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WASSERDICHT IN EINEM SCHRITT WEICHSCHAUMDICHTUNGEN DIREKT IM WERKZEUG ANSPRITZEN Auf der K im vergangen Jahr wurde die S-Fit-Technologie erstmalig vorgestellt. Jetzt soll das Verfahren zum direkten Anspritzen von Schaumdichtun- gen auf thermoplastische Bauteile Einzug in die Serienfertigung halten. 65 Vertreter namhafter kunststoffver- arbeitender Betriebe informierten sich auf einer Fachtagung des Technologieanbieters über die Chancen und Möglichkeiten der innovativen Dichtungstechnik. D irekt auf ein Bauteil gespritzte Dichtungen sind inzwischen Standard. Meist wird ein thermo- plastisches Elastomer im 2-Komponen- tenspritzguss aufgebracht. Doch univer- sell einsetzbar ist dieses Verfahren nicht. Die Zuverlässigkeit der Dichtung sinkt mit der Lebensdauer erheblich. „Es gibt Einschränkungen durch die hohe Mate- rialhärte, außerdem neigt TPE bei hohen Temperaturen zum Kriechen“, verdeut- licht Dr. Frank Kukla, Geschäftsführen- der Gesellschafter und F&E-Leiter beim Tagungsgastgeber Ceracon, während der Veranstaltung. Unter Verpressung ver- baute TPE-Dichtungen verformen sich mit der Zeit plastisch. Höhere Temperatu- ren begünstigen den Alterungsprozess. Die abdichtende Wirkung lässt nach. Umgekehrt können durch die hohe Ma- terialhärte aber auch niedrige Umge- bungstemperaturen zu Undichtigkeiten führen. „In-situ hergestellte Weich- schaumdichtungen bieten hier Vorteile“, so Kukla weiter. Um diese Vorteile zu nutzen, wurde die FIPFG-Technik (form in place foam gasketing) entwickelt. Statt eines ther- moplastischen Elastomers wird bei die- sem Verfahren mit Luft aufgeschäumtes Polyurethan auf die abzudichtenden Bauteile aufgetragen. Die so entstehende weichelastische Dichtung besitzt duro- plastische Eigenschaften. Das heißt, die Dichtung ist komprimierbar, besitzt aber über einen weiten Temperaturbereich konstante Rückstellkräfte, ganz unab- hängig von der Verpressungsdauer. Vor allem Kfz-Zulieferer nutzen diese Tech- nik seit vielen Jahren. Neben Polyuret- han eignet sich unter anderem auch Sili- con für das Verfahren. Nach dem Spritz- guss wird die Dichtung von einem Robo- ter auf das entformte Bauteil auf- gebracht, das anschließend für zirka fünf Minuten in einem Ofen auf 80 °C tempe- riert wird, um das Material zu vernetzen. Restwärme des Werkzeugs ausnutzen Das neue Verfahren S-Fit (Soft foam in- jection technology) soll diesen Prozess nun vereinfachen. So wird die in-situ aufgeschäumte Dichtmasse mittels übli- cher 2-K-Technologien, zum Beispiel Co- re-back, direkt im Werkzeug aufgebracht. Zum Vernetzen wird die Restwärme des Werkzeugs ausgenutzt. „Das war ein we- sentlicher Punkt bei der Entwicklung des Verfahrens“, erläutert André Lück, Pro- jektleiter bei Demag, dem S-Fit-Koope- rationspartner von Ceracon, „wir hatten uns gefragt, wie wir die Energie, die beim Abkühlen des Bauteils frei wird, wieder nutzen können.“ Damit wird nicht nur Energie einge- spart, auch die Investitionskosten sinken. Denn sowohl der Roboter als auch der Ofen werden überflüssig. Das 2-K-Werk- zeug wird in eine Standard-1-K-Spritz- gießmaschine eingebaut und neben die- ser steht lediglich der Schaumaufbereiter in der Fertigungshalle. Heiko Weiler, der neue Produktmanager für die S-Fit-Technologie bei Ceracon, erklärt Gästen der Fachtagung die Herstellung wasserdichter Bilderrahmen. infoDIRECT Video zum Download Ein Videofilm veranschaulicht das direkte Anspritzen der Dichtung im Spritzgießwerk- zeug. Der Film steht zum Download bereit. Suche 1008PVCeracon auf www.plastverarbeiter.de Etwa 65 Kunststoffverarbeiter folgten der Einladung von Ceracon nach Weikersheim. PRAXIS PRACTICE 560 KGK November 2008

