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Herrscher im Mikrokosmos

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Atlan - Der Held vonArkon

Nr. 200

Herrscher imMikrokosmos

Sie sind Wanderer zwischen denUniversen - Atlan ist in ihrer Gewalt

von William Voltz

In einer Zeit, die auf Terra dem 9. Jahrtausend v.Chr. entspricht, steht es mit demGroßen Imperium der Arkoniden nicht zum Besten, denn es muß sich sowohl äuße-rer als auch innerer Feinde erwehren.

Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Im-periums durch überraschende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Fein-de Arkons sind Habgier und Korruption der Herrschenden, die – allen voran Impera-tor Orbanaschol III. – nur auf ihr eigenes Wohl bedacht sind und das Gemeinwohlvöllig außer acht lassen.

Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßigeThronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von ver-schworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorge-gangen.

Gegenwärtig aber ist Atlan nicht in der Lage, den Untergrundkampf gegen denUsurpator und Brudermörder Orbanaschol persönlich weiterzuführen. Der Kristall-prinz ist durch die Einwirkung einer neuen Geheimwaffe der Maahks in ein anderesRaum-Zeitkontinuum gelangt – in den Mikrokosmos.

Und der Weg zurück aus dem Bereich des unendlich Kleinen führt nur über dieHERRSCHER IM MIKROKOSMOS …

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Die Hautpersonen des Romans:Atlan und Crysalgira - Der Kristallprinz und die Prinzessin in der Gewalt der Herren desMikrokosmos.Vargo - Entdecker der Absoluten Bewegung.Mamrohn - Ein Rebell unter den Varganen.Kreton und Kandros - Beherrscher der Eisigen Sphäre.Magantilliken - Henker der Varganen.

1.Atlan

Crysalgira wand sich aus meinen Armenund trat einen Schritt zurück, um mich nach-denklich anzusehen.

»Ich liebe dich nicht«, stellte sie fest. »Esist die Situation, die mich zu dir getriebenhat. Wenn wir jemals zurückfinden sollten,werde ich zu Sonnenträger Chergost zurück-kehren.«

Es war eine sehr schwache Form des Pro-tests, und vielleicht hätte ich mich entschlos-sen, ihn zu ignorieren, aber in diesem Au-genblick öffnete sich die Kabinentür, undein bewaffneter Tejonther blickte zu unsherein. Seine gelben Augen richteten sichauf das Mädchen, so daß ich mich unwill-kürlich fragte, ob ein Tejonther fähig war,die hinreißende Schönheit der Prinzessin zuerkennen.

»Wir sind gelandet«, verkündete derRaumfahrer. Seine Worte wurden von einemkleinen Gerät übersetzt. »Sie werden dasSchiff in wenigen Augenblicken verlassen.«

Er trat zur Seite, um uns Platz zu machen.Jede seiner Bewegungen wurde von erhöhterWachsamkeit diktiert; zu glauben, diesenMann überrumpeln zu können, wäre ein ge-fährlicher Trugschluß gewesen.

Der Tejonther führte uns in die Zentraledes Schiffes. Auf den Bildschirmen konnteich erkennen, daß wir uns auf einem kleinenAsteroiden befanden.

»Das ist die Gefühlsbasis!« erklärte dertejonthische Kommandant teilnahmslos.

Ich fragte mich, warum ich weder Furchtnoch Unbehagen empfand, vielleicht wardieser im Weltraum treibende Schlackehau-

fen nicht aktiviert. Ein Tejonther betrat dieZentrale und übergab Crysalgira und mirzwei Atemmasken und Isolationsanzüge. Ichüberlegte, wie die Tejonther dieses Problemgelöst hätten, wenn ihre Körpergröße nichtder unseren entsprochen hätte. Mein Zeitge-fühl sagte mir, daß der Flug von Belkathyrhierher zwei Tage arkonidischer Zeitrech-nung gedauert hatte.

Die Tejonther in der Zentrale machteneinen sehr ungeduldigen Eindruck, sie schie-nen kaum erwarten zu können, uns endlichloszuwerden. Als wir die uns zur Verfügunggestellte Ausrüstung angelegt hatten, gelei-teten uns zwei bewaffnete, ebenfalls mitSchutzanzügen bekleidete Raumfahrer zurSchleuse des Schiffes. Die Gangway war be-reits herabgelassen.

Meine Blicke suchten die zerklüfteteOberfläche des Asteroiden nach Anzeichenvon Eingriffen einer raumfahrenden Machtab, aber in der nur schwach erhellten Umge-bung war nichts zu erkennen. Wahrschein-lich lag die eigentliche Gefühlsbasis imKern dieses Körpers.

Einer unserer Wächter ging voraus undwies uns den Weg, der andere bewegte sichmit schußbereiter Waffe hinter uns. DieserAufwand erschien mir übertrieben, nur einSelbstmörder hätte hier einen Fluchtversuchunternommen. Da zu unserer Ausrüstungkein Sprechgerät gehörte, konnten wir unsmit den Tejonthern nur durch Handzeichenverständigen. Ich bedauerte auch, daß ichmich nicht mit Crysalgira in Verbindung set-zen konnte, denn ich hätte gern mit ihr überdie Ereignisse gesprochen, die uns erwarte-ten.

Zielsicher bewegte sich der Tejonther ander Spitze in eine enge Schlucht. Die beiden

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Wächter schalteten tragbare Scheinwerferein und leuchteten den Boden ab, damit wirUnebenheiten und Spalten besser erkennenkonnten.

Sie werden euch an jene Macht überge-ben, die eure Hinrichtung auf Belkathyr ver-hindert hat! meldete sich mein Extrahirn.

Ich überlegte, was uns für die Unbekann-ten so interessant machte. Niemand wußte,daß wir aus dem Makrokosmos kamen. Eswar sinnlos, mit den Tejonthern darüber zusprechen. Wie sollte ich ihnen begreiflichmachen, daß jeder einzelne von ihnen nachmeiner Vorstellung tausendmal kleiner alsein Staubkorn war?

Die Wesen, die hier lebten, besaßen ihreneigenen Mikrokosmos, eine Feststellung, dieungeheuerliche Perspektiven eröffnete undüber die ich besser nicht nachdachte.

Meine Gedanken wurden unterbrochen,als unser Führer stehenblieb und den Licht-kegel des Scheinwerfers auf eine glatte Me-tallfläche zwischen den Felsen richtete.

»Eine Art Schleuse«, sagte ich unwillkür-lich, dann fiel mir wieder ein, daß Crysalgiramich nicht verstehen konnte.

Die Tejonther traten zur Seite. Einer vonihnen richtete ein kleines Instrument gegendie Metallfläche. Das Tor glitt zur Seite, sodaß ich in eine beleuchtete Druckkammerblicken konnte. Die Einrichtung des Raumeswar nicht besonders aufschlußreich. Gemes-sen an dem, was ich erwartet hatte, wirktesie geradezu spartanisch einfach.

Der rechts von mir stehende Wächtermachte eine unmißverständliche Geste mitseiner Waffe: Crysalgira und ich sollten dieDruckkammer betreten.

Crysalgira sah mich an, sie überließ mirdie Entscheidung. Wir hatten keine andereWahl, als den Befehl zu befolgen.

Ich trat in die Druckkammer, Crysalgirafolgte mir. Die äußere Tür glitt zu. Bevor siesich endgültig schloß, sah ich, daß die Te-jonther sich bereits zum Gehen gewandt hat-ten. Für sie war die Angelegenheit offenbarabgeschlossen.

Crysalgira wollte die Atemmaske abneh-

men, doch ich zog ihre Hände zurück. Nochwußten wir nicht, welche Umweltbedingun-gen uns hier erwarteten.

Eine Zeitlang blieb alles still, dann glittdie innere Tür der Druckkammer auf. Einbreiter Korridor lag vor uns. Die Höhe derleuchtenden Decke war nicht leicht zu schät-zen, aber als ich die Hand ausstreckte, konn-te ich das warme und weiche Material be-rühren.

Der Boden war mit einem netzartigen Ge-wirr von Linien bedeckt, die ich zunächst fürKratzspuren hielt. Als wir jedoch ein paarSchritte in den Korridor gemacht hatten,stellte ich fest, daß diese Linien feine Zeich-nungen von unbekannten Geräten darstell-ten. Die Wände waren glatt und von hellgel-ber Farbe.

Das von der Decke ausgehende Licht warso hell, daß ich das Ende des Korridors nichtsehen konnte, nur wenige Schritte von mirentfernt verschwanden alle Einzelheiten ineiner Lichtflut, die den Augen weh tat.

Ich riskierte es, die Atemmaske abzuneh-men. Angenehm frische Luft schlug mir insGesicht. Ich nickte Crysalgira zu.

»Es gibt atembare Luft, Prinzessin. Ichbin sicher, daß wir erst jetzt die eigentlicheGefühlsbasis betreten haben.«

Sie schob ihre Maske in den Nacken.»Warum sind wir hier, Atlan?«»Das wüßte ich gern, aber wir können den

Grund nicht einmal vermuten. Jemand ist anuns interessiert. Ich bin sicher, daß wir baldeine Nachricht von den Unbekannten erhal-ten werden.«

Sie begann ihre Haare zu ordnen, unbe-wußte Bewegungen einer auf Schönheit be-dachten Frau. Trotz der Strapazen der ver-gangenen Tage hatte Crysalgiras Äußeressich kaum verändert. Ich ertappte mich da-bei, daß ich sie unbewußt mit Farnathia undIschtar verglich. Auf ihre Art wirkte sienicht weniger anziehend als die beiden ande-ren Frauen, obwohl sie natürlich nicht dieAusstrahlungskraft der Goldenen Göttin be-saß.

Plötzlich entstand vor uns eine Bewe-

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gung. Wir blieben stehen.Eine Gestalt kam aus der Helligkeit.Sie wirkte zerbrechlich und durchsichtig.

Je näher sie herankam, desto stärker wurdeder Eindruck, daß es sich um ein weiblichesWesen handelte. Ich wurde bei ihrem An-blick von innerer Unruhe ergriffen, denn ichfühlte mich an irgend etwas erinnert, wasmir noch nicht völlig bewußt wurde.

Die Gestalt schien zu schweben, ein kalterHauch wehte zu Crysalgira und mir herüber.

Ein Gazeschleier umgab das seltsameWesen, leuchtende Kristalle wirbelten umseinen Kopf.

Die Erkenntnis, wer diese Gestalt war,traf mich wie ein körperlicher Schlag. Un-willkürlich machte ich einen Schritt zurück.Mein Gesicht mußte ungläubiges Entsetzenausdrücken, denn Crysalgira kam besorgtauf mich zu.

Das Wesen war eine der zwölf Erinnyen,denen ich in der alten varganischen Stationauf Sogantrort begegnet war. Ich erinnertemich genau, wie die zwölf Rachegöttinnenden Behälter mit dem Embryo meines Soh-nes Chapat an sich genommen hatten, umihn in die Eisige Sphäre zu entführen.

Ich schüttelte benommen den Kopf, dochdas Bild löste sich nicht auf.

Die Erinnye hätte nicht hier sein dürfen,denn Sogantrort war eine vergessene Weltder Varganen im Makrokosmos!

*

Crysalgira berührte mich am Arm.»Atlan!« rief sie drängend. »Kennst du

dieses Wesen?«Ich nickte. Noch immer war ich so ver-

blüfft, daß ich kein Wort über meine Lippenbrachte. Unglaubliche Gedanken gingen mirdurch den Kopf, ich stellte die wildestenSpekulationen an, obwohl ich mir darüberim klaren war, daß die Wahrheit noch vielphantastischer sein mußte als meine Überle-gungen.

»Folgt mir!« forderte uns die Erinnye invarganischer Sprache auf und löschte damit

die letzten Zweifel an ihrer Herkunft.Wie kam einer der geheimnisvollen Ro-

boter der Varganen aus dem Makrokosmoshierher in eine Gefühlsbasis der Tropoythersim Mikrokosmos?

»Warum sprichst du nicht?« fragte Crys-algira. »Warum sagst du mir nicht, was duweißt? Kannst du dieses Wesen verstehen?«

»Ich verstehe es«, brachte ich hervor.Noch immer war ich überwältigt von der un-erwarteten Erscheinung. »Es sagt, daß wirihm folgen sollen.«

Die Erinnye schwebte voraus, geräusch-los, einen Kranz wirbelnder Eiskristalle umden nebelförmigen Kopf.

Ich merkte, daß ich zitterte – ein äußeresAnzeichen meiner Erregung. Vergeblichlauschte ich in mich hinein. Mein Extrahirnmeldete sich nicht. In dieser Situation war esebenfalls ratlos.

Plötzlich standen wir am Ende des Korri-dors. Vor uns lag ein Raum mit rundemQuerschnitt und einem kuppelförmigenDach. Vier mächtige Streben liefen von vierEckpunkten des Bodens zum Zentrum derDecke hinauf, wo ein kugelförmiges Gebildeaus glasähnlichem Material hing. In der Ku-gel, die langsam rotierte, schienen Bewe-gungen stattzufinden.

Überall im Boden befanden sich mulden-förmige Vertiefungen, die von spiralförmi-gen Auswüchsen unterschiedlicher Größeund Dicke umrahmt wurden.

Die Erinnye bewegte sich in die Mitte desRaumes.

»Legt euch in diese Mulden!« befahl sie.Ich übersetzte Crysalgira, was die Erinnye

gesagt hatte.»Warum sollen wir das tun?« fragte das

Mädchen. »Atlan, was soll mit uns gesche-hen?«

»Wir haben keine andere Wahl, als alleAnordnungen zu befolgen«, gab ich zurück.»Ich bin überzeugt davon, daß man uns kei-nen Schaden zufügen wird. Man hat uns einebestimmte Rolle zugedacht, über die wir si-cher bald mehr erfahren werden. Im Augen-blick ist alles so rätselhaft, daß ich nicht ein-

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mal erahnen kann, was geschehen wird.«Sie drängte sich gegen mich. In dieser

fremdartigen Umgebung verlor sie ihre ge-wohnte Selbstbeherrschung immer mehr.

Ich wählte zwei Mulden aus, die unmittel-bar nebeneinander lagen. Die Erinnye erhobkeine Einwände.

Kaum, daß Crysalgira und ich uns in denVertiefungen niedergelassen hatten, kipptendie spiralförmigen Auswüchse am Randeder Mulde über unsere Körper und stelltenKontakt her. Ich war augenblicklich gelähmtund lag starr da. Meine Haut prickelte. DieKugel über mir schien schneller zu rotieren.

Ich glaubte Gestalten in dieser Kugel zusehen und fühlte mich plötzlich zu ihnenhingezogen.

Wie aus weiter Ferne hörte ich die Stim-me der Erinnye.

»Du sollst die Wahrheit erfahren, weil wirdich brauchen. Dein Bewußtsein wird in dieVergangenheit reisen und erleben, was sichtatsächlich ereignet hat.«

Ich wollte aufschreien, denn ich fühlte in-stinktiv, daß ungeheuerliche Dinge auf michwarteten. Ich sollte eine Wahrheit erfahren,von der ich nicht wußte, ob ich sie ertragenkonnte.

Die Kugel sank auf uns herab, sie dehntesich aus wie ein Ballon. Ich hatte den Ein-druck, daß sie mich unter sich begrub. Ummich herum entstand eine unwirkliche Um-gebung. Die bisher nur verschwommensichtbar werdenden Gestalten bekamen festeKonturen.

Ich stand mitten unter den Fremden.Aber ich war nicht länger Atlan.Ich war …

2.Vargo

Der Überfall erfolgte im Mondschatten-feld der Pyramide, zu einem Zeitpunkt, daVargo längst nicht mehr mit Aktionen derProjektgegner gerechnet hatte. Vielleichtwar dieser verzweifelte Anschlag Ausdruckohnmächtigen Zorns, denn schließlich war

Brenzko Karahn bereits vor drei Tagendurch den Umsetzer gegangen und heutemorgen zurückgekehrt. In dem Augenblick,da Vargo das Mondschattenfeld der Pyrami-de betrat, hatte er keine Chance, von denWachhabenden Priestern auf dem Gipfelpla-teau der Pyramide gesehen zu werden.

Die Angreifer hatten damit gerechnet, daßVargo zum Gottesdienst kommen würde, umfür den Erfolg seines Projekts ein Dankgebetzu sprechen, aber sie hatten nicht wissenkönnen, daß er allein kommen würde. Die-ses Risiko waren sie eingegangen – und hat-ten gewonnen.

Sie waren zu sechst, hochgewachseneschlanke Männer, deren Gesichter durch Ga-zebrei unkenntlich gemacht waren. Wie ausdem Boden gewachsen, standen sie plötzlichvor Vargo und warfen ein Lähmfeld überseinen Kopf. Der Wissenschaftler konntenicht schreien, seine Schultern wurdenschlaff. Er taumelte nach vorn und versuchtenoch im Fallen, die Angreifer durch Trittezu verletzen. Sie hielten ihn fest, einer vonihnen streifte ihm mit geschickten Bewegun-gen einen schwarzen Mantel über, wie ihndie Tempeldiener trugen.

Vargo begriff, auf welche einfache undfreche Weise die Entführung vor sich gehensollte. Er wurde in die Mitte genommen undgestützt. So trieben sie ihn seitwärts, wo dieBuschkette die Grenze zwischen Innen- undAußenhof der Pyramide bildete. Als sie ausdem Mondschattenfeld traten, mußte für diePriester oben auf dem Gebäude der Eindruckentstehen, daß ein Tempeldiener eine Grup-pe von Gläubigen zum Außenhof begleitete.

Vargo war von den Hüften aufwärts angelähmt, seine Arme hingen lahm herunter,so daß er sich kaum wehren konnte. Allesgeschah mit unglaublicher Schnelligkeit undließ ihn vermuten, daß seine Gegner nichtzum erstenmal solche Methoden anwandten.Vargos Freunde hatten oft davor gewarnt,daß die Projektgegner mit kriminellen Ver-einigungen zusammenarbeiteten, aber derWissenschaftler hatte diese Warnungen nieso richtig ernst genommen. Das stellte sich

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jetzt als schwerwiegender Fehler heraus.Vargo überlegte, was sie mit ihm vorha-

ben konnten. Der Umsetzer war fertiggestelltund arbeitete einwandfrei, die Regierunghatte einer großen Expedition in den Makro-kosmos bereits zugestimmt.

Diese Expedition würde stattfinden,gleichgültig, ob Vargo sie leiten konnte odernicht. Die anderen Wissenschaftler, die andiesem Projekt beteiligt waren, besaßen dienötigen Unterlagen und ausreichende Kennt-nisse, um alle nötigen Schritte in die Wegezulei ten.

Im Außenhof wartete ein Fahrzeug, in dasVargo geschoben wurde. Im Innern des Wa-gens wartete ein Mann, der ein zufriedenesBrummen hören ließ und Vargos Beine fes-selte. Vargo lag auf dem Boden, er hörte einpaar Männer leise miteinander sprechen.

Er schätzte, daß die Großfahndung in ei-ner Stunde beginnen würde, aber auf Tro-poyth gab es zahlreiche Verstecke, wohinman ihn bringen und tagelang festhaltenkonnte. Die Regierungstruppen würden sichdurch keine Drohung von der Suche abhal-ten lassen, dessen war er sicher. Er rechneteaber nicht damit, daß man ihn töten würde –so weit würden seine Feinde nicht gehen.

Je länger er nachdachte, desto sichererwurde er, daß man ihn nicht nur aus einemspontanen Entschluß heraus entführt hatte.Zweifellos gab es einen Plan.

Vargo hatte keine Furcht. Er war ein alterTropoyther, der alle Lebensziele erreichthatte, die er sich gesteckt hatte. Dabei hatteer niemals Hirngespinsten nachgehangen.Selbst die Erforschung des Makrokosmoswar von ihm mit kommerziellem Interessebetrieben worden. So reizvoll die wissen-schaftlichen Erkenntnisse dieser Arbeit aucherschienen, Vargo hatte nie die materiellenVorteile außer acht gelassen, die ein Erfolgdes Projekts seinem Volk versprach.

Vargo hatte das Geheimnis der AbsolutenBewegung entdeckt, die Möglichkeit einesMaterieaustauschs zwischen zwei völlig un-terschiedlichen Existenzebenen. Der Umset-zer, das von Vargo konstruierte Gerät, konn-

te jede beliebige Materiemenge in den Ma-krokosmos bringen und zurückholen.

Damit waren alle Probleme der Tropoy-thers bis in alle Ewigkeit gelöst, ein uner-meßliches Feld zur Beschaffung aller denk-baren Dinge stand ihnen offen.

Viele wissenschaftliche Mitarbeiter hattenVargo vor den Gefahren dieser Arbeit ge-warnt, sie befürchteten, daß die Grenzenzwischen beiden Existenzebenen zusam-menbrechen und dieser Sektor des Mikro-kosmos dabei zerstört werden könnte. Vargohatte diese Mahner verlacht. Es gab keineAnzeichen dafür, daß ihre Experimente dasphysikalische Gleichgewicht des Univer-sums stören könnten.

Vargo spürte, daß das Fahrzeug anruckte.Er wußte nicht, wieviel Entführer mit einge-stiegen waren. Jemand warf ihm ein stinken-des Tuch über den Kopf, wahrscheinlichwollte man verhindern, daß er auf dem FlugHinweise über den Kurs entdecken konnte.

Das Lähmfeld ließ an Wirkung nach, aberVargo hielt es für richtiger, ruhig am Bodenliegen zu bleiben. Solange die Maschine inder Luft war, hatte er sowieso keine Flucht-chance.

Der Flug dauerte nicht so lange, wie er ur-sprünglich angenommen hatte, er war über-zeugt davon, daß sie sich noch immer aufYakonth, dem Hauptkontinent von Tropoythbefanden. Vielleicht lag das Versteck ir-gendwo in den Vralkh-Bergen. Vargo be-schloß, auf die atmosphärischen Bedingun-gen zu achten, die ihn nun erwarteten, denndaraus konnte er auf die ungefähre Höhe desVerstecks schließen und den Behörden spä-ter Hinweise geben.

Jemand beugte sich über ihn und löste dieBeinfesseln.

»Aufstehen!« befahl eine rauhe Stimme.»Hände auf dem Rücken verschränken.«

Vargo gehorchte. Das Tuch blieb auf sei-nem Kopf. Er atmete tief ein, zu seinerÜberraschung stieg warme, würzig riechen-de Luft in seine Nase.

Wald! dachte er. Wir befinden uns in ei-nem Wald in der Nähe der Südküste. Er

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wußte, daß es in diesem Landstrich großeSumpflandschaften und Regenwälder gab.Seine Gegner hatten sich dort offenbar nie-dergelassen.

Er wurde aus dem Fahrzeug geschobenund dann über weichen Boden weggeführt.Wenig später hörte er Geräusche von Ma-schinen, dann schlugen Türen. Er merkte,daß er nicht mehr im Freien war. Er erhielteinen Stoß, dann fiel eine Tür ins Schloß.

Es war still.Vargo wartete einen Augenblick, dann

nahm er das Tuch vom Kopf. Wie er erwar-tet hatte, befand er sich allein in einem klei-nen, einfach eingerichteten Raum. Es gabkein Fenster, über der Tür war eine Klima-anlage installiert.

Vargo massierte seine prickelnden Händeund ließ sich auf dem schmalen Bett nieder.Es war nicht ausgeschlossen, daß seine Ent-führer sich nicht darüber im klaren waren,wie sie vorgehen sollten. Vielleicht wandtensie auch lediglich den psychologischen Ef-fekt des Wartenlassens an, um ihren Gefan-genen gefügiger zu machen.

Vargo lächelte müde.Die Maschinerie war längst in Gang ge-

setzt, sein Fehlen im Projektbereich konntenichts mehr ändern.

Er erinnerte sich an den Augenblick, daBrenzko Karahn an diesem Morgen aus demUmsetzer getreten war, blaß und ver-schreckt, aber mit einem triumphierendenLächeln auf den Lippen.

»Es hat geklappt, Vargo!«Erst die Rückkehr Karahns hatte Vargos

Theorien bestätigt; einen Mann verschwin-den zu lassen, bewies nicht die Möglichkeitder Absoluten Bewegung.

Schritte wurden hörbar und unterbrachenden alten Wissenschaftler in seinen Gedan-ken.

Die Tür öffnete sich, ein großer Mannstand im Eingang.

Vargo blinzelte.»Mamrohn!« stieß er ungläubig hervor.

»Wollen Sie behaupten, daß der Wissen-schaftliche Erste Rat, der für die Finanzie-

rung meines Projekts sorgte, heimlich mitmeinen Gegnern zusammenarbeitet?«

Der Ankömmling grinste breit.»Ich bin für Ihre Entführung verantwort-

lich, Vargo.«Vargo sah ihn abwartend an, noch ver-

stand er nicht, was Mamrohn zu seinerHandlung bewogen haben mochte.

Mamrohn durchquerte den Raum mit lan-gen Schritten und ließ sich neben Vargo aufdem Bett nieder. Die Tür stand offen, drau-ßen schien kein Wächter zu stehen.

