen die Menschheit den äußersten

Orientierungspunkt festlegt.

„Sie bedeuten nicht allein einen Zivilisationsbruch, (…) <sie> markieren zugleich Potenzial und Perversion der Zivilisation.“15

Angesichts des Versuchs der Auslöschung des Judentums hat jedes Unterfangen,

das Verhältnis von Erinnerung und Gegenwart zu bestimmen, eine nicht mehr zu

übertreffende Zuspitzung erfahren. Im Kontext der Menschheitsverbrechen dieses

Jahrhunderts und ihrer kontroversen Deutungen, ist der nationalsozialistischen

Massenvernichtung die Rolle eines scheinbar absoluten Maßstabs zugewiesen

worden. Die unterschiedlichen Kriegs- und Völkermordverbrechen, die Terrorakte

und Bürgerkriege im 20. Jahrhundert, welche Ursache sie auch immer haben,

beanspruchen eine Position und Geltung im Rahmen einer universalen Interpretation

der Menschheitsgeschichte in ihrem Vergleich mit dem Holocaust.

Wenn die Rede von der Singularität der deutschen Verbrechen unter dem Nazi-

Regime ist, so kann dieser Begriff nicht die Unvergleichbarkeit bedeuten16, schon 15 Jeismann, Michael: Auf Wiedersehen Gestern - Die deutsche Vergangenheit und die Politik von morgen, Stuttgart/München, 2001, S.22.16 Vgl. dazu: Diner, Dan: Kreisläufe - Nationalsozialismus und Gedächtnis, Berlin, 1995, S. 60-111.

15

Typologien des Gedenkens

deshalb nicht, da das gesamte 20. Jahrhundert geprägt ist durch millionenfachen

Mord. Zumindest ein Vergleich mit den Verbrechen der Stalinära muss im Sinne

weiterer Erkenntnis erlaubt sein.

Singularität meint natürlich auch nicht die Banalität, dass jedes Ereignis, jeder

Handlungskomplex in der Geschichte etwas Einmaliges und Einzigartiges ist.

Vielmehr kann Singularität in diesem Zusammenhang vernünftigerweise nur

bedeuten, dass die Menschheitsverbrechen, die wir17 damals begangen haben, ihre

Quantität und die einzigartige Qualität ein neues Kapitel in der menschlichen

Geschichte eröffnet haben. Die Singularität verifiziert sich zudem dadurch, dass

‚…noch nie zuvor ein Staat (…) beschlossen (…) hatte, eine bestimmte Menschengruppe einschließlich der Alten, der Frauen, der Kinder und der Säuglinge möglichst restlos zu töten, und diesen Beschluß mit allen nur möglichen staatlichen Machtmitteln in die Tat umsetzt.’18

Es wurde mit der systematischen, industriell betriebenen Ausrottung von

Menschengruppen nicht nur ein neuer Modus auf der Skala der Möglichkeiten des

Tötens erreicht, sondern sofern es zu beurteilen ist, ein qualitativer Sprung getan.

Denn es war nicht nur die massenhafte Vergasung neu - vielmehr war es die

distanzierte, kalte und fabrikmäßige Vernichtung der Opfer, welche die nicht zu

übertreffende Menschenverachtung darstellte.

Ein zweiter Betrachtungspunkt kommt hinzu, der zweifelsohne in der Einschätzung

der Singularität nicht fehlen darf: Die Shoa ist apodiktisch auch durch das Ausmaß

der Modernität singulär, der ihre so rationale Technik und großräumige Organisation

entstammt und die das Irrationale der Vernichtungsanlagen erst voll entfesselt hat.

Gewiss ist das eine sehr einseitige Betrachtung der Modernität, aber doch sehr wohl

ein Spezifikum des zwanzigsten Jahrhunderts.

„Die Jüdische Identität ist seitdem ohne dieses singuläre Grauen nicht erfahrbar.“19

17 „Wir“ wird hier als ein nationales und historisches Wir begriffen. Es soll keine Abgrenzung zu den vorherigen Generationen geschehen oder einen Exculpationsversuch rechtfertigen. Jede Generation, die eine Nation ausmacht, reicht in verschiedenen zeitliche Tiefen zurück, also auch in die Generation der Eltern und Großeltern - wir alle sind Teil dessen. (in Anlehnung an C. Meier)18 Zitat nach Eberhard Jäckel in: Christian Meier: Vierzig Jahre nach Auschwitz - Deutsche Geschichtserinnerung heute, München, 1990, 2. Auflage, S. 39.19 Meier, Christian: Vierzig Jahre nach Auschwitz, 1990, S. 40.

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Typologien des Gedenkens

Wie auch immer die Diskussion um die Singularität des Holocaust geführt werden

soll, es geht um die absolute Ausnahme und diese Ausnahmsartigkeit der

Vernichtung muss zumindest klar sein. Die Ausnahmsartigkeit ist ein Resultat von

Vergleichen mit anderen Menschheitsverbrechen. Wer jedoch solche Vergleiche

zieht, setzt sich immer dem Verdacht aus, damit andere Verbrechen zu relativieren.

Es ist nicht die Absicht, andere Morde zu relativieren, Opferzahlen aufzuheben oder

qualitativ zu bemessen. Es soll auch keine moralische Betrachtung sein, sondern

eine historisch eingeordnete Einzigartigkeit. Die wissenschaftliche Aussage besteht

darin, dass zum einen noch nie so viele Menschen der totalitären Herrschaft eines

radikalen Regimes zum Opfer fielen und zum anderen, dass nie zuvor speziell eine

andere Rasse Opfer von gezielter, technologisierter Ausrottung über das eigene

Staatsgebiet hinaus wurde.

Der durch die Ermordung entstandene Verlust der Juden ist nicht zu ersetzen, die

von ihnen jahrhundertelang geformte Kultur in Mitteleuropa ist unwiederbringlich

verloren. Im Verhältnis von Opfern und Tätern kann von Aussöhnung oder Ausheilen

der Wunden keine Rede sein. Der Holocaust besteht in seiner singulären

Abscheulichkeit also auch im Vergleich. Das ist die Bedingung seiner Nachwirkung,

seiner steten Präsenz. Dies muss man sich vor Augen halten, um die Erinnerung

dessen und das Gedenken daran nicht als Zumutung zu begreifen.

Das ist ein Vermächtnis, das die Nachkommen der Täter bereits seit mehr als

zwei Generationen und noch auf nicht absehbare Zeit belastet. Alle oberflächlichen

Versuche, mit der Vergangenheit eine adäquate Umgangsform zu finden, sind

gescheitert. Die Geschichtserinnerung ist eng verknüpft mir der Identität unseres

Gemeinwesens. Wir würden eine angemessene Form der Erinnerung und des

Gedenkens finden, wenn wir in weit mehr als nur in juristischer Hinsicht die

Nachfolge des deutschen Reiches angetreten hätten, wenn wir nicht in irgendeiner

„freiwillig-unfreiwilligen Weise“20 einzustehen hätten für diese Vergangenheit, deren

Negation derart mit dem Beginn unserer Demokratie verbunden war, dass sie sich

mit deren Befestigung allgemein durchsetzte.

Die Beispiellosigkeit und die Radikalität des Holocaust machen ihn nicht nur

unfassbar, sondern bringen auch die Erinnerung an ihn in eine Spannung, die kaum

20 Meier, C. Vierzig Jahre nach Auschwitz, 1990, S. 20.

17

Typologien des Gedenkens

auszuhalten ist. Die Last der Vergangenheit darf in unserer Gesellschaft nicht das

existenzielle Bedürfnis wecken, zu vergessen und zu relativieren. Der zivilisatorische

Bruch durch den Holocaust und die unfassbare Zahl der Opfer war und ist einzigartig

und verdient deshalb ein einzigartiges Gedenken. Jedoch sollte sich dieses

Gedenken in erster Linie auf alle Opfer des NS-Regimes beziehen; zwar kann man

Geschichte nur begreifen, wenn man die Differenzen nicht einebnet21, jedoch

keinesfalls zu Lasten einer öffentlich gewollten Hierarchisierung der Opfergruppen.

21 Jäckel, Eberhard: Die Einzigartigkeit des Mordes an den europäischen Juden, S.170, in: Rosh, Lea: „Die Juden, das sind doch die anderen“ - Der Streit um ein deutsches Denkmal, Berlin/Wien, 1999.

18

Typologien des Gedenkens

Das Geheimnis der Erlösung heißt Erinnerung.

Vergessen verlängert das Exil.

(Israel Baal Schem Tov)

2. Zugang zu einer Erinnerungskultur

Wie bereits im vorhergehenden Teil ersichtlich wurde, hat das Gedächtnis und die

damit verbundenen Erinnerungen eine lange und uns Menschen genuine Tradition.

Wir betrachten die Erinnerung an vergangene Ereignisse und an Erfahrungen als

selbstverständlich und für jeden Menschen ist ein Verlust des Gedächtnisses eine

katastrophale Erfahrung, die Selbstverständnis unmöglich macht. Allerdings wissen

wir auch, dass traumatische Erfahrungen bewusst zur Ausblendung des Erlebten

führen können und eine Art Schutzmechanismus entfalten, um ein Weiterleben zu

ermöglichen. Die Hinterlassenschaft des NS-Staates ist jedoch kaum

lebensbedrohlich, aber wie sich auch 60 Jahre nach dem totalen Zusammenbruch

des Dritten Reichs zeigt, noch für Generationen eine beschwerliche und brisante

Erblast. Es ist eine Last, derer man sich nach 1945 entledigen wollte und so hat sich

das deutsche Volk anstatt in eine „anamnetische Solidarität“22 in eine solidarische

Amnesie begeben.

Bevor die Erinnerungskultur und ihre Entwicklung in groben Zügen nach 1945

vorgestellt und folgend speziell auf die Entwicklung nach 1990 eingegangen wird,

soll versucht werden, die einzelnen Begriffe klar voneinander abzugrenzen, um zu

erklären, warum vorerst eine Anlehnung an den Begriff der Erinnerungskultur

notwendig ist. Dabei ist die Diskussion über die adäquate Terminologie, wenn es um

die Vergangenheit und ihre Aufarbeitung in unserem gesellschaftlichen Bewusstsein

geht, bereits zum Selbstzweck geronnen. Zunehmend wurde der Terminus

„Vergangenheitsbewältigung“ zur Diskussionsgrundlage, zum Schlagwort und

zentralen Kampfbegriff der politischen Auseinandersetzung. Sachliche Argumente

und Aufklärungen haben in der Vergangenheitsdiskussion keinen leichten Stand.

Jedoch ist es nicht Ziel dieser Arbeit, sich an diesem Diskurs zu beteiligen, sondern

22 Begriff von John Baptist Metz in: Assmann, Jan: Kollektives und kulturelles Gedächtnis, S. 32, in: Borsdorf/Grütter (Hg.): Orte der Erinnerung, 1999.

19

Typologien des Gedenkens

kurz die Entstehungen der einzelne Begriffe darzustellen und abschließend in vier

Entwicklungslinien die Erinnerungskultur mit den symptomatischen Erscheinungen

nach Ende des Zweiten Weltkriegs zusammenzufassen.

Der Terminus der Vergangenheitsbewältigung kam in der Bundesrepublik etwa

Mitte der 50er Jahre in Umlauf und stand damals im Focus eines moralisch

geprägten Politikverständnisses.23 Er fällt damit bereits in die zweite

Entwicklungslinie der Erinnerungspolitik und ist gemeinsam mit der Schuld- Debatte

deren prägender Bestandteil.

Der Terminus ist immer wieder kritisiert worden. Der Einwand bezieht sich auf den

Bestandteil „Bewältigung“; er impliziere, dass die Vergangenheit nachträglich

veränderbar sei und birge die trügerische Annahme, man könne mit der

Vergangenheit abschließen. Dass man dies wohl mit keiner Vergangenheit tun kann

und schon gar nicht mit dieser, darin sind sich die Kritiker wohl auch einig. Hannah

Arendt ging sogar noch einen Schritt weiter und bemühte nicht länger die Illusion der

Bewältigung. Sie glaubte, dass das Höchste was man erreichen kann, die

Gewissheit ist, dass es so und nicht anders gewesen ist und dass man das

aushalten muss.24 Andere Autoren haben andere Begriffe vorgeschlagen, aber

grundsätzlich neue Termini sind dabei nicht entstanden. Die wohl berühmteste

Alternative ist die „Aufarbeitung der Vergangenheit“.25 Sie entstammt einem Vortrag

von Theodor W. Adorno von 1959. Mitte der 90er Jahre hat Peter Reichel den

Begriff der „Erinnerungskultur“ in die Diskussion eingebracht und diese maßgeblich

beeinflusst, und er begründet das folgendermaßen:

„Er ist unpathetisch und verweist sehr viel präziser (…) auf das Handlungsfeld, das kulturelle Teilsystem, und den gesellschaftlichen Prozesscharakter und (…) der kollektiven Vergegenwärtigung von Vergangenheit.“26

Neu an diesem Begriff ist hier, dass Reichel durch den Kulturbegriff seinem

Terminus einen allumfassenden, beinahe „kollektiven“ Charakter gibt und so eine

ganze Gesellschaft in einen Prozess einbindet.

23 Vgl. König,H./ Kohlstruck,M./ Wöll,(Hg.): Vergangenheitsbewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, Einleitung, Opladen/ Wiesbaden, 1998.24 Vgl. Arendt, Hannah: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft- Antisemitismus, Imperialismus, Totalitarismus, München/ Zürich, 2001, 8. Auflage, S. 29-267.25 König, Helmut: Die Zukunft der Vergangenheit – Der Nationalsozialismus im politischen Bewusstsein der Bundesrepublik, Frankfurt a.M., 2003, S.7.26 Reichel, Peter: Politik mit der Erinnerung, Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit, München/ Wien, 1995, S. 331.

20

Typologien des Gedenkens

Kritisiert werden die Begriffe alle gleichermaßen, weil sie sich im wesentlichen auf

die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und deren Konsequenzen

beschränken und das Zusammenspiel von politischer, kultureller, wissenschaftlicher,

pädagogischer und religiöser Ebene außer acht lassen.27

Einen beachtlichen Beitrag zur Diskussion konnte auch Norbert Frei mit seinem

Begriff „Vergangenheitspolitik“ leisten. In seiner zeitgeschichtlichen Studie

beschreibt Frei damit eine Fülle von politischen Maßnahmen, die in den ersten

Jahren der Bundesrepublik dazu führten, dass ehemalige NS-Täter in das neue

demokratische System geschleust wurden.28 Hingegen zog es Edgar Wolfrum vor,

von „Geschichtspolitik“ zu sprechen.29 Wolfrum bezeichnete mit diesem Terminus

vorwiegend den politisch-instrumentellen Umgang mit der Geschichte und

Geschichtswissenschaft zur Beeinflussung von Gegenwartsdebatten. Dieser Begriff

wurde 1986 zum ersten Mal in die Diskussion eingeführt.

Die erwähnten Bezeichnungen haben den Vorteil, dass mit ihnen ein jeweils

abgrenzbarer Bereich beschrieben werden sollte, nur ein Aspekt in das Zentrum der

Diskussion gerückt wird. Allerdings hat dies wiederum den Nachteil, dass dadurch

die Gesamtheit der Phänomene außer acht gelassen werden. Deswegen wird

nachfolgend der Begriff der Erinnerungskultur bevorzugt, denn qua Definition ist

dieser Begriff derjenige, mit dem umfassend das Spektrum der Phänomene

bezeichnet werden kann. Dass die Bundesrepublik nach der Katastrophe des

Holocaust entstanden ist und sich aus der Hinterlassenschaft des sogenannten

Dritten Reiches entwickelt hat, ist nicht auf das ein oder andere Politikfeld

begrenzbar. Die NS- Vergangenheit hat alle Bereiche der gesellschaftlichen und

politischen Existenz der Bundesrepublik zutiefst geprägt. Dass der Terminus

Erinnerungskultur aber auch kein „catch-all-term“ ist und ebenfalls sehr kritisch

betrachtet wird, zeigt zunächst die Umschreibung von Hockerts:

„Was man neuerdings ‚Erinnerungskultur’ nennt, dient als lockerer Sammelbegriff für die Gesamtheit des nicht spezifischen wissenschaftlichen Gebrauchs der Geschichte (…)- mit den verschiedensten Mitteln und für die verschiedensten Zwecke, von der Gedenkrede des Bundespräsidenten (…) bis zum Fernseh-Infotainment über ‚Hitlers

27 König/Kohlstruck/Wöll: Vergangenheitsbewältigung, Einleitung, 1998.28 Vgl. Meyer, Erik: Erinnerungskultur als Politikfeld. Geschichtspolitische Deliberation und Dezision in der Berliner Republik, S. 121-137, in: Bergem Wolfgang (Hg.): Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungskurs, Opladen, 2003.29 Zitiert nach König, H .:Zukunft der Vergangenheit, 2003, S.8f.

21

Typologien des Gedenkens

Frauen’.“30

Es mag sein, dass Hockerts eine Abgrenzung zur zeitgeschichtlichen Forschung

sucht, mit seiner Definition zur Erinnerungskultur ist ihm das jedoch nicht gelungen.

Vergleicht man den Terminus, so wie ihn Reichel umschreibt, mit dem Begriff, den

Hockerts benutzt, dann ist augenscheinlich, dass Hockerts dies wohl mit der meist

als „öffentlichen Kommemoration“ bezeichneten und im weiteren Sinne gefassten

Erinnerungskultur gleichsetzt.

Den Terminus der Erinnerungskultur nach Reichel ist geeignet, um präzise eine

Reihe von politischen und gesellschaftlichen Aufgaben, Wegen und Zielen in der

Bundesrepublik nach dem Kriegsende zu beschreiben. An ihm können vier Wellen

der Entwicklung einer Erinnerungskultur nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs

konstruiert werden. Der negative Bezug auf die NS-Vergangenheit ist für das

politische Bewusstsein von Anfang an bestimmend gewesen.

Die klare Abgrenzung solcher Entwicklungslinien ist im Vergleich zur

Erinnerungspolitik in der DDR nicht möglich. Zwar durchläuft die Erinnerungskultur in

der DDR durchaus verschieden Phasen, diese sind jedoch grundsätzlich bestimmt

vom antifaschistischen Gründungsmythos und dem vermeintlich vollständigen Bruch

zur Vergangenheit.

Die erste vorangestellte These, dass wir seit Beginn der 90er Jahre einen

Paradigmenwechsel in der Gedenkkultur erleben, kann nur verifiziert werden, wenn

die vorhergehenden Phasen zumindest in ihren Grundzügen dargestellt werden.

Begonnen wird mit der Erinnerungskultur in der Bundesrepublik, um anschließend

auf die Entwicklungen in der DDR einzugehen.

30 Hockerts, H. G.: Zugänge zur Zeitgeschichte, Aus Politik und Zeitgeschichte, 2001, S. 16.

22

Typologien des Gedenkens

2.1 Erinnerungskultur im geteilten Deutschland

Wenn man in einem Satz die Erinnerungskultur in den beiden deutschen Staaten

konzentriert gegenüberstellen sollte, wäre folgende Aussage wohl am treffendsten:

„Das geteilte Deutschland hatte sich mit dem Gedenken arrangiert: als sozialistische Pflichtübung hier, als fakultatives Angebot politischer Bildung dort.“31

Ein für die gesamte Nation handelndes politisches Handlungssubjekt gab es nach

dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht und es waren die alliierten

Besatzungsmächte, die die Änderungen und deren Umfang im politischen, wie

gesellschaftlichen vorgaben. Innerhalb der von diesen vorgegebenen Parameter

knüpfte das Grundgesetz der Bundesrepublik an die Erfahrungen der

zusammenbrechenden Republik an. Vor allem in der Beseitigung der

Präsidialkompetenzen des Präsidenten der Weimarer Republik, der Einführung

eines konstruktiven Misstrauensvotums und der Fünf-Prozenthürde für Land- und

Bundestagswahlen wurden Mechanismen installiert, welche die neue Demokratie

stabilisieren sollten. Die DDR hingegen knüpfte in ihrem Selbstverständnis nicht an

das Ende, sondern an den Beginn der Weimarer Republik an. Sie verstand sich als

die Koda der auf halber Strecke beendeten Revolution der Jahre 1918/19. Sie

sozialisierte die Produktionsmittel, entmachtete die bürgerliche Elite und enteignete

die Großbauern, um die Herrschaft der Arbeiter und Bauern zu errichten.

Dies waren die Voraussetzungen unter denen die antagonistischen deutschen

Staaten verschiedene Formen einer Erinnerungskultur etablierten. Der Umgang mit

dem schwierigen NS- Erbe folgte unterschiedlichen politischen Interessen,

Interpretationen und kollektiven Identitätsbildungen. So wurde zwischen den beiden

deutschen Staaten die sich mit der NS-Erblast abmühende Politik und die

Erinnerungskultur zu einem heftig umstrittenen Terrain.

Mit dem politischen Umbruch in der Deutschen Demokratischen Republik im Herbst

1989 und mit der Vereinigung Deutschlands öffneten sich die Barrieren, die eine

gemeinsame Auseinandersetzung der Deutschen in Ost und in West mit ihrer

gemeinsamen Vergangenheit jahrzehntelang im geteilten Deutschland verhindert

31 Dittberner, Jürgen: Schwierigkeiten mit dem Gedenken - Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, Opladen/ Wiesbaden, 1999, S. 9.

23

Typologien des Gedenkens

hatten. Die Folgen waren das Entstehen zweier gegensätzlicher Erinnerungen an die

Verbrechen der Nazi-Diktatur und der ungleiche Umgang mit diesem Erbe,

begründet in unterschiedlichen politischen Prägungen und in den Allianzen des

Kalten Krieges. Der Wegfall der Barrieren ist zugleich eine Aufforderung zur

Verständigung über die gemeinsame Geschichte und über Wege und Formen eines

gemeinsamen Erinnerns und Gedenkens als Elemente unserer politischen Kultur.32

2.1.1 Die Erinnerungskultur in der Bundesrepublik

Nach dem Kriegsende nutzten die Siegermächte einen Teil der Konzentrationslager

des nationalsozialistischen Regimes als Internierungslager. Legitimiert durch die

Richtlinien des Potsdamer Abkommens von 1945 dienten sie zur Inhaftierung

deutscher Bürger. Während die amerikanischen Besatzungsmächte das KZ Dachau

als Internierungslager nutzten- Inhaftierte wurden später entweder vor Gericht

gestellt oder entlassen- wurden in der sowjetischen Zone die Konzentrationslager

Sachsenhausen und Buchenwald als Internierungslager eingerichtet und blieben

versehen mit dem Kürzel „NKWD“ bis 1950 bestehen. Unter Androhung schwerer

Strafen war den Inhaftierten verboten, über das Lagerleben zu sprechen. Durch in

Folge von Unterernährung grassierende Krankheiten und Misshandlungen durch die

Lageraufseher kamen noch einmal Tausende von Menschen um. Selbst nach der

Auflösung der Internierungslager zwischen 1952 und 1953 blieb es für viele ein

Tabuthema.

Die Bundesrepublik war von Anfang an unmittelbar mit der NS-Geschichte

konfrontiert. Ihr stand nicht die von der DDR vorgeführte Überwindung durch

„universalisierende Deutung“33 zur Verfügung. Zwar vollzog sich die

Erinnerungsentwicklung bisweilen ohne gesellschaftsimmanenten Anspruch, aber

die Vergangenheitserinnerung blieb immer Bestandteil des Prozesses, ob im

Verleugnen oder Vergegenwärtigen.

Trotz eines erfolgreichen Wiederaufbaus, eines international angesehen

Wirtschaftswunders und einer bemerkenswerten politischen Stabilität und

32 Vgl. Puvogel, Ulrike: Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - Eine Dokumentation, Einleitung, Band II, Bundeszentrale für politische Bildung, Berlin, 1998, S. 11-26.33 Reichel, P.: Politik mit der Erinnerung, 1995, S.40.

24

Typologien des Gedenkens

nachfolgenden gesellschaftlichen Demokratisierung, blieb die Bundesrepublik

eigentümlich unsicher in ihrem Selbstbild. Die Wohlfahrtsdemokratie konnte die

„beschwiegene Schuld“34 nicht überdecken, was sich deutlich an den immer

wiederkehrenden Schändungen jüdischer Friedhöfe und Synagogen oder bei der

Enttarnung von Politikern mit NS- Vergangenheit vergegenwärtigte.

Es schien, als ob die Bundesrepublik nicht in der Lage sei, den Zivilisationsbruch

während der Nazi-Diktatur in ihr positives Selbstbild zu integrieren. Dazu waren

immense Anstrengungen notwendig und die Bundesrepublik war gezwungen, sich

auf einen langwierigen Prozess der Auseinandersetzung und Erinnerung zu

begeben.

Die Geschichte der Erinnerungskultur in der Bundesrepublik kann in vier

unterschiedliche Phasen eingeteilt werden und beginnt mit der ersten Phase in der

Nachkriegszeit. Die sogenannte Schuld-Debatte35 in der Nationalsozialismus, Krieg

und Vernichtung unter stark moralischen und abstrakten Gesichtspunkten bewertet

wurden, war wichtiger Bestandteil dieser ersten Periode.

Die 50er Jahre, stehen für die zweite Phase der Entwicklungslinien und umfassen

präziser die Zeit der Adenauer Ära. Kennzeichnend hierfür ist die Gegensätzlichkeit

in der Erinnerungskultur, denn zum einen werden ehemalige Täter und Parteigänger

der NS-Herrschaft durch Amnestie in die junge Demokratie geschleust und

unauffällig integriert, gleichzeitig aber zieht die neue Demokratie der Bundesrepublik

einen klaren Schlussstrich und distanziert sich vom Nationalsozialismus. Die zweite

Phase kann am besten mit den Worten von Peter Reichel charakterisiert werden: als

„Apologie der Verleugnung“.36

Im Unterschied zu den beiden bereits genannten Perioden, wird die dritte Phase

einen sehr viel längeren Zeitraum umfassen, zwischen 1960 und 1990 nämlich.

König bezeichnet dieses Zeitfenster als „lange Welle“, in der sich der negative Bezug

auf die NS-Vergangenheit zum zentralen Deutungsmuster der politischen Kultur in

der Bundesrepublik ausweitet.37

34 Schwan, Gesine: Politik und Schuld- Die zerstörerische Macht des Schweigens, Frankfurt am Main, 1997, S. 20235 Anm.: Karl Jaspers hatte 1946 die Schuld abgestuft von der politischen über die moralische zur metaphysischen Schuld. Siehe dazu auch: Schwan, G.: Politik und Schuld, 1997, S. 50-54.36 Reichel, P.: Politik mit der Erinnerung, 1995, S.15.37 Vgl. König, H.: Zukunft der Vergangenheit, 2003.

25

Typologien des Gedenkens

Die vierte Phase umfasst die Zeit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten und

damit auch das Aufeinandertreffen zweier disparater Erinnerungskulturen. Das bringt

einerseits einen konjunkturellen Aufschwung in die Erinnerungsdiskurse und ander-

rerseits verändert sich das Gefüge, in dem sich die Erinnerung bisher eingliederte.

Grundlegende Veränderungen in der Erinnerungskultur und im Umgang mit ihr sind

die Folge. Am Beispiel der KZ-Gedenkstätten wird später aufgezeigt, worin sich

diese Wechsel in der Erinnerungskultur widerspiegelt.

Zum anderen verändert sich der gesellschaftliche Blickwinkel auf den

Nationalsozialismus. Die Vergangenheit wird zur Geschichte. Ein Phänomen der

Zeitgeschichte rückt in einen anderen Zeithorizont und stellt die Erinnerungskultur

auch dadurch vor veränderte Rahmenbedingungen.

Natürlich diente diese recht grobe und oberflächliche Einteilung nur der

Orientierung. Die einzelnen Phasen sind eng miteinander verbunden und können

nicht für sich allein ihre Geltung beanspruchen, da sie einander bedingen und auch

zeitlich ineinander übergehen. Die Homogenität der politischen Entwicklungen in den

ersten beiden Phasen ist sicher unstrittig, wogegen die dritte Phase eher durch ihre

Heterogenität der politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen besticht. Diesem

Zeitraum ist der Mauerbau und am Ende die Herstellung der deutschen Einheit

zuzuordnen; sie umfasst auch die Spätphase der Regierung Adenauer, die Zeit der

Großen Koalition, die sozialdemokratischen Bundeskanzler Brandt und Schmidt und

die Regierungszeit von Helmut Kohl. In diese Zeit fallen auch die Revolten der

Außerparlamentarischen Opposition, der linke Terrorismus, der Historikerstreit, die

Ausstrahlung des „Holocaust“ - Films und die Rede Richard von Weizsäckers zum

vierzigsten Jahrestag des 8. Mai 1985, in der die Mehrheit der Jüngeren den

Eindruck gewinnen konnte, dass endlich die offizielle Rhetorik zwischen nationaler

Niederlager und politischer Freiheit durchbrochen wurde.38

Bei aller politischer Inhomogenität und allen Spannungsbögen dieser Phase,

erscheint diese aber im Blick auf den Nationalsozialismus als eine große Einheit.

„So zentral wie in dieser langen 30jährigen Welle nach 1960 ist die NS-Vergangenheit nie zuvor im politischen Bewusstsein der Bundesrepublik gewesen.“39

38 Vgl. Jeismann, M.: Auf Wiedersehen Gestern, Stuttgart/München, 2001, S.67.39 König, H.: Zukunft der Vergangenheit, 2003, S.18.

26

Typologien des Gedenkens

Die NS-Vergangenheit wurde zudem zum zentralen Konflikt zwischen den

Generationen, und der Elterngeneration wurde nicht nur die Ungeheuerlichkeit der

NS-Verbrechen, sondern auch die Apologie des Vergessens und Verdrängens zur

Last gelegt.

Gibt es seit den achtziger Jahren ein kontinuierliches Interesse der

Geschichtsdidaktik und der politischen Bildung am Holocaust, so ist das eine

Entwicklung, die aus der „langen Welle“ resultiert. Der Bezug auf die NS-

Vergangenheit und den Holocaust wurde in diesen 30 Jahren zum konfliktträchtigen

Zentralthema, das konkurrenzlos das Feld der politischen Kultur in der

Bundesrepublik beherrschte, zum Kernpunkt des politischen Bewusstseins in der

Bundesrepublik. Mit dem Ende der sozialistischen Systeme in Osteuropa und der

Herstellung der deutschen Einheit wurde die vierte Phase der Auseinandersetzung

mit der nationalsozialistischen Vergangenheit angebrochen.

Der Zusammenbruch der realsozialistischen Systeme und das dadurch bewirkte

Hinzutreten einer zweiten diktatorischen Vergangenheit, die es zu verarbeiten galt,

waren nicht die einzigen Ursachen hierfür. Andere Faktoren kamen hinzu: so fand

die Auseinandersetzung nicht mehr in den „Koordinaten eines familiären oder

intergenerationellen Dramas“40 statt. Zugleich wurde die Verdrängungstheorie, die

besonders die 68er Generation kritisierte, als vorherrschendes Narrativ in der

politischen Selbstdarstellung der Bundesrepublik abgelöst. An ihre Stelle trat zu

Beginn der 90er Jahre die funktionale Gedächtnistheorie, die auf den Soziologen

Halbwachs zurückgeht. Die Unterscheidung zwischen kommunikativem

„Kurzzeitgedächtnis“ und kulturellem Langzeitgedächtnis deutete auf ein erstes

Motiv für die aktuellen Veränderungen im Umgang der Deutschen mit dem

Nationalsozialismus und dem Holocaust.41

2.1.2 Die Erinnerungskultur in der DDR

Anfangs in Kriegsverbrecherprozessen gemeinsam begonnen, trennten sich die

40 König, H.: Zukunft der Vergangenheit, 2003, S.19.41 Bergem, Wolfgang: Barberei als Sinnstiftung? Das NS-Regime in Vergangenheitspolitik und Erinnerungskultur der Bundesrepublik, S. 82, in: Bergem Wolfgang (Hg.): Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungsdiskurs, Opladen, 2003.

27

Typologien des Gedenkens

Wege der Siegermächte schnell, wenn es um die Aufarbeitung der Geschichte ging.

Während in der amerikanischen Zone mit einem „re-education“ - Programm in

kürzester Zeit versucht wurde, liberal- demokratische Werte zu manifestieren,

etablierten die Sowjets im Osten eine Diktatur nach sowjetischem Muster, die sich

als offiziell „antifaschistisch“ begriff.42 So blieb die DDR lange auf ihrem Ritus des

heroisierten kommunistischen Widerstands fixiert. Im übrigen legitimierte diese

Antifaschismus - Ideologie ein Vorbeimogeln an der Geschichte und eine

Distanzierung der fatalen Verbrechen an der Menschheit. Kurz gesagt: der

verordnete Antifaschismus untergrub jegliche Motivation einer aktiven Kontroverse;

per se konnte man sich als Bürger in der Sowjetzone und späteren DDR als

Antifaschist und darum als „gereinigt“ betrachten.