Heiko Weiler, der neue Produktmanager für die S-Fit ... · plastisches Elastomer im 2-Komponen-tenspritzguss aufgebracht. Doch univer-sell einsetzbar ist dieses Verfahren nicht

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WASSERDICHT IN EINEM SCHRITT WEICHSCHAUMDICHTUNGEN DIREKT IM WERKZEUG ANSPRITZEN Auf der K im vergangen Jahr wurde die S-Fit-Technologie erstmalig vorgestellt. Jetzt soll das Verfahren zum direkten Anspritzen von Schaumdichtun-gen auf thermoplastische Bauteile Einzug in die Serienfertigung halten. 65 Vertreter namhafter kunststoffver-arbeitender Betriebe informierten sich auf einer Fachtagung des Technologieanbieters über die Chancen und Möglichkeiten der innovativen Dichtungstechnik.

D irekt auf ein Bauteil gespritzte Dichtungen sind inzwischen Standard. Meist wird ein thermo-

plastisches Elastomer im 2-Komponen-tenspritzguss aufgebracht. Doch univer-sell einsetzbar ist dieses Verfahren nicht. Die Zuverlässigkeit der Dichtung sinkt mit der Lebensdauer erheblich. „Es gibt Einschränkungen durch die hohe Mate-rialhärte, außerdem neigt TPE bei hohen Temperaturen zum Kriechen“, verdeut-licht Dr. Frank Kukla, Geschäftsführen-der Gesellschafter und F&E-Leiter beim Tagungsgastgeber Ceracon, während der Veranstaltung. Unter Verpressung ver-baute TPE-Dichtungen verformen sich mit der Zeit plastisch. Höhere Temperatu-ren begünstigen den Alterungsprozess. Die abdichtende Wirkung lässt nach. Umgekehrt können durch die hohe Ma-terialhärte aber auch niedrige Umge-bungstemperaturen zu Undichtigkeiten führen. „In-situ hergestellte Weich-schaumdichtungen bieten hier Vorteile“, so Kukla weiter.

Um diese Vorteile zu nutzen, wurde die FIPFG-Technik (form in place foam gasketing) entwickelt. Statt eines ther-

moplastischen Elastomers wird bei die-sem Verfahren mit Luft aufgeschäumtes Polyurethan auf die abzudichtenden Bauteile aufgetragen. Die so entstehende weichelastische Dichtung besitzt duro-plastische Eigenschaften. Das heißt, die Dichtung ist komprimierbar, besitzt aber über einen weiten Temperaturbereich konstante Rückstellkräfte, ganz unab-hängig von der Verpressungsdauer. Vor allem Kfz-Zulieferer nutzen diese Tech-nik seit vielen Jahren. Neben Polyuret-han eignet sich unter anderem auch Sili-con für das Verfahren. Nach dem Spritz-guss wird die Dichtung von einem Robo-ter auf das entformte Bauteil auf-gebracht, das anschließend für zirka fünf Minuten in einem Ofen auf 80 °C tempe-riert wird, um das Material zu vernetzen.

Restwärme des Werkzeugs ausnutzen Das neue Verfahren S-Fit (Soft foam in-jection technology) soll diesen Prozess nun vereinfachen. So wird die in-situ aufgeschäumte Dichtmasse mittels übli-cher 2-K-Technologien, zum Beispiel Co-re-back, direkt im Werkzeug aufgebracht.

Zum Vernetzen wird die Restwärme des Werkzeugs ausgenutzt. „Das war ein we-sentlicher Punkt bei der Entwicklung des Verfahrens“, erläutert André Lück, Pro-jektleiter bei Demag, dem S-Fit-Koope-rationspartner von Ceracon, „wir hatten uns gefragt, wie wir die Energie, die beim Abkühlen des Bauteils frei wird, wieder nutzen können.“

Damit wird nicht nur Energie einge-spart, auch die Investitionskosten sinken. Denn sowohl der Roboter als auch der Ofen werden überflüssig. Das 2-K-Werk-zeug wird in eine Standard-1-K-Spritz-gießmaschine eingebaut und neben die-ser steht lediglich der Schaumaufbereiter in der Fertigungshalle.