»Tatsächlich bin ich der größte Anhängerdes Projekts«, behauptete der Wissenschaft-liche Erste Rat von Tropoyth. »In letzterZeit jedoch waren Sie so in Ihre Arbeit ver-tieft, daß Sie die Veränderung der politi-schen Szene nicht mehr wahrnahmen.«

»Was heißt das?« fragte Vargo verblüfft.»Ihre Gegner gewannen mehr und mehr

an Einfluß«, berichtete Mamrohn. »Es fielmir immer schwerer, das Projekt im Rat zuverteidigen. Besonders schwerwiegend war,daß einige Ihrer Mitarbeiter sich weigerten,das Projekt weiter zu unterstützen.«

»Was hat das mit meiner Entführung zutun? Haben Sie etwa vor, die Opposition aufdiese Weise zu diskreditieren?« Vargo warentrüstet. »Sie können doch nicht glauben,daß ich Sie dabei unterstützen werde?«

Mamrohn blieb unbeeindruckt.»Diese Aktion sichert uns den Vorsprung,

den wir benötigen. Man wird sich wegen Ih-res Verschwindens die Köpfe heiß reden undsich gegenseitig die Verantwortung zuschie-ben. Darüber werden die meisten Verant-wortlichen das eigentliche Problem für eini-ge Zeit vergessen. Das gibt uns die Zeit, diewir benötigen.«

Vargo stand auf.»Zeit wozu?«Mamrohn streckte die Beine aus, in sei-

nem fleischigen Gesicht zuckte ein Muskel.Vargo hatte plötzlich den Eindruck, diesenMann zum erstenmal richtig zu sehen undeinzuschätzen. Es gab wenig Männer im Ratvon Tropoyth, die so zielstrebig und selbst-bewußt auf ein Ziel hinarbeiten konnten wie

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Mamrohn.Ohne Mamrohn hätte es niemals einen

Umsetzer gegeben.Vargo dachte ein bißchen traurig, daß er

selbst eigentlich nur die Idee geliefert hatte,Mamrohn dagegen aber als Vollstrecker auf-getreten war. Die ganze Zeit aber hatte derWissenschaftliche Erste Rat Pläne ge-schmiedet, von denen Vargo noch nichtswußte.

»Ich habe das alles nicht getan, um eineArt Reiseunternehmen aufzubauen«, drangMamrohns Stimme in seine Gedanken. »Siehaben viel zu kleinkariert gedacht, alterFreund. Ich wollte Sie jedoch nicht irritie-ren, deshalb habe ich Sie in aller Ruhe arbei-ten lassen.«

»Was haben Sie vor?«»Wir werden Stützpunkte im Makrokos-

mos errichten«, verkündete Mamrohn. »Jetzthaben wir die Chance dazu, neue Räume zuerschließen, sie zu erobern. Denken Siedoch nach, Vargo! Wenn wir den Makrokos-mos besitzen, kontrollieren wir den Mikro-kosmos. Von oben aus können wir ganzeGalaxien im Mikrokosmos mit einem Fin-gerdruck erledigen.«

Vargo erschauerte. Wußte der Erste Ratüberhaupt, was er da von sich gab?

Mamrohn schien die Anwesenheit desWissenschaftlers vergessen zu haben.

»Eine Invasionsflotte steht bereit«, sagteer begeistert. »Wir werden mit zweitausendDoppelpyramidenschiffen in den Makrokos-mos vordringen – und das wird erst der An-fang sein.«

»Dazu habe ich den Umsetzer nicht kon-struiert, Mamrohn. Sie dürfen die AbsoluteBewegung nicht in dieser Form mißbrau-chen, es würde zu einer Katastrophe füh-ren.«

»Schweigen Sie!« herrschte Mamrohn ihnan. »Sie sind trotz Ihres genialen Könnenskurzsichtig. Sehen Sie nicht die Bedrohungfür uns, die sich allein aus der Tatsache er-gibt, daß wir der Mikrokosmos sind? ImMakrokosmos weiß man nichts von unsererExistenz, vielleicht ist man gerade dabei,

völlig gedankenlos jenen Teil unseres Uni-versums zu zerstören, den wir bewohnen.Was gehört schon dazu? Doch nicht mehr,als daß jemand auf einen Erdklumpen tritt!«

Vargo stöhnte auf.»Sie sehen das falsch!« rief er beschwö-

rend. »Sie erkennen die Zusammenhängenicht. Makro- und Mikrokosmos sind eins,ein ineinander geschlossenes System. JedeVeränderung würde apokalyptische Folgenhaben.«

»Ich weiß genau, was ich will«, erklärtedas Regierungsmitglied mit düsterer Ent-schlossenheit. »Während Sie Ihre Experi-mente erfolgreich abschlossen, habe ichauch meine Vorbereitungen beendet. Die er-ste Flotte steht bereit. Es gibt nur einenMann, der sie führen kann.«

»Sie!« sagte Vargo benommen.Mamrohn sah ihn zum erstenmal wieder

an. Er hob die Augenbrauen und schüttelteden Kopf.

»Ich? Wie kommen Sie auf die Idee, daßich es sein könnte? Das ist doch absurd,mein Platz ist hier auf Tropoyth im Rat.«

Da begriff Vargo, daß er gehen sollte.Mamrohn hatte ihn dazu ausersehen, die Ex-pedition in den Makrokosmos zu führen.Das war der Grund, warum er entführt wor-den war. Mamrohn würde ihn zwingen.

Mamrohn las im Gesicht des Gefangenen,daß dieser die Wahrheit erkannt hatte.

»Wie gefällt Ihnen das?« lächelte er.»Es ist Wahnsinn!«»Sie werden fasziniert sein, wenn Sie erst

einmal am Ziel angekommen sind«, prophe-zeite Mamrohn. »Ich werde veranlassen, daßman Sie für Ihre große Tat belohnt. Die mu-tigen Tropoythers, die Sie begleiten, werdenvom Augenblick des Aufbruchs an IhrenNamen tragen. Wir werden sie Varganennennen.«

*

Die nächsten Tage verstrichen für Vargoohne besondere Ereignisse. Er durfte seinGefängnis nicht verlassen. Ab und zu kam

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ein Unbekannter und brachte ihm Nahrung.Vargo verlangte nach den neuesten Nach-richten, aber diese Bitte wurde ihm versagt.

Vargo rechnete damit, daß Mamrohn ein-treten und sagen würde, daß alles ein Irrtumwar, ein Spaß, der nun endlich vorbei sei. Erklammerte sich so an diesen Gedanken, daßer immer, wenn draußen Schritte laut wur-den, aufsprang und erwartungsvoll zur Türging.

Aber es war immer nur der schweigsameFremde, der ihm zu essen brachte. Nur all-mählich machte der Wissenschaftler sich mitder Tatsache vertraut, daß er keinen Alp-traum erlebte.

Fünf Tage nach Vargos Entführung er-schien Mamrohn wieder im Gefängnis. Erwar schlampig gekleidet und machte einenüberreizten und müden Eindruck. Vargohoffte, daß irgend etwas schiefgegangenwar, aber diese Hoffnung wurde durchMamrohns Begrüßung bereits gegenstands-los.

»Es ist soweit!« verkündete der Wissen-schaftliche Erste Rat. »Wir haben den Um-setzer in den Weltraum bringen lassen, da-mit die bereitstehende Flotte ohne Schwie-rigkeiten in den Prozeß der Absoluten Be-wegung gebracht werden kann. Das Ver-schwinden des Umsetzers hat einigen Wir-bel verursacht, erstaunlicherweise mehr alsdas seines Erschaffers.« Sarkastisch fügte erhinzu: »Das ist sicher nicht erstaunlich.«

Vargo überlegte, daß zahlreiche seinerVertrauten für Mamrohn arbeiten mußten,anders war dieses Vorgehen nicht zu erklä-ren. Der alte Mann fühlte sich überrumpeltund verraten, er wünschte, er hätte das allesnicht mehr zu erleben brauchen.

»Nun sind Sie an der Reihe«, fuhr Mam-rohn fort. »Vargo und seine Varganen, wiegefällt Ihnen das?«

»Es ist makaber«, erwiderte Vargo nieder-geschlagen. Er versuchte, Mamrohn zu has-sen, aber das gelang ihm nicht. Im Grundegenommen hatte er sich bereits damit abge-funden, daß er die Invasionsflotte – denn daswar sie – in den Makrokosmos führen wür-

de. Er gestand sich ein, daß diese Aufgabereizvolle Aspekte besaß.

Mamrohn ergriff ihn am Arm und führteihn hinaus. Zum erstenmal sah Vargo etwasvon der Umgebung, in der er sich in den ver-gangenen Tagen aufgehalten hatte. Ringsumim Regenwald standen ein paar flache Ge-bäude. Männer und Frauen, die Vargo nie-mals zuvor gesehen hatte, arbeiteten in derNähe.

Über einen Trampelpfad führte Mamrohnden Wissenschaftler zu einer Lichtung. Dortstanden ein paar bewaffnete Männer zwi-schen den Bäumen. Mamrohns Maschinewartete auf der Lichtung. Es war ein kombi-nierter Raum-Atmosphäregleiter.

Mamrohn fing Vargos Blick auf.»Wir fliegen direkt in den Weltraum und

gehen an Bord des DoppelpyramidenschiffsGENDROT«, gab er bekannt. »Alles, wasSie brauchen, befindet sich bereits an Bord.«

Vargo hatte nicht gehofft, sich noch vonseinen Freunden verabschieden zu können,aber dieser überstürzte Aufbruch bewiesihm, daß Mamrohn in Schwierigkeiten war.

»Sie werden einige Ihrer Freunde an Bordder GENDROT wiedersehen«, fuhr Mam-rohn fort. Er kletterte in den Gleiter und ließsich ächzend in einen Sitz fallen. Der Pilotwartete, daß auch Vargo einstieg, dann star-tete er.

Vargo blickte zur Seite und sah, daßMamrohn der Kopf auf die Brust fiel. DerWissenschaftliche Erste Rat von Tropoythwar unmittelbar nach dem Start vor Er-schöpfung eingeschlafen.

Vargo wandte sich an den Piloten.»Sind alle Schiffe einsatzbereit?«»Ich kümmere mich um nichts«, erwiderte

der Mann gelassen. »Ich fliege diesen Glei-ter, das ist alles.«

Vargo wappnete sich mit Geduld. Bei zu-nehmender Beschleunigung, mußte er sichin den Andrucksessel zurücklehnen undwarten, bis die Maschine den offenen Welt-raum erreicht hatte. Sie wurden weder auf-gehalten noch angefunkt. Mamrohn mußteden gesamten Sicherheitsapparat der Regie-

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rung kontrollieren. Vielleicht handelte er so-gar im Auftrag der Regierung.

Tropoyth blieb hinter ihnen zurück, eineblaugrün leuchtende Scheibe mit weißenWolkenfetzen davor. Es war nun achtzehnJahre her, daß Vargo sich zum letztenmal imWeltraum aufgehalten hatte, aber er hatteden Eindruck, daß es erst vor ein paar Tagengewesen war.

Der Pilot schien den Kurs genau zu ken-nen.

Mamrohn, der eine innere Uhr zu besitzenschien, erwachte, als der Gleiter die Flotteerreicht hatte.

Das Einschleusungsmanöver in die GEN-DROT vollzog sich schnell und reibungslos.

»Ich dachte, Sie würden nicht mitgehen«,wandte Vargo sich an den Wissenschaftli-chen Ersten Rat.

»Das war ein Irrtum«, erklärte Mamrohnverbissen. »Auf Tropoyth hat sich vielesverändert. Ich begleite Sie, Vargo. Eines Ta-ges jedoch werden wir zurückkehren, dasversichere ich Ihnen.«

Vargo hatte das sichere Gefühl, daß allesanders verlaufen würde als Mamrohn sichdas vorstellte. Er wurde von schlimmen Ah-nungen geplagt. Sein Volk hatte eine gefähr-liche Grenze überschritten.

*

Die Ereignisse der nächsten Tage schie-nen Vargos Bedenken zu widerlegen. DerUmsetzer brachte alle Schiffe in den Prozeßder Absoluten Bewegung und führte dieFlotte in den Makrokosmos. Wie Vargo vor-hergesagt hatte, änderten sich während desDurchgangs alle Größen- und Massenver-hältnisse, Schiffe und Besatzungen paßtensich den Verhältnissen im Makrokosmos an.Dieser Effekt wurde durch den Massenaus-tausch herbeigeführt, der bei der Rückkehrin umgekehrter Form auftreten würde.

Doch an eine Rückkehr dachte Vargo vor-läufig nicht.

An Bord der GENDROT hielten sich sie-ben seiner ehemaligen engen Mitarbeiter

auf.»Wir müssen damit rechnen, daß es hier

im Makrokosmos große raumfahrende Völ-ker gibt, die uns unter Umständen gefährlichwerden können«, erklärte Mamrohn wäh-rend der ersten Besprechung nach ihrer An-kunft. »Deshalb werden wir die Flotte teilenund unsere Stationen in verschiedenen Sek-toren dieser Galaxis errichten.«

Mamrohn ließ durchblicken, daß ihmnicht an einer schnellen Rückkehr gelegenwar. In Vargo wuchs der Verdacht, daß derehemalige Wissenschaftliche Erste Rat aneine Kolonisation dachte. Er wollte einzweites tropoythisches Imperium im Makro-kosmos errichten.

Ein varganisches Imperium! korrigierteVargo sich in Gedanken.

Die GENDROT gehörte zu einem Ver-band von siebenundzwanzig Schiffen, dieein paar Tage später in ein kleines Sonnen-system eindrangen und auf dem zweiten voninsgesamt sechs Planeten landeten.

Mamrohn hatte eine Sauerstoffwelt ausge-wählt, die alle Voraussetzungen für denAusbau einer Station bot. Vargo und die an-deren Wissenschaftler erhoben Bedenken,denn auf der von Mamrohn erwählten Weltgab es bereits eine primitive Zivilisation.

Mamrohn ließ diese Einwände nicht gel-ten.

»Wir kümmern uns nicht um sie«, befahler. »Wenn sie uns in die Quere kommensollten, verjagen wir sie.«

Vargo erkannte, daß Mamrohn ein rück-sichtsloser Eroberer war. Der ehemaligeWissenschaftliche Erste Rat wollte sich indieser Galaxis des Makrokosmos ein Imperi-um aufbauen.

Ein knappes Jahr nach ihrer Ankunft imMakrokosmos machten die Teilnehmer andieser verhängnisvollen Expedition zwei un-geheuerliche Entdeckungen.

Die Varganen, wie sie sich MamrohnsAnordnung entsprechend jetzt nannten, al-terten nicht mehr. Durch den Einfluß derAbsoluten Bewegung hatten sie Unsterblich-keit erlangt.

Herrscher im Mikrokosmos 11

Page 12: Herrscher im Mikrokosmos

Der zweite Effekt war schrecklich.Die Varganen verloren die Fähigkeit, sich

miteinander fortzupflanzen.

3.Vargo

Der Ausbau der Station auf Dopmorgging jetzt langsamer voran, vielleicht weildie Unsterblichen sich unbewußt darüber imklaren waren, daß sie unendlich viel Zeit zurVerfügung hatten. Die überall in dieser Ga-laxis verteilten Stationen glichen Inseln.Zwar flogen die Doppelpyramidenschiffeständig hin und her, aber auch diese Kontak-te ließen mehr und mehr nach.

Von seinem Platz auf dem Dach desHauptgebäudes aus konnte Vargo das Lan-deplateau sehen. Dort standen einundzwan-zig Doppelpyramidenschiffe. Das bedeutete,daß nur sechs Schiffe zu anderen Stationenunterwegs waren.

Vargo kam jeden Morgen hier herauf, umden Sonnenaufgang zu erleben. Trotz seinerUnsterblichkeit fühlte er sich müde. Erspielte mit dem Gedanken, seinem Lebenein gewaltsames Ende zu setzen.

Vargo war ein einsamer Mann, denn dieanderen Varganen mieden ihn.

Sie verdankten ihm indirekt die Unsterb-lichkeit, aber sie brachten nur ihre Zeu-gungsunfähigkeit mit ihm in Verbindung.Vargo hatte keinen dieser Effekte vorherse-hen können, er bedauerte, daß es dazu ge-kommen war.

Seit ihrer Ankunft auf Dopmorg hatteVargo den Planeten nicht mehr verlassen, erahnte, daß ihn auf allen anderen besetztenPlaneten die gleiche Feindseligkeit entge-genschlagen würde.

Vargo dachte an Mamrohn, der bereitsseit ein paar Jahren unterwegs war. In Ge-danken sah er Mamrohn von Station zu Sta-tion eilen, verzweifelt darum bemüht, Ver-bindungen zwischen den einzelnen Weltenzu schaffen.

Als die Sonne über den Bergen stand, ver-ließ Vargo seinen Beobachtungsplatz auf

dem Dach und kehrte in seine Räume im In-nern der Station zurück. Zu seiner Überra-schung wurde er erwartet.

Kreton, einer der führenden varganischenWissenschaftler, kam ihm entgegen.

Die Erinnerung an frühere gemeinsameArbeiten wurde in Vargo wach, selten zuvorhatte er das Ende seiner Kontakte zu ande-ren Männern und Frauen so bedrückendempfunden wie in diesem Augenblick. Erverhielt sich jedoch zurückhaltend, dennKreton war bestimmt nicht gekommen, umalte Beziehungen aufzufrischen.

Kreton ging im Zimmer auf und ab, bliebvor dem Teller mit den Blüten stehen undstarrte nachdenklich auf ihn hinab. Die Blü-ten wurden jeden Tag erneuert, es war eineMarotte Vargos, von der er nun befürchtete,sie könnte seinen inneren Zustand verraten.Er war zu stolz, um das Mitgefühl andererzu ersehnen.

Kreton beugte sich zum Teller hinab undnahm eine Blüte heraus.

»Wundern Sie sich über meine Anwesen-heit?«

»Eigentlich ja«, gab Vargo zurück. »Ichwerde nicht sehr häufig besucht.«

»Sie haben sich zurückgezogen«, stellteKreton fest. »Ich verstehe das, es ist Aus-druck eines unterschwelligen Schuldbewußt-seins.«

Vargo runzelte die Stirn, er hatte nicht da-mit gerechnet, daß die anderen die Situationso sahen. Immerhin war es interessant, die-sen Standpunkt zu erfahren.

»Ich bin aus eigenem Antrieb hier«, fuhrKreton fort. »Wir hatten eine Besprechung,und ist bin der Meinung, daß wir Ihre An-sichten hören sollten. Immerhin haben Siedieses Projekt ermöglicht und ihm Ihren Na-men gegeben.«

»Das war Mamrohns Idee!«Kreton winkte ab. Während Vargo ihn be-

obachtete, überlegte er, was geschehen seinkonnte. Kreton machte den Eindruck einesÜberbringers wichtiger Entschlüsse.

»Was halten Sie von unserer Lage?« frag-te er Vargo.

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Page 13: Herrscher im Mikrokosmos

»Wir leben hier!«Kreton unterdrückte ein Lachen. »Früher

waren Sie in der Beurteilung einer Situationnicht so vorsichtig, mein Lieber. Aber viel-leicht wissen Sie nicht, worauf ich hinauswill. Wir kamen in den Makrokosmos, umhier ein Reich aufzubauen. Wir wollten Son-nensystem um Sonnensystem erobern.«

»Hm!« machte Vargo.»Um Sonnensysteme zu bevölkern,

braucht man Tropoythers.« Kreton zupftedie Blütenblätter ab und warf die Knospe inden Teller zurück. »Aber unsere Anzahl hatsich nicht vergrößert, wir verlieren im Ge-genteil immer mehr Männer und Frauendurch gewaltsamen Tod. Da wir uns nichtmehr fortpflanzen können, ist der ursprüng-liche Sinn dieses Unternehmens in Frage ge-stellt.«

Was Kreton aussprach, hatte Vargo hun-dertmal überdacht, ohne zu einer Lösung zugelangen.

»Uns fehlt eine Motivation«, fuhr Kretonernst fort. »Wir haben bereits alles erreicht,was zu erreichen war – gemessen an denUmständen. Da wir keine Kinder haben,brauchen wir keine neuen Welten. Es istschon schwer genug, die in Besitz genom-menen Systeme zu halten.«

Vargo gab sich einen Ruck.»Was wollen Sie eigentlich?«»Wissen Sie das nicht?« Kreton blickte

ihm direkt in die Augen. »Viele von unssind der Meinung, daß wir aufgeben und zu-rückkehren sollten.«

Vargo fühlte einen Schauer über denRücken laufen, er begann zu zittern und be-griff, wonach er sich die ganze Zeit über inWirklichkeit gesehnt hatte.

Zurück! dachte er inbrünstig.Zurück in den Mikrokosmos, zurück nach

Tropoyth!

*

Zwei Jahre später kehrte Mamrohn zu-rück. Seine Ankunft auf Dopmorg fiel zu-sammen mit dem Ausbruch heftiger Kontro-

versen zwischen den Befürwortern einerRückkehr und ihren Gegnern.

Mamrohns Gesicht war verbrannt, seinrechter Unterarm amputiert und seine Stim-me klang entstellt. Er hatte den Tod gesuchtund nicht gefunden. In seinen Augen leuch-tete ein verzehrendes Feuer. Seine Fähigkeit,Einfluß auf andere Varganen auszuüben,hatte sich noch verstärkt.

Mamrohns Anwesenheit schien die Strei-tigkeiten zu beenden, aber die unterschiedli-chen Ansichten schwelten unter der Oberflä-che weiter. Die Varganen, die nach Tro-poyth zurückkehren wollten, befanden sichin der Überzahl. Eine offizielle Befragunghätte wahrscheinlich ergeben, daß nur einesehr kleine Gruppe im Makrokosmos blei-ben wollte. Allein die Tatsache, daß Mam-rohn zu dieser Gruppe gehörte, verlieh ihrGewicht.

Mamrohn war in Begleitung einer jungenVarganin nach Dopmorg gekommen, einesder schönsten Mädchen, das Vargo jemalsgesehen hatte. Mamrohn hatte sie von eineranderen Station mitgebracht. Ihr Name warIschtar.

Trotz seines äußeren Zustands hatteMamrohn nichts von seiner inneren Energieverloren. Er sprach davon, einen Großteilder eroberten Planeten aufzugeben und dieVarganen auf ein paar auserwählten Statio-nen zusammenzuziehen. Von dort aus wollteMamrohn die Galaxis beherrschen.

Ein paar Tage nach seiner Rückkehr ludMamrohn die Wissenschaftler zu einer Be-sprechung ein. Vargo war gespannt, wie derMann, der sich nach wie vor für den Anfüh-rer aller Varganen hielt, sich verhalten wür-de.

In den letzten Tagen hatte Kreton sich alsSprecher der Mehrheit profiliert. Kreton be-saß nicht die Willensstärke Mamrohns, aberer wußte, wie er zu taktieren hatte.

Als Vargo im Besprechungsraum eintraf,ahnte er nicht, daß es im Verlauf der Debattezu einem schweren Zusammenstoß kommenwürde. Sein fehlender Kontakt zu anderenVarganen verleitete ihn auch diesmal zu ei-

Herrscher im Mikrokosmos 13

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ner Fehleinschätzung der Lage.Mamrohn erschien. Er nahm am oberen

Ende des Tisches Platz. Sein Gesicht warverbissen, er sah wie ein Fremder aus undmachte den Eindruck eines unwillkomme-nen Besuchers. Die Begrüßung durch dieDiskussionsteilnehmer fiel so distanziertaus, daß Vargo Mitleid mit Mamrohn emp-fand, obwohl er bezweifelte, daß der ehema-lige Erste Rat die allgemeine Zurückhaltungüberhaupt registrierte.

Ischtar saß neben Mamrohn, ihr goldenesHaar berührte die Schultern.

Ein seltsames Paar! dachte Vargo unwill-kürlich und seltsam berührt.

Kreton trat in Begleitung aller wichtigenWissenschaftler ein. Auch diese Demonstra-tion schien an Mamrohn abzuprallen, er sahnicht einmal auf.

Als alle Diskussionsteilnehmer Platz ge-nommen hatte, warf Mamrohn ein paar Pa-piere auf den Tisch und sortierte sie mit derlinken Hand. Bei jedem anderen Mann hättesich die Frage gestellt, warum er den verlo-renen rechten Unterarm nicht durch eineProthese ersetzte – nicht aber bei Mamrohn.Es war unvorstellbar, daß er seinen Körperdurch irgend etwas Künstliches ergänzenwürde.

»Ich war lange unterwegs«, eröffneteMamrohn die Debatte ohne lange Vorrede.»Dabei habe ich alle Stationen in den ver-schiedensten Teilen dieser Galaxis besucht,einige sogar mehrmals. Es ist erschreckend,was auf verschiedenen von uns erobertenPlaneten geschieht.«

Er blickte zum erstenmal auf, in seinemGesicht spiegelten sich Zorn und Trotz undeine gewisse Rastlosigkeit.

»Es gibt Welten, auf denen Varganen denFreitod gewählt haben«, berichtete er. »Siehaben ihre Körper in den Stationen präparie-ren lassen, weil sie an eine spätere Wieder-erweckung glauben. Diese Wiederer-weckung soll erst stattfinden, wenn wir eineMöglichkeit gefunden haben, die Zeugungs-unfähigkeit zu besiegen.

Die Wahrheit ist, daß sie sich aufgeben!«

rief er aus. »Ihnen fehlt jeder Antrieb für einweiteres Leben.«

»Nein«, sagte jemand entschieden. »Dasist nicht die Wahrheit.«

Vargo drehte sich auf seinem Sitz herum.Er sah zu Kreton hinüber, der gesprochenhatte. Der Wissenschaftler war blaß, seineLippen bebten, aber er saß nach vorn ge-beugt da, entschlossen und unnachgiebig.

»Sie haben uns in den Makrokosmos ge-führt, um hier ein zweites Reich der Tropoy-thers aufzubauen«, erinnerte Kreton. »VonAnfang an wollten Sie alle Brücken zu unse-rer Heimat abbrechen, deshalb mußten wiruns Varganen nennen. Sie wollten keineVerbindung mehr in den Mikrokosmos, Siewollten vergessen, daß wir in Wirklichkeitunendlich winzig sind. Dafür mußten wireinen hohen Preis bezahlen.«

»Niemand konnte das vorhersehen«, ver-teidigte sich Mamrohn.

