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Aus dem Inhalt 150 Jahre Verwaltungsgerichtsbarkeit Richterreise in die Innere Mongolei Deutsche Verwaltungsgerichte: VG Trier

Heft 4 (8,2 MiB)

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Aus dem Inhalt

150 Jahre Verwaltungsgerichtsbarkeit

Richterreise in die Innere Mongolei

Deutsche Verwaltungsgerichte:VG Trier

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Adressänderungen:

RinVG Antonia KästleVerwaltungsgericht BerlinKirchstraße 7, 10557 BerlinTelefon: 030/[email protected]

WERBEANZEIGENRiVG Dr. Justus RindVerwaltungsgericht BerlinKirchstraße 7, 10557 BerlinTelefon: 030/[email protected]

Zur Zeit gilt Anzeigenpreisliste Nr. 12

INTERNET www.bdvr.de www.verwaltungsgerichtstag.de

Namentlich gekennzeichnete Beiträge stellen die Meinung der Autoren dar.Die Redaktion behält sich die Kürzung von Beiträgen vor. Unverlangteingesendete Manuskripte – für die keine Haftung übernommen wird –gelten als Veröffentlichungsvorschlag. Veröffentlichte Fotos stammenvon „privat“, sofern diese nicht namentlich gekennzeichnet sind.

Impressum

Manuskripte und Zuschriften:

RiVG Markus RauVerwaltungsgericht BerlinKirchstraße 7, 10557 BerlinTelefon: 030/[email protected]

Inhalt

BDVR-Rundschreiben 04|2013

218

188

179

Editorial

PersonaliaGrußwort zum Jahreswechsel . . . . . . . . . . . . . . .

Die nächste Redaktionssitzung findet im Februar 2014 statt.Der Abgabeschluss für Beiträge und Artikelist am 17. Februar 2014.

HERAUSGEBER

Bund Deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungs-richterinnen (BDVR)Deutscher Verwaltungsgerichtstag e.V.Kirchstraße 7, 10557 Berlin

V.i.S.d.P.

Christiane StoppVerwaltungsgericht BerlinKirchstraße 7, 10557 Berlin

LAYOUT UND DRUCK

Reichert Druck + VerlagQuellenstr. 24, 65321 Heidenrod-Mappershain

REDAKTIONRudolf Böcker, Dr. Nicole Castillon, Antonia Kästle,Dr. Claudia Perlitius, Markus Rau, Dr. Justus Rind, Kai-Christian Samel, Rautgundis Schneidereit, Christiane Stopp

BVerwG, 20.6.2013: Statusamt als Maßstab . . . . . . . . . .

210

Deutsche Verwaltungsgerichte

VG Trier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Rechtsprechung

Europa

Reise nach Straßburg zum EGMR . . . . . . . . . . . 197

Berlin-Brandenburg: Neuer Präsident des OVG . .

Brandenburg: Nachruf Kurt F. Hohndorf . . . . . . . .

Niedersachsen: Nachruf Eike Ingwer Schmidt . . . . Präsidentenamtswechsel VG Braunschweig . . . . . . . . . . . Präsidentenamtswechsel VG Lüneburg. . . . . . . . . . . . . . . Neuer Vizepräsident VG Braunschweig . . . . . . . . . . .

195

Hundertundfünfzig JahreVerwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . .

190

193

Festakt 150 JahreVerwaltungsgerichtsbarkeit in Karlsruhe . . . . . . .

Richterreise in die Innere Mongolei . . . . . . . . . .

202

Aus dem BDVR und e.V.

Mitgliederversammlung in Berlin . . . . . . . . . . .

212

Verwaltungsgerichtsbarkeit

Kleiner Verwaltungsgerichtstag 2014 . . . . . . . . 202

208

Aus den MitgliedsverbändenBaden-Württemberg: Stellungnahme zu

Stufenvertretungen . . . . . .Berlin: Stellungnahme Evaluierung

des Richtergesetzes . . . . . . . . . . . . . . .

204

206Mecklenburg-Vorpommern: Vorstandswechsel . . .

208Nordrhein-Westfalen: Mitgliederversammlung . . . Verfassungsklage . . . . . . . .

Nordrhein-Westfalen: Amtswechsel Vizepräsident VG Aachen . . .

216

180

Überholt! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Aktuelle Entscheidungen von EuGH und EGMR . . 198

210

211

213

215

218

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BDVR-Rundschreiben 04|2013 179

Grußwort zum Jahreswechsel

Editorial

von Vorsitzendem Richter am Verwaltungsgericht Dr. Christoph Heydemann, Vorsitzender des BDVRund des Deutschen Verwaltungsgerichtstags e. V.

150 Jahre Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland - imJahr 1863 sind in Baden die gesetzlichen Grundlagen ge-schaffen worden, im Jahr 1864 nahm der Badische Verwal-tungsgerichtshof die Arbeit auf. Wenn wir die Entwicklungder Verwaltungsgerichtsbarkeit bis in die Gegenwart Revuepassieren lassen, können wir zufrieden sein. Die Verwaltungs-rechtsprechung braucht den Vergleich mit den Spruch-tätigkeiten der Arbeits-, Finanz-, Sozialgerichtsbarkeit undder ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland nicht zuscheuen und erst recht nicht die Konkurrenz mit denVerwaltungsgerichtsbarkeiten im europäischen Ausland. Diemoderne deutsche Verwaltungsrechtsprechung pflegt durch-weg ein Rechtsgespräch, in dem sich die Beteiligten mit ihrenAnliegen und Interessen verstanden fühlen können. Sieschlichtet oder richtet inzwischen in angemessener Zeit undfasst ihre schriftlichen Entscheidungen weitestgehend sorg-fältig begründet und gut verständlich ab. Sie zeigt sich demdemokratischen Gesetzgeber und den Grundrechten ver-pflichtet und geriert sich nicht als selbstherrlicher Staat imStaate. Wir erfahren von Bürgern, Rechtsanwälten, Hoch-schullehrern Lob dafür.

Können wir zufrieden sein? Die immer wiederkehrendenUmfragen nach der Wertschätzung von Berufsgruppen ver-mitteln uns eine trügerische Sicherheit. Feuerwehrleutesind besonders beliebt (zu Recht), und doch wird von Zeitzu Zeit hier und da ein Brandstifter aus ihren Reihen über-führt. Bislang hat das dem Berufsstand nicht geschadet.Im Jahr 2013 hat es in der deutschen Justiz gebrannt. DieDiskussionen über die Presseplätze im NSU-Prozess unddie Fortdauer der Unterbringung von Herrn Mollath habennicht nur dem Ansehen der ordentlichen Gerichtsbarkeit,sondern der gesamten deutschen Justiz geschadet. Dassind keine Sonderprobleme der Strafgerichte, die Justizkann auf jedem Rechtsweg ins Stolpern geraten. Es wärezu billig, sogar falsch, dafür die Medien verantwortlich zumachen. Der Gesetzgeber hat es versäumt (und will dembald abhelfen), bei einem dem öffentlichen Interesse nichtgerecht werdenden Platzangebot in Ge-richtssälen Lösun-gen anzubieten; auch das Unterbringungsrecht wird einerÜberprüfung unterzogen. Manch ein Gericht verhält sichungeschickt, wenn außergewöhnliche Gerichtsverfahrenanstehen oder die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit dasbisher bekannte Ausmaß überschreitet. Und natürlich fäl-len Richter manchmal Fehlurteile. Was allerdings neu zusein scheint, ist der Eifer, mit dem die Presse nicht nurden jeweiligen Einzelfall kritisierte, sondern das „Rechts-system“, garniert mit Richtercharakterisierungen, die anden objektiven Tatbestand des § 185 StGB denken ließen.Wenn manche Politiker beklagen, dass seit dem Umzugder Hauptstadt von Bonn nach Berlin von den Medien einschärferer Wind ausgehe und sich die politischen Akteurewärmer anziehen müssten, so scheint die neue Großwet-terlage auch auf die Gerichtsberichterstattung überzugrei-

Für den Verband brachte das Jahr 2013 als Höhepunkteden 17. Deutschen Verwaltungsgerichtstag in Münstersowie die Neufassung der Satzungen des BDVR und deseingetragenen Vereins Deutscher Verwaltungsgerichtstagmit sich. Ein trauriges Ereignis war der Tod unseres Kolle-gen Kurt Hohndorf, des langjährigen Vorsitzenden der Ver-einigung der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungs-richter des Landes Brandenburg, der am 2. Juli im 68.Lebensjahr verstarb. Wer als Delegierter an der Mitglieder-versammlung des BDVR im November 2010 in Potsdamteilgenommen hatte, wird sich an ihn als hervorragendenOrganisator und liebenswürdigen Gastgeber erinnern.

Der Vorstand des Bundes Deutscher Verwaltungsrichterund Verwaltungsrichterinnen und die Redaktion desBDVR-Rundschreibens wünschen Ihnen und Ihrer Fami-lie ein besinnliches Weihnachtsfest und für das Jahr 2014Gesundheit und Zufriedenheit!

fen. Das Richtergehalt wäre dann auch ein Schmerzens-geld. Die Landesgesetzgeber sollten das bei der ohnehinnotwendigen Korrektur der unzureichenden Besoldung be-denken. Und uns Verwaltungsrichterinnen und -richternsollte bewusst sein, dass wir uns das in der Vergangenheiterarbeitete Ansehen und Vertrauen täglich neu verdienenmüssen.

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BDVR-Rundschreiben 04|2013180

Verwaltungsgerichtsbarkeit

Hundertundfünfzig JahreVerwaltungsgerichtsbarkeitvon Prof. em. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Stolleis, Frankfurt am Main*

„Wer mit Hilfe juristischer Erkenntnismethodenlaufend Unbestimmtes in Bestimmtes verwandelt,webt in der Tat an einem Stoff mit ungewöhnlichfeinem Garn“ (E. Franßen, DVBl 1998, 413 ff.).

Die Verwaltungsgerichtsbarkeit feiert 2013 ihren 150. Ge-burtstag. Der Rückblick zeigt eine wechselvolle Geschich-te mit deutschen Besonderheiten. Die Rechtsprechung,noch weit in das 19. Jahrhundert hinein als entweder demMonarchen oder jedenfalls dem Gesetzgeber unterstellteInstitution angesehen, sollte nun im „Rechtsstaat“ die ideellvom Monarchen beherrschte Verwaltung kontrollieren. Wiedas geschehen sollte, war Gegenstand langer, durch Kom-promisse beendeter Auseinandersetzungen. Andere euro-päische Länder bildeten keine Verwaltungsgerichtsbarkeitaus, betonten die Unabhängigkeit der Exekutive oder lö-sten die Kontrolle der Staatstätigkeit innerhalb der ordent-lichen Justiz. In Deutschland wuchs die Verwaltungs-gerichtsbarkeit von ihren Anfängen in Baden (1863) aufder Landesebene, komplettierte sich vor dem Ersten Welt-krieg weitgehend, sah sich aber im Nationalsozialismusäußerst gefährdet, wenngleich auf der Reichsebene schein-bar abgeschlossen. Sie komplettierte sich erst in der Bun-desrepublik mit drei Instanzen und einer dauerhaftenrechtsstaatlichen Judikatur, während sie in der DDR schon1952 eingestellt wurde. Da sich die in ihr aufbewahrtenPrämissen des 19. Jahrhunderts nach zwei Generationenstark gewandelt haben und zudem ein europäisches Ver-waltungsrecht entstanden ist, steckt die Zukunft derVerwaltungsgerichtsbarkeit voller Herausforderungen.

I.Die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist der Prüfstein desRechtsstaats. Sie garantiert gerichtsförmigen Schutz derRechte des Bürgers und Einhaltung der Rechtsregeln durchden Staat. Zum heutigen Anlass, der Erinnerung an ihrenBeginn vor 150 Jahren, bedarf es keiner detaillierten Ge-schichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit ihren länder-spezifischen Verästelungen, ihrem Zusammenwachsen undihrer Rekonstruktion und Homogenisierung von 1863 bisheute. Es hat schon viele Jubiläen und Rückblicke auf Lan-des- und Bundesebene gegeben, dokumentiert vor allemin der Festschrift „Staatsbürger und Staatsgewalt“ zum hun-dertjährigen Bestehen der Verwaltungsgerichtsbarkeit1 ,ebenso in landesspezifischen Festschriften für Oberverwal-tungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe, in Dissertatio-nen und zahllosen Aufsätzen. Man kann heute sagen, dassdie meisten Details der Gesetzgebungsgeschichte zumöffentlichrechtlichen Rechtsschutz seit 1806 und seit 1863ausgeleuchtet sind2 . Das gleiche gilt auch für die denkba-ren Vorgeschichten des Reichskammergerichts und desReichshofrats, wenn es denn Vorgeschichten waren. Auchzur Rechtsprechung einzelner Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe liegen heute zunehmend

dichter werdend Untersuchungen vor3 . Dies gilt sogar fürdie kurze Geschichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit in derDDR bis 19524 .

Auch die aktuellen Probleme der Verwaltungs-gerichtsbarkeit und die damit verbundenen positiv-rechtlichen Fragen können hier nicht behandelt werden.Dazu gehörte etwa die Grenzziehung zur Verfassungs-gerichtsbarkeit. In der Frühzeit der Bundesrepublik hätteman dies nicht als Problem angesehen, aber seit der um-fassenden Durchdringung der gesamten Rechtsordnungmit der „Wertordnung“ des Grundgesetzes, die bekannt-lich mit dem Lüth-Urteil von 1958 einsetzt, ist dieseGrenzziehung keineswegs mehr einfach. Verwaltungs-richter prüfen implizit auch Verfassungsfragen, Verfas-sungsrichter gehen gelegentlich und unvermeidlich inverwaltungsrechtliche Einzelfragen. Weiter ist dieGrenzziehung zur Rechtsprechung des EuGH durch dieumfassende Durchdringung unserer Rechtsordnung mitEuroparecht keineswegs einfach. Ebenso könnte man sicherneut mit dem alten und immer neuen Thema der Span-nungen zwischen Verwaltung und verwaltungsgerichtlicherRechtsprechung auseinandersetzen. Die Stichworte„Kontrolldichte“, Ermessenskontrolle, Beurteilungs-spielräume, Grenzen der Generalklausel, „justizlose Ho-heitsakte“ oder das flexible Instrumentarium modernerRegulierung (Governance)5 vor den Toren der gesetzes-gebundenen Verwaltungsgerichtsbarkeit mögen als Stich-worte genügen6 . Die technische und politische Komple-xität von Großvorhaben und die damit verbundenenoffenen Suchprozesse nach Lösungen lassen das tradi-tionelle Modell der „Rechtsanwendung“ (Obersatz, Unter-satz, Subsumtion) veraltet erscheinen. Schließlich wirdmit der vielfältigen Privatisierung öffentlicher Aufgabenauch die ehemals so klare Trennung zwischen Privatrechtund Öffentlichem Recht zunehmend verwischt. Dahinterverbirgt sich die schrittweise Überwindung des klassischenTrennungsmodells von Staat und Gesellschaft des 19.Jahrhunderts durch den Übergang in die moderne,interventionistische Industriegesellschaft.

Was mit diesen Stichworten angedeutet wird, sind histori-sche Prozesse, Akzentverschiebungen und Suchbe-wegungen der öffentlichen Ordnung seit 150 Jahren, wel-che Juristen mit einem fachlichen, an die Gesetzeslageangepassten Vokabular zu begreifen pflegen, die aber Hi-storiker, Politikwissenschaftler, Ökonomen oder Soziologenganz anders beschreiben. Es lohnt sich, denke ich, nocheinmal ins 19. Jahrhundert zurückzukehren, um dieSpezifika der Entstehung der deutschen Verwaltungs-gerichtsbarkeit im europäischen Kontext zu beobachten.

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Verwaltungsgerichtsbarkeit

II.Am 6. August 1806 trat Außenminister Graf Philipp Stadi-on auf den Balkon der Wiener Hofburg und verkündete dasEnde des Hl. Römischen Reichs Deutscher Nation. Das warnicht nur die Abdankung des Kaisers, sondern der Zusam-menbruch einer schon lange als ruinös angesehenen öf-fentlichen Ordnung. Reichskammergericht und Reichshofratverschwanden – und damit auch der in den so genanntenUntertanenprozessen gewährte Rechtsschutz7 . Schon zu-vor, 1803, waren zahlreiche Territorien und freie Reichs-städte als politische Einheiten untergegangen. Einige derneuen Staaten gaben sich Verfassungen und ordneten kraftder ihnen nun zustehenden vollen Souveränität ihre Ge-richtsbarkeiten neu, andere – speziell Preußen und Öster-reich – vermieden Verfassungsbindungen, stellten die in-ternen Reformbemühungen ein und stabilisierten die alteOrdnung, mehr oder weniger auch die alten Gerichts-verfassungen. Nicht umsonst heißt die Epoche „Restau-ration“. An einen speziellen Schutz von Untertanenrechtenoder gar Grundrechten durch unabhängige Richter warzunächst nicht zu denken. Die verwaltungsinternen Rekur-se in der fast notwendig parteiischen Kammer- oderAdministrativjustiz leisteten dies nicht. Sie wurden vonaußen angegriffen und von innen verteidigt8 . Nur eine kon-sequentere Trennung von Verwaltung und Justiz versprachAbhilfe9, nur von der ordentlichen Justiz erwartete man sichBesserung, vorausgesetzt, man erweiterte ihre Kompeten-zen. Sie wurde zum Hoffnungsträger der Liberalen im Vor-märz. In § 182 der Paulskirchenverfassung hieß es folg-lich „Die Verwaltungsrechtspflege hört auf; über alleRechtsverletzungen entscheiden die Gerichte. Der Polizeisteht keine Strafgerichtsbarkeit zu“.

Der Obrigkeitsstaat des Ancien Régime sollte sich alsoendlich, so die überwiegende Meinung in der Paulskirche,der Verfassungsbindung, den Prinzipien der Gewaltentei-lung und des Rechtsstaats unterwerfen. Aber wie? Dafürkam in der damaligen Sicht nur die liberale ordentlicheJustiz in Frage. Ihre Richter gehörten zum Bildungs-bürgertum, waren gut ausgebildet und vielfach wissen-schaftlich interessiert, wie ihre Präsenz in den Zeitschrif-ten belegt10 . Ihr Feld war das „heute geltende römischeRecht“, daneben in geringerem Umfang das Strafrecht.Dagegen hatte sich das öffentliche Recht im politischenRahmen des Vormärz nur schwach entfalten können, etwaals allgemeines Staatsrecht des Deutschen Bundes. Ver-waltungsrecht wurde erst gegen Ende des 19. Jahrhun-derts als Vorlesung verbindlich. Anfang des 20. Jahrhun-derts gelangte es in die Referendarprüfung.

Mit dem Scheitern der Nationalbewegung 1848/49 setzteeine neue Welle der Restauration und der Disziplinierungder Justiz ein11 . Immer noch wurde die Justiz – wie wäh-rend des Absolutismus und bis 1848 – als Teil der Exe-kutive angesehen. Der obrigkeitliche Staat misstrauteeiner bürgerlich-liberalen Justiz, vor allem da, wo sie inden Verdacht geriet, sie wolle die Administration, dieBeamtenschaft, also den monarchischen Kernbereichkontrollieren, rechtlich belehren und mit Hilfe vonVerfassungsprinzipien korrigieren.

Ganz anders in Frankreich. Dort herrschte, ungeachtet derrevolutionären Ausbrüche von 1830 und 1848, die Über-zeugung, die Entscheidung des souveränen Gesetzgebers,also der volonté générale, binde Exekutive und Judikati-ve gleichermaßen, und zwar als Gleichrangige. Nach derstrengen Doktrin der Gewaltentrennung war es nicht denk-bar, einen Richter „über“ die Verwaltung entscheiden zulassen12 . Der Wissenschaft blieb die „Exegese“. DerStaatsrat (Conseil d’État) verfügte zwar über die Kompe-tenz der „justice administrative“, kämpfte aber im We-sentlichen um seine Mitwirkung bei der Gesetzgebung.Er wurde im 19. Jahrhundert weder Verfassungsgerichtnoch Verwaltungsgerichtshof13 .

Ganz anders auch England, das seine autochthone Be-sonderheit des Common Law bewahrte und mangels ei-ner geschriebenen Verfassung weder eine Verfassungs-gerichtsbarkeit kannte noch (neben Civil Procedure undCriminal Procedure) eine Verwaltungsgerichtsbarkeit. Eswar Sache der “ordinary courts”, ihre historische Funkti-on „ of protecting the rights of the citizen against theexecutive” wahrzunehmen14 . Auch die skandinavischenkonstitutionellen Monarchien sahen keinen Anlass zurAusbildung spezieller Verwaltungsgerichte. Einen im All-tag spürbaren Konflikt zwischen verfassungsgebundenermonarchischer Gewalt und bürgerlicher Gesellschaft gabes dort nicht15 .

III.In Deutschland aber gab es diesen Konflikt. Seit der Auf-klärung polemisierte das aufsteigende Bürgertum gegenAbsolutismus, Vielregiererei, Willkür und fehlendenRechtsstaat. Um 1800 wurde das Wort „Rechtsstaat“populär16 . Aus der Spätphilosophie Kants stammend,geriet es zum liberalen Schlagwort. In der Zeit nach 1850,als die Hoffnungen auf einen freiheitlichen, demokrati-schen Nationalstaat zusammengebrochen waren, als abergleichzeitig der Wirtschaftsliberalismus herrschend wur-de, rief man verstärkt nach Rechtsstaat, sei es, um denVerlust politischer Mitwirkung zu kompensieren, sei es,um der von Handelsschranken befreiten Ökonomie ihreRechtssicherheit zu geben. Für den Rechtsschutz gegenrechtswidrige Akte der Exekutive gab es nun, in densechziger Jahren, nur noch zwei wirklich diskutable Vor-schläge, entweder die Kompetenzerweiterung der ordent-lichen Justiz oder eine eigenständige öffentlichrechtlicheVerwaltungsgerichtsbarkeit. Das wurde wissenschaftlichdiskutiert17 , war aber vor allem politisch auszuhandeln,und zwar mit Staatsführungen, die mehr oder wenigerohne Ausnahme das monarchische Prinzip verteidigten,die Parlamente und richterliche Kontrolle gleichermaßenals lästige Hemmnisse des gestaltenden monarchischenWillens und seiner Regierungen betrachteten.

Die Kompromisse wurden im Zuge der Verwaltungs- undJustizreformen der frühen siebziger Jahre ausgehandelt,exemplarisch im Großherzogtum Baden18 . Dort hatte mandazu schon 1849 einen vergeblichen Versuch gemacht19 .Erst in der liberalen Ära ab 1860 konnte es dann gelin-gen. Das Gesetz, die Organisation der inneren Verwaltung

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Verwaltungsgerichtsbarkeit

betreffend vom 5. Oktober 1863 (§§ 15–19), ist der ei-gentliche Grund, warum wir uns heute hier versammelthaben. Die Polizei verlor ihre eigenständige Strafgewalt,als erste Instanz der Verwaltungsgerichte wurden Bezirks-räte geschaffen, mit Laien unter dem Vorsitz des Bezirks-beamten besetzt, Zwitter gewissermaßen zwischen Ver-waltung, Volkes Stimme und Gerichtsbarkeit. In zweiterInstanz dann ein Verwaltungsgerichtshof mit Berufs-richtern und einem „Vertreter des Staatsinteresses“. Fürdie Zuständigkeiten galt das Enumerationsprinzip, aberdas Gericht fand auch Wege, über die Frage der Kosten-erstattung zu impliziten Entscheidungen über die an sichnicht aufgezählten Polizeimaßnahmen zu kommen.

Der Kompromiss zwischen dem monarchischen Prinzip, derallgemeinen Forderung nach „Rechtsstaat“ und dem An-spruch der Verwaltungsgerichtsbarkeit, unabhängige Drit-te Gewalt zu sein, war das Ziel, das nun überall verfolgtwurde, auch und vor allem im weitaus größten deutschenStaat Preußen20 . Auch hier war eine Verwaltungsreformder Auslöser, diejenige der Kreisordnung von 1872, auchhier führte sie 1875 in der ersten Instanz zu „Kreisaus-schüssen“, um die Sorge zu bannen, es könnten der Ver-waltung fernstehende Zivilrichter über Fragen entscheiden,von denen sie nichts verstünden. Darüber stand dann inzweiter Instanz das unabhängige, gute besoldete und raschsehr angesehene Preußische Oberverwaltungsgericht21 .Der Kompromiss zeigt sich auch in der Kombination vonEnumerativprinzip und Generalklausel bei Polizeisachen22 .

Wer der Vater dieses Kompromisses war, muss hier nichtdiskutiert werden. Carl Hermann Ule hat jedenfalls über-zeugend nachgewiesen, dass es eine diesbezüglicheGneist-Legende gibt und dass Gneist eher ständisch-ob-rigkeitliche als demokratische Vorstellungen verfolgte23 .Die ungestörte Arbeit der Verwaltung war für ihn ein ho-hes Gut24 . Mindestens so wichtig wie Gneist waren derInnenminister Friedrich Albrecht Graf Eulenburg sowie diehohen Beamten Paul Persius25 , Max von Brauchitsch, KarlHeinrich von Boetticher und andere. Aber auf eine ge-naue Gewichtung der Anteile kommt es hier nicht an.Entscheidend ist vielmehr, dass das für die Herausbildungdes öffentlichrechtlichen Rechtsschutzes und für die Her-ausbildung des modernen Verwaltungsrechts, speziell imPolizeirecht26, so wichtige Gericht gewissermaßen dieGeburtsmerkmale des 19. Jahrhunderts an sich trug: Diegesicherte Prärogative der monarchischen Verwaltung inder ersten Instanz, aber eben auch die Postulate derGewaltenteilung und des Rechtsstaats in der zweiten.