Die Errichtung von Gedenkstätten an den Orten früherer Konzentrationslager ging

zuerst und anfangs vor allem von aktiven Bürgergruppen und ehemaligen Häftlingen

aus. Die „Aktion Sühnezeichen“ übte mit der Unterstützung von zahlreichen

Häftlingsverbänden- und Komitees in den fünfziger und sechziger Jahren

erheblichen Druck auf die Öffentlichkeit aus. Diese Entwicklung geschah

gleichermaßen in den beiden Teilen Deutschlands.43

Die DDR-Staatsführung integrierte die Gedenkstätten in das Herrschaftssystem und

etablierte eine verordnete Erinnerung an den Orten des antifaschistischen Kampfes

und millionenfachen Todes. Dort sollte gezeigt werden,

„…dass es einen heroischen und schließlich siegreichen Widerstand gegeben habe, den der Kommunisten.“44

Diese Selektierung von Erinnerung, im Sinne eines kommunistisch- dominierten

Antifaschismus war bezeichnend für die Erinnerungskultur in der DDR. Einzig der

kommunistische Widerstand wurde als Widerstand anerkannt und nicht nur

mythisiert, sondern vor allem heroisiert, aus ihm bezog man die Legitimation des

Systems. Cora Stephan meint dazu: der Antifaschismus wurde Staatsräson, da nach

dieser Doktrin Faschismus nicht auf dem Boden der Delegitimation der Weimarer

Republik gediehen sei, nicht aus mangelnder Verankerung der demokratischen

Werte im politischen Bewusstsein der Deutschen entstanden ist, sondern sich

42 Vgl. Dittberner, J.: Schwierigkeiten mit dem Gedenken,1999, S. 14.43 Dittberner, J.: Schwierigkeiten mit dem Gedenken, 1999, S. 15.44 Ebd.

28

Typologien des Gedenkens

naturgesetzlich aus der kapitalistischen Gesellschaft ergebe, somit totalitäre Regime

wie die DDR über den Faschismus- Verdacht erhaben seien.45 Der

nationalsozialistische Völkermord hatte keinen Platz in der Faschismustheorie,

wonach vor allem eine kleine Gruppe von Monopolkapitalisten46 für den Aufstieg der

Nationalsozialisten verantwortlich war. Moralisch, aber auch politisch rangierten die

jüdischen Opfer hinter den politischen Gegnern, den Kommunisten und Kämpfern

gegen den Faschismus.

Der Beginn des Kalten Krieges 1948/49 und die Stalinisierung der Sozialistischen

Einheitspartei (SED) führten zu einer zunehmenden Einengung, Vereinheitlichung

und Ritualisierung der offiziellen Erinnerungskultur. Der rote Winkel wurde zum

zentralen und staatsästhetischen Symbol und musste auf allen Denkmalen vertreten

sein.

Den Helden des kommunistischen Widerstandes wurde bei feierlichen Anlässen wie

der Jugendweihe oder der Vereidigung der Nationalen Volksarmee gedacht. Der

DDR-Staatsführung lag es fern, die Gedenkstätten als historische und demzufolge

authentische Orte zu belassen, für getragene Massenveranstaltungen mussten sie

„neukonzipiert“ werden und Systemkonformität erhalten. Mit der Auflösung der

bereits im Februar 1947 gegründeten VVN- Vereinigung der Verfolgten des

Naziregimes47- die unter Druck der SED-Führung als getarnte Selbstauflösung galt,

fielen die Gedenkstätten gänzlich in die Hände staatlicher Organe. Entsprechend

wurden große Aufmarschalleen gebaut, gewaltige Plätze konzipiert, und

überdimensionale Statuen als zentraler Gedenkorte überragten erhaben das

Gelände. Darüber hinaus bekamen die ehemaligen Gedenkstätten Buchenwald und

Mittelbau- Dora einen bezeichnenden Zusatz im Namen, welcher auch pädagogisch

umgesetzt wurde; die korrekte Bezeichnung für diese Orte war nun: „Mahn- und

Gedenkstätte“. Diese kommunistischen Gedenkstätten sprachen eine eigene

Sprache, sie waren der Spiegel für die Erinnerungskultur in der DDR: übergroß und

überformt wollte man ein Zeichen setzen, ein totalitäres System zerschlagen zu

haben. Die authentischen Bauten mussten weichen, um Symbolen und Ritualen

45 Stephan, Cora: Der Betroffenheitskult - Eine politische Sittengeschichte, Berlin, 1993, S. 19f.46 Puvogel, U.: Gedenkstätten, 1998, S. 17.47 Anm.: Die von der VVN errichteten Mahnmale und Gedenksteine, bereits kurz nach Kriegsende, waren ein Zeichen von künstlerisch und individuell getragener Trauer, die gemeinsam, aber überparteilich die Opfergeschichten repräsentieren sollten.

29

Typologien des Gedenkens

einer neuen Diktatur Platz zu schaffen; mithin reichte es aus, den kommunistischen

Märtyrern zu gedenken, eine aktive Auseinandersetzung mit dem Phänomen des

Faschismus wurde nicht zugelassen. Kerngedanke dieser Philosophie war der Sieg

des Sozialismus über den Faschismus. In Ausstellungen, Filmen und

Dokumentationen ging es vorwiegend um die Genauigkeit der Lehre, nicht die der

eigenen Geschichte. Durch diese politische Instrumentalisierung wurde das Erinnern

deformiert- ein verordnetes, gar zwanghaftes Erinnern. Aus einem ehedem

authentischen und glaubwürdigen Antifaschismus wurde ein ideologisches

Herrschaftsinstrument zur moralischen Legitimation der SED-Diktatur.

2.2 Ein vorläufiges Fazit

Der Umgang mit der NS-Erblast war zwischen beiden deutschen Staaten

konfliktreich und innerhalb dieser widersprüchlich. Umstritten ist die Erinnerung an

die Zeit des Dritten Reichs gerade deshalb, weil sie jahrzehntelang eingebunden war

in den innerdeutschen Systemkonflikt. Beide deutschen Staaten haben sich mit Hilfe

ihrer Interpretation voneinander abgegrenzt. DDR und BRD haben sich mit der

symbolischen Vergegenwärtigung der nationalsozialistischen Reminiszenz in

Gedenkstätten und Gedenkfeiern gegeneinander zu profilieren gesucht und um ein

vorteilhaftes Geschichtsbild bemüht. Das ging natürlich nicht ohne Legenden- und

Mythenbildung. Die DDR stilisierte sich im Zeichen des antifaschistischen

Widerstandsmythos an der Seite der Sowjetunion zum Sieger der Geschichte und

zum besseren, neuen Deutschland. Aber auch in der Bundesrepublik Deutschland,

die sich als erklärter Nachfolger des Deutschen Reiches in einer weitaus

schwierigeren Lage befand, hatte Legendenbildung Konjunktur. Letztendlich sind

jedoch alle Versuche der erfolgreichen Mythisierung gescheitert, jedenfalls in ihrem

Bestreben um dominante Geltung.

Die problematischen Erfahrungen aus der DDR, in der Gedenken zum

verordneten und zwanghaften Erinnern wurde und der Antifaschismus zum

Legitimationsinstrument der SED-Diktatur, haben schlussendlich dazu geführt, dass

Gedenken und Erinnern an den Nationalsozialismus von vielen als „autoritär und

30

Typologien des Gedenkens

formelhaft“48 empfunden wurde. Die Folgen dessen, Ressentiments gegen eine

lebendige Gedenkkultur und die gerade in den ostdeutschen Ländern verbreitete

Affinität zu rechtsextremistischen Gruppierungen, können als Resultate einer

unfreien und unstreitbaren Erinnerungskultur betrachtet werden und belasten bis

heute die Ausgestaltung einer lebhaften Gedenkkultur.

2.3 Zur Semantik der Erinnerungskultur

Die hier im Blickfeld stehenden beiden deutschen Nachfolgestaaten des Dritten

Reiches begannen die eigene Geschichte nach 1945 nicht voraussetzungslos. Sie

konnten die Zeit der Hitler-Diktatur nicht überspringen, so sehr sie sich auch

bemühten, an die Weimarer Jahre oder an weiter zurückliegende Epochen und

Traditionen anzuknüpfen. Die einzelnen Entwicklungslinien der Erinnerungskultur

nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs haben gezeigt, wie unterschiedlich motiviert

eine Gesellschaft mit ihrer eigenen Vergangenheit umgeht. Trotz dem sich die

ersten beiden Phasen durch Verleugnung und Relativitätsbemühungen

ausgezeichnet haben, darf nicht vergessen werden, dass parallel dazu

grundsätzliche Tendenzen innerhalb der Gemeinschaft vorhanden waren, die eine

authentische und nachhaltige Aufklärung der Vergangenheit forderten, auch wenn

diese marginalisiert worden sind. Die Pfleger des kollektiven Gedächtnisses haben

gegen Verleugnen und Vergessen (auch wenn diese ebenfalls Facetten der

Erinnerungskultur sind) nachhaltig zur Entstehung einer Erinnerungskultur

beigetragen haben, die sich im Kern der authentischen Erinnerung stellt. Peter

Reichel beschreibt dies wie folgt:

„Dem Verleugnen und Vergessen der NS-Vergangenheit haben (…) die Zeithistoriker, Denkmalschützer (…), die Schriftsteller und Filmemacher nach Kräften entgegengearbeitet, und dabei (…) Formen und Verfahren der Erinnerung hervorgebracht, ausprobiert und in einer eigenen Kultur der (…) Erinnerungskultur organisiert, ritualisiert und verdichtet…“49

Die von Reichel vorgenommene Begriffswahl ist konsequent und logisch, wenn sie

auch zufällige zu sein scheint. Im Folgenden soll der Begriff der Erinnerungskultur

48 Thierse, Wolfgang: Rede am 24. Oktober 1999 in Buchenwald, S.9, in: Puvogel, U.: Gedenkstätten, 1998.

49 Reichel, P.: Politik mit der Erinnerung, 1995, S.15.

31

Typologien des Gedenkens

näher bestimmt und seiner Logik gefolgt werden. Ferner soll die Mehrdimensionalität

des Terminus aufgezeigt werden und drittens eine Ableitung gefunden, die einer

adäquaten Definition einer Gedenkkultur entspricht. Dabei wird sich stark an die

Vorgehensweise von Peter Reichel angelehnt, da er eine Teilung des Terminus

vornimmt, die als sinnvoll erachtet wird.

2.3.1 Annäherung an den Begriff der modernen Erinnerungskultur

In den letzten Jahre kam es zu einer Ausweitung und Intensivierung sowohl der

neurobiologischen als auch psychologischen Gedächtnisforschung, und die

gleichfalls intensivierte Beschäftigung mit dem Geschichtsbewusstsein und der

Geschichtskultur führten dazu, dass man verstärkt von der Verwendung des

Gedächtnisbegriffs nach Halbwachs abrückte. Selbst die Kulturhistoriker, die der

Theorie des kollektiven Gedächtnisses von Halbwachs zu neuer Aktualität verholfen

haben, sprachen nach der Systematisierung des Gedächtnisbegriffs von

Erinnerungskultur, vor allem auch deshalb, weil die anderen Termini die

charakteristischen Strukturmerkmale einer Erinnerungskultur vernachlässigen, zu

denen die Öffentlichkeit, die Materialisierung und Demokratisierung gehören ebenso

wie die Gebäude und Denkmäler und die speziellen Kommunikations- und

Reflexionsformen an besonderen Gedächtnisorten, den Gedenkstätten und

Denkmälern und den Gedenktagen.

Für die Erinnerungskultur im allgemeinen und jene in Deutschland nach 1945 sind

nicht nur die Zeitverhältnisse relevant, sondern vor allem die politischen

Rahmenbedingungen ausschlaggebend, insofern dass sich das kulturelle an das

politische Teilsystem anschließt. Wenn man nun die Definition der Erinnerungskultur

nach Reichel betrachtet, dann heißt es dort:

„Er [der Terminus der Erinnerungskultur] (…) verweist (.) viel präziser (…) auf das (..) kulturelle Teilsystem,…“50

An dieser Stelle ist ein Exkurs zum Kulturbegriff notwendig. In einer relative weiten

Fassung des Kulturbegriffs, nach Kroeber und Kluckhohn, werden Werte,

Sinndeutungen, ebenso typische Verhaltensweisen und Artefakte darunter

50 Reichel, P.: Politik mit der Erinnerung, 1995, S.331.

32

Typologien des Gedenkens

subsumiert.51 Wenn man allerdings einen charakteristischen Weg einer kulturellen

Gruppe, die ihre gesellschaftliche Umgebung zu erfassen sucht, beschreiben

möchte und als Bestandteile dieser subjektiven Kultur Einstellungen, Glauben,

Meinungen, Werte und Konzepte sowie Erinnerungen aufführt, dann nähert man

sich dem Kulturbegriff von Triandis52. Diese Beschreibung des Kulturbegriffs

rechtfertigt meines Erachtens eindeutig Reichels Verwendung des Kulturbegriffs in

Verbindung mit der Erinnerung. Die Gesellschaft nach 1945, ob Opfer oder Täter,

entsprechen einer kulturellen Gruppe, die auf ihrem charakteristischen Weg die

gesellschaftlichen Einordnung und politische Neuordnung anstrebte. Im Hinblick auf

die Vergangenheit sind spezifische Meinungen, Äußerungen und Konzepte zu einer

Kultur verdichtet worden, deren Träger zwar wiederum nur einen Teil der

Gesamtgesellschaft vertraten, jedoch von dieser mitgetragen worden ist.

Um die Erinnerungskultur als ein kulturelles Teilsystem zu betrachten, ist der

Kulturbegriff von Triandis der geeignetste. Sinnvoll ist jedoch, zwischen der

„gesamtgesellschaftlichen Kultur“, welche die Gesellschaft umfasst und sich in

Mentalprogrammen und Orientierung ausdrückt und Kulturen, die nur „Subsysteme“

umfassen, zu unterscheiden. In diesem Sinne differenziert man die Systemkultur und

Subsystemkultur.53 Daraus kann man ableiten, dass die politische Kultur

beispielsweise nur einen Teilbereich unserer Gesellschaft umschreibt und als solche

zur Subsystemkultur wird. Wenn man nun die Erinnerungskultur per definitionem

betrachtet, dann beschreibt auch diese einen spezifischen Teilbereich. Das heißt,

politische Kultur und Erinnerungskultur sind spezifische Subsystemkulturen. Sie

stellen eine Teilmenge der allgemeinen Kultur dar. Beide repräsentieren nur einen

Bereich des kulturellen Gesamtsystems, aus dem sie herausgelöst nicht existieren

könnten, aber dennoch einen spezifischen Bereich für sich beanspruchen. Die

systematische Einordnung der Erinnerungskultur wird deshalb ostentativ

herausgestellt, weil aufgezeigt werden soll, dass es nicht nur eine temporäre und

51 Dieses angelsächsisch geprägte Konzept des Kulturbegriffs basiert auf den Ansätzen von Kroeber und Kluckhohn, die über 170 verschiedene Kulturbegriffe prägten. Ihre Kulturdefinitionen gehören zu den meist zitierten. Vgl. Wallerath, M.: Reformmanagement als verwaltungskultureller Änderungsprozess, S. 9-37,in: Kluth, Winfried (Hrsg.):Verwaltungskultur, Baden-Baden, 2001.52 Wallerath, M.: Reformmanagement als verwaltungskultureller Änderungsprozess, S. 9-37,in: Kluth, Winfried (Hrsg.):Verwaltungskultur, Baden-Baden, 2001.53 Vgl .Jann, Werner: Staatliche Programme und „Verwaltungskultur“- Bekämpfung des Drogenmißbrauchs und der Jugendarbeitslosigkeit in Schweden, Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich, Opladen, 1983, S.20 f.

33

Typologien des Gedenkens

kulturell integrierte Erscheinung des politischen oder öffentlichen Lebens ist- keine

kurzfristige Angelegenheit einer elitären Gesellschaftsschicht- sondern bereits zum

Bestandteil unseres gesamten politischen Systems der Bundesrepublik avancierte.

Belegen kann man das anhand eines Zitats von König, der meinte, dass bereits in

den 80er Jahren

„…die großen Kontroversen über Vorteile und Gefahren einer ständigen Erinnerung an den Nationalsozialismus (…) zugunsten derjenigen [ausgehen], die in dieser

Erinnerung das zentrale Element der politischen Kultur der Bundesrepublik sahen.“54

Widmet man sich nun dem „gesellschaftlichen Prozesscharakter“ der

Erinnerungskultur nach Reichel, dann gewinnt sie diesen durch ihre verschiedenen

Entwicklungslinien nach Ende des zweiten Weltkriegs bis hin zur Gegenwart.

Der politische Gebrauch der Erinnerung ist zumeist ein wichtiger Teil der

Selbstverständigung pluralistisch verfasster Gesellschaften. Das Gewicht, dass die

historische Argumentation gerade in der deutschen politischen Debatte hat, ist

bekanntlich kaum zu überschätzen, jedoch ist das eine Folge eines langen

Prozesses, so wie es Reichel mit seinem kulturellen Prozesscharakter meint.

Inhärent ist dem kulturellen Prozesscharakter ebenfalls die Kollektivität im

normativen Sinn, denn die Erinnerungskultur als Teilsystem eines Ganzen umfasst

wiederum eine Vielzahl von Akteuren, die eine „kollektive Vergegenwärtigung“

fordern und fördern. Was Anfang der 60er Jahre mit den Aktivitäten von wenigen

begonnen hatte, war nun zum wichtigen Element in der politischen

Auseinandersetzung geworden und mit der Rede des Bundespräsidenten Richard

von Weizsäcker am 8. Mai 1985 im Bundestag wurde das kollektive und wahrhaftige

Engagement mit den höchsten institutionellen Weihen versehen.

Zusammenfassend kann hier konstatiert werden, dass Peter Reichel mit dem

Terminus der modernen Erinnerungskultur sich klar von der Diskussion um die

adäquaten (Erinnerungs-) Begriffe abhebt und auch an den einzelnen

Teilsegmenten der Definition eine Logik erkennbar ist. So wird dem Begriff eine

Vielschichtigkeit zugewiesen, deren funktionelle Wirkung nicht streitbar ist. Ferner

wird die Auffassung vertreten, dass Reichel den Terminus primär verwendet, weil er,

wie Reichel selbst sagt, wesentlich „unpathetischer“ sei, als der in der Literatur

häufig 54 König, H.: Zukunft der Vergangenheit, 2003, S.37.

34

Typologien des Gedenkens

bevorzugte Begriff der Vergangenheitsbewältigung. Allerdings darf nicht übersehen

werden, dass nach Reichels Definition die Erinnerungskultur lediglich einen

deskriptiven, denn analytischen Charakter annimmt.

2.3.2 Ein facettenreicher Terminus

In den letzten Jahre konnte die Erinnerungskultur als Prinzip zunehmend in der

Geschichtswissenschaft sowie in der Politikwissenschaft Verfechter55 finden, die

dazu beigetragen haben, den Terminus „salonfähig“ zu machen. Auch deshalb, weil

es möglich ist, anhand der Erinnerungskultur diverse Richtungen zu beschreiben,

wenn man sich dabei unterschiedlicher Attribute bedient und der Begriff positiv wie

negativ besetzt werden kann. Beispielsweise arbeitet Hockerts vornehmlich mit der

„öffentlichen Erinnerungskultur“ und meint damit die institutionell gestützte Form der

Erinnerung, die sich vom lebendigen Gruppengedächtnis ablöst und von einer

Institution getragen wird.56 Exemplarisch sei hier die 1995 eröffnete Ausstellung über

„Vernichtungskrieg- Verbrechen der Wehrmacht 1941-45“ genannt, die primär vom

Hamburger Institut für Sozialforschung getragen wurde. Der Autor Michael Jeismann

hingegen benutzte in seinem Buch „Auf Wiedersehen Gestern“ gezielt die „politische

Erinnerungskultur“57, um die diskursiven Scharniere der politischen Kultur in der

Bundesrepublik sichtbar zu machen. Angefangen von der bereits erwähnten

Schuldfrage, die Karl Jaspers 1946 von der metaphysischen über die politische bis

zur kriminellen Schuld abgestuft hatte, über den Historikerstreit 1986/7, zur

Wehrmachtsausstellung und den streitbaren Thesen von Daniel J. Goldhagen in

seinem Buch „Hitlers willige Vollstrecker“ bis zur virulenten Debatte von Walser und

Bubis 1998, zeichnet er den Weg einer politischen Erinnerungskultur, die

ausschließlich reaktiv bleibt und von verschiedenen Kommunikationsformen und

ihrem Echo in der Bevölkerung lebt.

55 Anm.: zu den Vertretern gehören Erik Meyer (Erinnerungskultur als Politikfeld); Michael Jeismann und auch Hans Günther Hockerts.56 Vgl.: Hockerts, H. G.: Zugänge zur Zeitgeschichte, 2001.57 Jeismann, M.: Auf Wiedersehen Gestern, 2001, S.23.

35

Typologien des Gedenkens

2.4 Von der Erinnerungskultur zur Gedenkkultur - Ein Gedankenspiel?

Die Bundesrepublik ist das einzige Land, in dem sich im vergangenen Jahrhundert

nach dem Ende von zwei sehr unterschiedlichen Diktaturen die nachfolgenden

demokratischen Systeme die Aufgabe einer Auseinandersetzung mit der Geschichte

gestellt haben.

Die eingangs aufgestellte These behauptet, dass es durch das Aufeinandertreffen

zweier disparater Erinnerungskulturen, angesichts der notwendigen Korrektur

defizitärer Geschichtsdarstellung und aufgrund des veränderten Zeithorizonts bereits

einen Paradigmenwechsel in der Gedenkkultur gegeben hat. Im Folgenden wird es

anhand verschiedener Veränderungen sichtbar gemacht und verstärkt auf den

veränderten Zeithorizont und seine Konsequenzen eingegangen.

Der Beitritt der früheren DDR zur Bundesrepublik ist geschichtspolitisch ein

Ereignis von großer Tragweite. Die Aufhebung der Teilung Deutschlands hat die

Perspektive auf die deutsche Geschichte im allgemeinen und auf die NS-

Vergangenheit im besonderen verschoben. Einem höchst konfliktträchtigen

Politikfeld wurde die bisherige Grundlage entzogen. Die Bewertung des Hitler-

Regimes wird- vermutlich- auch weiterhin noch kontrovers bleiben, aber sie ist nun

nicht mehr eingebettet in die systempolitische Konfrontation der beiden deutschen

Staaten. In der Konkurrenz der Mythen wurden die Schwächen der geschönten

Geschichtserinnerung aufgedeckt. Das wiederum erleichterte die Korrektur der

einseitigen Geschichtsbilder und normative und wissenschaftstheoretische Fragen

kehrten zurück und hinterfragten das Verhältnis von Mythos und Tatsache.58

Das Zusammenwachsen dieser beiden Erinnerungskulturen erzeugte Spannungen

in der Politik und der Gesellschaft, wie kaum ein anderes Konfliktfeld nach der

Einheit der beiden deutschen Staaten. Denn hier entstand eine neue Form der

Erinnerungskultur, die nicht mehr getragen werden wollte von unterschiedlichen NS-

Diskursen, unterschiedlichen thematischen Akzenten, unterschiedlicher

Emotionalität und auch von unterschiedlich politischen und moralischen Prämissen.

Darüber

58 Brumlik, Micha: Individuelle Erinnerung- kollektive Erinnerung – Psychosoziale Konstitutionsbedingungen des erinnernden Subjekts, S.32, in: Loewy/ Moltmann (Hg.): Erlebnis-Gedächtnis-Sinn: authentische und konstruierte Erinnerung, Frankfurt a.M., 1996.

36

Typologien des Gedenkens

hinaus brachte der veränderte Zeithorizont zwei weitere ihm inhärente Kontrastlinien

mit sich: Die natürliche Generationenabfolge und der stete Verlust der Zeitzeugen

konvergieren mit dem Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis

und der Historisierung59 der Vergangenheit.

Konzentriert man sich nun auf die Nomenklatur und nicht auf die Faktoren, die

politisch wie gesellschaftlich durch die Konfrontation zweier antagonistischer

Systeme losgelöst werden, dann kann man konstatieren, dass die Bezeichnung

Erinnerungskultur mit der „neuen“ Generation ihre Gültigkeit verliert. Nicht im Bezug

auf das kulturelle Teilsystem, auch nicht- hoffentlich- im Bezug auf die kollektive

Vergegenwärtigung oder den gesellschaftlichen Prozesscharakter, jedoch im Bezug

auf die Erinnerung; das Erinnern ist per definitionem nicht mehr möglich.

So, wie Peter Reichel die Erinnerungskultur definiert, bezieht sie sich ausnahmslos

auf das historische Exemplum der Nazi-Diktatur. In den beschriebenen

Entwicklungslinien wird die Erinnerungskultur auch immer von einer Gesellschaft

getragen, die sich noch aktiv an die Vergangenheit, also die Jahre zwischen 1933

und 1945 erinnern kann. Gemeint wird, dass die Gesellschaft aus Individuen

bestand, die die Fähigkeit hatten, Ereignisse und Prozesse, die zeitlich vorausgingen

gegenwärtig zu repräsentieren- sich zu erinnern- weil sie Teil dieser Ereignisse oder

Prozesse waren. Demgemäß darf nicht übersehen werden, dass mit dem Übergang

zu einem kulturellem Gedächtnis grundsätzlich der Verlust von Zeitzeugen, die sich

als Opfer verstanden, gemeint ist, sondern ebenso der Verlust von Zeitzeugen, die

kategorisch Täter- oder Opfer, vielleicht auch Täter und Opfer waren. Die

Entscheidung für die Ausgestaltung der Sphäre öffentlicher sowie offizieller

Kommemoration wird schon längst von „neuen“ Generationen getragen, deren

erinnerungskulturelle Rückbezüge nicht annähernd in die Zeit der Nazi-Diktatur

reichen. Hinzu kommt der gewichtige Fakt, dass sich für die jüngere Generation,

also die seit 1970 Geborenen, die Frage nach dem Nationalsozialismus vollständig

von der Frage der Schuld ablöst. Der Rückgriff in die Erinnerung und die mögliche

Verflechtung in das Nazi-Regime ist nun immer weniger eine Frage, die mit einem

anklagenden Vorwurf an die Eltern verbunden ist. Nur für die Tätergeneration und

ihre Nachkommen hatte die Frage der Schuld im Blick auf den Nationalsozialismus

59 Vgl. Jeismann, M.: Auf Wiedersehen Gestern, 2001, S.13.

37

Typologien des Gedenkens

eine unmittelbare Bedeutung. Auch in dieser Dimension verwandelt sich die NS-

Vergangenheit aus einem Thema der Erinnerung in ein Feld der Geschichte. Wenn

die lebensgeschichtlichen Erinnerungen an die Zeit zwischen 1933 und 1945

abnehmen, wird dies zu einem Phänomen von künstlich erarbeitetem Wissen und es

ist offenbar: wer wertend erinnert und nicht Teil dieser Erinnerung sein kann, der

gedenkt. Wer den Opfern des nationalsozialistischen Regimes gedenkt, der hat die

Opfer nicht gekannt und ist nicht Teil dieser Reminiszenz. 60

An diesem Punkt stellt sich nun die Frage, ob das Gedenken nicht die Erinnerung als

solche voraussetzt. Durch die Verbindung des kommunikativen Gedächtnisses mit

den kulturellen Rückbezügen wurden immer wieder Formen geschaffen, die die

Vergangenheit reflektieren. Durch die Materialisierung (Fotografien, Zeitdokumente)

und die geschichtsdidaktische Bearbeitung der Geschichte, durch den Einfluss von

neuen Informations- und Kommunikationstechniken ist der Verlust der gespeicherten

Vergangenheit nahezu unmöglich. Es setzt demzufolge nicht die persönlichen

Erinnerungen voraus, sondern hebt sich durch das Fehlen dieser ab. Die fehlende

persönliche Erfahrung ist eine zentrale Voraussetzung der Gedenkkultur und die

Gedenkkultur wiederum ist eine spezifisch moderne Form des kollektiven

Rückbezugs.

Insofern kann zusammenfassend gesagt werden, dass es keineswegs ein

Gedankenspiel ist, sondern mit der Einheit der beiden deutschen Staaten eine Form

der Kommemoration entstand, die sich in den normativen Bezügen zur

Erinnerungskultur zwar nur marginal abhebt, vor veränderten politischen sowie

gesellschaftlichen Rahmenbedingungen jedoch eine Metamorphose durchlaufen hat

und in der Gestalt einer Gedenkkultur einen eigenständigen definitorischen Raum für

sich beansprucht.

Nachfolgend wird die Spezifik der Gedenkkultur näher beleuchtet und versucht, die

Charakteristika einer Gedenkkultur herauszustellen. Es soll abschließend möglich

sein, die Unterschiede zur Erinnerungskultur prägnant zu nennen.

Kritisch wäre an dieser Stelle anzumerken, dass die Literatur im allgemeinen keine

solche Unterscheidung zwischen dem „Erinnern“ und „Gedenken“ vornimmt, jedoch

beide Begriffe abwechselnd benutzt. Die Mehrzahl der Autoren beschränkt sich auf

60 Vgl. Brumlik, M.: Individuelle Erinnerung, 1996.

38

Typologien des Gedenkens

die zweifelsohne komplizierte Auseinandersetzung mit dem kollektiven Gedächtnis.

Es ist davon auszugehen, dass hier zwei Grundsätzlichkeiten miteinander vermischt

werden. Das kollektive Gedächtnis ist nur ein Erinnerungskonzept, neben dem viele

andere Formen der Erinnerung bestehen, wie beispielsweise die zur Religion

gesteigerte jüdische Mnemotechnik der Gegenerinnerung.61

Ausgenommen von der Kritik seien die Schrift von Micha Brumlik, der eine ernsthafte

Differenzierung zwischen Gedenken und Erinnern vornimmt und die Aussagen von

Dr. Jens- Christian Wagner, der die Erinnerung noch um das Phänomen der

individuellen Trauer62 bereichert und damit belegt, dass:

„(…) die individuelle Trauer von unserer Generation nicht geleistet werden kann. (…) Was ich tun kann, (…) ist eine Art historisches Trauern. (…), um den Verlust von Werten und um den Verlust von Zivilisation, der sich 1933 bis 1945 gezeigt hat, aber ich kann nicht um die individuellen Opfer trauern.“63

Insofern kann die erste These verifiziert werden, dass zwei disparate

Erinnerungskulturen und der veränderte Zeithorizont bereits den ersten

Paradigmenwechsel in der Erinnerungskultur mit sich bringen und der Wechsel sich

nicht nur an der veränderten Begrifflichkeit „Gedenkkultur“ festmacht, sondern auch

eine neue Form des Umgangs mit der Vergangenheit und des Gedenkens

entstanden ist. Das Jahrzehnt nach der deutschen Vereinigung von 1990 markiert

einen Wandel in der Erinnerungskultur der Bundesrepublik, in deren öffentlichem

Diskurs sich der NS-Diktatur mehr erinnert wurde als nie zuvor. Dass sich die

intensive Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit vornehmlich im öffentlichen

Diskurs abspielt, kann hier als symptomatisch für die Entstehung einer Gedenkkultur

erachtet werden. Die öffentliche Kommemoration ist ein elementarer Bestandteil der

Gedenkkultur. Insofern kann durchaus die Vereinigung der beiden deutschen

61 Assmann, Jan: Kollektives und kulturelles Gedächtnis – Zur Phänomenologie und Funktion von Gegen- Erinnerung, S. 29f., in: Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor (Hg.): Orte der Erinnerung – Denkmal, Gedenkstätte, Museum, Frankfurt/ New York, 1999.Anmerkung: Als Urform der Erinnerungskultur gilt die Religion und im Besonderen der jüdische Glaube. Man spricht hierbei von der Lehre des Deuteronomiums im Alten Testament. Es geht um die Befreiung der Hebräer aus der ägyptischen Knechtschaft und die 40 Jahre dauernde Wüstenwanderung, an deren verheißungsvollem Ende der sterbende Moses eine Abschiedsrede hält, in der er dem Volk Israel eine Erinnerungspflicht und ein Vergessensverbot auferlegt. Die kulturelle Formung geschieht durch Riten, Inschriften und mittels der Pädagogik und konnte so lange bewahrt sein. Das Mosaische Erinnerungsimperativ gilt noch heute im Sabbath beispielsweise fort.62 Anm.: Dieser künstlich anmutende Begriff geht auf ein Konzept von Jörn Rüsen zurück; vgl. dazu: Rüsen, Jörn: Trauer als historische Kategorie- Überlegungen zur Erinnerung an den Holocaust in der Geschichtskultur der Gegenwart, in: Loewy/ Moltmann (Hg.): Erlebnis-Gedächtnis-Sinn, Frankfurt a.M., 1996.63 Interview in Nordhausen am 13. April 2004 mit dem Gedenkstättenleiter Dr. Jens-Christian Wagner.

39

Typologien des Gedenkens

Staaten als erinnerungskulturelle Zäsur betrachtet werden, die neben anderen

Faktoren die Entstehung einer Gedenkkultur evoziert.