»Das ist richtig«, gab Kreton zu. »Aberwir hätten uns auf die veränderte Situationeinstellen und zurückkehren sollen. Mit demVerlust der Fortpflanzungsfähigkeit verlordas Unternehmen seinen Sinn. Man brauchtkeine Sonnensysteme zu erobern, wenn mankeine Kinder zeugen kann, mit denen mandie Planeten bevölkern kann. Aber Sie ha-ben das nicht einsehen wollen, Mamrohn.Sie hörten nicht auf, Ihren Traum von einemneuen Imperium zu träumen, Sie träumenihn immer noch.«

So, wie Mamrohn dasaß, konnte manAngst vor ihm bekommen. Vargo hatte denEindruck, daß dieser Mann allein Kraft sei-ner Gefühle irgend etwas zerstören konnte.Er bewunderte Kreton, der den Mut hatte,dagegen anzugehen.

»Ich weiß, was auf Dopmorg vorgeht!«Mamrohn schien Mühe zu haben, die einzel-nen Worte auszusprechen. »Hier wird nurnoch von einer Rückkehr geredet. Sie undIhre Anhänger wollen alles, was wir aufge-baut haben, wieder aufgeben und in den Mi-krokosmos zurückkehren. Als würde sichdadurch etwas ändern.« Seine Blicke richte-ten sich auf Vargo, der unwillkürlich zusam-

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Page 15: Herrscher im Mikrokosmos

menzuckte. »Sagen Sie ihnen, ob sich durchdie Rückkehr irgend etwas ändert, Vargo.Werden Sie sterblich werden oder ihre Zeu-gungsfähigkeit zurückerlangen?«

Vargo schüttelte den Kopf.»Nichts würde sich ändern!« Mamrohn

schrie es heraus. »Wir wären Ausgestoßenevom Augenblick unserer Rückkehr an.«

Einen Moment sah es so aus, als würdeKreton unter dem Druck von MamrohnsPersönlichkeit aufgeben. Vargo sah, wiesich in Kreton ein innerer Kampf abspielte.

»Sie verstehen nicht, Mamrohn«, sagteder Wissenschaftler mühsam. »Wir werdenzurückgehen, um jeden Preis.«

Er stand auf.»Alle, die meiner Meinung sind, sollen

sich erheben.«Vargo sah die Männer und Frauen nach-

einander aufstehen, der beinahe lautloseVorgang erinnerte ihn an eine Hinrichtung.Zum Schluß saßen nur noch Mamrohn, Isch-tar und Vargo auf ihren Plätzen.

Mamrohn sah Vargo an.»Sie?« fragte er erstaunt. »Ausgerechnet

Sie?«Vargo schluckte und schob sich aus sei-

nem Sitz hoch, als müßte er dabei eine Lastanheben.

»Es tut mir leid«, sagte er tonlos. »Es istnun einmal so. Ich kann nicht anders.«

*

Kreton, der nach dieser denkwürdigen Sit-zung das Kommando übernahm, schickteKurierschiffe nach allen von Varganen be-setzten Welten und befahl den Raumfahrern,mit den verschiedenen Gruppen einen Treff-punkt zur Rückkehr auszuhandeln.

Mamrohn und seine wenigen Anhängerwurden als Rebellen bezeichnet. Ein paarvon ihnen wurden gefangengenommen undsollten den Rückflug unter Zwang mitma-chen.

Vergeblich versuchte Vargo in Erfahrungzu bringen, ob auch Mamrohn zu den Gefan-genen gehörte. Unmittelbar nach der Bespre-

chung hatte Mamrohn zusammen mit IschtarDopmorg an Bord eines Doppelpyramiden-schiffs verlassen. Über ihr weiteres Schick-sal war nichts bekannt. Kreton verweigerteauf alle Fragen eine Antwort.

Zu Vargos Erstaunen lehnte Kreton einenVorschlag der Wissenschaftler ab, alle Sta-tionen der Varganen auf den Planeten imMakrokosmos zu vernichten.

»Wir wollen unsere Spuren hier hinterlas-sen«, meinte Kreton. »Vielleicht werden ei-nes Tages andere raumfahrende Völker aufunsere Bauwerke stoßen und überlegen, wersie errichtet haben mag. Auf die Idee, daß esBesucher aus dem Mikrokosmos waren,kommen sie sicher niemals.«

Später erfuhr Vargo, daß einige der soge-nannten Rebellen verschwunden waren. Siewürden die Rückkehr in den Mikrokosmosnicht mitmachen. Vargo nahm an, daß Kre-ton nicht so unbarmherzig war, wie er sichnach außen hin gab, und die Stationen fürdiese Rebellen zurückließ.

Der Termin für eine Rückkehr rückte im-mer näher, auch auf Dopmorg deuteten alleAnzeichen auf einen baldigen Aufbruch hin.Ein Treffpunkt war vereinbart worden.Knapp achtzehnhundert der ursprünglichzwei tausend Einheiten starken Flotte solltedie Stelle anfliegen, wo die Absolute Bewe-gung des Umsetzers wirksam wurde.

Vargo, der den Zeitpunkt der Rückkehrimmer herbeigesehnt hatte, wurde mit zu-nehmender Dauer immer unruhiger. Bestandnicht die Gefahr, daß während des zweitenDurchgangs noch viel schlimmere Effekteauftraten als beim erstenmal?

Drei Tage vor dem Aufbruch der dopmor-gischen Gruppe landete ein Doppelpyrami-denschiff auf dem Planeten. Gerüchte, dieauch Vargo erreichten, kamen in Umlauf. Eshieß, Mamrohn befände sich als Gefangeneran Bord des Schiffes.

Vargo fühlte sich durch diese Nachrichtenweiter verunsichert.

Als die Gerüchte sich verdichteten, begabVargo sich zu Kreton. Er fand den neuenAnführer der Varganen in einer Bespre-

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Page 16: Herrscher im Mikrokosmos

chung mit den führenden Wissenschaftlernim Hauptgebäude der dopmorgischen Stati-on. Vargo fühlte Enttäuschung; früher hatteman ihn ebenfalls zu solchen Anlässen ein-geladen.

So mußte er froh sein, daß Kreton ihnnach Abschluß der Besprechung empfing.

»Es geht um einen Passagier des gesterngelandeten Schiffes«, kam Vargo sofort aufsein Anliegen zu sprechen.

Kreton hob die Augenbrauen.»Sie meinen Mamrohn?«»Er ist also tatsächlich an Bord?«»Als Gefangener«, erklärte Kreton mür-

risch. »Er hat uns in letzter Zeit vieleSchwierigkeiten bereitet.«

Vargo vermochte sich Mamrohn nicht alsGefangenen vorzustellen, es erschien ihmunmöglich, ja geradezu verwerflich, diesemMann einen fremden Willen aufzuzwingen.

»Lassen Sie ihn frei!« forderte er.»Ich wundere mich, daß gerade Sie diesen

Vorschlag machen«, meinte der Anführer.»Schließlich hat Mamrohn Sie von Anfangan betrogen und ausgenutzt. Ich werde ihnauf keinen Fall freilassen. Er wird mit nachTropoyth zurückkehren und dort vor ein Ge-richt gestellt.«

Vargo hatte den vagen Verdacht, daß Kre-ton beabsichtigte, ihn ebenfalls verurteilenzu lassen, aber er war zu müde und gleich-gültig, um dieser Vermutung nachzugehen.

Er verabschiedete sich von Kreton undkehrte in seine Behausung zurück. Als esdunkel war, steckte Vargo einen Lähmfeld-strahler in die Tasche und verließ seineWohnung. Er besaß keinen festen Plan, aberer wollte zumindest den Versuch machen,Mamrohn zu befreien.

Außerhalb der Gebäude war es still, zwi-schen der Station und dem Landeplateaubrannten einige Scheinwerfer. Vargo wußte,daß fast alle Varganen in ihren Wohnungenwaren, um ihre Habseligkeiten einzupacken.Morgen sollte der Aufbruch von Dopmorgerfolgen.

Auf dem Weg zum Landeplateau stießVargo zweimal auf eine Gruppe von Techni-

kern, die Startvorbereitungen trafen. Er gingihnen aus dem Weg und erreichte unange-fochten das Landefeld.

Die Schiffe wurden nicht bewacht, dieprimitiven Eingeborenen von Dopmorg hat-ten nach anfänglichen Angriffen gegen dieStation längst das Weite gesucht und sich inanderen Gebieten niedergelassen.

Vargo kannte das Schiff, in dem Mam-rohn gefangengehalten wurde. Die Schleusestand offen und war unbewacht. Aus demInnern des Schiffes drangen Stimmen. Var-go betrat die Schleusenkammer und blicktein die Seitenkorridore. Rechts von derSchleuse arbeiteten zwei Männer, die linkeSeite war frei, konnte aber von den Arbei-tern eingesehen werden. Vargo entschloßsich, den Hauptkorridor zu wählen, obwohldort die Gefahr einer Entdeckung am größ-ten war.

Mit zwei Schritten durchquerte er denVorraum, ohne dabei gesehen zu werden. Eratmete schwer, sein Körper war nicht mehran solche schnellen Bewegungen gewöhnt.

Am Ende des Hauptkorridors lag die Zen-trale, dort hielten sich mit Sicherheit zahlrei-che Raumfahrer auf. Vargo erreichte einenSeitengang und verließ den Hauptkorridor.An Bord eines Doppelpyramidenschiffs gabes viele Möglichkeiten, einen Mann gefan-genzuhalten.

Vargo war sich darüber im klaren, daß erGlück benötigte, wenn er Mamrohn im Ver-lauf der Nacht finden und ungesehen ausdem Schiff bringen wollte.

Jedesmal, wenn er eine Tür öffnete, muß-te er damit rechnen, von Raumfahrern ange-sprochen zu werden.

Als er die Lagerräume erreichte, legte ereine Pause ein. Erst jetzt wurde er sich derVerrücktheit seines Vorgehens bewußt.Mamrohn zu befreien, war ein großes Risi-ko, denn Kreton würde alle Verdächtigenverhören lassen. Vielleicht versperrte Vargosich auf diese Weise die Möglichkeit zu ei-ner Rückkehr nach Tropoyth.

Vor dem Eingang eines Materiallagersentdeckte Vargo einen bewaffneten Varga-

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Page 17: Herrscher im Mikrokosmos

nen.Vargo hatte nicht damit gerechnet, daß

Kreton Mamrohn von einem Raumfahrer be-wachen lassen würde, denn es gab schließ-lich technische Möglichkeiten, die die Fä-higkeiten eines Varganen in dieser Bezie-hung übertrafen. Wahrscheinlich hatte Kre-ton sich von psychologischen Überlegungenleiten lassen. Mamrohn war immer noch derInbegriff persönlicher Macht, durch die An-wesenheit eines Wächters wurde diese Vor-stellung getrübt.

Was immer der wahre Grund sein mochte– der Mann stand da und war Vargo im We-ge.

Zum zweitenmal fragte sich der alte Wis-senschaftler, ob er nicht besser umkehrensollte.

Zögernd wartete er einige Zeit in einerNische. Der Wächter, den er von seinemVersteck aus beobachten konnte, machteeinen gelangweilten Eindruck. Wahrschein-lich überlegte der Mann, warum er hier ste-hen mußte.

Vargo verließ die Nische. Eng an dieWand gepreßt, schlich er an den Raumfahrerheran. Das Lähmfeldgerät hielt er abschuß-bereit.

Plötzlich drehte der Wächter den Kopfund sah Vargo an.

Sie waren beide so überrascht, daß sie wieerstarrt dastanden und nichts taten als sichanzusehen.

Vargo erholte sich zuerst von seinemSchock und warf dem Mann ein Lähmfeldüber den Kopf. Der Raumfahrer ächzte undließ seine Waffe fallen. Das polternde Ge-räusch erschien Vargo unglaublich laut, ererwartete unwillkürlich, daß alle im Schiffanwesenden Raumfahrer nun angestürmt ka-men.

Es blieb jedoch still. Der Wächter rutschtelangsam an der Wand herab, wobei er Vargounverwandt ansah.

Vargo mußte sich zwingen, an ihm vorbeizu gehen.

Er öffnete die Tür zum Materiallager.Mamrohn hockte am Boden neben einem

Speicher.Er war ein Wrack.Seine Augen lagen in tiefen Höhlen, sein

Körper war fast bis zum Skelett abgemagert.Vargo gab ein Geräusch des Entsetzens vonsich, er konnte nicht glauben, was er da sah.

»Was hat man Ihnen angetan?« fragte er.Die leeren Augen richteten sich auf ihn,

aber kein Anzeichen des Erkennens regtesich in ihnen.

Vargo trat in den Raum und näherte sichMamrohn.

»Ich bin Vargo!« rief er sanft. »Sie müs-sen sich erinnern.«

»Ja«, erwiderte Mamrohn mit kraftloserStimme. »Was wollen Sie von mir?«

Vargo fragte sich entsetzt, was mit diesemMann geschehen sein mochte. Der ehemali-ge Wissenschaftliche Erste Rat von Tro-poyth mußte schreckliche Erlebnisse durch-gemacht haben. War Kreton für den Zustanddes Gefangenen verantwortlich?

»Ich will versuchen, Ihnen zu helfen«,brachte Vargo nach einer Weile des Schwei-gens hervor. »Sie gehören zu den Rebellen,die im Makrokosmos bleiben wollen. DieserWunsch sollte unter allen Umständen re-spektiert werden.«

Er unterbrach sich und biß sich auf dieUnterlippe. Seine Worte kamen ihm sinnlosvor. Er beugte sich zu Mamrohn hinab undergriff ihn am Arm. Als er ihn hochziehenwollte, machte Mamrohn sich frei und rich-tete sich ohne Hilfe auf. Der Gefangene warkräftiger als Vargo vermutet hatte.

»Sie ermöglichen mir die Flucht«, stellteMamrohn fest.

Vargo nickte und deutete zum Eingang.»Wir müssen uns beeilen!«Sie verließen das Lager. Als Mamrohn

den bewegungslosen Wächter neben der Türliegen sah, bückte er sich und ergriff dieWaffe des Mannes. Vargo, der geglaubt hat-te, Mamrohn wollte den Strahler lediglich ansich nehmen, mußte entsetzt zusehen, wieder Befreite die Waffe auf den Wächter rich-tete und abdrückte.

»Sie sind wahnsinnig!« stieß Vargo her-

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vor.Mamrohn drehte die Waffe herum und

schmetterte ihm den Kolben gegen das Ge-sicht. Vargo fühlte Blut aus seiner Naseschießen und taumelte rückwärts. Er sank zuBoden. Bevor er das Bewußtsein verlor, saher Mamrohn davonstürmen.

*

Vargo kam langsam zu sich. Um ihn her-um bewegten sich verschwommene Gestal-ten. Sein Gesicht schmerzte, die Kinnpartieschien zerschmettert zu sein. Als seineBlicke sich klärten, konnte er feststellen, daßer sich nicht mehr im Raumschiff, sondernin der Krankenabteilung der dopmorgischenStation befand. Zwei Ärzte bemühten sichum ihn, während Kreton neben dem Bettstand und voller Abscheu auf ihn her-abblickte.

Als Kreton sah, daß Vargo sein Bewußt-sein zurückerlangt hatte, sagte er: »Sie wer-den statt seiner vor Gericht stehen, Vargo.«

Vargo wollte sprechen, aber es gelangihm nicht, den Mund zu öffnen. DieSchmerzen waren zu stark.

»Er hat drei Männer getötet und ist ver-schwunden«, berichtete Kreton in ohnmäch-tiger Wut. »Ich kann seinetwegen den Auf-bruch nicht verschieben, sonst würden wirihn jagen. Eines Tages jedoch wird er be-straft werden.«

Vargo schloß die Augen. Er hatte seit derErfindung des Umsetzers eine Reihe schwe-rer Fehler begangen, die sich nicht korrigie-ren ließen.

Das Verhängnis war jedoch mit der Ent-deckung der Absoluten Bewegung ausgelöstworden. Vargo bedauerte jetzt seinen Ent-schluß, dieses Geheimnis den Tropoytherszugänglich gemacht zu haben. Bisher hattees nur Unglück über einen Teil seines Vol-kes gebracht, und ein Ende der Katastrophenwar noch nicht abzusehen.

Der Wissenschaftler fürchtete die Bestra-fung durch ein tropoythisches Gericht nicht.Er war zu alt und abgeklärt, um sich über

sein eigenes Schicksal noch große Gedankenzu machen.

Die Frage, die ihn am meisten beschäftig-te, war, was die Rückkehrer aus dem Makro-kosmos in ihrer Heimat erwartete.

Vargo spürte, daß ihn die Erschöpfungübermannte. Er entspannte seinen Körperund ließ sich beinahe dankbar in eine neueOhnmacht fallen.

4.Atlan

Die transparente Kugel war unter dieDecke zurückgeschwebt und hatte meinenKörper freigegeben. Ich lag starr in der Mul-de und versuchte, mir über das soeben Er-lebte klar zu werden. Was ich durch den Be-richt der Erinnye erfahren hatte, war phanta-stisch und ungeheuerlich. Über einen unend-lichen Zeitraum hinweg bestanden Zusam-menhänge zwischen Makro- und Mikrokos-mos.

Meine Gedanken wirbelten durcheinan-der, nur mühsam gelang es mir, sie wiederzu ordnen.

Zweifellos entsprach der Bericht der Ra-chegöttin der Wahrheit. Ich wußte längstnicht alles, aber ich hatte vom Beginn einesgewaltigen kosmischen Dramas erfahren, indas Crysalgira und ich immer tiefer ver-strickt wurden.

Bei meinen traumähnlichen Erlebnissenhatte ich Ischtar wiedergesehen, die Erinne-rung an ihren Anblick brach alte Wunden inmir auf. Aber was bedeutete schon meinSchmerz über die Trennung von der Golde-nen Göttin im Vergleich zu dem Schicksaljener Tropoythers, die als Varganen in denMakrokosmos vorgestoßen waren?

»Atlan!« Crysalgiras Ruf brachte mich indie Wirklichkeit zurück. »Was bedeutet dasalles?«

»Wir werden sicher noch mehr erfahren«,versuchte ich sie zu beruhigen. Sie besaßlängst nicht soviel Informationen wie ich,deshalb mußte das Gesehene für sie rätsel-haft sein. »Später werde ich dir alles erklä-

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ren.«Die Erinnye schwebte heran.»Der Bericht wird später fortgesetzt«,

kündigte sie an. »Nun stehe ich für Fragenbereit.«

Ich erinnerte mich, daß Ischtar mir dieUnsterblichkeit versprochen hatte. War siebereit gewesen, mich mit in den Mikrokos-mos zu nehmen, um dort zusammen mit mirzu leben?

Ich dachte an die Jagd nach dem Stein derWeisen, bei der Orbanaschol III. und ich unserbitterte Kämpfe geliefert hatten.

Der Stein der Weisen, daran zweifelte ichjetzt keinen Augenblick mehr, war das Ge-heimnis der Absoluten Bewegung.

Was mochte noch alles geschehen sein,um Ischtar zu solchen Versprechungen zuverleiten?

Ich wandte mich an die Erinnye.»Wo liegt die Eisige Sphäre?« erkundigte

ich mich.»Hier im Mikrokosmos«, erwiderte der

varganische Roboter bereitwillig. »Die Eisi-ge Sphäre wird Yarden genannt.«

Ich dachte an den Tejonther Groya-Dol.Im Augenblick seines Todes hatte er be-hauptet, schon in Yarden gewesen zu sein.Als Beweis hatte er seine Eisnarbe gezeigt.

Was war das für ein schrecklicher Platz,wo die letzten Varganen lebten?

Und was war mit den Tropoythers gesche-hen, die die Invasion in den Makrokosmosnicht mitgemacht hatten? Gab es diesemächtige Zivilisation nicht mehr?

Magantilliken und sein unheimlicher Auf-trag fielen mir wieder ein.

»Es ist sinnlos, wenn ich Fragen stelle«,sagte ich der Erinnye. »Deshalb schlage ichvor, daß du den Bericht fortsetzt.«

»Ich bin einverstanden«, erklärte dasdurchsichtige Wesen.

Ich blickte zur Decke und sah die Kugelwieder herabkommen. Gestalten wirbeltenüber ihre Oberfläche. Ich schloß die Augenund fühlte, daß meine Gedanken sich ver-wirrten.

Ich hörte auf, Atlan zu sein.

Ich war …

5.Vargo

Unmittelbar nach dem Übergang in denMikrokosmos begannen die Temperaturenan Bord der achtzehnhundert Doppelpyrami-denschiffe unter den Gefrierpunkt abzusin-ken. Techniker und Raumfahrer hatten Mü-he, die Funktionsfähigkeit der Schiffe invollem Umfang aufrechtzuerhalten.

Seltsamerweise machte die plötzlich her-einbrechende Kälte den Besatzungsmitglie-dern der Schiffe nichts aus, sie schienen imVerlauf des zweiten Übergangs zwischenzwei Existenzebenen eine Immunität gegenKälte erlangt zu haben.

Das traf auch für Vargo zu, der in einerKabine gefangengehalten wurde.

Das aufgetretene Phänomen veranlaßteKreton, den alten Wissenschaftler in dieZentrale zu rufen.

»Ich möchte, daß Sie sich die Kontrollin-strumente ansehen«, erklärte Kreton dieüberraschende Maßnahme. »Es sieht so aus,als hätte unsere Rückkehr verschiedene Er-scheinungen ausgelöst, für die wir noch kei-ne Erklärungen gefunden haben.«

»Die Kälte deutet auf einen Energiever-lust in einem bestimmten Bereich des Mi-krokosmos hin«, gab Vargo zurück. Er hattevorausgeahnt, daß es zu neuen Schwierig-keiten kommen würde. »Die Durchbruch-stelle, die wir mit Hilfe der Absoluten Be-wegung geschaffen haben, ist instabil ge-worden, es gibt keine feste Grenze mehrzwischen den Existenzebenen.«

»Was schlagen Sie vor?«Vargo fühlte angesichts der Hilflosigkeit

seines Gegners keinen Triumph, schließlichwaren sie alle von diesen Veränderungen be-troffen. Es war noch nicht absehbar, welcheKonsequenzen sich aus der Entwicklung er-gaben.

Vargo spürte, daß die in der Zentrale an-wesenden Besatzungsmitglieder ihn erwar-tungsvoll ansahen. Trotz seiner Ächtung war

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er noch immer der anerkannte Fachmann imUmgang mit der Absoluten Bewegung.

Der alte Wissenschaftler beobachtete dieKontrollanlagen. In jenem Bereich, wo dieFlotte auf ihre ursprüngliche Größe undMasse reduziert worden war, hatte sich einnebelartiges Gebilde ausgebreitet. Die Schif-fe standen zwar im Mikrokosmos, aber siebefanden sich innerhalb einer aus einer über-geordneten Existenzebene hervorbrechendenBlase. Der Masseaustausch hatte nicht ein-wandfrei funktioniert.

Vargo befürchtete, daß sich diese»Kälteblase« allmählich vergrößern würde,wenn man nichts dagegen unternahm.

Die Rückkehr verlief also wesentlichschwieriger, als die Varganen zunächst an-genommen hatten.

»Wir haben einen Teil unserer ursprüngli-chen Masse mit in den Mikrokosmos ge-bracht«, stellte Vargo fest. »Das hat zu einerAufweichung der physikalischen Grenze ge-führt.«

Kretons Augen weiteten sich.»Dieser Bereich des Mikrokosmos ist in

Gefahr!«»Ja«, bestätigte Vargo. »Die Gefahr ist

nicht akut, aber sie wird sich ausweiten,wenn nichts dagegen unternommen wird.«

»Was können wir tun?« fragte einer deranderen Wissenschaftler.

»Das Leck muß geschlossen werden«,antwortete Vargo. »Zumindest müssen wiralles tun, damit es sich nicht vergrößert. Dasbedeutet, daß wir in einer noch zu findendenForm Masse an den Makrokosmos abtretenmüssen.«

»Glauben Sie, daß wir mit unseren Schif-fen diese Kälteblase verlassen können?«fragte eine Frau.

Vargo hatte sich darüber bereits Gedan-ken gemacht, er wußte keine Antwort dar-auf. Sie mußten es versuchen, nur so konn-ten sie es herausfinden. Angesichts der an-stehenden Probleme rechnete Vargo nichtdamit, daß er in sein Gefängnis zurückkeh-ren mußte. Man brauchte ihn. Die Umständeseiner Freilassung waren alles andere als er-

freulich, aber Vargo war entschlossen, sei-nem Gegner eine Zusammenarbeit anzubie-ten.

»Wir machen zunächst einen Versuch, einSchiff aus dieser seltsamen Energiewolkeherauszubringen«, schlug Kreton vor. »Eskommt darauf an, Tropoyth zu erreichen undunser Volk von unserer Rückkehr zu unter-richten.«

»Auf Tropoyth lebt eine neue Generati-on!« wandte einer der Wissenschaftler ein.»Wie werden sie auf unsere Ankunft reagie-ren? Wir sind nicht gealtert, aber unsereBrüder und Schwestern sind längst nichtmehr am Leben. Es wird zu Konflikten kom-men.«

»Vielleicht weigern sie sich, uns aufzu-nehmen!« befürchtete jemand.

Vargo trat von den Kontrollen zurück.»Wir sind unsterblich, steril und eiskalt«,

sagte er leidenschaftslos. »Ich befürchte, daßdas noch nicht alles ist.«

*

Das kleine, robotisch gesteuerte Beiboothatte die Kälteblase durchquert und nähertesich nun der Grenze. An Bord der TER-ROTH, wo sich auch Kreton, Vargo und alleanderen führenden varganischen Wissen-schaftler aufhielten, konnte der Flug des un-bemannten Schiffes ortungstechnisch ein-wandfrei beobachtet werden.

In wenigen Augenblicken würde sich ent-scheiden, ob ein Verlassen der Kälteblasemöglich war.

In der Zentrale der TERROTH herrschtegespannte Erwartung. Vargo wußte, daß esan Bord der übrigen Schiffe nicht andersaussah.

Was sollten sie tun, wenn dieses Experi-ment scheiterte?

Vargo wagte nicht, an eine solche Mög-lichkeit zu denken.