Heiko Weiler, der neue Produktmanager für die S-Fit-Technologie bei Ceracon, erklärt Gästen der Fachtagung die Herstellung wasserdichter Bilderrahmen.

infoDIRECT Video zum Download Ein Videofilm veranschaulicht das direkte Anspritzen der Dichtung im Spritzgießwerk-zeug. Der Film steht zum Download bereit. Suche 1008PVCeracon auf www.plastverarbeiter.de

Etwa 65 Kunststoffverarbeiter folgten der Einladung von Ceracon nach Weikersheim.

PRAXIS PRACTICE

560 KGK ‚ November 2008

FÜR HOHE STÜCKZAHLEN AB 2009 IM EINSATZ

KGK: Herr Raschegewski, wie sehen Ihre Pläne, auf die neue Tech-nologie umzusteigen, konkret aus? Raschegewski: Wir haben momentan mehrere Projekte, die wir mit S-Fit realisieren möchten. Vor allem bei größeren Stückzah-len wird sich das rechnen. Im Mittel fertigen wir bei uns im Werk Stückzahlen zwischen 5 000 und 13 000 am Tag. Geplant ist, dass wir Ende 2009, Anfang 2010 in Serie gehen und dementspre-chend im Vorfeld die ersten Versuchsmuster aufbauen lassen. KGK: Welche Prozessoptimierungen möchten Sie damit errei-chen? Raschegewski: Das Problem ist folgendes: Wenn ich mit TPU-Dichtungen arbeite, muss die Dichtung auf dem Gegenstück an-

Taktzeiten von ungefähr 5,2 Sekunden pro Bauteil – auftragen ließ. Beim herkömmlichen 2-K-Verfahren brauchten wir sieben bis 20 Minuten zum Trocknen; das war nicht akzeptabel. So sind wir für die Herstellung unserer Türschließsysteme gleich im gro-ßen Stil in das FIPFG-Verfahren eingestiegen. Das dafür verwen-dete Material ist absolut wasserundurchlässig. Zunächst haben wir die Dichtungen nur auf Kunststoffbauteile aufgebracht, in-zwischen arbeiten wir mit Kunststoff- und Metalloberflächen. Das ist nicht immer trivial, manchmal ist eine Plasmabehand-lung notwendig, damit das Dichtungsmaterial haftet. KGK: Hatten Sie durch die langjährige Partnerschaft mit dem Systemanbieter die Möglichkeit, auf die Entwicklung des neuen Verfahrens einzuwirken? Raschegewski: Bei S-Fit noch nicht. Beim FIPFG-Verfahren wur-den von uns im Laufe der Zeit aber so einige Wünsche vor-gebracht, die dann auch umgesetzt wurden. Das fing an mit der automatischen Düsenverstellung und das ging so weit, dass die Reparatur und Wartung der Anlagen durch Modulbauweise we-sentlich vereinfacht wurde. Mittlerweile kann ich ein komplettes Modul aus der Anlage entnehmen, ein neues einsetzen und so-fort weiterproduzieren. KGK: Welches Potenzial sehen sie insgesamt für die S-Fit-Tech-nologie? Raschegewski: Wenn sich der Preis für den Polyurethanschaum von Sunstar tendenziell weiter nach unten bewegt, wird S-Fit mit Sicherheit das 2-K-Verfahren zum Anspritzen von TPU-Dichtun-gen ersetzen. KGK: Die Qualitätsanforderungen in der Automobilindustrie werden sicher noch weiter ansteigen. Welche weiteren Trends verfolgen Sie? Raschegewski: Die Trends im Automotive-Bereich sind klar defi-niert: preiswert und leicht sind zwei wesentliche Schlagworte. Hinzu kommen die Funktionalität und der Komfort. Das beste Beispiel dafür ist die Zentralverriegelung. Dieses Bauteil wurde ursprünglich nur im oberen Preissegment angeboten und heute gehört es auch im Kleinwagen zum Standard. Sobald ich ein Sys-tem preiswert herstellen kann, steigt die Nachfrage über alle Marken. Ein weiterer Trend betrifft die Modularität. Unsere Schließsysteme müssen systemübergreifend eingesetzt werden können. Wenn ich heute ein System für ein Fahrzeug X entwicke-le, kann dieses System in einer geringfügig abgeänderten Form zukünftig auch im Fahrzeug Y oder Z auftauchen.

NACHGEHAKT

Kiekert gehört zu den Pionieren der FIPFG-Technik. Jetzt will der Hersteller von Schließsystemen für Au-tomobile wieder als einer der ersten in die S-Fit-Technologie einsteigen. Peter Raschegewski, projektver-antwortlich für die Werks-, Fabrik- und Produktionsplanung bei Kiekert, verspricht sich davon vor allem eine Vereinfachung seiner Prozesse.