40

Typologien des Gedenkens

„…nur was nicht auf-

hört, wehzutun,

bleibt im Gedächtnis.“

(Friedrich Nietzsche)

3. Ansätze zur Genese einer Gedenkkultur

Es gibt in unserer Kultur und in dem dieser zugrunde liegenden Wissensschatz, dem

kulturellen Gedächtnis keine Muster mehr, die uns helfen könnten, im Ernstfall das

Richtige zu tun. Nach dem zivilisatorischem Bruch, dem Holocaust, gibt es in

unserer Gesellschaft keine allgemein verbindliche Art mehr, mit dem Tod und der

Trauer umzugehen. An dieser Stelle mag nun ein wiederholtes Mal eingewandt

werden, dass die Trauer- und Versöhnungskonzeptionen der kulturellen

Gesellschaften und dem individualisierten Töten und Sterben auf Schlachtfeldern auf

das, was wir mit „Auschwitz“ umschreiben, in keiner Weise zutreffen. Arbeitsteilige,

kollektive Täter und anonymisierte, zur bloßen Zahl gerichtete Opfer, übersteigen

jedes Maß von Gerechtigkeit und Gnade, und jede Form des tradierten Gedenkens

wird obsolet.64 Hinzu kommt der Fakt, dass die große Mehrheit der Deutschen, so

nämlich Margarete und Alexander Mitscherlich bereits 1967, sich nach 1945 nicht als

betroffen erklärte und so ein Zustand von kollektiver Infantilität zementiert wurde, der

der Gesellschaft nachhaltig die Fähigkeit raubte, zu trauern.65 Es existieren zwar

vage Vorstellungen von Würde und Pietät, aber konkrete Verhaltensmuster fehlen.66

Mit dem Begriff der modernen Erinnerungskultur wird in der Retrospektive eine

gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland beschrieben, die sich in mehr oder

weniger öffentlichen Symbolen, Riten und Gedenktagen verdichtet.

Die Gedenkkultur ist hingegen eine Erscheinung, die sich nach der Vereinigung der

beiden disparaten Erinnerungskulturen und dem Zusammenwachsen der beiden

64 Vgl. Brumlik, Micha: Gedenken in Deutschland, S. 115f., in: Platt, Kristin/ Heil, Susanne. (Hg.): Generation und Gedächtnis- Erinnerung und kollektive Identitäten, Opladen, 1995.65 Vgl. Weiss, Matthias: Sinnliche Erinnerung- Die Filme „Holocaust“ und „Schindlers Liste“ in der Zeit der bundesdeutschen Vergegenwärtigung der NS-Zeit, S.72, in: Frei, Norbert/Steinbacher, Sybille (Hg.): Beschweigen und Bekennen- Die deutsche Nachkriegsgesellschaft und der Holocaust, Göttingen, 2001, Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, Band 1.66 Vgl. Wossidlo, Joachim: Das endliche Fleisch und das unendliche Leben - Von der Tötung des Todes im kollektiven Gedächtnis- Gedanken eines Ethnologen zum Umgang mit Leichen in Berlin, in: Siggelkow, Ingeborg (Hg.): Gedächtnisarchitektur: Formen privaten und öffentlichen Gedenkens, Frankfurt a. M., 2001, Kulturwissenschaften, Band 1.

41

Typologien des Gedenkens

deutschen Staaten herausgebildet hat. Sie ist eine Erscheinungsform, die nicht mehr

im Respekt politischer Instrumentalisierung steht und sich den neuen

Rahmenbedingungen, sowohl politisch, als auch ästhetisch-gesellschaftlich

anpassen musste. Die Zeit, in der die zuständigen Regierungen versuchten,

authentische Orte wie Auschwitz oder Buchenwald mit einer eindeutigen politischen

Botschaft zu verquicken, scheinen vorbei zu sein. Diese Gedenkkultur ist der fiktive

Rahmen in dem die “komparative Analyse der beiden deutschen Diktaturen“67

stattfindet. Für diese beiden Diktaturen gilt nun, nach dem Zusammenbruch der

DDR, die „doppelte oder zweifache Vergangenheitsbewältigung“. Ferner rückt die

DDR-Vergangenheit perspektivisch in die Nähe der NS-Vergangenheit, was

wiederum eine breit geführte Diskussion über die Zulässigkeit des

Diktaturenvergleich loslöst. Letztendlich hat die intensive Betrachtung der Art und

Weise, in der die DDR ihre eigenen Vergangenheit aufarbeitete, das Interesse am

bundesdeutschen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit nicht nur

revitalisiert, sondern auch neu akzentuiert. Auch dafür steht die Gedenkkultur.

Es wäre vermessen anzunehmen, dass die Gedenkkultur in Abgrenzung zur

Erinnerungskultur ein adäquates Verhaltensmuster zur ästhetischen Form des

Gedenkens vorweisen könne. Es ist allerdings zu beobachten, dass nach dem

Oktroyier einer vorgeformten Erinnerung die Erinnerung zunehmend ihren

Zwangscharakter verlor. Sie rückte stärker in das Bewusstsein der Menschen als

notwendiger Bestandteil von Identität und Selbstreflexion. Eine Vielzahl von

gesellschaftlichen Gruppen und unterschiedlichen Trägern von Gedenkideen führte

zu einer stärkeren Ausdifferenzierung des Gedenkens und Erinnerns. Alte Muster

und Riten wurden aufgebrochen und symbolische Akte und Trauerrituale

verschmolzen zu einer individuellen Zeremonie von Angehörigen und Überlebenden

einer Opfergruppe. Immer wieder wurde nach der Wiedervereinigung der Wunsch

von Überlebenden und Häftlingsorganisationen deutlich, dass eine Vereinheitlichung

in öffentlichen Akten nicht den Vorstellungen adäquaten Erinnerns entspricht. Dies

formulierte im Interview der Gedenkstättenleiter Dr. Thomas Rahe der Gedenkstätte

Bergen-Belsen wie folgt:

„(…)- ich finde, es muss auch immer die Individualität des Erinnerns auch gewahrt 67 Bergem, W. : Barberei als Sinnstiftung? S. 93, in: Bergem (Hg.): Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungsdiskurs, Opladen, 2003.

42

Typologien des Gedenkens

bleiben. (…) Es gibt also auch Juden die sagen mit guten Gründen: ‚Warum müssen wir immer zusammen mit den Sinti und Roma und den politisch Verfolgten gemeinsam gedenken? Warum dürfen wir nicht unsere eigenen individuellen, das heißt jüdischen Erinnerungsformen haben? Das meint ja nicht, dass wir die anderen missachten oder ausschließen vom erinnern, aber wir möchten doch auch nicht unter dem kleinsten gemeinsamen Nenner zusammengefasst werden, sondern wir möchten unsere

eigene Erinnerungsform eben auch haben.’ Das eine schließt das andere wahrlich nicht aus (…).“68

Den Verlust der Identität und Individualität erfuhren sie als Inhaftierte in den

Konzentrationslagern, auch nach Kriegsende mussten sich die ehemaligen Häftlinge

den erinnerungskulturellen Dogmen der jeweiligen politischen Systeme beugen.

Eine „Gleichschaltung“ im gegenwärtigen Gedenken erscheint deshalb nahezu

grotesk und den Forderungen nach individuellen Ritualen und Formen, die nicht nur

der eigenen Kultur entsprechen, sondern auch den emotionalen Bedingungen

gerecht werden, wurde nach der Wiedervereinigung zunehmend nachgegangen.

Eine moderne und funktional differenzierte Gesellschaft benötigt ein Gedenken,

welches eine große Zahl an Möglichkeiten des Vergessens und Erinnerns

verarbeiten und zugleich reflektieren kann. Die Liberalisierung und Öffnung der

Gedenkplattform, nach der Einheit der beiden deutschen Staaten, konnte parallel die

Ausbildung neuer Gedenkformen fördern und etablierten und anerkannte Rituale

stärken. Dazu beigetragen haben vor allem die beiden Enquête-Kommissionen des

Deutschen Bundestages und die stets virulente Mahnmal-Debatte. Beiden Formen

und Foren der Diskussion um und über eine Vergangenheit war gemein, dass sie

erstmals öffentlich und transparent als parlamentarisch-politische Debatte geführt

worden sind.

In einer pluralistischen Demokratie scheint ein „Pluralismus im Gedenken“ eine

logische Folgerung des Umgangs mit der Vergangenheit zu sein. Dass sich die

angemessene Form des Umgangs mit den Opfern in pathetischen Trauermärschen

erschöpfte und der Holocaust, mit allem was mit ihm zusammenhängt, nicht

künstlerisch darstellbar sei, war allerdings bereits zur herrschenden Lehre

geworden. Zwar sind die vorgelagerten Besorgnisse, dass die künstlerische

Auseinandersetzung

68 Zitat aus dem Interview vom 4. März 2004 mit dem Gedenkstättenleiter Dr. Thomas Rahe, KZ- Gedenkstätte Bergen-Belsen.

43

Typologien des Gedenkens

verharmlosend wirken könne, durchaus berechtigt. Doch dürfen diese Besorgnisse

nicht verhindern, dass sich mannigfaltige Formen der Auseinandersetzung mit der

Vergangenheit ausprägen. Die politisch-öffentliche Form der Kommemoration kann

und darf nicht die einzig angemessene Form des Gedenkens sein.

Dementsprechend fanden zuerst unterschiedliche Häftlingsverbände und

Vereinigungen verschiedene Wege, ihre Trauer zu präsentieren. Fahnenappelle mit

fast militärischem Charakter oder bedrückende Gedenkriten dienten nicht nur der

Abgrenzung von anderen Opfergruppen, sondern auch der Individualisierung im

Trauern und Erinnern. Verstärkt wurden künstlerische Instrumente eingesetzt und

gezielt andere Ausdruckskanäle gesucht, um den starren Mustern (der

Gleichförmigkeit), beispielsweise einer Kranzniederlegung, etwas individuelles

entgegenzusetzen. Neben der kognitiven Dimension der Gedenkkultur, bereichern

zunehmend die ästhetisch-künstlerische und die emotional-affektive Dimension den

formellen Trauer- und Gedenkakt, insbesondere am authentischen Ort.

Ausstellungen, Plastiken oder sog. Performances (Lesungen und

Theaterstücke) sind Ausdruck der ebenenübergreifenden Aktualität zum Thema NS-

Vergangenheit und ihrer Verbrechen. Auch dort, wo es um verschiedene

Gedenkformen und- Riten geht, wird um Gedenksymbole gekämpft. Das liegt meiner

Auffassung folgend in der Logik der Gedenkkultur. Denn es geht in ihr ja nicht mehr

einfach und hauptsächlich um die Vergangenheit, sondern vor allem um die

Gegenwart. Es ist das Bestreben der Mitglieder unseres kollektiven Gedächtnisses

in ihrer stilistischen persönlichen Art einen Weg zu der Auseinandersetzung mit der

Vergangenheit in der Gegenwart zu finden und ggf. auch Formen für zukünftiges

Gedenken zu konstruieren; es bildlich, architektonisch und museografisch

darzustellen.

Die Gedenkkultur als solche zeichnet sich nicht zuletzt durch den

Generationenwechsel aus, der unweigerlich von einem kommunikativen, von

Zeitzeugen getragenem Gedächtnis hin zu einem kulturellen Gedächtnis führt. Der

Verlust der kommunikativen Authentizität führt innerhalb der Neukonzeptionen der

Gedenkstätten zu diversen Schwierigkeiten. Hauptaufgabe der Gedenkstätte wird

nun zunehmend die Vermittlung von Geschichtsbewusstsein und die wertfreie

Vermittlung von Fakten. Im Vordergrund steht nicht mehr die Gedenkstätte als

44

Typologien des Gedenkens

Grabmal. Die Generationen, die folgen, können nicht mehr betrauern und erinnern,

denn anonyme Opfer zu betrauern, stellt einen unleistbaren Akt dar. Für uns, und

die nachfolgenden Generationen, ist der Weg einer authentischen Trauer, wenn es

um die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen geht, verstellt.

„Angesichts des Holocaust trauern wir über den Verlust (..) einer mehrtausend-jährigen Kultur der Humanisierung des Menschen.“69

Notwendigerweise müssen wir uns nun eine andere Form des Trauerns suchen -

eine Form, die losgelöst vom persönlichen Verlust existiert. Rüsen stellt dafür das

„historische Trauern“ zur Diskussion und beschreibt die Trauer als Kategorie der

historischen Sinnbildung.70 Dem einen nachvollziehbaren Sinn anzubringen, ist nicht

eben leicht. Die Frage des richtigen Gedenkens sollte einer normativ angemessenen

Konzeption entspringen, das heißt vor allem einer Konzeption, die nicht mehr von

lebendigen Zeitzeugenaussagen und dem direkten Gespräch bestimmt ist und einer

ausdifferenzierten und individualisierten Gesellschaft gerecht werden kann. Es muss

auch eine Konzeption sein, die zukünftig in ihrer Gestaltung nicht mehr von

Häftlingsverbänden, in denen tatsächlich Überlebende des Holocaust vertreten sind,

getragen werden, sondern von ihren mehr oder minder legitimierten Nachfolgern.

Da der bedingte Generationenwechsel und das historische Verhältnis der

Generationen, insbesondere der zukünftigen, zum Holocaust ein zentrales Element

der Gedenkkultur sei, wird für den Terminus des Gedenkens plädiert. Er ist sehr viel

präziser und zugleich facettenreicher, dabei allerdings weniger an der

psychoanalytischen Leistung des Erinnerns angelehnt. Das Gedenken - das

respektvolle, würdigende und historische Erinnern an die Opfer des Holocaust - ist

zentrales, konstitutives und notwendiges Element der Gedenkkultur. Die

Gedenkkultur selbst ist wiederum eine Subkultur, die ein Bestandteil unserer

politischen Kultur ist und evidenter Bestandteil der erneuerten Demokratie in

Deutschland.

69 Rüsen, Jörn: Trauer als historische Kategorie- Überlegungen zur Erinnerung an den Holocaust in der Geschichtskultur der Gegenwart, S. 75, in: Loewy/ Moltmann (Hg.): Erlebnis-Gedächtnis-Sinn: authentische und konstruierte Erinnerung, Frankfurt a.M., 1996.70 Ebd.

45

Typologien des Gedenkens

3.1 Abgrenzung zum Terminus der modernen Erinnerungskultur

Zur Abgrenzung der Gedenkkultur zum Begriff der modernen Erinnerungskultur sind

zwei Bedingungen konstruiert worden, die eine Abgrenzung der beiden Termini

voneinander plausibel machen. Die Faktoren werden stichpunktartig entweder den

notwendigen Bedingungen zugeordnet oder für die hinreichenden Bedingungen

unentbehrlich.

Die notwendigen Bedingungen können wie folgt zusammengefasst werden:

die Einheit Deutschlands durch den Beitritt der Deutschen Demokratischen

Republik Deutschlands zur Bundesrepublik Deutschland (3.10.1990),

das Aufeinandertreffen zweier disparater Erinnerungskulturen und das

Herauslösen der authentischen Orte aus der Instrumentalisierung,

die Notwendigkeit zur Auseinandersetzung mit der DDR- Geschichte und den

Folgen der SED-Diktatur,

die Einsetzung von aufeinander folgenden Enquete-Kommissionen des

Deutschen Bundestages und der damit verbundene öffentliche Diskurs,

die neue Rolle des Bundes in der Kulturpolitik – die finanzielle Unterstützung

der Gedenkstätten,

die Neukonzeption der KZ-Gedenkstätten und ihr Umbau (wissenschaftliche

und pädagogische Aufarbeitung der Geschichte der Konzentrationslager),

der Generationenwechsel und der damit verbundene Übergang vom

kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis und

die internationale Wahrnehmung des Umgangs mit unseren historischen

Stätten, besonders den KZ-Gedenkstätten.

Hier sei zunächst konstatiert, dass mit den Beschlüssen zur Gedenkstättenförderung

und der damit angenommenen Verantwortung des Bundes, die Gedenkkultur sich

als konventionelles Politikfeld etablieren konnte. Sowohl der forcierte Übergang zum

kulturellen Gedächtnis als auch die staatliche Einigung rücken die Bedeutung von

kollektiv verbindlichen Entscheidungen innerhalb der Gedenkkultur in den

Vordergrund. Folglich steht die Gedenkkultur sinnbildlich zuerst für einen politisch-

instrumentellen Umgang mit der Geschichte und der Wissenschaft zur Beeinflussung

von gegenwärtigen Debatten. Demgegenüber soll jedoch akzentuiert werden, dass

46

Typologien des Gedenkens

sich die Diskurse nicht in symbolischer Politik erschöpfen, sondern die Gedenkkultur

als aktives Politikfeld seitens des politisch-administrativen Systems auch

Entscheidungen im Sinne von Verwaltungshandeln und in Gesetzgebung fordert. Die

Gedenkkultur in Abgrenzung zur Erinnerungskultur, ist zum konventionellen

Politikfeld gereift und aktiver Bestandteil der politischen Kultur.

„Das Gedenken an die NS-Zeit ist fester Bestandteil der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland.“71

Fügt man nun noch die hinreichenden Bedingungen an, dann sind das folgende:

die Pluralisierung und Differenzierung des Gedenkens;

Verlust der persönlichen Trauer als tragendes Element der Gedenkriten

die Ausbildung von verschiedenen Gedenktypologien und

die Institutionalisierung des Gedenkens.

Neben den Veränderungen, die sich nach 1990 vorwiegend in der politischen

Sphäre zeigten und damit eine weiterentwickelte Erinnerungskultur, nämlich eine

Gedenkkultur, hervorbrachten, haben sich parallel dazu auch innerhalb der

gesellschaftlichen Sphäre Veränderungen ergeben. Zum Teil sind sie ein Resultat

der politischen Entscheidungen, zum Teil auch Ergebnisse einer Entwicklung, die

auf die Liberalisierung und Institutionalisierung des Gedenkens zurückzuführen sind.

Unter dem Deckmantel der offiziellen Sinnstiftung, was mithin als institutionalisierte

Form des Gedenkens bezeichnet wird, kommt indes immer mehr die Vielstimmigkeit

und damit auch die Unvereinbarkeit von Erinnerung zum Vorschein. Mit der

Erweiterung des Wirkungsradius innerhalb der gesellschaftlichen Segmente

entstehen in der Gedenkkultur auch eine Vielzahl von miteinander konkurrierenden

Handlungs- und Gedenkmustern. Diese verschiedenen Ausprägungen des

kulturellen Umgangs mit der Vergangenheit können nach unterschiedlichen

Merkmalen in Gruppen eingeordnet werden. In Bezug auf die Gedenkkultur können

so unterschiedliche Typologien gebildet werden, die inhärenter Bestandteil und

signifikantes Merkmal der Gedenkkultur sind. Anschließend wird noch auf diese

Typologien des Gedenkens eingegangen werden.

Letztlich wird sich diese mögliche Form der Gedenkkultur auch an ihrer

71 Kölsch, Julia: Politik und Gedächtnis: Die Gegenwart der NS-Vergangenheit als politisches Sinnstiftungspotenzial, S.138, in: Bergem, W. (Hg.): Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungsdiskurs, Opladen, 2003.

47

Typologien des Gedenkens

Resistenz gegen Instrumentalisierung und innerer Konsensfähigkeit messen lassen.

Sie wird ebenso ein Parameter dafür sein, inwiefern es möglich ist, einen

gesellschaftlichen und politischen Grundkonsens im Umgang mit unserer rezenten

Vergangenheit in unserem politischen und sozialen Umfeld zu verankern. Die

Gedenkkultur beansprucht aber auch die Einsicht für sich, dass die Erinnerung und

das zukünftige Gedenken an die NS- Vergangenheit eine für die politische Kultur in

Deutschland konstitutive Rolle72 spielt und nicht mehr allein ex negativo geschieht.

Ein vergangenheitspolitischer Auftakt für diese Identifikation ist dem

Einigungsvertrag vom August 1990 zu entnehmen:

„…der Vertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR über die Herstellung der Einheit Deutschlands werde geschlossen ‚im Bewußtsein der Kontinuität deutscher Geschichte und eingedenk der sich aus unserer Vergangenheit ergebenden besonderen Verantwortung für eine demokratische Entwicklung in Deutschland, die der Achtung der Menschenrechte und dem Frieden verpflichtet bleibt’.“73

Angesichts der Befunde, soll hier ein Definitionsvorschlag für den Begriff der

Gedenkkultur unterbreitet werden:

Die Gedenkkultur ist eine historiografische Subsystemkultur, die miteinander konkurrierende Gedenktypologien in sich vereint und eine Gedenkskizze für eine ausdifferenzierte und individualisierte Lebenswelt anbietet.

Diese Definition bezieht sich ausschließlich auf den gesellschaftspolitischen Umgang

mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik Deutschland. Damit ist diese

Definition auch auf unser politisches System und die sich auf deutschem

Staatsgebiet liegenden KZ-Gedenkstätten, respektive Gedenkorte und Mahnmale,

die in Zusammenhang mit der NS-Vergangenheit stehen, festgelegt.

Nach dieser vornehmlich theoretischen Außenansicht sollte nun durch die

Experteninterviews erfahren werden, inwiefern sich eine Gedenkkultur tatsächlich

nachweisen lässt, sozusagen als „praktische Innenansicht“. In den geführten

Interviews konnte die Existenz einer Gedenkkultur bestätigt werden. Die

Ausgangsvermutung, man könne in den Aussagen der KZ-Gedenkstättenleiter eine

umfassendere Definition von Gedenkkultur entnehmen, die sich weit mehr von dem

72 Vgl. Weiss,. Matthias: Sinnliche Erinnerung, S. 71-102, in: Frei/ Steinbacher (Hg.): Beschweigen und Bekennen, Göttingen, 2001.73 Bergem, W.: Barberei als Sinnstiftung? S. 97, in: Bergem (Hg.): Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungskurs, 2003.

48

Typologien des Gedenkens

offiziellen Teil der Gedenkkultur abhebt, die sich fast ausschließlich in ritualisierten

Gedenkveranstaltungen widerspiegelt, wurde nicht bestätigt. So meint Dr. Rahe

(Gedenkstätte Bergen-Belsen) dazu:

„Es hat sich längst etwas eingespielt, (.) diese Gedenkveranstaltungen, (…) diehaben so ein bestimmtes Muster nach dem sie ablaufen, dass ist in Buchenwald

sicher auch nicht anders. Insofern gibt es so etwas wie ein eingespieltes kulturelles Phänomen, wenn man so will. Eigentlich würde ich die Frage tendenziell mit ja beantworten,…“.74

Der Gedenkstättenleiter Dr. Wagner (Mittelbau-Dora) spricht sogar von einer

„umfassenden Gedenkkultur“ und definiert diese wie folgt:

„… die [Gedenkkultur] beinhaltet verschiedene Weisen der Auseinandersetzung, auch verschiedene Weisen, sich der Geschichte anzunähern, mal auf emotionaler, affektiver, mal auf kognitiver, mal auf wissenschaftlicher Ebene.“75

Jedoch bezieht auch er sich grundsätzlich nur auf die Herangehensweise innerhalb

einer Form des Gedenkens und zwar der des Gedenkens am authentischen Ort.

Alle drei Befragten konstatierten, dass die Gedenkkultur sich durch stark ritualisierte

Elemente in Form von Gedenkveranstaltungen und Gedenkzeremonien auszeichnet,

und dass sie überzeugt sind, dies sei in unserer Gesellschaft die gewünschte

Umgangsweise. Günter Morsch, der Direktor der Stiftung Brandenburgische

Gedenkstätten sagt eindeutig:

„…zum Gedenken gehört natürlich das Ritual per definitionem dazu… Wenn Sie sich die Geschichte des Gedenkens und Erinnerns anschauen, nicht nur was den Nationalsozialismus anbetrifft, (…) dann werden Sie merken, dass dazu immer eine gewisse Regelmäßigkeit gehört, das ist, glaube ich, gar nicht zu vermeiden.“76

Da der Begriff der Gedenkkultur in der Frage bereits vorgegeben war, konnte sich

einer Diskussion um die adäquaten Begriffe entzogen werden. Die implizierte

Abgrenzung zum Terminus der Erinnerungskultur konnte allerdings nur von einem

Befragten erkannt werden. Den gezielten Gebrauch der Gedenkkultur unterstrich der

Gedenkstättenleiter Dr. Wagner mit der Aussage, dass:

„(…) jemand der nicht Zeitzeuge gewesen ist, sich auch nicht erinnern kann.“77

Damit wird auch in seiner Betrachtung der Gebrauch des Terminus

Erinnerungskultur hinfällig, wodurch Beurteilung, den Terminus des Gedenkens zu 74 Interview, Bergen-Belsen, März 2004.75 Zitat aus dem Interview vom 13. April 2004 mit dem Gedenkstättenleiter Dr. Jens-Christian Wagner, KZ- Gedenkstätte Mittelbau-Dora.76 Zitat aus dem Interview vom 9. März 2004 mit dem Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Herrn Prof. Dr. Günter Morsch.77 Interview, Mittelbau-Dora, 2004.

49

Typologien des Gedenkens

präferieren bestätigt wird.

3.2 Die Konstituanten der Gedenkkultur

Nachdem die Bedingungen für die Eingrenzung einer Gedenkkultur nach der

Wiedervereinigung genannt worden sind, sollen nun die Konstituanten dieser

bestimmt und nachfolgend gezielt auf die Gedenktypologien eingegangen werden.

In den geführten Interviews ist bei der Frage nach den Konstituanten der

Gedenkkultur aufgefallen, dass sie für die Befragten keine herausragende Rolle zu

spielen scheinen. Ein differenzierte Betrachtung der Gedenkkultur und die

Hervorhebung von verschiedenen Gedenktypologie konnte den Aussagen

keineswegs entnommen werden. Vielmehr sehen die Befragten die Konstituanten

der Gedenkkultur beinahe ausschließlich in der Verdichtung von Ritus und Symbolik

und reduzieren die Konstituanten der Gedenkkultur auf die Gedenktypologie der

öffentlichen Kommemoration, also die öffentliche und stark ritualisierte zum Teil

politisch getragene Gedenkveranstaltungen, wie die Tage der Befreiung der

einzelnen Gedenkstätten respektive den bundesweiten Gedenktag am 27. Januar.

So wie die Gedenkkultur vorgestellt und definiert wurde, ergibt sich jedoch eine

Vielzahl von Möglichkeiten des Umgangs mit der rezenten Vergangenheit, die sich

nicht ausschließlich auf die öffentliche Kommemoration beschränken. Es wurde

deshalb der Versuch gewagt, die unterschiedlichen Ausdrucksformen in einer

größeren spezifischen Gruppe zu verdichten und einer Gedenktypologie

zuzuordnen. So ergeben sich die unterschiedlichen Gedenktypologien als

elementare Bestandteile der Gedenkkultur, die über die Foren des öffentlichen

Gedenkritus hinausgehen. Die verschiedenen Gedenktypologien, die nachfolgend

kurz vorgestellt werden, sind inhärenter Bestandteil der Gedenkkultur, die sich nach

der Einheit der beiden deutschen Staaten herausgebildet hat.

50

Typologien des Gedenkens

3.2.1 Typologien des Gedenkens

Die Gedenktypologien sind nicht nur ein Resultat von einer Pluralisierung und

Liberalisierung des Gedenkens, sondern auch logisches Resultat einer

Verschiebung des gesellschaftlichen Verständnisses von Gedenkformen und

Gedenkästhetik. Die Gedenktypologien sind außerdem allesamt Ausdruck objektiver

Gültigkeit, partikularer Befindlichkeit und einer Weiterentwicklung unseres kollektiven

Gedächtnisses, das sich verstärkt einer modernen und differenzierten Umgebung

anpasst. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse bestätigt meine Aussage und

beendet -unbewusst oder bewusst- die Debatte, um die „angemessene Form des

Gedenkens“ mit folgender Prognose:

„Auch wenn die uns Nachkommenden ihre eigenen Formen des Gedenkens entwickeln werden, die womöglich unseren Kategorien nicht immer entsprechen: haben wir Grund zu der Annahme, daß sie weniger verletzbar wären, weniger Gefühle hätten als wir oder daß wir begabter wären für Trauer und Empathie?“78

Die einzelnen Typologien sind der Ausdruck der individuellen Auseinandersetzung

mit der Vergangenheit und auch Resultat des Übergangs in ein „Zeitalter ohne

Zeitzeugen“. Die Gruppenzuordnung basiert auf einer Gesamtheit von Merkmalen,

die sich im engeren Sinn mit der Nationalsozialistischen Diktatur und deren

Verbrechen beschäftigt und im weiteren Sinn die Folgen dessen zu verarbeiten

sucht.

Eine gezielte Abgrenzung der einzelnen Typologien ist nicht sinnvoll, da sich die

Typologien gegenseitig bedingen und meiner Auffassung folgend, einer Typologie,

der Urform des Ganzen entspringen: dem Gedenken am authentischen Ort. Das

Gedenken an authentischen Orten- an den KZ-Gedenkstätten- ist eine eigene

Gedenktypologie; sie ist der Urtyp des umfassenden Gedenkkonzepts.

Das Gedächtnis der Orte verbürgt die Präsenz des Toten und die „steinernen

Zeugen“, die historischen Relikte am Ort, dokumentieren, dass sich die Geschichte

tatsächlich ereignet hat. Neben den kognitiven Prozessen sind an den authentischen

Orten durch ihre Ultrapräsenz auch auratische Empfindungen möglich. Insofern wird

ein vitaler Bezug zu den authentischen Orten mit zunehmendem zeitlichen Abstand

78 Thierse, Wolfgang: Statt eines Geleitwortes, S.9, in: Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus- Eine Dokumentation, Einleitung, Berlin, 1999, Bundeszentrale für politische Bildung, Band II.

51

Typologien des Gedenkens

elementarer Bestandteil des kollektiven Gedächtnisses.

Die KZ-Gedenkstätten visualisieren den Prozess der Erinnerung und des

Vergessens oder Verdrängens, auch der kulturellen Umformung und

Instrumentalisierung. Sie sind die Bedingung für das Entstehen einer öffentlichen

Kommemoration und sie sind die Ursache dafür, dass Probleme über die

Kommunikation und Konstruktion von Erinnerung sowie der Imagination von

Verlorenem und der Repräsentation des Abwesenden thematisiert werden.

Pathetisch bezeichnet, sind die Gedenkstätten das Spiegelbild der rezenten

Erinnerungskultur und momentanen Gedenkkultur. Damit bekommt diese Typologie

eine herausragende Stellung zugewiesen, die sich aus ihrer Multifunktionalität

einerseits und dem normativen Anspruch an diese begründet.

Sie sind Orte, die für die nachfolgenden Generationen einen räumlichen und

sinnlichen Bezug zu dieser Vergangenheit herstellen und durch ihre monumentale

Authentizität die Verbrechen veranschaulichen und das über einen greifbaren

Zeithorizont hinaus79. Sie sind konkret und doch vielfältig in den unterschiedlichen

Perspektiven; die KZ-Gedenkstätten stehen gegen jegliche Form von

Relativitätsbemühen. Überdies ist die Form der Monumentalisierung des Gedenkens

für uns von besonderer Bedeutung, weil man auf diese Weise der „Abstraktion des

Erinnerns ein verkörperlichtes Monument“80 entgegensetzen kann. Die

Konservierung der authentischen Orte ist zudem geleitet, die Massenverbrechen

dauerhaft im kollektiven Gedächtnis zu verankern. Zudem erhofft man sich von den

Erinnerungsorten, so der normative Ansatz, über den Informationswert hinaus, dass

diese ein aktives und ortsunabhängiges Geschichtsbewusstsein vermitteln.

Historisch und pädagogisch begründet, nehmen die KZ-Gedenkstätten die primäre

Stellung innerhalb des Gedenkzyklus ein. Als Ursprungstypologie leiten sich alle

nachfolgenden Gedenkformen vom Gedenken am authentischen Ort ab.

Daneben existiert die bereits erwähnte Gedenktypologie der „öffentlichen

Kommemoration“, zu der die öffentlichen und zum Teil politischen Gedenktage

79 Vgl. Endlich, Stefanie: Ein authentischer Ort, ein konkretes Ereignis- Die „Passagen“ für Walter Benjamin im Kontext der aktuellen Denkmals-Diskussion, S. 73-110, in: Ingeborg Siggelkow (Hg.): Gedächtnisarchitektur: Formen privaten und öffentlichen Gedenkens, Frankfurt am Main, 2001.80 Benz, Wolfgang: Zukünftiges Gedenken, S.42-43, in: Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg (Hg.): Erinnerung und Begegnung: Gedenken im Land Brandenburg zum 50. Jahrestag der Befreiung, Potsdam, 1996.