»Es ist soweit!« rief Kreton. Seine Stim-me klang krächzend. Seit ihrer Rückkehr inden Mikrokosmos hatte Vargo gelernt, die-sen Mann richtig einzuschätzen. Kreton war

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keineswegs der Ignorant, für den er ihn im-mer gehalten hatte. Der Nachfolger Mam-rohns war selbstloser als er den Eindruck er-weckte.

Auf dem Bildschirm der Raumortungblitzte es auf. Einen Augenblick lang war ei-ne kleine leuchtende Wolke zu erkennen, diesich jedoch rasch wieder auflöste.

Vargos Blicke blieben auf den Bildschirmgerichtet, er wagte nicht, irgend jemand inder Zentrale anzusehen, denn er befürchtete,daß er den Ausdruck maßlosen Entsetzens inden Gesichtern der anderen nicht ertragenkonnte.

Jemand machte seiner Enttäuschung miteinem Aufstöhnen Luft.

Kreton sagte ungläubig: »Es ist explo-diert!«

»Wir sind gefangen!« schrie eine derFrauen. »Gefangen in dieser eisigen Sphä-re.«

»Das war nur der erste Versuch«, raffteVargo sich zu einer Stellungnahme auf.»Wir dürfen nicht aufgeben. Es wird einenWeg hinaus geben.«

Er sollte recht behalten. Der Weg jedoch,den sie in absehbarer Zeit finden sollten, warso phantastisch, daß niemand an Bord derTERROTH auch nur ahnte, daß es ihn gab.

6.Vargo

Nachdem zwei weitere Beiboote explo-diert waren, gab Kreton den Befehl, die Ver-suche vorläufig einzustellen. Es galt, die Ei-sige Sphäre, wie sie ihren neuen Aufent-haltsort nannten, zunächst einmal gründlichzu erforschen. Eine unmittelbare Lebensge-fahr für die zurückgekehrten Varganen be-stand nicht, denn die Schiffe konnten fürlange Zeit als Lebensraum dienen.

Die Hoffnung, daß die Eisige Sphäre vontropoythischen Raumfahrern angepeilt undaufgesucht werden könnte, erfüllte sich zuVargos Erstaunen nicht. Das Ausbleiben ei-ner Hilfe von außen beunruhigte Vargomehr als er den anderen gegenüber einge-

stand. Er entschloß sich, mit Kreton darüberzu sprechen.

»Wir sind noch nicht lange genug hier«,meinte Kreton. »Unser Volk hatte wahr-scheinlich noch keine Gelegenheit, diesenRaumsektor anzufliegen.«

Vargo rieb sich das Gesicht.»Ich weiß nicht«, zweifelte er. »Die Sphä-

re hat eine große Ausdehnung und ist außer-dem ein starker Strahler. Man hätte sie fin-den müssen.«.

»Was könnte der Grund sein, warum wirnoch keinen Kontakt haben?« wurde Kretonkonkreter.

»Es gibt mehrere Erklärungen«, antworte-te der alte Mann. »Ich habe schon überlegt,ob so große Verschiebungen zwischen denExistenzebenen stattgefunden haben, daßwir an einer völlig anderen Stelle des Mikro-kosmos herausgekommen sind. Dieser Ver-dacht wurde inzwischen durch astronomi-sche Untersuchungen widerlegt. Wir befin-den uns in unserem Universum, in unserermikrokosmischen Galaxis.«

»Und weiter?«»Wir waren ziemlich lange unterwegs«,

fuhr Vargo zögernd fort. »Inzwischen kannviel geschehen sein.«

Kreton war intelligent genug, um die Hin-tergründigkeit der Antwort zu verstehen.

»Unsinn!« widersprach er energisch.»Was soll geschehen sein?«

»Nachdem wir den Makrokosmos erlebthaben, wissen wir, von welchen Zufälligkei-ten unsere Existenz hier ›unten‹ abhängigsein kann. Vielleicht gibt es keine tropoythi-sche Raumfahrt mehr, vielleicht gibt es nichteinmal mehr eine Zivilisation dieses Na-mens.«

Vargo wunderte sich, daß ihm diese Wor-te so leicht über die Lippen kamen. Immer-hin deutete er die Möglichkeit an, daß dasVolk, dem sie alle entstammten, nicht mehrexistierte.

Unbewußt war die Trennung zwischenTropoythers und Varganen längst vollzogen,erkannte Vargo erstaunt. Er hatte von sei-nem Volk wie von Fremden gesprochen.

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»Sprechen Sie mit keinem anderen Besat-zungsmitglied über diesen Verdacht«, warn-te ihn Kreton. »Wir haben schon Schwierig-keiten genug. Wenn jetzt bekannt wird, wasSie befürchten, kann es zu einer Katastrophekommen.«

Vargo glaubte nicht an diese Katastrophe.Die Unsterblichen hatten im Makrokosmosgelernt, sich auf ungewohnte Situationeneinzustellen und würden auch mit dieserEntwicklung fertig werden.

Die Zuversicht des Wissenschaftlers er-wies sich rasch als trügerisch, denn die füh-rende Gruppe unter Kreton hatte es immerschwerer, die Kontrolle über die Ereignissein der Eisigen Sphäre zu behalten. An Bordeiniger Dutzend Schiffe kam es zu Revolten,wobei die Wissenschaftler in der Führungabgelöst wurden.

Die Varganen wählten Techniker als ihreAnführer, weil sie sich von diesen Frauenund Männern die Erhaltung der Funktionsfä-higkeit der Schiffe versprachen, was ihnenim Augenblick vorrangig erschien.

Auch an Bord der TERROTH gab es un-zufriedene Gesichter, aber niemand wagte,offen gegen Kretons Anordnungen zu prote-stieren. Kretons Autorität reichte aus, um einÜberspringen der Revolten auf alle Schiffezu verhindern, so daß die Wissenschaftlerweiterhin in der Lage waren, gemeinsameAktionen fast aller Besatzungen zu planen.

Bedauerlich war nur, daß die Wissen-schaftler viel Zeit zur Stabilisierung der po-litischen Lage aufwenden mußten, Zeit, diesie besser zur Erforschung der Eisigen Sphä-re genutzt hätten.

Als die Varganen sich mit den Gegeben-heiten abzufinden begannen und sich wiedervon ihren revoltierenden Artgenossen ab-wandten, kam es zum Eklat.

Kreton, der von der TERROTH aus zu ei-nem anderen Schiff unterwegs war, erreichtesein Ziel nicht. Sein Beiboot wurde vonSchiffen der Aufständischen gestoppt undgewaltsam weggeschleppt.

Die Entführung löste eine schwere Kriseaus.

Die besonnenen Varganen sahen sich ih-res Anführers beraubt, und der Frieden in-nerhalb der Eisigen Sphäre drohte durch dieAktionen einiger unüberlegt handelnderFrauen und Männer zu zerbrechen.

*

Das Schiff, auf das man Kreton entführthatte, trug den Namen ERMOTH und wurdevon einem sogenannten Erneuerungsrat be-fehligt. Dem Rat gehörten zwei Männer undeine Frau an: Verlos, Kandro und Veschnar.Es waren bisher unbekannte Techniker, dievon sich behaupteten, die Besatzung ihresSchiffes stünde hinter ihnen.

An eine gewaltsame Befreiung Kretonsaus der ERMOTH war nicht zu denken; fürden Fall, daß dieser Versuch gemacht wer-den sollte, hatte der Erneuerungsrat mit Kre-tons Tod gedroht. Es gab unter den Wissen-schaftler keinen, der diese Drohung nichternst genommen hätte.

An Bord der TERROTH kamen die Wis-senschaftler zu einer Besprechung zusam-men. Ein Mann namens Verkohr wurde zumvorläufigen Leiter der Gruppe bestimmt.

Verkohr war energisch, aber nicht über-mäßig intelligent. Für Vargo stand fest, daßman diesen Mann nicht wegen seiner Fähig-keiten als Wissenschaftler gewählt hatte,sondern weil man von ihm erwartete, daß erein Mittel gegen die revoltierenden Raum-fahrer finden würde.

Verkohr zögerte auch nicht, die Dingebeim Namen zu nennen.

»Wenn wir Kretons Leben schonen wol-len, müssen wir abwarten, welche Bedin-gungen uns dieser sogenannte Erneuerungs-rat stellen wird. Die Aktion war nicht gegenKreton persönlich gerichtet, sondern die Tä-ter wollen auf diese Weise etwas erreichen,was sie aufgrund ihres geringen Einflussessonst niemals verwirklichen könnten.«

Es dauerte nicht lange, dann meldete sichKandro von Bord der ERMOTH über Funk.Er war ein großer, düster aussehender Var-gane, der eine gewisse Scheu davor zu ha-

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ben schien, sich auf dem Bildschirm derFunkanlage zu zeigen. Vielleicht war ernicht gewohnt, Mittelpunkt der Aufmerk-samkeit zu sein. Das Gespräch, das sich nunzwischen Verkohr und Kandro entwickelte,konnte an Bord aller Schiffe empfangenwerden.

»Wir halten Kreton gefangen«, sagte Kan-dro nervös. »In diesem Zusammenhang wer-den wir einige Bedingungen stellen, ohnederen Verwirklichung der Wissenschaftlerdieses Schiff nicht mehr lebend verlassenwird.«

Vargo war sicher, daß dies keine leereDrohung war. Bei aller Nervosität war Kan-dro ein Fanatiker, der seine Ansichten umjeden Preis durchzusetzen versuchte.

Verkohr verhielt sich klug. Er antwortetenicht, sondern wartete, daß der andere fort-fahren würde. Dadurch wurde Kandro weiterverunsichert, er blinzelte gegen das Licht.

»Wir Techniker haben nachgedacht, wiewir den uns zur Verfügung stehenden Le-bensraum, nämlich die achtzehnhundertSchiffe, möglichst lange nutzen können«,sagte er schließlich.

»Und was ist das Ergebnis dieser Bemü-hungen?« erkundigte sich Verkohr spöttisch,als sei ausgeschlossen, daß von der anderenSeite auch nur eine brauchbare Idee kom-men könnte.

»Im Augenblick wird die Energie allerSchiffe verschwendet«, stellte Kandro fest.»Kein Wunder, sie stehen dezentralisiert in-nerhalb dieser Energieblase.«

Vargo war überrascht, daß dieses Ge-spräch sich um technische Aspekte drehte,er hatte eigentlich erwartet, daß die Forde-rungen des Erneuerungsrats politischer Na-tur sein würden.

»Was haben Sie dagegen einzuwenden?«fragte Verkohr.

»Wir fordern eine den Umständen ent-sprechende Rationierung der Energien«, ver-kündete Kandro. Jetzt, da es um sein Fach-gebiet ging, wirkte er sicherer. »Das ist nurzu verwirklichen, wenn alle Schiffe zu ei-nem großen Pulk zusammengebracht und

miteinander verbunden werden. Wir habenerrechnet, daß drei Schiffe jeweils genügen,um den gesamten Pulk mit der nötigen Stan-denergie zu versorgen. Sobald der Vorratvon drei Schiffen aufgebraucht ist, werdendie nächsten Einheiten eingeschaltet. Aufdiese Weise können wir fast für unbegrenzteZeit hier leben.«

Der Vorschlag überraschte Vargo. Er warzumindest wert, daß man darüber diskutier-te. Die Energieversorgung aller Schiffe wür-de im Verlauf der nächsten Jahre zu einemProblem werden – auf dieser Basis aller-dings konnte sie gelöst werden.

Zwei oder drei Schiffe konnten außerhalbdes Pulks bleiben, um bei eventuell notwen-dig werdenden Einsätzen benutzt werden zukönnen.

»Sie wissen, daß diese Idee undurchführ-bar ist«, hörte Vargo den Sprecher der Wis-senschaftler sagen. »Ich denke nicht an dietechnischen Probleme, sondern daran, daßwir sobald wie möglich aus der EisigenSphäre entkommen wollen. Eine Verbin-dung aller Schiffe würde auch politische undpsychologische Schwierigkeiten mit sichbringen.«

»Ja«, stimmte Kandro zu. »Darüber müß-te gesprochen werden. Wir geben Ihneneinen Tag Zeit, um über unsere Bedingun-gen zu beraten.«

Das Gerät wurde ausgeschaltet.»Nun?« fragte Verkohr und sah sich im

Kreis der Wissenschaftler um.Niemand wollte etwas sagen, so daß Var-

go sich entschloß, den Tatbestand seiner Un-popularität zu mißachten.

»Es ist eine gute Idee«, sagte er. »Im Au-genblick gibt es keine Chance, die EisigeSphäre zu verlassen, deshalb müssen wir mitallem, was uns hier zur Verfügung steht,sorgsam umgehen.«.

Die anderen sahen ihn unwillig an, siewaren einfach nicht bereit, diesen Vorschlagzu akzeptieren.

Der Erneuerungsrat war der politischeGegner – er hatte unrecht.

Vargo verließ achselzuckend die Zentrale,

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er sah keinen Sinn darin, mit den Wissen-schaftlern zu streiten. Die Zeit würde demErneuerungsrat in die Hände spielen.

Vor seinen geistigen Augen sah Vargo be-reits das Bild eines aus achtzehnhundertRaumschiffen bestehenden Pulks im Innernder Eisigen Sphäre. Wenn sie nicht aufgebenund sterben wollten, war das der nächsteSchritt zu ihrer Rettung.

Der Prozeß des Umdenkens währte einhalbes Jahr, dann wurde Kreton freigelassen.Techniker und Wissenschaftler setzten sichan einen Tisch, um über die notwendigenVorbereitungen zu beraten.

Erstaunlicher als diese Entwicklung wardie Tatsache, daß außerhalb der EisigenSphäre noch immer kein tropoythischesRaumschiff aufgetaucht war.

So war es kein Wunder, daß die Varganenoffen über die ketzerische Frage sprachen,ob sie vielleicht die letzten Tropoythers wä-ren.

*

Das Leben an Bord der Doppelpyrami-denraumschiffe begann sich zu normalisie-ren. Der Pulk war praktisch fertiggestellt,die Unsterblichen in der Eisigen Sphäre be-gannen darüber nachzudenken, was sie tunkonnten, um nicht von Gleichförmigkeit undLangeweile umgebracht zu werden.

Kandro und Kreton, die gemeinsam dieRegierung anführten, verzeichneten einenAnstieg aggressiver Handlungen. Es kam zudrei Morden, die Anzahl der Selbstmörderwuchs auf achtzehn.

Für Vargo war diese Entwicklung besorg-niserregend, denn sie signalisierte den Zer-fall einer kleinen Gesellschaft, die mit ihrerZerstörung begann, kaum daß sie sich gefe-stigt hatte.

Im Verlauf einer Besprechung mit der Re-gierung, an der neben Vargo noch sechs an-dere Wissenschaftler teilnahmen, schlug derEntdecker der Absoluten Bewegung vor,verschiedene Aktivitäten zu entwickeln.Forschungs- und Arbeitspläne sollten ausge-

arbeitet werden – auch wenn sie noch sosinnlos erschienen.

»Die Varganen müssen glauben, daß ihrLeben noch einen Sinn hat, sonst werden siesich selbst aufgeben«, warnte ein Wissen-schaftler namens Metorg. »Wir müssen siebeschäftigen und in Bewegung halten.«

»Solange wir mit dem Aufbau des Pulksbeschäftigt waren, gab es keine Probleme«,fügte Vargo hinzu. »Jetzt haben wir keinZiel mehr, auf das wir hinarbeiten. Das istunser Problem.«

Kreton war von der Richtigkeit dieserMahnungen überzeugt, aber der nüchterneTechniker Kandro hielt sie für übertrieben.Innerhalb der Regierung zeichneten sichneue Schwierigkeiten und Machtkämpfe ab.

Ein paar Tage nach dieser Besprechungnahm die Entwicklung jedoch eine unver-hoffte Wendung.

Vargo wurde von Kreton in die CES-SORT gerufen, ein Schiff fast im Zentrumdes Pulks.

»Ich muß Ihnen etwas zeigen«, sagte Kre-ton nervös. »Wenn nicht alles täuscht, habenwir ein neues Problem.«

Vargo stellte keine Fragen, sondern folgtedem Regierungsmitglied in die Aufenthalts-räume des Schiffes. Erstaunt stellte er fest,daß einer der Räume bewacht wurde.

Kreton und Vargo durften passieren. DerRaum lag in Dunkelheit, aber im Licht, dasdurch die offene Tür hereinfiel, sah Vargozwei Varganen am Boden liegen.

Nachdem er die Tür hinter sich geschlos-sen hatte, schaltete Kreton die Beleuchtungein. Vargo, der zunächst geglaubt hatte, diebeiden Männer am Boden seien ermordetworden, sah sich getäuscht. Die Männer leb-ten, aber ihre Körper befanden sich im Zu-stand der Starre.

»Sie gehören nicht zur Stammbesatzungder CESSORT«, berichtete Kreton. »Wir ha-ben sie von zwei anderen Schiffen hierherbringen lassen, wo sie beinahe gleichzeitigin diesem Zustand gefunden wurden. IhreNamen sind Perlock und Barraton, beidesTechniker.«

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Vargo beugte sich zu den Bewußtlosenhinab und untersuchte sie kurz.

»Ihre Bewußtlosigkeit ist so tief, daß ihrGehirn so gut wie keine Reaktionen mehrzeigt«, erklärte Kreton. »Wir haben siegründlich untersucht, ihre Organe arbeiteneinwandfrei, aber man kann sie nicht mehrals Lebewesen in unserem Sinne bezeich-nen. Es sind … Maschinen, wenn Sie sowollen.«

Vargo richtete sich wieder auf.»Es sind Hüllen«, fuhr Kreton bitter fort.»Sie befürchten, daß sich weitere Fälle er-

eignen könnten?« erriet Vargo bestürzt.»Ja.« Kreton sah ihn an, als wollte er fra-

gen: Warum beschäftige ich mich noch mitall diesen Dingen, welchen Sinn hat dasüberhaupt?

»Wenn es der Anfang einer Epidemie seinsollte«, sinnierte Vargo, »dann ist es einesehr merkwürdige Epidemie.«

»Wir haben nichts gefunden, nicht dengeringsten Hinweis«, sagte Kreton verzwei-felt. »Sie liegen da und haben aufgehört zudenken. Als sei das Bewußtsein aus ihrenKörpern gewichen.«

»Gibt es irgendwelche Zusammenhängein ihrem Leben?«

»Nein«, sagte Kreton entschieden. »Siehatten vorher nichts miteinander zu tun. Wirhaben ihre gesamte Umgebung nach Berüh-rungspunkten abgetastet. Sie wurden völligunabhängig voneinander davon betroffen.«

Vargo grübelte über dieses Problem nach.Natürlich gab es Zusammenhänge, Kretonund er waren nur nicht in der Lage, sie zuerkennen.

»Bisher konnten wir die Sache verheimli-chen«, verkündete Kreton. »Wenn sich dieseFälle jedoch wiederholen sollten …« Erüberließ es Vargo, sich die Konsequenzenauszudenken.

»Wir denken beide das gleiche«, vermute-te Vargo. »Das ist kein medizinisches, son-dern ein metaphysisches oder psychologi-sches Problem. Von dieser Seite sollten wires auch angehen.«

»Das wird eine richtige Generalstabsar-

beit«, befürchtete das Regierungsmitglied.Vargo nagte an der Unterlippe. Nach ei-

ner Weile schlug er vor: »Sagen Sie allenVarganen, was geschehen ist. Vielleicht sindeinige ganz glücklich, wenn sie hören, daßetwas passiert.«

Kreton verstand und nickte.Innerhalb der nächsten Tage fielen drei-

undvierzig weitere Frauen und Männer indie unheimliche Starre.

Bevor jedoch Panikstimmung aufkommenkonnte, erwachte Barraton aus seiner Be-wußtlosigkeit und behauptete, er hätte sichaußerhalb der Eisigen Sphäre aufgehalten.

7.Vargo

Barraton genoß es sichtlich, im Mittel-punkt des Interesses zu stehen. Vargowünschte, ein weniger eitler Vargane wärezuerst aus der Starre erwacht, um über seineErlebnisse zu berichten, denn bei Barratonbestand die Gefahr, daß er Ereignisse erfand,um sich wichtig zu machen.

Die Mitglieder der Regierung waren ge-schlossen erschienen, um Barratons Berichtzu hören, daneben befanden sich die wich-tigsten Wissenschaftler im Aufenthaltsraum.

Vargo brauchte sich nur umzusehen, umeine große Bereitschaft bei allen Beteiligtenzu erkennen – die Bereitschaft, um jedenPreis etwas Sensationelles zu erfahren, waszur Veränderung der augenblicklichen Situa-tion innerhalb der Eisigen Sphäre beitragenkonnte.

»Berichten Sie uns, was sich ereignethat«, forderte Kreton den Techniker auf.

Barraton sah weder krank noch angegrif-fen aus, er hatte die sieben Tage der Starreohne sichtbaren Schaden bestanden.

»Ich befand mich in meiner Kabine, als esgeschah«, erzählte Barraton. »Ich lag aufdem Bett und dachte darüber nach, daß wirin der Eisigen Sphäre gefangen sind. Dabeiüberlegte ich, wie wir von hier entkommenkönnten.«

»Einen Augenblick!« unterbrach ihn Kan-

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dro. »Es ist wichtig, daß wir über Ihren Zu-stand informiert werden. Befanden Sie sichim Halbschlaf – war es eine Art Traum, wasSie erlebten?«

Barraton schüttelte den Kopf.»Ich hatte den intensiven Wunsch, aus der

Eisigen Sphäre zu entkommen, das ist alles.Plötzlich löste sich die Umgebung vor mei-nen Augen auf, ich spürte, daß ich meinenKörper verließ.«

Seine Worte lösten Unruhe unter den Zu-hörern aus.

»Sie wollen sagen, daß Ihr Bewußtseinden Körper verließ«, warf Metorg ein.

»Ich weiß nicht«, sagte Barraton achsel-zuckend. »Auf jeden Fall fand ich mich ineinem anderen Körper wieder, im Körper ei-nes Tropoythers, der tot in einem Sterilisati-onsbehälter lag.«

»Woher wußten Sie das so genau?« wollteVargo wissen.

Barraton sah ihn an und sagte ungeduldig:»Ich wußte es nicht sofort, ich fand es erstspäter heraus. Zunächst merkte ich, daß ichin einem anderen Körper war, der unter mei-nem Einfluß zum Leben erwachte. Ich konn-te mich aufrichten und diesen Behälter ver-lassen. Ich befand mich in einer unterplane-tarischen tropoythischen Station, wo etwazweihundert Behälter mit toten Männernund Frauen darin standen. Lebende Tropoy-thers konnte ich nicht entdecken.«

»Was haben Sie dann getan?« wollte Kan-dro wissen.

»Offen gestanden hatte ich große Angst.Ich wagte nicht, diesen Raum zu verlassen,aber es kam auch niemand zu mir herein.«

Kandro runzelte die Stirn.»Haben Sie die ganze Zeit dort unten zu-

gebracht?«»Ja.«»Sie können also nicht genau sagen, ob

Sie sich auf Tropoyth befanden?«»Nein, es kann auch ein Kolonialplanet

gewesen sein.«Vargo entschuldigte sich im stillen bei

dem wiedererwachten Techniker. Barratonhatte der Versuchung widerstanden, eine

Geschichte zu erfinden. Er hatte sogar zuge-geben, daß ihn die Furcht an einen Raum ge-bunden hatte. Die Zuhörer schienen ent-täuscht zu sein, viele von ihnen waren nichtbereit, Barraton zu glauben.

»Zweifellos haben Sie geträumt«, meinteKandro.

Kreton stand auf. »Das ist völlig ausge-schlossen. Wir haben diesen Mann im Zu-stand der Starre untersucht, sein Gehirnzeigte während dieser Zeit nicht die gering-sten Anzeichen einer Reaktion.«

»Sie haben ihn einmal untersucht, nichtununterbrochen!« erinnerte Kandro.

Kreton setzte zu einer heftigen Erwide-rung an, dann besann er sich, daß es besserwar, in Anwesenheit Dritter keine Auseinan-dersetzungen mit seinem Partner zu begin-nen.

Vargo kam dem Wissenschaftler zu Hilfe.»Es handelt sich einwandfrei um Fälle

von Bewußtseinswanderung«, behauptete er.»Barratons Geist, sein Ego, seine Seele oderwie immer wir es nennen wollen, verließden Körper, um sich in einem anderen Kör-per anzusiedeln.«

»Das ist ja lächerlich!« rief ein anderesRegierungsmitglied.

»Keineswegs«, widersprach Vargo ruhig.»Erinnern Sie sich an die Effekte, die bisherdurch die Benutzung der Absoluten Bewe-gung aufgetreten sind: Wir wurden unsterb-lich, steril und können inmitten dieser eis-kalten Umgebung leben. Nun kommt nochdie Fähigkeit der Bewußtseinsteleportationhinzu. Wir sollten dankbar sein, daß es dazugekommen ist, denn jetzt haben wir endlicheine Möglichkeit, die Eisige Sphäre zu ver-lassen und uns draußen umzusehen. Ich binsogar überzeugt, daß wir mit Hilfe unsererWirtskörper, in die wir eindringen, Einflußauf die Ereignisse außerhalb der EisigenSphäre nehmen können.«

Seine Worte lösten Unglauben aus. DieEntwicklung, die er seinen Artgenossen ver-hieß, erschien ihnen zu phantastisch. Vargowar jedoch sicher, daß sich jede seiner Ver-mutungen realisieren würde.

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Als die Besprechung beendet war, zog deralte Wissenschaftler sich in seine Kabine zu-rück.

Er hatte einen tollkühnen Entschluß ge-faßt.

Warum sollte ihm nicht gelingen, wasBarraton und die anderen erreicht hatten?

Er ließ sich auf seinem Bett nieder undschloß die Augen. Nach einer Weile gelanges ihm, seine Gedanken völlig zu konzen-trieren. Er wünschte, die Eisige Sphäre zuverlassen.

Es gelang ihm!