Die soeben skizzierte Kompromisslinie zeigt sich mit wech-selnden Facetten auch in den Königreichen Württembergund Bayern27 , im Großherzogtum Hessen28 sowie in demrelativen Spätling, dem Königreich Sachsen, das sich1900 dieser Entwicklung anschloss29. Auch hier die Kreis-hauptmannschaften als praxisnahe erste Instanz, zustän-dig nach Enumerativprinzip, auch hier eine sehr interes-sante, inzwischen relativ gut erforschte Rechtsprechung,speziell zur Ermessenskontrolle30 . Die verbleibenden Lük-ken in diesem länderspezifischen Flickenteppich warenzwar klein (Hamburg, Bremen, beide Mecklenburg,

Schaumburg-Lippe), aber inhaltlich war das ganze Gebil-de vom heutigen Stand noch weit entfernt31 . Kein ein-heitliches Verfahrensrecht, es gab eine, zwei oder drei In-stanzen, es gab die reine Generalklausel (Hamburg,Bremen, Lübeck) oder das reine Enumerativsystem, aberauch eine Kombination beider, es gab die generelle Ten-denz zu individuellem Rechtsschutz in Süddeutschlandund eine eher objektive Rechtskontrolle in Preußen. EineErmessensüberprüfung blieb Tabu, aber man wagte zag-hafte Anfänge. Über dem Ganzen fehlte immer noch dasDach eines Reichsverwaltungsgerichts, dafür gab es aber„Ämter“ für einige spezielle Gebiete, die eine vereinheit-lichende Rechtsprechung ausüben konnten (Sozialrecht,Patentrecht, Eisenbahn u.a.)32 . Das war der äußere Zu-stand bis zum Ersten Weltkrieg.

Der Zeitraum, der hier skizziert wird, ist freilich auch ex-akt derjenige, in dem sich die juristische Methode im Ver-waltungsrecht durchsetzte und der Allgemeine Teil ent-stand. Im Staatsrecht hatte sich die „juristische Methode“mit Gerber und Laband schon nach 1866 etabliert. Nundrängten auch im Verwaltungsrecht einzelne Autoren die„staatswissenschaftlichen“ Elemente zurück und konzen-trierten sich auf die aller Verwaltungstätigkeit eigentüm-lichen Rechtsfiguren. Friedrich Franz Mayer begann da-mit schon 1857, Franz von Holtzendorff folgte 1870,1875 Georg Meyer, 1884 Otto von Sarwey und EdgarLoening. 1881 wurde „Verwaltungsrecht“ an preußischenUniversitäten verbindlicher Lehrgegenstand. In Frankreichgingen Gabriel-Michel Dufour (1811-1868)33 , in ItalienVittorio Emanuele Orlando (1860-1952)34 vergleichbareWege, eine wissenschaftliche Disziplin des Verwaltungs-rechts zu schaffen, wissenschaftlich durch Isolierung desrechtlichen Elements von dem sie umgebenden staats-wissenschaftlichen Material. Das war nicht „positivistisch“,sondern eine Transzendierung des disparaten positiv-rechtlichen Materials mit dem Blick für das rechtlich We-sentliche, mit der Kraft der Reduktion von Komplexität,musterhaft durchgeführt 1895 von Otto Mayer, gefolgt vonFritz Fleiner, Ottmar Bühler, Walter Jellinek, JuliusHatschek, aber auch von mehreren Dänen und Schwe-den, die in Straßburg studiert hatten und zu Gründungs-vätern des Verwaltungsrechts in ihren Ländern wurden.In Deutschland verarbeiteten die Verwaltungsrechtler mitgrößtem Interesse die neue Rechtsprechung der Verwal-tungsgerichte, suchten sie nach verallgemeinerbarenSätzen und Rechtsfiguren ab und wirkten ihrerseits wie-der auf die Rechtsprechung zurück, sehr deutlich etwabei der Ermessenskontrolle35 . Verwaltungsrechts-wissenschaft und Rechtsprechung waren aufeinanderangewiesen, solange es keine Kodifikation des Allgemei-nen Teils gab. Bis 1960 (VwGO) und 1976 (VwVfG) hatdiese Symbiose von praxisbezogenen Theoretikern undtheoretisch denkenden Praktikern gehalten.

So hätte die Entwicklung weitergehen können. Die Reichs-verfassung von 1919 sah Verwaltungsgerichte im Reichund in den Ländern vor (Art. 107), die Pläne für dasReichsverwaltungsgericht wurden weiter verfolgt36 . Dieletzten Lücken verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes

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183BDVR-Rundschreiben 04|2013

Verwaltungsgerichtsbarkeit

schlossen sich während der Weimarer Zeit (ausgenom-men Schaumburg-Lippe). Aus der Rechtsprechung desPreußischen Oberverwaltungsgerichts entstand, wennman es so verkürzt sagen darf, das Polizeiverwaltungs-gesetz von 193137 . Die verwaltungsrechtlichen Zeitschrif-ten der Länder blühten, an der Spitze das PreußischeVerwaltungsblatt, das sich später zum „Reichs-verwaltungsblatt“ aufschwang38 .

IV.Aber die Entwicklung ging nicht so weiter. Die innerenKrisen der Weimarer Republik, die Belastungen durch denVersailler Vertrag, die Inflation, die Weltwirtschaftskrise –all dies mündete in die Agonie des Parlaments und in diePräsidialdiktatur der Kanzler Brüning, Papen und Schlei-cher, die ihrerseits am 30. Januar 1933 in den NS-StaatHitlers führte. Angesichts der Aufhebung der Grundrech-te, der Zerschlagung des Föderalismus, des Parteien-wesens und der Verfassung insgesamt war der Fortbe-stand der Verwaltungsgerichtsbarkeit sicher nur eineRandfrage. Sie blieb äußerlich zunächst noch intakt. Abersie gab auch dem Druck der Politik nach, verwendeteNS-Schlagworte, rückte den „Gemeinnutz“ in den Vorder-grund, versuchte zugleich „konservativ“ und „liberal“ zubleiben, etwa das Preußische Oberverwaltungsgerichtunter Bill Drews39 , das Sächsische Oberverwaltungsge-richt unter Herbert Schelcher40 oder der Badische VGH41.Aber erkennbar duldete der NS-Staat die Verwaltungs-gerichte als typische Produkte des 19. Jahrhunderts nurnoch, solange es opportun erschien. Innerhalb der NSDAPstritten sich Radikale und Gemäßigte über ihren Fortbe-stand. Dass Verhaftungen durch die Gestapo nicht mehrangefochten werden konnten, wurde als fast selbstver-ständlich akzeptiert, zumal es sogar im Gesetzblattstand42 . Mit Kriegsausbruch wurden die Verwaltungsge-richte sofort auf ein Minimum reduziert, und die Fallzahlengingen dramatisch zurück43 . Dass es 1941 noch zur Grün-dung eines Reichsverwaltungsgerichts kam, war ein trau-riger Witz, zumal ein erklärter Gegner des Verwaltungs-rechts dessen erster Präsident wurde. Die Unabhängigkeitder Verwaltungsrichter wurde gleich mit beseitigt44 . AmEnde standen nicht nur ungeheure Menschenopfer undein Land in Trümmern, sondern auch die Zerstörung derWeimarer Verfassung. Der Rechtsstaat als der Staat des„wohlgeordneten Verwaltungsrechts“, wie Otto Mayer ge-sagt hatte, und eben die Verwaltungsgerichtsbarkeit, dieden Rechtsstaat institutionell verkörperte, waren unter-gegangen. Ein sprechendes Bild: Im Badischen VGH, andessen Entstehung vor 150 Jahren wir heute auch erin-nern, saß dessen Präsident zuletzt allein am Schreibtisch,ohne andere Richter und ohne Fälle.

In der Sowjetischen Besatzungszone setzte sich dieMarginalisierung der Verwaltungsgerichtsbarkeit fast un-mittelbar nach 1945 fort. In einem verwickelten Hin undHer zwischen traditionellen Kräften (etwa in Thüringen45 ),den Vorstellungen der Sowjetischen Militäradministrationund der rasch erstarkenden Staatspartei SED wurden dieursprünglichen Absichten und Erklärungen, man wolle eineVerwaltungsgerichtsbarkeit einrichten, rasch erstickt46 .

1952 war es vorbei. Die DDR wollte keine Verwaltungs-gerichte, und zwar bis zu ihrem Ende, auch wenn Anfangdes Jahres 1989 noch ein schüchterner Versuch unter-nommen wurde, sie wieder einzuführen. Die Gründe wa-ren exakt die gleichen wie im NS-Staat. Ein System mitgeschlossener Weltanschauung und Totalitätsanspruchkann es nicht dulden, dass unabhängige Richter einenStaatsakt für rechtswidrig erklären. Das ist nichts ande-res als „Insubordination“, wie man im friederizianischenPreußen gesagt hätte.

V.Prinzipiell anders dachte man in den drei westlichen Be-satzungszonen. Dort herrschte die einmütige Absicht, denRechtsstaat in der Gestalt wieder zu errichten, wie manihn bis zum Ende der Weimarer Republik gekannt hatte –Modernisierungs- und Komplettierungsschritte einge-schlossen, etwa bei der Arbeits- und Sozialgerichtsbar-keit. Das Grundgesetz sprach insoweit eine deutlicheSprache: Unmittelbare Geltung der Grundrechte, umfas-sender Schutz gegen Rechtsverletzungen durch die öffent-liche Gewalt, Bindung an Gesetz und Recht, Unabhän-gigkeit der Gerichtsbarkeit, ausdrückliche Nennung desRechtsstaats in Art. 28, Ewigkeitsgarantie des Art. 79Abs. 3 Grundgesetz.

Aber bis es soweit war, bis die obersten Bundesgerichteund das Bundesverfassungsgericht zu arbeiten begannen,war eine verworrene und ungleiche Lage in den Besat-zungszonen entstanden. Eine die gesamte Verwaltungs-gerichtsbarkeit umspannende Prozessordnung gab esnicht47 . Zwar hatte der Kontrollrat 1946 die Wiederher-stellung der Verwaltungsgerichtsbarkeit angeordnet48 ,aber er entfaltete mit dem Ausbruch des Kalten Kriegeskeine ordnende Kraft mehr und war 1948 am Ende. Sogingen die Besatzungszonen und Berlin weiter eigeneWege49 . Die dann 1950 begonnenen Arbeiten an derVerwaltungsgerichtsordnung kamen erst in der dritten Le-gislaturperiode zum Abschluss50 . In der Fachliteratur gabes ein hörbares Aufatmen!

Inzwischen waren die Verwaltungsgerichte, die Oberverwal-tungsgerichte oder Verwaltungsgerichtshöfe sowie das vor60 Jahren (8. Juni 1953) eröffnete Bundesverwal-tungsgericht51 längst tätig. Sie hatten vor allem Kriegs-folgenfälle, Lastenausgleich, Vertriebenenfragen, die sog.131er Fälle, Entschädigungsansprüche aller Art zu ent-scheiden, aber auch die zentrale Frage, ob es einen ein-klagbaren Anspruch auf Fürsorge (die spätere Sozialhilfe)gebe. Der bayerische VGH machte hier 1949 den Anfang,das Bundesverwaltungsgericht setzte schon im ersten Bandseiner Entscheidungen den entscheidenden Punkt(BVerwGE 1, 159). 1960 stand schließlich im Gesetz: „AufSozialhilfe besteht ein Anspruch…“ (§ 4 BSHG).

Das Bundesverwaltungsgericht, zunächst mit 20 Richtern(1953) besetzt, darunter eine Richterin, CharlotteSchmitt, war ein neues Gericht und gewiss kein nur um-benanntes Reichsverwaltungsgericht52 , aber es verstandsich wohl am ehesten als Neufassung der liberal-konser-

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Verwaltungsgerichtsbarkeit

vativen Linie des Preußischen Oberverwaltungsgerichts undder süddeutschen Verwaltungsgerichtshöfe. Die Mehrzahlder Richter kam aus diesen Gerichten, andere aus denMinisterien, nur wenige direkt aus der Verwaltung. Die ein-drucksvolle Liste seiner acht Präsidenten (Ludwig Frege,Hans Egidi, Fritz Werner, Walter Fürst, Horst Sendler, Wolf-gang Zeidler, Everhardt Franßen, Eckart Hien und die jetzi-ge Präsidentin), Namen, die jeder Öffentlichrechtler kennt,unterstreicht diese für das Bundesverwaltungsgericht be-zeichnende Mischung einer entschiedenen Bindung an dasRechtsstaatsprinzip und einer kontinuierlichen Anpassungan gesellschaftliche Veränderungsprozesse. Inzwischenhaben diese Veränderungen auch den Gerichtskörper er-reicht, und zwar in Gestalt der Richterinnen. Bis 1971 gabes nur drei, aber auch unter den insgesamt 272 Richternzählt man bisher nur 25 Frauen53 , nun jedenfalls eine Prä-sidentin. Der Fortschritt ist eben eine Schnecke. Aber, ne-benbei, auch bei den Staatsrechtslehrern sieht die Verlaufs-kurve nicht anders aus.

VI.Eine eingehende Würdigung der Rechtsprechung der deut-schen Verwaltungsgerichtsbarkeit in nunmehr sechzig Jah-ren ist hier nicht möglich, wohl aber einige abschließendeBemerkungen zu den Veränderungen ihrer Rahmenbedin-gungen im europäischen Zusammenhang.

Die Veränderungen liegen weniger im Wandel der norma-tiven Grundlagen von Verwaltungsgerichtsordnung undVerwaltungsverfahrensgesetzen als im Wandel der Lebens-verhältnisse und der Aufgaben von örtlicher und überörtli-cher Verwaltung, aber auch in den Prozessen der Europäi-sierung und Globalisierung. Die Nachkriegsrechtsprechungwar geprägt von Notstandsbewältigung und Wiederaufbau,Wiedergutmachung, Lastenausgleich, Beginn des Wirt-schaftswunders und dem dazu parallelen Ausbau der so-zialen Sicherungssysteme – all dies unter dem überragen-den Ziel der Sicherung des Rechtsstaats. Je mehr dieNachkriegsgesellschaft sich wieder normalisierte und kon-solidierte, desto mehr kam es neben Freiheit auch aufGleichheit an. Der moderne Interventions- und Leistungs-staat lieferte bei allen Eingriffs- und Förderungsakten stetsauch Ungleichheit mit – im Subventionsrecht, im Beamten-recht, im Nachbarrecht, im Sozialrecht und Bildungsrecht.Die schrittweise Durchdringung der Rechtsordnung mit denGrundrechten führte zur impliziten Prüfung der jeweiligenErmächtigungsnorm bzw. zu deren verfassungskonformerAuslegung54 . Willkür- und Übermaßverbot, Gebot der Rück-sichtnahme, Ausbau des Vertrauensschutzes, Nachvollzugder Abwägungsvorgänge bei der Ausfüllung von Handlungs-spielräumen und bei der Ermessenskontrolle entfaltetensich unter dem Schirm der Realisierung von Grundrechtenund eines ausdifferenzierten Rechtsstaatsverständnisses.Die Lehre von den Ermessensfehlern ist inzwischen feinausziseliert55 . Langgestreckte Planungsprozesse wurden zer-legt und abschnittweise geprüft, auch unter Einbeziehungvon Informationspflichten mit Rücksicht auf die öffentlicheWillensbildung. Die Grundtendenz war tatsächlich die Ver-feinerung des Rechtsschutzes, ja eine wahre „Verrecht-lichungskultur“56, eine Steigerung der „Kontrolldichte“57 .

Dagegen richtete sich von Anfang an ein Chor von Stimmen,die mahnten, man solle es nicht übertreiben, solle der Ver-waltung ihre Gestaltungsräume belassen und ihren Sach-verstand anerkennen, sie nicht zu sehr einschnüren, von ihrnicht nur Rechtsverwirklichung, sondern Realisierung öffent-licher Interessen verlangen. Das waren und sind ernst zunehmende und sachverständige Stimmen.

Die „Verrechtlichungskultur“ war aber nicht nur einBinnenprodukt, sie wurde den Verwaltungsgerichten auchvon außen aufgedrängt. Interessengruppen erkannten dieNutzbarkeit der Verwaltungsgerichte für ihre Ziele. Mandenke an die zeitbedingten Fluten von Demonstrations-entscheidungen, an die Numerus-Clausus-Fälle, an Asyl-verfahren oder auch an die Eilentscheidungen in Sozial-hilfesachen. Man denke schließlich an die von Bürger-intiativen betriebenen und schwer beherrschbarenMassenverfahren (§§ 67a, 93a VwGO).

Man kann jedenfalls sagen, dass mit dem Ausbau desRechtsstaats auch deutliche Schattenseiten sichtbar ge-worden sind. Die Richter kommen heute nicht mehr wievor 150 Jahren überwiegend aus der Verwaltung. Dasschafft Distanzen. Rechtsprechung und Verwaltung be-mühen sich, ihre Entscheidungen „wasserdicht“ zu ma-chen, einerseits die Verwaltung mit dem sorgenvollen Blickauf die Gerichte, andererseits die Gerichte mit dem Blickauf die nächste Instanz. Wie sollte es auch anders seinin einer Gesellschaft, in der alle nach Sicherheit verlan-gen, in welcher Versicherungen und Rückversicherungenblühen und Differenzierungen möglichst glatt gehobeltwerden? Man möchte Sicherheit für den status quo, prä-ventive Sicherheit vor Risiken, Sicherheit aber auch da-vor, dass der Konkurrent mehr bekommt als man selbst.Die den Deutschen eigene Staatsbezogenheit, ihr Schutz-bedürfnis und das nahezu unbegrenzte Vertrauen in dieGerichtsbarkeit sind schon bemerkenswert.

Diese eher mentalitätsbezogenen Beobachtungen entfal-ten ihre wahre Dimension erst vor dem enormen Wachs-tum des öffentlichen Rechts. Die Älteren unter uns habenes schrittweise erlebt: In den siebziger und achtziger Jah-ren formten sich das Sozialrecht, das Umweltrecht samtdiversen Unterabteilungen, das Datenschutzrecht, dasTelekommunikationsrecht und das Informationsverwal-tungsrecht58 . Das lange schlafend geglaubte Versamm-lungsrecht wurde aktiv, ebenso das Beamtenrecht (Stich-wort: Berufsverbote), das Ausländer- und Asylrecht, dasSchul- und Hochschulrecht folgten samt Prüfungsrecht miteinem Schub der Kontrolldichte59 . Das waren keine irre-gulären Wucherungen, sondern die konsequente Antwortdarauf, dass der heutige Staat ein ganz anderes Gesichtgewonnen hat als in der Gründungsepoche der Verwal-tungsgerichtsbarkeit. Wir leben in einer Mischung vonFreiheits- und Versorgungsgesellschaft, verhalten uns grossomodo normgemäß und nehmen die steigende Normierungs-dichte, die stets unser Bestes will, seufzend hin.

Als wäre dies nicht genug, durchdringen nun auch nochdie Normen des Europarechts unseren Alltag. Sie sind un-

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mittelbar geltendes Recht. Längst gibt es europäischeNormen, die jeden scheinbar rein zivilrechtlichen Vorgangindirekt regulieren, sogar den sprichwörtlichen morgendli-chen Brötchenkauf, mit dem der Professor im Hörsaal er-läutert, wie ein Vertrag mit Willenseinigung und Übergabefunktioniert. Rohstoffpreise, Qualitätsstandards, Werbe-verhalten, Vertriebswege werden transnational geregelt. Obsich das europäische Recht zu einem „System“ fügt undwie es mit den jeweils unterschiedlichen nationalen „Syste-men“ harmoniert, ist nicht nur ein wissenschaftliches Pro-blem60 , sondern auch eines des Alltags, der gestaltendenVerwaltung, und damit auch der Verwaltungsgerichtsbarkeit.Längst hat sich ein zielorientierter Denkstil durchgesetzt.Die alten Kausalprogramme sind durch Finalprogrammeersetzt worden. Das Wirtschaftsverwaltungsrecht oder dasVergaberecht sind längst europäisiert. Auch der EuGH hat,wenn man Ulrich Everlings Beobachtungen folgt, Züge ei-nes Verwaltungsgerichts angenommen61 . Man mag dieRichtung für problematischhalten, aber es lässt sich nichtbestreiten, dass sich längst wirkungsvolle europäischePolitiken etabliert haben, so im Dienstleistungs-

Ihr ist für die Zukunft Schutz und Aufmerksamkeit der Po-litik zu wünschen, weiter kluge und gut ausgebildete Rich-terinnen und Richter in der nächsten Generation, unddamit auch die entsprechende Redlichkeit und Genauig-keit im Umgang mit den individuellen und den politischenRechten der Bürgerinnen und Bürger. Wir alle sind des-sen bedürftig.

Die Redaktion des BDVR-Rundschreibens dankt dem CarlHeymanns Verlag für die freundliche Genehmigung desZweitabdrucks des zuerst in DVBl 20/2013, 1274 ff. ver-öffentlichten Beitrags.

und Güteraustausch, im Verkehrswesen, in der Energie-wirtschaft, im Umweltschutz und Verbraucherschutz. Siesteuern unseren Alltag, und sie tun dies mit Hilfe eines Iuspublicum Europaeum. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit istvon allen anderen Gerichtsbarkeiten die erste, die sichdamit auseinandersetzt.

* Der Beitrag beruht auf einem Vortrag, den der Verfasser am 17.10.2013 beim Festakt „150 Jahre Verwaltungs- gerichtsbarkeit in Deutschland“ anlässlich der Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der VGH/OVG der Länder und der Präsidentin des BVerwG im Festsaal des Stadtschlosses in Weimar gehalten hat. 1 Staatsbürger und Staatsgewalt. Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit in Geschichte und Gegenwart. Jubiläumsschrift zum hundertjährigen Bestehen der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit und zum zehnjährigen Bestehen des Bundesverwaltungsgerichts, hrsgg.v. H. R. Külz und R. Naumann, 2 Bde, Karlsruhe 1963. 2 Immer noch wertvoll J. Gliss, Die Entwicklung der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit bis zur Bundesverwaltungsgerichtsordnung – unter besonderer Berücksichtigung der Grundpositionen von Bähr und Gneist, jur. Diss. Frankfurt, Gelnhausen 1962; M. Baring, Aus hundert Jahren Verwaltungsgerichtsbarkeit, Berlin 1963.3 F. A. Hackel, Die Entstehung einer eigenständigen bayerischen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Eine Analyse der Judi- katur des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes zwischen 1879 und 1919 anhand ausgewählter Fragestellungen, Hamburg 2011; M. Montag, Die Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Baden und Württemberg von 1945 bis 1960, Berlin 2001.4 J. Hoeck, Verwaltung, Verwaltungsrecht und Verwaltungsrechtsschutz in der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 2003; umfassend nun J. Lubini, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in den Ländern der SBZ/DDR 1945–1952, jur. Diss. Frankfurt 2013 (erscheint 2014). 5 G. F. Schuppert, Governance und Rechtsetzung, Baden-Baden 2011. 6 Grundsätzlich E. Franßen, 50 Jahre Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland, in: DVBl 1998, 413 ff.

7 B. Diestelkamp, Rechtsfälle aus dem Alten Reich. Denkwürdige Prozesse vor dem Reichskammergericht, München 1995; ders. Ein Kampf um Freiheit und Recht. Die prozessualen Auseinandersetzungen der Gemeinde Freienseen mit den Grafen zu Solms-Laubach, Köln – Weimar – Wien 2012.8 C. v. Pfizer, Über die Grenzen zwischen Verwaltungs- und Civil- Justiz, 1828; G. L. Funke, Die Verwaltung in ihrem Verhältnis zur Justiz, 1838; S. Jordan, Administrativjustiz, in: Julius Weiske, Rechtslexikon Bd. 1, 1842, 134 ff.; O. Kuhn, Die Trennung von Justiz und Administration, 1840; ders., Das Wesen der deutschen Administrativjustiz nebst einer Analyse verschiedener deutscher Administrativ-Justiz-Entscheidungen, 1843 (Verfechter der Admini- strativjustiz).9 L. Pahlow, Administrativjustiz versus Justizstaat. Justiz und Verwaltung im Allgemeinen Staatsrecht des 18. und 19. Jahrhunderts, in: ZNR 22 (2000) 11 ff. m.w. Nachw.10 M. Stolleis (Hg.), Juristische Zeitschriften. Die neuen Medien des 18.–20. Jahrhunderts, Frankfurt 1999.11 Th. Ormond, Richterwürde und Regierungstreue. Dienstrecht, politische Betätigung und Disziplinierung der Richter in Preußen, Baden und Hessen 1866–1918, Frankfurt 1994.12 Seit dem Pluviosegesetz (an VIII = 17.2.1800) unterschied man administration pure und administration contentieuse. So auch in Bayern (VO v. 8. August 1810).13 U. Scheuner, Der Einfluß des französischen Verwaltungsrechts auf die deutsche Rechtsentwicklung, DÖV 1963, 714–719; D. Pejko, Gegen Minister und Parlament. Der Conseil d’État im Gesetzgebungsverfahren des Zweiten Französischen Kaiserreichs (1852–1870), Frankfurt 2012.