52

Typologien des Gedenkens

zählen sowie die inhaltliche Ausrichtung und Institutionalisierung dieser

Schlüsselereignisse. Das sind die Tage der Befreiung der einzelnen

Konzentrationslager an denen öffentliche und medienwirksame Zeremonien

stattfinden, der Tag der Befreiung- das Kriegsende- am 8. Mai; das ist auch der

bundesweit sicherlich symbolträchtigste Gedenktag im Januar an die Opfer des

Nationalsozialismus. Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrations- und

Vernichtungslager Auschwitz von sowjetischen Truppen befreit. Im Jahr 1996 wurde

der 27. Januar vom damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zum Tag des

Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus erklärt. Seitdem erinnert der

Bundestag jährlich in einer Gedenkstunde an diese Opfer. Aber auch der 20. Juli

gehört zu den Gedenktagen, der Teil der öffentlichen Reminiszenz ist. Schließlich

der 9. November, der ein mehrfaches Gedenken bündelt: Die Erinnerung an die

Maueröffnung, die Reichsprogromnacht, das Elser- Attentat, den Hitler-Putsch und

die Novemberrevolution von 1918. Das weitläufige Feld der öffentlichen

Kommemoration an die Zeit der NS-Diktatur ist von erheblicher Bedeutung. Die

Frage, wie eine Gesellschaft wie die der Bundesrepublik Deutschland den Opfern

der industriellen Massenvernichtung gedenken kann, beantwortet sich in der

„politischen Liturgie.“81

In der politischen Liturgie werden jene gesellschaftlichen Rituale verdichtet, die

konsensual, als wichtige Ereignisse für das kollektive Gedächtnis erachtet werden.

Dabei werden die Rituale als kollektive und symbolischen Handlungen und

Verhaltensweisen verstanden. Die charakteristische Regelmäßigkeit wirkt darüber

hinaus stabilisierend und hilft rituale Handlungen gesellschaftlich zu verankern. Die

nationalen Gedenktage sind entsprechende Verhaltensdispositionen innerhalb der

öffentlichen Gedenkkultur und sie sind gewünschte Formen der Auseinandersetzung

mit der belasteten Vergangenheit. Sie sind transparent und notwendig zur

öffentlichen Sinnstiftung, da das öffentliche Gedenken zumeist aus einem von der

Gesellschaft getragenen Wertekanon entspringt und dadurch seine Legitimität

erhält.

In modernen wissenschaftlich geprägten Gesellschaften sind sowohl die kognitiven,

als auch die liturgischen Bezüge zur Vergangenheit relevant. Auf die 81 Brumlik, M: Gedenken in Deutschland, S.115f., in: Platt/Heil (Hg.): Generation und Gedächtnis, 1995.

53

Typologien des Gedenkens

Gedenktypologien angewendet, würde das bedeuten, dass die kognitive

Herangehensweise am authentischen Ort und die liturgische Herangehensweise, die

öffentliche Kommemoration, gleichermaßen notwendig sind und sich sogar einander

ergänzen. Hier wird besonders deutlich, dass diese beiden Typologien sich weder

aufeinander reduzieren noch durcheinander ersetzen lassen. Mit anderen Worten:

durch die öffentliche Kommemoration in Form von Gedenkveranstaltungen u.ä.

wurde der ursprünglichen Funktion der KZ-Gedenkstätten als Friedhöfe zuerst

Rechnung getragen. Im Zyklus des Gedenkens wird der öffentlichen

Kommemoration auch der Platz direkt nach den KZ-Gedenkstätten eingeräumt, um

die Bedeutung des öffentlichen Gedenkens sichtbar zu machen, aber auch um

aufzuzeigen, welche Auswirkungen eine politischen Instrumentalisierung bei diesem

hohen Stellenwert auf die Gedenkstätten und die Gedenkkultur hätte.

In der über zehnjährigen Debatte um das zentrale Holocaust-Mahnmal für die

Hauptstadt, in der nicht wenige forderten, die Debatte möge das Denkmal sein,

zumal Berlin und im ganzen Land an den „traumatischen Orten“82 zahlreiche

Gedenkstätten an die Ausgrenzung, Deportation und Ermordung der jüdischen

Bevölkerung erinnern. Die Debatte, die mit der Forderung nach einem zentralen

Denkmal der Bürgerinitiative PERSPEKTIVE BERLIN e.V. um Lea Rosh im Jahr

1988 begann und mit der Entscheidung im Bundestag am 25. Juni 1999 endete. Das

Richtfest wird am 12. Juli 2004 stattfinden und bis dahin sind bereits die Hälfte der

2751 Betonstelen aufgestellt.

Diese langjährige Debatte, die es wie kaum ein Ereignis zuvor schaffte politische

und gesellschaftliche Sphären zu einem öffentlichen Diskurs über einen so langen

Zeitraum hinweg zu mobilisieren, wird deshalb als evidenter Bestandteil der

Gedenkkultur betrachtet und aufgrund der Spezifität einer eigenen Gedenktypologie

untergeordnet.

Während das Gedächtnis der Orte die Präsenz der Toten verbirgt und zum Teil noch

aktiver, greifbarer Lebensbestandteil der Überlebenden Opfer ist, lenkt das

Monument dagegen die Aufmerksamkeit vom Ort auf sich selbst, als

82 Assmann, Aleida: Erinnerungsräume - Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München, 2003, Sonderausgabe, S. 328.

54

Typologien des Gedenkens

repräsentierendes Symbol. Das Monument oder Denkmal ist ein abstraktes

Kunstwerk, mithin ein politisches Symbol; von Menschenhand geschaffen ist es

immer Ausdruck einer kulturellen und interpretierten Formung der Erinnerung. Das

charakteristische an einem Monument ist, dass es ein gewollt künstlich geschaffenes

und abstraktes Symbol ist, das in sich eine Botschaft mit einem bestimmten

Erinnerungsgehalt für die Nachwelt trägt.

Das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin zeichnet sich ebenfalls

durch seine abstrakte, künstliche Form aus und enthält eben diese Botschaft für die

Nachwelt, niemals zu vergessen und dieser einen Opfergruppe exemplarisch ein

Monument zu errichten. Die Intensität, mit der diese Debatte geführt wurde, bestätigt

die Position in unmittelbarer Folge zur öffentlichen Kommemoration. In der

konkurrierenden Stellung der einzelnen Typologien zueinander erhält die Mahnmal-

Typologie eine herausragende Stellung, da in ihr eine ernstzunehmende Konkurrenz

für die primäre Position der KZ-Gedenkstätten innerhalb der Gedenkkultur liegt. So

kann Aleida Assmann zugestimmt werden, die die Auffassung vertritt:

„Die Aura, die dem Gedächtnisort seine Weihe gibt, ist in keine noch so kunstfertigen Monumente übersetzbar.“83

Des weiteren gehört zur Gedenkkultur auch das Feld der ästhetischen Kultur: Die

Typologie des Gedenkens in der Medienlandschaft. Wie man der Grafik entnehmen

kann, bekommt diese keinen so gewichtigen Platz innerhalb der Gedenkkultur. Die

Anordnung resultiert schlicht aus der gewichtigen Bedeutung der ersten drei

genannten Typologien, obwohl die Produzenten literarischer, filmischer,

fotografischer und dramatischer Werke immer wieder auch politisch anstößige

Akteure gewesen sind. Es ist davon auszugehen, dass literarische Werke wie

Celans „Todesfuge“ oder Hochhuts „Stellvertreter“ ebenso filmische Epen wie die

US-amerikanischen „Holocaust“ und „Schindlers Liste“ nicht nur das kollektive

Gedächtnis mitstrukturiert haben, sondern vor allem der Film von Steven Spielberg

die Diskussion um die Erinnerungs- und Gedenkkultur zur Revitalisierung und

Emotionalisierung verholfen haben. Auch diverse Fernseh- und

Dokumentationsreihen über die nationalsozialistische Diktatur, exemplarisch seien

83 Assmann, A.: Erinnerungsräume, 2003, S. 326.

55

Typologien des Gedenkens

hier die G. Knopp- Reihen genannt, sind Teil dieser Gedenktypologie. Als mediales

Produkt sind sie die Antwort auf eine gestiegene Nachfrage in unserer Gesellschaft

nach der Vermittlung von Geschichtsbewusstsein via Television.

Insgesamt darf der Einfluss dieser Gedenktypologie nicht unterschätzt werden, denn

besonders über die TV- und Videogeräte wird ein potenzielles Millionenpublikum

erreicht. Kritisch ist die Typologie samt ihrer verschieden Formen zu betrachten, weil

sie auch Werke, ob literarisch oder filmisch, enthält, die sich mit der Zeit des

Nationalsozialismus auseinandersetzen, jedoch keinen Anspruch auf Plausibilität

erheben, sondern künstliches, plastisches und unterhaltsames miteinander

verbinden, dass der Adressat letztendlich alles für eine wahre Begebenheit zu halten

vermag. Vortrefflich bezeichnet Peter Reichel das als das

„(…) unauflösliche Dilemma aller erfundenen Erinnerung.“84

Schließlich beansprucht das Feld der Gedenktypologie „Orte der Latenz“ seine

Position innerhalb des Gedenkzyklus’. Neben den offenen und durchlässigen, auch

streitbaren Typologien, beansprucht die Gedenkkultur einen Bereich, in dem sich

bewusst oder unbewusst eine Erinnerung an das offiziell Verschwiegene oder

Abwesende erhalten kann. In Anlehnung an das Moses- Buch von Sigmund Freud,

in dem er sich mit den individualspychologischen Begriffen der Gedächtnisdynamik

wie Erinnerung, Verdrängung und Latenz als Elementen einer Kulturtheorie

auseinandersetzt und diese auf die Religionsgeschichte anwendet, wird in der

Gedenkkultur der Begriff der Latenz, als die „Verschweigung im offiziellen Diskurs“85

benutzt. Im offiziellen und nationalen Gedächtnis der Deutschen gibt es solche

Latenzen, ganz im Sinne von Freud, die unmittelbar mit den traumtischen

Erschütterungen zusammenhängen. Solange es Zeitzeugen gibt, ob auf der Opfer-

oder der Täterseite, wird es dieses Verschweigen geben. Auch auf der unmittelbar

bevorstehendem Schwelle zum kulturellen Gedächtnis wird es diese Orte der Latenz

in unserem Gedächtnis geben, aufgrund des zielgerichteten Verschweigens auch

nachfolgender Generationen, sei es aus Schamgefühl oder einer willentlichen

84 Reichel; Peter: Erfundene Erinnerung- Weltkrieg und Judenmord in Film und Theater, München/ Wien, 2004, S. 13.85 Assman, J.: Kollektives und kollektives Gedächtnis, S.31, in: Borsdorf/ Grütter (Hg.): Orte der Erinnerung, 1999.

56

Typologien des Gedenkens

Abwehrhaltung.

Da die Reihenfolge der einzelnen Typologien eine Rangfolge darstellt, ist ersichtlich,

dass der Typologie ‚Orte der Latenz’ keine vorrangige Rolle innerhalb der

Gedenkkultur zugesprochen wird. Allerdings ist auch sie, wie die anderen,

elementarer Bestandteil der Gedenkkultur und sollte zukünftig nicht unterschätzt

werden.

Sämtliche Gedenktypologien basieren auf der Gedenktypologie ‚Die KZ-

Gedenkstätten’. Sie sind interdependent und beziehen sich spezifisch auf die

Gedenkkultur der deutschen Gesellschaft. Damit können die getroffenen Aussagen

keine allgemeine Gültigkeit für sich beanspruchen.

Wie anhand der Grafik versucht wurde, bildhaft zu machen, ist der kleinste

gemeinsame Nenner aller Gedenktypologien die Gedenkkultur. In ihr verdichten sich

die normativen und notwendigen Merkmale der einzelnen Gedenktypologien. Die

Kreise spiegeln die Handlungsfelder der einzelnen Typologien wider und in der

Reihenfolge besteht eine Rangfolge. Im Uhrzeigersinn betrachtet kann von den KZ-

Gedenkstätten ausgehend eine Abstufung der einzelnen Felder vorgenommen

werden. Zwar können die Typologien nicht wahlweise herausgelöst werden, jedoch

kann beispielsweise die Anordnung der einzelnen Felder geändert werden, so dass

sich die Aktualitätsbezüge abzeichnen und eine andere Gewichtung der Typologien

sichtbar wird. Den Prognosen folgend, kann die Grafik in wenigen Jahren so

verändert werden, dass sich die Gedenkstätten nicht mehr an primärer Stelle

befinden, sondern die öffentliche Kommemoration diesen Platz eingenommen hat.

57

Typologien des Gedenkens

3.2.2 Grafische Darstellung der Typologien des Gedenkens

Abb. Zyklus der Gedenktypologien86

86 Anm.: eigene Darstellung.

58

Typologien des Gedenkens

3.3 Zur Transformation der Gedenkkultur im vereinten Deutschland - Herausforderungen und Ansprüche

Die Errichtung von Gedenkstätten schien in Deutschland nach der Befreiung der

Konzentrationslager 1945 ein allenfalls sekundäres Problem zu sein. Viele der

ehemaligen Konzentrationslager, insbesondere die großen Hauptlager, wurden nach

Kriegsende provisorisch genutzt, beispielsweise als Krankenhäuser, als Basis für

Repatriierungsversuche, als Unterkünfte für sogenannte „displaced persons“ und

auch als Internierungs- und als Flüchtlingslager; später wurden sie auch als

Gewerberäume, Gefängnisse und geschlossene Krankenhäuser benutzt.

Die Mehrzahl der einstigen Konzentrationslager aber, vor allem die kleineren Lager,

wurden in der Nachkriegszeit demontiert, viele überbaut und viele verwandelten sich

in verwilderte Brachen. Dem mit dem Verschwinden der KZ-Überreste verbundenen

Auslöschen von Erinnerung widersetzte sich allerdings schon seit der frühen

Nachkriegszeit eine Tendenz, welche auf das Gedenken und Erinnern abzielte.

Neben den auf religiöse Transzendenz verweisenden Grabmalen entstanden kurz

nach der Befreiung auch erste provisorische Denkmale, die entweder die Tatorte

kennzeichneten oder punktgenau auf die NS-Verbrechen verwiesen, wie etwa ein

Sowjetstern über einem Massengrab in Ravensbrück. 87 Was erinnert werden soll, ist

aber oft interessengeleitet und deshalb nicht selten strittig. Erreichen Gesellschaften

und Nationen bisweilen jedoch einen Konsens darüber, was in ihrer Geschichte

erinnert werden soll, dann formiert sich daraus allgemeingültig ein „Gedächtnis, das

Gemeinschaft stiftet“88. Ein generell in der Gesellschaft akzeptierter Symbolvorrat

wird genutzt, um die Geschichte adäquat zu kommunizieren. Im konkreten Umgang

damit formiert sich daraus, wie bereits erwähnt, die Erinnerungskultur, in der Riten,

Symbole, Metaphern und bedeutungsgeladene Monumente und besonders

Gedenkstätten ihren Platz haben.

Aus dem Bedürfnis heraus, die Erinnerung an die NS-Verbrechen präsent zu halten,

87 Vgl. dazu: Mußmann, Olaf: Die Gestaltung von Gedenkstätten im historischen Wandel, in: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hg.):Museale und mediale Präsentation in KZ-Gedenkstätten-Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Heft 6, Bremen, 2001, S. 14-30.88 Ebd.

59

Typologien des Gedenkens

bemühten sich verschiedene Kräfte um die Einrichtung von Gedenkstätten. Es gab

aktive Bürgergruppen und überlebende ehemalige Häftlinge, die sich später in

Vereinen und Verbänden organisierten, die sich stark für den Erhalt bzw. für die

Errichtung von Gedenkstätten einsetzten. Die Aktivitäten waren in der Regel von

dem Bemühen begleitet, die Art der Erinnerung zu beeinflussen oder gar zu

bestimmen und entsprechend verliefen die Gestaltungen und Konzeptionen nicht

nach einem einheitlichen Muster. Im Spannungsfeld zweier disparater

Erinnerungskulturen bildeten sich deshalb divergente Strukturen und Effekte heraus,

die von der Vernachlässigung der Areale bis zur vollständigen Umnutzung oder der

Überbauung monumentaler Gedenkstätten in staatlicher Trägerschaft reichten.

Dabei prägten die Interessenlagen, Instrumentalisierungen, Interpretationen und

Reduktionen der Geschichtsbilder, gemäß den politischen Erinnerungskulturen der

beiden deutschen Staaten, die jeweiligen Gestaltungsprinzipien der Gedenkstätten.

So sind die Folgen der verschiedenen Auf- und Abspaltungen im Gedächtnis der

Nation an den auf die NS-Vergangenheit bezogenen Orte bis heute ablesbar. In

unserer in Jahrzehnten gewachsenen Erinnerungskultur nehmen die authentischen

Orte einen prominenten Platz ein, gemeint sind die KZ-Gedenkstätten. Prominent

auch deshalb, weil an kaum einem anderen Beispielkomplex der Gegensatz im

Umgang mit dem NS-Erbe zwischen den beiden deutschen Staaten so präzise

nachzuvollziehen ist, wie auch Reichel meint:

„Konversion und spätere Revision dieser Gedächtnisorte haben in der ost- und westdeutschen Erinnerungskultur ihr je eigenes Profil herausgebildet.“89

Letztlich stehen gerade die Gedenkstätten als monumentales Sinnbild für den

Umgang mit diesen Orten in den beiden Erinnerungskulturen. Während die

Bundesrepublik Deutschland die Gedenkstätten „im Rahmen ihrer

Wiedergutmachungspolitik“90 einführte, waren sie als zentrale und authentische Orte

nicht stark in der politischen Kultur verankert. Außer an zentralen Gedenktagen oder

bei öffentlichen Staatsbesuchen, waren die Gedenkstätten offiziell keine stark

besuchten Gedächtnisorte. Ihre Position im politisch-öffentlichen Raum in der

Bundesrepublik verdeutlicht sich besonders an der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen

89 Reichel, P.: Politik mit der Erinnerung, 1995, S.128.90 Dittberner, J.: Schwierigkeiten mit dem Gedenken, 1999, S. 15.

60

Typologien des Gedenkens

im Land Niedersachsen. Dort war und ist bis einschließlich Mitte 2004 die

Gedenkstätte

„(…) eine Unterabteilung einer Landeszentrale für politische Bildung, die wiederum dem Kultusministerium untersteht…“91

In der DDR hingegen wurden die Gedenkstätten funktionalisiert und

instrumentalisiert. Eingebettet in das politische System- als zentralstaatlich

nachgeordnete Behörde des Ministeriums für Volksbildung- wurden die

authentischen Relikte überbaut und kulturell überformt. Sie wurden zu Orten für

Massenveranstaltungen, in denen mittels überdimensionaler Aufmarschalleen und

übergroßer Denkmäler der Sieg über den Faschismus gefeiert wurde. Neben

öffentlichen Gedenktagen waren besonders die Jugendweihen und die

Vereidigungen der Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA) als Anlässe geeignet,

um zugleich den Heroismus des kommunistischen Widerstands in der folgenden

Generation zu verankern. Dass sich die Einverleibung eines konstruierten

geschichtlichen Erbes in Widersprüchen und Ungereimtheiten wiederfand, zeigte

sich schlussendlich auch im Umgang mit den Gedenkstätten.

Eine solch gezielte Deformierung der authentischen Orte ist in den Gedenkstätten

des westlichen Teils der Republik nicht nachzuweisen. Trotzdem machen auch 45

Jahre nach dem Holocaust das soziale Gedächtnis und sein Kern, die

Erinnerungskultur zu einem konfliktreichen Politikfeld. Seit der deutschen

Wiedervereinigung und dem Prozess des schwierigen Zusammenwachsens,

erscheinen auch die Gedenkstätten in einem anderen Licht und diese stehen vor

neuen Herausforderungen. Im folgenden soll auf diese Anforderungen eingegangen

werden:

1. Jahrzehntelang waren die Gedenkstätten über die NS-Vergangenheit in einen

innerdeutschen Systemkonflikt eingebaut und das Aufeinandertreffen zweier

disparater Erinnerungskulturen entfachte nicht nur die Diskussionen über die

angemessene Aufarbeitung der Wissens- und Materiallücken in der Geschichte der

Gedenkstätten, sondern löste zugleich noch einen Streit über die angemessene

Form des Gedenkens aus, der sich bis in die einzelnen Opfergruppen des NS-

Regimes ausdifferenzierte.

91 Interview, Bergen-Belsen, 2004.

61

Typologien des Gedenkens

Besonders an einem Gedenkort kristallisierten sich Konflikträume heraus, die sich

der Vorstellungskraft mancher entzogen. In der Gedenkstätte Buchenwald

entbrannte der Streit zwischen den Verbänden der Stalinopfer und der NS-Opfer

über die Frage, ob die Toten des sowjetischen Speziallagers den Toten des

Konzentrationslagers räumlich und denkmalkünstlerisch gleich ,- nach- oder

untergeordnet werden sollten. Neben einer Neukonzeptionierung, die sich den

veränderten Rahmenbedingungen anpassen musste, standen nun einige

Gedenkstätten (auch Sachsenhausen) vor dem Dilemma der „doppelten oder

zweifachen Vergangenheit“, welche theoretisch, wie pädagogisch gelöst werden

muss.

2. Die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands wurde nicht von allen

Staaten oder internationalen Organisationen als positives und überfälliges Politikum

betrachtet und kennzeichnenderweise wurden die Entwicklungen in der

Gedenkkultur und der Umgang mit den authentischen Orten nach 1990 mit mehr

Interesse verfolgt als dies bisher der Fall war: Die Gedenkkultur wurde zum

Parameter für die Wahrhaftigkeit eines neu gewachsenen Rechtsstaates.92

3. Daraus resultierte auch die Frage nach den Beiträgen des politischen Systems zu

Form und Inhalt des Gedenkens. Nachdem die Länder Brandenburg und Thüringen

bereits im Juni bzw. September 1991 Expertenkommissionen einberufen hatten,

denen Geschichtswissenschaftler und Gedenkstättenspezialisten angehörten und

die sich mit der Neukonzeption der Gedenkstätten beschäftigten, wurden die

historischen Makel in Angriff genommen. Auch der Bund wurde sich seiner

politischen Verantwortung bewusst und beteiligte sich an der Finanzierung der

ehemaligen „Nationalen Mahn- und Gedenkstätten“ der DDR.93 Diese Entscheidung

wurde zur „Gretchenfrage“ und löste die Diskussion über die finanzielle Förderung

von Gedenkstätten in ganz Deutschland aus. Nachfolgend werden noch en detail auf

die beiden Enquête- Kommissionen und ihre Resultate eingehen.

4. Mit der umfassenden Umgestaltung insbesondere der Nationalen Mahn- und

Gedenkstätten94 und deren thematischer Erweiterung stellte sich nun zunehmend die 92 Vgl. Dittberner, J.: Schwierigkeiten mit dem Gedenken, 1999, S. 16.93 Puvogel, U.: Gedenkstätten, 1998, S. 17.94 Dies betrifft neben den großen Nationalen Mahn- und Gedenkstätten Buchenwald (Mittelbau-Dora), Sachsenhausen und Ravensbrück auch viele kleinere Gedenkstätten an Orten von NS-Verbrechen, an denen die Sicherung zum Teil erst ab 1990 begann oder nach Abzug der sowjet. Truppen erst zugänglich wurden.

62

Typologien des Gedenkens

Frage nach der Funktion der Gedenkstätten innerhalb der Gesellschaft. Durch das

Wegbrechen des Legitimationsgrundsatzes und die Befreiung vom „Geist des

Antifaschismus“95 bestand die Notwendigkeit zur Korrektur von historisch defizitären

Darstellungen in den Gedenkstätten der ehemaligen DDR. Sie sind nicht länger

Instrument, sondern Orte der Erinnerung, sind Friedhöfe und zeithistorische

Museen. Doch dieser Zuwachs an Funktionen und pädagogischer Verantwortung

steht diametral den organisatorischen und finanziellen Ausstattungen der

Gedenkstätten entgegen. Anhand der Fallbeispiele kann näher bestimmt werden,

welche Auswirkungen diese Umgestaltung und Neudefinierung auf die

Gedenkstätten hatte.

5. In der letzten Herausforderung, der sich die „neuen“ Gedenkstätten stellen

müssen, vereinen sich eine Vielzahl von Faktoren, die insgesamt zu einer

bedenkenswerten Situation innerhalb unserer Gesellschaft im weitesten Sinn und in

unserer Gedenkkultur im engeren Sinn führen. Zum einen spürt man die Tendenz

einer „weit verbreiteten Reserve gegen Gedenkstätten“96 und das sowohl im Osten,

wie auch im Westen, zum anderen entwickeln sich zunehmend rechtsradikale

Strukturen, die sich in auffallend gewaltträchtigen Aktionen direkt gegen die

authentischen Orte richten. Hier sind besonders die neuen Bundesländer und ihre

Gedenkorte betroffen.

Hinzu kommt ein Faktor, der momentan noch keine gravierende Wirkung auf die

Gedenkkultur hat, jedoch zukünftig haben wird. Dieser Prozess konvergiert mit der

Vermutung um eine „neue“ Typologie des Gedenkens. Eingangs wurde bereits die

Typologie „Gedenken in der Medienlandschaft“ vorgestellt und darunter auch die

Formen des Umgangs im Gedenken innerhalb des künstlerischen vom

authentischen Ort losgelösten und professionellen subsumiert. Hier stellt sich die

Frage, inwiefern sich die Herausbildung einer sog. „Gedenkelite“ mit dem

implizierten intellektuellen Anspruch auf die richtige Form des Gedenkens

herausbilden kann und sich letztendlich auf die Gedenkkultur auswirken kann.

6. Mit der neuen Rolle Berlins als Hauptstadt des wiedervereinten Deutschlands

wurde die Stadt zum Zentrum der Gedenkkultur und verinnerlicht nicht nur eine 95 Meyer, E.: Erinnerungskultur als Politikfeld, S. 123, in: Bergem, Wolfgang (Hg.): Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungsdiskurs, Opladen, 2003.96 Vgl. Dittberner, J.: Schwierigkeiten mit dem Gedenken, 1999, S. 16.

63

Typologien des Gedenkens

Vielzahl von Gedenkstätten und – orten, sondern auch die meist beachteten und

diskutierten: die „Topografie des Terrors“, die „Neue Wache“ und das „Denkmal für

die ermordeten Juden Europas“97. Quantitativ wird Berlin zur „Gedenkhauptstadt“

stilisiert, ob sich das auch qualitativ messen lässt, wird sich vermutlich am

Streitpunkt „Holocaust-Mahnmal“ entscheiden.

Diese Bestandsaufnahme dient dem Überblick und nicht der sachgerechten

Aufzählung aller Faktoren, die die Gedenkstätten besonders nach der Einheit der

beiden deutschen Staaten maßgeblich beeinflussten. Zudem unterschieden sich die

Anforderungen im Einzelnen auch voneinander, so dass man sagen kann, dass die

Gedenkstätten im westlichen Teil durch die fehlende Instrumentalisierung oder der

„doppelten Vergangenheit“ durchaus ein günstigere Ausgangssituation hatten.

Bei aller Unterschiedlichkeit haben die heutigen KZ-Gedenkstätten im vereinten

Deutschland doch auch vieles gemeinsam. Sei bestehen aus Einzel- und

Massengräbern, aus mehr oder weniger gut erhaltenen historischen Überresten, aus

Denkmalen und Museen oder aus anderen pädagogisch-didaktischen

Bildungsangeboten und geplanten oder aus pragmatisch entstandenen

Landschaftsgestaltungen. Diese Elemente sind nicht immer in gleichen Anteilen

vorhanden und manche Gestaltung ist zufällig entstanden, manche gezielt. Die

Notwendigkeit einer generellen Umgestaltung und thematischen Erweiterung der

erinnerungskulturellen Funktion der Gedenkstätten ist augenscheinlich. Die

authentischen Orte sollen nicht nur gegen jegliche Art von Relativitätsbemühung

stehen, sondern mit ihrer Plastizität tiefer in die Gesellschaft hineinwirken können,

nicht als moralische Instanz, sondern als pädagogisch liberale Einrichtung, in der es

möglich wird, ein wahrhaftiges Geschichtsbewusstsein zu vermitteln.

Das sind innenpolitisch die Herausforderungen, denen sich die Gedenkstätten am

politischen Wendepunkt der Deutschen Wiedervereinigung stellen mussten. Das

Gedenken und die authentischen Orte sind zunehmend zu einem öffentlichen

Thema geworden und nicht länger ein historisches Spezialthema. Außenpolitisch

mussten wir hingegen erkennen, dass in anderen Nationen der Umgang mit dem

Nationalsozialismus stärker in der politischen Kultur verankert war, als es bei uns zu

Beginn der 90er Jahre der Fall war. Auch in der Diskussion um die

97 Rosh, L.: „Die Juden, das sind doch die anderen“, Berlin/ Wien, 1999, S. 11.

64

Typologien des Gedenkens

wissenschaftstheoretische Frage, ob und warum der Holocaust zu einem Problem

der Moderne wurde, haben die Gedenkstätten wissenschaftlichen Nachholbedarf.

Eine Beteiligung an der internationalen Diskussion um Werteverluste in hoch

entwickelten Gesellschaften kann nur geleistet werden, wenn wir die:

„Blutzufuhr aus den Universitäten, Schulen und Bildungsstätten [fördern]. Sie [die Gedenkstätten] müssen geöffnet werden für berufliche Mobilität.“98

Die funktionale Veränderung für die Gedenkstätten, sowie die föderale Verschiebung

der Verantwortlichkeit stellte für die KZ-Gedenkstätten, insbesondere in den neuen

Ländern, eine vielschichtige und komplexe Herausforderung dar. Dennoch konnte

das von den Interessengruppen (beispielsweise Häftlingsverbände) adressierte

politische System keine originären Kompetenzen zur Beurteilung von historischen

Fragen vorweisen. Folglich delegierten die betroffenen Bundesländer die

grundsätzlichen Entscheidungen an sogenannten Expertenkommissionen und

Sachverständigengremien, die mittels einer wissenschaftlichen Expertise die

weiteren Vorgehensweisen klären sollten.

Nachfolgend stehen die Expertenkommissionen im Focus, um dann intensiver auf

die Ergebnisse der Enquête- Kommissionen des Deutschen Bundestages

einzugehen.

3.3.1 Die Neukonzeption der Gedenkstätten und die Enquête-Kommissionen

Die funktionale und föderale Verschiebung der Verantwortlichkeit brachten für die

Interessenvertreter, Vertreter der Opfer der Konzentrationslager, eine

Beeinträchtigung ihrer Erinnerungsinteressen mit sich. Es entstand eine

Konfliktsituation, die sich in Erinnerungskonkurrenz zwischen zwei Opfergruppen

äußerte, nämlich in der:

„(…) Bewahrung antifaschistischer Traditionen einerseits und der Durchsetzung vereinfachender totalitarismustheoretischer Deutungen andererseits.“99

98 Dittberner, J.: Schwierigkeiten mit dem Gedenken, 1999, S.20 f.99 Meyer, E.: Erinnerungskultur als Politikfeld, 2003, S. 123.

65

Typologien des Gedenkens

Hinzu kam nach dem politischen Umbruch vielfach ein würdeloser Streit um die

Frage der Finanzierung von Restaurierungen und den Erhalt von

Geschichtsdenkmälern und Gräbern, denen Verfall oder sogar Verlagerung in

abgelegenere Winkel drohte. Bei der Umgestaltung gab es sogar Ungeduld und

Empörung darüber, dass beispielsweise die Veränderungen von Formen und

Inhalten bei Ausstellungen nicht schnell genug voran getrieben würden, so als würde

es sich um eine ausschließliche Modifikation der Bilder handeln.100

Die neuen Länder Brandenburg und Thüringen beriefen für die Streitpunkte

deshalb bereits Mitte 1991 sog. Expertenkommissionen, denen

Geschichtswissenschaftler und Gedenkstättenspezialisten und Vertreter aus

Verfolgten- und Häftlingsverbänden angehörten. Sie sollten sich mit den Spezifika

der Nationalen Mahn- und Gedenkstätten und deren historiografischen Defiziten

auseinandersetzen. Die Kommission sollte aber auch Stellung zu den stalinistischen

„Speziallagern“ der Nachkriegszeit im Verhältnis zu den Konzentrationslagern in der

Zeit des NS-Regimes nehmen, zumal wenn diese auf den vormaligen KZ-Geländen

eingerichtet worden sind. Im Kern richtete sich die Arbeit der Experten an die Frage

nach dem Gegenwartsbezug der NS-Vergangenheit sowie den früheren Funktionen

der Gedenkstätten und an ihre Aufgaben im vereinigten Deutschland. Die

erarbeiteten Vorschläge sollten als Eckpunkte eines Umgestaltungsfeldes

verstanden sein, innerhalb dessen der Prozess der Neugestaltung stattfinden sollte.

Die beiden Expertenkommissionen kommen formal zu den gleichen Ergebnissen:

Erinnerungsräume für beide Verfolgungskomplexe einzurichten, aber räumlich zu

trennen, mit dem Schwerpunkt auf den nationalsozialistischen Konzentrationslagern.