*

Die Zeitspanne, die er für den Wechselbenötigt hatte, war nicht meßbar, aber Vargowar sicher, daß der Vorgang sich in Nullzeitvollzogen hatte.

Er spürte, daß er einen anderen Körperbesaß. Bereits jetzt überlegte er, wie sie ler-nen konnten, den willkürlichen Wechsel zusteuern, so daß es möglich war, Ort undKörper zu bestimmen. Er befand sich in ei-nem völlig erhaltenen tropoythischen Kör-per, der vor langer Zeit gestorben, aber inseinem Sterilisationsbehälter völlig erhaltengeblieben war.

Da Barraton von einem ähnlichen Vor-gang berichtet hatte, nahm Vargo an, daß al-le Varganen, die diesen Prozeß bisher miter-lebt hatten, in toten Körpern zu sich gekom-men waren.

Vargo bewegte sich, er fühlte die Engedes Behälters. Offensichtlich war es ihmnicht möglich, die Erinnerungen und dasWissen des toten Gehirns zu nutzen, dennihm standen nur die eigenen Erfahrungenund Informationen zur Verfügung. Er wußtenicht, wie der Tote hieß und auf welcherWelt er sich befand.

Als er sich aufrichtete, stieß er gegen denDeckel des Behälters. Er löste seine Armeaus den Bändern des Behälterbodens undpreßte die Hände gegen den Deckel. SeineBemühungen blieben ohne Erfolg, so daß erbefürchtete, daß er nicht in diesem Körper

bleiben konnte. Er hätte zurückkehren undeinen neuen Versuch unternehmen müssen.Da er die damit verbundenen Risiken nichtkannte, entschloß er sich, verstärkte An-strengungen zu seiner Befreiung zu machen.Es gelang ihm, die Beine anzuziehen und dieFüße gegen den Deckel zu stemmen. Nunkonnte er die volle Kraft seines neuen Kör-pers einsetzen.

Der Deckel gab nach und kippte schließ-lich zur Seite. Licht fiel in den Behälter.Vargo blickte zu einer stählernen Decke hin-auf, an der einige Scheinwerfer angebrachtwaren.

Genau wie Barraton befand er sich in ei-ner unterplanetarischen Station.

Die Bauweise der Decke ließ keinenZweifel aufkommen, daß es sich um einevon Tropoythers gebaute Anlage handelte.

Vargo richtete sich auf.Sein Behälter war der achte in einer lan-

gen Reihe. Sie standen auf einer Art Rost,der an einer Wand des großen Raumes auf-gebaut war. Es war unheimlich still. Vargokletterte aus dem Behälter und sprang vomRost. Er blickte an sich herab. Sein Körperwar weiblich, groß, muskulös und jugend-lich. Vargo lächelte bei dem spontanen Ge-danken, daß die Gefahr bestand, daß er sichin sich selbst verliebte.

Er ging an den Behältern entlang undüberzeugte sich, daß in jedem davon ein to-ter Tropoyther lag.

Plötzlich verstand er, warum BarratonAngst empfunden hatte. Das Bewußtsein,mit diesen vielen Toten allein zu sein, äng-stigte auch Vargo. Er ahnte, daß er bei sei-nen Nachforschungen schreckliche Ent-deckungen machen würde.

Irgend etwas Entsetzliches hatte sich er-eignet, nur das konnte die Anwesenheit dervielen sterilisierten Toten erklären. Da lagensie und warteten auf ihre Wiedererweckung.Für Vargo war nicht feststellbar, wann siegestorben waren, sie schienen jedoch schonziemlich lange hier zu liegen.

War es nach dem Aufbruch der tropoythi-schen Invasionsflotte in den Makrokosmos

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zu einer Katastrophe ungeahnten Ausmaßesgekommen?

Vargo konnte diese Möglichkeit nichtmehr ausschließen. Er hatte nicht vergessen,daß bisher kein tropoythisches Raumschiffin der Nähe der Eisigen Sphäre aufgetauchtwar.

Obwohl es keine Spuren des Verfalls in-nerhalb der Station gab, hatte Vargo denEindruck, daß alles in seiner Umgebung sehralt war.

Auf der dem Rost gegenüberliegendenWand befand sich ein großes Tor. Vargo be-wegte sich nur vorsichtig und voller Scheudarauf zu. Er mußte seine Gefühle unter-drücken. Wenn Barraton in dieser oder in ei-ner ähnlichen Station herausgekommen war,konnte Vargo verstehen, daß der Technikerden Raum nicht zu verlassen gewagt hatte.

Vargo jedoch war Wissenschaftler. Erkam hierher, um zu ergründen, was sich er-eignet hatte.

Ab und zu blieb er stehen, um zu lau-schen.

Es blieb still, nicht einmal von Maschinenausgelöste Geräusche waren hörbar.

Vor dem Tor blieb Vargo stehen. Konnteer riskieren, diesen Raum zu verlassen? Waserwartete ihn draußen – was war draußen?

Hinter dem Tor konnte absolutes Vakuumherrschen, tödliche Hitze, strahlenverseuchteLuft oder andere Schrecken.

Je länger Vargo nachdachte, desto unent-schlossener wurde er.

Im Grunde genommen fürchtete er jedochweniger die Gefahren als die Wahrheit.

Hinter dem Tor wartete die Wahrheit.

*

Stunde um Stunde brachte Vargo nebendem Tor zu, ohne den entscheidendenSchritt zu wagen. Inzwischen hatte er denVerschlußmechanismus ein paarmal unter-sucht und festgestellt, daß es nicht schwierigsein würde, diesen Raum zu verlassen.

Er kehrte zu dem Rost zurück und las dieBeschriftungen an den Behältern. Die Na-

men der Toten waren nicht eingetragen, le-diglich eine genaue Beschreibung der Steri-lisationsmaßnahmen, offenbar für jene ge-dacht, die einst den Versuch machen sollten,eine Wiedererweckung durchzuführen.

Hatte das Mädchen, dessen Körper er nunbelebte, damit rechnen können, auf so phan-tastische Weise ins Leben zurückzukehren?

Vargo wußte, daß er nur den Körper zumLeben erweckt hatte, das Bewußtsein derjungen Frau war nicht aktiviert worden. Die-se Feststellung war beruhigend und makaberzugleich.

Ein paar Stunden danach stand der Wis-senschaftler wieder neben dem Tor. Er muß-te sich zwingen, seine Hände nach dem Ver-schlußmechanismus auszustrecken.

Des Metall war kühl, eine kaum sichtbareStaubschicht hatte sich darauf abgesetzt.Vargo drückte den Hebel nach unten. Erwunderte sich nicht über die einfache Kon-struktion des Verschlusses, seine Herstellerhatten sicher mit der Möglichkeit gerechnet,daß er von Fremden bedient werden könnte.

Der Hebel rastete ein, das Tor glitt zurSeite.

Vargo trat einen Schritt zurück und warte-te mit angehaltenem Atem. Er schloß un-willkürlich die Augen. Was immer er be-fürchtet hatte, trat nicht ein.

Als er die Augen aufschlug, blickte er aufeine breite Treppe, die steil nach oben führ-te. Am Ende der Treppe befand sich ein be-leuchteter Raum, von dem Vargo von sei-nem Platz aus jedoch nur einen Ausschnittsehen konnte.

Das Geräusch seiner eigenen Schritte er-schreckte den Varganen, als er die Treppehinaufging. Er blieb jedoch nicht stehen.Jetzt, da er seine Furcht endlich unterdrückthatte, wollte er das einmal begonnene Unter-nehmen auch zu Ende führen.

Die Treppe mündete in das Innere einertransparenten Kuppel, die auf der Oberflä-che eines Planeten stand. Der Planet besaßkeine Atmosphäre, das Land sah aus, als wä-re es von einer gewaltigen Fräse eingeebnetworden. Die Sonne brannte gnadenlos auf

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das plattgewalzte Land, und nur eine beson-dere Beschichtung im Material der Kuppelverhinderte, daß Vargo geblendet wurde.

Im Innern der Kuppel war lebenserhalten-der Sauerstoff, auf einer Seite konnte Vargoeine Schleuse erkennen.

Über der Schleuse stand in großen Buch-staben:

AUSGANG NACH TROPOYTHVargo taumelte auf die Schleuse zu. Er

war sich nicht bewußt, daß er schrie.Seit ihrer Rückkehr in den Mikrokosmos

hatte er geahnt, daß die tropoythische Zivili-sation nicht mehr existierte – nun sah er denBeweis.

Aus dem einst blühenden Planeten Tro-poyth war eine Ödwelt geworden, hier lebtenichts und niemand mehr.

Vargo brach vor der Schleuse zusammen.Er wünschte den Tod herbei, der ihn erlösenwürde.

8.Atlan

Ich kam nur langsam wieder zur Besin-nung. Alles, was ich in traumähnlicher Formerlebte, hatte sich tatsächlich ereignet. MitHilfe der seltsamen Kugel unter dem Dachübermittelte die Erinnye ein exaktes Bild dervarganischen Geschichte.

Ich hatte erfahren, daß die Rückkehr derVarganen in ihren ursprünglichen Lebens-raum schreckliche Konsequenzen nach sichgezogen hatte. Die Varganen mußten in derEisigen Sphäre leben, aus der sie sich nurlangsam durch Bewußtseinsteleportation zubefreien begannen.

Yarden und die Eisige Sphäre waren iden-tisch. Meine Erlebnisse im Mikrokosmosließen nur den Schluß zu, daß die letztenTropoythers noch immer innerhalb der Eisi-gen Sphäre lebten. Daß sie die Fähigkeit derBewußtseinsübertragung inzwischen perfektbeherrschten, hatte ich am Beispiel Magan-tillikens erfahren. Der varganische Henkerwar mit seinem Bewußtsein sogar in Varga-nenkörper im Makrokosmos vorgedrungen.

Die Frage, die mich jetzt beschäftigte,hieß: Warum hatte man Magantilliken die-sen Auftrag gegeben?

Ich war sicher, daß die Varganen längsteine Möglichkeit gefunden hatten, die EisigeSphäre auch körperlich zu verlassen, aller-dings mußte es für sie einen zwingendenGrund geben, immer wieder dorthin zurück-zukehren. Vielleicht, überlegte ich, hing dasmit der in diesem Gebiet herrschenden Kältezusammen. Wenig später sollte ich erfahren,daß diese Vermutung zum Teil richtig war.

Warum aber veranstalteten die Varganendie Kreuzzüge nach Yarden?

Wozu hatten sie diese Gefühlsbasen er-richtet?

Sicher war nur, daß die wenigen Varga-nen oder Tropoythers diese mikrokosmischeGalaxis beherrschten. Die Tejonther stelltensicher eine bedeutende Macht dar, aber siewurden von den Tropoythers manipuliert.Völker wie die Lopsegger besaßen über-haupt keinen Einfluß.

»Ich glaube«, wandte ich mich an die Er-innye, »daß die Unsterblichen in der EisigenSphäre pervertiert sind. Alles, was sie erlebthaben, hat sie wahnsinnig werden lassen.«

Die Rachegöttin antwortete nicht. Sie warnur darauf eingerichtet, meine Fragen zu be-antworten.

Unwillkürlich fragte ich mich, ob Vargo,Kreton, Kandro und wie sie alle hießen,noch immer am Leben waren. Vielleicht be-stand sogar die Möglichkeit, all diese Wesenkennenzulernen. Wie würde ich bei einemZusammentreffen mit diesen Unheimlichenreagieren?

Welche Katastrophe war über das tropoy-thische Volk hereingebrochen?

Hatten die Tropoyther die Entdeckung derAbsoluten Bewegung mit ihrem Untergangbezahlt?

»Ich bin müde«, sagte Crysalgira. Ichwandte mich schuldbewußt zu ihr um. ImVerlauf des letzten Berichts hatte ich sievöllig vergessen. Meine Gedanken kreistenum das kosmische Schauspiel, das ich erlebthatte.

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»Es ist besser, wenn wir jetzt eine Pauseeinlegen«, schlug die Erinnye vor. »SobaldSie ausgeruht sind, werden Sie alle anderenInformationen erhalten.«

Diese Bemerkung ermunterte mich zu ei-nigen Fragen.

»Ich hätte gern Auskunft über das Schick-sal meines Sohnes Chapat, der von euch ent-führt wurde. Befindet er sich noch in der Ei-sigen Sphäre, und was ist mit ihm gesche-hen?«

»Ich bin nicht befugt, darüber Auskunftzu geben«, antwortete der Roboter.

»Was soll mit Crysalgira und mir gesche-hen, wenn diese Vorstellung beendet ist?«fragte ich weiter.

»Sie werden in die Eisige Sphäre ge-bracht!«

Meine Befürchtungen bestätigten sich.Die Varganen waren auf Crysalgira undmich aufmerksam geworden. Zweifelloswußten sie, daß wir aus dem Makrokosmoskamen. Mein Verhältnis zu Ischtar, die in ih-ren Augen eine Rebellin war, mußte sie zudem Schluß kommen lassen, daß ich einGegner der Unsterblichen in der EisigenSphäre war.

Welche Konsequenzen ergaben sich fürCrysalgira und mich daraus?

Ich machte mir Hoffnung, indem ich mirins Gedächtnis rief, daß die Eisige Sphäregleichzeitig der Platz war, von dem aus wiram ehesten in den Makrokosmos zurückkeh-ren konnten. Natürlich hätte ich es vorgezo-gen, als freier Mann und nicht als Gefange-ner zu den Varganen zu gehen.

Die Metallspiralen lösten sich von mei-nem Körper, ich konnte die Mulde verlas-sen. Ich half Crysalgira auf die Beine.

»Ich führe Sie in den Ruheraum«, kündig-te die Erinnye an.

Sie schwebte uns voraus. Als wir uns demAusgang näherten, tauchte dort plötzlich einMann auf.

Ein Vargane!Er war hochgewachsen und besaß alle

körperlichen Merkmale seines Volkes. Ob-wohl ich ihn niemals zuvor gesehen hatte,

kam er mir bekannt vor. Sein Erscheinen ir-ritierte mich, ich blieb stehen und ergriffCrysalgira am Arm.

Der Mann machte eine kurze Geste, wor-auf die Erinnye sich in aller Eile zurückzog.

War dieser Mann ein echter Unsterblicheroder nur Träger eines varganischen Bewußt-seins?

»Wer sind Sie?« fragte ich unbehaglich.Er lächelte. Die Art, wie er sich bewegte,

verstärkte den Eindruck, daß ich ihm schoneinmal begegnet war.

»Sie wissen, wer ich bin!« sagte er ruhig.Da erkannte ich ihn.»Magantilliken!« stieß ich hervor. »Der

wirkliche Magantilliken!«»Ja«, bestätigte er. »Sie haben mich schon

in verschiedenen varganischen Körpern in-nerhalb des Makrokosmos gesehen, aberdiesmal stehe ich selbst vor Ihnen.«

»Warum sind Sie nicht in der EisigenSphäre?« brachte ich hervor.

»Ich habe einen neuen Auftrag erhalten«,erwiderte er ausweichend. »Man hat michmit der Organisation der Kreuzzüge be-traut.«

Der Unterton in seiner Stimme war un-überhörbar. Magantilliken wirkte niederge-schlagen. Wahrscheinlich durfte er noch im-mer nicht in die Eisige Sphäre zurückkeh-ren, weil er bei der Hinrichtung Ischtars ver-sagt hatte.

In diesem Augenblick wußte ich nochnicht, welche schrecklichen Konsequenzendie Aussperrung aus der Eisigen Sphäre übereinen längeren Zeitraum hinweg für einenVarganen haben konnte.

»Warum sollen wir nach Yarden gebrachtwerden?« stellte ich ihm die Frage, die mirdie Erinnye nicht beantwortet hatte.

»Ahnen Sie das nicht?«Ich schüttelte den Kopf.»Kommen Sie!« forderte er mich auf.

»Ich führe Sie und Ihre Begleiterin in denRuheraum.«

Bisher war er mir immer als Gegner ge-genübergetreten, während er mir hier, in sei-nem ureigensten Lebensbereich eher einen

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hilflosen als einen gefährlichen Eindruckmachte.

Was Magantilliken als Ruheraum be-zeichnet hatte, erwies sich als ein behaglichausgestattetes Zimmer, in dem Crysalgiraund ich alles vorfanden, was wir in den ver-gangenen Tagen entbehrt hatten.

»Ich verlasse Sie jetzt«, kündigte Magan-tilliken an.

»Sagen Sie mir, was Sie bedrückt!« for-derte ich ihn spontan auf.

»Es ist nichts«, erwiderte er müde.»Vielleicht haben wir alle schon zu langegelebt.«

Damit schloß sich die Tür hinter ihm.»Er ist einsam«, stellte Crysalgira mit

weiblicher Intuition fest. »Ich habe Mitleidmit ihm.«

Ich lachte rauh.»Du hättest ihn als entschlossenen Henker

im Makrokosmos erleben sollen, dann wür-dest du anders von ihm denken. Solange seinBewußtsein mit den Körpern toter Varganenarbeiten konnte, machte er einen sehr selbst-bewußten Eindruck.«

»Es zählt nur, was hier ist!« Gegen Crys-algiras weibliche Logik kam ich nicht an.»Seine Erlebnisse im Makrokosmos sind be-deutungslos, sie gleichen den Erfahrungen,die wir unter dem Einfluß der transparentenKugel gemacht haben.«

Ich warf mich aufs Bett und streckte dieBeine aus, dabei blinzelte ich dem Mädchenzu.

»Komm her und küß mich, Prinzessin!«Sie deutete auf die Tür zum Nebenraum.»Bevor du kein Bad genommen hast, du

stinkender Arkonide, werde ich dich nichtanrühren.«

Unsere plötzliche Ausgelassenheit warverständlich. Es bestand keine unmittelbareLebensgefahr für uns, außerdem konnten wirhoffen, bald an jener Stelle zu sein, von woaus wir in den Makrokosmos zurückkehrenkonnten.

Während ich badete, begann ich Pläne zuschmieden. Es mußte eine Möglichkeit ge-ben, Chapat zu entführen und eine Waffe ge-

gen Orbanaschol III. aus dem Mikrokosmoszu rauben. Sollte mir das gelingen, wollteich trotz aller Widrigkeiten, die ich hier er-lebt hatte, zufrieden sein.

Als ich aus dem Baderaum zurückkehrte,wich Crysalgira meinen Armen aus.

»Du liebst mich nicht!« warf ich ihr vor.»Das stimmt!«»Du bist in Chergost verliebt, in einen

Geist aus dem Makrokosmos.« Ich war rich-tig wütend.

»Im Grunde genommen hast du unglaub-liches Glück«, meinte sie lächelnd. »Du bistder einzige arkonidische Mann, den es imMikrokosmos gibt. Da bleibt mir keineWahl.«

*

Meine Hoffnung, daß Magantilliken unszur nächsten Vorstellung abholen würde, er-füllte sich nicht. An seiner Stelle erschien ei-ne Erinnye und sagte uns, daß wir nun denSchluß des Berichtes erleben sollten.

»Wo ist Magantilliken?« erkundigte ichmich. »Ich möchte mit ihm sprechen, dasmußt du ihm mitteilen.«

»Magantilliken wird zurückkommen,wenn die Zeit dafür gekommen ist«, erklärtedas durchsichtige Robotwesen. Vergeblichversuchte ich, sein Gesicht hinter den durch-einanderwirbelnden Eiskristallen zu erken-nen. »Ich führe euch.«

Es hatte keinen Sinn, Einwände zu erhe-ben. Solange wir in der Gefühlsbasis gefan-gen waren, mußten wir die Anordnungenunserer Wächter befolgen. Außerdem warich sehr daran interessiert, zu erfahren, wassich nach Vargos Ausflug auf dem zerstör-ten Planeten Tropoyth ereignet hatte.

Crysalgira und ich wurden in den Raummit der Kugel gebracht. Wir wußten jetztschon, worauf es ankam, und ließen uns inden Mulden nieder. Nachdem sich die Spir-alarme herabgesenkt hatten, kam Bewegungin die Kugel über uns.

Die Erinnye stand reglos ein paar Schrittevon mir entfernt und wartete.

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Während ich noch darüber nachdachte, obMagantilliken in der Nähe war und unsheimlich beobachtete, schwebte die Kugelherab. Sie schien mich aufzusaugen. MeineUmgebung versank in einem undurchsichti-gen Nebel und ich war …

9.Vargo

Nachdem er eine Zeitlang apathisch vorder Schleuse gelegen hatte, begann Vargosich wieder für seine Umgebung zu interes-sieren. Seine Blicke suchten den Boden ab.Dabei entdeckte er einige feine Rillen undfaustgroße Vertiefungen. Er fand heraus,daß sich einige Bodenplatten hochheben lie-ßen. Darunter befanden sich mehrere Ausrü-stungsdepots.

Vargo fand Nahrungskonzentrate, Waf-fen, Ortungsgeräte und mehrere Schutzanzü-ge. Alles befand sich in einwandfreiem Zu-stand. Vargo legte einen Schutzanzug an,griff nach einer Strahlenwaffe und begabsich wieder zur Schleuse.

Er überlegte, ob es überhaupt einen Sinnhatte, diese Station zu verlassen. Draußenwar nur totes Land zu sehen. Es reichte biszum Horizont.

Vargo konnte nicht fassen, daß dies derPlanet war, den er vor vielen Jahren verlas-sen hatte, um eine Invasionsflotte in denMakrokosmos zu führen.

Er verließ die Kuppel mit der Überzeu-gung, daß seinem Ego keinerlei Gefahrdrohte. Selbst wenn der weibliche Körper, indem er sich aufhielt, zerstört werden sollte,konnte Vargos Bewußtsein sich blitzschnellin den eigenen Körper innerhalb der EisigenSphäre zurückziehen.

Vargo wußte nicht, in welche Richtung ersich wenden sollte. Das Land sah überallgleich aus. Vargo ging in Richtung der un-tergehenden Sonne. Als sie hinter dem Hori-zont verschwand, schaltete er den zu seinerAusrüstung gehörenden Scheinwerfer ein.Das Licht fiel auf grauen, rissigen Boden.Der Schutzanzug schützte Vargos Körper

vor der extremen Kälte.Nachdem er einige Stunden durch die

Einöde gewandert war, stieß Vargo aufeinen kleinen stählernen Bunker. Er ragtenur zu einem Teil aus dem Boden. Über eineArt Rutsche gelangte Vargo zum Eingang.Das Tor stand halb offen. Vargo leuchtete inden Raum. Es gab Hunderte von Kontrollge-räten und mehrere Datenspeicher. Der Bun-ker war eine kleine Meßstation. Vargo warsicher, daß er erst nach der Katastrophe er-baut worden war. Die Technik glich der tro-poythischen, aber als Vargo eintrat, um dieInstrumente näher zu betrachten, stellte erfest, daß es eine zufällige Ähnlichkeit war:Dieses Gebäude und seine Einrichtung wa-ren nicht von Tropoythers geschaffen wor-den. Fremde waren auf diese Welt gekom-men und hatten eine Meßstation errichtet.

Vargo verzog das Gesicht. Viel hatten dieUnbekannten sicher nicht herausgefunden.

Er blieb innerhalb des Bunkers, bis dieSonne wieder aufging, dann setzte er seineWanderung fort.

Das Land änderte sein Aussehen nicht,wahrscheinlich sah es überall auf Tropoythso aus wie hier.

Vargo entschloß sich zur Umkehr. DieSpuren im feinen Staub wiesen ihm denWeg.

Der Körper, den er benutzte, wies die er-sten Ermüdungserscheinungen auf, aber daswar Vargo gleichgültig. Er hätte sein Be-wußtsein sofort in die Eisige Sphäre transfe-rieren können, aber es widerstrebte ihm, die-sen schönen Frauenkörper in dieser Wüstezurückzulassen. Er war entschlossen, dasMädchen in die Station zurückzubringenund den Körper im Sterilisationsbehälter zu-rückzulassen.

Plötzlich erschien am Horizont eine Ge-stalt.

Vargo blieb erschrocken stehen. An eineBegegnung mit einem lebendigen Wesenhatte er nicht geglaubt.

Der oder die Fremde schien ihn ebenfallsgesehen zu haben.

Vargo fragte sich, ob dieses Wesen zu je-

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nem Volk gehörte, das den Bunker erbauthatte.

Er machte seine Waffe schußbereit.Sie näherten sich einander mit großer

Vorsicht; je näher das Wesen kam, desto si-cherer wurde Vargo, daß es sich um einenTropoyther handelte. Er hatte bereits aufge-hört, daran zu glauben, daß es außer den un-sterblichen Varganen in der Eisigen Sphärenoch Angehörige seines Volkes in dieserGalaxis geben könnte.

Als sie noch hundert Schritte voneinanderentfernt waren, machte Vargo den Versuch,den Unbekannten über Helmfunk anzuspre-chen.

»Woher kommen Sie?« erkundigte ersich. »Wer sind Sie?«

»Ich schlage vor, daß Sie damit beginnen,diese Fragen zu beantworten«, gab der ande-re in tropoythischer Sprache zurück.

Diese Redewendung kam Vargo seltsa-merweise bekannt vor.

Er beschloß, den Verdacht, der in ihmaufstieg, auszusprechen.

»Sie sind Techniker Kandro«, sagte er ru-hig. »Ihr Bewußtsein hat Ihren Körper ver-lassen und ist hier herausgekommen.«

Der andere sah ihn mit grenzenloser Ver-blüffung an.

»Woher … woher wissen Sie das?«»Sie sollten es eigentlich wissen, Kandro!

Ich bin sicher, daß es hier bald von Unsterb-lichen wimmeln wird. Jeder von ihnen wirdauf dem Wege der Bewußtseinsteleportationeinmal aus der Eisigen Sphäre ausbrechenwollen.«

»Sie kommen auch von dort?«»Ja, ich bin Vargo!«

*

Es begann eine Zeit der unkontrolliertenBewußtseinsteleportationen. Nachdem dieVarganen gelernt hatten, die Eisige Sphäreauf diesem Wege zu verlassen, machten siehäufig Gebrauch davon. Der Hochstim-mung, die durch diesen Erfolg ausgelöstwurde, folgte jedoch bald Ernüchterung.

