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Theater | August 2017 | von Redaktion Countdown einer Ehe Henrik Ibsens „Nora“ beim Sommer-Open- Air der Immoralisten Als Henrik Ibsen 1879 sein Theaterstück „Nora oder Ein Puppenheim“ verfasste, waren die Geschlechterrollen noch klar definiert: Der Ehemann verdiente das Geld und sorgte für Ehefrau und Familie, weshalb ihm auch die Entscheidungsgewalt über alles oblag. Im Gegenzug erzog die Ehefrau die Kinder, führte ansonsten ein sorgenfreies Leben und kümmerte sich ums Aus- und Ansehen. Ein veraltetes Arrangement, wie es auch heute existiert und funktioniert. Lisa-Lena Tritscher und Jochen Kruß Frauen (oder Männer) wie die Protagonistin Nora, die sich für ihren Partner aufopfern, ihn dies aber nicht spüren lassen, um seine (Mannes-) Ehre nicht anzukratzen, gibt es noch immer. Daran ist nichts auszusetzen, ist dies doch ein wirklicher Liebesdienst, der aus dem Herzen kommt. Unwesentlich, wer darin der Mann oder die Frau ist. Wenn das Opfer des einen aber nicht (an)erkannt wird, dann bleibt anderen nur noch eines: Zu gehen. Ein Zurück in die alten Rollen kann es dann nicht mehr geben, der Rückweg ist endgültig verbaut. Auch dem Ehepaar Nora und Torvald Helmer geht es etliche Jahre richtig gut. Die beiden lieben sich. Ihre Rollen sind klar, jeder erfüllt seinen Part. Der designierte Bankdirektor behandelt seine Nora wie ein Püppchen, nennt sie „Eichkätzchen“ oder „Singlerche“. Die Welt des Puppenheims, in dem sie die Barbie und er den Yuppie gibt, scheint perfekt. Bis Noras Betrug aufzufliegen droht, den sie vor Jahren Henrik Ibsens „Nora“ beim Sommer-Open-Air der Immoralisten https://www.kulturjoker.de/countdown-einer-ehe/#more-5657 1 von 3 03.09.18, 16:46

Henrik Ibsens „Nora“ beim Sommer-Open-Air der Immoralisten · 2018. 9. 3. · Henrik Ibsens „Nora“ beim Sommer-Open-Air der Immoralisten Als Henrik Ibsen 1879 sein Theaterstück

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Page 1: Henrik Ibsens „Nora“ beim Sommer-Open-Air der Immoralisten · 2018. 9. 3. · Henrik Ibsens „Nora“ beim Sommer-Open-Air der Immoralisten Als Henrik Ibsen 1879 sein Theaterstück

Theater | August 2017 | vonRedaktion

Countdowneiner EheHenrik Ibsens„Nora“ beimSommer-Open-Air derImmoralistenAls Henrik Ibsen 1879 seinTheaterstück „Nora oder EinPuppenheim“ verfasste,waren die Geschlechterrollennoch klar definiert: DerEhemann verdiente das Geldund sorgte für Ehefrau undFamilie, weshalb ihm auchdie Entscheidungsgewaltüber alles oblag. ImGegenzug erzog die Ehefraudie Kinder, führte ansonstenein sorgenfreies Leben undkümmerte sich ums Aus- undAnsehen. Ein veraltetesArrangement, wie es auchheute existiert undfunktioniert.

Lisa-Lena Tritscher und JochenKruß

Frauen (oder Männer) wie dieProtagonistin Nora, die sichfür ihren Partner aufopfern,ihn dies aber nicht spürenlassen, um seine (Mannes-)Ehre nicht anzukratzen, gibtes noch immer. Daran istnichts auszusetzen, ist diesdoch ein wirklicherLiebesdienst, der aus demHerzen kommt. Unwesentlich,wer darin der Mann oder dieFrau ist. Wenn das Opfer deseinen aber nicht (an)erkanntwird, dann bleibt anderen nurnoch eines: Zu gehen. EinZurück in die alten Rollenkann es dann nicht mehrgeben, der Rückweg istendgültig verbaut.

Auch dem Ehepaar Nora undTorvald Helmer geht esetliche Jahre richtig gut. Diebeiden lieben sich. IhreRollen sind klar, jeder erfülltseinen Part. Der designierteBankdirektor behandelt seineNora wie ein Püppchen,nennt sie „Eichkätzchen“ oder„Singlerche“. Die Welt desPuppenheims, in dem sie dieBarbie und er den Yuppiegibt, scheint perfekt. BisNoras Betrug aufzufliegendroht, den sie vor Jahren

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beging, um ihren vomBurnout bedrohten Mann aufeine große Erholungsreiseschicken zu können. Vorihrem Gatten hatte sie sichwie ein Luxusweibchengebärdet, um mit seinenZuwendungen heimlich denKredit abzuzahlen.Keinesfalls wollte sie seineRolle des starken Mackersgefährden. Sie war dieStarke, doch ihr war immerbewusst: Dieses Spielfunktioniert nur, solange erdas nicht weiß.

Das zwischen Liebe, Machtund Egozentrik, Mann undFrau hin- und hermäandernde Stück nimmtbeim Sommer-Open-Air derImmoralisten vor allemdadurch so richtig Fahrt auf,dass die Rollenandersherum, also die derNora mit einem Mann und diedes Helmer mit einer Fraubesetzt werden. Nicht wegender illustren Bebilderung,vielmehr hätten ihre Rollengar nicht optimaler besetztwerden können.

Mit großer Lust kostet jederdas jeweils andere in sichaus: Auf der einen Seite derleidenschaftlich agierendeJochen Kruß, der die ganzeGefühlsbreite seiner Nora,jede noch so kleine Regungaufs Feinste und Treffendstein Gestik und Mimikumzusetzen versteht. Ihmgegenüber die schöne, starkunterkühlte (neu aus Wienzum Ensemble gestoßene)Lisa-Lena Tritscher, die ihrenHelmer so souverän, soglaubwürdig gibt, dass mangeneigt ist zu vergessen, wernun die Frau oder der Mannist. Und genau das ist diegroße Stärke dieserInszenierung, Emanzipationhin oder Gender her: Dennwie die Machtverhältnisseinnerhalb einer Beziehunggelagert sind, das hat mitMänner- oder Frauenrollengar nichts zu tun.

Dies zeigt sich gerade aucham Schluss, da Nora ihrenMann in Männerkleidernverlässt, während er in ihrenBademantel gehüllt wie einHäufchen Elend zurückbleibt.Neben ihnen treten VerenaHuber als Noras FreundinChristine Linde, UliWinterhager als HausfreundDoktor Rank und FlorianWetter als skrupelloserAnwalt Krogstadt auf. Derlang-anhaltendePremierenapplaus gilt einergroßartigen Regie (ManuelKreitmeier), einer tollenKulisse (ein kalifornischesWeihnachts-Sommermärchenvon Manuel Kreitmeier,Markus Wassmer undSebastian Ridder) und vorallem dem rundumphänomenalen Ensemble.

Friederike Zimmermann

Weitere Termine bis 9.September. Theater derImmoralisten, Ferdinand-Weiß-Straße 9-11, Freiburg.Tel. 0761/3181212

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