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14 H. W. R. Wade, Administrative Law, Oxford 1971, 47; R. Aris, Verwaltungskontrolle in England, in: Staatsbürger und Staatsgewalt (Anm. 1) I, 369–403.15 S. Hurwitz, Der skandinavische Parlamentsbevollmächtigte, in: Staatsbürger und Staatsgewalt (Anm. 1) I, 461–484.16 M. Stolleis, Rechtsstaat, Handwörterbuch zur Deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4, Berlin 1990, 367–375.17 R. Ogorek, Individueller Rechtsschutz gegenüber der Staatsgewalt. Zur Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit im 19. Jahrhundert, in: J. Kocka (Hg.), Bürgertum im 19. Jahrhundert, 1988, Bd. 1, 372 ff.18 M. Rapp, 100 Jahre Badischer Verwaltungsgerichtshof, in: Staatsbürger und Staatsgewalt I, 1-24; H. Ott in DVG II, 604 f.; W. Rüfner, Die Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: K. G. A. Jeserich – H. Pohl – G.Chr. v. Unruh (Hg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte Bd. III, Stuttgart 1984, 915 f.; I. Bauer, Von der Administrativjustiz zur Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Entwicklung des Rechtsschutzes auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts in Baden im 19. Jahrhundert, Sinzheim 1996; G. Sydow, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit des ausgehenden 19. Jahrhun- derts. Eine Quellenstudie zu Baden, Württemberg und Bayern, Heidelberg 2000.19 Gesetz v. 10.4.1849, Reg. Bl. 205. Hierzu Rapp (Anm.18) sowie Rüfner (Anm. 18) 915.20 J. Poppitz, Die Anfänge der Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: AöR NF 33 (1943) 158–221; und AöR NF 34 (1944) 3–40; W. Rüfner, Verwaltungsrechtsschutz in Preußen von 1749–1842, 1962; M. Sellmann, Der Weg zur neuzeitli- chen Verwaltungsgerichtsbarkeit – ihre Vorstufen und dogmatischen Grundlagen, in: H. R. Külz – R. Naumann (Hg.), Staatsbürger und Staatsgewalt (Anm. 1) I, 1963, 25–86.21 L. Frege, Der Status des Preussischen Oberverwaltungsgerichts und die Standhaftigkeit seiner Rechtsprechung auf politischem Gebiet, in: Staatsbürger und Staatsgewalt (Anm.1) I, 131–155.22 Preußisches Gesetz, betr. die Verfassung der Verwaltungsgerichte und das Verwaltungsstreitverfahren vom 3. Juli 1875 PRGs 375.23 R. von Gneist, Verwaltung, Justiz, Rechtsweg. Staatsverwaltung und Selbstverwaltung nach englischen und deut- schen Verhältnissen, Berlin 1869; ders., Der Rechtsstaat und die Verwaltungsgerichte in Deutschland, 2. Aufl. 1879 (Nachdruck Darmstadt 1958).24 C.H. Ule, Rudolf von Gneists Bedeutung für die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Preußen, in: VerwArch 87 (1996) 535-547. Grundlegend E. J. Hahn, Rudolf von Gneist 1816–1895. Ein politischer Jurist in der Bis- marckzeit, 1995.25 H. Egidi, Paul Persius. Der Schöpfer der preußischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: Aus hundert Jahren Verwaltungs- gerichtsbarkeit, Festschr. hrsgg. v. M. Baring, Köln Berlin 1963, 18 ff.26 U. Stump, Preußische Verwaltungsgerichtsbarkeit 1875–1914. Verfassung, Verfahren, Zuständigkeit, Berlin 1980.27 G. Sydow, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Eine Quellenstudie zu Baden, Würt- temberg und Bayern, Heidelberg 2000; M. Montag, Die Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Baden und Württemberg von 1945 bis 1960, Berlin 2001; F. A. Hackel, Die Entstehung einer eigenständigen bayerischen Verwaltungsgerichtsbarkeit, Hamburg 2011.28 K. H. Acker, Verwaltungskontrolle in Hessen-Darmstadt 1770–1935. Zur Organisation des Verwaltungshandelns in einem kleineren deutschen Staat, Frankfurt 1983.29 Wengler, Die Verwaltungsrechtspflege im Königreiche Sachsen, in: AöR 17 (1902) 277–305; W. Rüfner, Deutsche Verwaltungsgeschichte Bd. III, Stuttgart 1984, 920 f.; M. Baring, Die Verwaltungsrechtspflege in Sachsen, in: Aus 100 Jahren Verwaltungsgerichtsbarkeit (Anm. 25), 67 f.; Chr. Jestaedt, Sächsische Verwaltungsgerichtsbarkeit vor 1992, in: Sächsische Verwaltungsblätter 1 (1993) 49–54.30 Festschrift Das Sächsische Oberverwaltungsgericht. Verwaltungsgerichtsbarkeit in Sachsen 1901 bis 1993, Dres- den 1994; S. Reich (Hg.), Festschrift zum 100-jährigen Jubiläum des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, Mün- chen 2002.31 Rüfner (Anm. 29) 911.32 Reichsversicherungsamt (1884, 1911); Bundesamt für Heimatwesen (1870); Reichseisenbahnamt (1873); Auf- sichtsamt für Privatversicherungswesen (1901); Reichspatentamt (1877); Oberseeamt (1877); Reichsrayon kommission (1871): R. Morsey, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte Bd. III, Stuttgart 1984, 178 ff.33 G.-M. Dufour, Traité général de droit administratif appliqué, 4 vol, Paris 1843–1845, 3. Aufl. 1868.34 V. E. Orlando, Principi di diritto amministrativo, Firenze 1891; zu ihm nun G. Cianferotti, in: Dizionario Biografico die Giuristi Italiani (XII–XX secolo), vol. II, Bologna 2013, 1465–1469 m. weiteren Nachw.35 R. v. Laun, Das freie Ermessen und seine Grenzen, Leipzig und Wien 1911.36 Eine Bilanz bei F. Genzmer, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, in: G. Anschütz – R. Thoma (Hg.), Handbuch des Staats- rechts, Bd. 2, Tübingen 1932, 506–523; W. Kohl, Das Reichsverwaltungsgericht. Ein Beitrag zur Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland, Tübingen 1991.37 S. Naas, Die Entstehung des Preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes von 1931, Tübingen 2003.38 C. Doerfert, Die Zeitschriften des öffentlichen Rechts 1848–1933, in: M. Stolleis (Hg.), Juristische Zeitschriften. Die neuen Medien des 18.–20. Jahrhunderts, Frankfurt 1999, 421–447. Zum Gründer des Preußischen Verwaltungs- blatts siehe G. Schmidt, Oscar Binseel (1839–1905), in: DVBl 100 (1885) 1344–1347.

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39 W. Hempfer, Die nationalsozialistische Staatsauffassung in der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungs- gerichts, Berlin 1974.40 G. Brunner, Verwaltungsgerichtsbarkeit in Sachsen während des Dritten Reiches und des SED-Regimes, in: Das Sächsische Oberverwaltungsgericht, Dresden 1994, 33–53; Jestaedt (Anm. 29).41 Chr. Kirchberg, Der badische Verwaltungsgerichtshof im Dritten Reich, Berlin 1982.42 Gestapo-Gesetz vom 10. Februar 1936, PrGS 21/28.43 Siehe den „Führererlass“ v. 28. August 1939, RGBl, 1535, der „schnelle, von bürokratischen Hemmungen freie Entscheidungen“ forderte. An die Stelle der Anfechtungsklage trat die „Beschwerde“ bei der vorgesetzten Behörde oder Aufsichtsbehörde. Berufung und Revision sollte es nur bei ausdrücklicher Zulassung geben. Verwaltungsge- richte erster Instanz entfielen; auch das Laienelement der Richterschaft wurde beseitigt. Einzelheiten bei M. Stolleis, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Nationalsozialismus, in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Festschrift f. Chr. Fr. Menger, Köln/ Berlin/ Bonn/ München 1985, 57–80.44 W. Scheerbarth, Das Schicksal der Verwaltungsgerichtsbarkeit unter dem Nationalsozialismus, DÖV 1963, 729– 732; Stolleis (Anm. 43). Zum Reichsverwaltungsgericht umfassend Kohl (Anm. 36) 451 ff.45 Th. Heil, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Thüringen 1945–1952, Tübingen 1996.46 Siehe oben Anm. 4.47 C. H. Ule, Die geschichtliche Entwicklung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes in der Nachkriegszeit, in: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes. Festschrift f. Ch. F. Menger, Köln/ Berlin/ Bonn/ München 1985, 81 ff. – Die wichtigste zeitgenössische Darstellung stammt von Ch. F. Menger, System des verwaltungs- gerichtlichen Rechtsschutzes, Tübingen 1954.48 Kontrollratsgesetz Nr. 36 v. 10.10.1946, ABl v. 31.10.1946, 183.49 G. Chr. v. Unruh, in: Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. V, Stuttgart 1987, 1178 ff.; weitere Nachweise in M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts Bd. IV, München 2012, 186 f. – Zu Berlin H. Schneider, Die Verwaltungs- gerichtsbarkeit in Berlin, in: AöR 74 (1948) 239–253; M. Baring, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Berlin, in: DVBl 66 (1951) 265–267.50 Verwaltungsgerichtsordnung v. 21.1. 1960, BGBl I, 17. Rückblickend C. H. Ule, Die Bedeutung der Verwaltungs- gerichtsbarkeit in der Demokratie, in: 10 Jahre Verwaltungsgerichtsordnung, Berlin 1970, 20 ff.51 Gesetz v. 23. 9. 1952, BGBl I, 625.52 Wegen nachgewiesener NS-Belastung wurde 1959 in vorzeitigen Ruhestand versetzt Harry von Rosen-von Hoewel (1940 aus von Rozycki umbenannt). Er hatte nach 1933 eine Karriere in der Verwaltung gemacht, die er bis in die frühe Bundesrepublik fortsetzte, zuletzt als Ministerialrat im Bundesinnenministerium, von wo aus er 1955 an das Bundesverwaltungsgericht gelangte, Senatspräsident und Oberbundesanwalt wurde. Nach 1933 hatte er sechs der ungemein verbreiteten Schaeffer-Bände im NS-Sinn geschrieben und diese Tätigkeit nach 1945 fortgesetzt, freilich in anderer Tonlage.53 Charlotte Schmitt (1953); Pauline Hopf (1967); Dr. Charlotte Eckstein (1971); Inga Schmidt (1975); Dr. Ingeborg Franke (1975); Dr. Helga Scholz-Hoppe (1988); Dr. Evelyn Haas (1990); Helga Heeren (1991); Marion Eckertz- Höfer (1993); Ilse-Sabine Beck (1997); Dr. Sibylle von Heimburg (1997); Dr. Eva-Christine Frentz (2000); Dr. Renate Philipp (2004); Dr. Susanne Hauser (2004), Elisabeth Buchberger (2006); Maren Thomsen (2007); Dr. Ulrike Bumke (2007); Anne-Kathrin Fricke (2007); Heidi Stengelhofen (2008); Kerstin Schipper (2008); Dr. Ulla Held-Daab (2009); Dr. Martina Eppelt (2010); Dr. Kirsten Kuhlmann (2010); Dr. Inge Rudolph (2012); Dr. Ulrike Bick (2012).54 E. Schmidt-Aßmann, Grundrechtswirkungen im Verwaltungsrecht, in: Rechtsstaat zwischen Sozialgestaltung und Rechtsschutz. Festschrift für Konrad Redeker München 1993, 225–243.55 M. Gerhardt, in: F. Schoch – J.-P. Schneider – W.Bier (Hrsg.), VwGO, Losebl. 24. Aufl. München 2012, Vorbem. § 113 Rdnr. 19.56 E. Franßen, 50 Jahre Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Bundesrepublik Deutschland, DVBl 1998, 413 ff.57 F. Ossenbühl, Gedanken zur Kontrolldichte in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, in: Festschrift Redeker (Anm. 54) 55–70.58 E. Gurlit, Das Informationsverwaltungsrecht im Spiegel der Rechtsprechung, in: Die Verwaltung 44 (2011) 75–103.59 W. Löwer, Kontrolldichte im Prüfungsrecht nach dem Maßstab des BVerfG, in: Festschrift Redeker (Anm. 54) 515–529.60 J. Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, 2. Aufl. Baden-Baden 2005; Th. v. Danwitz, Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, Tübingen 1996; A. K. Mangold, Gemeinschaftsrecht und deutsches Recht. Die Europäisierung der deutschen Rechtsordnung in historisch-empirischer Sicht, Tübingen 2011.61 U. Everling, Zur Funktion des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften als Verwaltungsgericht, Festschrift Redeker (Anm. 54) 293–311.

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Festakt aus Anlass des 150. Jahrestages derBegründung der Verwaltungsgerichtsbarkeit inDeutschland am 7. Oktober 2013 in Karlsruhevon Richter am Verwaltungsgericht Dr. Wolfgang Schenk1

Das am Samstag, den 24. Oktober 1863, erschienene„Großherzoglich Badische Regierungs-Blatt“ Nr. XLIV(S. 399-414)2 enthielt ein einziges Gesetz, das „Gesetz,die Organisation der innern Verwaltung betreffend“ vom5. Oktober 1863. „Friedrich, von Gottes Gnaden Groß-herzog von Baden, Herzog von Zähringen“ hatte mit Zu-stimmung seiner „getreuen Stände“ unter anderem be-schlossen, dass die „Rechtspflege in bestimmtenStreitigkeiten über öffentliches Recht … in der letztenInstanz von dem Verwaltungsgerichtshof ausgeübt“ wird(§ 1 Abs. 3). Eine im modernen Sinne eigenständigeVerwaltungsgerichtsbarkeit war geschaffen!3

150 Jahre später konnte der Präsident des Verwaltungs-gerichtshofs Baden-Württemberg Volker Ellenberger einegroße Zahl an Gästen im Karlsruher Konzerthaus begrü-ßen, die aus Anlass des „Geburtstags der Verwal-tungsgerichtsbarkeit“ zusammengekommen waren, dar-unter neben zahlreichen aktiven und ehemaligenVerwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichtern auch

Das erste Grußwort sprach der Präsident des Bundesver-fassungsgerichts Professor Dr. Andreas Voßkuhle. Dieserbezeichnete die Geschichte der Verwaltungsge-richtsbarkeit als Erfolgsgeschichte und erinnerte an dievorrangige Aufgabe der Verwaltungsgerichtsbarkeit, dieRechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zuverwirklichen. Er knüpfte darüber hinaus an seine Cha-rakterisierung des europäischen Juristen in seinem Fest-vortrag bei der Eröffnungsveranstaltung des 16. Deut-schen Verwaltungsgerichtstags Freiburg 2010 an4 undstellte die (rhetorische) Frage, ob die Kürzung der Beihilfe-leistung sowie die Besoldungsabsenkung für Berufsanfän-gerinnen und -anfänger in der baden-württembergischenJustiz angesichts der Anforderungen an die richterlicheTätigkeit ein richtiges Zeichen seien.

Vertreterinnen und Vertreter der Legislative und der Exe-kutive sowie anderer Gerichtsbarkeiten und der Anwalt-schaft.

Von links: Präsident Ellenberger, Präsident Voßkuhle, Minister Stickelberger (Foto: VG Karlsruhe)

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Verwaltungsgerichtsbarkeit

1 Der Verfasser ist 1. Vorsitzender des Vereins der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter Baden-Württem- berg. 2 Abrufbar im Internet unter http://digital.blb-karlsruhe.de, Rubrik „Drucke“ (abgerufen am 13. Oktober 2013). 3 Zu den Vorstufen sowie zu dem Gesetz siehe Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Einlei- tung Rn. 71 ff. (Stand: Januar 2012); Bauer, Sonderbeilage Verwaltungsblätter, Oktober 2013, S. 4 ff.; Ramsauer, BDVR-Rundschreiben 3/2013, S. 124 f. 4 Vgl. die Dokumentation S. 23 (34): „Der europäische Jurist ist (1.) Akteur in nationalen, europäischen und inter- nationalen Normerzeugungsprozessen, (2.) Europäer und Kosmopolit, (3.) Generalist und „Wissensexperte“, (4.) theoretisch und wissenschaftlich ausgebildeter Praktiker, (5.) „Spitzenjurist“, (6.) inter- und vor allem transdisziplinär dialogfähiger sowie (7.) sozialkompetenter Teilnehmer kommunikativer Prozesse.“ 5 Siehe auch die Pressemitteilung des Justizministeriums Baden-Württemberg vom 7. Oktober 2013, www.jum.baden- wuerttemberg.de. 6 Siehe www.der-wolf-im-revier.de.

Sodann ergriff der Justizminister des Landes Baden-Würt-temberg Rainer Stickelberger das Wort.5 Er vertrat dieAuffassung, dass Großherzog Friedrich stolz wäre, wenn ersehen könnte, was er mit seiner Unterschrift ausgelöst hat.Justizminister Stickelberger warf insbesondere einen Blickauf die Veränderungen der Verwaltungsgerichtsbarkeit seitder Zeit, in der er selbst Verwaltungsrichter war (1979–1984). Er nannte insofern die zunehmende „Dienst-leistungsfunktion“, die Recherchemöglichkeiten, aber auchdie Beschleunigungsgesetzgebung (insbesondere die6. VwGO-Novelle). Auf die mahnenden Worte des Präsi-denten des Bundesverfassungsgerichts zur BesoldungundVersorgung der Assessorinnen und Assessoren im Landging er auch ein, ohne sie allerdings zu kommentieren. Alszukünftige Herausforderungen nannte er den elektroni-schen Rechtsverkehr und die elektronische Akte. DieVerwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter sowie dieAngehörigen des Unterstützungsbereichs bat er, sich aktiveinzubringen.

Schließlich übermittelte der Oberbürgermeister des Ge-burtsortes der Verwaltungsgerichtsbarkeit Dr. FrankMentrup ihr seine Glückwünsche.

Den Festvortrag hielt der Präsident des Landtags vonBaden-Württemberg, der Oberschwabe und Verwaltungs-jurist Guido Wolf6. Nach der einleitenden Bemerkung,noch nicht in dem Alter zu sein, in dem er es für selbst-verständlich halte, als Redner ausgewählt zu werden, stell-te er als Grund für die Einladung in den Raum, dass erselbst einmal zwei Jahre und einen Monat als Richter amVerwaltungsgericht Sigmaringen tätig gewesen sei. Einesolche Erfahrung zu sammeln, empfahl er allen Staats-beamtinnen und -beamten.

Ausgangspunkt seiner weiteren Überlegungen war dieFeststellung, dass verwaltungsgerichtliche Entscheidun-

Als akzeptanzfördernde Maßnahmen empfahl er denVerwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichtern einengroßzügigeren Umgang mit Beweisanträgen und „bürger-freundlichere“ Begründungen, die intensiver auf das Vor-bringen der Klägerinnen und Kläger eingehen.

Schwungvoll umrahmt wurde die Veranstaltung von derBig Band der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. DieEindrücke vom Festakt wurden bei einem anschließen-den Stehempfang ausgetauscht.

Dem Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg undstellvertretend Herrn Präsidenten Ellenberger sei für dieOrganisation des Festakts gedankt!

Anlässlich des Jubiläums erschien eine Sonderbeilage zuden im Boorberg Verlag herausgegebenen Verwaltungs-blättern, die insbesondere Beiträge zur Geschichte derVerwaltungsgerichtsbarkeit enthält.

gen häufig die Akzeptanz staatlicher Entscheidung zu för-dern in der Lage sind, aber eben doch nicht immer. Ererinnerte insoweit daran, dass gerichtliche Verfahren ge-gen das Projekt „Stuttgart 21“ im Wesentlichen erfolglosgeblieben seien; Rechtsfrieden hätten diese Entscheidun-gen indes nicht schaffen können. Damit war der Bodenbereitet für einige grundlegende Überlegungen zur Auf-gabe und Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Erwies dabei unter anderem auf das Verhältnis der Verwal-tungsgerichte zu den Verwaltungsbehörden hin (Stichwor-te: „Abwägungsfehlerlehre“ und „Unbeachtlichkeit vonVerfahrensfehlern“), ferner auf die Veränderungen desVewaltungs(prozess)rechts durch das EU-Recht (Stichwor-te „Mobilisierung des Bürgers zur Durchsetzung desRechts“ [Johannes Masing] und „Verbandsklage“).

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Verwaltungsgerichtsbarkeit

Richterreise in die Innere Mongoleivon Vorsitzendem Richter am Verwaltungsgericht Stephan Groscurth, Berlin

Seit dem Jahr 2000 führt Deutschland den Rechtsstaats-dialog mit China. Seither sind in diesem Rahmen eineVielzahl von Veranstaltungen und Symposien abgehaltenworden, die dazu beitragen, das Land im Transfor-mationsprozess und den sich daraus ergebenden recht-lichen Fragestellungen zu begleiten. Träger des Vorhabensist die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusam-menarbeit (GIZ). Ein relativ neuer Baustein in diesemRahmen ist der Richteraustausch China – Deutschland.Die Robert Bosch Stiftung hat dieses Projekt im Jahr 2011ins Leben gerufen. Es verfolgt das Ziel, die Völkerverstän-digung zwischen der Volksrepublik China und der Bundes-republik Deutschland zu stärken und die deutsch-chine-sischen Beziehungen zu fördern. Die Idee: Richter einesbestimmten Bundeslandes in Deutschland treffen mitBerufskollegen einer chinesischen Provinz zusammen, umgegenseitig ihr Rechtssystem vorzustellen und ihre Erfah-rungen auszutauschen. So wird nicht nur ein regionalerSchwerpunkt gesetzt, sondern der Zugang zum Rechtauch über den persönlichen Kontakt hergestellt.

Nach zwei Durchgängen unter Beteiligung von Sachsenund Nordrhein-Westfalen fand der Richteraustausch nun-mehr im August und September 2013 zum dritten Mal

statt, und zwar zwischen der Inneren Mongolei und denLändern Berlin und Brandenburg. Die Innere Mongolei isteine sogenannte autonome Provinz Chinas. Im Nordendes Landes gelegen und dessen drittgrößte Region, grenztsie an die Mongolei und Russland. Sie ist etwa dreiein-halb Mal so groß wie Deutschland, aber mit lediglich25 Mio. Einwohnern ausgesprochen dünn besiedelt. Diemeisten Einwohner wohnen allerdings in Millionenstäd-ten, deren Namen kaum jemandem in Deutschland be-kannt sein dürfte.

Zwischen dem 7. und dem 16. August 2013 reisten ins-gesamt 20 Richter aus Berlin und Brandenburg aller Ge-richtsbarkeiten und aller Instanzen in die Innere Mongo-lei. Ich durfte als ein Vertreter des VerwaltungsgerichtsBerlin dabei sein. Nach einem Tag in Beijing, an dem Be-suche des Büros der GIZ und des Obersten Volksgerichtsauf dem Programm standen, hielt sich die Delegation ins-gesamt sechs Tage in der Provinz auf. Dabei entfielen fünfTage auf die Hauptstadt Hohot und ein weiterer Tag aufdie etwa 200 km entfernt liegende Stadt Baotou mit ih-rem gigantischen, etwa 100.000 Menschen beschäfti-genden Stahlwerk. Wie sollte es anders sein: Natürlichbildete der Besuch von Gerichten aller Art hierbei den

Foto: Stephan Groscurth

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Verwaltungsgerichtsbarkeit

Foto: Stephan Groscurth

Schwerpunkt des ausgesprochen dicht gedrängten Pro-gramms. China kennt keine getrennten Gerichtsbarkei-ten, alle Rechtsgebiete werden also unter einem Dachbehandelt, und der Instanzenzug ist vierzügig. In der kur-zen Zeit bekamen wir eine Vielzahl von Gerichten (undeinmal eine Staatsanwaltschaft) zu sehen. Ausnahmsloswurden wir sehr gastfreundlich empfangen. Es stellte of-fenbar kein Problem dar, uns Gerichte auch am Sonntagzu präsentieren, an dem normalerweise auch in Chinanicht gearbeitet wird. Gleichwohl hatte man bei den Be-suchen an diesen beiden Tagen nahezu die gesamte Be-legschaft (einschließlich Gerichtspolizei und Schreibkräf-ten) aktiviert, um uns einen realen Eindruck der Tätigkeitzu vermitteln – allein die Beteiligten fehlten. Nicht seltenkamen wir mit Kollegen und Kolleginnen in Kontakt, diemit Europäern offenbar sonst noch nie zu tun gehabthatten. Stets wurden uns stolz die (überwiegend groß-dimensionierten) Gerichtsgebäude gezeigt, und immerhörten wir Fachvorträge zu einem oder mehreren Themen.Im Anschluss daran bot sich Gelegenheit zu Nachfragenund bisweilen zur Diskussion, die allerdings aus verschie-denen Gründen zumeist relativ oberflächlich verlief: Zumeinen war die Zeit knapp, zum anderen gebot auch dieHöflichkeit, Vertiefendes oder gar Kritisches zunächstaußen vor zu lassen. Nur ausnahmsweise wagten es auchdie chinesischen Kollegen, uns Fragen zu unserem Sy-stem zu stellen. Auffällig häufig betonten die Kollegen diehohen Erfolgsquoten bei der gesetzlich vorgeschriebenenMediation (das Verfahren dürfte sich von unseren Vorstel-

Zusammengefasst fügten sich die bei den Besuchen ge-wonnenen Einzeleindrücke aber doch zu einem gewisseneinheitlichen Gesamtbild: Rein äußerlich machten nahe-zu alle – häufig in einem noch unfertigen, weil in einemvon einem geradezu unbeschreiblichen Bauboomerfassten Umfeld liegenden – Gerichtsgebäude einenausgezeichneten Eindruck. Sie waren fast ausnahmsloserst in den letzten Jahren errichtet worden und dahermodern und in jeder Hinsicht hervorragend ausgestattet.Wie selbstverständlich waren die Räumlichkeiten durch-gehend klimatisiert und die Gerichtssäle mit hoch mo-dernen Video-Übertragungsmöglichkeiten und z. T. sogarmit der Möglichkeit der Simultandolmetschung versehen;die Sitzmöglichkeiten für die Zuschauer hatten manch-

lungen von einem solchen Verfahren grundlegend unter-scheiden) und die Besonderheit von Minderheitenrechten,auf die sich insbesondere die Mongolen in Bezug auf dieZweisprachigkeit berufen können sollen. Interessant wur-de es, wenn entweder auf konkrete Antworten nicht, aus-weichend oder erst nach – natürlich nicht übersetzter –interner Diskussion geantwortet wurde; wir werteten dieseher als ein – positives – Zeichen für zunehmendesProblembewusstsein. Es würde den Rahmen dieses Be-richts sprengen (und den Leser erfahrungsgemäß lang-weilen), ein jedes der von uns besuchten Gerichte in sei-nen Einzelheiten darzustellen. Gleiches gilt für dieWiedergabe der Themen, die Gegenstand der einzelnenReferate waren.