Wohin man auch kam – überall gab es nurtote Tropoythers in Sterilisationsbehältern.

Während die Unsterblichen in den Dop-pelpyramidenschiffen noch unkontrollierteTeleportationen durchführten, begannen dieWissenschaftler bereits zu überlegen, aufwelche Weise man die neue Fähigkeit opti-mal nutzen konnte.

»Wir haben eine große Chance, uns mitHilfe toter Körper außerhalb der EisigenSphäre niederzulassen«, sagte Kreton wäh-rend einer der Besprechungen. »Außerdemwird es jetzt Zeit, den Versuch zu wagen,von außen einen Zugang in die Eisige Sphä-re zu schaffen.«

Die Wissenschaftler arbeiteten zahlreicheExperimentalprogramme aus, die nach undnach realisiert werden sollten.

Kreton und Vargo, die die Projekte leite-ten, waren sich darüber im klaren, daß beiallen Versuchen mit äußerster Behutsamkeitvorgegangen werden sollte. Die Unsterbli-chen hatten keine Eile, und nun, da sie si-cher sein konnten, daß sie neben den im Ma-krokosmos zurückgebliebenen Rebellen dieletzten Tropoythers waren, gab es eine be-sondere Verpflichtung, alles für den Erhaltder kleinen Gruppe zu tun.

Durch Hunderte von Bewußtseinstelepor-tationen lernten die Wissenschaftler, wieman diesen Vorgang steuern konnte. Sie ga-ben ihr Wissen an alle Varganen weiter, sodaß es ihnen möglich wurde, jede Welt auf-zusuchen, auf der sich tote Tropoythers be-fanden. Diese Toten bildeten die einzigenEmpfangsstationen, es gelang den Varganentrotz aller Bemühungen nicht, ihr Bewußt-sein in die Körper lebender fremder Wesenzu versetzen.

Es stellte sich bald heraus, daß ein Be-wußtsein nicht unbegrenzt außerhalb der Ei-sigen Sphäre operieren konnte. Nach einerbestimmten Zeit mußte es zurückkehrenoder den Körper wechseln.

»Wir kommen mehr und mehr in eineSackgasse«, befürchtete Kreton nach Ab-schluß des ersten Projekts. »Was nutzt esuns, wenn wir in die Körper von Toten

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transferieren können und doch auf den je-weiligen Planeten gefangen sind?«

Vargo teilte die Bedenken des Mannes,der inzwischen sein Freund geworden war.

Schon zeigte sich, daß die Unsterblichenan den Bewußtseinsteleportationen das In-teresse zu verlieren begannen. Wohin sieauch kamen – die Umwelt war zerstört, undes gab nichts, was sich zu untersuchen lohn-te.

Die Eisige Sphäre war um einige trostloseAußenposten erweitert worden, das Bewußt-sein jedoch, in einem Gefängnis leben zumüssen, war geblieben. Noch war die syste-matische Untersuchung aller tropoythischenPlaneten nicht abgeschlossen, aber Vargohatte wenig Hoffnung, daß sie auf einer derWelten ein Raumschiff finden würden, dasihnen die Möglichkeit gab, außerhalb der Ei-sigen Sphäre im Weltraum zu operieren.

Wie so oft in solchen Situationen, führteder Zufall eine Wende herbei.

Vargo, der mit einer achtzehnköpfigenMannschaft zum Kolonialplaneten Darkhosteleportierte, stieß dort zum erstenmal aufeine tejonthische Expedition, die mit einemRaumschiff gelandet war, um die tropoythi-sche Station zu untersuchen.

*

Vargo wartete, bis achtzehn Männer undFrauen aus den Sterilisationsbehältern ge-klettert waren, dann stellten sie sich gegen-seitig in ihren neuen Körpern vor.

Vargo führte die Gruppe in die eigentlicheStation. Die Überlebensanlagen, die offen-bar überall in großer Eile errichtet wordenwaren, glichen sich bis auf wenige Einzel-heiten auf allen bisher besuchten Welten.Noch besaßen die Varganen keine Hinweise,welcher Art die Katastrophe gewesen war.Vargo bezweifelte, ob sie es jemals erfahrenwürden.

Als der alte Wissenschaftler die oberenRäume betrat, sah er außerhalb der Kuppelein hellrotes, stromlinienförmiges Raum-schiff stehen. Er erkannte sofort, daß es sich

um kein tropoythisches Schiff handelte. EineExpedition fremder Wesen war auf Darkhosgelandet.

»Zurück!« rief Vargo sofort. »Draußensind fremde Raumfahrer. Sie dürfen unsnicht entdecken.«

Sie zogen sich in die unteren Räume zu-rück und berieten, wie sie sich verhaltensollten.

»Wahrscheinlich sind sie noch nicht langehier«, vermutete Techniker Zerrog, der sichjetzt im Körper eines Halbwüchsigen auf-hielt. »Sie hätten sonst diese Station längstverlassen.«

»Es kann sich auch um ein unbemanntesRaumschiff handeln«, sagte Leschtar, eineWissenschaftlerin, die der Zufall wieder ineinen weiblichen Körper geführt hatte.

»Wir warten ab«, entschied Vargo.»Nötigenfalls bringen wir ein paar Tage hierunten zu. Ich kehre jetzt in die Eisige Sphärezurück und erstatte Kreton und Kandro Be-richt. Wir brauchen Verstärkung.«

Da es in dieser Station insgesamt nur drei-undfünfzig sterilisierte Körper gab, war dieStärke der Gruppe bereits festgelegt.

Vargo transferierte und meldete seineEntdeckung der Regierung.

»Wir müssen dieses Schiff unter allenUmständen in unseren Besitz bringen«, er-klärte Kandro sofort. »Es ist ausgeschlossen,daß wir noch einmal ein derartiges Glückhaben werden, aus diesem Grund darf nichtsschiefgehen!«

Vargo spürte deutlich, daß auch diesernüchtern denkende Mann von großer Erre-gung ergriffen wurde.

»Man kann vom Aussehen des Schiffesnicht auf die Kampfstärke der Besatzungschließen«, meinte Vargo. »Man wird unsdas Schiff jedoch auf keinen Fall kampflosüberlassen.«

»Wir besetzen alle sterilisierten Körperauf Darkhos«, ordnete Kreton an. »Danngreifen wir an.«

»Das wäre unklug«, wandte Vargo ein.»Wenn dieses Schiff bemannt ist, handeltdie Besatzung mit äußerster Vorsicht. Das

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zeigt sich schon daran, daß sie sich bishernoch nicht entschlossen haben, ihr Schiff zuverlassen. Wenn wir also unvermutet auftau-chen, kann es passieren, daß sie die Fluchtergreifen.«

»Vielleicht haben sie ihre Untersuchun-gen schon abgeschlossen«, befürchtete Kre-ton. »Dann kann es sein, daß ein Start un-mittelbar bevorsteht.«

An diese Möglichkeit wollte Vargo nichtglauben. Das Schicksal, das die Unsterbli-chen aus der Eisigen Sphäre schon oft hartgetroffen hatte, konnte nicht schon wiederso unbarmherzig sein! dachte der Wissen-schaftler geradezu beschwörend.

»Wir müssen sie täuschen«, schlug er vor.»Wenn sie trotz unserer Zurückhaltung kei-nen Versuch machen, die Überlebensstationzu betreten, müssen wir sie zum Aussteigenverlocken.«

»Wie wollen Sie das erreichen?« fragteein Techniker.

Vargo sah die anwesenden Mitglieder desErneuerungsrates an.

»Wir schicken einen Lockvogel hinaus.Für den Betreffenden ist das kein Risiko,denn er kann sein Bewußtsein in Sicherheitbringen, wenn er angegriffen werden sollte.«

»Wollen Sie das übernehmen?« fragteKreton.

Vargo nickte entschlossen. Innerhalb kur-zer Zeit wurde die Einsatzgruppe auf Dark-hos vervollständigt. Auch Kreton und Kan-dro übernahmen zwei der zur Verfügung ste-henden Körper.

Das fremde Schiff stand nach wie vor inder Nähe der Kuppel. Kein lebendes Wesenwar bisher aufgetaucht.

»Wir ergreifen die Initiative«, befahl Kre-ton. »Vargo, wir gehen jetzt in der bespro-chenen Weise vor.«

Obwohl keine Gefahr für sein Leben be-stand, war der alte Wissenschaftler unruhig.Wieder einmal hing es von seinem Verhal-ten ab, wie sich das weitere Schicksal derUnsterblichen gestalten würde. Mit einemkleinen Fehler konnte er ihre Chance zu-nichte machen.

Vargo besaß jetzt den Körper eines jun-gen Mannes. Er ging in die Kuppel und öff-nete eines der Ausrüstungsdepots. Währender den Schutzanzug anlegte, war er sich dar-über im klaren, daß er vielleicht beobachtetwurde. Er blickte hinaus. Das Schiff war et-wa dreißig Meter hoch und stand auf viermächtigen Heckflossen. Zwischen zwei die-ser Flossen war eine quadratische Schleusezu sehen.

Vargo nahm keine Waffe mit hinaus, erwollte nichts tun, was die Unbekannten zueiner schnellen Flucht veranlaßt hätte.

Als er sich dem Schiff näherte, wagte erkaum zu atmen. Bei jedem Schritt fürchteteer, daß etwas Unheilvolles geschehen könn-te. Er fragte sich, wie er als Besatzungsmit-glied dieses Schiffes gehandelt hätte. Es gabkeine Antwort darauf, denn Vargo wußtenichts über die Mentalität dieser Fremden.

Unmittelbar vor dem Schiff blieb Vargostehen. Die Situation, in der er sich befand,mutete ihm fast ein wenig lächerlich an,denn alles, was er, der erfahrene und un-sterbliche Wissenschaftler in diesem Augen-blick empfand, war völlige Ratlosigkeit. ImSchiff schien sich nichts zu rühren. Wennman den einsamen Mann aus der Kuppelwahrgenommen hatte, gab man das durchnichts zu erkennen.

Vargo winkte und breitete beide Armeaus, aber es geschah nichts.

Ungeduldig begann der Tropoyther dasSchiff zu umkreisen.

Vielleicht war es tatsächlich verlassen.Nach der dritten Umrundung blieb Vargo

vor der Schleuse stehen. Er mußte jetzt ir-gend etwas unternehmen oder zurückkehren.Die Frauen und Männer, die in der Kuppelwarteten, konnten ihm keinen Rat geben.Der alte Mann gab sich innerlich einen Ruckund schritt auf die Schleuse zu. Er zögertekeinen Augenblick, sondern hieb mit der ge-ballten Faust dagegen. Dann trat er zurückund wartete.

Als er schon nicht mehr damit gerechnethatte, daß etwas geschehen würde, glitt dieSchleusentür zur Seite, und vier Fremde in

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Schutzanzügen sprangen heraus. Ihr Körper-bau glich dem der Tropoythers, aber an ih-ren Köpfen unter den transparenten Helmenkonnte Vargo erkennen, daß es sich um Mit-glieder eines unbekannten Volkes handelte.Diese Köpfe waren von schwarzem Pelz be-deckt. In den flachen, aber durchaus aus-drucksvollen Gesichtern fielen Vargo beson-ders die gelben Augenpaare auf.

Die Raumfahrer trugen Waffen, die sieauf Vargo gerichtet hielten. Eines der Wesenmachte eine unmißverständliche Geste: Var-go sollte ihnen ins Schiff folgen. Er zögerteund warf unwillkürlich einen Blick zurückzur Kuppel. Im Augenblick hatte er keineandere Wahl, als die Befehle der Fremdenzu befolgen.

Er betrat die Schleusenkammer, woraufsich die äußere Tür sofort hinter ihm schloß.Mit dieser Entwicklung hatte er nicht ge-rechnet. Er saß in der Falle.

Was, wenn das Schiff starten würde?Die Raumfahrer führten ihn in den zentra-

len Raum des Schiffes, wo ihm durch Hand-zeichen verständlich gemacht wurde, daß erseinen Helm abnehmen sollte. Vargo hoffte,daß die innerhalb des Schiffes herrschendeLuft seinem Wirtskörper keine Schwierig-keiten bereiten würde, und kam dem Befehlnach.

Die Fremden betrachteten ihn interessiertund begannen in einer ihm unbekanntenSprache miteinander zu diskutieren. Sieschienen über ihr weiteres Vorgehen un-schlüssig zu sein. Schließlich schalteten sieeinen Bildschirm ein, auf dem die Überle-bensstation zu sehen war. Der Anführer derSchwarzbepelzten deutete auf den Bild-schirm und dann auf Vargo. Der Sinn dieserBewegungen war unmißverständlich.

Vargo nickte nachdrücklich. Er sah kei-nen Sinn darin, aus seiner Herkunft ein Ge-heimnis zu machen.

Nach einer längeren Diskussion schienendlich eine Entscheidung zu fallen, dennsieben der insgesamt siebzehn bisher sicht-bar gewordenen Besatzungsmitglieder be-gannen ihre Ausrüstung zu vervollständigen.

Es war klar, daß sie Vargo hinausbegleitenwollten.

Alle anderen würden im Schiff zurück-bleiben – ein Umstand, der die Eroberungdes Schiffes nahezu unmöglich erscheinenließ. In der Station würden die Fremden dieSterilisationsbehälter finden.

Vargo erkannte, daß er sich in einerZwangslage befand, die schnelles Handelnerforderlich machte.

Aber was sollte er tun? Ihr Wunsch, unterallen Umständen in den Besitz dieses Schif-fes zu gelangen, hatte die Varganen voreilighandeln lassen. Sie waren viel zu unüberlegtvorgegangen.

Die Raumfahrer hatten ihre Vorbereitun-gen abgeschlossen. Sie begleiteten Vargoaus dem Schiff. Ihr Anführer deutete unmiß-verständlich auf die Überlebensstation. Sei-ne Hand lag auf der Waffe. Vargo ging vor-aus. Er war sicher, daß Kreton und die ande-ren die sich nähernde Gruppe beobachteten.

Aber was sollten die Unsterblichen tun?Vargo öffnete die Schleuse und führte die

sieben Fremden ins Innere der Kuppel. VonKreton und den anderen war nichts zu sehen,sie hielten sich nach wie vor in den unterenRäumen auf.

Die Bepelzten schienen es nicht eilig zuhaben. In aller Ruhe untersuchten sie denKuppelraum und entdeckten dabei die De-pots. Vargo beobachtete sorgenvoll, daß siedie Waffen hervorholten. Die tropoythischenAusrüstungsgegenstände schienen Erstaunenund Bewunderung bei den Fremden hervor-zurufen, denn sie reichten sie untereinanderweiter und diskutierten ausführlich über die-sen Fund. Nachdem alle Depots geöffnetund untersucht worden waren, stellten dieRaumfahrer Funkkontakt zu ihrem Schiffher. Wenig später tauchte ein robotisch ge-steuerter Wagen in der Schleuse auf. DieFremden luden alles, was sie gefunden hatte,hinein und schickten ihn zum Schiff zurück.Das war Plünderei, aber Vargo hütete sich,dagegen zu protestieren. Der Wagen ver-schwand im Schiff, die Besucher wandtenihre Aufmerksamkeit den unteren Räumen

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zu.Bevor sie den Raum mit den Sterilisati-

onsbehältern erreichten, gerieten sie in einenHinterhalt der Varganen. Kreton hatte ihnvorbereitet. Die Raumfahrer wurden mitLähmfeldern angegriffen und innerhalb we-niger Augenblicke aktionsunfähig gemacht.

»Was haben Sie getan?« schrie Vargo au-ßer sich. »Es sind Fremde im Schiff zurück-geblieben. Sie werden fliehen, wenn siemerken, was hier geschieht.«

Die anderen sahen ihn bestürzt an. NurKandro, der in jeder Situation Rat zu wissenschien, verlor nicht die Übersicht.

»Zieht ihnen die Raumanzüge aus!« be-fahl er. »Es muß schnell gehen, damit manan Bord des Schiffes nicht mißtrauisch wird,denn die Fremden an Bord erwarten sicher-lich regelmäßig Funknachrichten.«

Vargo sah ihn verständnislos an.»Sieben von uns, deren Größe denen der

Gelähmten entspricht, legen die Anzüge anund verlassen damit die Kuppel«, fuhr Kan-dro hastig fort. »Es muß nach einer wildenFlucht aussehen – nur dann haben wir dieChance, daß sie, ohne auf Erklärungen zuwarten, die Schleuse öffnen, um ihre Artge-nossen an Bord zu lassen.«

Es war ein riskanter Versuch, aber Vargosah keine andere Möglichkeit, das Schiff zuerobern.

Wenig später stürmten sieben Varganenaus der Kuppel. Die Sonne war gerade un-tergegangen, es herrschte Halbdunkel.

Vargo, der den Vorgang beobachtete,blickte gespannt zum Schiff hinüber. Erstieß einen Seufzer der Erleichterung aus,als er sah, daß die Schleuse aufglitt.

Kurze Zeit später gehörte das Schiff denUnsterblichen.

*

Die Gruppe der Unsterblichen, die aufDarkhos das tejonthische Raumschiff er-obert hatte, war in die Eisige Sphäre zurück-gekehrt. Gespannt warteten Regierungsmit-glieder und Wissenschaftler auf das Auftau-

chen des Raumschiffs jenseits der EisigenSphäre. Acht Varganen befanden sich inwiederbelebten Körpern an Bord und zwan-gen die tejonthische Besatzung, das Schiffzum vorgesehenen Ziel zu steuern.

Niemand konnte vorhersagen, wie derVersuch, von außen mit einem Raumschiffin die Eisige Sphäre einzudringen, endenwürde.

Vargo war voller Optimismus. Wenn sieden Durchbruch einmal geschafft hatten,konnten sie vielleicht eine Energieschleuseoder eine Strukturlücke aufbauen, durch diesie in beiden Richtungen verkehren konnten.Das würde ihnen endlich die Möglichkeitgeben, in ihrer richtigen Gestalt und in ihreneigenen Raumschiffen innerhalb ihrer ge-samten Galaxis zu verkehren.

Das Glück, das die Varganen lange Zeitverlassen hatte, schien ihnen endlich wiederhold zu sein. Es gelang ihnen, das tejonthi-sche Schiff ins Innere der Eisigen Sphäre zubringen, und wenig später schafften sie auchden Ausbau einer Energieschleuse, durch dieihre Doppelpyramidenschiffe in alle Teileder Galaxis fliegen konnten. Zwar stelltesich heraus, daß kein Vargane länger als einJahr außerhalb der Eisigen Sphäre lebenkonnte, ohne nicht wenigstens einmal für einpaar Tage dorthin zurückzukehren, aber an-gesichts ihrer neuen Möglichkeiten nahmendie Unsterblichen diesen Nachteil in Kauf.

Kaum, daß sie ihr Gefängnis verlassenhatten, begannen die Varganen mit derRückeroberung ihrer Heimatgalaxis.

Da sie zahlenmäßig nicht in der Lage wa-ren, über dieses große Gebiet zu herrschen,begannen sie mit dem Bau von Gefühlsba-sen. Von diesen Stützpunkten aus konntensie die Völker großer galaktischer Regionenin ihrem Sinne beeinflussen.

Innerhalb nur eines Jahrhunderts wurdendie Varganen die unumschränkten Herrscherin ihrem Gebiet des Mikrokosmos.

Sie begannen zu vergessen, daß ihr Volkeiner schrecklichen, noch immer ungeklär-ten Katastrophe zum Opfer gefallen war. IhrBereich, die Eisige Sphäre, wurde das Zen-

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trum des neuen Imperiums. Die Völker derMikrogalaxis nannten dieses Gebiet Yarden.

Die Unsterblichen vergaßen nicht nur ihruntergegangenes Volk, sondern auch die Re-bellen, die im Makrokosmos zurückgeblie-ben waren.

Dieser Umstand wurde ihnen fast zumVerhängnis.

10.Vargo

Die Expedition nach Tollork stand vonAnfang an unter einem schlechten Stern.Hier, in der Peripherie ihrer Galaxis, war dieErrichtung einer Gefühlsbasis keine unbe-dingte Notwendigkeit, deshalb hatte manauch bis zum Schluß mit dem Bau gewartet.

Tollork war ein kleines Sonnensystem, esbestand aus vier Planeten und der kleinengelben Sonne, die ihm den Namen gab. DieGefühlsbasis selbst wurde auf Tollork-2 er-richtet, einer Sauerstoff weit, auf der ledig-lich eine vielfältige Pflanzenwelt und niede-re Tierarten existierten.

Trotzdem hatten die Besatzungen der dreiDoppelpyramidenschiffe, die unter VargosKommando nach Tollork kamen, unmittel-bar nach der Landung die ersten Schwierig-keiten. Die Unsterblichen, die mit dem Bauder letzten Gefühlsbasis beauftragt waren,litten unter rätselhaften Hautallergien, dieihnen sehr zu schaffen machten. Nach dreiTagen stellten die Ärzte fest, daß mikrosko-pisch kleine Pflanzensporen dafür verant-wortlich waren. Vargo befahl, daß dieRaumfahrer außerhalb der Schiffe Schutzan-züge tragen mußten. Kaum war die Allergiebesiegt, gab es einen tödlichen Unfall beiden Technikern. Der Tod eines Artgenossenlöste bei den zeugungsunfähigen Unsterbli-chen stets eine Kette psychologischer Pro-bleme aus. Vargo war sicher, daß die Fertig-stellung der Gefühlsbasis sich durch diesenVorfall um ein paar Monate verzögern wür-de.

Als die Anfangsschwierigkeiten überwun-den schienen, kam es zu dem erschrecken-

den Ereignis, das die Varganen mit einemSchlag an ihre Vergangenheit erinnerte.

In der Nähe des Tollork-Systems ver-schwanden siebzehn Sterne. Sie hörten voneinem Augenblick zum anderen zu existie-ren auf. Auf Tollork-2 wurde dieser Vor-gang überhaupt nicht registriert, wohl aberan Bord von Doppelpyramidenschiffen, dieim Raum standen.

Vargo erhielt eine Funkbotschaft vonKandro, in der er aufgefordert wurde, Tol-lork-2 sofort zu verlassen und in die EisigeSphäre zurückzukehren. An der Art, wie dieBotschaft abgefaßt war, erkannte Vargo, daßdie Regierung im höchsten Maße beunruhigtwar.

Unmittelbar nach seiner Rückkehr in dieEisige Sphäre wurde Vargo von den führen-den Mitgliedern der Regierung empfangen.Er erhielt einen genauen Bericht über dieKatastrophe.

Kreton, der seinen Freund informierte,sagte abschließend: »Es sieht nach makro-kosmischen Einflüssen aus.«

Vargo blickte ungläubig auf die vorlie-genden astronomischen Aufnahmen.

»Das ist doch nur eine Vermutung! Esgibt viele andere Erklärungen für das Ver-schwinden der Sonnen.«

»Eines unserer Schiffe stand in unmittel-barer Nähe dieses Sektors«, berichtete Kan-dro. »Die Besatzung behauptet, daß es zuenergetischen Einbrüchen kam. Eine Zeit-lang sah es so aus, als sollte sich eine zweiteEisige Sphäre bilden.«

Vargo erschrak. Zerstörungen innerhalbdes Mikrokosmos, die auf makrokosmischeAuswirkungen zurückgingen, konnten zufäl-lig sein – der Aufbau einer Eisigen Sphäre,auch wenn er nicht abgeschlossen wordenwar, deutete jedoch auf bewußte Manipula-tionen hin.

»Nun?« wollte Kreton wissen. »Was hal-ten Sie davon?«

»Ich bin kein Freund voreiliger Spekula-tionen«, erwiderte Vargo vorsichtig. »Alleskann sich als Täuschung herausstellen.«

»Wir haben eine andere Vorstellung«,

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sagte Kandro voller Ungeduld.Vargo sah ihn fragend an.»Mamrohn!« stieß Kandro hervor.Der Name hörte sich an wie ein Fluch.Trotzdem war Vargo nicht bereit, die

Überlegungen der Regierung zu teilen. Na-türlich war es möglich, daß die Rebellen inall den Jahren gelernt hatten, den Mikrokos-mos zu beeinflussen. Aber warum sollten siedas tun?

»Solange sie annehmen müssen, daß wiram Leben sind, müssen sie mit einer Bestra-fung rechnen«, beantwortete Kandro die un-ausgesprochene Frage des alten Wissen-schaftlers. »Warum sollten sie nicht versu-chen, uns zuvorzukommen und uns zu ver-nichten, bevor wir etwas gegen sie unterneh-men können?«

»Das ist absurd«, meinte Vargo kopf-schüttelnd.

»Wir müssen es in Betracht ziehen«, lei-stete Kreton seinem Partner Hilfestellung.»Die theoretische Möglichkeit allein zwingtuns, etwas zu unternehmen.«

»Sie denken daran, in den Makrokosmoszurückzukehren!« erriet Vargo bestürzt.

Kreton nickte ernst.»Keiner von uns würde freiwillig dorthin

zurückkehren!« rief Vargo aus.»Bestimmt nicht«, pflichtete Kandro ihm

bei. »Deshalb werden wir jemand in denMakrokosmos schicken, der den Auftrag be-kommt, alle Rebellen zu finden und hinzu-richten. Wir haben alle rechtlichen Gründe,die Rebellen zum Tode zu verurteilen. Wasuns fehlt, ist ein Henker, der die Urteile auchzu vollstrecken imstande ist.«

»Und wer soll das sein?«»Sie wissen, daß es vor dreißig Jahren in-

nerhalb der Eisigen Sphäre zu einem Mordkam, den ein Techniker namens Magantilli-ken an einem Unsterblichen verübte.«

»Wir haben Magantilliken verstoßen,müssen ihn aber regelmäßig in die EisigeSphäre zurückkehren lassen, wenn wir ihnnicht umbringen wollen. Er soll jetzt eineGelegenheit zur Rehabilitierung erhalten.«Kreton ließ keinen Zweifel daran, daß er

entschlossen war, diesen Plan zu verwirkli-chen.