Türschloss eines deutschen Fahrzeugherstellers mit direkt aufgetragener Dichtung

gepasst werden. Je nachdem wie stark sich das Bauteil verzieht, ist das aber nicht ganz einfach. Montagekraft und Dichtigkeit müssen bei einer TPU-Dichtung ganz fein abgestimmt werden, und genau das ist beim S-Fit-Verfahren nicht der Fall. Ich kann da-mit bei einer sehr guten Konturgenauigkeit hohe Bauteiltoleran-zen ausgleichen. Außerdem sind die Montagekräfte wesentlich geringer. KGK: Wie kamen Sie ursprünglich auf die FIPFG-Technik? Raschegewski: Einer unserer Kunden forderte, dass wir absolut wasserdicht montieren müssen. Das war im Jahr 2000 und da-mals gab es noch keinen geschlossenzelligen Schaum auf dem Markt, der sich in relativ kurzen Taktzeiten – wir reden hier von

KGK ‚ November 2008 561

TECHNOLOGIE Weichschaum statt TPE Für die S-Fit-Technologie kommt ein beson-ders schnell vernetzendes Einkomponen-ten-PUR zum Einsatz. Die Vernetzung findet bei 80 °C innerhalb weniger Minuten statt. Dabei macht sich der Material- hersteller Sunstar eine Technologie aus dem Kosmetikbereich zu Nutze: Der Ver- netzer ist gekapselt in das PUR-Pre-Polymer eingebettet und wird erst durch die erhöhte Temperatur im Werkzeug aktiviert. Die mechanische Aufschäumung in der Foam-ply-Anlage erzeugt einen mikrozellularen, geschlossenporigen und sehr weichen Schaum. Schon bei 20 % Verpressung re sultiert eine wasserdichte Abdichtung. Der Schaum ist geeignet für einen Tem- peraturbereich von –40 bis 80 °C. Kurz- zeitig verträgt die Dichtung Temperaturen von bis zu 175 °C.

Vor allem für die Herstellung sehr ho-her Stückzahlen ist das Verfahren inte-ressant. Durch die Funktionsintegration lassen sich die Durchlaufzeiten deutlich straffen. Mögliche Anwendungen im Au-tomobilbereich sind zum Beispiel die Herstellung von Lautsprechern, Luftfil-tern und Türschlössern. „Wir bewegen uns zunehmend auch in Richtung weiße Ware“, so Andreas Kreissl, Geschäftsfüh-render Gesellschafter von Ceracon: „Au-ßerdem sind wir gerade dabei, das S-Fit-Verfahren für Verbindungsstücke in die Gebäudetechnik einzuführen. Bislang werden die Dichtungen einzeln per Hand aufgeklebt.“ Über eine Million dieser Ver-binder werden pro Jahr hergestellt.

Je größer die Losgrößen desto schnel-ler amortisiert sich dann auch das Werk-zeug, denn dieses ist für die Direkt-

anspritzung zunächst teurer als für den herkömmlichen Spritzguss. Da Polyuret-han eine hohe Affinität zu Stahl besitzt, müssen die Werkzeuge beschichtet wer-den. Details zur Beschichtung wollte Ce-racon während der Veranstaltung nicht nennen, „auf der Fakuma erst können wir hierüber mehr berichten. Es ist auf je-den Fall sichergestellt, das kein Trenn-mittel verwendet werden muss“, so Kreissl: „Im Bereich der Werkzeugtech-nik werden wir uns in nächster Zeit ver-stärken und gezielt noch mehr Know-how aufbauen.“ Auch außerhalb der Dichtungstechnik sieht Frank Kukla Anwendungen für die neue Technologie, zum Beispiel für deko-rative Oberflächen mit Ledernarbung, zum Unterdrücken von Knarzgeräu-schen im Auto oder die thermische Iso-

KONTAKT Ceracon, Weikersheim, Tel. 07934/9928-0

Abdeckung einer Kraftstromsteck-dose mit Dicht- raupe

lation in der Bauindustrie. Ein weiterer Ansatz, der verfolgt wird, ist die Erweite-rung auf die Elastomertechnik. So wird zukünftig auch auf Gummiformteile di-rekt im Werkzeug eine Schaumdichtung aufgespritzt werden können.

562 KGK ‚ November 2008

PRAXIS PRACTICE