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Verwaltungsgerichtsbarkeit

mal fast Kinoqualität und die Terminstafel ist selbstver-ständlich elektronisch. Die Gerichtskantinen ähneltenRestaurants, und großen Wert legt man offensichtlich aufdie Möglichkeit, Betriebssport auszuüben. Neben Badmin-ton- und Tischtennishallen sahen wir Sportstudios undRäumlichkeiten für Brettspiele, einmal auch einenGerichtsfriseur. Äußerlich also durchaus Rahmenbedin-gungen, unter denen man selber gerne arbeiten würde.

Foto: Stephan Groscurth

Aber nur äußerlich. Denn inhaltlich sind die Unterschiedezwischen dem deutschen und dem chinesischen Rechts-system naturgemäß gravierend. Dies ist in erster Linie demUmstand geschuldet, dass das Land nach wie vor von derEin-Parteien-Herrschaft geprägt ist. Vor diesem Hintergrundist eine unabhängige Richterschaft systemfremd. Demchinesischen System fehlt es mithin an einem für uns zen-tralen Element der Rechtsstaatlichkeit. Zahlreiche Mecha-nismen und Vorkehrungen sorgen dafür, dass richterlicheEntscheidungen letztlich die Ein-Parteien-Herrschaft kaumin Frage stellen dürften. Dies beginnt mit der mindestenserwünschten, wenn nicht gar obligatorischen Parteimitglied-schaft des Richters. Daneben unterliegt die Entscheidungs-findung selbst einer engmaschigen internen Kontrolle. Danur die letztinstanzliche Entscheidung als „richtig“ ange-sehen wird, sind hiervon abweichende Urteile der Vorinstanzlogischerweise „falsch“ – mit der Konsequenz, dass Rich-ter, die zu oft „falsche“ Entscheidungen getroffen haben,Folgen für ihre weitere Berufslaufbahn zu gewärtigen ha-ben, offenbar bis hin zur Entlassung oder – in Einzelfällen– gar zusätzlichen Bestrafung. Eine Lebenszeitstellung hatder Richter, der eher als Verwaltungsbeamter angesehenwird, ohnehin nicht. In diesem Zusammenhang ebenfallsals bemerkenswert fiel uns die Einrichtung eines sog.

Rechtsausschusses an jedem Gericht auf. „Schwierige“Fälle sollen vom Einzelrichter auf dieses Gremium zur Ent-scheidung übertragen werden, das den Fall sodann mit bin-dender Wirkung entscheidet. Ist uns zwar die Idee einessolchen „Vorabentscheidungsverfahrens“ nicht völlig fremd,kann man sich gut vorstellen, dass diese Institution dazudienen kann, den einzelnen Richter seiner Verantwortungzu entheben und zugleich eine gewollt einheitliche Linie inkontroversen Fragen durchzusetzen. Last but not least: Anjedem Gericht gibt es sog. Klageannahmekammern, diedarüber entscheiden, ob man sich überhaupt in der Sa-che mit dem Fall befassen muss. Die Entscheidungen die-ses Gremiums sind nicht justiziabel, so dass bereits andieser Stelle ein Filter eingezogen ist, um ggf. Missliebigesauszusortieren. Vor diesem Hintergrund wunderten die unspräsentierten durchweg geringen Eingangszahlen der Ge-richte nicht, die offenbar – Näheres herauszufinden warnicht möglich – nur die auf diese Weise zugelassenen Ver-fahren erfassen (in der gesamten Inneren Mongolei sollenpro Jahr nur etwa 2.000 Verwaltungsstreitverfahren anfal-len). Es kommt hinzu, dass für die Verwaltungsge-richtsbarkeit das Enumerationsprinzip gilt. Nicht jeglichesstaatliche Handeln unterliegt also verwaltungsgerichtlicherKontrolle, sondern nur die in einem Katalog erfassten Fall-konstellationen. Ausgenommen sind zudem Verfahren u.a.gegen das Außenministerium und „politische“ Verfahren.

Der Gegenbesuch der chinesischen Kollegen, die über-wiegend nicht mit denen identisch waren, die wir in Chi-na getroffen hatten, dauerte insgesamt drei Wochen. DieRichterinnen und Richter besuchten im Schwerpunktnatürlich ebenfalls die hiesigen Gerichte und nahmen anVerhandlungen teil, vor allem, aber nicht nur in der Regi-on Berlin-Brandenburg. Hinzu kamen Seminareinheitenund ein Abschlussworkshop, bei dem Fälle aus allenRechtsgebieten rechtsvergleichend besprochen und ge-löst wurden. Einen ungeplanten praktischen Einblick indas Versammlungsrecht bekamen die – eigentlich zumEinkaufen im Berliner KaDeWe angetretenen – Kollegen,als sie Zeugen einer Demonstration gegen die Diskrimi-nierung Homosexueller in Russland in der Berliner Innen-stadt wurden. Offenkundig waren sie davon überrascht,dass die Berliner Polizei die Versammlung schützend be-gleitete – sie hatten wohl eine ganz andere Rolle derOrdnungskräfte im Hinterkopf. Ein umfassendes Freizeit-programm sorgte für Abwechslung und stellte sicher, dasswir die Kollegen immer wieder auch in anderen Zusam-menhängen kennen lernen konnten. Einer der zahlreichenHöhepunkte war sicherlich ein gemeinsames sommerli-ches Picknick in einem Segelclub am Wannsee mit an-schließender Segeltour. Auch wenn die meisten von unsauf die Dolmetscher angewiesen waren – einige der deut-schen Kollegen verfügen indes über recht gute Chinesisch-kenntnisse –, gelang die Kommunikation zunehmendbesser. Zwischen den Zeilen konnten wir durchaus selb-ständige, kritische und selbstbewusste Töne aus denMündern der Kollegen vernehmen. Gleichwohl bleibt derWeg zu einer echten inhaltlichen Auseinandersetzung mitChinas Richterinnen und Richtern mühsam, nicht nur aussprachlichen, sondern aus systembedingten Gründen.

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Verwaltungsgerichtsbarkeit

Über die strukturellen Defizite des chinesischen Rechts-systems kann der deutsch-chinesische Richteraustauschnatürlich nicht hinweghelfen. Ich persönlich bin aber dank-bar für einen tiefgehenden Einblick in ein völlig anderesRechtssystem, der mir nicht nur bei der zunehmend er-forderlichen Betreuung chinesischer Besuchergruppen anunserem Gericht helfen wird. Umgekehrt bin ich überzeugtdavon, dass die Erlebnisse in Deutschland die chinesi-schen Kollegen nicht unbeeindruckt gelassen haben. Eheranekdotisch, aber doch symptomatisch hierfür ist mir dietrockene Bemerkung einer Dolmetscherin in Erinnerunggeblieben. Dem ersten Abend in Berlin war ein Besuch

des BAG in Erfurt vorangegangen, bei dem über einen inden Vorinstanzen kontrovers entschiedenen Fall zu ent-scheiden war. Mein Hinweis auf die deutsche Weisheit„Zwei Juristen - drei Meinungen“ verpuffte geradezu. Kom-mentar der Dolmetscherin: Die Kollegen sind schon jetztneidisch auf die deutschen Richter! Wenn dieser Neideines Tages umschlägt in gestiegenes richterlichesSelbstbewusstsein, bleibt die Hoffnung, dass die impo-santen Gerichtsgebäude Chinas auf Dauer keine bloßeHülle ohne Kern bleiben, sondern zunehmend mit rechts-staatlichem Leben gefüllt werden.

Überholt!Die „Zahl der RichterDie „Zahl der RichterDie „Zahl der RichterDie „Zahl der RichterDie „Zahl der Richter, Richterinnen, Staatsanwälte, Staatsanwältinnen und V, Richterinnen, Staatsanwälte, Staatsanwältinnen und V, Richterinnen, Staatsanwälte, Staatsanwältinnen und V, Richterinnen, Staatsanwälte, Staatsanwältinnen und V, Richterinnen, Staatsanwälte, Staatsanwältinnen und Vertreterertreterertreterertreterertreter,,,,,VVVVVertreterinnen des öffentlichen Interesses in der Rertreterinnen des öffentlichen Interesses in der Rertreterinnen des öffentlichen Interesses in der Rertreterinnen des öffentlichen Interesses in der Rertreterinnen des öffentlichen Interesses in der Rechtspflege der Bundesrepublik Deutschlandechtspflege der Bundesrepublik Deutschlandechtspflege der Bundesrepublik Deutschlandechtspflege der Bundesrepublik Deutschlandechtspflege der Bundesrepublik Deutschlandam 31. Dezember 2012“am 31. Dezember 2012“am 31. Dezember 2012“am 31. Dezember 2012“am 31. Dezember 2012“

von Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Martin Fleuß, Leipzig

Der Beitrag knüpft an die Auswertungen der Statistik „Zahlder Richter, Staatsanwälte und Vertreter des öffentlichenInteresses in der Rechtspflege der BundesrepublikDeutschland“ der Jahre 2006 (BDVR-Rundschreiben2008, S. 72), 2008 (BDVR-Rundschreiben 2009, 109),und 2010 (BDVR-Rundschreiben 2011, 150) an (vgl. zuden Statistiken 2002 DRiZ 2004, 44 und 2004 BDVR-Rundschreiben 2006, 62).

Eigentlich könnte die Verwaltungsgerichtsbarkeit mit Zufrie-denheit auf das vergangene Jahrzehnt zurückblicken. Ihr istes in dieser Dekade gelungen, die Last der überjährigenasylgerichtlichen Verfahren abzulegen und sich im Verhält-nis zu den übrigen Gerichtsbarkeiten wieder wettbewerbs-fähig zu machen. Ein Blick in die bei dem Statistischen Bun-desamt (https://www.destatis.de) geführte Fachserie 10Reihe 2.4 - Rechtspflege - Verwaltungsgerichte - 2012 be-legt: Die Gerichtsbarkeit hat sich neu aufgestellt! Die An-zahl der bei den Verwaltungsgerichten anhängigen Haupt-verfahren hat sich mehr als halbiert. Waren am Ende desJahres 2002 noch 233.094 Hauptverfahren (nach 318.682Verfahren am 31. Dezember 1998) anhängig, so waren esam 31. Dezember 2012 nurmehr 105.768. Zeitgleich istdie Durchschnittsdauer der bei den Verwaltungsgerichtenerledigten Hauptverfahren von 16,9 Monaten im Jahr 2002(nach 18,8 Monaten im Jahr 2001) kontinuierlich auf denWert von 9,8 Monaten im Jahr 2012 gesunken. Vergleichtman gerade den letztgenannten Wert mit den Parallelwertenin der Sozialgerichtsbarkeit (14,3 Monaten; StatistischesBundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.7 - Rechtspflege - Sozi-algerichte - 2012, S. 24) und der Finanzgerichtsbarkeit (16,6Monate; Statistisches Bundesamt, Fachserie 10 Reihe 2.5- Rechtspflege - Finanzgerichte - 2012, S. 16), so ist diesein klares Signal an die Rechtspolitik: Die Verwaltungs-gerichtsbarkeit ist eine moderne und effizient arbeitendeGerichtsbarkeit!

Dennoch stimmt die zu besprechende, insbesondereaus den Personalübersichten und Mitteilungen der Län-der und den Meldungen der Bundesgerichte erstellteStatistik des Bundesamts für Justiz über die Zahl derRichterinnen und Richter in der Rechtspflege der Bun-desrepublik Deutschland, jedenfalls was die Verwal-tungsgerichtsbarkeit betrifft, sorgenvoll. So hat sich derRückgang des Arbeitskraftanteils der Verwaltungs-richterinnen und -richter auch im Jahr 2012 unvermin-dert fortgesetzt. Belief sich dieser am 31. Dezember2004 noch auf den Wert von 2.215,77, so verringerteer sich seither kontinuierlich (2.030,46 am 31. Dezem-ber 2006, 1.928 am 31. Dezember 2008) auf nurmehr1.861,13 am 31. Dezember 2012. Damit sank derWert erstmals seit Beginn der statistischen Aufzeich-nungen unter den entsprechenden Wert der Sozialge-richtsbarkeit (1.898,19). Die Entwicklung betrifft dieVerwaltungsgerichte der Länder (1.827,70 am 31. De-zember 2010, 1.806,13 am 31. Dezember 2012) wieauch das Bundesverwaltungsgericht (56,00 am 31.Dezember 2010, 55,00 am 31. Dezember 2012) glei-chermaßen. Kontinuierlich angestiegen ist allein derAnteil der Verwaltungsrichterinnen an der Summe derArbeitskraftanteile (26,01 % am 31. Dezember 2004,29,55 % am 31. Dezember 2008, 32,47 % am 31.Dezember 2010, 34,21 % am 31. Dezember 2012).Bei dem Bundesverwaltungsgericht liegt er mit 16,00% am Ende des Jahres 2012 deutlich über denVergleichswerten des Bundessozialgerichts, des Bun-desfinanzhofs und des Bundesarbeitsgerichts. In denLändern beträgt der Anteil der Verwaltungsrichterinnenbereits 34,36 %. Die Arbeitskraftanteile der Probe-richterinnen und -richter in der Verwaltungsge-richtsbarkeit sanken demgegenüber von 115,05 amEnde des Jahres 2010 auf 103,25 am Ende des Jah-res 2012. Abschließend noch eine bei isolierter

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Verwaltungsgerichtsbarkeit

Betrachtung bedenklich anmutende Entwicklung: DerAnteil der Arbeitskraft der mit Gerichtsverwal-tungsaufgaben befassten Kolleginnen und Kollegen hateinen neuen Höchststand erreicht (101,25 am

31. Dezember 2004, 102,07 am 31. Dezember 2006,109,95 am 31. Dezember 2008, 112,87 am 31. De-zember 2010, 115,48 am 31. Dezember 2012).

Quelle: Personalübersichten und Mitteilungen der Länder sowie Meldungen der Bundesgerichte der Generalbundesanwalts und Bundesministerien

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Deutsche Verwaltungsgerichte

Verwaltungsgericht Triervon Richter am Verwaltungsgericht Herbert Braun

HistorischesDas Verwaltungsgericht Trier hat seinen Sitz in Deutsch-lands ältester Stadt, die auf eine mehr als 2000-jährigeGeschichte zurückblicken kann und mit ihren zahlreichenzum UNESCO Welterbe gehörenden baulichen Anlagenaus der Römerzeit und dem Mittelalter weithin bekanntist. Insoweit umfasst die Geschichte des Verwaltungsge-richts Trier, das in seiner heutigen Form seit dem 1. Ja-nuar 1978 als selbstständiges Verwaltungsgericht be-steht, nur einen vergleichbar kurzen Zeitraum.

Gleichwohl hat die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Trier be-reits eine lange Tradition. Erste Ansätze einer Verwaltungs-gerichtsbarkeit finden sich nämlich bereits im Jahre 1800,als Trier nach dem Einmarsch der französischen Revo-lutionstruppen am 9. August 1794 zu Frankreich gehörteund ab dem 6. Mai 1800 nach den damals maßgeben-den französischen Gesetzen ein so genannter Präfekturratdie Aufgabe hatte, über Eingaben der Bürger zu entschei-den, die sich gegen die öffentliche Verwaltung wandten.Damit wurde den Bürgern – soweit ersichtlich – erstmalsdie Befugnis eingeräumt, sich förmlich gegen staatlicheMaßnahmen zur Wehr zu setzen, zumal als Rechtsmittelgegen Entscheidungen dieses Präfekturrates die Berufungund die Kassation an den Staatsrat in Paris, in welchemder 1. Konsul bzw. der Kaiser den Vorsitz führte, gegebenwaren.

Allerdings endeten diese ersten Ansätze einer Verwaltungs-gerichtsbarkeit in Trier bereits im Jahr 1815 wieder, als Trieraufgrund der Entscheidung des Wiener Kongresses vom10. Februar 1815 Preußen zugeordnet worden war undder preußische König Friedrich Wilhelm III. durchVerwaltungsanordnung vom 30. April 1815 die von denFranzosen geschaffene Verwaltungsorganisation und diedamit verbundene Möglichkeit, um Rechtsschutz gegenstaatliche Maßnahmen nachzusuchen, wieder aufhob.

Einen neuerlichen Anfang machte die Verwaltungs-gerichtsbarkeit in Trier alsdann im Jahr 1888, als in demTeil der preußischen Rheinprovinz, zu dem Trier seinerzeitgehörte, das preußische Gesetz über die allgemeineLandesverwaltung vom 30. Juli 1883 in Kraft trat, das beiden Kreisen und Städten die Bildung von Kreis- bzw. Stadt-ausschüssen vorsah, die über Beschwerden gegen im Ein-zelnen enumerativ aufgezählte Entscheidungen der Städ-te bzw. der Kreise zu entscheiden hatten und gegen derenEntscheidungen im förmlichen Verwaltungsstreitverfahren,das Ansätze eines gerichtlichen Verfahrens im heutigenSinn hatte, Einspruch beim Bezirksausschuss eingelegt wer-den konnte, der alsdann Entscheidungen „im Namen desKönigs“ zu treffen hatte. Allerdings waren die Bezirksaus-schüsse letztlich keine mit den heutigen Verwaltungsge-richten gleichzusetzenden unabhängigen Gerichte, sondernletztlich lediglich Teil der allgemeinen Verwaltung, denn siebestanden aus dem Regierungspräsidenten als Vorsitzen-

dem sowie sechs weiteren Mitgliedern, von denen zweivom preußischen König auf Lebenszeit ernannt wurden,wobei allerdings einer der Ernannten die Befähigung zumRichteramt und der andere diejenige zum höheren Ver-waltungsdienst haben musste.

Nach dem Ende des 2. Weltkrieges begann eine neueEpoche der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Durch Erlass desOberpräsidenten Rheinland-Hessen-Nassau vom 30. März1946 wurde die Wiedererrichtung der Verwaltungsgerich-te angeordnet, so dass auch das BezirksverwaltungsgerichtTrier wieder auflebte, zunächst als Abteilung der hiesigenBezirksregierung geführt wurde und weiterhin das preußi-sche Gesetz über die allgemeine Landesverwaltung ausdem Jahre 1883 anzuwenden hatte.

In der Folgezeit löste das am 1. April 1950 in Kraft getre-tene rheinland-pfälzische Landesgesetz über die Verwal-tungsgerichtsbarkeit vom 14. April 1950 das preußischeGesetz über die allgemeine Verwaltung ab und sah für je-den Regierungsbezirk in Rheinland-Pfalz die Einrichtungeines Bezirksverwaltungsgerichts am Sitz des Regierungs-präsidenten vor. Dabei bestimmte das Gesetz, dass dasBezirksverwaltungsgericht aus einem Verwaltungsge-richtsdirektor, den erforderlichen Kammervorsitzenden,weiteren beamteten Mitgliedern im Haupt- oder Neben-amt und den ehrenamtlichen Mitgliedern bestehen sollte.Entscheidungen waren in der Besetzung mit einem Vorsit-zenden, einem beamteten und einem ehrenamtlichenMitglied als Beisitzern zu treffen.

Damit hätte grundsätzlich der Fortbestand eines eigenstän-digen – nunmehr von der Verwaltung unabhängigen – Ver-waltungsgerichts in Trier gewährleistet sein können. Indes-sen konnte sich die Landesregierung nicht entschließen,für dieses Gericht einen Verwaltungsgerichtsdirektor zuernennen, und machte 1950 von der ihr gesetzlich einge-räumten Ermächtigung Gebrauch, durch Verordnung dieZuständigkeit für mehrere Regierungsbezirke einemBezirksverwaltungsgericht zu übertragen; sie richtete für diedamals bestehenden Regierungsbezirke Koblenz, Mon-tabaur und Trier ein gemeinsames Bezirksverwaltungs-gericht mit Sitz beim Regierungspräsidenten in Koblenz ein,so dass ab dem 1. April 1950 in Trier kein eigenständigesVerwaltungsgericht mehr existierte.

Gleichwohl ging damit die Zeit, in der in Trier Entschei-dungen in verwaltungsgerichtlichen Verfahren getroffenwurden, nicht zu Ende, denn nunmehr wurde in Trier eineAußenstelle des Bezirksverwaltungsgerichts Koblenz miteiner Kammer gebildet, die nach der Geschäftsverteilungdes Koblenzer Bezirksverwaltungsgerichts für alle Ver-waltungsrechtsstreitigkeiten aus dem RegierungsbezirkTrier zuständig war und ihren Sitz weiterhin im Gebäudeder Bezirksregierung hatte.

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BDVR-Rundschreiben 04|2013196

Deutsche Verwaltungsgerichte

Infolge des Inkrafttretens der Verwaltungsgerichtsordnungdes Bundes – VwGO – vom 21. Januar 1960 und des Lan-desgesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichts-ordnung vom 26. Juli 1960 wurde beim Verwaltungsge-richt Koblenz – dies war nunmehr die neue Gerichtsbe-zeichnung – förmlich eine Auswärtige Kammer in Trier er-richtet, die ihren Sitz weiterhin im Folgenden bis Juni 1976im Gebäude der Bezirksregierung hatte, ehe die Unabhän-gigkeit des Verwaltungsgerichts auch dadurch verdeutlichtwurde, dass die Auswärtige Kammer des Verwaltungsge-richts Koblenz aus den bisherigen Diensträumen auszogund ihren Sitz in von einem Hotel angemieteten Dienst-räumen, die allerdings nicht dem üblichen Standard vonGerichtsgebäuden entsprachen, nahm.

VerselbstständigungDer Anstieg der in Trier anhängigen Verfahren bewirkteschließlich, dass zum 1. Januar 1978 ein selbständigesVerwaltungsgericht eingerichtet wurde, das Verwaltungs-gericht Trier. Als sein Zuständigkeitsbereich wurde der Re-gierungsbezirk Trier bestimmt. Darüber hinaus wurde es zu-ständig für sämtliche lastenausgleichsrechtliche Verfahrenin Rheinland-Pfalz. Dabei wurden zunächst fünf Kammerngebildet, zwei Kammern für allgemeine Verwaltungsrechts-streitigkeiten, eine Kammer für dienstordnungsrechtlicheVerfahren, eine Kammer für landespersonalvertretungs-rechtliche und eine Kammer für bundespersonalrechtlicheVerfahren.

1981 trat eine Gesetzesänderung in Kraft, die für die wei-tere Entwicklung des Verwaltungsgerichts Trier von erheb-licher Bedeutung sein sollte; das Verwaltungsgericht Trierwurde auch für die nachfolgend erheblich zunehmende Zahlasylrechtlicher Streitigkeiten zuständig, die zuvor in Rhein-land-Pfalz nur vom Verwaltungsgericht Neustadt bearbei-tet worden waren, was in den folgenden Jahren zu einererheblichen personellen Aufstockung des Gerichts führte.

Zum 11. November 1989 trat sodann eine weitere Än-derung des rheinland-pfälzischen Gerichtsorganisations-gesetzes in Kraft, derzufolge sich der Zuständigkeitsbe-reich des Verwaltungsgerichts Trier in Disziplinarverfahrenbei Bundes- und Landesbeamten nicht mehr nur nochauf den Regierungsbezirk Trier, sondern auf das ganzeLand Rheinland-Pfalz erstreckte; eine Zuständigkeit fürVerfahren nach den Personalvertretungsgesetzen desLandes und des Bundes entfiel allerdings, da insoweitnunmehr das Verwaltungsgericht Mainz für das ganzeLand Rheinland-Pfalz zuständig wurde.

Bedingt durch einen erheblichen Anstieg der vom Verwal-tungsgericht Trier zu bearbeitenden Verfahren und den da-mit verbundenen Personalzuwachs benötigte das Verwal-tungsgericht Trier dringend weitere Räume, so dass 1994der Umzug des Gerichts in das ehemalige Trierer Finanz-amt erfolgte, dessen Räume sich das Verwaltungsgerichtin der Folgezeit bis Ende 2011 mit der StaatsanwaltschaftTrier teilte.