Natürlich löste diese Entscheidung bei den konträr zueinander stehenden

Opferverbänden beider Vergangenheiten heftige Streitigkeiten aus. Zwar wurden die

Vorschläge, mit dem Verweis, dass nicht das eine Unrecht das andere relativiert

oder bagatellisiert- akzeptiert, ein Nachgeschmack aber blieb. Zumal nun das

Problem der Repräsentation in Bezug auf die Zusammensetzung der Kommission

virulent wurde. Diese Forderung nach repräsentativer Besetzung respektive der

Einsetzung „kritischer Experten“ ist ein typisches Problem bei der politischen

Auseinandersetzung um Verfahrensgerechtigkeit. Problematisch ist dies vor allem,

100 Vgl. Puvogel, U.: Gedenkstätten, 1998, S. 12.

66

Typologien des Gedenkens

da das auch künftig so sein wird. Beim Übergang zum kulturellen Gedächtnis

werden die Opfer- und Häftlingsverbände zunehmend von der Nachfolgergeneration

getragen werden. Zum Streitpunkt wird das besonders bei der Empfehlung der

Kommissionen zur Rechtsform. Die Expertenkommissionen empfehlen bei der

Organisation der Gedenkstätten die Rechtsform Stiftung. Diese sollte neben der

politischen Administration von sachverständigen Gremien getragen werden. Die

tatsächlich Betroffenen sind hier nur in beratender Funktion vorgesehen und ihre

Zahl dezimiert sich stetig. Zukünftig, nach dem Ableben der Zeitzeugengeneration,

wird sich die Frage nach einer legitimen Nachfolge stellen, wenn man nicht

ausschließlich auf der Basis von Expertenwissen arbeiten möchte. Durch die

Zustimmung der jeweiligen Landtage zu den Konzeptionen der Kommissionen wurde

die Umgestaltung der Gedenkstätten schließlich auch demokratisch legitimiert.

Hilfe bei der Neuorientierung der großen Gedenkstätten in Ostdeutschland kam

auch von den beiden aufeinanderfolgenden Enquête-Kommissionen des Deutschen

Bundestages101, denen Vertreter der Parteien und Sachverständige aus Ost und

West angehörten. Bereits 1992, also kurz nach dem Ende der DDR, wurde die

Kommission eingerichtet, die ihre Arbeit sofort aufnahm, diese in der folgenden

Wahlperiode 1995 fortsetzte und nach sechs Jahren, 1998, ihre Ergebnisse

vorstellte. Die Kommissionen beschäftigten sich mit der „Aufarbeitung von

Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland“ bzw. mit der „Überwindung

der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit“102 und es wurde

besonders in der Arbeitsphase der Enquête-Kommissionen deutlich, dass es eine

solche Expertenforen für die Aufarbeitung der Vergangenheit des

Nationalsozialismus und seiner Verbrechen seit dem Ende des NS-Regimes nicht

gegeben hat.

Die Errichtung und Unterstützung von Gedenkstätten wird nach dem föderalen

Staatsverständnis der Bundesrepublik grundsätzlich als Aufgabe der Länder als-

Kulturhoheit der Länder- angesehen. In der Frage zur Finanzierung der

Einrichtungen formulierte der Einigungsvertrag vom 31. August 1990 nur eine

101 Enquête- Kommissionen kann der Bundestag nach § 56 seiner Geschäftsordnung einsetzen, wenn es um umfangreiche und komplexe Sachverhalte geht, die auch externer Berater bedürfen. Vgl. hierzu: Weidenfeld, W./Korte, K.R. (Hg.): Handbuch zur deutschen Einheit- 1949-1989-1999, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 1999, Neuausgabe, S.330-342.102 Vgl. Puvogel, U.: Gedenkstätten, 1998.

67

Typologien des Gedenkens

Übergangslösung, gemäß Art. 35 Abs. 4 und 7, insofern die

„Föderalisierung der kulturellen Einrichtungen die neuen Bundesländer finanziell überforderte, wurde die Möglichkeit der Mitfinanzierung durch den Bund beschlossen.“103

Allerdings blieb diese Lösung aus haushalts- und kulturpolitischer Perspektive

umstritten.

Zu Beginn der 90er Jahre häuften sich die rechtsextremen Übergriffe, die nun

zunehmend auch die Gedenkstätten selbst betrafen. Die inzwischen von der

Bundesregierung vorgelegte Konzeption wurde im Haushaltsausschuss gebilligt und

Anfang 1994 im Bundestag diskutiert. Die vorliegenden Anträge der Fraktionen

wurden für Beschlussempfehlungen dem Innenausschuss übergeben, welcher im

März 1994 zur Diskussion der „Beteiligung des Bundes an Mahn- und

Gedenkstätten“ eine öffentliche Anhörung organisierte. Das Expertengremium zur

Bewertung der DDR-Vergangenheit war übrigens die 1992 eingesetzte Enquête-

Kommission. Diese Diskussion, unter Teilnahme von Vertretern aus Gedenkstätten,

Museen und der Geschichtswissenschaft, sollte die Umgestaltung der

Gedenkstätten nochmals erörtern und entsprechende Richtlinien entwerfen, nach

denen bestimmte Einrichtungen mit gesamtstaatlicher Präsenz der

Förderungswürdigkeit durch den Bund entsprechen. Allerdings war das Ergebnis

mehr als defizitär und unzureichend. Die vom Bundestag 1994 verabschiedete

Vorlage enthielt nicht die erhoffte Auswahl der Institutionen, auch nicht die

notwendigen Bewertungsmaßstäbe. Als einziges Kriterium für die Verpflichtung des

Bundes wird die 50%-ige Finanzierung entsprechender Einrichtungen durch das

jeweilige Land vorgeschrieben. Doch die vielfach geforderte Einsicht zur

gesamtstaatlichen Verantwortung des Bundes für die Gedenkstätten blieb vage und

vorläufig bis auf 2003 befristet, außerdem ausschließlich für die neuen Länder und

Berlin begrenzt.

Die Enquête- Kommission kommt in ihrem Abschlussbericht jedoch auch zu dem

Ergebnis, dass die Gedenkstätten von gesamtstaatlicher Bedeutung durch den Bund

gefördert werden sollten und weist somit auf die Notwendigkeit einer staatlichen

Regelung hin.104

103 Meyer, E.: Erinnerungskultur als Politikfeld, 2003, S. 125.104 Vgl. Meyer, E.: Erinnerungskultur als Politikfeld, 2003.

68

Typologien des Gedenkens

Vor dem Hintergrund dieses unvollständigen Ergebnisses beauftragte der 13.

Deutsche Bundestag die zweite Enquête-Kommission. Die Nachfolgerin ab 1995

trug die Bezeichnung „Überwindung der Folgen der SED- Diktatur im Prozeß der

deutschen Einheit“ und hatte zudem den Auftrag, Vorschläge für eine umfassende

Gedenkstättenkonzeption zu erarbeiten.105 Dementsprechend werden Empfehlungen

zu „gesamtdeutschen Formen der Erinnerung an die beiden deutschen Diktaturen

und an ihre Opfer“ erarbeitet und im Schlussbericht im Juni 1998 festgehalten. Das

Papier enthält eine kritische Bestandsaufnahme der historischen Entwicklung und

Vorschläge für die zukünftige Arbeit der Gedenkstätten. Insgesamt wird erstmals

deutlich, dass es sich hier nicht um ein herkömmliches Kulturfeld handelt, sondern

dass die Gedenkstätten an den authentischen Orten zur Erinnerung an beide

Diktaturen und zum Gedenken an ihre Opfer als Stützpunkte von zentraler und damit

gesamtgesellschaftlicher Bedeutung seien. Hinzu kommt, dass das Papier auch

Richtlinien enthält, nach denen klar definiert werden kann, welche Gedenkstätten

und welche authentischen Orte förderungswürdig sind und es zukünftig sein werden.

Abgesehen von den diversen Sondervoten zu einzelnen Sachverhalten -

hauptsächlich von der PDS - aufgrund verschiedener geschichtspolitischer

Bewertungen gibt das Papier Auskunft über die eindeutige Bereitschaft des

Parlaments, die Erinnerungskultur als gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche

Aufgabe anzusehen.

3.3.2 Ein vorläufiges Fazit

Wenn man die Schlussberichte beider Kommissionen betrachtet, dann ist

festzustellen, dass der Bundestag das gewünschte Ziel erreichen konnte und zwar

ein Aufbau- und Ergänzungsverhältnis beider Foren. Dass die Innovationen zum

Umgang mit den KZ-Gedenkstätten in Ostdeutschland und dann auch in

Gesamtdeutschland erst im Zuge der Auseinandersetzung und der Diskussion über

die Folgen der SED-Diktatur entstanden ist, zeigt nur sehr deutlich, wie nötig dieser

offene Diskurs über die Folgen des NS-Regimes war.

105 Jansen, Marlies: Enquete-Kommission, S. 330 f., in: Weidenfeld, W./Korte, K.R. (Hg.): Handbuch zur deutschen Einheit, 1999.

69

Typologien des Gedenkens

„Die Erinnerung an die beiden Diktaturen, die die Feindschaft gegen Demokratie und Rechtsstaat verbunden hat, schärft das Bewusstsein für den Wert von Freiheit, Recht und Demokratie. Dies, wie die notwendige Aufklärung über die Geschichte der beiden Diktaturen, ist der Kern des antitotalitären Konsenses und der demokratischen Erinnerungskultur der Deutschen.“106

In Bezug auf die von der Kommission angestrebte unmittelbare Wirkung in der

Öffentlichkeit kann keine allgemein gültige Einschätzung getroffen werden. Vorläufig

wäre angebracht zu sagen, dass eine positive Resonanz über den transparenten

Diskurs in der Gesellschaft zu verspüren war, jedoch auch die Kommission mit der

Zeit das Erlahmen der öffentlichen Aufmerksamkeit verspüren musste.

3.4 Gedenken am authentischen Ort - Die KZ-Gedenkstätten

Die Denkmäler zur Erinnerung an den Nationalsozialismus wurden zwar nicht

ausschließlich an den Orten der ehemaligen Konzentrationslager errichtet, aber in

den meisten Fällen jedoch am authentischen Ort. Die Eingrenzung der

authentischen Orte fiel bereits eingangs auf den spezifischen Gedächtnisort - die

KZ- Gedenkstätten, begründet vor allem in der herausragenden Stellung der KZ-

Gedenkstätten im erinnerungskulturellen Prozess und in der Gedenkkultur. Als

sogenannte Urform der Gedenktypologien und Schwerpunkt dieser Arbeit kann hier

allerdings die Betrachtung wiederum nur an ausgewählten Beispielen geschehen. Im

Mittelpunkt stehen zwei bekannte KZ-Gedenkstätten in Ostdeutschland:

Sachsenhausen und Mittelbau-Dora - und eine in Westdeutschland: Bergen-Belsen.

Die authentischen Orte haben selbst kein immanentes Gedächtnis, aber sie sind

doch notwendig zur Konstruktion kultureller Erinnerungsräume. Nicht nur, dass sie

die Erinnerung festigen, in dem sie sie lokal im Boden verankert, sie verkörpern auch

eine Beständigkeit der Dauer, der die kurzweilige Dauer der individuellen und

menschlichen Erinnerung nichts entgegensetzen kann. Die Kulturwissenschaftlerin

Aleida Assmann meint dazu:

„Die Aura, die dem Gedächtnisort seine Weihe gibt, ist in keine noch so kunstfertigen Monumente übersetzbar.“107

106 Beleg unvollständig; siehe dazu: Jansen, Marlies: Enquete-Kommission, S.331-341, in: Weidenfeld, W./Korte, K.R. (Hg.): Handbuch zur deutschen Einheit, 1999.107 Assmann, A.: Erinnerungsräume, 2003, S.326.

70

Typologien des Gedenkens

Die während des Nazi-Regimes durchgeführte Vernichtung des jüdischen Volkes hat

in ganz Europa weiße Flecken auf der Landkarte hinterlassen; ganze jüdische

Zentren wurden ausgerottet und so kann hier nicht mehr von einem Gedächtnis der

Orte gesprochen werden, sie sind de facto nicht mehr vorhanden. Ein Ort hält die

Erinnerungen nur fest, wenn die Menschen dafür Sorge tragen und diese Sorge in

der Spurensicherung und der Markierung der Gedächtnisorte ausdrücken. Wenn

allerdings die Wohnstätten, die Gräber nicht mehr besucht werden können, weil die

Familien deportiert und ermordet worden sind, dann löst sich mit ihnen auch das

Gedächtnis der Orte auf und was bleibt, sind Relikte: Relikte, die selbst oder in

Monumenten verarbeitet ein neues Gedächtnis des Ortes prägen und sie werden zu

sog. Gedenkorten. Für Aleida Assmann sind diese Gedenkorte per se positiv

bestimmt, sie sind die Zeugen dafür, dass hier etwas Beispielhaftes geleistet wurde

oder exemplarisch gelitten wurde; sie sind auch ein Instrument zur kollektiven

Sinnstiftung.108 A. Assmann unterscheidet notwendigerweise auch nochmals

zwischen Gedenkorten und „traumatischen Orten“ und begründet das wie folgt:

„Traumatische Orte unterscheiden sich von Gedenkorten dadurch, dass sie sich einer affirmativen Sinnbildung versperren.“109

So liegt die zweifelhafte Faszination im traumatischen Ort auch darin, die Virulenz

des Geschehenen dauerhaft präsent zu halten. Die KZ-Gedenkstätten sind diese

konkreten traumatischen Orte des Geschehens, Orte der Erinnerung und des

Gedenkens der Opfer im ganz persönlichen Sinn. Demzufolge wird die Arbeit der

Gedenkstätten auch in erster Linie bestimmt durch den historischen Ort.

Die Musealisierung und Abgrenzung der traumatischen Orte wie die KZ-

Gedenkstätten ist davon geleitet, dass die nationalsozialistischen

Massenverbrechen, für die es keine Verjährung oder Historisierung geben wird, im

Gedächtnis der Gesellschaft und der einzelnen Menschen verankert werden kann.

Von diesen Erinnerungsorten erhofft man sich über den Informationswert hinaus

eine nachhaltige Sinnstiftung, begründet durch die sinnliche Anschauung.

Allerdings wird in der Kulturwissenschaft und zunehmend in der Historikerlandschaft

die „Aura des authentischen Ortes“ als äußert kritisch betrachtet. Gerade durch das

bewusste Bewahren der Relikte geht unweigerlich etwas von der Authentizität 108 Assmann, A.: Erinnerungsräume, 2003, S. 328.109 Ebd.

71

Typologien des Gedenkens

verloren, auch dann, wenn die baufällige Substanz erneuert oder „rückgebaut“

werden muss, um den ursprünglichen Charakter wiederherzustellen. Hinzu kommt

72

Typologien des Gedenkens

auch die eingangs gegebene Warnung, dass es keine authentische Erinnerung

geben kann. So läuft die Gedächtniskraft dieser authentischen Orte Gefahr, seine

von Besuchern implizierte Wirkung zu verlieren. Es verlangt den Besuchern und

Besucherinnen eine Menge Phantasie ab, wenn sie um die Tatsachenberichte

wissen, sich ihnen jedoch die Aura des Ortes als elysische Landschaft darbietet. So

kann durchaus Dietmar Sedlaczek zugestimmt werden, der meint:

„Doch die Aura eines Ortes ist ein zweifelhafter Informant.“110

Die Neukonzeptionierungen der Gedenkstätten griff auch dieses Defizit auf, dass

neben der Mahn- und Erinnerungsfunktion immer auch die elementare

Dokumentations- und Informationsfunktion notwendig sei, denn ohne die kognitive

Dimension des geschichtlichen Zusammenhangs wird die ästhetische Qualität des

Authentischen, der Relikte, nackt und ohne Bedeutung. Diese Gedenkstätten,

verstanden auch als Räume der Erfahrung, sollen durch die Konkretisierung des

historischen Geschehens rational und emotional Hilfestellung leisten beim Erkennen

und Verstehen von den Ursachen und Bedingungen nationalsozialistischer

Herrschaft, Verfolgung, Vernichtung und Widerstand. Das Zusammenspiel von

monumentalen Zeichen und faktischen Zeichen der historischen Erinnerung kann

keine museale Einrichtung leisten, die losgelöst ist vom authentischen Ort.

„Erinnerung braucht Orte mit der Aura des Geschehenen als Kristallisationskerne des Verstehens, braucht Gedenkstätten, die darüber hinaus Erklärungen anbieten und über das rationale Verstehen persönliche Aneignung ermöglichen.“111

Die KZ-Gedenkstätte wird zunehmend als multifunktionale Einrichtung verstanden,

die sich als aktiver Lernort zukünftig auch unter dem Einsatz von neuen

Informations- und Kommunikationstechniken als zeitgenössisches Museum

darstellen soll.

110 Sedlaczek, Dietmar: Zum Einsatz von Neuen Medien in Gedenkstätten, in: KZ-Gedenkstätte Neuengamme, 2001, S.99.111 Benz, Wolfgang: Zukünftiges Gedenken, S.43, in: MWFK (Hg.): Erinnerung und Begegnung, 1996.

73

Typologien des Gedenkens

„Wenn die Menschen schweigen,

so werden die Steine schreien.“

(J.G. Herder)

4. Die Gedenkstätten Bergen-Belsen, Sachsenhausen und Mittelbau-Dora

Es ist zu erwähnen, dass die Auswahl, respektive die Begrenzung auf drei

Gedenkstätten nicht leicht fiel, denn so wenig die Verbrechen während der Nazi-

Diktatur auf das deutsche Gebiet zu begrenzen sind, so kann sich ebenso wenig die

Betrachtung auf die Gedenkformen in den Gedenkstätten in Deutschland beziehen.

Schließlich konnten erst die Verfolgung und Ermordung von Millionen Menschen

durch die Eroberung Europas durch das Nazi-Deutschland möglich werden. Die Orte

der Verbrechen und die heutigen Gedenkorte haben viele Namen und die Orte, an

denen die unvorstellbarsten und grausamsten Verbrechen gegen die Menschheit

begangen worden sind, liegen nicht auf deutschem Boden. Die Rede ist von den

Vernichtungslagern112. Dies waren Einrichtungen des nationalsozialistischen Staates

im deutsch besetzten Polen und in Weißrussland zur Durchführung der so

genannten „Endlösung der Judenfrage“. Sie dienten einzig dem Zweck der

massenhaften Ermordung von Menschen, vor allem von Juden, mit Hilfe von Gasen.

Neben den explizit für die Vernichtung erbauten Lager auf besetztem polnischen

Gebiet nutzte die SS zunehmend auch Lager in Deutschland für systematische

Tötungsaktion, insbesondere zum Ende des Krieges 1944/45.113

Die präferierten Untersuchungsobjekte gehören zu der Kategorie Lager, die als

Konzentrationslager bezeichnet werden. Ein Konzentrationslager ist eine

Einrichtung, um politische Gegner oder missliebige Menschen aus ethnischen,

religiösen oder sozialen Gruppen festzuhalten und zu isolieren. Dies geschah 112 Die bekanntesten Vernichtungslager in chronologischer Folge: Chelmno (dt. Kulmhof, im Landkreis Warthbrücken (Koło) im Reichsgau Wartheland) - ab 8. Dezember 1941), Auschwitz-Birkenau (im Landkreis Bielitz (Bielsko) in Ost-Oberschlesien) - wahrscheinlich ab 30. April 1942, Belzec (in der Kreishauptmannschaft Zamość im Distrikt Lublin, Generalgouvernement) - ab 17. März 1942, Sobibor - Mai 1942, ebenso Treblinka und Majdanek - ab 1942.113 Rinsche, Cordula: Orte des Gedenkens, S.26, in: Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg (Hg.): Erinnerung und Begegnung: Gedenken im Land Brandenburg zum 50. Jahrestag der Befreiung, Potsdam, 1996.

74

Typologien des Gedenkens

meistens auf unbestimmte Zeit durch bürokratische, administrative

Verwaltungsakte, ohne Gerichtsurteil, ohne die Möglichkeit einer Rechtsvertretung,

Verteidigung oder gar des Widerspruches und der Haftprüfung. Wenngleich die

Insassen in den Konzentrationslagern nicht gezielt ermordet wurden, so sind sie

häufig der programmatischen Bestimmung „Arbeit macht frei“ zum Opfer gefallen

oder an den menschenunwürdigen Haftbedingungen und an den Folgen von Folter

und psychischer Qual verendet.

4.1 Die Auswahl der Untersuchungsobjekte

Da bei der Untersuchung annähernd die Bedingungskonstanz gewahrt werden sollte

und außerdem der Paradigmenwechsel anhand der Gedenkkultur in Deutschland

nach der Wiedervereinigung nachgewiesen werden sollte, ist die Wahl auf die

folgenden Konzentrationslager und heutigen KZ-Gedenkstätten Bergen-Belsen

(Niedersachsen), Mittelbau-Dora (Thüringen) und Sachsenhausen (Brandenburg)

gefallen.

4.2 Vorgehensweise und Methode

Ursprünglich sollten vier KZ-Gedenkstätten untersucht werden und es war als

weitere Gedenkstätte die KZ-Gedenkstätte Dachau auserwählt, so dass die

Vergleichbarkeit hinsichtlich der Aufteilung nicht nur in ungefährer Größe und

Bedeutung, sondern auch der Einteilung und Gegenüberstellung in „Ost und West“

gerecht geworden wäre. Leider war es nicht möglich, ein persönliches Gespräch mit

der Gedenkstättenleitung der Gedenkstätte Dachau zu vereinbaren. Sicherlich wäre

eine schriftliche Befragung auch informativ gewesen, aber da ausschließlich

persönliche Gespräche geführt worden sind, hätte es sicher letztlich die

zusammenfassende Auswertung verzerrt.

4.3. Geschichtlicher Exkurs

Von 1936 bis Kriegsbeginn wurden fünf Konzentrationslager errichtet, nämlich

Sachsenhausen, Buchenwald, Flossenbürg, Mauthausen und Ravensbrück; Dachau

wurde erheblich erweitert. Alle Konzentrationslager waren nach dem Dachauer

Modell strukturiert. Sie wiesen eine gleichartige innere Verwaltungs- und

75

Typologien des Gedenkens

Organisationsstruktur auf, die Teilung der Lager SS in einen Kommandanturstab und

andererseits in eine Wachtruppe.114 In allen Lagern waren die Häftlinge der gleichen

Lagerordnung unterworfen - Terror durch Normierung - und alle Konzentrationslager

wurden eigens dafür gebaut und zwar nach ähnlichen architektonischen Plänen.115

Das Konzentrationslager Bergen-Belsen muss in korrekter Bezeichnung als

Konzentrations- und Kriegsgefangenenlager bezeichnet werden. Es wurde 1940

unter der Zuständigkeit der Wehrmacht nach dem Überfall auf die Sowjetunion

eingerichtet und war nur für die Unterbringung von russischen Kriegsgefangenen

vorgesehen. Erst 1943 wurde ein Teil des Lagers an die SS übergeben, die diesen

Teil als „Aufenthaltslager Bergen-Belsen“ für Juden nutzte.

Auch das Konzentrationslager Mittelbau-Dora fällt aus dem ursprünglichen

Entstehungsmuster. Nach der Bombardierung der Heeresversuchsanstalt in

Peenemünde im August 1943 wurden gezielt die bereits vorhandenen

Stollensysteme des Kohnsteins in Nordhausen im Südharz genutzt, um dort die

Rüstungsvorhaben weiter zu verfolgen und die V2-Produktion zu gewährleisten.

Oftmals zum reinen Außenlager von Buchenwald degradiert, war Mittelbau-Dora das

einzige KZ diesen Typs, das in den Rang eines selbständigen Stammlagers erhoben

wurde und die Unterstellung zum Hauptlager Buchenwald war rein formaler Natur.

Auch hier wird bereits sichtbar, dass die geschichtlichen Ausgangssituationen der

Untersuchungsobjekte sehr verschieden waren und eine Bedingungskonstanz nicht

erreicht werden konnte.

Für die homogene Auswahl der drei Gedenkstätten sprechen nun die folgenden

objektiven Kriterien:

formale Bezeichnung als Konzentrationslager,

Gedenkstätten, die in Größe und Bedeutung repräsentativ sind,

Gedenkstätten auf bundesdeutschem Gebiet,

Gedenkstätten mit eigener Organisations- und Verwaltungsstruktur,

Gedenkstätten mit ähnlichem hierarchischen Aufbau,

114 Orth, Karin: Die nationalsozialistischen Konzentrationslager, S. 30f., in: Reif-Spirek, Peter/ Ritscher Bodo (Hg.): Speziallager in der SBZ- Gedenkstätten mit „doppelter Vergangenheit“, Berlin, 1999, 1. Auflage.115 Anm.: Das Grundprinzip war die Einheit von Architektur und Funktion und deshalb die architektonische Wahl der Dreiecksform für die Lager. Von einer Spitze aus konnte der Terror mit wenig Aufwand auf das gesamte Gelände ausgeübt werden.

76

Typologien des Gedenkens

Gedenkstätten, die infolge der Bestimmungen der Enquête-Kommission einen

strukturellen Wandel erfahren haben (zwei Untersuchungsobjekte sind

Stiftungen des öffentlichen Rechts, Bergen-Belsen übernimmt diese

Rechtsform in Kürze).

Neben den objektiven Kriterien müssen ebenso die subjektiven erwähnt werden. Es

ist natürlich weniger kompliziert, die Gedenkstätten zu untersuchen, deren

Geschichte bekannt ist. Sowohl in Sachenhausen als auch in Mittelbau-Dora habe

ich durch regelmäßige Besuche (auch mit Führungen) die Entwicklungen und neuen

Ausstellungen verfolgt. Zugegebenermaßen steht die Gedenkstätte Mittelbau-Dora

grundsätzlich im Schatten der bedeutungsvollen und medienwirksamen

Gedenkstätte Buchenwald. Bei der Gedenkstätte Mittelbau-Dora kommt noch ein

persönlicher Bezug dazu. Durch meine langjährige Mitgliedschaft in dem dort an der

Gedenkstätte angegliederten Jugendverein konnte ich die Wahrnehmung von

Veränderungen etwas intensiver verfolgen.

Die Gedenkstätte Bergen-Belsen kannte ich bisher nicht und deshalb war das

Interesse an einer Besichtigung und einem Gespräch immens, auch weil diese seit

Jahrzehnten - wie Auschwitz - einen international bekannten Namen trägt.

Nach intensiverer Beschäftigung mit der Thematik musste ich erkennen, dass es

sehr schwierig werden würde, eine Untersuchung anzustreben, die repräsentativ

und allgemeingültig sein würde. Die Entwicklung eines standardisierten

Fragebogens entsprach nicht den Untersuchungsansätzen, da die Antworten, die ich

suchte, Ergebnis von persönlichen Einstellungen und Antworten auf Thesen oder

Aussagen und Zitate sind. Diese können zum einen keinesfalls in einem

standardisierten Fragebogen beantwortet werden, noch können die Ergebnisse als

solche angemessen operationalisiert werden. Anhand eines nicht standardisierten

Leitfadeninterviews oder Experteninterviews wollte ich eine Projektionsfläche

schaffen, auf der sich verschiedene Einstellungen und Haltungen zur Gedenkkultur

und zur Einordnung der Gedenkstätten in den gesellschaftlichen und politischen

Prozess widerspiegeln. Demzufolge waren meine Thesen, die ich eingangs

vorgestellt habe, das Grundgerüst bei der Entwicklung des Interviews und die dazu

entworfenen Frageleitfäden strukturierten den Ablauf der Befragung nur im Hinblick

auf die interessierenden Aspekte vor. Die Einstellungen und Wertungen, die aus

77

Typologien des Gedenkens

meinen Befragungen hervorgehen, sollen meine Thesen verifizieren oder

falsifizieren, deshalb ist meine methodische Vorgehensweise induktiv, da ich anhand

der Interviews meine Thesen belegen oder widerlegen werde. Nochmals sei hier

betont, dass die geführten Interviews zwar eine Bedingungskonstanz hinsichtlich der

Rahmenbedingungen und Vorgehensweise und anschließenden Auswertung

aufweisen können, die Resultate jedoch keine Allgemeingültigkeit beanspruchen

können, da bei drei Befragungen die Ergebnisse nicht apodiktisch sind.

Mit allen Gedenkstätten wurde per Email der Kontakt gesucht und gezielt nach

einem Interview gefragt, welches im Rahmen einer Diplomarbeit stattfinden sollte.

Als Anhaltspunkte habe ich die Thematik und die Fragestellung mitgeteilt, unter der

die Diplomarbeit bearbeitet werden soll. Es wurde in keinem der Fälle das

Leitfadeninterview vorab per Mail oder Post zugeschickt.

Die Befragungen fanden in allen drei Fällen in der jeweiligen Gedenkstätte als face-

to-face-Interview statt. Alle Gespräche wurden innerhalb der normalen Arbeitszeit

geführt und es waren grundsätzlich keine weiteren Zuhörer anwesend. Die

Gespräche wurden nach einer vorhergehenden Vereinbarung auf einem

Tonbandgerät aufgezeichnet, um diese anschließend zu transkribieren. In der

Anlage befindet sich ein Dokument, in dem festgehalten wird, dass die Verwendung

der Befragungen nur für die Diplomarbeit gilt und der verschriftlichte Teil nicht als

Anlage der Arbeit beigefügt wird. Ferner besagt es, dass die Aussagen, die vom

Interviewpartner getroffen werden, freigegeben werden müssen, bevor sie

Verwendung innerhalb der Arbeit finden. In zwei von den drei Gesprächen konnte

das Interview tatsächlich nur auf Grundlage dieses Dokuments geführt werden, das

nachfolgend kopiert wurde, aber als Original in der Gedenkstättenleitung verblieb.

Nach allen Befragungen wurde das aufgezeichnete Gespräch verschriftlicht und per

Email an den Interviewpartner zur etwaigen Korrektur vorgelegt.

Die Kontaktaufnahme zur Gedenkstätte Bergen-Belsen stellte sich als recht

umkompliziert heraus. Auch die Mitarbeiter der Verwaltung dort waren kooperativ

und freundlich und so war es möglich, nach wenigen Emailkontakten bereits einen

Kontakt zum Gedenkstättenleiter Dr. Thomas Rahe herzustellen. Nach einer kurzen

Terminvereinbarung schickte Dr. Rahe in Vorbereitung auf das Interview zwei Texte

78

Typologien des Gedenkens

zur Gedenkstättenpädagogik und -konzeption der Gedenkstätte Bergen-Belsen per

Post, um eine adäquate Vorbereitung zu gewährleisten. Auch das nachfolgende

Interview war sehr informativ und die Atmosphäre, in der es geführt wurde, sehr

angenehm. Nach einer kurzen Vorstellung meiner Person konnte das Gespräch

sofort geführt werden und wurde nebenbei aufgezeichnet. Das Interview in der

Gedenkstätte Bergen-Belsen dauerte ca. zwei Stunden.

Ich habe den Interviewtext wiederum per Email an den Gedenkstättenleiter Dr. Rahe

geschickt, der auch hier unkompliziert und schnell den Text bearbeitete und kleinere

Korrekturen vornahm, eine weitere Durchsicht seinerseits war nicht nötig.

Parallel zur Planung des Interviews in Bergen-Belsen hatte ich eine Anfrage in der

Gedenkstätte Sachsenhausen aktiviert. Da ich in Bergen-Belsen bereits mit dem

Gedenkstättenleiter gesprochen hatte, also der formal hierarchischen Spitze, musste

ich auch hier versuchen, einen Kontakt zur Leitung herzustellen, was sich erst nach

mehrfachen Anfragen ermöglichte. In einer kurzen Email sagte mir der Direktor der

Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten - Prof. Dr. Günter Morsch - einen Termin

zu, jedoch nur unter dem Vorbehalt, ihm vorher eine Konzeption meiner

Diplomarbeit zu schicken, einen Literaturnachweis über adäquate Fachliteratur

beizulegen und zum anschließenden Umgang mit dem Interview eine schriftliche

Aussage zu treffen. Nach Erledigung all dieser Formalien konnte allerdings

verhältnismäßig schnell ein Termin vereinbart werden. Auch dieses Interview fand

am authentischen Ort statt, diesmal allerdings in den Räumen der Stiftung, in der

auch das Büro des Direktors Prof. Morsch ist. Das Gespräch fand in einer

angespannten und meinerseits nervösen Atmosphäre statt. Das Papier über den

Umgang mit den Interviews fand bei Prof. Morsch nur partiell Zustimmung und

wurde handschriftlich von ihm geändert und erst hernach abgezeichnet. Ferner

stellte er sich als äußerst schwieriger Interviewpartner heraus, der die

Fragestellungen mehrfach hinterfragte und beispielsweise Aussagen meinerseits als

gezielt falsch darstellte. Das Interview dauerte genau eine Stunde. Die nachfolgende

Bearbeitung war hier äußerst kompliziert und langwierig. Das verschriftlichte

Gespräch wurde Prof. Morsch vorgelegt und von ihm redigiert. Per Post erhielt ich

das Dokument, in dem Änderungen in einem Ausmaß vorgenommen wurden, die

nicht mehr auf das ursprünglich geführte Gespräch verwiesen. Nach erneuter und

79

Typologien des Gedenkens

aufwendiger Bearbeitung musste das Dokument nun wieder per Post an die Stiftung

geschickt werden, da einige handschriftliche Hinweise nicht lesbar waren und

demzufolge nicht eingearbeitet werden konnten. Nach wenigen Tagen erhielt ich

eine weitere Korrekturfassung, die auch wiederum nur unter Vorbehalt verwendet

werden durfte, wenn größere Abschnitte, die ich innerhalb der Arbeit zitieren

werden, Prof. Morsch vorab vorgelegt würden. Insgesamt war es eine sehr

zeitintensive Befragung.