»Sie wissen, was alles passieren kann,wenn jemand durch den Umsetzer geht!«gab Vargo zu bedenken.

»Wer sagt, daß Magantilliken durch denUmsetzer gehen soll?« Kreton lächelte über-legen. »Schließlich gibt es die Möglichkeitder Bewußtseinsteleportation. Auf den vonuns verlassenen Welten im Makrokosmosliegen viele sterilisierte tote Körper. Siekönnen von Magantilliken benutzt werden,um seinen Auftrag auszuführen. Sobald eralle Rebellen getötet hat und wir keine An-schläge mehr zu befürchten brauchen, wer-den wir ihn rehabilitieren und wieder bei unsaufnehmen.«

»Vielleicht ist die Gefahr einer solchenAktion größer als die Bedrohung aus demMakrokosmos, von der wir nicht einmalwissen, ob es sie tatsächlich gibt und ob siegesteuert ist.« Vargo sprach ohne Nach-druck, denn er wußte genau, daß die Ent-scheidung längst gefallen war. Er selbst hat-te viel zu wenig Einfluß auf die Regierung,um eine Meinungsänderung herbeizuführen.

»Und was ist mit Magantilliken?« erkun-digte er sich, als niemand ihm antwortete.»Wird er überhaupt einwilligen?«

Kandro lächelte kalt.»Er hat keine andere Wahl – wir lassen

ihn erst in die Eisige Sphäre zurück, wenn erseinen Auftrag ausgeführt hat.«

Vargo konnte sich des Eindrucks nicht er-wehren, daß die Mitglieder der Regierungimmer skrupelloser die Erfüllung ihrer Zieleverfolgten.

Vielleicht, dachte er müde, war auch dasein Preis für die Unsterblichkeit.

*

Vargo, der ein relativ zurückgezogenesund einsames Leben führte, war Magantilli-ken vorher niemals begegnet, so daß er demZusammentreffen mit diesem Mann mit ei-ner gewissen Spannung entgegensah.

Seit die Unsterblichen in voller Konse-

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quenz begriffen hatten, daß sie sich nichtfortpflanzen konnten, war die Ermordung ei-nes Unsterblichen in ihren Augen ein unge-heuerliches Verbrechen. Vargo überlegte,was Magantilliken veranlaßt haben mochte,dieses Tabu zu ignorieren.

Vargo war von der Regierung beauftragtworden, Magantilliken für dessen Auftrag zuinstruieren. Man hielt ihn dazu besondersgeeignet, nicht nur wegen seiner wissen-schaftlichen Fähigkeiten, sondern auch we-gen seiner Beziehung zu Mamrohn, den manfür den Hauptverantwortlichen hielt und derganz oben auf der Liste der Verurteiltenstand.

Magantilliken erwies sich keineswegs alsder seelische Krüppel, den anzutreffen Var-go erwartet hatte, sondern er war ein ernsterund selbstbewußter Mann, der in keinerWeise unbeherrscht wirkte.

Die beiden Männer trafen an Bord derKELLORD zusammen. Von hier aus sollteMagantilliken sein Bewußtsein in einen ste-rilisierten Körper im Makrokosmos transfe-rieren. Vargo hatte darum gebeten, allein mitMagantilliken sprechen zu dürfen, und die-ser Wunsch war respektiert worden. DerWissenschaftler war allerdings nicht sicher,ob es innerhalb der Kabine, wo das Treffenstattfand, Abhöranlagen gab. Die Regierungwurde immer mißtrauischer, was mit einerReihe von Bemühungen einherging, allge-genwärtig zu sein. Vargo belächelte dieseVersuche, denn er sah in ihnen ein Zeichenvon Schwäche.

»Sie sehen nicht wie ein Mörder aus«,sagte Vargo anstelle einer Begrüßung undsah Magantilliken abschätzend an.

»Wir sprechen nicht über meine Tat, son-dern über meinen Auftrag«, wies Magantilli-ken ihn zurecht.

Vargo hatte zuviel erlebt, um sich überdiese Verhaltensweise noch zu ärgern, ersagte lediglich: »Ich bestimme, worüber ge-sprochen wird.«

»Ich habe ihn umgebracht, weil ich ihnhaßte«, erklärte Magantilliken. »Ich bin ihmnur zuvorgekommen.«

»Sie sind sehr ichbezogen!« stellte Vargofest. »Das wird Ihnen in dieser Einsamkeit,in die wir Sie verstoßen, sicher helfen.«

»Ich fürchte mich nicht vor der Einsam-keit.«

»Sie haben sie niemals kennengelernt,mein Freund! Aber lassen wir das, es istschließlich Ihr Problem, damit fertig zu wer-den. Sprechen wir über Mamrohn, den An-führer der Rebellen.«

»Kandro sagte mir, daß Sie nicht daranglauben, daß er noch am Leben sein könn-te.«

Vargo wurde nachdenklich.»Wenn er lebt, dann werden Sie nur auf

seinen Körper treffen, seine Seele ist längstgestorben. Er ist kein Tropoyther mehr, son-dern ein schreckliches Gespenst. Er hat sichseine eigene Gedankenwelt aufgebaut. Si-cher ist er wahnsinnig, aber sein Wahnsinnwird von enormer Willenskraft bestimmt,vielleicht sogar von einer besonderen Artder Vernunft. Mamrohn ist wirklich ein Re-bell. Seine Revolution richtet sich im Grun-de gegen nichts und niemand – er revoltiertgegen seine eigene Bedeutungslosigkeit. Erist ein Mann, der krank wurde durch dieSucht nach Wissen und Größe.«

Magantilliken warf sich aufs Bett und ver-schränkte die Arme hinter dem Kopf.

»Sie reden von ihm, als sei er ein Gott.«»Vielleicht ist er das!«Magantilliken machte eine wegwerfende

Handbewegung.»Er ist nicht der einzige Rebell. Ich kann

mir meine Gedanken nicht vernebeln lassen,nur weil es ihn gibt. Ich muß sie alle töten.«

Vargo fröstelte, als er Magantilliken soreden hörte. Dieser Mann würde ein un-barmherziger Jäger sein. Unwillkürlich emp-fand Vargo Erleichterung darüber, daß ernicht zu den Rebellen gehörte und auf derListe des Henkers stand.

»Lassen Sie uns von den technischen Pro-blemen reden«, schlug Magantilliken vor.»Ich halte jede Einzelheit für wichtig – ichdarf keine Fehler machen.«

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11.Atlan

Als ich erwachte, stand Magantilliken ne-ben mir und half mir aus der Mulde. Ichspürte, daß meine Beine nachzugeben droh-ten. Anscheinend war das Erlebnis eines sol-chen Berichts anstrengender als ich vermutethatte.

Magantilliken half auch Crysalgira auf dieBeine.

»Damit ist der Bericht sicher zu Ende«,vermutete ich.

Der varganische Henker deutete zur Ku-gel hinauf. »Was sie angeht, hat sie allesübermittelt, was Sie wissen müssen.«

»Die Kreuzzüge nach Yarden!« erinnerteich ihn. »Wozu werden sie alle dreihundertJahre inszeniert?«

»Später«, antwortete Magantilliken aus-weichend. »Ich führe Sie jetzt in den Auf-enthaltsraum und erzähle Ihnen meinen Teildieser Geschichte.«

»Ich weiß, daß Sie den Makrokosmos er-reichten und mit Ihrer Arbeit begannen.Schließlich haben wir uns ein paarmal ge-troffen.«

»Hm!« machte der Vargane. »Aber Siehaben mich nur während der Endphase er-lebt. Sie kennen nicht den Anfang.«

»Auf jeden Fall«, sagte ich triumphierend,»haben Sie nicht alles erreicht. Einige Re-bellen sind noch am Leben, Ischtar bei-spielsweise.«

Ein Lächeln veränderte sein Gesicht undließ es weniger hart und abweisend ausse-hen.

»Daran liegt Ihnen viel?«Ich sah keinen Sinn darin, irgend etwas

abzustreiten. Magantilliken war über meineBeziehungen zu Ischtar genau informiert.

Er ging uns voraus und führte uns wiederin den Aufenthaltsraum.

»Vieles hat sich inzwischen verändert«,erklärte er. »Daran sind zum Teil Sieschuld.«

Ich sah ihn verständnislos an.

»Sie haben einen Sohn mit einer Unsterb-lichen!« erinnerte der Vargane. »Können Sieermessen, was das für uns bedeutet? Zwarkönnen wir uns untereinander nicht mehrfortpflanzen, aber Ischtar und Sie konntenein Kind zeugen.«

Er sah Crysalgira an.»Das heißt, daß ich mit ihr ein Kind ha-

ben könnte!«Crysalgira sah ihn erschrocken an und

wich vor ihm zurück.Ich hatte plötzlich einen entsetzlichen

Verdacht. War die Tatsache, daß Ischtar undich einen gemeinsamen Sohn besaßen, derGrund, daß die Tropoythers uns vor der Hin-richtung durch die Tejonther auf Belkathyrgerettet hatten?

Bevor ich länger über die unglaublichenKonsequenzen nachdenken konnte, sagteMagantilliken: »Ich werde Ihnen sagen, wasbei meinem ersten Eintreffen im Makrokos-mos geschah.«

Vielleicht wollte er Crysalgira und michvon den eigentlichen Problemen ablenken,denn er begann sofort zu erzählen.

12.Magantilliken

Es war die siebzehnte Welt, die Magantil-liken nach seiner Ankunft im Makrokosmosbetrat. Er befand sich in seinem zweitenKörper und hatte bisher drei Rebellen aufge-spürt und hingerichtet. Trotz seiner An-fangserfolge gab er sich keinen Illusionenhin: Seine Arbeit hatte erst begonnen undwürde ihn noch auf viele Planeten führen.

Auf der vergessenen Welt, wo er ange-kommen war, hatte er ein Doppelpyramiden-schiff und alle notwendigen Ausrüstungsge-genstände gefunden. Magantilliken war keinMann, der soviel Glück als etwas Selbstver-ständliches hingenommen hätte – er rechne-te früher oder später mit einem Rückschlag.

Kaum, daß er sein Raumschiff verlassenhatte, ahnte Magantilliken, daß dies die Weltwar, auf der er Mamrohn finden würde.

Die drei Rebellen hatten ihm vor ihrer

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Hinrichtung nicht viel verraten, aber Magan-tilliken hatte die wenigen Informationen zueinem Mosaik geordnet. Er war sicher, daßMamrohn sich zurückgezogen hatte und ir-gendwo allein lebte. Das traf offenbar fürfast alle Rebellen zu. Sie hatten sich einan-der nichts mehr zu sagen und gingen ihre ei-genen Wege.

Vielleicht sehnten sie sich danach, zu ih-rem Volk zurückzukehren, aber sie sahenkeine Möglichkeit für einen solchen Schritt.

Das Raumschiff des varganischen Hen-kers stand am Ufer eines mächtigen Stro-mes, der ein paar Meilen weiter entfernt ineinen der zwei großen Ozeane dieses Plane-ten mündete. Der Landeplatz war eine großeSandbank, die nach der nächsten Regenzeitwieder in den schlammigen Fluten versinkenwürde. Diese Sandbank war gleichzeitig dieeinzige freie Stelle im weiten Umkreis, dennder dichte Dschungel reichte überall bis ansUfer heran.

Magantilliken hatte einen Schutzanzugangelegt und sich bewaffnet. Die Fernortunghatte ergeben, daß in der Umgebung desMündungsdeltas eine Station liegen mußte.Der genaue Standort war nicht zu bestim-men gewesen. Wer auch immer diese Stati-on bewohnte, hatte zahlreiche Tarnmaßnah-men getroffen, die auch hochwertige tropoy-thische Ortungsanlagen täuschen konnten.

Magantilliken war sich darüber im klaren,daß er ein großartiges Ziel für jeden Gegnerbot. Da sein Bewußtsein jedoch jederzeit ineinen anderen toten varganischen Körperüberwechseln konnte, brauchte er sich keineSorgen zu machen. Auch der Verlust desSchiffes konnte ihn nicht gefährden, dennsein Bewußtsein war weder an diese noch aneine andere Welt gebunden.

Der Vargane wollte den oder die Unbe-kannten in der Station herauslocken, und daskonnte er nur, wenn er sie neugierig machte.Die drei Rebellen, die Magantilliken hinge-richtet hatte, waren völlig arglos gewesen,vielleicht hatten sie ihn für einen der ihrengehalten.

Magantilliken empfand keinerlei Skrupel,

er war im Auftrag seiner Regierung hier, diedie Hinrichtung der Rebellen für notwendighielt.

Der Henker schaltete sein Flugaggregatein und schwebte über die Sandbank hinwegauf die andere Seite des Flusses hinüber. Einpaar Vögel erhoben sich kreischend von ih-ren Nistplätzen in den Bäumen, um ihre Art-genossen vor dem seltsamen Ungeheuer zuwarnen, das da herangeflogen kam. Magan-tilliken kümmerte sich nicht um die Tiere,sondern suchte nach Spuren, die ihm Hin-weise auf die Anwesenheit anderer Varga-nen geben konnten.

Am rechten Unterarm trug er ein Instru-mentenband. Dort befanden sich nebenSpürgeräten auch analytische Anzeiger unddie Schaltungen für die Aggregate desSchutzanzugs.

Magantilliken hatte sein Funkgerät aufEmpfang geschaltet, er rechnete nicht damit,daß sich jemand melden würde, aber erwollte für alle Eventualitäten gerüstet sein.

Der Henker machte sich keine Gedankenüber das Zusammenwirken kosmischerKräfte. Er hatte sich damit abgefunden, daßer die Wahrheit niemals ergründen würde.Das Vorhandensein eines Makrokosmos be-wies ihm, daß es weder Grenzen nach untennoch nach oben gab, wahrscheinlich pflanztesich die Anzahl der Existenzebenen in alleUnendlichkeit fort. Man mußte dort, wo manhineingestellt war, das Beste aus dem Lebenmachen.

Seine nüchterne Denkweise hatte Magan-tilliken schon viele Erfolge eingebracht, an-dererseits war er wegen mangelnder Phanta-sie schon oft gescheitert.

Er flog jetzt über dem Dschungel, in denBäumen unter ihm regte sich vielfältiges Le-ben. Vielleicht gab es irgendwo auf diesemPlaneten intelligente Eingeborene, aber siewaren bedeutungslos, denn sie hatten keinesichtbare Zivilisation hervorgebracht.

Es war früh am Morgen, vielleicht dreiStunden nach Sonnenaufgang. Entsprechendder Eigenrotation des Planeten verbliebendem Varganen noch vierzehn Stunden, um

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bei Tageslicht zu suchen.Allein die Tatsache, daß die Rebellen be-

stimmte Planeten bevorzugten und immerwieder zu den alten varganischen Stütz-punktwelten zurückkehrten, veranlaßte Ma-gantilliken zu der Hoffnung, daß er sie nachund nach alle finden würde.

Er flog eine Zeitlang über dem Wald hinund her und näherte sich dabei dem offenenMeer.

Vor der Küste entdeckte er einen dunklenPunkt auf der Wasseroberfläche. Er ändertedie Flugrichtung. Als er den Strand erreichthatte, sah er, daß es sich bei dem Gegen-stand um ein kleines Boot handelte, das aneiner Boje ankerte. Wer auch immer sichhier im Dschungel niedergelassen hatte, kamab und zu zum Fischen auf das offene Meer.

Magantilliken ließ sich auf das Boot hin-absinken und untersuchte es kurz. Es war einaufgeschnittener Wasserbehälter, wie es siean Bord varganischer Raumschiffe gab. AlsMotor diente ein kleiner Pumpenantrieb, andem eine Schraube befestigt war. Am Bodendes Bootes lagen ein Netz und eine Angel.

Nun war Magantilliken sicher, daß er einneues Opfer gefunden hatte.

Er richtete sich im Boot auf und beobach-tete den Strand.

Natürlich war seine Ankunft beobachtetworden. Die Rebellen, die auf dieser Weltlebten, konnten nichts von MagantillikensAuftrag wissen, deshalb war es erstaunlich,daß sie sich nicht zeigten. Vielleicht wolltensie weiterhin in völliger Abgeschiedenheitleben.

Magantillikens Lippen zuckten. Er würdedie Gegenseite herausfordern.

Bedächtig zog er seine Strahlenwaffe undschoß das Boot leck.

Er schwebte ein paar Meter in die Höhe,wartete, bis das Boot voll Wasser lief undversank, dann zerstrahlte er die Boje.

Am Strand rührte sich nichts. Entwederwar die Zerstörung des Bootes nicht beob-achtet worden oder der Besitzer nahm denZwischenfall nicht tragisch.

Magantilliken wartete einige Zeit, dann

setzte er seine Suche über dem Dschungelfort. Er ging systematisch vor, aber als dieSonne hinter den heraufziehenden Nacht-wolken versank, hatte er immer noch keineSpur einer Station gefunden.

Er flog zur Sandbank zurück, um dieNacht in seinem Schiff zu verbringen. Bevorer die Schleuse betrat, knackte sein Helm-lautsprecher, und eine Stimme fragte:»Warum haben Sie das getan?«

Der Henker wußte sofort, daß diese Fragesich auf die Zerstörung des Bootes bezog,obwohl seither ein paar Stunden verstrichenwaren.

»Warum kommen Sie nicht her und fin-den es heraus?« fragte er zurück.

Der Unsichtbare lachte dumpf, dannherrschte wieder Schweigen.

Magantilliken betrat die Schleuse, stürmteins Innere des Schiffes und ließ sich durchden Rettungsschacht nach unten gleiten. Se-kunden später hatte er das Schiff wieder ver-lassen und rannte quer über die Sandbank.Ohne zu zögern, warf er sich in die Flutenund ließ sich davontreiben. Auf der anderenSeite blitzte es zwischen den Bäumen auf,der Energiestrahl ließ die obere Pyramidedes Schiffes aufglühen und in sich zusam-menfallen.

Magantilliken drehte sich auf den Rücken,um besser beobachten zu können. Er be-glückwünschte sich zu seiner instinktivenHandlung. Eine zweite Salve wurde abge-feuert. Sie legte das Schiff völlig in Trüm-mer. Glühende Metallbrocken landeten zi-schend im Fluß, die Sandbank war jetzt inweißen Dampf gehüllt.

Magantilliken hatte die Stelle, von der ausgeschossen wurde, ausgemacht. Er stieg ausdem Wasser und verschwand zwischen denBäumen. Wenig später erlebte er eine Ent-täuschung. Die Strahlenkanone, die in denBüschen am Ufer stand, wurde von zwei Ro-botern bedient. Ein Vargane war nicht zu se-hen.

Magantillikens Blicke suchten die Umge-bung ab. Er fand eine Schneise, die die Ro-boter mit ihren Armstrahlenwaffen in den

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Dschungel gebrannt hatten. Entschlossenfolgte er dieser Spur. Sie führte eine größereStrecke landeinwärts als Magantilliken an-genommen hatte.

Plötzlich stieß er auf eine große Lichtung.Sie war künstlich geschaffen worden, in ih-rem Mittelpunkt stand ein kleines, aberwuchtig aussehendes Gebäude. Am Randeder Lichtung, bereits völlig von Pflanzenüberwuchert, sah Magantilliken ein Doppel-pyramidenschiff.

Der Besitzer des Schiffes und des Gebäu-des lag in einem bequemen Sessel vor derTür. Es war gerade noch hell genug, um Ma-gantilliken erkennen zu lassen, daß es sichum Mamrohn handelte. Der ehemalige Wis-senschaftliche Erste Rat war bis zum Skelettabgemagert und hatte alle Haare verloren. Ertrug nur eine Art Lendenschurz. Eine schwe-re Strahlenwaffe lag quer über seinen Bei-nen.

Magantilliken empfand keinen Triumph,nicht einmal Befriedigung.

Er näherte sich Mamrohn von hinten,lautlos über den Boden schwebend.

Als er ihn fast erreicht hatte, schien derRebell die Gefahr zu spüren, denn er drehteplötzlich den Kopf und sah den Henker an.Sekundenlang versenkten sich ihre Blickeineinander, dann ließ Mamrohn sich ausdem Sessel kippen und riß die Waffe hoch.Magantilliken war bereits über ihm und ver-setzte ihm einen Tritt, der die Waffe davon-schleuderte. Angesichts seiner körperlichenÜberlegenheit empfand Magantilliken fastso etwas wie Scham. Er spielte mit dem ab-surden Gedanken, Mamrohn eine gleichwer-tige Chance zu geben, doch dann siegte sei-ne Vernunft. Er richtete seine Handfeuer-waffe auf den Rebellen.

»Zurück in den Sessel!«Mamrohn ließ sich zurücksinken, er sah

erschöpft und müde aus.Magantilliken fragte sich ernsthaft, ob

dieser Mann wirklich einen Angriff gegenden Mikrokosmos inszeniert haben konnte.

»Sie gehören nicht zu den Rebellen!«stellte Mamrohn fest. »Woher kommen Sie,

und was wollen Sie von mir?«»Mein Name ist Magantilliken«, erwider-

te der Henker. »Sie wurden von der vargani-schen Regierung zum Tode verurteilt. Ichbin gekommen, um dieses Urteil zu voll-strecken.«

»Sind Sie verrückt?« erkundigte sichMamrohn. »Es gibt keine varganische Re-gierung mehr.«

»Hier nicht!« bestätigte Magantilliken.»Aber im Mikrokosmos.«

Interesse flackerte in Mamrohns Augenauf.

»Kommen Sie von dort?«»Ja.«Mamrohn warf einen Blick zum Rand der

Lichtung.»Warten Sie nicht auf Ihre Roboter«,

warnte Magantilliken. »Ich vollstrecke dasUrteil, bevor sie zurück sind.«

»Warum wollen Sie mich umbringen?«erkundigte sich Mamrohn gelassen. »Waswürde sich dadurch ändern? Es ist bedeu-tungslos, ob ich tot bin oder hier lebe. Ichkann nichts mehr tun. Ich warte hier, bis ichvon einem wilden Tier zerrissen werde oderbei einem Sturm im Meer ertrinke. MeineAnwesenheit schadet niemand. Im Grundegenommen bin ich schon tot. Die Voll-streckung dieses Urteils wäre unsinnig.«

Er hat recht! dachte Magantilliken. DiesesWrack konnte nichts mehr erreichen. Aberdarauf kam es nicht an! Für Magantillikenwar es wichtig, gerade dieses Urteil zu voll-strecken, denn er wollte in die Eisige Sphärezurück und rehabilitiert werden.

Er brachte es jedoch nicht fertig, die Waf-fe abzufeuern. Allmählich wurde er unsi-cher.

»Lebt Vargo noch?« fragte Mamrohn ei-nige Zeit später.

Dunkelheit senkte sich über die Lichtung.Mamrohn war nur mehr ein dunkler Schat-ten im Sessel. Im Dschungel wurde es leben-dig.

»Warum machen Sie kein Licht?« erkun-digte Magantilliken sich nervös.

Mamrohn erhob sich und ging zu dem

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kleinen Gebäude. Scheinwerfer flammtenauf. Sie erhellten die gesamte Lichtung.

»Warum schließen Sie sich nicht den Re-bellen an?« fragte Mamrohn. »Wollen Siewieder in den Mikrokosmos zurück – in die-se aussichtslose Winzigkeit?«

»Ich kann hier nicht leben«, erklärte Ma-gantilliken. »Seit der Rückkehr in den Mi-krokosmos hat sich unser Metabolismus ge-ändert. Wir müssen in regelmäßigen Abstän-den in die Eisige Sphäre zurückkehren. Dasist der Sektor, in dem wir jetzt leben – eineEnergieblase innerhalb des Mikrokosmos.«

»Niemand konnte ahnen, daß alles so en-den würde«, meinte Mamrohn. »Wir mußteneinen hohen Preis bezahlen.«

Im Scheinwerferlicht sah er beinahedurchsichtig aus, ein Mann, der sich beweg-te, atmete, sprach und doch nicht mehr indiese Welt gehörte.

»Ich habe viel über alles nachgedacht«,fuhr er fort. »Als wir die Tür zum Makro-kosmos aufstießen, dachte ich, daß wir et-was erreichen könnten. In Wirklichkeit ha-ben wir nur zwei gleichermaßen bedeu-tungslose Positionen gewechselt. Ich binjetzt lange genug hier, um zu wissen, daßüber dieser Existenzebene etwas Größeresexistieren muß. Es läßt sich endlos fortset-zen, verstehen Sie?«

»Nein«, sagte Magantilliken. »Ich denkeniemals über diese Probleme nach.«

Mamrohn lachte.»Ein philosophierender Henker – das wä-

re auch verrückt!«Magantilliken wollte nicht mehr zuhören.

Je länger er hier stand und diesen Mann re-den hörte, desto unsicherer wurde er in sei-nem Entschluß.

Er hob die Waffe und drückte ab, aberseine Hand zitterte, und er traf Mamrohnnicht richtig. Mamrohn drehte sich um dieeigene Achse, er sah Magantilliken mit ei-nem Ausdruck des Erstaunens an, als hätteer nicht ernsthaft damit gerechnet, daß derAnkömmling seine Drohung verwirklichenkönnte.

Mamrohn ging in die Knie.

»Seltsam«, sagte er kraftlos. »Ich hättenicht gedacht, daß ich noch am Leben hän-gen würde. Alles war mir gleichgültig ge-worden, jetzt merke ich, daß ich nicht ster-ben will.«

Magantilliken schloß die Augen.»Sie sind hinter uns allen her, nicht

wahr?« drang die Stimme Mamrohns an seinGehör.

Er konnte nur nicken.»Das schaffen Sie nicht«, erklärte Mam-

rohn mit plötzlicher Wildheit.Dann wurde es still. Magantilliken öffnete

die Augen. An der Haltung, in der Mamrohnam Boden lag, erkannte er, daß der Rebelltot war.