Im Juni 2010 ergab sich dann eine wesentliche Erweiterungdes Aufgabenbereichs des Verwaltungsgerichts Trier, da

Das Verwaltungsgericht Trier heuteSeit Oktober 2012 steht dem Verwaltungsgericht Trier nacheinem erneuten Umzug nun ein eigenes Dienstgebäudean historisch bedeutsamer Stelle in Trier zur Verfügung. ZurRömerzeit befand sich am heutigen Standort in der TriererEgbertstraße nämlich der im 4. Jahrhundert nach Christuserrichtete römische Circus, auf dem – in Nachbarschaft zudem den Kämpfen vorbehaltenem Amphitheater – vor über50.000 Zuschauern vor allem Wagenrennen durchgeführtwurden. Allerdings sind von diesem Circus, auf den zahl-reiche bildliche Darstellungen aus der Antike hinweisen,heute keine Reste mehr sichtbar, zumal 1893 im fragli-chen Bereich die im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstörtepreußische Provinzial-Weinbauschule errichtet worden war.Nach dem Krieg wurde dann an dieser Stelle im Osten derStadt Trier, die ansonsten in diesem Stadtviertel durchWohnnutzung mit zahlreichen Häusern aus der Gründer-zeit geprägt wird, vom Land Rheinland-Pfalz in Nachfolgeder Provinzial-Weinbauschule die Landes-Lehr- und Ver-suchsanstalt für Weinbau, Gartenbau und Landwirtschafteingerichtet, in deren ehemaligem Verwaltungs- undLaboratoriumsgebäude das Verwaltungsgericht Trier nun-mehr nach einem grundlegenden Umbau seinen Sitz hat.

Unter der Leitung von Präsident Georg Schmidt und Vize-präsident Reinhard Dierkes sind derzeit insgesamt 11 Rich-terinnen und Richter in vier für allgemeine Rechtsgebietezuständigen Kammern und in zwei Disziplinarkammern tä-tig. Außerdem gehören dem Gericht 13 Bedienstete imnichtrichterlichen Bereich an.

Der Zuständigkeitsbereich des Verwaltungsgerichts Triererstreckt sich heute in asylrechtlichen, disziplinarrechtlichenund lastenausgleichsrechtlichen Verwaltungsrechts-streitigkeiten auf das gesamte Land Rheinland-Pfalz, in densonstigen verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf die StadtTrier, die Landkreise Trier-Saarburg, Bernkastel-Wittlich undVulkaneifel sowie den Eifelkreis Bitburg-Prüm mit einer Flä-che von ca. 5.000 qkm und insgesamt gut 510.000 Ein-wohnern. Insoweit reicht der Gerichtsbezirk im Westen vonder deutsch-belgischen Grenze bei St. Vith nahe derrheinland-pfälzischen Landesgrenze zu Nordrhein-Westfa-len entlang der deutsch-luxemburgischen Grenze bis zurrheinland-pfälzischen Landesgrenze zum Saarland undumfasst weite Teile der Eifel, des Hunsrücks und entlangder Mosel von Palzem, nahe der deutsch-französischenGrenze an der Obermosel, bis zur Mittelmosel bei Reil.

Was die Bearbeitung der anhängigen Rechtsstreitigkeitenangeht, hat sich in den letzten Jahren sehr viel geändert,nachdem in Rheinland-Pfalz in der Verwaltungsge-richtsbarkeit der elektronische Rechtsverkehr eröffnet wur-de, so dass sowohl das Gericht als auch die Pro-zessbeteiligten die Möglichkeit haben, Schriftsätze/Ent-scheidungen in elektronischer Form zu übersenden. Hier-von wird in nicht unerheblichem Umfang Gebrauch ge-macht, so dass heute die meisten Verfahren bei demVerwaltungsgericht Trier elektronisch geführt werden.

das Gericht seitdem für alle in Rheinland-Pfalz erstinstanz-lich zu verhandelnden Asylverfahren zuständig ist.

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Deutsche Verwaltungsgerichte | Europa

Foto: Egon Wolf

Als allgemeine Erkenntnisquellen für diesen Beitrag wurden herangezogen:Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Bereich des Regierungsbezirks Trier, Herausgeber Verwaltungsgericht Trier, Mai 1997;Festschrift 100 Jahre Landes-Lehr- und Versuchsanstalt Trier, 1893-1993; Gottfried Kentenich, Geschichte der StadtTrier, 1915, Hans Heinen, 2000 Jahre Trier, Band I; in den vorgenannten Schriften zitierte weitere Quellen.

Verwaltungsrichtervereinigung NRWbesucht den EGMRvon Richter am Verwaltungsgericht Dr. Jan Neumann, Münster

Der Vorstand der Verwaltungsrichtervereinigung NRW hieltsich am 10./11. Oktober 2013 in Straßburg auf. Die (pri-vat finanzierte) Fortbildungsreise diente einerseits demKennenlernen diverser europäischer Institutionen, ande-rerseits dem näheren Austausch mit den ebenfalls teil-nehmenden Sprechern der Vereinigung an den verschie-denen NRW-Verwaltungsgerichten.

Am ersten Reisetag besuchte die Gruppe eine Debatte imEuropäischen Parlament über die Verfolgung von Christenin verschiedenen asiatischen Ländern, darunter Pakistanund Iran. Beeindruckend war nicht nur die geringe Zahlder anwesenden Abgeordneten (die mit der großen Zahlan EU-Amtsprachen kontrastierte, in die übersetzt wur-de), sondern auch die Begrenzung der jeweiligen Re-

dezeit auf nur eine Minute. Anschließend genoss dieReisegruppe eine Besichtigung der sehenswerten Straß-burger Innenstadt einschließlich des Münsters. Abendsfand die erste Vorstandssitzung der VRV NRW außerhalbdes Bundesgebiets statt. Gestärkt durch Sauerkraut undverschiedene regionale Spezialitäten besprach der Vor-stand u.a. die Vorbereitung von Klageverfahren gegen dieverfassungswidrige Unteralimentierung in NRW.

Die Kenntnisse der Reisegruppe über die EuropäischeMenschenrechtskonvention und ihre Protokolle multipli-zierten sich am Vormittag des zweiten Reisetages. In denRäumen des EGMR vermittelte die vom VG Köln an denGerichtshof abgeordnete Kollegin Schuster interessanteEinblicke in die Arbeitsweise des noch immer überlaste-

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BDVR-Rundschreiben 04|2013198

Europa

ten höchsten europäischen Gerichts. Rechtsreferentin Dr.von Arnim von der Kanzlei des EGMR verdeutlichte an-schließend die hohe Bedeutung der Arbeit der Mitgliederder Kanzlei für den Verlauf der Beschwerdeverfahren. Dasnicht immer spannungsfreie Verhältnis zwischen deut-schem Recht und dem Konventionsrecht erläuterte sieanhand der Entscheidung Ostendorf zur polizeirechtlichenHaft. Rechtsreferent Dr. Schäfer berichtete über vielfälti-ge Herausforderungen bei der Überwachung der Umset-zung stattgebender EGMR-Entscheidungen durch dasMinisterkomitee des Europarates. Dabei fanden die Pilot-verfahren besondere Beachtung.

ten zur Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fort-schritts in Europa, u.a. mittels diverser völkerrechtlicherKonventionen.

Bevor die Teilnehmer die Rückreise antraten, kamen sieangesichts der gewonnenen Einblicke in die Praxis euro-päischer Rechtsetzung und Rechtsprechung überein, sichin nicht allzu ferner Zeit auf eine weitere Fortbildungsreisezu begeben zu weiteren Institutionen des internationalenRechts, deren Wirken die verwaltungsgerichtliche Praxisbeeinflusst.

Ihren Abschluss fand die Fortbildungsreise im Palast desEuroparates mit einem Vortrag über die dortigen Aktivitä-

Foto: Stefan Schulte

Aktuelle Entscheidungen des EuGHund des EGMRzusammengestellt von Richterin am Verwaltungsgericht Rautgundis Schneidereit und Richterin amVerwaltungsgericht Christiane Stopp, Berlin

An dieser Stelle finden Sie eine Auswahl von Entscheidun-gen des EuGH und des EGMR mit Bezug zum Verwaltungs-recht sowie Hinweise auf eingereichte Vorabentscheidungs-ersuchen. Die Übersicht umfasst den Zeitraum seit demletzten BDVR-Rundschreiben und die in dieser Zeit erschie-nen Veröffentlichungen im Amtsblatt der EU.

Die Entscheidungen des EuGH sind im Volltext abrufbarunter www.curia.europa.eu. Dort kann auch der Standanhängiger Verfahren abgefragt werden. Entscheidungendes EGMR sind in englischer oder französischer Sprachezu finden unter www.coe.int, Hinweise auf deutsche Über-setzungen ausgewählter Entscheidungen des EGMR

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finden sich unter www.egmr.org. Im Auftrag des Bundes-ministeriums der Justiz erstellte Berichte über die Recht-sprechung des EGMR im Jahr 2012 in Verfahren gegendie Bundesrepublik Deutschland sowie in Fällen gegenandere Staaten als Deutschland, die von Relevanz für dasdeutsche Recht sind, sind zu finden unter www.egmr.org/link.html (s. zu den Vorjahren ebenfalls dort).

Unter http://fra.europa.eu/de/publications-and-resources/charterpedia ist das von der Agentur der EuropäischenUnion für Grundrechte geführte Online-Tool “Charterpedia”zu finden, das eine Informationssammlung und Kommen-tierung der Charta der Grundrechte der EuropäischenUnion einschließlich Entscheidungshinweisen darstellt.

I. EuGH/EuG

1. EntscheidungenUrteil vom 10. September 2013, Rs. C-383/13 PPUDie Nichtbeachtung der Verteidigungsrechte beim Erlasseiner Entscheidung über die Verlängerung der Haft einesillegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen im Hinblick aufseine Abschiebung führt nicht ohne Weiteres zur Aufhe-bung der Haft. Das nationale Gericht hat zu prüfen, obdemjenigen, der eine solche Rechtsverletzung geltendmacht, durch diese die Möglichkeit einer sachgerechterenVerteidigung in einem solchen Maße genommen wurde,dass das Verwaltungsverfahren, das zur Aufrechterhaltungder Haft geführt hat, zu einem anderen Ergebnis hätteführen können.

Stichworte: Visa; Asyl; Einwanderung und anderePolitiken betreffend den freien Personenverkehr; Ein-wanderungspolitik; Illegale Einwanderung und illegalerAufenthalt; Rückführung illegal aufhältiger Personen;Richtlinie 2008/115/EG; Rückführung illegal aufhältigerDrittstaatsangehöriger; Abschiebungsverfahren; Haft-maßnahme; Haftverlängerung; Art. 15 Abs. 2 und 6;Verteidigungsrechte; Anspruch auf rechtliches Gehör;Verletzung; Folgen

Tenor: Das Unionsrecht, insbesondere Art. 15 Abs. 2und 6 der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Par-laments und des Rates vom 16. Dezember 2008 übergemeinsame Normen und Verfahren in den Mitglied-staaten zur Rückführung illegal aufhältiger Dritt-staatsangehöriger, ist dahin auszulegen, dass das natio-nale Gericht, das mit der Beurteilung der Rechtmäßigkeiteiner in einem Verwaltungsverfahren unter Missachtungdes Anspruchs auf rechtliches Gehör beschlossenen Ver-längerung einer Haftmaßnahme betraut ist, die Haft-maßnahme nur dann aufheben darf, wenn es aufgrundaller tatsächlichen und rechtlichen Umstände des jewei-ligen Falles der Ansicht ist, dass dieser Verstoß demjeni-gen, der sich darauf beruft, tatsächlich die Möglichkeitgenommen hat, sich in solchem Maße besser zu vertei-digen, dass dieses Verwaltungsverfahren zu einem ande-ren Ergebnis hätte führen können.

Urteil vom 12. September 2013, Rs. T-331/11(Besselink ./. Rat)Das Gericht erklärt den Beschluss des Rates, den Zugangzu einem den Beitritt der Europäischen Union zur Euro-päischen Konvention zum Schutz der Menschenrechteund Grundfreiheiten betreffenden Dokument zu verwei-gern, teilweise für nichtig.

Stichworte: Zugang zu Dokumenten; Verordnung (EG) Nr.1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Ra-tes vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlich-keit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, desRates und der Kommission

Urteil vom 16. September 2013, Rs. T-250/10(KNUT – Der Eisbär)Das Gericht entscheidet den Rechtsstreit über die MarkeKNUT–DER EISBÄR zugunsten des Berliner Zoos. Wegender Gefahr von Verwechslungen mit der älteren deutschenMarke KNUD hat das Gemeinschaftsmarkenamt die Ein-tragung von KNUT – DER EISBÄR als Gemeinschaftsmarkefür das britische Unternehmen Knut IP Management Ltdzu Recht abgelehnt.

Urteil vom 19. September 2013, Rs. C-297/12Stichworte: Vorabentscheidungsersuchen; Raum der Frei-heit, der Sicherheit und des Rechts; Rückführung illegalaufhältiger Drittstaatsangehöriger; Richtlinie 2008/115/EG,Art. 11 Abs. 2; Rückkehrentscheidung, die mit einemEinreiseverbot einhergeht; grundsätzlich auf fünf Jahrebeschränkte Dauer des Einreiseverbots; nationale Rege-lung, wonach das Einreiseverbot unbefristet ist, sofern keinBefristungsantrag gestellt wird; Art. 2 Abs. 2 Buchst. b;Drittstaatsangehörige, die aufgrund einer strafrechtlichenSanktion oder infolge einer strafrechtlichen Sanktionrückkehrpflichtig sind; Nichtanwendung der Richtlinie

Tenor:1. Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 des Europäi-schen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in denMitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Dritt-staatsangehöriger ist dahin auszulegen, dass er einernationalen Vorschrift wie § 11 Abs. 1 des Gesetzes überden Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integrationvon Ausländern im Bundesgebiet entgegensteht, die dieBefristung eines Einreiseverbots davon abhängig macht,dass der betreffende Drittstaatsangehörige einen Antragauf eine derartige Befristung stellt.

2. Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115 ist dahin aus-zulegen, dass er es verbietet, einen Verstoß gegen einVerbot, in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einzu-reisen und sich dort aufzuhalten, das mehr als fünf Jah-re vor dem Zeitpunkt verhängt wurde, zu dem der betref-fende Drittstaatsangehörige erneut in dieses Ho-heitsgebiet eingereist oder die innerstaatliche Regelungzur Umsetzung dieser Richtlinie in Kraft getreten ist, straf-rechtlich zu ahnden, es sei denn, dieser Dritt-staatsangehörige stellt eine schwerwiegende Gefahr für

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die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oderdie nationale Sicherheit dar.

3. Die Richtlinie 2008/115 ist dahin auszulegen, dass sieder Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonacheine Ausweisung oder Abschiebung, die mehr als fünf Jahrevor dem Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt, zu dem dieseRichtlinie hätte umgesetzt werden müssen, und dem Zeit-punkt, zu dem sie tatsächlich umgesetzt wurde, erfolgte,später erneut als Grundlage für eine strafrechtliche Verfol-gung dienen kann, wenn diese Maßnahme im Sinne vonArt. 2 Abs. 2 Buchst. b der genannten Richtlinie aufgrundeiner strafrechtlichen Sanktion vorgenommen wurde undder betreffende Mitgliedstaat von der in dieser Bestimmungvorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat.

Urteil vom 24. September 2013, Rs. C-221/11(Demirkan)Türkische Staatsangehörige sind nicht berechtigt, ohneVisum in das Gebiet eines Mitgliedstaats der EU einzu-reisen, um dort eine Dienstleistung in Anspruch zu neh-men. Das Zusatzprotokoll zum AssoziierungsabkommenEWG-Türkei hindert einen Mitgliedstaat nicht daran, nachseinem Inkrafttreten eine Visumpflicht in Bezug auf dieInanspruchnahme von Dienstleistungen einzuführen.

Stichworte: Assoziierungsabkommen EWG–Türkei; Zusatz-protokoll; Art. 41 Abs. 1; Stillhalteklausel; Visumpflichtfür die Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats;freier Dienstleistungsverkehr; Recht eines türkischenStaatsangehörigen, in einen Mitgliedstaat einzureisen, umeinen Familienangehörigen zu besuchen und potenziellDienstleistungen in Anspruch zu nehmen

Tenor: Der Begriff „freier Dienstleistungsverkehr“ in Art. 41Abs. 1 des am 23. November 1970 in Brüssel unterzeich-neten und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 desRates vom 19. Dezember 1972 im Namen der Gemein-schaft geschlossenen, gebilligten und bestätigten Zusatz-protokolls ist dahin auszulegen, dass er nicht die Freiheittürkischer Staatsangehöriger umfasst, sich als Dienst-leistungsempfänger in einen Mitgliedstaat zu begeben, umdort eine Dienstleistung in Anspruch zu nehmen.

Urteil vom 17. Oktober 2013, Rs. C-391/12Das an die deutschen Printmedien gerichtete Verbot,gesponserte Beiträge ohne Kennzeichnung mit dem Be-griff „Anzeige“ zu veröffentlichen, verstößt grundsätzlichnicht gegen das Unionsrecht. Da der Unionsgesetzgeberfür die Printmedien hierzu noch keine Rechtsvorschriftenerlassen hat, bleiben die Mitgliedstaaten zur Regelungdieser Materie befugt.

Stichworte: Richtlinie 2005/29/EG; unlautere Geschäfts-praktiken; persönlicher Anwendungsbereich; irreführen-de Unterlassungen in als Information getarnter Werbung;Regelung eines Mitgliedstaats, nach der entgeltliche Ver-öffentlichungen ohne die Kennzeichnung als „Anzeige“verboten sind; vollständige Harmonisierung; strengereMaßnahmen; Pressefreiheit

Tenor: Unter Umständen wie denen des Ausgangs-verfahrens ist es nicht möglich, sich gegenüber Presse-verlegern auf die Richtlinie 2005/29/EG des EuropäischenParlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über un-lautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüberVerbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richt-linie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments unddes Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 desEuropäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie überunlautere Geschäftspraktiken) zu berufen, so dass dieRichtlinie unter diesen Umständen dahin auszulegen ist,dass sie der Anwendung einer nationalen Bestimmungnicht entgegensteht, wonach Presseverleger jede Veröffent-lichung in ihren periodischen Druckwerken, für die sie einEntgelt erhalten, speziell kennzeichnen müssen – imvorliegenden Fall mit dem Begriff „Anzeige“ –, es seidenn, durch die Anordnung und Gestaltung der Veröf-fentlichung ist allgemein zu erkennen, dass es sich umeine Anzeige handelt.

Urteil vom 17. Oktober 2013, Rs. C-291/12Die Aufnahme von Fingerabdrücken in Reisepässe istrechtens. Zwar stellt die Erfassung und Speicherung vonFingerabdrücken im Reisepass einen Eingriff in die Rechteauf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personen-bezogener Daten dar, doch sind diese Maßnahmen ge-rechtfertigt, um die betrügerische Verwendung von Rei-sepässen zu verhindern.

Stichworte: Vorabentscheidungsersuchen; Raum der Frei-heit, der Sicherheit und des Rechts; biometrischerReisepass; digitale Fingerabdrücke; Verordnung (EG)Nr. 2252/2004; Art. 1 Abs. 2; Gültigkeit; Rechtsgrund-lage; Verfahren zum Erlass der Verordnung; Art. 7 und 8der Charta der Grundrechte der Europäischen Union;Recht auf Achtung des Privatlebens; Recht auf Schutz per-sonenbezogener Daten; Verhältnismäßigkeit

Tenor: Die Prüfung der Vorlagefrage hat nichts ergeben,was die Gültigkeit von Art. 1 Abs. 2 der Verordnung (EG)Nr. 2252/2004 des Rates vom 13. Dezember 2004über Normen für Sicherheitsmerkmale und biometrischeDaten in von den Mitgliedstaaten ausgestellten Pässenund Reisedokumenten in der Fassung der Verordnung(EG) Nr. 444/2009 des Europäischen Parlaments unddes Rates vom 6. Mai 2009 beeinträchtigen könnte.

Urteil vom 7. November 2013, verbundene Rs.C-199/12, 200/12 und 201/12Homosexuelle Asylbewerber können eine bestimmte so-ziale Gruppe bilden, die der Verfolgung wegen ihrer sexu-ellen Ausrichtung ausgesetzt ist. In diesem Kontext kanndas Bestehen einer Freiheitsstrafe, mit der im Herkunfts-land Homosexualität bedroht ist, für sich alleine eineVerfolgungshandlung darstellen, sofern sie tatsächlich ver-hängt wird.

Stichworte: Richtlinie 2004/83/EG; Mindestnormen für dieAnerkennung und den Status als Flüchtling oder den sub-sidiären Schutzstatus; Art. 10 Abs. 1 Buchst. d; Zuge-

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hörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe; sexuelleAusrichtung; Verfolgungsgrund; Art. 9 Abs. 1; Begriff„Verfolgungshandlungen“; begründete Furcht vor Verfol-gung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten so-zialen Gruppe; Handlungen, die so gravierend sind, dasssie eine solche Furcht begründen; Rechtsvorschriften, diehomosexuelle Handlungen bestrafen; Art. 4; individuel-le Prüfung der Ereignisse und Umstände

Tenor:1. Art. 10 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/83/EGdes Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen fürdie Anerkennung und den Status von Drittstaatsan-gehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Per-sonen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen,und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes istdahin auszulegen, dass das Bestehen strafrechtlicher Be-stimmungen wie der in den Ausgangsverfahren in Redestehenden, die spezifisch Homosexuelle betreffen, dieFeststellung erlaubt, dass diese Personen als eine be-stimmte soziale Gruppe anzusehen sind.

2. Art. 9 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2Buchst. c der Richtlinie 2004/83 ist dahin auszulegen,dass der bloße Umstand, dass homosexuelle Handlun-gen unter Strafe gestellt sind, als solcher keine Ver-folgungshandlung darstellt. Dagegen ist eine Freiheitsstra-fe, mit der homosexuelle Handlungen bedroht sind unddie im Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassenhat, tatsächlich verhängt wird, als unverhältnismäßigeoder diskriminierende Bestrafung zu betrachten und stelltsomit eine Verfolgungshandlung dar.

3. Art. 10 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2004/83 istdahin auszulegen, dass vom Geltungsbereich der Richtli-nie nur homosexuelle Handlungen ausgeschlossen sind,die nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten straf-bar sind. Bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennungder Flüchtlingseigenschaft können die zuständigen Behör-den von dem Asylbewerber nicht erwarten, dass er seineHomosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oderZurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrich-tung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.

Urteil vom 14. November 2013, C-4/11Stichworte: Vorabentscheidungsersuchen; Asyl; Charta derGrundrechte der Europäischen Union; Art. 4; Verordnung(EG) Nr. 343/2003; Art. 3 Abs. 1 und 2; Bestimmungdes Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einemDrittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestelltenAsylantrags zuständig ist; Art. 6 bis 12; Kriterien zur Be-stimmung des zuständigen Mitgliedstaats; Art. 13; Auf-fangklausel

Tenor: Wenn den Mitgliedstaaten nicht unbekannt seinkann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrensund der Bedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbernin dem ursprünglich nach den Kriterien des Kapitels IIIder Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Ver-fahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prü-

fung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einemMitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, als zu-ständig bestimmten Mitgliedstaat ernsthafte und durchTatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen,dass der betreffende Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft,einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung imSinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäi-schen Union ausgesetzt zu werden, was zu prüfen Sachedes vorlegenden Gerichts ist, ist der den zuständigenMitgliedstaat bestimmende Mitgliedstaat verpflichtet, denAsylbewerber nicht an den ursprünglich als zuständig be-stimmten Mitgliedstaat zu überstellen und – vorbehaltlichder Wahrnehmung der Befugnis, den Antrag selbst zu prü-fen – die Prüfung der Kriterien des genannten Kapitels fort-zuführen, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaatnach einem dieser Kriterien oder andernfalls nach Art. 13der Verordnung als zuständig bestimmt werden kann.

Hingegen hat in einer solchen Situation die Unmöglich-keit der Überstellung eines Asylbewerbers an den ur-sprünglich als zuständig bestimmten Mitgliedstaat alssolche nicht zur Folge, dass der den zuständigen Mitglied-staat bestimmende Mitgliedstaat verpflichtet ist, den Asyl-antrag auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 2 der Verord-nung Nr. 343/2003 selbst zu prüfen.

2. Eingereichte Vorabentscheidungsersuchen

EuGH, Rs. C-477/13 (BVerwG, EuGH-Vorlage vom 10. Juli2013 – BVerwG 8 C 9/12 –)

Ersuchen des BVerwG; Auslegung der Richtlinie 2005/36/EG; zur Frage, wann ein in Österreich wohnhafter Deut-scher, der dort als „Planender Baumeister“ praktiziert, inBayern die Berufsbezeichnung „Architekt“ führen darf

II. EGMR

Urteil vom 22. Januar 2013,App. no. 66837/11, El-Habach gg. DeutschlandAusländerrecht; Versagung einer Aufenthaltserlaubnis wegenmehrfacher gefährlicher Körperverletzung; Recht auf Achtungdes Familienlebens nach Artikel 8 EMRK; Eingriff bejaht, aberer war “in einer demokratischen Gesellschaft notwendig”;Kriterienkatalog für Notwendigkeit einer Ausweisungs-maßnahme; hier u.a.: schwerwiegende Straftaten; Einreisenach Deutschland mit fünf Jahren (26 Jahre Aufenthalt); dreiin Deutschland lebende Kinder; langjähriges Zusammenle-ben mit jüngster Tochter; Verletzung von Artikel 8 EMRK ver-neint; Rüge mithin offensichtlich unbegründet

Urteil vom 21. Oktober 2013,App. no. 55508/07 und 29520/09), Janowiec ua gg.RusslandKriegsverbrechen aus der Nazi- und Stalin-Zeit; Ermordungvon ca. 20.000 polnischen Kriegsgefangenen u.a. in Katyn;unterlassene Aufklärung und Einstellung der Strafverfah-ren durch Russland; Verletzung von Artikel 2 EMRK “Rechtauf Leben” verneint; Behandlung von Taten vor Beitritt zurKonvention; unmenschliche Behandlung Artikel 3 EMRKverneint, wegen fehlender Ungewissheit über das Schick-sal der Opfer.