Auch hier habe ich parallel zur Bearbeitung des zweiten Gesprächs die

Kontaktaufnahme zur Gedenkstätte Mittelbau-Dora aufgenommen. Da diese

Gedenkstätte sich in unmittelbarer Nähe zu meinem Heimatort befindet, konnte ich

hierbei flexibler auf Termine reagieren und wollte die Möglichkeit wahrnehmen, mit

einer Mitarbeiterin der Pädagogik in der Gedenkstätte zu sprechen. Da die

Bedingungskonstanz gewahrt werden sollte, wollte ich die Resultate keineswegs in

die abschließende Bewertung einfließen lassen, sondern grundsätzlich nur

subjektive Einstellungen als persönlichen Informationszuwachs ermitteln. Ich teilte

der Mitarbeiterin in einem Vorgespräch mit, dass ich schon Gespräche mit den

Gedenkstättenleitern von Bergen-Belsen und Sachsenhausen geführt hatte und sie

zog ihre Bereitschaft prompt zurück. Sie teilte mir mit, dass es nicht möglich wäre,

mit mir in einem offiziellen Rahmen über die Gedenkkultur zu sprechen, wenn ich

nicht vorher mit dem Gedenkstättenleiter Dr. Wagner gesprochen hätte und

außerdem müsste sie dort auch erst eine Dispens einholen. Ich wiederum müsste

genau den Fragenkatalog abgrenzen, denn da die Mitarbeiterin der Pädagogik der

Gedenkstätte unterstellt sei, müsste ich auch zuerst, hierarchisch genau, mit dem

direkten Vorgesetzten der Pädagogik in Buchenwald reden bzw. mit diesem und in

Rücksprache mit Dr. Wagner ein Gespräch mit der Pädagogik in Mittelbau-Dora

freistellen. In Anbetracht der Tatsache, dass diese Befragung nicht offizieller Teil

dieser Arbeit sein sollte, stand der Aufwand letztlich in keinem Verhältnis zum

Nutzen, und ich habe nur das Gespräch mit dem Gedenkstättenleiter Dr. Jens-

Christian Wagner in Mittelbau-Dora geführt. Hier konnten die Kontaktaufnahme und

auch die Terminvereinbarung unkompliziert und schnell vereinbart werden. Das

Gespräch fand in einer angespannten Atmosphäre statt, was meines Erachtens auf

80

Typologien des Gedenkens

die äußeren Umstände - die Gedenktage in Mittelbau-Dora waren kurz zuvor116-

zurückzuführen war. Insgesamt jedoch verlief das Gespräch gut und konnte bereits

nach ca. einer Stunde beendet werden. Auch hier war die nachfolgende Bearbeitung

eher unkompliziert und konnte per Email abgewickelt werden.

4.4 Aufbau und Struktur der einzelnen Untersuchungsobjekte: Bergen-Belsen, Sachsenhausen und Mittelbau-Dora

Die Gedenkstätten werden in der Reihenfolge behandelt, in der auch die Gespräche

geführt worden sind. Die Reihenfolge stellt dabei keine Rangfolge dar.

Es wird versucht, die einzelnen Untersuchungskategorien möglichst primär mit den

Zitaten aus den Interviews zu beantworten oder zu belegen. Diese Vorgehensweise

wird als ein Sinn auslegendes Auswertungsverfahren betrachtet, weil dadurch die

authentische und sinnvollste Auswertung der Gespräche und die zweckmäßigste

Widergabe der Eindrücke und Aussagen gewährleistet werden kann.

Bereits recht frühzeitig griff die Enquête-Kommission der 12. Wahlperiode das

Stichwort „Stiftung“ auf. Da die Zeit gerade im Hinblick auf das Überleben dieser

Initiative drängte, hat die Kommission ihren Stiftungsvorschlag in Form eines

Zwischenberichts an den Deutschen Bundestag vor dem regulären Ende ihrer

Tätigkeit vorgelegt, so dass das Gesetzgebungsverfahren bis zum Ende der 13.

Legislaturperiode zum Abschluss gebracht werden konnte. Die Kommission hatte für

die Organisation der Gedenkstätten die Rechtsform der Stiftungen vorgeschlagen,

die vom politischen System getragen werden solle und durch die Einsetzung von

sachverständigen Gremien unter Wahrung der inhaltlichen Autonomie der

Einrichtungen agiert. Tatsächlich sind die Betroffenen, die überlebenden Häftlinge

dieser Lager, „nur“ in beratender Funktion einbezogen worden.

In den Ländern Brandenburg und Thüringen wurden, wie von der

Expertenkommission empfohlen, 1993 die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätte

mit Sitz in Oranienburg als Dachorganisation für die Gedenkstätten Sachsenhausen

(mit der Außenstelle „Museum Todesmarsch“ im Belower Wald), Ravensbrück und

116 Wie in allen anderen Gedenkstätten findet in Mittelbau-Dora jährlich ein Gedenkakt anlässlich der Befreiung des Lagers am 10., 11. und 12. April 1945 mit Überlebenden statt.

81

Typologien des Gedenkens

die Dokumentationsstelle Zuchthaus Brandenburg sowie die Stiftung Gedenkstätten

Buchenwald und Mittelbau-Dora mit Sitz in Buchenwald eingerichtet, jeweils zu

gleichen Teilen getragen vom jeweiligen Bundesland und vom Bund.

4.4.1 KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen

Die Gedenkstätte Bergen-Belsen ist, als der Umwandlungsprozess in den beiden

großen ostdeutschen Gedenkstätten vollführt wurde, noch in eine:

„…eigenartige Konstruktion, die sich von anderen Gedenkstätten etwas unterscheidet, (…), wir sind seit Beginn (…) mit diesem Arbeitsbereich ein Teil, ein Referat innerhalb der Landeszentrale für politische Bildung…“ 117

Als das Interview geführt wurde, war sie noch immer in diesem Zustand, mehr als

zehn Jahre nach den Vorschlägen und Umsetzungen der Expertenkommission für

die ostdeutschen Gedenkstätten. Herr Dr. Rahe teilte mir mit, dass die Änderung der

Rechtsform in eine selbständige Stiftung voraussichtlich bis Ende 2004 vollführt

werden wird. Das heißt allerdings auch, dass, solange die Änderung nicht wirksam

ist, de facto der Leiter des Referats für Gedenkstättenarbeit innerhalb der

Landeszentrale für politische Bildung Niedersachsens, der formale Leiter der

Gedenkstätte Bergen-Belsen ist - somit ist Herr Dr. Rahe nur Stellvertreter und nur

dann Leiter, wenn der Referatsleiter nicht vor Ort ist.

Für die Gedenkstätte Bergen-Belsen kann bereits an diesem Punkt konstatiert

werden, dass durch die Einheit der beiden deutschen Staaten und die dadurch

entstandenen Neuorientierungen hinsichtlich der Gedenkstätten ein positiver Effekt

von den ostdeutschen Gedenkstätten zu den westdeutschen Gedenkstätten strahlte

oder wie Dr. Rahe meinte: „Da stimmt wirklich mal die Formel ‚ex oriente lux’…“.

Dass dieser Neuorientierungsprozess so lange dauerte, führte letztlich auch dazu,

dass Bergen-Belsen praktisch die letzte große Gedenkstätte nach Dachau (Bayern)

und Neuengamme (Hamburg) ist, die noch nicht als selbständige Stiftung des

öffentlichen Rechts organisiert ist. Dieser Prozess ist außerdem längst überfällig,

insbesondere hinsichtlich der Qualität der Gedenkstättenarbeit.

„Wir haben einfach große Probleme mit einem hierarchischen Apparat gehabt, dadurch dass wir eine Unterabteilung einer Landeszentrale für politische Bildung sind, die wiederum dem Kultusministerium untersteht (…). Es hat doch mehr

117 Interview, Bergen-Belsen, 2004.

82

Typologien des Gedenkens

Reibungsverluste gegeben als Unterstützung unserer Arbeit mit dieser Anbindung. Auch die Neigung gegen bestimmte Arbeitsfelder [innerhalb der Landeszentrale], die wir als Gedenkstätte haben, (…) sind immer unterbelichtet wurden.“118

Es ist erstaunlich, dass dieser Reorganisationsprozess so lange andauert. Wenn

man davon absieht, dass eine Stiftung einfacher Drittmittel einwerben kann, um

damit weitere Projekte zu finanzieren, die für ihre Existenz notwendig sind, dann wird

die Arbeit der Gedenkstätte nicht nur strukturell und personell behindert, sondern

wie es in Bergen-Belsen der Fall ist, die Gedenkstätte durch ihre Anbindung zur

Landeszentrale auf diesen einen Aspekt der politischen Bildung reduziert und nur die

pädagogische Arbeit der Gedenkstätte in den Blick genommen. Die Forderungen an

die Gedenkstätten, sich zunehmend als zeitgenössische Museen mit breiten

Bildungsangebot und vielfältigen Projekten zu präsentieren, kann jedoch nur

realisiert werden, wenn die politischen Grundsatzentscheidungen, beispielsweise für

eine andere Organisationsform, als solche getroffen werden. So konnte der Ausbau

der Gedenkstätte Bergen-Belsen und die neue Dauerausstellung nur verwirklicht

werden, weil die Gedenkstätte seit dem Jahr 2000 in die Bundesförderung

aufgenommen ist.

„Das ist ein ganz wichtiger Einschnitt in unserer Arbeit gewesen, weil über all die Projekte, mit denen wir aktuell zu tun haben [gefördert werden], (…) darüber bräuchten wir überhaupt nicht zu reden, wenn der Zustand so geblieben wäre.“119

Zwar ist der Bund momentan juristisch nicht in der Gedenkstätte vertreten, was erst

dann der Fall sein wird, wenn auch Bergen-Belsen als Stiftung organisiert ist, aber

de facto übt er schon jetzt Einfluss auf die Arbeit der Gedenkstätte aus, weil er

neben dem Land Niedersachen praktisch in gleichem Umfang der Finanzgeber der

Gedenkstätte ist.

Die Neuorganisation der Gedenkstätte als selbständige Stiftung des öffentlichen

Rechts birgt aber nicht nur eine finanzielle Absicherung, sondern den weitaus

entscheidenderen Aspekt der Dezentralisierung und Souveränität:

„[Ein Prozess], wo es gerade darum geht, gewissermaßen eine Staatsferne, eine gewisse Unabhängigkeit von staatlichen und politischem Einfluss zu erreichen. Das ist neben dem Finanzargument auch immer, (…), ein zentrales Argument gewesen, das man, wenn man als Stiftung organisiert ist, sich eher auch öffnet zur Gesellschaft hin.“120

118 Interview, Bergen-Belsen, 2004.119 Interview, Bergen-Belsen, 2004.120 Ebd.

83

Typologien des Gedenkens

84

Typologien des Gedenkens

Bis zur finalen Änderung der Rechtsform in eine selbständige Stiftung des

öffentlichen Rechts bleibt die Gedenkstätte eine vom Staat finanzierte und vom Staat

verantwortete Einrichtung, in der es keinerlei institutionelle Regelungen zur

Zusammenarbeit mit Opfer- und Häftlingsverbänden gibt, respektive eine

Zusammenarbeit mit anderen gesellschaftlichen Gruppen, die von der Thematik

tangiert sind.

„Das wäre in einer Stiftung dann natürlich anders, weil es dann nicht nur einen Stiftungsrat, sondern i.d.R. auch einen Stiftungsbeirat gibt, in dem diese Gruppen, Häftlingsverbände und verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen mit organisiert sind und mit Einfluss nehmen können auf die Arbeit der Gedenkstätte.“121

Wie in anderen Gedenkstätten bisher auch kann Bergen-Belsen auf ein langjährige

und gute Zusammenarbeit mit den Häftlingsverbänden und anderen Arbeitsgruppen

zurückblicken. Aber hier eröffnet sich ein spezifisches Problem, denn in Bergen-

Belsen gibt es keinen Zentralverband von ehemaligen Häftlingen wie beispielsweise

in Buchenwald. Die große Mehrzahl der Häftlinge, die schließlich in Bergen-Belsen

befreit worden sind, waren nur wenige Wochen in Bergen-Belsen. Bergen-Belsen

war in praktisch fast keinem Fall ein Ersteinlieferungslager und die Menschen dort

sind unter Umständen vorher zwei bis drei Jahre in Auschwitz, Buchenwald oder

Mittelbau-Dora gewesen. Das bedeutet, dass:

„…wenn sie sich organisieren, dann organisieren sie sich eher in einem Buchenwald-Verband, (…). Von daher hat dies eine andere Struktur, es gibt sozusagen keine ganz normalen Häftlingsverbände. (…) Insofern ist das ein bisschen eine Schwierigkeit bei uns, wo man auch sehen muss, wie organisiert man es dann mit der Vertretung im Stiftungsbeirat.“122

Bereits in den achtziger Jahren gab es in der Gedenkstätte Bergen-Belsen

interessierte Einzelpersonen, die sich gezielt in Bürgerinitiativen und

Arbeitsgemeinschaften organisiert haben. Diesem Engagement ist der Staat nur

sehr widerstrebend gefolgt. Trotz der internationalen Bedeutung war die

Gedenkstätte schlechter ausgestattet als jedes kleine Stadtmuseum im Umkreis und

es gab weder eine Ausstellung noch historische Informationen zum ehemaligen

Gelände.

121 Interview, Bergen-Belsen, 2004.122 Ebd.

85

Typologien des Gedenkens

4.4.2 KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen

Als nachgeordnete Einrichtungen hatte das neue Bundesland Brandenburg mit

seiner Regierung die Gedenkstätten übernommen und im Dezember 1992 wurde

der Gründungsbeauftragte der Stiftung vom Kulturminister des Landes Brandenburg

eingesetzt. Wie bereits erwähnt, ist die Gedenkstätte Teil der Stiftung

Brandenburgische Gedenkstätten. Die Landesregierung beschloss Ende Januar

1993 die Gründung der Stiftung rückwirkend zum 1. Januar 1993.123 Als eine

gemeinnützige und selbständige Stiftung untersteht auch diese wie die zukünftige

Form der Gedenkstätte Bergen-Belsen nur der Rechts-, nicht aber der Fachaufsicht

des Landes. Ein Effekt der Stiftung ist somit eine gewisse Unabhängigkeit von der

Politik im administrativen Sinn. Natürlich werden die Handlungsspielräume auch

dadurch beeinflusst, dass der Großteil des Stiftungsrates von Vertretern aus der

Politik gestellt wird.

„Die Gedenkstättenstiftung ist gegründet worden, um zu versuchen, die Öffentlichkeit möglichst breit in den Prozess des Findens von Inhalten und Formen

des Gedenkens einzubinden. (…) die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten vertritt ein dezidiertes Konzept, sich möglichst breit in der Gesellschaft zu integrieren, um zu

verhindern, dass Gedenken und Erinnern das Anliegen von Wenigen wird, seien es Wissenschaftler oder seien es Politiker, sei es, dass es zum Ritual erstarrt…“124

Deshalb versteht sich die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten nach Aussagen

von Prof. Morsch auch als „pluralistisch angelegte Organisation“, die sich

insbesondere durch ihre beiden polymorphen Beratungsgremien auszeichnet. Zum

einen ist das der internationale Beirat, in dem die Vertreter unterschiedlichen

(nationaler und internationaler) Häftlingsverbände aus Sachsenhausen und

Ravensbrück vertreten sind, und zum anderen ist das die Fachkommission, die in

sich die Experten der Fachwissenschaft, hauptsächlich Historiker, vereint.

„Das ist die Struktur der Stiftung, darüber hinaus haben wir weiterhin versucht, auch andere Gruppen und Institutionen an uns zu binden…, die mehr oder weniger

fördernd für uns tätig sind: Das eine ist der Förderverein der Gedenkstätte und des Museums Sachsenhausen (…). Das andere ist der Initiativkreis zum Aufbau einer

Jugendbegegnungsstätte in der Gedenkstätte Sachsenhausen.125

In der Gedenkstätte Ravensbrück konnte im Jahr 2002 eine internationale

123 Vgl. Dittberner, J.: Schwierigkeiten mit dem Gedenken, 1999.124 Interview mit Prof. Morsch in der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, 9. März, 2004.125 Interview, Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, 2004.

86

Typologien des Gedenkens

Jugendbegegnungsstätte eröffnet werden. Zu den abschließenden

Handlungsempfehlungen im Schlussbericht der Kommission gehörte auch die

Förderung der Einrichtung von internationalen Jugendbegegnungszentren in den

Gedenkstätten.

Obwohl die Gedenkstättenstiftung immer wieder um die institutionelle Förderung und

die wechselnden Gesamtvolumina bangen musste, konnte im Herbst des Jahres

2002 ein von der Bundesregierung finanziertes Sonderinvestitionsprogramm in der

Gedenkstätte Sachsenhausen realisiert werden und die Umgestaltung und

Neugestaltung der Sanierung der „KZ-Gedenkstätte der Bundeshauptstadt“

weitgehend vollzogen werden.126

Der hohe Anteil von Politikprominenz im Stiftungsrat muss nicht zwangsläufig als

Negativeffekt oder Instrumentalisierungsversuch betrachtet werden. Die Vermutung

liegt nahe, dass bestimmte Vorhaben durchaus einfacher in die politischen Sphären

gelenkt werden können, wenn im Stiftungsrat, dem Legislativorgan mit seinen

klassischen Aufgaben der Beschlussfassung über Vorhaben mit grundsätzlicher

Natur, eine Reihe prominenter z.T. öffentlicher Personen konstruktiv die

Stiftungszwecke, die Erinnerung an die Gewaltherrschaft und würdiges Gedenken

der Opfer, verfolgen.

4.4.3 KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora

Wie auch die Gedenkstätte Sachsenhausen ist die Gedenkstätte Mittelbau-Dora mit

dem Errichtungserlass des Thüringer Ministers für Wissenschaft und Kunst vom 25.

März 1994 Teil einer Stiftung des öffentlichen Rechts geworden.127 Die Stiftung trägt

den Namen „Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora“ und

unterschied sich bis Ende 2003 hinsichtlich ihrer Anbindung an das zuständige

Fachministerium. Während die Brandenburgische Stiftung nur der Rechts- jedoch

nicht Fachaufsicht unterlag, war das im Fall Buchenwald und Mittelbau-Dora nicht

von Beginn an. Die Stiftung unterlag zunächst der Fach- und Rechtsaufsicht des

zuständigen Kultusministeriums und war erheblich in ihrem Handlungsspielraum

126 Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten (Hg.): Jahresbericht der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten für das Jahr 2002, Vorwort, Oranienburg, 2003, S. 4f.127 Geschäftsordnung der unselbständigen Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, 2002.

87

Typologien des Gedenkens

eingeschränkt.

„Seit einem halben Jahr sind wir eine Stiftung des öffentlichen Rechts, die selbständig agieren kann. Vorher waren wir eine unselbständige Stiftung, die de facto ein ‚Papiertiger’ gewesen ist.“128

Die Stiftung wird institutionell gefördert, und zwar zur Hälfte vom Bund und zur Hälfte

vom Freistaat Thüringen. Die unselbständige Stiftung ist ein rechtlich-

organisatorisches Konstrukt, welches wesentlich darauf ausgerichtet ist, seine

Aufgaben aus Spenden zu finanzieren, weil nicht auf ein Grundvermögen oder

angemessene Erträge aus Leistungen zurückgegriffen werden kann. Es ist eine

Stiftung mit geringer Kapitalausstattung. Als selbständige Stiftung kann wie in der

Brandenburgischen Gedenkstättenstiftung auch zukünftig verstärkt der Weg der

Drittmittelwerbung gegangen werden.

4.4.4 Kurze Bewertung der Ergebnisse

Auch wenn die thüringische Stiftung erst jetzt formal zu einer selbständigen Stiftung

gereift ist, werden doch die beiden Stiftungsprojekte in Brandenburg und Thüringen

als Erfolgsmodelle bezeichnet und der Erfolg ist sicherlich daran beteiligt, andere

Gedenkstätten auch in diese Rechtsform einzubinden. Die relative Unabhängigkeit

und die Stiftung als die preiswerteste Organisationshülse sprechen für die

Entscheidung, Gedenkstätten in eine öffentliche rechtliche Stiftung zu überführen,

zumal damit auch die relativ schwerfällige Vereinsstruktur umgangen werden kann.

Klaus von Dohnanyi hat einmal formuliert, dass die Stiftungen ein „Korrektiv zum

immer allmächtiger werdenden Staat“ 129 sind. Stiftungen sollen frei von äußeren

Einflüssen agieren und selbständigen Einsichten folgen, als kreativer Sinn bildender

Motor mit gemeinnützigen Zielen innerhalb der Gesellschaft. Wichtiger ist jedoch,

dass gerade die Gedenkstättenstiftungen nicht für kurzfristige politische Ziele zu

instrumentalisieren sind und zum parteipolitischen Erfüllungsgehilfen des

Tagesgeschäfts missbraucht werden; die Konflikte um die sächsische

Gedenkstättenstiftung sind symptomatisch dafür.

128 Interview, Mittelbau-Dora, 2004.129 Zitiert nach Strachwitz, Ruppert Graf: Stiftungen – nutzen, führen und errichten- Ein Handbuch, Frankfurt/New York, 1994, S. 183.

88

Typologien des Gedenkens

Grundsätzlich sind sich alle drei Befragten darüber einig, dass die Wahl der

Rechtsform, wenn es eine selbständige Stiftung des öffentlichen Rechts ist, eine

adäquate Organisationshülse für die Gedenkstätten ist, denn eine andere

Rechtsform würde keine funktionale Alternative darstellen.

Die Problematik der legitimen Vertretung in den Beiräten oder Kuratorien stellte sich

in Bergen-Belsen aufgrund der differenzierten Häftlingsstruktur schon zu Beginn der

Bildung einer Stiftung. Für die Thüringische und die Brandenburgische Stiftung,

ebenso für die anderen Gedenkstättenstiftungen, wird sich diese Problematik in den

nächsten Jahre auch verstärken, denn wir stehen vor dem Übergang vom

kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis und dem Verlust von Zeitzeugen, den

legitimen Vertretern in den Beisitzorganen der Stiftungen.

4.5 Die funktionale Gedenkstätte

Die Gedenkstätte als institutionelle Einrichtung direkt vom authentischen Ort

losgelöst zu betrachten, ist in den drei Untersuchungsobjekten nicht möglich. Als

organisatorische Einheit stellt jede durch Personal, Betreuung, Wissenschaft und

Forschung und Pädagogik zielgerichtet den Zugang zu den historischen Relikten

sicher. Die Gedenkstätte ist der kulturell formende Schnittpunkt zwischen dem

Besucher und den Relikten und Fakten. Dass der kulturell formende Charakter leicht

missbraucht werden kann, hat vor allem die Erinnerungskultur in der DDR gut

veranschaulicht. Jan Assmann ist deshalb der Überzeugung:

„Die beste Erinnerung ist die kulturell ungeformte, denn alles Geformte kann verformt, missbraucht und zerstört werden.“130

Jedoch ist keine kulturelle Formung nicht möglich, da die Gedenkstätten immer

noch, wenngleich immer weniger, an erster Stelle Friedhöfe für eine Vielzahl von

Menschen sind. Dieser kulturell formende Aspekt der Friedhofsfunktion wird

bestehen bleiben, das liegt in der Natur der Sache und in unserem genuinen

Totengedenken.

Die Gedenkstätten an den Orten ehemaliger Verbrechen erinnern an die NS-

130 Assmann, J.: Kollektives und kulturelles Gedächtnis, S. 32, in: Borsdorf/ Grütter: Orte der Erinnerung, 1999.

89

Typologien des Gedenkens

Verbrechen. Mit Hilfe des Aufzeigens der politischen wie gesellschaftlichen

Entwicklungsstadien, die zum Errichten von diesen Konzentrations- und

Vernichtungslagern geführt haben, wollen die Gedenkstätte die Motive für ihre

eigene Entstehungsgeschichte und deren Konsequenzen sichtbar machen. Die

Gedenkstätten versuchen durch gezielte Informationsvermittlung und Markierung

von besonderen historischen Plätzen eine authentische Wahrnehmung und

Einordnung über den zeitlichen Rahmen hinaus beim Betrachter zu erreichen.

Weniger pathetisch können die zentralen Arbeitsfelder der Gedenkstätten genannt

werden, die sich zunehmend Ende der achtziger Jahre, gleichermaßen in Ost und in

West, ausgeprägt haben. Dazu zählen die pädagogische Arbeit, die Dokumentation

und Wissenschaft und Forschung und die intensiven Kontakte zu ehemaligen

Häftlingen und deren Vereinigungen. Während die Pädagogik in den Gedenkstätten

zu didaktisch oder politisch instrumentalisiert war und die wissenschaftliche

Aufbereitung fast überhaupt nicht oder nur „halbherzig“131 betrieben wurde, kann an

dieser Stelle die erste Zäsur in der Gedenkkultur in der Wiedervereinigung gesehen

werden.

„Der Paradigmenwechsel bestand in der Hauptsache darin, dass sich die Gedenkstätten von Friedhöfen, die sie bis dahin in der Hauptsache waren, weiterentwickelt haben zu zeithistorischen Museen.“132

Allerdings ist dies bisher nur in den beiden Gedenkstätten Sachsenhausen und

Mittelbau-Dora geschehen, denn Dr. Rahe schätzt die Lage bisher weniger

optimistisch ein und sagt:

„An den Arbeitsfeldern hat sich noch nichts verändert, was von Beginn an aus meiner Sicht die zentralen Arbeitsfelder für die Gedenkstätte in Bergen-Belsen oder der Gedenkstätte allgemein waren, das sind sie, glaube ich, nach wie vor, also: pädagogische Arbeit, Kontakte zu ehemaligen Häftlingen und das Feld

Dokumentation und Forschung.“133

Zwar bezeichnet auch er die Gedenkstätten als „multifunktionale Einrichtung“ ein

und grenzt diese damit vom historischen Museum ab, in dem er ihnen auch die

Arbeitsfelder Service, Betreuung und Archivwesen zuschreibt, aber qualitativ in

diesen Bereich würden sie wohl erst zukünftig arbeiten.

131 Interview, Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, 2004.132 Ebd.133 Interview, Bergen-Belsen, 2004.

90

Typologien des Gedenkens

In der Gedenkstätte Sachsenhausen wurde sehr schnell erkannt, dass neben dem

Forschungsauftrag auch viel Potenzial im pädagogischen Bildungsauftrag liegt. Um

von den didaktisch orientierten Formen der Vermittlung - so wie es in den

westdeutschen Gedenkstätten weit verbreitet war - Abstand zu nehmen, hat man

sich frühzeitig an der progressiveren Museumspädagogik orientiert und die kreativen

Ansätze in der Museumspädagogik genutzt, um:

„…ausgehend vom authentischen Ort nicht nur die Kognition, sondern Emotion und ebenso auratische Empfindungen anzusprechen, (…).“134

Mit der Wiedervereinigung und den intensiven Neukonzeptionen für die

Gedenkstätten wird nicht nur die Multifunktionalität der Gedenkstätten anerkannt und

respektiert, sondern vor allem mit dem gezielten Versuch, die Gedenkstätten als

zeithistorische Museen zu präsentieren, verwirklicht. Der Begriff des zeithistorischen

Museums ist als moderner Begriff zu verstehen, der unterschiedliche Komplexe

miteinander verbindet135, nämlich neben dem Forschungs- und Bildungsauftrag auch

der Aufbau eines professioneller Sammlung und eines professionellen betreuten

Archivs, moderne Themenausstellungen, die gezielt die neuen Informations- und

Kommunikationstechniken einbeziehen, um auch die „jüngeren“ Generationen

anzusprechen. Die Gedenkstätten verstehen sich als „offene Lernorte“.136

Im weiteren Sinne werden auch Informationszugänge als eine Dienstleistung

angeboten. Zu dieser Dienstleistungsfunktion gehört beispielsweise der

Führungsbetrieb in den Gedenkstätten:

„Wenn sich Gruppen anmelden, insbesondere Schulgruppen, dann übernehmen wir den aktuellen Teil des Schulunterrichts, des Geschichtsunterrichts oder des Gesellschaftskundeunterrichts oder an welchen Fächern er auch immer angesiedelt ist. Und das ist eine Dienstleistung, die wir versuchen, professionell zu bedienen. (…)

Es ist eine pädagogische Dienstleistung.“137

Auch wenn die Voraussetzungen in den Gedenkstätten recht unterschiedlich waren

und sind, so hat sich der Versuch zum Umbau zum zeitgenössischen Museum

gleichermaßen in Ost und in West entwickelt. Mit Nachdruck wurden Bild- und

134 Interview, Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, 2004.135 Ebd.136 von Meer, Antje: Zur Neukonzeption der brandenburgischen Gedenkstätten, S.20, in: Dittberner, Jürgen/ von Meer, Antje (Hg.): Gedenkstätten im vereinten Deutschland - 50 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager, Berlin,1994.137 Interview, Mittelbau-Dora, 2004.

91

Typologien des Gedenkens

Textdokumente aufgearbeitet und verstärkt zu den zentralen Gedenktagen auch

Zeitzeugenbefragungen in die Veranstaltungen eingebaut.

Personell und finanziell kann die Institution Gedenkstätte diesen anspruchsvollen

Aufgabenkatalog nicht erfüllen. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass die

Gedenkstätten nicht zum Selbstzweck existieren. Ihre Hauptfunktion ist die eigene

Geschichte und die Konsequenzen in die Gesellschaft zu tragen, eine Gesellschaft

für Ursachen und Wirkungen eines solchen Werteverfalls zu sensibilisieren.

„Die Konzentrationslager sind Teil der Gesellschaft gewesen und dann muss sich die Gesellschaft auch in ihrer Gänze damit auseinandersetzen und darf das nicht delegieren an einige zentrale Gedenkstätte.“138

Das bedeutet auch, dass die Gedenkstätten auf das bürgerschaftliche Engagement

angewiesen sind. In Bergen-Belsen war es anfangs eine kleine Bürgervereinigung,

die ehrenamtlich Führungen über das ehemalige Lagergelände angeboten hat und

Informationen für die Besucher bereitstellte. Heute deckt diese Bürgervereinigung,

die sich zunehmend als Arbeitsgemeinschaft versteht, gezielt die Aufgabenfelder ab,

die die Gedenkstätte allein nicht betreuen kann. Es ist in vielen Gedenkstätten der

Fall, dass bei der Besucherbetreuung die Gedenkstätten nie so viel Personal

eingestellt werden kann, wie eigentlich benötigt würde. Besonders an den Besucher

starken Feiertagen oder Gedenktagen füllen diese bürgerschaftlichen Vereinigungen

eine wichtige Lücke, in dem sie Kurzführungen anbieten, ehemalige Häftlinge

betreuen und beispielsweise innerhalb diverser Projekte sog.

Zeitzeugenbefragungen durchführen. Neben der Gedenkstätte Bergen-Belsen ist

das auch für Mittelbau-Dora und die Gedenkstätte Buchenwald zu konstatieren.

Einen weiteren Beitrag leisten auch die verschiedenen Jugendzentren und -

einrichtungen, die ursprünglich auf die abschließenden Handlungsempfehlungen der

Kommission zurückgehen. Auch hier kann positiv bewertet werden, dass in allen drei

Gedenkstätten eine aktive und intensive Zusammenarbeit mit Jugendverbänden zu

verzeichnen ist, die bei weitem über Projekttage hinausgeht. In sog. internationalen

Workcamps übernehmen die Jugendlichen Instandsetzungs- und

Restaurierungsarbeiten flankiert von soziokulturellen Projekten im ehemaligen

Lagergelände und haben so die Möglichkeit, sich intensiv mit der Vergangenheit

auseinanderzusetzen, aber auch tagespolitische Bezüge aufzubauen. Mit der 138 Interview, Mittelbau-Dora, 2004.

92

Typologien des Gedenkens

Empfehlung des Aufbaus von Jugendzentren wurde der pädagogische Auftrag

nachhaltig unterstrichen. Zunehmend können die Gedenkstätten aber auch eine

soziale Funktion übernehmen, in dem verstärkt auf die gesellschaftlichen

Entwicklungen reagiert wurde. Systematisch wurden pädagogische Projekte für

sozial benachteiligte Jugendliche entwickelt, um den Jugendlichen eine Möglichkeit

zu geben, sich aktiv einzubringen. Die sozial bezogenen Jugendprojekte sind in

Mittelbau-Dora und auch in Sachsenhausen zu finden und in beiden Einrichtungen

werden sie als erfolgreich und pädagogisch effizient bewertet.