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BDVR-Rundschreiben 04|2013202

Aus dem BDVR und e.V.

Mitgliederversammlung Berlin 2013von Vorsitzendem Richter am Verwaltungsgericht Dr. Christoph Heydemann, Berlin

Die Delegierten der Landesverbände und des Vereins derBundesrichter bei dem Bundesverwaltungsgericht tratenam 7. und 8. November 2013 in Berlin zur ordentlichenMitgliederversammlung des BDVR sowie des eingetrage-nen Vereins Deutscher Verwaltungsgerichtstag zusammen.Erstmals galten für beide Vereine die neuen, aufeinanderabgestimmten Satzungen. Zur Angleichung der Wahlperi-oden wurde der Vorstand des eingetragenen Vereins ge-mäß der Übergangsregelung nur für ein Jahr (das Kalen-derjahr 2014) neu gewählt. Die Delegierten bestätigten inihren Funktionen den Vorsitzenden Dr. ChristophHeydemann, die Stellvertretende Vorsitzende Prisca Schil-ler, den Kassenwart Dr. Martin Steinkühler sowie die Vor-standsmitglieder Heinz Albers (Hamburg) und Johann Os-wald (Bayern). Anstelle des nicht kandidierenden BurkhardOstermann (Nordrhein-Westfalen), der weiter dem BDVR-Vorstand angehört, wurde Dr. Robert Seegmüller (Berlin)gewählt. Die Mitgliederversammlung erörterte mit dem

Bundestagsabgeordneten Professor Dr. Patrick Sensburg(CDU-Hochsauerlandkreis; im vergangenen BundestagMitglied des Rechtsausschusses und Vorsitzender desUnterausschusses Europarecht) die in der neuen Legisla-turperiode anstehenden und in den (in Ausarbeitung be-findlichen) Koalitionsvertrag aufzunehmenden rechts-politischen Projekte. In einem weiteren Gespräch mit deru.a. für die Verwaltungsgerichtsordnung zuständigen Mi-nisterialrätin im Bundesjustizministerium Dr. ChristineSteinbeiß-Winkelmann wurden die aus der Sicht derVerwaltungsgerichtsbarkeit drängenden Gesetzgebungs-desiderate besprochen. In weiteren Tagesordnungspunk-ten beschäftigte sich die Mitgliederversammlung unter an-derem mit der Richterbesoldung, der Nachbereitung des17. Deutschen Verwaltungsgerichtstags in Münster und derVorbereitung des nachfolgenden Verwaltungsgerichtstagsin Hamburg 2016.

Vorankündigung: Siebter KleinerVerwaltungsgerichtstag in Schwerin 2014von Vorsitzendem Richter am Verwaltungsgericht Dr. Christoph Heydemann, Berlin

Der nächste Kleine Verwaltungsgerichtstag wird am 15.und 16. Mai 2014 im Goldenen Saal des Justizministeri-ums von Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin stattfin-den und seinen Schwerpunkt im Ausländer- undFlüchtlingsrecht haben. Als Referenten werden voraus-sichtlich Prof. Dr. Uwe-Dietmar Berlit (Vorsitzender Rich-ter am Bundesverwaltungsgericht), Dr. Nora Markard (der-zeit Universität Hamburg), Dr. Manfred Schmidt (Präsidentdes Bundesamts für Migration und Flüchtlinge) und an-dere vortragen und sich der Diskussion stellen. Die hu-manitäre Katastrophe im Mittelmeer vor der Insel

Lampedusa, die europa- und völkerrechtlichen Vorgabenfür das deutsche Ausländer- und Flüchtlingsrecht und dieVorschläge zu einer „intelligenten“, auch nationale Inter-essen berücksichtigenden Aufnahmepolitik beschäftigennicht nur die Politiker im Deutschen Bundestag, sonderngehen auch Verwaltungsrichter etwas an, selbst wenn sienicht mit Fällen aus diesen Rechtsgebieten befasst sind.Die genauen Angaben zum Tagungsprogramm und denAnmeldemodalitäten werden auf der Homepagewww.verwaltungsgerichtstag.de sowie über die Vorsitzen-den der Mitgliedsverbände bekannt gemacht.

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Aus den MitgliedsverbändenBaden-Baden-Baden-Baden-Baden-WürttemberWürttemberWürttemberWürttemberWürttemberggggg

Stufenvertretungen im richterlichenund staatsanwaltlichen BereichStellungnahme des VStellungnahme des VStellungnahme des VStellungnahme des VStellungnahme des Vereins der Vereins der Vereins der Vereins der Vereins der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichterinnen und VerwaltungsrichtererwaltungsrichtererwaltungsrichtererwaltungsrichtererwaltungsrichterBaden-Baden-Baden-Baden-Baden-WürttemberWürttemberWürttemberWürttemberWürttemberg an das Justizministerium Baden-g an das Justizministerium Baden-g an das Justizministerium Baden-g an das Justizministerium Baden-g an das Justizministerium Baden-WürttemberWürttemberWürttemberWürttemberWürttemberg vom 8. September 2013g vom 8. September 2013g vom 8. September 2013g vom 8. September 2013g vom 8. September 2013

Sehr geehrte Frau Ministerialdirektorin Limperg,der Verein der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungs-richter Baden-Württemberg bedankt sich herzlich für dieGelegenheit, zum Themenbereich „Stufenvertretungen“Stellung nehmen zu dürfen, sowie für das angenehmeGespräch mit Ihnen sowie Herrn Dr. Singer und Frau Dr.Meßling am 31. Juli 2013 im Justizministerium.

Der Vorstand des Vereins hat sich ausführlich mit demThemenbereich – auch unter Berücksichtigung von Anmer-kungen und Anregungen der Mitglieder hierzu sowie derErkenntnisse aus dem Gespräch mit Ihnen – beschäftigt.

Der Verein begrüßt, dass das Justizministerium sich nachInkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Landesrichter-gesetzes vom 16. April 2013 nunmehr diesem für dieRichterschaft, nicht zuletzt für die für von uns vertretenenVerwaltungsrichterinnen und -richter, sehr wichtigen Bereichangenommen hat. Es dokumentiert durch seine ernsthaf-te Bereitschaft, Verbesserungen bei der Beteiligung derRichterinnen und Richter einzuführen, eine Fortsetzung derPolitik des Gehörtwerdens und der Transparenz.

In Baden-Württemberg besteht derzeit eine im bundeswei-ten Vergleich sehr ausgeprägte Beteiligung der (Verwal-tungs-)Richterinnen und Richter bei einzelnen Personal-entscheidungen, hingegen überhaupt keine Beteiligung inüberörtlichen allgemeinen und sozialen Angelegenheiten.Für die Richterschaft wichtige Fragen, etwa der Erlass vonBeurteilungsrichtlinien, die Erstellung eines Personal-entwicklungskonzepts, die EDV-Ausstattung der Arbeitsplät-ze oder die Ausgestaltung der elektronischen Akte oder deselektronischen Rechtsverkehrs können ohne jede Beteili-gung entschieden werden. In der Praxis eingesetzte Arbeits-gruppen oder durchgeführte informelle Anhörungen kön-nen dieses Defizit nicht beseitigen.

Ausgehend von diesem Befund sollte die Beteiligung der(Verwaltungs-)Richterinnen und Richter nach einer Ände-rung des Landesrichter- und -staatsanwaltsgesetzes(LRiStAG) aus Sicht des Vereins nach folgenden Grund-sätzen ausgestaltet sein.

Der Präsidialrat bleibt ohne Einschränkung dasBeteiligungsgremium bei Personalentscheidungen, dieeinzelne Personen betreffen. Er wird sogar bei weite-ren solchen Personalentscheidungen beteiligt: (1.) beiAbordnungen von Richterinnen und Richtern an Ver-waltungsstellen, insbesondere in die Ministerial-verwaltung, und als wissenschaftliche Mitarbeiterinnenbzw. Mitarbeiter an die Bundesgerichte einschließlichdem Bundesverfassungsgericht, (2.) in dem Fall, dasseine Richterin oder ein Richter tatsächlich entspre-

chend der gemäß § 7 Abs. 2 LRiStAG verlangten Be-reitschaft an einem anderen Gericht desselbenGerichtszweigs verwendet werden soll,1 und schließ-lich (3.) bei der Auswahl der von der Landesregierungbei den Bundesrichterwahlen vorgeschlagenen Rich-terinnen und Richter. § 33 Abs. 2 LRiStAG ist um die-se Fälle zu erweitern.

Zur Beseitigung des unbefriedigenden Zustands bei derBeteiligung in allgemeinen und sozialen Angelegenhei-ten ist im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit einüberörtliches Beteiligungsgremium zu schaffen. DiesesGremium könnte beispielsweise als „Richterrat derVerwaltungsgerichtsbarkeit“ oder als „Hauptrichterratbeim Verwaltungsgerichtshof“ bezeichnet werden. Essollte fünf Mitglieder haben; dabei entsendet jeder derfünf örtlichen Richterräte eines seiner Mitglieder. DasBeteiligungsgremium arbeitet sowohl mit der Präsiden-tin bzw. dem Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofsals auch mit der Justizministerin oder dem Justizmini-ster zusammen. Es ist also sowohl „Bezirksrichterrat“als auch „Hauptrichterrat“. Die Schaffung eines eigen-ständigen Beteiligungsgremiums für die Verwaltungs-richterinnen und -richter (und entsprechend für dieRichterinnen und Richter der anderen Gerichtsbarkei-ten) auch im Verhältnis zum Justizministerium haltenwir insbesondere deshalb für erforderlich, weil nur aufdiese Weise gewährleistet ist, dass ihre spezifischenInteressen auch gegenüber dem Ministerium zum Aus-druck gebracht werden können. Bei einem gemeinsa-men Beteiligungsgremium aller Richterinnen und Rich-ter wäre dies, selbst wenn ein „Minderheitenschutz“(etwa in Form einer Mindestvertretung von Richterin-nen und Richtern aus den Fachgerichtsbarkeiten) ge-währleistet wäre, nicht der Fall. Die notwendige Koor-dination der aus unserer Sicht zu schaffenden Gremienkönnte durch die Einführung eines Einigungsstellen-verfahrens erreicht werden, das so ausgestaltet wer-den muss, dass notwendige Entscheidungen auch zeit-gerecht getroffen werden können. Die Mitbestimmungwäre darüber hinaus bei einer solchen Lösung von mehrRepräsentanz der Kolleginnen und Kollegen vor Ortgetragen.

Bedarf für eine Freistellung von Richterinnen und Rich-tern für die Arbeit in der Stufenvertretung in der hiervorgeschlagenen Form sieht der Vorstand des Vereinsnicht. Dies dürfte auch aus haushaltsrechtlichen Grün-den zu begrüßen sein. Freistellungen sollten jedenfallsnicht zulasten einer Gerichtsbarkeit, sondern gleichmä-ßig zulasten aller Gerichtsbarkeiten gehen.

BDVR-Rundschreiben 04|2013204

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205BDVR-Rundschreiben 04|2013

Aus den MitgliedsverbändenBaden-Baden-Baden-Baden-Baden-WürttemberWürttemberWürttemberWürttemberWürttemberggggg

1 Eine Beteiligung in diesem Fall erübrigte sich natürlich, wenn die Änderung des Landesrichter- und -staatsan- waltsgesetzes dazu genutzt werden würde, diese Vorschrift aus dem Gesetz zu entfernen (zur Kritik des Vereins an dieser Vorschrift vgl. bereits unserer Schreiben an Herrn Justizminister Stickelberger zu dem Entwurf eines Personalentwicklungskonzepts vom 16. Februar 2003).

Die Beteiligung der Richterinnen und Richter in allge-meinen und sozialen Angelegenheiten sollte abschlie-ßend im Landesrichter- und -staatsanwaltsgesetz undnicht durch die Anordnung der entsprechenden Anwen-dung von Vorschriften des Landespersonalvertretungs-gesetzes geregelt sein. Zum einen vermeidet eine der-artige Regelungstechnik Schwierigkeiten bei derAuslegung dessen, was unter „entsprechender Anwen-dung“ zu verstehen ist. Zum anderen sind Richterinnenund Richter eben keine besonderen Beamtinnen undBeamten, sondern durch das Grundgesetz mit Unabhän-gigkeit ausgestattete Angehörige der Dritten Gewalt.

Die Beteiligungstatbestände und -verfahren sind an derspezifischen Betroffenheit der Richterinnen und Rich-ter unter Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben,nicht zuletzt der richterlichen Unabhängigkeit, auszu-richten. Aus Sicht des Vereins sollten die Beteiligungs-tatbestände auf für die Richterinnen und Richter be-sonders wichtige Angelegenheiten ausgerichtet sein.Die eingangs aufgezählten Gebiete sollten sie auf je-den Fall abdecken.

Der Verein hält es darüber hinaus für wünschenswert,dass die Einbeziehung aller Richterinnen und Richtereinschließlich ihrer Berufsvertretungen bei sie betreffen-den Maßnahmen – wie sie bei der Erstellung desPersonalentwicklungskonzepts oder nun auch zum The-ma der Stufenvertretung stattgefunden hat – in Formeines Anhörungstatbestandes gesetzlich verankert wird.Eine derartige Anhörung könnte – gerichtsbarkeits-bezogen oder gerichtsbarkeitenübergreifend – im Vor-feld der Beteiligung der Stufenvertretung unbürokratischin Form einer „Mail an alle Betroffenen“ erfolgen. Aufdiese Weise kann das Wissen und die Kreativität allerRichterinnen und Richter in die Entscheidungsfindungeinfließen und so die Qualität der Entscheidungen ver-bessern.

Der Verein der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungs-richter ist gerne bereit, das weitere Verfahren bei der Ein-führung von Stufenvertretungen konstruktiv zu begleiten.

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BDVR-Rundschreiben 04|2013206

Aus den MitgliedsverbändenBerlinBerlinBerlinBerlinBerlin

Evaluierung des Berliner RichtergesetzesStellungnahme des VStellungnahme des VStellungnahme des VStellungnahme des VStellungnahme des Vereins der Vereins der Vereins der Vereins der Vereins der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter in Berlin e. Verwaltungsrichter in Berlin e. Verwaltungsrichter in Berlin e. Verwaltungsrichter in Berlin e. Verwaltungsrichter in Berlin e. V.....an die Senatsverwaltung für Justiz und Van die Senatsverwaltung für Justiz und Van die Senatsverwaltung für Justiz und Van die Senatsverwaltung für Justiz und Van die Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz vom 28. Aerbraucherschutz vom 28. Aerbraucherschutz vom 28. Aerbraucherschutz vom 28. Aerbraucherschutz vom 28. August 2013ugust 2013ugust 2013ugust 2013ugust 2013

Sehr geehrte Damen und Herren,die Gelegenheit zur Stellungnahme zum Berliner Richter-gesetz nutzen wir gern und. begrüßen die angemesseneFrist zur Äußerung. Dass die Frist noch verlängert wurde,gibt Anlass zur Hoffnung, dass anders als bei Verabschie-dung des Gesetzes eine Mitarbeit der Verbände undRichtervertretungen erwünscht ist.

Wir halten ebenso wie der Deutsche Richterbund und derHauptrichterrat grundlegende Änderungen des Gesetzes fürerforderlich. Sie betreffen vornehmlich frauen- und familien-feindliche Regelungen, ungenügende Mitbestimmungs-und Mitwirkungsrechte sowie den Richterwahlausschuss.

1. Die Vorschriften über die Bereitschaft zur Verwendungan einem anderen Gericht desselben Gerichtszweigs (§ 4Abs. 1 Sätze 2 bis 5 RiG) sind frauen- und familienfeindlichund müssen entfallen. Die Bedeutung der Betreuungminderjähriger Kinder und pflegebedürftiger Angehörigewird vom Senat immer wieder hervorgehoben. Er solltedann auch an die eigenen Beschäftigten denken. DasLand Brandenburg kann sich den Verzicht auf die Vor-schrift leisten, obwohl der dortige Dienstherr durch diegeringe Größe vieler Gerichte vor höhere Anforderungengestellt wird als das Land Berlin. Das Gleiche gilt für dieentsprechende Regelung zu Teilzeitbeschäftigten in § 5Abs. 2 RiG.

Des Weiteren benachteiligt § 5 Abs. 1 RiG, der Teilzeit-beschäftigung mit weniger als der Hälfte des regelmäßi-gen Dienstes ausschließt, Richter und Staatsanwälteunangemessen gegenüber Beamten, für die § 54 Abs. 5LBG eine günstigere Regelung enthält.

2. Im Mittelpunkt der Kritik der Richterverbände an demneuen Richtergesetz steht seit jeher derRichterwahlausschuss. In unserem Schreiben an die Se-natsverwaltung für Justiz vom 12. Dezember 2010 hat-ten wir hierzu ausgeführt:

„Auch wenn nun eine breitere Mehrheit für die Wahl imRichterwahlausschuss erforderlich ist, bleibt die Änderungder Zusammensetzung des Ausschusses nicht hinnehm-bar. Die bisherige Berliner Regelung hat sich bewährt. Esgibt keinen Grund, sie im Interesse eines Gleichklangs mitder Brandenburger Regelung aufzugeben, zumal der RiG-E an anderen Stellen durchaus unterschiedliche Regelun-gen in Berlin und Brandenburg vorsieht. Die Richterwahlist auf Akzeptanz in der Justiz angewiesen. Die imAusschuss vertretenen Richter und Staatsanwälte könnenaufgrund ihrer eigenen Berufserfahrung die Anforderungenan zu besetzende Ämter besonders gut einschätzen. Fer-ner bringt der Vertreter der VerwaltungsgerichtsbarkeitSachkunde in dienst- und verfahrensrechtlicher Hinsichtein. Mit der Neuregelung wird demgegenüber eine partei-

politisch geprägte Wahl möglich. Daran kann niemand einernsthaftes Interesse haben.“

An dieser Kritik halten wir fest. Wir fordern die Wieder-einführung der früheren Zusammensetzung des Richter-wahlausschusses. Niemand kann annehmen, die aus derWahl durch den alten Ausschuss hervorgegangenen Amts-inhaber seien nicht hinreichend demokratisch legitimiertgewesen. Bei der gegenwärtigen Zusammensetzung desRichterwahlausschusses, besonders in Ansehung des§ 22 Abs. 1 Satz 4 RiG, ist hingegen die wichtige undseit Jahrzehnten gut eingeführte richterliche Mitwirkungan der Auswahl des eigenen Nachwuchses faktisch ab-geschafft und durch die Möglichkeit politischer Ein-flussnahme ersetzt worden.

Je ein Richter der Fachgerichtsbarkeiten sowie ein Staats-anwalt müssen dem Ausschuss neben Vertretern der or-dentlichen Gerichtsbarkeit ständig angehören. Die berech-tigte Forderung der Justizverwaltung nach Vielseitigkeit derKandidaten für Ämter bei den Gerichten bedingt, dass sichnicht nur von Fall zu Fall ein nichtständiges Mitglied derjeweiligen Gerichtsbarkeit mit dem Wahlvorschlag befas-sen kann.

Eine erhebliche Belastung für die Verwaltungsge-richtsbarkeit besteht ferner darin, dass der neu zusammen-gesetzte Richterwahlausschuss eine Vielzahl von Kandida-ten für das Amt eines Vorsitzenden Richters am Verwal-tungsgericht nicht gewählt hat. Die Fachöffentlichkeit kannnicht ansatzweise nachvollziehen, welche Gründe es für dieAblehnung gibt und dass die Gründe vor Abs. 33 Abs. 2GG Bestand haben. Durch dieses geheime Verfahren wirddie vom Gesetzgeber mit der Stärkung des Gewichts derAbgeordneten verfolgte Absicht in ihr Gegenteil verkehrt unddie demokratische Legitimation des Richterwahlaus-schusses wird beschädigt.

Wir halten es für erforderlich, im Richtergesetz die Zuge-hörigkeit des Richterwahlausschusses zur Exekutive klar-zustellen. Er hat die Aufgabe einer Rechtskontrolle, näm-lich der Bestenauslese gemäß Art. 33 Abs. 2 GG, und istkein Gremium mit politischen Gestaltungsbefugnissenoder freiem politischen Mandat.

Zwar ist die Abstimmung geheim (§ 22 Abs. 1 Satz 1 RiG)und das Abstimmungsverfahren zweifach (§ 22 Abs. 1 Satz2 bis 4 RiG). Der Ausschuss ist ohne Bezug zur persönli-chen und fachlichen Eignung von Bewerbern nach § 11Abs. 3 RiG zu unterrichten – der tiefere Sinn der Unter-richtung bleibt allerdings im Dunkeln –, und parlamentari-sche Mitglieder werden entsprechend der Sitzverteilung imParlament gewählt (§ 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 3 RiG).

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Aus den MitgliedsverbändenBerlinBerlinBerlinBerlinBerlin

Damit ist aber keine politische Freiheit der Aus-schussmitglieder verbunden, dem Wahlvorschlag zuzu-stimmen oder ihn abzulehnen. Denn die Mitglieder sindan Art. 33 Abs. 2 GG gebunden. Dementsprechend re-gelt § 22 Abs. 1 Satz 1 RiG Kriterien für die Abstimmung.Die Sitzungen sind, wie für exekutive, nicht jedoch fürlegislative Handlungen kennzeichnend, nichtöffentlich(§ 21 Abs. 1 Satz 1 RiG). Die Justizakten müssen vorge-legt werden (§ 20 Abs. 2 RiG), was legislativen Wahlaktenfremd ist. Das Richtergesetz regelt Ausschließungsgründe(§ 19 RiG), und es sind Fachleute einzubeziehen (§ 12Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 RiG).

Der Ausschuss überprüft nach alledem, ob die an Rechtund Gesetz gebundene Auswahl des für Justiz zuständi-gen Mitglieds des Senats rechtmäßig ist. Dafür muss derAusschuss seinerseits in das bestehende gerichtlicheSystem zur Kontrolle von Auswahlentscheidungen einge-fügt werden und seine Entscheidungen begründen. An-sonsten wird die verfassungsrechtliche Verpflichtung zurBestenauslese in einem transparenten Verfahren verfehltund der Vorgang der Kontrolle durch unabhängige Gerichteentzogen, ohne dass der abgelehnte Bewerber auch nurerfährt, aus welchen Gründen sein verfassungskräftigerAnspruch nicht bestehe.

§ 22 Abs. 5 RiG ist daher wie folgt zu fassen: „Die ableh-nende Entscheidung des Richterwahlausschusses bedarfeiner Begründung“. In § 22 Abs. 1 Satz 1 RiG sind dieWörter „in geheimer Abstimmung“ durch „in offener Ab-stimmung“ zu ersetzen. Zur weiteren Erhöhung der Trans-parenz befürworten wir mit dem Deutschen Richterbundein Anhörungsrecht des Richterwahlausschusses.

3. Bereits in ihrer gemeinsamen Stellungnahme zum er-sten Entwurf des Richtergesetzes im Jahre 2010 hattendie Berufsverbände auf eine fehlende Rechtfertigung dergeringeren Kompetenzen des Präsidialrats im Verhältniszu den Regelungen in der überwiegenden Mehrzahl deranderen Bundesländer hingewiesen. Mit Präsidialrat,Richterrat, Gesamtrichterrat, Hauptrichter- und Haupt-staatsanwaltsrat, Schwerbehindertenvertretung undFrauenvertreterin gibt es eine Vielzahl von Gremien, diejeweils nur für einen Ausschnitt zuständig sind und dabeiauch noch schwach ausgeprägte Kompetenzen besitzen.Hier erscheint längerfristig eine über das Richtergesetzhinausweisende Straffung der personellen Beteiligung beiStärkung der materiellen Beteiligungsrechte sinnvoll. Auchdie in Art. 11 Abs. 2 Satz 2 des Staatsvertrags über dieErrichtung gemeinsamer Fachobergerichte der LänderBerlin und Brandenburg vorgesehene Zahl der Mitgliederdes Gesamtrichterrates könnte zur Steigerung der Effek-tivität auf fünf reduziert werden. Erforderlich ist ferner überden gegenwärtigen Wortlaut des § 27 Abs. 2 Satz 2 RiGhinaus eine klare Regelung zum Umfang der Freistellungsowie dazu, wer über die Freistellung entscheidet.

Was den Umfang der richterlichen Beteiligung angeht,bleiben wir bei der Kritik des Deutschen Richterbundes,des Verwaltungsrichtervereins und der Vereinigung Berli-ner Staatsanwälte am ersten Entwurf des Richtergesetzes.

Erforderlich ist die Erweiterung des § 41 Abs. 1 RiG umMaßnahmen zur technischen Überwachung (z. B. Video-überwachung in Gerichtsgebäuden, vgl. § 85 Abs. 1 Satz1 Nr. 13 Buchstabe b PersVG gegenüber § 41 Abs. 2 Nr.2 RiG), Fortentwicklung von Personalbemessungssystemen(PEBB§Y, vgl. § 81 Abs. 1 HessPVG i. V. m. § 25 Abs. 2HessRiG), allgemeine Festlegung der Verfahren und Me-thoden von Wirtschaftlichkeits- und Organisationsprüfungen(vgl. § 81 Abs. 1 HessPVG i. V. m. § 25 HessRiG) undBeförderungs- und Erprobungsrichtlinien sowie An-forderungsprofile (vgl. § 41 Abs. 2 Nr. 5 RiG).

Dass § 42 Abs. 1 RiG die Abgabe dienstlicher Beurtei-lungen nicht umfasst, ist diskussionswürdig (vgl. § 90 Nr.7 PersVG sowie § 17 Abs. 2 LGG).

In § 47 Abs. 8 RiG ist die Entscheidungsbefugnis der ober-sten Dienstbehörde zu streichen. Welche Grundsätze derMinisterialverantwortung (vgl. Begründung RiG-E) die Re-gelung erfordern und warum jene Grundsätze auf die derRichtervertretung günstige Berliner Vorgängerregelung nichtanzuwenden waren, erschließt sich nicht. Ebenso wenigsind Gründe dafür zutage getreten, dass die Einigungsstellegemäß § 49 Abs. 3 Satz 1 RiG bei Maßnahmen, die dereingeschränkten Mitbestimmung (§ 41 Abs. 2 RiG) unter-liegen, nur eine Empfehlung ausspricht und abschließenddie oberste Dienstbehörde entscheidet.

§ 8 RiG soll klarstellend entsprechend § 11 PersVG for-muliert werden: „Personen, die Aufgaben oder Befugnissenach diesem Gesetz im Richterwahlausschuss, in Richter-vertretungen oder im Wahlvorstand wahrnehmen oderwahrgenommen haben, sind verpflichtet, über die ihnendabei bekannt gewordenen Angelegenheiten und Tatsa-chen Stillschweigen zu bewahren, deren Geheimhaltunggesetzlich vorgeschrieben oder ihrer Bedeutung nach er-forderlich ist. Mitglieder der Richtervertretungen haben fer-ner über Angelegenheiten und Tatsachen Stillschweigen zubewahren, die vom Gerichtsvorstand ausdrücklich als ge-heimhaltungsbedürftig bezeichnet worden sind.“

§ 55 Abs. 1 Satz 1 RiG ist nicht praktikabel. Der Gerichts-vorstand muss entscheiden, wen er beteiligt.

4. § 7 RiG ist entsprechend § 6 RiG a.F. dahingehend zuändern, dass die Berufsverbände anzuhören sind. DerBegriff Spitzenorganisationen kommt aus dem Beamten-bereich mit seinen zahlreichen Einzelgewerkschaften undpasst nur eingeschränkt auf die Vertretungen der Richterund Staatsanwälte. Eine Verringerung von Beteiligungs-rechten sollte mit der Neufassung nicht verbunden sein,wie Staatssekretär Lieber dem Unterzeichner bei der An-hörung zum RiG-E im Abgeordnetenhaus auf Nachfrageversichert hatte. Dann kann es auch bei der alten For-mulierung bleiben.

5. Zum Schluss erneuern wir die von allen Verbänden derRichter und Staatsanwälte erhobene Forderung nach ei-ner einheitlichen Besoldung in Berlin und Brandenburg. Eineinheitliches Richtergesetz, einheitliche Fachobergerichteund ein Staatsvertrag, der in § 4 Abs. 1 Satz 2 eine weite-

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BDVR-Rundschreiben 04|2013208

Aus den MitgliedsverbändenBerlin | MecklenburBerlin | MecklenburBerlin | MecklenburBerlin | MecklenburBerlin | Mecklenburg-g-g-g-g-VVVVVorpommern | Nordrhein-orpommern | Nordrhein-orpommern | Nordrhein-orpommern | Nordrhein-orpommern | Nordrhein-WWWWWestfalenestfalenestfalenestfalenestfalen

re Vereinheitlichung des Richterrechts vorschreibt, lassensich mit immer weiter auseinanderlaufenden Besoldungs-verhältnissen nicht vereinbaren. Wenn Berlin an einerumfassenden Vereinheitlichung kein Interesse hat, stelltsich die Frage nach dem Sinn des Staatsvertrags.

Wir würden es sehr begrüßen, wenn Sie wie vor Inkraft-treten des RiG zu einer Anhörung einladen. Einbezogenwerden sollten dabei die Mitglieder des Richterwahlaus-schusses, die ihre Sichtweise auf Kapitel 2 des RiG vor-stellen könnten.

Neuer Vorstand des VVR im LandeMecklenburg-Vorpommernvon Richter am Oberverwaltungsgericht Holger Böhmann, Greifswald

In der Mitgliederversammlung am 9. Oktober 2013 hatder Verein der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungs-richter im Lande Mecklenburg-Vorpommern einen neuenVorstand für die Zeit ab dem 22. November 2013 ge-wählt. Vorsitzende ist Frau Richterin am Verwaltungsge-

richt Bettina Wessel (Schwerin), weitere Mitglieder sindHerr Richter am Oberverwaltungsgericht Martin Redekerund Herr Vorsitzender Richter am VerwaltungsgerichtChristoph Seppelt (jeweils Greifswald).

Mitgliederversammlung des Landesverbandes NRWvon Richter am Verwaltungsgericht Dr. Tobias Trierweiler, Gelsenkirchen

Am 15. November 2013 fand im Oberverwaltungsgerichtfür das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die jährlicheMitgliederversammlung des Landesverbandes NRW statt.Der Vorsitzende des Landesvorstandes Vorsitzender Rich-ter am Verwaltungsgericht Dr. Carsten Günther stellte imRahmen seiner Begrüßung die große Enttäuschung dernordrhein-westfälischen Richterschaft über die vom Land-tag beschlossene sogenannte „doppelte Nullrunde“ für

Foto: Dr. Duesmann

Richter und Beamte des höheren Dienstes heraus, die fürdiese ein Sonderopfer zur Konsolidierung des Haushaltesdarstelle. Er appellierte an die Landesregierung, dasBesoldungsanpassungsgesetz NRW, welches nach Ein-schätzung nahezu aller Sachverständigen in der Experten-anhörung des Landtags als verfassungswidrig einzustufensei, zu ändern und eine verfassungskonforme Alimentati-on zu gewährleisten.

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209BDVR-Rundschreiben 04|2013

Aus den MitgliedsverbändenNordrhein-Nordrhein-Nordrhein-Nordrhein-Nordrhein-WWWWWestfalenestfalenestfalenestfalenestfalen

Justizminister Thomas Kutschaty gab in seinem Grußworteinen kurzen Überblick über aktuelle justizpolitischeGesetzgebungsvorhaben im Land Nordrhein-Westfalen.Auf besonderes Interesse stießen dabei seine Ausführun-gen zur Novellierung des Landesrichtergesetzes. Das ge-plante Landesrichter- und Staatsanwältegesetz sehe nachdem gegenwärtigen Stand neben einer Ausweitung derMöglichkeiten der Teilzeitbeschäftigung unter anderemeine Erweiterung der Mitbestimmung vor. Ferner sei be-absichtigt, für Richter die Möglichkeit einer vorausset-zungslosen Erweiterung der Dienstzeit bis zum 67. Le-bensjahr einzuführen.

Der Geschäftsführer und Pressesprecher derRechtsanwaltskammer Köln, Herr Rechtsanwalt MartinHuff, hielt in diesem Jahr den Gastvortrag der Mitglieder-versammlung zu demThema „ Aktuelle Entwicklungen inder Medienarbeit der Justiz – Herausforderungen undChancen“. Seine bisherigen Tätigkeiten, u. a. als Redak-teur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Pressesprecherdes hessischen Justizministeriums und Chefredakteur derNeuen Juristischen Wochenschrift, qualifizierten ihn in be-sonderem Maße, die Medien- bzw. Pressearbeit der Ju-stiz von „Außen“ zu beleuchten. Herr Huff betonte diesichaus der Veränderung der Medienlandschaft ergeben-

Schließlich schied Herr Vizepräsident des Verwaltungsge-richts Markus Lehmler aus dem Landesvorstand aus; derVorstand dankte ihm für sein langjähriges Engagementfür den Landesverband. Frau Richterin am Verwaltungs-gericht Anke Eggert wurde als neues Mitglied des Vorstan-des gewählt.

den Herausforderungen für die Öffentlichkeitsarbeit derJustiz. Es seien Tendenzen zu einem „Vorankündigungs-journalismus“ zu verzeichnen, bei dem die Vorbe-richterstattung in den Vordergrund trete und das eigentli-che Ereignis zur Randnotiz werde. Die Berichterstattung überGerichtsverfahren beschränke sich zudem auf (Kurz-)Statements, die kaum Zeit für eine eingehende Begrün-dung gerichtlicher Entscheidungen ließe. Die stetige Ab-nahme des Fach- bzw. Qualitätsjournalismus mache eineAufbereitung gerichtlicher Entscheidungen für den Nicht-juristen bereits unmittelbar durch die Pressestellen derGerichte ebenso notwendig wie der Umstand, dass digi-tal bereitgestellte Pressemitteilungen der Justiz inzwischenhäufig ohne redaktionelle Bearbeitung verbreitet würden.All dies erfordere eine (weitere) Professionalisierung derPressearbeit der Justiz, die eine entsprechende Erweite-rung der personellen Ressourcen voraussetze.

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BDVR-Rundschreiben 04|2013210

Aus den Mitgliedsverbänden |PersonaliaNordrhein-Nordrhein-Nordrhein-Nordrhein-Nordrhein-WWWWWestfalenestfalenestfalenestfalenestfalen

Doppelte Nullrunde vor demVerfassungsgerichtshof in Nordrhein-Westfalenvon Vorsitzendem Richter am Verwaltungsgericht Dr. Carsten Günther,Vorsitzender der Verwaltungsrichtervereinigung NRW

Die Oppositionsfraktionen der CDU und der FDP imnordrhein-westfälischen Landtag haben im September vordem Verfassungsgerichtshof in Münster Klage gegen dasBesoldungsanpassungsgesetz 2013/2014 erhoben. DasBesoldungsanpassungsgesetz setzt den Tarifabschluss imöffentlichen Dienst (+ 5,6 % im Laufe von zwei Jahren)nur für Beamte bis zur Besoldungsgruppe A 10 unein-geschränkt um und sieht für Beamte ab der Besoldungs-gruppe A 13 sowie für Richterinnen und Richter zwei Null-runden vor.1 Das abstrakte Normenkontrollverfahren vordem Verfassungsgerichtshof ist möglich, weil Art. 4Abs. 1 der Landesverfassung die Grundrechte und diestaatsbürgerlichen Rechte des Grundgesetzes zu einemBestandteil der Landesverfassung erklärt und ein Verstoßgegen den aus Art. 33 Abs. 5 GG herzuleitenden Grund-satz der amtsangemessenen Alimentation damit vomVerfassungsgerichtshof geprüft werden kann.

Die Verwaltungsrichtervereinigung NRW hatte den Gangzum Verfassungsgerichtshof angeregt, nachdem der Land-tag im Sommer trotz vernichtender Sachverständigen-anhörung2 den Gesetzentwurf der Landesregierung unver-ändert beschlossen hatte. Sie begrüßt die Unterstützungdurch die klagenden Fraktionen ausdrücklich. DieRechtsschutzgewährung durch den Verfassungsgerichtshofist in zweierlei Hinsicht von besonderer Bedeutung: Erstens

ergehen Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs NRWüblicherweise recht zügig, sodass wohl schon im Jahr2014 – und damit vor Beginn der nächsten Tarifrunde –mit einer Entscheidung zu rechnen sein dürfte. Das ist auchim Interesse der betroffenen Richter und Beamten eingewaltiger Vorteil. Zweitens wird es das erste Mal sein, dassein Verfassungsgerichtshof eines Landes sich zu Fragen derBesoldung äußert. Es wird spannend sein zu sehen, wel-che Rolle der Verfassungsgerichtshof im Verhältnis zumBundesverfassungsgericht hier einnehmen wird.

Die Verwaltungsrichtervereinigung NRW empfiehlt ihrenMitgliedern daneben, auch um individuellen Rechtsschutznachzusuchen. Das ist einerseits zur Wahrung der eige-nen Rechte erforderlich; andererseits beschränkt sich derindividuelle Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten –anders als das Normenkontrollverfahren vor dem Ver-fassungsgerichtshof NRW – nicht allein auf die Besol-dungs-Nullrunden 2013/2014, sondern zielt auf die nochdarüber hinausgehende Unteralimentation. ZahlreicheWidersprüche sind bereits erhoben; eine Musterklage, diees jedem Mitglied erlaubt, auch ohne vertiefte dienstrecht-liche Kenntnisse Klage zu erheben, ist vorbereitet. Sie wirdnach der Schlussredaktion etwa ab Februar 2014 auf derHomepage der Verwaltungsrichtervereinigung NRW abruf-bar sein (http://nordrhein-westfalen.bdvr.de/).

1 S. bereits den Beitrag im BDVR-Rundschreiben 2013, S. 101. 2 S. hierzu www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMA16-276.pdf.

Joachim Buchheister neuer Präsident desOVG Berlin-Brandenburgvon Vizepräsident des Verwaltungsgerichts Dr. Wilfried Peters, Berlin

Seit dem 1. Dezember 2013 ist der bisherige Richter amBundesverwaltungsgericht Joachim Buchheister neuerPräsident des gemeinsamen Oberverwaltungsgerichts derLänder Berlin und Brandenburg. Damit endet eine fastzweijährige Vakanz an der Spitze der Berlin-Brandenbur-ger Verwaltungsgerichtsbarkeit. Sein Vorgänger im Amt,Jürgen Kipp, war bereits zum Jahresende 2011 in denRuhestand getreten. Die Leitungsfunktion nahm in derInterimszeit Hildegart Fitzner-Steinmann als Vizepräsiden-tin des Oberverwaltungsgerichts wahr.

Der neue Präsident wurde am 16. August 1963 in Min-den/Westfalen geboren. Nach dem Abitur 1983 und der

Ableistung des Zivildienstes studierte er von 1985 bis1990 an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Mün-ster Rechtswissenschaften, Referendariat und ZweiteJuristische Staatsprüfung schlossen sich an. Im April 1994trat Joachim Buchheister als Proberichter in den Justiz-dienst des Landes Brandenburg ein, dem damaligen Part-nerland Nordrhein-Westfalens, das Brandenburg beimJustizaufbau unterstütze. Nach einer ersten Abordnungs-station beim Verwaltungsgericht Münster setzte JoachimBuchheister seinen Dienst beim Verwaltungsgericht inPotsdam fort. Er gehörte dort der 2. Kammer an, dieunter anderem für öffentliches Dienstrecht zuständig war,einer Materie, die ihn in seiner weiteren richterlichen Lauf-

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211BDVR-Rundschreiben 04|2013

Personalia

bahn immer wieder beschäftigen sollte. Gleichzeitig über-nahm er schon in seiner Proberichterzeit Aufgaben in derGerichtsverwaltung und war Pressesprecher des Gerichts.

Unmittelbar nach seiner Ernennung zum Richter auf Le-benszeit wurde Joachim Buchheister im April 1997 alswissenschaftlicher Mitarbeiter an das Verfassungsgerichtdes Landes Brandenburg abgeordnet. Unter dem damali-gen Präsidenten Dr. Macke arbeitete er an einer Reihewichtiger Entscheidungen des Verfassungsgerichts mit,etwa zur Verfassungsmäßigkeit des BrandenburgischenPolizeigesetzes und zu der Fragestellung, ob sich diesorbische Gemeinde Horno verfassungsrechtlich dagegenwehren konnte, dem Lausitzer Braunkohlentagebau wei-chen zu müssen.

Nach dieser Abordnung wurde Joachim Buchheister mitWirkung vom 1. Januar 2000 zum Richter am Oberver-waltungsgericht Frankfurt (Oder) ernannt. Er gehörte dortdem 4. Senat an, der u. a. für Polizei- und Ordnungsrecht,Versammlungsrecht, Bergrecht, Ausländerrecht und Asyl-recht zuständig war. Später wechselte er in den 1. Senat,dessen Zuständigkeit u. a. das Kommunalrecht und dasRecht der Religionsgemeinschaften umfasste. Auch hierwar er in der Gerichtsverwaltung tätig und Mitglied derBund-Länder-Arbeitsgruppe PEBB§Y-Fach, die ein neuesSystem der Personalbedarfsberechnung in der Verwal-tungsgerichtsbarkeit erarbeitete.

Mit der Fusion der Oberverwaltungsgerichte Berlin undFrankfurt (Oder) am 1. Juli 2005 zum Oberverwaltungs-gericht Berlin-Brandenburg wurde Joachim Buchheisterdort dem 12. Senat zugewiesen, zu dessen Zuständig-keiten – neben zahlreichen anderen Materien – dasLuftverkehrsrecht gehörte. Er wirkte beispielsweise anmehreren Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit derSchließung des Flughafens Berlin-Tempelhof mit. EineThematik, die damals größte öffentliche Aufmerksamkeiterfuhr, weil Tempelhof als „Luftbrücken-Flughafen“ für denehemaligen Westteil Berlins hohen Erinnerungs- undIdentifikationswert hatte. Auch hier in Berlin war JoachimBuchheister zugleich als Präsidialrichter und Presse-dezernent tätig; zudem wurde er von Dezember 2005 bis

Im Januar 2007 erfolgte die Ernennung von JoachimBuchheister zum Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungs-gericht, und er übernahm den für öffentliches Dienstrechtzuständigen 4. Senat und die Disziplinarsenate. Schon eingutes Jahr später wurde er zum Richter am Bundesverwal-tungsgericht gewählt und trat seinen Dienst am 1. Juni2008 in Leipzig an. Das Präsidium des Bundesverwaltungs-gerichts wies ihn dem 3. Senat zu (u. a. zuständig fürLastenausgleichsrecht, Gesundheitsverwaltungsrecht,Recht der Land- und Forstwirtschaft, Lebensmittelrecht,Jagd- und Fischereirecht, Tierschutzrecht, Vermögenszu-ordnungsrecht und Verkehrsrecht), außerdem war er zeit-weise Mitglied im 2. Senat (öffentliches Dienstrecht). Zu-sätzlich wurde er im Mai 2011 Hauptpräsidialrichter desBundesverwaltungsgerichts und war wieder mit einer Viel-zahl von Verwaltungsaufgaben betraut. Über seine Mitglied-schaft im Verein der Bundesrichter ist Joachim Buchheisterschon bisher Mitglied im BDVR.

Neben dieser reichhaltigen Rechtsprechungstätigkeit unddem umfangreichen Mitwirken in der Gerichtsverwaltungwar Joachim Buchheister lange Jahre Leiter von Referendar-arbeitsgemeinschaften und ist seit 1998 nebenamtlicherPrüfer im Ersten und Zweiten Juristischen Staatsexamen.Außerdem ist er Mitautor des Kommentars zum Bundes-beamtengesetz von Kugele sowie des VwGO-Kommentarsvon Schoch/Schneider/Bier.

Joachim Buchheister ist verheiratet und Vater dreier Kin-der. Nicht nur seine Familie wird sich darüber freuen, dasser jetzt wieder beruflich nach Berlin zurückkehrt. Auch dieVerwaltungsrichterschaft in Berlin und Brandenburg istfroh, dass das Amt des Präsidenten des Oberverwaltungs-gerichts wieder besetzt ist. Dem neuen „Chefpräsidenten“geht nicht nur der Ruf der Aufgeschlossenheit und Tat-kraft voraus, sondern auch der Sportlichkeit. Als Läufernahm Joachim Buchheister mehrfach mit Kolleginnen undKollegen des Oberverwaltungsgerichts an der 5x5 km-Teamstaffel im Berliner Tiergarten teil.

März 2006 als Personalreferent in das brandenburgischeMinisterium der Justiz nach Potsdam abgeordnet.

Vizepräsident des VG a. D. Kurt F. Hohndorfverstorbenvon Präsident des Verwaltungsgerichts Andreas Knuth, Cottbus

Herr Vizepräsident des Verwaltungsgerichts a. D. KurtHohndorf ist nach schwerer Krankheit am 2. Juli 2013im Alter von 67 Jahren verstorben. Kurt Hohndorf, derzuvor seit 1975 am Verwaltungsgericht Minden tätig ge-wesen und beim Oberverwaltungsgericht in Münster er-probt worden war, kam als „Aufbauhelfer“ der ersten Stun-de bereits im September 1990 nach Brandenburg undübernahm den Vorsitz einer Kammer für Verwaltungs-

sachen am Kreisgericht Frankfurt (Oder). Bei dieser Tä-tigkeit sowie als „Errichtungsbeauftragter“ und erster Vi-zepräsident des zum 1. Januar 1993 gebildeten Verwal-tungsgerichts Frankfurt (Oder) hat er sich um dieVerwaltungsrechtspflege und den Aufbau der Verwaltungs-gerichtsbarkeit im Land Brandenburg sehr verdient ge-macht. Nach seiner Versetzung im Jahr 1998 führte erseine erfolgreiche Arbeit am Verwaltungsgericht Potsdam

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BDVR-Rundschreiben 04|2013212

Personalia

fort. Ein besonderer Schwerpunkt seiner richterlichenTätigkeit lag im Kommunalabgabenrecht; als gefragterExperte auf diesem Gebiet engagierte Kurt Hohndorf sichauch auf zahlreichen Tagungen und Fortbildungsveranstal-tungen.

Kurt Hohndorf hat die Vereinigung der Verwaltungs-richterinnen und Verwaltungsrichter des Landes Branden-burg als Vorsitzender und Stellvertreter über viele Jahrewesentlich geprägt. Er gehörte am 15. Januar 1991 zuden zwölf Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Grün-dungsversammlung der Arbeitsgemeinschaft derVerwaltungsrichter im Land Brandenburg. Zunächst nochals Mitglied im Vorstand der Vereinigung der Verwaltungs-richter und Verwaltungsrichterinnen des Landes Nord-

rhein-Westfalen verblieben, sorgte er für eine gute Koope-ration zwischen beiden Verbänden. Mit der Bildung derVereinigung der Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungs-richter des Landes Brandenburg im Jahr 1993 wurde erzuerst (und wiederum ab 2001) stellvertretender Vorsit-zender und war von 1997 bis 2001 Vorsitzender. SeinEngagement für den BDVR ist zuletzt bei der von ihm aufseine unnachahmliche Art umsichtig betreuten Vorstands-sitzung und Mitgliederversammlung 2009 in Potsdamdeutlich geworden. Kurt Hohndorf, dessen Wirken vonPflichtbewusstsein, Menschlichkeit und Augenmaß ge-prägt war, hat sich stets unermüdlich für die Belange derVerwaltungsgerichtsbarkeit sowie für die in ihr tätigenRichterinnen und Richter eingesetzt.

Eike Ingwer Schmidt – Ein Nachrufvon Präsident des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts Dr. Herwig van Nieuwland

Eike Schmidt war schon ein angesehener Richter des Ober-verwaltungsgerichts und einflussreicher Vorsitzender desVerwaltungsrichterverbandes von Niedersachsen undSchleswig-Holstein, als ich meine ersten Erfahrungen alsjunger Verwaltungsrichter gesammelt habe. Als sich dannunsere Wege kreuzten, bei Dienstbesprechungen, Tagun-gen und Verbandsversammlungen, wurde ich aufmerksamund neugierig auf diesen Kollegen und Menschen EikeSchmidt, der so ganz anders war als der normale, in mei-nen Augen doch recht konservativ daherkommendeVerwaltungsrichter zu jener Zeit. Frauen waren damals indiesem Beruf ohnehin eher eine Ausnahmeerscheinung.Offen, direkt und unverstellt, geradezu unorthodox in sei-nem Reden und Handeln. Für manche deshalb bisweilenauch provozierend. Ein Kollege, der für mich als junger Rich-ter damals ein völlig neues Richterbild verkörperte. Das hatmich schon sehr beeindruckt, sein Mut, offen zu sagen,was er denkt, keine Angst zu haben vor der Obrigkeit beistreitigen Auseinandersetzungen, die überkommenen Kon-ventionen zu kritisieren als lästige Hindernisse bei dringendnotwendigen Reformen, und doch – trotz seiner unkonven-tionellen Art – bei fast allen sehr beliebt und anerkannt.Da war jemand, der sprach offen über sein schwierigesVerhältnis zu seinem Vater, der dem NS-Staat als höhererBeamter gedient hatte, da war jemand, der auf der Schu-le mächtig Ärger bekommen hatte, weil er sich dierückwärtsgerichteten Ansichten seiner ewig gestrigen Lehrernicht länger anhören wollte, da war jemand, der auf demzweiten Bildungsweg Abitur gemacht und sich sein Studi-um selbst finanziert hatte – also ein Mensch, der demgängigen Typus des Verwaltungsrichters in den 70er und80er Jahren so ganz und gar nicht entsprach. Das man sosein konnte wie Eike, streitbar und trotzdem erfolgreich undangesehen, das hat mir und vielen anderen Kolleginnenund Kollegen meiner Generation die Gewissheit vermittelt,dass es sich lohnt, sich für seine Überzeugungen einzu-setzen und so die Verkrustungen in der Justiz zu überwin-

den. Eike Schmidt hat in den letzten drei Jahrzehntenmaßgeblich dazu beigetragen, dass die niedersächsischeVerwaltungsgerichtsbarkeit ein anderes, moderneres undmenschlicheres Antlitz bekommen hat.