Insgesamt haben die Gedenkstätten verstanden, dass sie sich gezielt an die

Multiplikatoren wenden müssen, um nachhaltig in die Gesellschaft hineinwirken zu

können. Das bedeutet natürlich auch, dass die Gedenkstätten mehr und mehr eine

Dienstleistungsfunktion erfüllen müssen. Sie müssen dem Besucher ein

interessantes Informationsangebot unterbreiten und auch auf gesellschaftliche

Veränderungen kurzfristig reagieren können. So sollte eine Ausstellung

beispielsweise in der Form konzipiert werden, dass diese auf die momentanen

visuellen Fähigkeiten der Besucher abgestimmt ist. Wenn eine Untersuchung139 von

Jugendlichen ergeben hat, dass sie sich kaum mehr als zehn Minuten konzentriert

mit einem Lesetext befassen können müssen die Ausstellungen darauf abgestimmt

werden. Ein Wechsel von Text-Bild- und Videomaterial und Zeitzeugengesprächen

sollten dann im Vordergrund stehen. Es ist eine zentrale Aufgabe der

Gedenkstätten, die Betrachter zu motivieren, an den authentischen Ort zu kommen.

Es müssen Präsentationen sein, die die physische Präsenz vor Ort bedingen, und es

müssen die Informationsangebote so vielfältig sein, dass sie die Betrachter

individuell ansprechen können, das Gedenken stärker nach Gruppen diversifizieren.

Darauf geht meines Erachtens das Konzept der dezentralen Gedenkstätte

besonders gut ein: die Verlegung der Ausstellungen und der Gedenkveranstaltungen

an einzelne authentische Orte.

Deutlich wurde hier, dass die Gedenkstätten sich durch eine Vielzahl von Aufgaben

und Funktionen auszeichnen. Allerdings ist diese Multifunktionalität besonders

hinsichtlich der Dienstleistungsfunktionen äußerst kostenintensiv. Eine

139 Untersuchung der Universität Essen zum Leseverhalten von Kindern: http://www.uni-essen.de/literaturwissenschaft-aktiv/Vorlesungen/lektuere/litsoziali.htm, Stand 16. Mai 2004.

93

Typologien des Gedenkens

kostendeckende Gebührenerhebung für Führungsangebote kollidiert eindeutig und

zweifelsohne gerechtfertigt mit den ethisch-moralischen Ansprüchen, für die eine

solche Einrichtung auch steht. Es ist davon auszugehen, dass der Umbau der

Gedenkstätten in zeithistorische Museen erfolgreich sein wird und langfristig positive

Auswirkungen auf unsere Gedenkkultur haben wird. Doch mit dem gewachsenen

Anspruch an die funktionale Gedenkstätte müssen auch die finanziellen und

personellen Rahmenbedingungen geschaffen werden, sonst laufen der Prozess der

Modernisierung einerseits und der der steten Schröpfung der Stiftungshaushalte

andererseits diametral auseinander.

4.6 Der Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis am Beispiel der Untersuchungsobjekte

Neben all den Anforderungen, die Wissenschaftshistoriker und Gesellschaft an die

Gedenkstätten stellen, kommt noch ein evidenter Aspekt hinzu, welcher immer

aktuell und unabwendbar war, jedoch jetzt in seiner Tragweite die Gedenkkultur

berührt. Im Laufe dieser Arbeit wurde es bereits mehrfach verwendet und auch die

Problematik aufgezeigt, die der Übergang vom kommunikativen zum kulturellen

Gedächtnis mit sich bringt. Die virulente Debatte um die adäquaten Gedenkformen

und –orte konvergiert scheinbar mit dem Verlust des kommunikativen Gedächtnisses

in Form von Zeitzeugen. Nach der Wiedervereinigung wurden die Häftlingsverbände

und -komitees verstärkt in die Beratungsgremien der Institutionen, die sich mit der

Zeit der NS-Diktatur auseinandersetzen, einbezogen. Es wurden intensiv mündliche

sowie schriftliche Zeugnisse von Überlebenden gesammelt, es wurde recherchiert

und es wurden internationale Häftlingsverbände zu Gedenkveranstaltungen

eingeladen, gemeinsame Veranstaltungen und Trauerrituale inszeniert. Der

bevorstehende Verlust der Zeitzeugen setzte erstaunliche Ressourcen - personell

und finanziell - frei und besonders bei Kontakt mit ehemaligen Überlebenden

konnten sich die Gedenkstätten häufig auf das ehrenamtliche Engagement der

Bürger verlassen. Die Zeitzeugenprojekte sind jedoch nicht nur kosten- sondern

auch zeitintensiv und letztlich konnte die „Aufholjagd“ der letzten Jahre nicht

kompensieren, was in der Zeit vor der Wiedervereinigung vernachlässigt, respektive

94

Typologien des Gedenkens

versäumt wurde. Die bereits vorhandenen Kontakte zu ehemaligen Häftlingen, auch

vor der deutschen Einheit, konnte in den letzten Jahren ausgebaut werden und neue

Kontakte wurden geknüpft. Vor allem in der Kommunikation und Kooperation mit

Häftlingsverbänden in den osteuropäischen Staaten bemühten sich die

Gedenkstätten der neuen Länder. Zu jedem Gedenktag oder gesellschaftlichem

Ereignis konnten ehemalige Überlebende eingeladen wurde. Sie waren und sind

(noch) fester Bestandteil unserer Gedenkkultur. Sie stehen in ihrer Realpräsenz und

ihren Zeitzeugenberichten gegen jegliche Relativitätsbemühung und nicht selten sind

wir selbst wieder Teil jener Erinnerungskultur, die um die Verluste trauern kann. So

selbstverständlich, wie die authentischen Orte mit den ehemaligen Häftlingen

verbunden sind, werden sie es in absehbarer Zeit keineswegs mehr sein. Neben den

gerechtfertigten Diskussionen um eine legitime Nachfolge in den Häftlingsbeiräten,

beispielsweise in den Gedenkstättenstiftungen etc., müssen die Gedenkstätten einer

Herausforderung gerecht werden, die a priori zum Scheitern verurteilt ist: den

Übergang vom Zeitzeugen-bestimmten zum Zeitzeugen-losen Zeitalter der

Gedenkkultur.

„Ich glaube, die Zeitzeugen können nicht kompensiert werden. Das, was an moralischer Ergriffenheit, auch humaner Ergriffenheit durch die Zeitzeugen transportiert wird, kann durch nichts anderes ersetzen.“140

Im Moment kann für die drei Gedenkstätten bestätigt werden, dass alle verfügbaren

Ressourcen eingesetzt werden, um die noch lebenden Zeitzeugen zu mobilisieren,

ob in Form von Zeitzeugenbefragungen oder in Unterstützung bei der

konzeptionellen Gestaltung der authentischen Orte - auch bei

Gedenkveranstaltungen sind sie fester und evidenter Bestandteil. Dabei sind die

Vorgehensweisen recht unterschiedlich: In Bergen-Belsen wird stringent das

Zeitzeugenprojekt verfolgt, mit Hilfe von Videoaufzeichnungen eine authentische

Gesprächssituation simuliert. Die Mitarbeiter der Gedenkstätte Bergen-Belsen leiten

daraus ihre wesentliche „Grundlage für die weitere Arbeit“141 ab und versuchen somit

einen Fundus für die folgenden Generationen zu erhalten. Die neue Ausstellung in

der Gedenkstätte Bergen-Belsen im Jahr 2006 wird zwischen Bild- und

Textdokumenten besonders mit Videosequenzen angereichert, die

140 Interview, Mittelbau-Dora, 2004.141 Interview, Bergen-Belsen, 2004.

95

Typologien des Gedenkens

Zeitzeugengespräche wiedergeben. Der Historiker Dr. Rahe hofft damit:

„Wenn wir in die Ausstellung nun in großem Umfang Zeitzeugen-Interviews mit einbeziehen können, dann ist das etwas, was uns den Übergang vom kommunikativen zum kulturellen Gedächtnis erheblich erleichtern wird.“

In ähnlicher Weise wird auch in der Gedenkstätte Sachsenhausen verfahren. Auch

hier wird verstärkt die Zeitzeugenbefragung bemüht, um den Übergang so lange wie

möglich hinauszuschieben, auch unter dem Einsatz von modernen Medien.

Allerdings wird hier parallel der Akzent in Richtung historische Relikte verschoben:

„Die baulichen Relikte rücken in das Zentrum einer auf die Bewahrung und Pflege orientierten Gedenkstättenarbeit.“142

Das Restaurieren und Sichern von historischen Bauten und Funden ist ebenfalls

eine zeitintensive und vor allem kostenintensive Arbeit. Doch solange noch solche

Relikte als Zeugnisse vorhanden und gesichert sind oder für die Öffentlichkeit

zugänglich gemacht werden sollen, wird sicher auch hier der Übergang zum

kulturellen Gedächtnis teilweise verzögert werden. Allerdings muss das von einem

authentischen Ort zum anderen unterschiedlich betrachtet werden, denn in Bergen-

Belsen beispielsweise sind keine historischen Bauten präsent. In der Gedenkstätte

Mittelbau-Dora wiederum werden die Zeitzeugenprojekte äußerst kritisch betrachtet

und die Sicherung der baulichen Relikte in den Vordergrund der konzeptionellen

Neugestaltung gestellt. Die Zeugenbefragung ist strittig, weil:

„…sich in sechzig Jahren [die] Erinnerungen extrem verschieben, weil in sechzig Jahren Erinnerungen konstruiert werden.“143

Hier kann zusammenfassend konstatiert werden, dass alle Befragten sich über den

bevorstehenden Verlust einig sind und auch darüber, dass weder die Form von Aura

und Ergriffenheit, die die Zeitzeugenbefragungen mit sich bringen, keinesfalls

kompensiert werden kann. Auch die Diskussion um den Einsatz neuer Informations-

und Kommunikationsdienste (IuK) hat sich schnell erschöpft. Damit kann weder der

Verlust kompensiert, noch verzögert werden. Die neuen IuK-Mittel können

bestenfalls in Form von Video- und Tonaufnahmen unterstützend in die

Ausstellungen eingebaut werden. Auch hier sind sich alle Interviewpartner einig.

142 Interview, Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, 2004.143 Interview, Mittelbau-Dora, 2004.

96

Typologien des Gedenkens

Der Akzent in der Gedenkstättenarbeit hat sich deutlich auf die historischen Relikte

verschoben, wie in Sachsenhausen die Neugestaltung des zentralen Gedenkortes

„Station Z“ oder die Sicherung der Stollenanlage in Mittelbau-Dora. Das ist in

Bergen-Belsen jedoch kaum in diesem Umfang möglich, aber insgesamt profitieren

auch Gedenkstätten mit verhältnismäßig wenig historischen Bauten von der

Trendwende der „Spurensuche“. Die Geschichte wird rekonstruiert und

Geschehnisse oder Schicksale am zentralen Ort durch Informationstafeln oder

Aufsteller sichtbar gemacht, wenn nicht sogar rekonstruiert. Ferner rückt auch die

Außenlagerproblematik für die zentralen Gedenkstätten wieder verstärkt in das

Bewusstsein, auch müssen diese gepflegt bzw. als solche, nämlich authentischen

Orte, kenntlich gemacht werden.

4.7. Die Gedenkstätten unter Anpassungsdruck - Eine zusammen-fassende Betrachtung der Ergebnisse

Zweifelsohne fand der erste Paradigmenwechsel für die Gedenkstätten und die

damit verbundene Gedenkkultur aufgrund der Vereinigung der beiden deutschen

Staaten statt. Die veränderten politischen und gesellschaftlichen

Rahmenbedingungen erforderten auch für die Gedenkstätten eine Neujustierung

ihres Platzes innerhalb einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft. Die

Neukonzeption der Gedenkstätten im Zuge der Enquête-Kommissionen, konnte

alsbald eine Zielrichtung für die historischen Orte vorgeben, die weitgehend auf

einem gesellschaftlichen Konsens ruhte. Die Gedenkstätten in Ost und West haben

sich emanzipiert und sind zunehmend Foren gesellschaftlicher Debatten geworden.

Allerdings wurde parallel zur Neuorientierung der Stätten auch der Aufgabenkatalog

der Gedenkstätten um ein Vielfaches erweitert.

Neben der „historischen Aufholjagd“, die sich insbesondere auf die Bereiche

Forschung, Dokumentensammlung und Archivaufbau (Aufbau einer materiellen

Erinnerungskultur) bezieht, muss die Geschichte vor Ort immer wieder in die großen

historischen Zusammenhänge eingeordnet werden. Die Gedenkstätten sollen

zunehmend ein Informationsangebot stellen, das sich den veränderten

Sehgewohnheiten einer Gesellschaft anpasst, sie sollen einen Wertekanon anbieten,

97

Typologien des Gedenkens

der auch dazu beiträgt, autonome und selbstreflektierte Persönlichkeiten, so wie

Adorno einst forderte, hervorzubringen. Die Gedenkstätten sollen sich auch gegen

die landespolitischen Ränkespiele selbstbewusst durchsetzen und jede Form der

politischen Instrumentalisierung ihrer selbst aufdecken. Neben ihrer gewollten

Multifunktionalität erwartet die Öffentlichkeit auch, dass sich die Gedenkstätten in

zeithistorische Museen entwickeln, die ein Geschichtsbewusstsein vermitteln können

und die stets aufzeigen, dass die NS-Verbrechen keine Erscheinung einer längst

vergangenen Vergangenheit, sondern ein Problem der Moderne sind.

Diese potenziellen Verantwortungen stellen die Gedenkstätten zunehmend unter

Anpassungsdruck und das bei immer knapper werdenden finanziellen und

personellen Ressourcen. Die untersuchten Gedenkstätten verfügen im Schnitt nur

über 15 - 20 Mitarbeiter, von denen wiederum nur die Hälfte feste Mitarbeiter sind,

deren Stellen dauerhaft gesichert sind. Die übrigen Mitarbeiter sind temporäre

Arbeitskräfte, wie ABM-Kräfte, SAM-Kräfte und auch Zivildienstleistende.144 Das ist

die personelle Ausstattung der Gedenkstätten, die Besucherzahlen im Unfang von

knapp 300.000 Personen (Gedenkstätte Sachsenhausen im Jahr 2002)145 bis zu

500.000 Personen (Gedenkstätte Bergen-Belsen im Jahr 2000)146 jährlich bewältigen

müssen.

Obwohl die notorische finanzielle Unterversorgung für die Gedenkstätten ein

permanentes Problem darstellt, an dem auch zukünftig die Qualität ihrer Arbeit

hängt, bestätigte keiner der drei Befragten eine Lösung in einer

länderübergreifenden Stiftung. Die Forderung nach einem stringenten

Gesamtkonzept zur Förderung der Gedenkstätten147 entstammt einem

Gesetzesentwurf der CDU/CSU- Fraktion, der auch als „Nooke-Gesetzentwurf“

bekannt ist und im April 2003 in den Bundestag eingebracht wurde148. Zwar kann der

normative Ansatz eines finanziellen Ausgleichs zwischen den Bundesländern nicht

verachtet werden; schließlich haben die Bundesländer Thüringen und Brandenburg

144 Diese Informationen beziehen sich ausschließlich auf die untersuchten drei Gedenkstätten und schließen nicht etwaige Stellen für Außenlager oder Dokumentationszentren mit ein. Die Informationen sind den geführten Interviews entnommen worden. 145 Stiftungsbericht der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten des Jahres 2002.146 Interview, Bergen-Belsen, März 2004.147 Förderung der Gedenkstätten beider Diktaturen, auch der des SED-Unrechts.148 Internetquelle: http://www.bundestag.de/parlament/index.html, Deutscher Bundestag, Drucksache 15/1874, 15. Wahlperiode, Stand 2. Juni 2004.

98

Typologien des Gedenkens

zwei große KZ-Gedenkstätten auf ihrem Landesgebiet - von den zahlreichen

99

Typologien des Gedenkens

Außenlagern einmal abgesehen – und, von den Gedenkstätten gegen das SED-

Unrecht abgesehen, ist nicht einzusehen, warum manche Bundesländer einer

finanziellen Mehrbelastung ausgesetzt sein sollen und andere Länder (Nordrhein-

Westfalen z.B. hat keine große KZ-Gedenkstätte) nicht. Zugegebenermaßen sind

die Gedenkstätten und die damit verbundene Gedenkkultur staatsrechtlich

betrachtet eine Länderaufgabe, aber es ist auch einzusehen, dass das Gedenken an

die Opfer der NS-Vergangenheit eine gesamtgesellschaftliche und damit auch

bundesstaatliche Aufgabe ist. Ein finanzieller Ausgleich, im Sinn einer

Bundesstiftung, an der sich alle Länder zu gleichen Teilen beteiligen, wäre daher

sicher sinnvoll und bei den momentanen finanzielle Belastungen in den

Gedenkstätten sinnvoll, doch bei allen drei Interviewpartner überwogen die

Bedenken gegen ein zu stark staatlich überformendes und zentrales Gebilde. Dazu

haben die beiden Gedenkstättenleiter aus Mittelbau-Dora und Bergen-Belsen klare

Worte gefunden:

„Ich habe Bedenken bei dem Gedanken an eine solche Bundesstiftung (…), weil ich es eigentlich sehr gut finde, was die deutsche Gedenkstättenlandschaft auszeichnet,

nämlich dass sie dezentral ist und eben nicht diesen einheitlichen bundesstaatlichen Überbau hat, der natürlich dann auch sehr stark leicht politischen Einflussnahmen ausgesetzt sein kann, und das kann nicht Ziel von Gedenkstättenarbeit sein.“149

So würde der Weg in eine Bundesstiftung den progressiven Weg in die Autonomie

konterkarieren:

„Er nimmt genau diese Unabhängigkeit von politischer Einflussnahme tendenziell wieder zurück und gleichzeitig droht dann die Gefahr, dass die Gedenkstätten (…) nach ein und demselben Strickmuster betrieben und geleitet werden. Und der wird dann eben nicht mehr Realität der Aufgaben bewusst.150

Schlussendlich werden jedoch weder die finanziellen, personellen oder

pädagogischen Streitpunkte innerhalb der KZ-Gedenkstätten zur Gretchenfrage,

sondern es ist die starke Verknüpfung der Zeitzeugen mit dem authentischen Ort,

die

149 Interview, Mittelbau-Dora, 2004.150 Interview, Bergen-Belsen, 2004.

100

Typologien des Gedenkens

symbiotische Beziehung beider, die den Gedenkstätten nach dem Übergang zu

einem kulturellen Gedächtnis zum Verhängnis werden kann. Selbst wenn der

Umbau in die zeitgenössischen Museen erfolgreich würde und die Gedenkstätten in

zehn bis fünfzehn Jahren effizient und gut ausgestattet arbeiten und eine

Gedenkkultur in der Bundesrepublik aktiv gestalten könnten, dann würde sich noch

immer die Frage nach ihrer Daseinsberechtigung nach dem Ende der

Zeitzeugenschaft stellen. Demzufolge ist es ein Zusammenwirken vieler struktureller

Faktoren, die die Gedenkstätten gleichsam unter Anpassungsdruck stellen und einer

Problematik, der die Gedenkstätten selbst bei Überwindung aller struktureller

Aspekte nicht gerecht werden können, dem Übergang zu einem kulturellen

Gedächtnis und dem Verlust der Aura der authentischen Orte151.

151 Selbst diese Aura wird mit dem Verlust der Zeitzeugen verschwinden, da die KZ-Gedenkstätten als Friedhöfe ihre erste und originäre Funktion verlieren. Mithin zeichnen sich aufgrund unserer Toten-Memoria die Friedhöfe als Trauerorte aus, getragen von Generationen, die zu den Verstorbenen einen persönlichen Bezug hatten.

101

Typologien des Gedenkens

102

Typologien des Gedenkens

„Ein Geschichtsverständnis

muss weiter zurückreichen,

als in die eigene Biographie.“

(Richard von Weizsäcker)

5. Der Wirkungsgrad der Gedenktypologien - Entzauberung der authentischen Orte?

Wie bereits im vorangestellten Kapitel deutlich dargestellt, sind die einzelnen

Gedenktypologien fester Bestandteil einer Gedenkkultur, die sich in dieser Form

nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten herausgebildet hat. Ebenso wie

die einzelnen Typologien gleichermaßen notwendig sind, sich einander bedingen

und nicht aufeinander reduziert werden können, muss den authentischen Orten per

definitionem eine Sonderrolle innerhalb der Gedenkkultur zugesprochen werden. Die

KZ-Gedenkstätten als authentische Orte sind die ursprüngliche Stätte der Verfolgung

und zugleich unantastbares Symbol für die nationalsozialistischen Verbrechen.

Meine Prognose, dass sich die ortsfeste Gedenkpraxis, also an den KZ-

Gedenkstätten, bereits wieder im Krebsgang befindet, kann anhand folgender

Erscheinungen zwar nicht abschließend belegt, jedoch unterstrichen werden.

Das Großgedenkjahr 1995, in dem die gedenkkulturellen Veranstaltungen unter den

unterschiedlichsten Konzeptionen fast ausschließlich am authentischen Ort

stattfanden, spricht in der Retrospektive vorerst gegen diese Behauptung. Damals

rühmte die in- und ausländische Presse die vorbildliche Erinnerungs- und

Gedenkgemeinschaft, in der sich die Deutschen vielerorts präsentierten.

Im nächsten Jahr wird sich der 60. Jahrestag der Befreiung ebenfalls mit einer

Vielzahl von Veranstaltungen in den Gedenkstätten präsentieren. Vielleicht wird das

die letzte Möglichkeit für uns, am kommunikativen Gedächtnis teil zu haben.

Möglicherweise stehen wir zum letzten Mal der Opfergeneration gegenüber, die

noch einmal gemeinsam mit ranghohen Vertretern aus Politik und Wirtschaft,

Repräsentanten von einflussreichen Organisationen und Häftlingsverbänden Teil

dieser Gedenkveranstaltungen sein werden. Im Sog des medialen Interesses

werden die Gedenkstätten einen weiteren Höhepunkt erleben, der sich nicht nur in

103

Typologien des Gedenkens

hohen Besucherzahlen erschöpft, sondern in zahlreichen Projekten,

Dokumentationen und Ausstellungen seinen Kulminationspunkt durchläuft.

Tatsächlich werden wenige erwarten, dass sich hinter solch einer

interessengeleiteten Gedenkkultur am authentischen Ort bereits die Trendwende

verbirgt. Offensichtlich nehmen die topografischen Gedächtnisorte nach wie vor

einen prominenten Platz innerhalb unserer Gedenkkultur ein. Ein Nachweis darüber

wird schwer zu führen sein, denn dazu können keine statistischen Daten

ausgewertet werden, noch probalistische Aussagen getroffen werden. Diese

Prognose kann sich allein auf Beobachtungen innerhalb der gedenkkulturellen

Entwicklung und auf Aussagen aus den geführten Experteninterviews stützen.

Anhand der aktuellen Mahnmaldebatte und dem Vorwurf der Gedenkroutine soll

nachfolgend die Prognose plausibel gemacht werden.

5.1 Kritische Einordnung der Mahnmaldebatte

Werden Mahnmale zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion, ist das ein Indiz für

gesellschaftliche Polarisierungen, das heißt für zustimmende oder ablehnende

Haltungen, da sich über Konsens schließlich schlecht streiten lässt. Die

umfangreiche Diskussion zur Legitimierung und Gestaltung eines Denkmals für die

ermordeten Juden Europas in Berlin kann und soll hier nicht aufgearbeitet werden.

Die bisherige Diskussion diente vor allem der politischen Darstellung des heutigen

Deutschlands, auch nach außen, weniger den notwendigen Überlegungen zur

praktischen Effektivität eines Denkmals, das heißt zur Erfüllung der Aufgabe des

öffentlichen Gedenkens an die Ermordung der Juden in Europa. Die von Beginn an

umstrittene Einschränkung der Widmung kann als Versuch verstanden werden, die

im „Historikerstreit“ in Frage gestellte Singularitäts-These bezüglich der

nationalsozialistischen Vernichtungspolitik zu bekräftigen. Auch durch die

Standortwahl bekommt das Mahnmal die Bedeutung eines Nationaldenkmals,

welches auch indirekt die Überwindung der deutschen Teilung thematisiert und nur

das historische Selbstverständnis des geeinigten Deutschland repräsentiert.152 Das

152 Vgl. Kirchberg, Volker: Das Holocaust-Mahnmal in Berlin- Zwischen öffentlichem Auftrag und privater Erfüllung, S. 51-72, in: Siggelkow, I. (Hg.): Gedächtnisarchitektur, Frankfurt a. M., 2001.

104

Typologien des Gedenkens

ist eine Wahrnehmung, die durch den Beschluss, Berlin zur Hauptstadt zu machen,

weiter verstärkt wurde. Bereits 1992 einigen sich Vertreter der Bundesregierung, des

Berliner Senats und des privaten Förderkreises auf Verfahrensgänge und die

exklusive Inschrift „den ermordeten Juden Europas“.153 Erst ex post beginnt eine

öffentliche und umfangreiche Debatte, die veranschaulicht, wie unterschiedlich die

Meinungen vertreten sind und mit welchen Defiziten die bisherige

Entscheidungsfindung behaftet war. In mehrstufigen Verfahren wurde nachträglich

versucht, diese Defizite zu beheben - es folgten Colloquien, Wettbewerbe und

Gesprächsrunden.

Die aus den Bundestagswahlen 1998 hervorgegangene rot-grüne Koalition konnte

durch das Einrichten der Funktion eines Beauftragten für Kultur und Medien mit

eigenem Stab im Kanzleramt neue gedenkkulturelle Rahmenbedingungen schaffen.

So wurde im Koalitionsvertrag vereinbart, dass der Deutsche Bundestag über das

Denkmal am vorgesehenen Standort entscheiden und dass im Einvernehmen mit

den Ländern eine Konzeption für die Gedenkstätten erarbeitet werden sollte. Der

gewünschte Erfolg blieb aus, da durch verschiedene Änderungsvorschläge und

Verfahrensfragen eine „Systematisierung der Diskussion“ nicht erreicht werden

konnte.154 Stattdessen gerät das Projekt nicht nur durch die exklusive Widmung in

die befürchtete Konkurrenz mit anderen existierenden Einrichtungen, wie den KZ-

Gedenkstätten und deren Interessenvertretungen, zumindest äußerte die

„Arbeitsgemeinschaft KZ-Gedenkstätten“ entsprechende Bedenken. Die

Mahnmaldebatte wird zum „gordischen Knoten“ der Gedenkkultur:

„Dabei wird das Mahnmal zum Teil als Blitzableiter missbraucht, als Sündenbock, um in der Kritik am Mahnmal Motive zu verstecken, die man schon sehr lange mit sich herumtrug.“155

Die Vertreter der Gedenkstätten vermuten eine Zentralisierung der Gedenkkultur, mit

Recht. Innerhalb kürzester Zeit konnte die Mahnmaldebatte eine Diskussion in allen

gesellschaftlichen Ebenen loslösen, konnte polarisieren, instrumentalisieren und

stand schließlich allein für Aussagen und Weiterentwicklung innerhalb der

Gedenkkultur, die sich eben nicht nur durch die Mahnmaldebatte auszeichnet.

153 Vgl. Meyer, E.: Erinnerungskultur, S. 127 f., in: Bergem, W. (Hg.): Die NS-Diktatur, Opladen, 2003.154 Ebd.155 Interview, Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, 2004.

105

Typologien des Gedenkens

In der Gedenkkultur, wie sie innerhalb dieser Arbeit vorgestellt wurde, konkurrieren

die einzelnen Gedenktypologien im positiven Sinn miteinander und erzielen dadurch

effiziente Ergebnisse. In diesem Fall konnte die Denkmaldebatte eine Eigendynamik

entwickeln, die alle bisherigen erinnerungs- und gedenkkulturellen Konflikte

übersteigt und auch finanziell keine weiteren Vermutungen zulässt.

Im Positiv-Bescheid des Deutschen Bundestage (Juni 1999) konnte sich die Variante

des Eisenmann-Entwurfs (mit Raum der Stille und Raum der Information)

durchsetzen. Der Termin der Fertigstellung musste jedoch mehrfach verschoben

werden, so dass ein Ende der Auseinandersetzungen nicht abzusehen war oder ist.

Vermutlich wird die Eröffnung des Holocaust-Mahnmals jetzt auf den 9. Mai 2005

gelegt werden.

Es wäre vermessen zu verschweigen, dass die Debatte um das zentrale Mahnmal

nicht auch positive Auswirkungen auf die Gedenkkultur gehabt hätte. So mussten

sich die Gedenkstätten ein weiteres Mal politisch emanzipieren und aktiv in die

Diskussion einmischen. Sie wurden zudem aufgefordert, sich durch die entstandene

Singularitätsdebatte verstärkt mit der „doppelten Vergangenheit“

auseinanderzusetzen und auch hier museologische Lösungen zu finden, die den

Opfern beider Diktaturen gerecht werden können.156 Es hat auch dazu geführt, dass

wir uns als Gesellschaft endlich der Frage stellen mussten, ob ein solches Denkmal

adäquater Bestandteil einer Gedenkkultur sein kann oder sogar sein muss oder ob

wir diese Diskussion nicht schon längst hätten führen müssen und ob sie nun

obsolet ist.

Die Motive, unter der die Debatte in den letzten Jahren geführt wurde, erwecken den

Anschein, dass es sich um eine Amerikanisierung der Gedenkkultur handelt, die es

für zwingend erachtet, in einem monumentalen Ereignis einen Kontrapunkt zu den

dezentralen Gedenkstätten zu setzen. Des Weiteren entsteht der Eindruck, es ginge

beim Gedenken um eine „Art Selbstreinigung“ 157 jener, die in irgendeiner Weise dem

Kollektiv der Täter angehören. Das ist ein Missverständnis und das Mahnmal darf

nicht symbolisch zur gedenkkulturellen Katharsis der deutschen Gesellschaft

verkommen.

156 Die Problematik der „doppelten oder zweifachen Vergangenheit“ bezieht sich im Wesentlichen auf zwei Gedenkstätten: Sachsenhausen und Buchenwald.157 Vgl. Brumlik, M.: Gedenken in Deutschland, S. 119, 1995.

106

Typologien des Gedenkens

Schlussendlich wird die Konkurrenz zwischen den einzelnen Opfergruppen neu

thematisiert. Es ist eine Konkurrenz, die sich seit Jahren in den Gedenkstätten

innerhalb von Gedenkveranstaltungen, aber auch in Diskussionen um Informations-

und Gedenktafeln widerspiegelt. Mit der Mahnmaldebatte konnte diese

Opfergruppenkonkurrenz nun die höchsten institutionellen Weihen erfahren.

Die Debatte über das zentrale Mahnmal bildete den Brennpunkt der politisch-

ästhetischen Diskussion über Neuanfang und Kontinuität in Berlin. Die Kontroverse

war nicht nur ein mediales Großereignis, sondern selbst Medium der deutschen

Selbstvergewisserung. Auch darum kann nicht der Auffassung von Micha Brumlik

zugestimmt werden, der sagt:

„Der Trauer über den Verlust, (…) eine zentrale Gedenkstätte zu errichten, wäre der erneuerten Demokratie in Deutschland würdig. (…) Diese Chance ist in Deutschland unwiderruflich verspielt und vertan.“158

Ebenso kann nicht mit den streitbaren Aussagen von Hendrik M. Broder

übereingestimmt werden, der sich an dieser „virtuellen Debatte, die zum

Selbstzweck geronnen ist“, nicht beteiligen will, sondern die „einzig angemessene

Form des Gedenkens“ in materieller Opferentschädigung sieht.159 Die Ausweitung

der Gedenkplattform hat zur Konsequenz, dass sich verschiedene und teilweise

gegensätzliche Auffassungen über die angemessene Form des Gedenkens

herausbilden.

Die begründete Vermutung, es könne das Holocaust-Denkmal in der abstrakten

Form nicht geben, führt nicht notwendigerweise zu dem Schluss, es solle dann

besser keines geben. Die Debatte um das Mahnmal ist symptomatisch dafür, dass

man Erwartungen und Forderungen auch so hoch ansetzen kann oder stetig ändert,

dass es alsbald „immun“160 gegen Realisierung ist. Die originäre Frage, was wir von

einem solchen Denkmal erwarten und was es letztlich leisten kann, ist aus dem

Focus der Debatte geraten. Nunmehr steht die Forderung nach einem „absoluten

Holocaust-Mahnmal“, wie Salomon Korn schreibt, im Interesse der Öffentlichkeit,

denn diese fordert eigentlich dadurch verdeckt nichts anderes als

158 Brumlik, M.: Gedenken in Deutschland, S. 127, 1995.159 Broder, Hendryk, M.: …die einzig angemessene Form des Gedenkens, S.43, in: Die Erinnerung und Begegnung: Gedenken im Land Brandenburg zum 50. Jahrestag der Befreiung, Potsdam 1996.160 Korn, Salomon: Geteilte Erinnerung - Holocaust-Gedenken in Deutschland, S. 234f., in: Borsdorf / Grütter (Hg.): Orte der Erinnerung, 1999.