Eike Schmidt hatte sehr klare Vorstellungen von den Auf-gaben einer unabhängigen Justiz in einem demokrati-schen Rechtsstaat. Da konnte er sehr kompromisslos undunnachgiebig sein, wenn es um die Beachtung der Re-geln der Gewaltenteilung ging, oder wenn er das Gefühlhatte, dass einzelne Kollegen richterliche Unabhängigkeitals ein persönliches Privileg missverstanden und ebennicht als eine besondere Verantwortung gegenüber demGemeinwesen betrachtet haben. Oder wenn ein Richteres an der aus seiner Sicht dringend gebotenen Empa-thie gegenüber seinen Fällen und vor allem gegenüberden betroffenen Menschen vermissen ließ. Eine Akte warfür Eike Schmidt eigentlich nie nur ein Fall, sondern im-mer auch ein sozialer Konflikt mit dem Auftrag, demSchwächeren und Bedürftigen beizustehen, um ihm zuseinem Recht zu verhelfen. Die Liebe zum Recht und dasStreben nach sozialer Gerechtigkeit, das waren in den Au-gen von Eike Schmidt die entscheidenden Werte, denensich ein guter Richter stets verpflichtet fühlen muss. Die-ses Ideal hat er uns allen in den vielen Jahren seiner rich-terlichen Tätigkeit vorgelebt und mit diesem Ethos war erVorbild für eine ganze Richtergeneration.

Eike Schmidt war auch immer Wegbereiter und Mentorfür viele junge Kolleginnen und Kollegen in der niedersäch-sischen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Der richterliche Nach-wuchs lag ihm in besonderer Weise am Herzen. So hater, wann immer es ging, junge Leute gefördert, sie be-schützt, wenn es Probleme gab, und sie ermutigt undihnen den Rücken gestärkt, wenn sie Zuwendung oderHilfe brauchten. Als Verbandsvorsitzender und als Vorsit-zender des Präsidialrates der niedersächsischen Verwal-

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213BDVR-Rundschreiben 04|2013

Personalia

tungsgerichtsbarkeit und nicht zuletzt als Präsident desVerwaltungsgerichts Stade hat er sich wie kaum ein an-derer konsequent und beharrlich vor die gestellt, für dieer kraft seiner Ämter und Funktionen Verantwortung ge-tragen hat.

Die niedersächsische Verwaltungsgerichtsbarkeit verneigtsich in Achtung und Dankbarkeit vor dem Richter, demMenschen und dem Freund Eike Ingwer Schmidt, der am24. Oktober 2013 im Alter von 69 Jahren nach schwe-rer Krankheit verstorben ist.

Feierstunde zum Wechsel im Präsidentenamtam Verwaltungsgericht Braunschweigvon Vizepräsident des Verwaltungsgerichts Erich Müller-Fritzsche, Braunschweig

In einer Feierstunde im Großen Saal der Handwerkskam-mer Braunschweig wurde am 9. September 2013 derneue Präsident des Verwaltungsgerichts BraunschweigWolfgang Bartsch von der Niedersächsischen Justizmini-sterin Antje Niewisch-Lennartz offiziell in sein Amt einge-führt. Zugleich wurde sein Vorgänger Christian Büschen inden Ruhestand verabschiedet. Zu der Feierstunde hatteder Präsident des Niedersächsischen Oberverwaltungsge-richts Dr. Herwig van Nieuwland eingeladen.

Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz würdigte vor zahl-reichen Ehrengästen aus Politik, Justiz und Verwaltung dieVerdienste des Ende Mai in den Ruhestand getretenenGerichtspräsidenten Christian Büschen. Er habe in mehrals 37 Jahren in der niedersächsischen Justiz Hervorra-gendes geleistet. Auffällig seien seine Einsatzfreude, prak-tisches Geschick und der Blick für das Wesentliche ge-wesen. Für seinen weiteren Ruhestand wünschte sie ihmim Namen der niedersächsischen Landesregierung undder niedersächsischen Justiz Wohlergehen, Zufriedenheitund vor allem Gesundheit für seinen weiteren Lebensweg.

Im Anschluss führte Niewisch-Lennartz Herrn Vizepräsi-dent Wolfgang Bartsch als neuen Präsidenten in sein Amtein. Als „Kind“ der Stadt und der Braunschweiger Justizhabe er sich als besonders qualifizierter Jurist und befä-higter Richter erwiesen. Er habe sich nicht nur durch sei-ne umfassenden Rechts- und Fachkenntnisse ausgezeich-net. Er verfüge vielmehr über ein mit praktischer Vernunftgepaartes hohes analytisches Denkvermögen.

Dr. van Nieuwland führte in seiner Festrede aus, die Ge-richte hätten seiner Überzeugung nach die Pflicht, alles inihrer Macht stehende zu tun, um die Qualität ihrer Leistun-gen im Sinne der Rechtsuchenden stetig zu verbessern.Dementsprechend habe sich die niedersächsischeVerwaltungsgerichtsbarkeit seit dem Jahr 2005 intensiv mitdem Thema Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklungbeschäftigt. Seit Beginn dieser Qualitätsoffensive sei in derniedersächsischen Verwaltungsgerichtsbarkeit sehr vielgeschehen. In den Gerichten hätten sich beispielsweiseQualitätszirkel gebildet, die sich mit ganz unterschiedlichenAspekten der richterlichen Tätigkeit beschäftigt und hierzuKonzepte erarbeitet hätten. Außerdem hätten Kunden-befragungen stattgefunden, die den Gerichten ein sehrkonkretes und bislang nicht vorhandenes Feedback über

ihre Arbeit aus der Außensicht geliefert hätten. Dem in derVerfassung garantierten Anspruch der Bürgerinnen undBürger auf Justizgewährung werde aus seiner Sicht dannoptimal Rechnung getragen, wenn die Entscheidung desGerichts „gut“ und „richtig“ sei. Das Gericht solle am Maß-stab von Gesetz und Recht eine sachgerechte Entschei-dung treffen. Dabei solle die Entscheidung den Rechtsstreitendgültig und nachhaltig beilegen und ein Höchstmaß anbefriedender Wirkung haben. Zu den Qualitätsmerkmalengehöre auch der Abschluss des Verfahrens in angemes-sener Frist. Insoweit befinde sich die niedersächsischeVerwaltungsgerichtsbarkeit auf einem guten Weg. So seidie durchschnittliche Verfahrensdauer der Klageverfahrenerster Instanz seit 2008 kontinuierlich zurückgegangen: von12,6 Monaten über 10,2 Monate im Jahr 2010 und 9,9Monate in 2011 auf 6,1 Monate im vergangenen Jahr –wobei man fairerweise zugestehen müsse, dass der letzt-jährige Wert durch eine besondere Entwicklung bei denlandwirtschaftlichen Subventionsklagen begünstigt wordensei. Die Dauer der Eilverfahren habe sich ebenfalls konti-nuierlich verbessert, und zwar von 1,7 Monaten im Jahr2008 auf 1,2 Monate im vergangenen Jahr. Der Prozessder Qualitätssicherung und -entwicklung sei damit jedochlängst nicht abgeschlossen. Dieser Prozess sei und bleibeeine Daueraufgabe, an der alle Mitarbeiterinnen und Mit-arbeiter der Gerichte beständig weiterarbeiten müssten.Nach der Verfassung seien in erster Linie die Richterinnenund Richter für die Qualität in der Rechtspflege verantwort-lich. Dem Haushaltsgesetzgeber und der Ministerial-verwaltung obliege es aber, die Richterschaft bei der Wahr-nehmung ihrer Aufgaben konstruktiv zu unterstützen, d.h.insbesondere die dafür erforderlichen personellen undsächlichen Mittel zur Verfügung zu stellen. ObHaushaltsgesetzgeber und Ministerialverwaltung dieserPflicht in den vergangenen Jahren hinreichend nachgekom-men seien, dürfe durchaus mit einem Fragezeichen ver-sehen werden: Nach den von den Ländern in Auftrag ge-gebenen Personalberechnungssystemen fehlten nach wievor mehrere tausend Richterinnen und Richter sowieStaatsanwältinnen und Staatsanwälte.

Wolfgang Bartsch hob den „besonderen Gemeinschafts-geist“ hervor, der unter den Mitarbeiterinnen und Mitar-beitern des Verwaltungsgerichts Braunschweig herrsche.Das Gericht werde verstärkt daran arbeiten, die Motivati-

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on und die Arbeitsfähigkeit der älter werdenden Belegschaftlangfristig zu erhalten. Gemeinsam werde man noch mehrals bisher den jungen Leuten helfen, den Spagat zwischenFamilie und Beruf zu meistern. Bei den anwesenden Ver-tretern der Behörden und der Anwaltschaft bedankte ersich für die konstruktive Zusammenarbeit und hob hervor,dass sie sich in geeigneten Fällen bei aller Interessenver-tretung auch alternativen Streitbeilegungen nicht ver-schlössen. An die anwesenden Bundes- und Landtagsab-geordneten gewandt wies er auf die Situation der jungenRichterinnen und Richter hin, die seiner Überzeugung nachnicht mehr ausreichend besoldet würden. Nach qualifizier-ter und langjähriger Ausbildung leisteten die jungen Kolle-ginnen und Kollegen bei zunehmender Arbeitsverdichtungausgezeichnete Arbeit. Wenn für diesen Beruf weiterhinqualifizierte Persönlichkeiten gewonnen werden sollen,müsse man sie für diese herausfordernde und anspruchs-volle Tätigkeit auch angemessen bezahlen. Nach derVergleichsstudie des Komitees für Justiz beim Europarat2012 verdienten Richter am Anfang ihrer Karriere im eu-ropäischen Durchschnitt das 2,4-fache des Landes-durchschnittseinkommens. Unter den 46 miteinander ver-glichenen Mitgliedsstaaten des Europarats belege Deutsch-land den letzten Platz: Das Einkommen junger Richterin-nen und Richter liege hier bei 0,9 des Landesdurch-schnittseinkommens – damit sei Deutschland das einzigeLand, in dem junge Richter ein unter dem Landesdurch-schnitt liegendes Einkommen erzielten. Keiner der jungenKolleginnen und Kollegen habe den Beruf der Richterinoderdes Richters der Bezahlung wegen ergriffen. Aber Wert-schätzung habe eben auch etwas mit Bezahlung zu tun.

Quellen: Pressemitteilungen des Niedersächsischen Ju-stizministeriums und des VG Braunschweig

Das von der Landesregierung nun auch im Haushalt ab-gesicherte Stellenhebungsprogramm, das voraussichtlichetwa 19 Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichterneine Zulage zu ihrem Gehalt bescheren werde, sei gut undrichtig, aber keine Antwort auf das Problem der Besoldungjunger Kolleginnen und Kollegen. Wolfgang Bartsch, derunter anderem viele Jahre lang Mitglied der deutschen De-legation des europäischen Netzwerkes der Asylpraktiker(EURASIL) gewesen ist, wies darauf hin, dass viele Rege-lungen des europäischen Flüchtlingsrechts ein gutes Stückweit „Made in Germany“ sind. Er hob hervor, dass deut-sche Verwaltungsrichterinnen und Verwaltungsrichter schonfrüh in den sogenannten Dublin-II-Verfahren (Überstellungvon Asylbewerbern in Drittstaaten) den Asylsuchendenunter Berufung auf das Grundgesetz vorläufigen Rechts-schutz gewährt hätten, obwohl es an einer ausdrücklichengesetzlichen Regelung dafür gefehlt habe. Ihnen verdan-ke die Bundesrepublik, nicht vom Europäischen Gerichts-hof für Menschenrechte wegen der Verletzung der Euro-päischen Menschenrechtskonvention verurteilt worden zusein. Inzwischen habe der Gesetzgeber entsprechendeÄnderungen des Asylverfahrensgesetzes auf den Weg ge-bracht. Dies zeige, dass das Zusammenspiel der Staats-gewalten in unserem Land funktioniere – ein Umstand, umden uns das Ausland vielfach beneide. In seinem abschlie-ßenden Exkurs im Spannungsfeld zwischen Gesetz und Ge-rechtigkeit hob er hervor, dass insoweit neben den Gerich-ten stets auch die Zivilgesellschaft gefordert sei.

Von links: Dr. Herwig van Nieuwland, Antje Niewisch-Lennartz, Christian Büschen, Wolfgang Bartsch(Foto: Verwaltungsgericht Braunschweig)

Personalia

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Feierstunde zum Wechsel im Präsidentenamtam Verwaltungsgericht Lüneburg

Personalia

von Vizepräsident des Verwaltungsgerichts Erich Müller-Fritzsche, Braunschweig

Der Präsident des Verwaltungsgerichts Lüneburg WolfgangSiebert wurde am 23. August 2013 im Rahmen einerFeierstunde im Fürstensaal des Rathauses der HansestadtLüneburg, zu der der Präsident des NiedersächsischenOberverwaltungsgerichts Dr. Herwig van Nieuwland einge-laden hat, von der Justizministerin Antje Niewisch-Lennartzoffiziell in sein Amt eingeführt.

Zugleich wurde offiziell Hennig von Alten in den Ruhestandverabschiedet. Die Justizministerin würdigte vor zahlreichenEhrengästen aus Politik, Justiz und Verwaltung die Verdien-ste des Ende Mai d. J. in den Ruhestand getretenen Prä-sidenten. Er war der erste Präsident des 1993 selbstän-dig gewordenen Verwaltungsgerichts Lüneburg und leitetedas Gericht fast 20 Jahre. Hennig von Alten wurde im März1948 in Braunschweig geboren, studierte in Berlin und be-gann seine Richterlaufbahn 1974 bei dem Verwaltungs-gericht Hannover. 1983 wurde er in Lüneburg zum Richteram Oberverwaltungsgericht ernannt. Dort befasste er sichneben der richterlichen Tätigkeit mehrere Jahre lang alssog. Präsidialrichter mit Personalangelegenheiten derVerwaltungsrichter in Niedersachsen. Von November 1990bis Juli 1992 war er nach Magdeburg abgeordnet, zuerstan das Bezirksgericht und nach dessen Errichtung an dasdortige Oberverwaltungsgericht. Hier leistete er maßgebli-che Hilfe bei dem Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeitim Lande Sachsen-Anhalt. Nachdem er im August 1992zum Vorsitzenden Richter am Niedersächsischen Oberver-waltungsgericht ernannt worden war, wurde er am 31. Au-gust 1993 zum Präsidenten des Verwaltungsgerichts Lü-neburg ernannt. Seitdem führte er neben derGerichtsleitung den Vorsitz in der 5. Kammer, die u. a.für Parlaments- und Wahlrecht, Kommunalrecht, das Rechtder freien Berufe sowie für das Gewerberecht zuständig ist.Gleichzeitig war er der Vorsitzende der Disziplinarkammernfür Bundesbeamte und Landesbeamte.

Wolfgang Siebert wurde im November 1950 in Offlebenim Kreis Helmstedt geboren. Er studierte in GöttingenRechtswissenschaften und trat 1979 beim Verwaltungs-gericht in Lüneburg in den Dienst der NiedersächsischenVerwaltungsgerichtsbarkeit ein. Im Jahr 1992 leistete erHilfe beim Aufbau der Verwaltungsgerichtsbarkeit im LandSachsen-Anhalt und war dort zunächst am Bezirksgerichtund dann am Oberverwaltungsgericht in Magdeburg tätig.Wolfgang Siebert wurde im September 1992 zum Vorsit-zenden Richter am Verwaltungsgericht ernannt. Seit 1999war er Vizepräsident des Verwaltungsgerichts Lüneburg. Erwar viele Jahre Pressesprecher des Verwaltungsgerichts.

In der von ihm geführten Kammer bearbeitete WolfgangSiebert neben dem Abgabenrecht auch das Polizeirechtund das Versammlungsrecht. Er wirkte dabei an Entschei-dungen von großem öffentlichem Interesse mit, etwa im

Zusammenhang mit Castortransporten und dem Ver-sammlungsrecht rechtsextremer Gruppen. Er gilt als Ex-perte des Abgabenrechts und hat sich daher auch als Prä-sident der Abgabenkammer angeschlossen. Neben seinerTätigkeit am Verwaltungsgericht unterrichtet WolfgangSiebert Studenten der Verwaltungs- und Wirtschaftsaka-demie Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin und Greifs-wald im Polizeirecht und im Abgabenrecht. Auch bei derDeutschen Richterakademie hat er wiederholt als Refe-rent zu abgabenrechtlichen Themenbereichen mitgewirkt.

Gerichtet an den jetzigen Präsidenten Siebert äußerteJustizministerin Niewisch-Lennartz die Überzeugung, erwerde sein neues Amt ebenso mit Bravour meistern wieseine bisherigen Ämter.

In ihrer Rede stellte Justizministerin Niewisch-Lennartz zweirechtspolitische Vorhaben des Justizministeriums vor. Zumeinen soll die Selbstverwaltung in der Justiz gestärkt wer-den. So sollen eigene personal- und budgetrechtlicheHandlungsspielräume, insbesondere in den Bereichen Er-nennung und Beförderung, ausgeweitet werden. Zum an-deren werde die Errichtung eines Richterwahlausschussesin Niedersachsen diskutiert. Dabei sei aber noch offen, überwelche Befugnisse dieser Ausschuss verfügen und wie erin personeller Hinsicht zusammengesetzt sein soll.

Präsident Dr. Herwig van Nieuwland ging in seiner Redeunter anderem auf die Abschaffung des Widerspruchs-verfahrens für den weitaus größten Teil der niedersächsi-schen Verwaltung ein. Er merkte an, die Erfahrung habegezeigt, dass die seinerzeit geübten Zweifel an diesemReformprojekt berechtigt gewesen seien. Er begrüße da-her außerordentlich, dass die Regierungsparteien verein-bart hätten, das bürgerfreundliche Widerspruchsverfahrenin verschiedenen Bereichen wieder einzuführen. DieseAussage stimme durchaus hoffnungsvoll. Allerdings müsseman vor dem Hintergrund einer beabsichtigten Änderungdes niedersächsischen Verwaltungsverfahrensgesetzesbefürchten, dass der mit der Abschaffung des Wider-spruchsverfahrens eingeschlagene Weg eine sehr bedenk-liche Fortsetzung finde. Nach geltendem Recht seien auchdie niedersächsischen Behörden verpflichtet, jedem Ver-waltungsakt, der der Anfechtung unterliege, eineRechtsbehelfsbelehrung beizufügen. Diese Verpflichtungsei in das Gesetz aufgenommen worden, weil die Beleh-rung über den statthaften Rechtsbehelf bürgerfreundlichsei, da sie dem Rechtsschutz des Einzelnen diene. Siefördere zugleich die Rechtssicherheit. Nunmehr beabsich-tige das Niedersächsische Innenministerium, diese Ver-pflichtung für niedersächsische Behörden außer Kraft zusetzen. Dr. van Nieuwland machte deutlich, dass die nie-dersächsische Verwaltungsgerichtsbarkeit diese beab-

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Von links: Dr. Herwig van Nieuwland, Henning von Alten, Antje Niewisch-Lennartz, Wolfgang Siebert(Foto: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht)

Personalia

sichtigte Gesetzesänderung ablehne. Niemand solle al-lein aus Unkenntnis von der Möglichkeit ausgeschlossenwerden, gegen Maßnahmen der öffentlichen GewaltRechtsschutz zu erlangen. Daher bestünden gegen diebeabsichtigte Gesetzesänderung schon verfassungsrecht-liche Bedenken. Daneben erweise sich die beabsichtigteÄnderung als wenig bürgerfreundlich und schenke dem

Quellen: Pressemitteilungen des Niedersächsischen Ober-verwaltungsgerichts und des VG Lüneburg

Grundsatz der Rechtssicherheit keine hinreichende Be-achtung. Der Gesetzentwurf sollte daher in der anstehen-den parlamentarischen Beratung einer eingehenden Dis-kussion unterzogen werden.

Erich Müller-Fritzsche neuer Vizepräsident desVerwaltungsgerichts BraunschweigQuelle: Pressemitteilung des VG Braunschweig

Der Vorsitzende der 7. Kammer des VerwaltungsgerichtsBraunschweig, Erich Müller-Fritzsche, wurde heute zumVizepräsidenten des Gerichts ernannt. Herr Müller-Fritzsche ist 58 Jahre alt. Er ist verheiratet und hat dreierwachsene Kinder. Nach Abschluss seines Studiums inMarburg und Gießen absolvierte er seine Referendarzeit.Im Anschluss arbeitete er zunächst als wissenschaftlicherAssistent an der Universität Gießen. 1986 trat er seinenDienst beim Verwaltungsgericht Braunschweig an, wo erin verschiedenen Kammern und in der Gerichtsverwaltungtätig war. 1988 war er zum Landkreis Helmstedt, 1995zum Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht Lüneburg

abgeordnet. Zeitweise war er als Prüfer beim Niedersäch-sischen Landesjustizprüfungsamt und als Dozent an derNiedersächsischen Fachhochschule für Verwaltung undRechtspflege tätig. Herr Müller-Fritzsche ist der Vorsitzen-de des Verbandes der Niedersächsischen Verwaltungs-richterinnen und Verwaltungsrichter und Mitglied des Vor-standes des Bundes Deutscher Verwaltungsrichterinnenund Verwaltungsrichter. Er ist zudem Mitglied des Präsidial-rats der Niedersächsischen Verwaltungsgerichtsbarkeit.

BDVR-Rundschreiben 04|2013216

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BDVR-Rundschreiben 04|2013218

Personalia

Vizepräsident des VG Aachen Georg Niebelseit Oktober 2013 im Ruhestandvon Richterin am Verwaltungsgericht Anke Eggert, Aachen

Der Vizepräsident des Verwaltungsgerichts Aachen, Ge-org Niebel, ist mit Ablauf des 30. September 2013 inden Ruhestand getreten. Der Präsident des Verwaltungs-gerichts, Prof. Dr. Herbert Limpens, überreichte seinemVizepräsidenten im September 2013 die Urkunde zurVersetzung in den Ruhestand und sprach ihm auch imNamen der Landesregierung Dank und Anerkennung fürdie geleisteten Dienste aus.

Georg Niebel wurde im Jahr 1948 in Geldern geboren. Erstudierte Rechtswissenschaften in Köln und war dort auchRechtsreferendar. Im Oktober 1977 trat er in den rich-terlichen Dienst des Landes Nordrhein-Westfalen ein undwurde im Oktober 1980 zum Richter am Verwaltungsge-richt in Aachen ernannt. Zuvor war er ein Jahr zum KreisDüren abgeordnet. Im Jahr 1991 wurde Georg Niebel zumRichter am Oberverwaltungsgericht ernannt; in Münsterbeim dortigen Oberverwaltungsgericht war er bis zum Jahr1995 als Beisitzer in verschiedenen Senaten tätig. Zum5. Dezember 1995 kehrte Georg Niebel als Vorsitzen-

Nachfolger im Amt des Vizepräsidenten und damit neuerVorsitzender der 1. Kammer ist Markus Lehmler. HerrLehmler wurde 1966 in Bonn geboren und studierteRechtswissenschaften in Bonn und Münster. Nach Able-gung der beiden juristischen Staatsprüfungen trat er 1995seinen Dienst beim Verwaltungsgericht Aachen an. ImJahr 2003 wurde er an die nordrhein-westfälische Staats-kanzlei abgeordnet und im Januar 2008 zum Richter amOberverwaltungsgericht in Münster ernannt. Nach einerweiteren Abordnung an das Justizministerium des Lan-des Nordrhein-Westfalen übernahm er im August 2010den Vorsitz der u.a. für Kommunalrecht zuständigen4. Kammer des Verwaltungsgerichts Aachen.

der Richter an das Verwaltungsgericht Aachen zurück undübernahm dort die 1. Kammer, welche für das Dienst-recht, das Personalvertretungsrecht und Teile des Sozial-rechts zuständig ist. Im Oktober 2005 wurde er zum Vi-zepräsidenten des Verwaltungsgerichts ernannt.

Statusamt als Maßstab im KonkurrentenstreitBundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20. Juni 2013, Az. BBundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20. Juni 2013, Az. BBundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20. Juni 2013, Az. BBundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20. Juni 2013, Az. BBundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20. Juni 2013, Az. BVVVVVerwG 2 VR 1.13erwG 2 VR 1.13erwG 2 VR 1.13erwG 2 VR 1.13erwG 2 VR 1.13

Leitsatz:Die an Art. 33 Abs. 2 GG zu messende Auswahlentscheidungist auf das Amt im statusrechtlichen Sinne bezogen und darfdaher grundsätzlich nicht anhand der Anforderungen eineskonkreten Dienstpostens erfolgen.

Ausnahmen hiervon sind nur zulässig, wenn die Wahrneh-mung der Dienstaufgaben des ausgeschriebenen Dienst-postens zwingend besondere Kenntnisse oder Fähigkei-ten voraussetzt, die ein Laufbahnbewerber regelmäßignicht mitbringt und sich in angemessener Zeit und ohneunzumutbare Beeinträchtigung der Aufgabenwahr-nehmung auch nicht verschaffen kann. Diese Vorausset-

Aus der Stellenausschreibung muss sich ergeben, welcheAnforderungen von allen Bewerbern zwingend erwartetwerden und welche Kriterien zwar nicht notwendig für eineEinbeziehung in das Auswahlverfahren sind, bei im Wesent-lichen gleicher Eignung der Bewerber aber maßgeblichberücksichtigt werden.

Ob und in welchem Umfang ein AnforderungsprofilBindungswirkung entfaltet, muss durch eine entsprechend§ 133 BGB am objektiven Empfängerhorizont potentiellerBewerber orientierte Auslegung ermittelt werden.

zungen hat der Dienstherr darzulegen; sie unterliegenvoller gerichtlicher Kontrolle.

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