107

Typologien des Gedenkens

„…die Entlassung des Betrachters aus der Notwendigkeit aktiven Gedenkens.“161

Durch die Abstraktheit eines solchen Denkmals kann ohne sogenannte

„Dekodierungshilfen“162 kein persönliches Erinnern oder Gedenken erzeugt werden.

Bestenfalls führt das Erlebnis zu einem emotionalen Unwohlsein, dessen Ursache

nicht durch das Mahnmal selbst begründet werden und demzufolge auch nicht

kognitiv verarbeitet werden kann. Eine öffentliche Wirkung im Sinne der Stärkung

des kollektiven Gedächtnisses kann man von einem abstrakten Symbol in dieser

Form nicht erwarten.

Eine wesentliche Ursache für die aufgetretene Konfusion lag beispielsweise auch in

der fragwürdigen Vermengung freiwilliger Privatinitiative und staatlichen Handelns im

Bereich des öffentlichen Gedenkens. Zweifellos ist einer privaten Initiative erlaubt,

einer Opfergruppe ein Denkmal zu setzen, dem Staat wiederum nicht.

„Seine Aufgabe wäre es gewesen, (…) im öffentlichen Gedenken die Totalität des nationalsozialistischen Massenmordes zu wahren und daraus die Notwendigkeit eines „ungeteilten“ Mahnmals gegen den nationalsozialistischen Völkermord in seiner Gesamtheit abzuleiten und es zu verwirklichen.“163

Die Diskussion um Denk- und Mahnmäler, um Ausstellungen und ähnliches im

öffentlichen Raum des 21. Jahrhundert machen deutlich, dass eine pluralistische

Gesellschaft einen konsensualen Standort im ideologischen Raum sucht, gleichzeitig

aber einander ausschließende Deutungen unter dem Vorbehalt erträgt, dass eine

Deutung nicht die anderen zunehmend überlagert.

Auch die von mir generierte Gedenkkultur vereint schließlich miteinander

konkurrierende Elemente in sich:

„In dieser Vielfalt besteht ein wesentlicher Unterschied zu weltlichen Meinungsdiktaturen oder zum Gottesstaat religiöser Eiferer.“164

161 Korn, Salomon: Geteilte Erinnerung, S. 235, in: Borsdorf / Grütter (Hg.): Orte der Erinnerung, 1999.162 Kirchberg, Volker: Das Holocaust-Mahnmal in Berlin, S. 68, in: Siggelkow, I. (Hg.): Gedächtnisarchitektur, Frankfurt am Main, 2001.163 Korn, S.: Geteilte Erinnerung, S. 240, in: Borsdorf / Grütter (Hg.): Orte der Erinnerung, 1999.164 Siggelkow, Ingeborg: Das Denkmal im öffentlichen Raum: Kunstwerk und politisches Symbol, S. 111-120, in: Siggelkow, I. (Hg.): Gedächtnisarchitektur, 2001.

108

Typologien des Gedenkens

5.2 Instrumentalisierung der öffentlichen Kommemoration

Während die überlebenden Opfer zu einer verschwindend kleinen Minderheit

gehören, hat das Gedenken an den Holocaust eine Vielzahl von Einrichtungen auf

den Plan gerufen und mittlerweile ein globales Netz von Gedenkvirtuosen

geschaffen. Schon ist kritisch die Rede von einer weltweiten Holocaust-

Gedenkkultur, kommerziell organisiert, verankert in nationalen Gedenktagen und

Bildungssystemen.165

Es besteht durchaus die Gefahr, dass die Beschäftigung einerseits zum

„Allerweltsthema“ verkommt, so die Einschätzung von Volkhard Knigge,

Gedenkstättenleiter in Buchenwald, und dass die Auseinandersetzung über die

Geschichte in vielfältigen Gedenkdiskursen ertrinkt. Andererseits besteht die Gefahr

des routinierten Gedenkens.

In den Gedenkstätten werden im Ungang mit der Vergangenheit Symbole und

Semantiken entwickelt und diese strahlen über die spezifischen

Gesellschaftsbereiche hinaus. Die Gefahr besteht allerdings, dass die Politik sich

zunehmend dieser Symbole bedient und die Gedenkstätten funktionalisiert, um sie

als Bühne für politischen Denkreden bei offiziellen Anlässen zu missbrauchen, als

die umgangssprachlich bezeichneten „Kranzabwurfstellen.“ Sowohl die

Instrumentalisierung als auch die zunehmende Institutionalisierung sind

kontraproduktive Entwicklungen innerhalb einer Gedenkkultur, die sich als

demokratisch begreift. Eine Gemeinschaft, die ihr politisches Bewusstsein nicht

mehr auch aus der ehrlichen Verurteilung des Nationalsozialismus schöpft, ist

sowohl gesellschaftlich als auch politisch äußerst kritisch zu betrachten. Die

ritualisierte und institutionalisierte Form des Gedenkens an öffentlichen

Gedenktagen mit moralisierenden Appellen zahlreicher prominenter Personen und

Politiker kann auch einem fehlenden Geschichtsverständnis nichts entgegensetzen.

An dieser Stelle kann zum Ausgangspunkt zurückgekehrt werden und sich dabei der

einfachen, aber klaren Worte von Volkhard Knigge bedient werden:

„Wir glauben doch an die Idee, dass Gedenken ohne Wissen (…) eine besondere Form der Dummheit wird, dass Gedenken ohne Wissen sehr wenig mit Aufklärung zu

165 Vgl. Reichel, P.: Politik mit der Erinnerung, S. 9, 1995.

109

Typologien des Gedenkens

tun hat.“166

Diesen kognitiven Prozess, die adäquate Form der Geschichtsvermittlung,

pädagogisch zu flankieren, das können nur die Gedenkstätten erreichen - natürlich

im Einklang mit anderen Bildungsträgern, die noch stärker miteinander verwoben

werden sollten.

Die Gedenkstätten selbst sind die einzigen, die sich gegen die Instrumentalisierung

durch die Politik oder anderer elitärer Gruppierungen wehren können. Das haben die

beiden Stiftungen in Thüringen und Brandenburg bisher eindrucksvoll gezeigt. Sie

sind auch diejenigen, die sich gegen das institutionalisierte Gedenken zur Wehr

setzen können, in dem sie individuelle Formen des Gedenkens anbieten.

166 Interview von Hanno Loewy mit Volkhard Knigge am 18. Januar 2000, S. 6, in: Newsletter zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Fritz Bauer Institut, Nr. 18, Frühjahr 2000.

110

Typologien des Gedenkens

6. Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse

Für gesellschaftliche Prozesse, die sich an die Phase der Erinnerungskultur

anschließen und im Zusammenhang mit der bewerteten Einschätzung der

Geschichte einer Gesellschaft stehen, findet der Begriff Gedenkkultur seine

Verwendung. Nicht nur die Gedenkstättenkonzeption, die Enquête-Kommissionen,

die öffentlichen Diskussionen, ob der Walser-Bubis-Streit oder die Homann-Affäre

und nicht zuletzt die Errichtung eines Mahnmals dokumentieren, dass der Terminus

Gedenkkultur vorwiegend für einen politisch-instrumentellen Umgang mit der

Geschichte und der kollektiven Erinnerung steht.

Die gedenkpolitischen Maßnahmen erschöpfen sich nicht in symbolischen Formen

der Politik, sondern verlangen darüber hinaus auch politisches „decision-making“.

Die Gedenkkultur wird so als Teil der politischen Kultur auch als konventionelles

Politikfeld rekonstruierbar, in dem nicht nur die öffentliche Meinung betrachtet wird,

sondern seitens des politischen Systems auch materiale Entscheidungen im Sinne

von Verwaltungshandeln und Gesetzgebung notwendig ist. Die beinahe vollständige

Implementierung in unser politisches System ist erreicht, aber die sinngebende

Verwirklichung dessen werden nur noch wenige zu schätzen wissen.

Bisher konnten sich nur wenige KZ-Gedenkstätten als geschichtspolitische

Bildungseinrichtungen etablieren und den Charakter einer sakralen Mahnstätte

ablegen. Dass sich die Gedenkstätten selbst nicht mehr als Randerscheinung der

Gesellschaft begreifen, sondern eine wichtige Rolle im gedenkkulturellen Prozess

innerhalb unserer Gesellschaft einnehmen, ist auf den Paradigmenwechsel infolge

der Wiedervereinigung zurückzuführen. Obwohl die Gedenkkultur zum Politikfeld

werden konnte und die Gedenkstätten zu Beginn der 90er Jahre eine Aufwertung

erfahren haben, sind durch die Differenzierung und Pluralisierung des Gedenkens

auch dramatische Folgen zu konstatieren. Die Pluralisierung des Gedenkens rief

verschiedene Akteure und andere Herangehensweisen auf den Plan, so dass wir

heute feststellen müssen, dass beispielsweise die Mahnmaldebatte als

Gedenktypologie die Aufmerksamkeit allumfassend auf sich zieht und dabei

111

Typologien des Gedenkens

energisch die anderen Gedenktypologien überlagert. Da sich durch die

Mahnmaldebatte die erwarteten Opfergruppen konkurrierend zueinander stellen,

wird es im Hinblick auf öffentliche Mahnmale in absehbarer Zeit keine Ruhe geben.

Wahrscheinlicher ist indes, dass durch die anderen entstehenden Mahnmale für die

Roma und Sinti und die Homosexuellen der Streit noch lange virulent bleiben wird.

Rund um das Brandenburger Tor in Berlin scheint damit nun ein merkwürdig

umfangreicher Erinnerungsparcour zu entstehen, eine „beeindruckende Schneise

des Gedenkens“.167

Hinzu kommt der Fakt, dass beispielsweise der Umbau der Gedenkstätten in

zeithistorische Museen zu schleppend vorangeht und neue Ausstellungsformen erst

präsentiert werden können, wenn der Übergang zum kulturellen Gedächtnis bereits

stattgefunden hat. Die Gedenkstätten konnten sich bisher nicht aus der

symbiotischen Verbindung der Überlebenden mit den authentischen Orten befreien.

Sie werden deshalb kaum Möglichkeiten haben, diesen Bruch innerhalb der

Gedenkkultur am authentischen Ort abfedern zu können; auch die glaubwürdigste

aller Nachfolgegenerationen der Überlebenden kann das nicht kompensieren und

die neuen Informations- und Kommunikationsmittel werden sich noch nicht

etablieren können.

Die Vergegenständlichung von Erinnerung erfordert in den KZ-Gedenkstätten eine

Reflexion über die unterschiedlichen Bedeutungen des historischen Ortes. Die KZ-

Gedenkstätten müssen über zahlreiche Bildungsangebote der neuen Generation

immer wieder plausibel machen, dass ein Werteverfall, wie der während des Nazi-

Regimes ein Problem der Moderne ist, sie müssen die pädagogisch-historischen

Brücken zur Gegenwart schlagen und aktuelle Bezüge zu Menschenrechtsvergehen

herstellen können. Sie sind die steinernen Zeugen gegen den

Historisierungsvorwurf. Wenn die Gedenkstätten das nicht in absehbarer Zukunft

leisten können, werden sie überflüssig. Diese Prognose bezieht sich auf einen

Zeitraum von immerhin nur zehn bis fünfzehn Jahren.168

Der 60. Jahrestag der Befreiung und die zahlreichen Gedenktage und

Veranstaltungen in den Gedenkstätten stehen am Ende eines 167 Kommentar [anonym] zum Mahnmal in Berlin: http://www3.mdr.de/kulturreport/110104/thema_5.html, Stand: Juli 2004.168 Sowohl das Interview in Mittelbau-Dora als auch in Sachsenhausen hat gezeigt, dass es solche Ängste resp. Prognosen durchaus gibt, diese aber selten so klar formuliert werden.

112

Typologien des Gedenkens

Gedenkstättenjahrzehnts, in dem der Beginn sehr vielversprechend war und die

Hoffnung in einer demokratischen Gedenkkultur lag, die von einer ortsfesten

Gedenkpraxis bestimmt war. Dieses Gedenkstättenjahrzehnt wird ein letztes großes,

allumfassendes und transzendentes Gedenkszenario erleben, bevor die große

Gedenkindifferenz mit dem Verlust der Zeitzeugen konveniert. Eine veränderte

Wahrnehmung der Vergangenheit in der Gesellschaft tut ihr übriges. Erstmals

stagnieren die Besucherzahlen in den großen Gedenkstätten.169 Im Übergang zum

kulturellen Gedächtnis, das gleichermaßen ein Aussterben der Tätergeneration mit

sich führt, werden schon die ersten Versuche genutzt, auch sich selbst in einer

Opferrolle zu beschreiben. Der Paradigmenwechsel in der Gedenkkultur, der zum

Verlust der Vorreiterrolle der Gedenkstätten innerhalb der Gedenkkultur führt,

korreliert auch mit einem Paradigmenwechsel innerhalb der Geschichtspolitik, das

heißt in einem Wechsel der Sicht auf die Geschichte, die von einer Mehrheit

getragen wird und vor allem durch die Politik, vielleicht aber auch der Wissenschaft

determiniert wird. Die große Errungenschaft in den 90er Jahren zur aktiven

Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der aktiven

Auseinandersetzung auch der Post-Täter-Gesellschaft mit den eigenen Taten kann

so umfassend und wahrhaftig nicht gewesen sein. Im Augenblick können wir einen

Rückfall in die Stimmungslage der 50er Jahre in Westdeutschland beobachten und

erleben die Gesellschaft, die sich wieder stark als Opfergesellschaft definiert . Der

Luftkrieg, Heimatvertreibung und Flucht treten verstärkt in das öffentliche

Augenmerk.

Die historischen Erinnerungen und ihre Bedeutungen sind nicht ein für allemal

konstant und unveränderlich. Im individuellen Gedächtnis sowie im kollektiven

Gedächtnis sind die Erinnerungen keine gegebenen Konstanten, sondern bedürfen

einer Neubetrachtung im Rahmen der veränderten Situation.170 Wir werden nicht

umhin kommen, die alten Erfahrungen im Bezug zur Gegenwart stets neu zu lesen.

Darin liegt sicher keine Untreue zur eigenen Vergangenheit, auch keine

Aufforderung zur Anpassung an das gerade Opportune. Es zeigt uns nur, dass es

offenbar allen Menschen genuin ist, im Rückgriff auf die erinnerten Erfahrungen die

169 Aussage aus dem Gespräch mit Dr. Wagner: Interview Mittelbau-Dora, April 2004.170 Vgl. Hölscher, L.: Erinnern und Vergessen. Vom richtigen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, S.114 f, in: Borsdorf / Grütter (Hg.): Orte der Erinnerung, 1999.

113

Typologien des Gedenkens

Zeit- und Sinnhorizonte zu verändern. Umso plausibler ist das Plädoyer für die

ortsfeste Gedenkpraxis in den KZ-Gedenkstätten, die gegen jede Form von

Relativitätsbemühen stehen und uns die Zeithorizonte und die darin bewahrten

Erinnerungen vergegenwärtigen können.

SchlussbetrachtungTrotz dieses Plädoyers für die Gedenkstätten, gleichwohl aller positiven

Bemühungen und Entwicklungen in der Gedenkstättenlandschaft und ihrer

Subkultur, bleibt die dunkle Prognose, dass die Gedenkstätten in absehbarer Zeit

ihre primäre Stellung in der Gedenkkultur trotz ihrer Multifunktionalität und ihres

moralischen Anspruchs in unserer Gesellschaft darauf verlieren werden. Die

Anzeichen, die dafür sprechen, sowohl die Konkurrenz der anderen Typologien als

auch der Übergang in das kollektive Gedächtnis, wurden eingehend aufgezeigt. In

den Befragungen ist neben allem Zweckoptimismus auch ersichtlich geworden, dass

die Gedenkstätten unsicheren Zeiten entgegenblicken und jede von ihnen „um das

Überleben kämpfen muss“171. Wir befinden uns bereits im Paradigmenwechsel in der

Gedenkkultur, der die authentischen Orte zusehends ins Abseits rückt. Der

Kulminationspunkt wird spätestens mit dem 60. Jahrestag der Befreiung durchlaufen

werden.

Zwar ist unsere Gesellschaft weitgehend sensibilisiert für Themen und Aspekte, die

die nationalsozialistische Vergangenheit und die Verbrechen an den Juden

tangieren, dafür steht symptomatisch die Debatte um die Ausstellung der

sogenannten „Flick-Collection“ und die polarisierende Kraft solcher Diskussionen.

Die aber bezieht sich wiederum auf die Gedenkebenen, die sich innerhalb der

öffentlichen Gedenktypologie oder der Typologie um die Mahnmaldebatte drehen.

Damit kann nur oberflächlich der Schein gewahrt werden, dass es in Deutschland

endlich gelungen ist, eine Gedenkkultur hervorzubringen, in der das Ausmaß der

deutschen Verbrechen nicht länger angezweifelt wird.

171 Interview, Mittelbau-Dora, 2004.

114

Typologien des Gedenkens

7. Anhang

Universität PotsdamWirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät

Diplomarbeit im Fach Verwaltungswissenschaft SS 04Franziska Schumann

Institution:

Name:

Vorname:

Profession:

Alter:

Erklärung

Das Interview ist Teil einer Diplomarbeit. Der Interviewpartner nimmt freiwillig an diesem Gespräch teil.

Die Interviewfragen und die Antworten werden auf einem Tonbandgerät aufgezeichnet und anschließend verschriftlicht.

Das transkribierte Interview wird dem Interviewpartner vorgelegt und von ihm, wenn keine Mängel vorliegen, abgezeichnet.

Der verschriftlichte Text als solcher wird nicht Bestandteil der Arbeit sein, auch nicht als Dokument beigefügt und nicht Dritten zugänglich gemacht oder veröffentlicht.

Datum und Ort Datum und Ort

Unterschrift ………………………… Unterschrift………………………

115

Typologien des Gedenkens

Interviewleitfaden

Name:Vorname:Titel:Profession:Alter:Institution:

Teil 1 Organisatorischer Teil

1. Wie lange sind Sie in der Gedenkstätte beschäftigt und welche Profession üben Sie hier aus?

2. Wie viele Mitarbeiter sind in der Gedenkstätte beschäftigt? (Unterscheidung Haupt- und Ehrenamt)

3. In welche Rechtsform ist die Gedenkstätte eingebunden und wie wirkt sich das auf die finanzielle und personelle Lage aus?

4. Wäre eine länderübergreifende Stiftung eine Lösung für Sie? Wenn ja, warum? (Eine bundesweite Stiftung, die unter ihrem organisatorischen Dach alle KZ-Gedenkstätten vereint; Stichwort „Nooke-Entwurf“)

5. Sind an die Gedenkstätte Verbände und/oder Vereine angegliedert ? (Opfer-verbände, Jugendgruppen etc. Fördervereine)

6. Welchen Einfluss können sie geltend machen und ist dies wünschenswert?

Teil 2 Wissenschaftlicher Teil (Gedenkstätten und Gedenkkultur)

7. Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten mussten sich einige KZ-Gedenkstätten (beispielsweise Sachsenhausen) einer besonderen Herausfor-derung, der „doppelten Vergangenheit“ stellen. Kann man sagen, dass durch das öffentliche Interesse und dem gewachsenen Anspruch der Öffentlichkeit die Erinnerungsentwicklung eine Konjunktur erfahren hat? (Zäsur nach dem 50. Jahrestag der Befreiung ?)

8. Welche Funktionen übernehmen die Gedenkstätten in unserer Gesellschaft nach der Vereinigung? (normative Multifunktionalität vs. Dienstleistungsaufga- be?)

116

Typologien des Gedenkens

9. „Es gibt keine menschliche Kultur ohne das Element der gemeinsamen Erinne-rung.“ (Zitat von Jörn Rüsen). Durch die Erinnerung sind wir mit Gegenwart und Zukunft verbunden was notwendig zur nationalen Selbstreflexion ist- ein ge-meinsames Gedächtnis wird gefordert. Kann aus einer gemeinsamen Gedenkmoral eine Gedenkkultur entstehen? Wenn ja, was wären die Konstituanten dieser?

10. Können Gedenkstätten Träger einer Gedenkkultur oder Stifter dieser sein- sind sie es?

11. Wie kompensieren die Gedenkstätten den Übergang vom kommunikativen zum institutionellen Gedenken? Was können neue Iuk- Techniken leisten?

12. Neben Mahnmaldiskussion und öffentlichen Gedenkriten im politischen und gesellschaftlichem Leben und täglich neuen (künstlerischen) Initiativen ´Gegen das Vergessen` geraten die Gedenkstätten etwas ins Abseits. Was ist und wird zur größten Gefahr/ Konkurrenz für die Gedenkstätten als primäre Gedenkorte? (Gedenkroutine, Kommerzialisierung, Mahnmaldebatte)

13. Die KZ- Gedenkstätten als aktive Lernorte zur Entwicklung von Geschichtsbe-wusstsein, pädagogisch flankiert- nehmen für mich eine Schlüsselrolle- und Position ein. Trifft das 14 Jahre nach der Vereinigung zu?

14. Wo sehen Sie die Gedenkstätten in weiteren zehn Jahren? Welche Visionen haben Sie?

117

Typologien des Gedenkens

8. Literaturverzeichnis und Quellennachweis

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Die unbequeme Vergangenheit- NS-Vergangenheit, Holocaust und die Schwierigkeit des Erinnerns, Studien zu Politik und Wissenschaft, Wochenschau Verlag, Schwalbach, 2003, 2. Auflage

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Assmann, Aleida Erinnerungsräume- Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, Verlag C.H. Beck, München, 2003, Broschierte Sonderausgabe

Assmann, Jan Das kulturelle Gedächtnis- Schrift, Erinnerung und politische Identität in den frühen Hochkulturen, Verlag C.H. Beck, München, 2002, 4. Auflage

Assmann, Jan Kollektives und kulturelles Gedächtnis- Zur Phänomenologie und Funktion von Gegen-Erinnerung, S. 13-32, in: Borsdorf, Ulrich/ Grütter, Heinrich, Theodor (Hg.): Orte der Erinnerung- Denkmal, Gedenkstätte und Museum, Campus Verlag, Frankfurt/ New York, 1999

Assmuss, Burkhard/ Hinz, Hans-Martin

Zum Umgang mit historischen Stätten aus der Zeit des Nationalsozialismus - Orte des Erinnerns, des Gedenkens und der kulturellen Weiterbildung? Deutsch Historisches Museum, 1999, Berlin

Benz, Wolfgang Zukünftiges Gedenken, S.42-43, in: Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg (Hg.): Erinnerung und Begegnung: Gedenken im Land Brandenburg zum 50. Jahrestag der Befreiung, Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam, 1996

Bohnsack, Ralf Rekonstruktive Sozialforschung - Einführung in qualitative

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Methoden, Leske und Budrich, Opladen, 2003, 5. Auflage

Brumlik, Micha Gedenken in Deutschland, S. 115- 130, in: Platt, Kristin/ Heil, Susanne (Hg.): Generation und Gedächtnis - Erinnerungen und kollektive Identitäten, Leske und Budrich, Opladen, 1995

Brumlik, Micha Individuelle Erinnerung - kollektive Erinnerung -

Psychosoziale Konstitutionsbedingungen des erinnerden Subjekts, S. 31-45, in: Loewy, Hanno/ Moltmann, Bernhard (Hg.): Erlebnis-Gedächtnis-Sinn: authentische und konstruierte Erinnerung, Frankfurt a.M., Campus Verlag, 1996.

Bude, Heinz Die Erinnerung der Generation, S. 69-85, in: König, Helmut/ Kohlstruck, Michael/ Wöll, Andreas (Hg.): Vergangenheits-bewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, Westdeutscher Verlag, Opladen, 1998, Leviathan- Zeitschrift für Sozialwissenschaft, Sonderheft 18

Diner, Dan Kreisläufe - Nationalsozialismus und Gedächtnis, Berlin Verlag, Berlin, 1995, S. 60-111

Diner, Dan Massenvernichtung und Gedächtnis - Zur kulturellen Strukturierung historischer Ereignisse, S. 47-55, in: Loewy, Hanno/ Moltmann, Bernhard (Hg.): Erlebnis-Gedächtnis-Sinn: authentische und konstruierte Erinnerung, Frankfurt a.M., Campus Verlag, 1996.

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Dittberner, Jürgen Schwierigkeiten mit dem Gedenken - Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen/ Wiesbaden, 1999

Endlich, Stefanie Ein authentischer Ort, ein konkretes Ereignis - Die „Passagen“ für Walter Benjamin im Kontext der aktuellen Denkmals-Diskussion, S. 73-110, in: Ingeborg Siggelkow (Hg.): Gedächtnisarchitektur: Formen privaten und öffentlichen Gedenkens, Peter Lang GmbH, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main, 2001, Kulturwissenschaften, Band 1

Georgi, Viola, B. Jugendliche aus Einwanderfamilien und die Geschichte des

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Hockerts, Hans Günter

Zugänge zur Zeitgeschichte: Primärerfahrungen, Erinnerungskultur, Geschichtswissenschaft, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 28/ 2001, S. 15-30.

Hölscher, Lucian Erinnern und Vergessen - Vom richtigen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit, S.111-127, in: Borsdorf, Ulrich/ Grütter, Heinrich, Theodor (Hg.): Orte der Erinnerung- Denkmal, Gedenkstätte und Museum, Campus Verlag, Frankfurt/ New York, 1999

Horkheimer, Max/ Adorno, Theodor, W.

Dialektik der Aufklärung - Philosophische Fragmente, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 2003, limitierte Sonderausgabe

Jann, Werner Staatliche Programme und „Verwaltungskultur“ - Bekämpfung des Drogenmißbrauchs und der Jugendarbeitslosigkeit in Schweden, Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich, Opladen, 1983

Jeismann, Michael Auf Wiedersehen Gestern- Die deutsche Vergangenheit und die Politik von morgen, Deutsche Verlags- Anstalt, Stuttgart/ München, 2001

Kirchberg, Volker Das Holocaust-Mahnmal in Berlin - Zwischen öffentlichem Auftrag und privater Erfüllung, S. 51-72, in: Ingeborg Siggelkow (Hg.): Gedächtnisarchitektur: Formen privaten und öffentlichen Gedenkens, Peter Lang GmbH, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main, 2001, Kulturwissenschaften, Band 1

Korn, Salomon Geteilte Erinnerung - Holocaust-Gedenken in Deutschland, S. 231-342, in: Borsdorf, Ulrich/ Grütter, Heinrich, Theodor (Hg.): Orte der Erinnerung- Denkmal, Gedenkstätte und Museum, Campus Verlag, Frankfurt/ New York, 1999

Kölsch, Julia Politik und Gedächtnis: Die Gegenwart der NS-Vergangenheit als politisches Sinnstiftungspotenzial,S. 137- 150, in: Bergem Wolfgang (Hg.): Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungsdis-kurs, Leske und Budrich, Opladen, 2003

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König, Helmut: Die Zukunft der Vergangenheit – Der Nationalsozialismus im politischen Bewusstsein der Bundesrepublik, Fischer Taschenbuch Verlags GmbH, Frankfurt am Main, 2003

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Meier, Christian Vierzig Jahre nach Auschwitz - Deutsche Geschichtserinnerung heute, Verlag C.H. Beck, München, 1990, 2. erweiterte Auflage

Meyer, Erik Erinnerungskultur als Politikfeld - Geschichtspolitische Deliberation und Dezision in der Berliner Republik, S. 121-137, in: Bergem Wolfgang (Hg.): Die NS-Diktatur im deutschen Erinnerungsdiskurs, Leske und Budrich, Opladen, 2003

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Puvogel, Ulrike Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus - Eine Dokumentation, Einleitung, Verlag Edition Hentrich, Berlin, 1999, Bundeszentrale für politische Bildung, Band II

Reichel, Peter Erfundene Erinnerung – Weltkrieg und Judenmord in Film und Theater, Carl Hanser Verlag, München/ Wien, 2004

Reichel, Peter Politik mit der Erinnerung- Gedächtnisorte im Streit um die nationalsozialistische Vergangenheit, Carl Hanser Verlag München/ Wien, 1995

Rinsche, Cordula Orte des Gedenkens, S.25-36, in: Ministerium für

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Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg (Hg.): Erinnerung und Begegnung: Gedenken im Land Brandenburg zum 50. Jahrestag der Befreiung, Verlag für Berlin-Brandenburg, Potsdam, 1996

Rosh, Lea „Die Juden, das sind doch die anderen - Der Streit um ein deutsches Denkmal, Philo Verlagsgesellschaft mbH, Berlin/ Wien, 1999, S.11-150

Rüsen, Jörn Trauer als historische Kategorie- Überlegungen zur Erinnerung an den Holocaust in der Geschichtskultur der Gegenwart, S. 57-77, in: Loewy, Hanno/ Moltmann, Bernhard (Hg.): Erlebnis-Gedächtnis-Sinn: authentische und konstruierte Erinnerung, Frankfurt a.M., Campus Verlag, 1996.

Schwan, Gesine Politik und Schuld - Die zerstörerische Macht des Schweigens, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 1997

Sedlaczek, Dietmar

Zum Einsatz non Neuen Medien in Gedenkstätten, S. 97-104, in: KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hg.): Museale und mediale Präsentation in KZ-Gedenkstätten - Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Edition Temmen, Bremen, 2001

Siggelkow, Ingeborg

Das Denkmal im öffentlichen Raum: Kunstwerk und politisches Symbol, S. 111-120, in: Ingeborg Siggelkow (Hg.): Gedächtnisarchitektur: Formen privaten und öffentlichen Gedenkens, Peter Lang GmbH, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main, 2001, Kulturwissenschaften, Band 1

Stephan, Cora Der Betroffenheitskult - Eine politische Sittengeschichte, Rowohlt Verlag GmbH, Berlin, 1993

von Meer, Antje Zur Neukonzeption der brandenburgischen Gedenkstätten, S.18-26, in: Dittberner, Jürgen/ von Meer, Antje (Hg.): Gedenkstätten im vereinten Deutschland - 50 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager, Edition Hentrich, Berlin, 1994, Schriftenreihe der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Band Nr. 2, 1. Auflage

von Weizsäcker, Richard

Vier Zeiten - Erinnerungen, Wolf Jobst Siedler Verlag GmbH, Berlin, 1997

Weidenfeld, Werner/ Korte Karl-Rudolf (Hg.)

Handbuch zur deutschen Einheit- 1949-1989-1999, Campus Verlag Frankfurt am Main, Bonn, 1999, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe, Band 363

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Weiß, Matthias Sinnliche Erinnerung - Die Filme „Holocaust“ und „Schindlers Liste“ in der bundesdeutschen Vergegenwärtigung der NS-Zeit, S. 71-102, in: Frei, Norbert/ Steinbacher, Sybille (Hg.): Beschweigen und Bekennen- Die deutsche Nachkriegsgesellschaft und der Holocaust, Wallstein Verlag, Göttingen, 2001

Wossidlo, Joachim Das endliche Fleisch und das unendliche Leben - Von der Tötung des Todes im kollektiven Gedächtnis - Gedanken eines Ethnologen zum Umgang mit Leichen in Berlin, S. 1-17, in: Ingeborg Siggelkow (Hg.): Gedächtnisarchitektur: Formen privaten und öffentlichen Gedenkens, Peter Lang GmbH, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main, 2001, Kulturwissenschaften, Band 1

Quellennachweis:

Interview mit dem KZ-Gedenkstättenleiter Herrn Dr. Peter Rahe in der Gedenkstätte Bergen-Belsen am 4. März 2004, 18 Seiten

Interview mit dem Direktor der Brandenburgischen Gedenkstätten Herrn Prof. Dr. Günter Morsch in Oranienburg am 9. März 2004, 15 Seiten

Interview mit dem KZ-Gedenkstättenleiter Herrn Dr. Jens-Christian Wagner in Nordhausen am 13. April 2004, 13 Seiten

Geschäftsordnung der unselbständigen Stiftung der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, 2002

Internetquellen:

Deutscher Bundestag (Hg.): Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion, http://www.bundestag.de/parlament/index.html, Deutscher Bundestag, Drucksache 15/1874, 15. Wahlperiode, Stand 2. Juni 2004.

Mitteldeutscher Rundfunk (Hg.):http://www3.mdr.de/kulturreport/110104/thema/_5.html, Stand: 19. Juni 2004.

Universität Essen, Untersuchung zum Leseverhalten von Kindern, http://www.uni-essen.de/literaturwissenschaft-aktiv/Vorlesungen/lektuere/litsoziali.htm, Stand 16. Mai 2004.

123

Ehrenwörtliche Erklärung

Ich versichere, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne unerlaubte Hilfe

Dritter verfasst und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel

verwendet habe. Die Passagen, die aus Veröffentlichungen stammen, sind kenntlich

gemacht.

Diese Arbeit lag in gleicher oder ähnlicher Weise noch keiner Prüfungsbehörde vor

und wurde bisher noch nicht veröffentlicht.

…………….

Ort, Datum Unterschrift