Ich könnte kein zweites Mal auf ihnschießen können! dachte Magantilliken.

Er verließ den Planeten mit dem Bewußt-sein, daß er auch nach einer Rückkehr in dieEisige Sphäre immer ein Ausgestoßenerbleiben würde.

*

Bei seiner Jagd auf die Rebellen, die fürMagantilliken so erfolgreich begonnen hatte,mußte er immer stärker erkennen, daß Mam-rohns Prophezeiung berechtigt gewesen war.Die Rebellen hatten von Magantillikens An-wesenheit und seinem Auftrag gehört undverhielten sich entsprechend vorsichtig. Abund zu kehrte Magantilliken in die EisigeSphäre zurück, um sich zu erholen und dieJagd dann in einem anderen Körper fortzu-setzen.

Inzwischen hatten Vargo, Kreton und dieanderen Wissenschaftler Spezialroboter fürden Einsatz im Makrokosmos entwickelt.Außerdem gab es ein Kommunikationssy-stem zwischen Makro- und Mikrokosmos,mit dessen Hilfe Magantilliken von vargani-schen Stationen aus mit den Bewohnern derEisigen Sphäre in Verbindung treten konnte.

Diese Entwicklungen, die die Arbeit desHenkers erleichtern sollten, stellten in Wirk-lichkeit eine psychologische Belastung fürihn dar. Sie bewiesen ihm, daß man auch in

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der Eisigen Sphäre nicht an eine schnelle Er-ledigung des Auftrags glaubte.

Magantilliken begann sich zu ändern. DasLeben im Makrokosmos prägte ihn. Wenn erfür kurze Zeit in der Eisigen Sphäre lebte,fühlte er sich immer mehr als Fremder.Trotzdem brauchte er diesen Aufenthalt in-nerhalb des Mikrokosmos.

Vielleicht würde sich der Zustand diesesständigen Wechselns von einer Existenzebe-ne in die andere niemals ändern. Magantilli-ken überlegte oft, ob er nicht freiwillig ausdem Leben scheiden sollte.

Er besaß keine Freunde, weder im Makro-noch im Mikrokosmos. Genau wie Vargovorhergesagt hatte, litt er unter dem Zustandschlimmster Einsamkeit. Ohne sich dessenbewußt zu werden, kapselte Magantillikensich mehr und mehr von allen schönen Din-gen des Lebens ab, er verhärtete innerlichund vergaß sein früheres Leben.

Schließlich war er nur noch Magantilli-ken, der varganische Henker – ein Mann,der sich nicht vorstellen konnte, jemals et-was anderes tun zu können als Rebellen zujagen und sie zur Strecke zu bringen.

13.Atlan

»Jetzt wissen Sie alles«, sagte Magantilli-ken ruhig. »Mein Auftrag ist noch immernicht beendet. Wenn ich auch geächtet wur-de, so kann ich mir doch nicht vorstellen,daß sie jemals einen anderen nach ›oben‹schicken werden, um die letzten Rebellen zutöten.«

Seine Erzählung hatte mir vieles begreif-lich gemacht, ich sah in ihm nicht länger nurden erbitterten Gegner.

»Sie leben zwischen Makro- und Mikro-kosmos«, stellte ich fest. »Besser als alle an-deren wissen Sie, daß Crysalgira und ichnicht hierher gehören. Warum wollen Sieuns nicht helfen?«

»Das kann ich nicht«, lehnte er entschie-den ab. »Abgesehen davon bin ich der Mei-nung, daß wir das Mädchen und Sie brau-

chen!«»Wozu?« fragte ich.»Verstehen Sie immer noch nicht?« Er

blickte mich abschätzend an. »Sie haben mitder Rebellin Ischtar ein Kind gezeugt. WirVarganen können uns untereinander nichtfortpflanzen, aber offensichtlich ändert sichdieser Zustand, wenn eine fremde Kompo-nente ins Spiel kommt.«

Ich schluckte und wagte nicht, Crysalgiraeinen Blick zuzuwerfen.

»Es ist alles ganz einfach«, sagte der Var-gane. »Das Mädchen wird die Mutter vielervarganischer Kinder sein. Sie werden dafürsorgen, daß es viele varganische Mütter ge-ben wird. Wir hoffen, daß diese Kinder un-tereinander sich wieder fortpflanzen kön-nen.«

Crysalgira gab einen erschrockenen Lautvon sich und flüchtete in meine Arme. Ichversuchte nicht, sie zu trösten, denn es gabkeine Zweifel daran, daß die Varganen ihreAbsicht verwirklichen wollten.

»Nur zu diesem Zweck bringen wir Siebeide nach Yarden«, fügte Magantillikenhinzu.

Ich stieß einen Schrei aus und warf michauf ihn. Er befand sich jedoch innerhalb ei-nes energetischen Prallfelds, von dem ichzurückgeschleudert wurde.

»Fassen Sie sich!« herrschte er mich an.»Es gibt Schlimmeres als die Vereinigungmit Unsterblichen.«

»Ich werde es niemals tun«, schluchzteCrysalgira.

Magantilliken erwiderte nichts, sondernging hinaus. Die Prinzessin und ich warenallein. Was sollte ich Crysalgira sagen? DieMacht der Tropoythers war zu groß, wirkonnten nichts unternehmen.

»Vielleicht gibt es eine Fluchtmöglich-keit, wenn wir innerhalb der Eisigen Sphäresind«, sagte ich zu dem Mädchen. »Von dortaus können wir am ehesten in den Makro-kosmos entkommen.«

Sie schüttelte wild den Kopf.»Sie werden uns nicht eher weglassen, be-

vor sie nicht sicher sein können, daß ihr

46 William Voltz

Page 47: Herrscher im Mikrokosmos

schreckliches Experiment Erfolg hat.«Ja! dachte ich düster. Das war die Wahr-

heit.Die Aussicht, den moralisch pervertierten

Tropoythers aus ihrer Stagnation zu helfen,war wenig erfreulich. Ich wollte vermeiden,daß man Crysalgira und mich als Brut- undZeugungsmaschinen mißbrauchte.

»Es wird eine Lösung geben«, sprach ichCrysalgira Mut zu.

Sie sah mich ernst an.»Ich werde mich töten!«Ich preßte eine Hand auf ihren Mund.»Das darfst du niemals wieder sagen,

Kleines! Dazu besteht überhaupt keinGrund. Wir werden kämpfen, auch wenn un-sere Lage jetzt noch aussichtslos ist.«

*

Als Magantilliken wieder bei uns erschi-en, machte er einen nervösen Eindruck undschien in Eile zu sein. Vielleicht hatte erneue Instruktionen erhalten.

»Wir hatten ursprünglich vor, Sie durchdas Transmittersystem der Gefühlsbasennach Yarden zu bringen«, eröffnete er uns.»Da wir nicht sicher sind, welche Auswir-kungen das auf Ihre körperliche Verfassunghaben könnte, werden Sie an Bord eines te-jonthischen Raumschiffs gebracht, das denKreuzzug nach Yarden mitmacht. DiesesSchiff wird Sie an Ihr Ziel bringen. Die Be-satzung ist angewiesen, Sie sorgsam zu be-handeln.«

»Lassen Sie uns noch einmal über allessprechen«, schlug ich vor. »Sie gehörenlängst nicht mehr zu den Unsterblichen in-nerhalb der Eisigen Sphäre. Warum schlie-ßen Sie sich nicht uns an und versuchen unszu helfen? Wir würden nach unserer Rettungalles tun, um Ihnen ein Leben im Makrokos-mos zu erleichtern.«

»Sie vergessen, daß ich in regelmäßigenAbständen in die Eisige Sphäre zurückkeh-ren muß!«

»Auch für dieses Problem gibt es eine Lö-sung.«

Seine Augen sahen durch mich hindurch.»Nein! Unsere Wissenschaftler hätten

längst eine Möglichkeit gefunden, wenn essie gäbe. Denken Sie, wir wollten für immeran die Eisige Sphäre gebunden sein? Vargound die anderen haben nichts unversucht ge-lassen.«

Du kannst ihn nicht überreden! meldetesich mein Extrahirn.

»Vielleicht«, sinnierte der Henker, »sehenwir uns niemals wieder. Es ist erstaunlich,wie oft wir uns bisher begegnet sind.«

»Werden Sie wieder in den Makrokosmosgehen?«

»Bestimmt!«»Schonen Sie Ischtar!« bat ich ihn. »Sie

bedeutet keine Gefahr für ihr Volk. ImGrunde genommen sehnt sie sich nach einerRückkehr in den Mikrokosmos, obwohl sieweiß, daß in der Eisigen Sphäre kein Platzfür sie sein wird.«

»Es ist keine persönliche Sache«, erwider-te der Vargane. »Mir sind diese Rebellengleichgültig. Ich spüre keinen Groll in mir,wenn ich an Ischtar denke. Trotzdem werdeich sie töten, wenn die Unsterblichen michwieder auf die Jagd schicken.«

Ich erkannte, daß ich mit keinem meinerWorte unter die Oberfläche seines Denkensdrang. Er hatte aufgehört, persönliche Be-dürfnisse anderer Intelligenzen zu akzeptie-ren. Er war zu einer mordenden Maschinegeworden.

Mit Schrecken dachte ich an ein Zusam-mentreffen mit den anderen Unsterblicheninnerhalb der Eisigen Sphäre.

»Die Erinnye wird Sie aus der Gefühlsba-sis zum Raumschiff bringen, sobald die Zeitgekommen ist«, sagte der Henker abschlie-ßend. »Leben Sie wohl.«

»Wie hast du ihn nur um etwas bittenkönnen!« hielt Crysalgira mir vor. »Er istnicht wert, daß man ihn anspricht.«

Ich sah das anders, aber ich wollte michseinetwegen nicht mit der Arkonidin über-werfen. In Crysalgiras Augen war Magantil-liken ein Ungeheuer. Sie begriff nicht, wiedieser Mann so hatte handeln können.

Herrscher im Mikrokosmos 47

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»Er erwähnte ein Transmittersystem«,lenkte ich ihre Gedanken in eine andereRichtung. »Wir haben keinen Anlaß, an die-ser Angabe zu zweifeln. Vielleicht habenwir eine Chance, von dieser Basis zu flie-hen.«

Sie war sofort bei der Sache, ein Um-stand, der mich sehr erleichterte, denn er be-wies, daß die Prinzessin längst noch nichtaufgegeben hatte.

»Ich weiß nicht, wieviel Zeit uns nochbleibt«, sagte ich. »Wir sollten sie jedoch zunutzen versuchen.«

Willst du von einer Gefühlsbasis in dieandere fliehen? fragte mein Extrahirn. Wasversprichst du dir davon?

»Eine Art Aufschub!« Unwillkürlich hatteich laut gesprochen.

Crysalgira sah mich verständnislos an.»Schon gut«, winkte ich ab. »Laß uns die-

se Räume durchsuchen.«Der Haupteingang des Aufenthaltsraums

war verschlossen, das hatte ich bereits fest-gestellt. Es war sicher auch sinnlos, diesenFluchtweg zu benutzen.

»Klopf die Wände ab!« befahl ich demMädchen. »Ich durchsuche den Baderaum.«

Ich war nicht sicher, ob wir beobachtetwurden. Sicher hatten Magantilliken und dieErinnye keine besonderen Vorsichtsmaßnah-men getroffen. Sie wußten, daß wir keineChance für eine Flucht aus der Gefühlsbasishatten. Außerhalb der Station gab es nur dielebensfeindliche Umwelt des Asteroiden.Unsere einzige Möglichkeit war die Trans-mitterverbindung zu anderen Gefühlsbasen,von der Magantilliken gesprochen hatte.Wenn es uns gelang, eine andere Basis zuerreichen, konnten wir hoffen, auf einer Sau-erstoffwelt herauszukommen.

Ich untersuchte alle Wände des Bade-raums. Sie machten einen stabilen Eindruckund konnten ohne entsprechende Werkzeugenicht geöffnet werden. Auch der Boden er-wies sich als widerstandsfähig. Ich gab je-doch nicht auf. Über einen Sessel, den ichins Badezimmer schob, erreichte ich dieLeuchtdecke. Ich klopfte sie ab. Dabei ent-

standen hohle Geräusche. Crysalgira, die siehörte, kam zu mir herein.

»Die Decke!« rief ich. »Über uns liegt einHohlraum. Die Frage ist nur, wie hoch er istund wie wir dorthin gelangen.«

Ich montierte den zweiten Sessel ausein-ander und benutzte eine der freigelegten Me-tallstreben als Werkzeug, um den Decken-rand zu bearbeiten. Das Licht erlosch, offen-bar hatte ich die Stromzufuhr unterbunden.Es gelang mir, einen Teil der Decke aufzu-brechen. Mit Hilfe einer größeren Metall-stange, die ich als Hebel benutzte, vergrö-ßerte ich die Öffnung. Dann ließ ich Crysal-gira zu mir auf den Sessel klettern und hobsie hoch, damit sie in das entstandene Lochblicken konnte.

»Der Zwischenraum ist nicht besondershoch«, stellte sie fest. »Ich nehme an, daß erzur Belüftungsanlage gehört. Wir werdenuns kriechend fortbewegen können.«

»Nun gut«, sagte ich. »Wir haben nichtszu verlieren.«

Ich reichte ihr die beiden Metallstangenund half ihr dann, sich in die Öffnung zuzwängen. Ihr zu folgen, war nicht einfachfür mich, ich mußte mich hochziehen undden Oberkörper in das Loch schieben. Crys-algira half mir, so gut es ging, und kurzeZeit darauf lagen wir schweratmend neben-einander im Zwischenraum. Kühle Luft bliesmir ins Gesicht. Von unten fiel nicht genü-gend Licht durch die Öffnung, um viele Ein-zelheiten unserer Umgebung sichtbar wer-den zu lassen.

»Ich krieche voraus«, entschied ich. AufsGeradewohl schlug ich eine Richtung ein.Wir kamen trotz der unbequemen Körper-haltung gut voran. Bald darauf befanden wiruns in völliger Dunkelheit. Ab und zu hiel-ten wir an, um zu lauschen. Es war still. EinGegenstand, der sich wie ein dichtes Netzaus Metall anfühlte, stoppte mich schließ-lich. Ich tastete das Hindernis mit den Hän-den ab.

Crysalgira lag neben mir.»Wir könnten versuchen, uns gewaltsam

einen Durchschlupf zu schaffen«, überlegte

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Page 49: Herrscher im Mikrokosmos

ich. »Dabei würde jedoch Lärm entstehen,deshalb schlage ich vor, daß wir eine Zeit-lang an diesem Gitter entlang kriechen undfeststellen, wo wir herauskommen.«

Das Mädchen erhob keine Einwände. DerZwischenraum, in dem wir uns befanden,mußte riesig sein, wahrscheinlich zog er sichquer durch die gesamte Station und unter-teilte sie in zwei Etagen.

Plötzlich griffen meine Hände ins Leere.Ich tastete vorsichtig umher und stellte fest,daß ich mich am Rand einer runden Boden-öffnung befand. Vor mir lag eine ArtSchacht.

Ich ließ mich mit den Beinen voran hin-eingleiten. Indem ich mich mit den Beinenund dem Rücken an den Wänden abstemm-te, stieg ich langsam abwärts.

»Kannst du mir folgen?« erkundigte ichmich bei meiner Begleiterin.

Sie hatte ihre Gewandtheit und Kraftschon oft bewiesen, so daß ich keine Beden-ken hatte. Es dauerte nicht lange, dann spür-te ich festen Boden unter mir. Ich richtetemich auf und wartete, bis Crysalgira nebenmir stand.

In der Dunkelheit ertastete ich ihr Gesichtund küßte sie. »Zur Aufmunterung«, erklärteich.

»Du bist verrückt!« zischte sie. »Hast dujetzt keine besseren Ideen?«

»Doch!« versicherte ich ihr. »Trotzdemwill ich versuchen, hier einen Ausgang zufinden.«

»Was, glaubst du, ist das hier? EinSchacht oder ein Behälter?«

»Keine Ahnung!« Meine Hände, die überdie glatten Innenwände glitten, trafen aufWiderstand. Ich untersuchte die Ausbuch-tungen gründlich und drückte von allen Sei-ten dagegen. Nichts geschah. Meine Hoff-nung, einen Verschlußmechanismus gefun-den zu haben, schien sich nicht zu bestäti-gen.

Ich ergriff eine der beiden Metallstrebenund schob sie in eine Vertiefung. Mit allerKraft stemmte ich mich dagegen. Es gab einknirschendes Geräusch, dann brach irgend

etwas auseinander. Gleichzeitig entstand einschmaler Spalt, durch den Licht hereinfiel.Ich schob Crysalgira zur Seite und brachtemein Gesicht dicht an die Öffnung.

Ich blickte in einen beleuchteten Korridor.Das Gebiet, in das ich einsehen konnte, warverlassen.

Crysalgira war vernünftig genug, jetztkeine Fragen zu stellen. Ich schob beide Me-tallstangen in die kleine Öffnung. Es stelltesich heraus, daß die Vergrößerung des Spal-tes kein Problem war. Schließlich konnte ichden Kopf hinausstrecken. Crysalgira und ichbefanden uns in einer hohlen Säule mittenim Korridor.

Ich drehte den Kopf und entdeckte denÖffnungsmechanismus außen an der Säule.Hoffentlich hatte ich ihn nicht schon so sehrverbogen, daß er nicht mehr funktionierte.Ich streckte die Hand hinaus. Die Säule ließsich ohne Schwierigkeiten öffnen. Ich tratauf den Korridor hinaus und zog Crysalgirains Freie. Hastig blickte ich mich um. Esblieb keine Zeit, die Spuren meiner Bemü-hungen zu verwischen. Alles, was ich tunkonnte, war, die schmale Tür wieder zuzu-drücken.

»Wohin?« flüsterte Crysalgira und blicktesich um.

Ich wünschte, ich hätte eine Antwort dar-auf gewußt.

Es blieb mir nichts anderes übrig, alsmich für eine Seite des Korridors zu ent-scheiden und festzustellen, wohin er unsführen würde.

Wir rannten los und bemühten uns dabei,so wenig Lärm wie möglich zu machen.Trotzdem kam mir das Getrampel unsererSchritte übermäßig laut vor. Ich fragte mich,ob Magantilliken und die Erinnye die einzi-gen Bewohner dieser Gefühlsbasis waren.

Der Korridor endete vor einem breitenTor. Ich preßte ein Ohr gegen das Metall,aber es war nichts zu hören. Auf der anderenSeite konnten unsere Gegner sein.

Crysalgira nickte mir zu. Sie war ent-schlossen, jedes Risiko einzugehen.

Das Tor ließ sich ohne Schwierigkeiten

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Page 50: Herrscher im Mikrokosmos

öffnen.Das Mädchen und ich befanden uns im

Eingang eines halbdunklen Raumes. Im Hin-tergrund standen einige Konsolen mit Bild-schirmen darauf. Rechts von mir lag ein In-strumentensockel, und im Hintergrund er-kannte ich eine Art Korb, der offenbar zu ei-nem Lift gehörte. Gegenstation dieses Liftskonnte nur ein Podest etwa zehn Meter übermir sein. Dort war ein kreisrundes Fenster indie Wand gelassen, das den Durchblick inden benachbarten Raum gewährte. Ich fragtemich, was dort so Besonderes sein konnte,um diesen technischen Aufwand zu rechtfer-tigen, aber ich sollte es nicht mehr erfahren.

Ein eisiger Hauch traf mein Gesicht.Ich fuhr erschrocken herum und sah die

Erinnye unmittelbar neben Crysalgira ste-hen. Sie war wie aus dem Nichts erschienen.

Crysalgira war wie versteinert, Angst undEnttäuschung zeigten sich in ihrem Gesicht.

In meiner Verzweiflung machte ich einenSchritt auf den seltsamen Roboter zu undschlug nach ihm. Ich traf ins Leere und er-hielt dafür einen Schockstrahl, der meinenKörper vibrieren ließ. Sekundenlang standich heftig zitternd da und war unfähig, ir-gend etwas zu tun. Die Erinnye beobachtetemich.

»Sie hätten Ihre Unterkunft nicht verlas-sen sollen«, sagte das Wesen aus der EisigenSphäre sachlich. Wahrscheinlich konnte eskeinen Ärger empfinden.

»Kommen Sie!« forderte die Erinnye unsauf, nachdem ich meine Glieder wieder un-ter Kontrolle hatte. »Ich bringe Sie in IhreUnterkunft zurück.«

Wir folgten ihr. Ich war niedergeschlagenund fühlte mich für den Fehlschlag verant-wortlich.

»Es war ein Versuch«, sagte Crysalgira.»Immer noch besser als tatenlos abzuwar-ten.«

Als wir in unserer Unterkunft eintrafen,war die Decke des Baderaums bereits repa-riert.

Magantilliken erschien, aber er machteuns keine Vorhaltungen.

»Es ist sinnlos, den Versuch zu wiederho-len«, meinte er. »Sie werden immer wiederscheitern.«

»Wann werden wir abgeholt?« erkundigteich mich.

»Es ist bald soweit!« Er schickte die Erin-nye hinaus und zog plötzlich eine kleineStrahlenwaffe. Ich sah ihn bestürzt an, dennich rechnete damit, daß er uns bestrafenwürde.

Er zögerte, dann warf er die Waffe aufden Tisch.

Ich sah ihn fassungslos an.»Sie haben sie während Ihres Ausbruchs-

versuches gefunden und an sich genom-men«, sagte er.

»Warum tun Sie das?« fragte ich ver-blüfft.

Er zuckte mit den Schultern. Ohne einweiteres Wort verließ er den Raum. Ich gingzum Tisch und nahm die Waffe an mich.

»Das ist eine Falle!« beschwor mich Cry-salgira. »Du darfst diesen Strahler nicht an-rühren.«

»Ich denke, er meint es ehrlich!«Versuche festzustellen, ob sie geladen ist!

ermahnte mich mein Extrahirn. Dazu hätteich die Waffe abfeuern müssen. Das Risikoerschien mir zu groß. Ich schob den kleinenStrahler unter den Anzug.

»Was hast du jetzt vor?« wollte die Prin-zessin wissen.

»Abwarten!« riet ich ihr. »Hier in der Ge-fühlsbasis haben wir keine Chance, aber daskann sich ändern, sobald wir an Bord einestejonthischen Schiffes sind.«

*

Ich dachte darüber nach, daß Magantilli-ken ein höchst ungewöhnlicher Mann war,der immer wieder für Überraschungen sor-gen konnte. Was ging im Kopf des Henkersvor? Wollte er uns durch das Überlassen ei-ner Waffe helfen oder wünschte er unserenschnellen Tod?

War er am Ende sogar gegen den Plan,daß Crysalgira und ich für den Fortbestand

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Page 51: Herrscher im Mikrokosmos

der Varganen sorgen sollten?Auf jeden Fall verfolgte dieser unheimli-

che Mann seine eigenen Pläne. Er gehörtenur noch dem Namen nach zu den letztenTropoythers, die in Yarden lebten.

Ich versuchte, mir die Verhältnisse inner-halb der Eisigen Sphäre vorzustellen, abertrotz allem, was ich erfahren hatte, gelangmir das nicht einmal annähernd.

Die Unsterblichen, die durch ihre Experi-mente mit der Absoluten Bewegung sichbeinahe selbst ausgerottet hatten, waren si-cher nicht mit Ischtar zu vergleichen. Ich er-innerte mich, wie fremd mir aber sogar Isch-tar trotz meiner Liebe zu ihr geblieben war.

Ähnelten die varganischen Frauen in derEisigen Sphäre der Goldenen Göttin?

Und war Chapat inzwischen dem Em-bryostadium entwachsen und aus dem Über-lebensbehältnis herausgenommen worden?

Hatten Crysalgira und ich nach Erfüllungunserer Aufgabe Hoffnung, durch den Über-setzer in den Makrokosmos entlassen zuwerden, und würde diese Prozedur für unsähnliche Folgen haben wie für die Varga-nen?

Das alles waren Fragen, die mich so in-tensiv beschäftigten, daß ich keine Ruhefand.

Das Bewußtsein, nun eine Waffe zu besit-zen, war ebenfalls aufregend.

Ich würde den Strahler einsetzen, sobaldsich eine Möglichkeit dazu bieten sollte.

*

Etwa drei Tage später erschienen zwei Er-innyen in unserer Unterkunft. Vergeblichwartete ich auf Magantilliken. Vielleichtweilte der Henker bereits nicht mehr in derGefühlsbasis.

»Der Kreuzzug nach Yarden ist in der Nä-he dieser Gefühlsbasis eingetroffen«, infor-mierte uns einer der beiden varganischenRoboter.

Das konnte nur bedeuten, daß weitereVerbände zu den fünftausend tejonthischenEinheiten draußen im Weltraum gestoßen

waren. Trotz aller Schwierigkeiten schiender Kreuzzug auch diesmal stattzufinden,die Tejonther hatten offenbar eine Möglich-keit gefunden, zehntausend Schiffe zusam-menzubringen.

Noch immer war mir unklar, warum dieseWesen alle dreihundert Jahre auf Veranlas-sung der Tropoythers diesen Flug unternah-men. Ich befürchtete jedoch, daß es einenschrecklichen Grund dafür gab.

»Was wird mit uns geschehen?« fragte ichdie Erinnyen.

»Eines der Schiffe wird auf der Gefühls-basis landen, um Sie abzuholen«, erhielt ichbereitwillig Antwort. »Dieses Schiff wirdSie nach Yarden bringen, wo Sie bereits er-wartet werden.«

Unwillkürlich berührte ich die kleineWaffe unter meinem Anzug.

»Wir bringen Sie jetzt zur Schleuse«,kündigte eine Erinnye an. »Dort erhalten SieSchutzanzüge und Atemmasken, damit Siezum Schiff gehen können.«

Crysalgira warf mir einen fragenden Blickzu, aber ich reagierte nicht darauf. Es warsinnlos, die Waffe auf dem Weg zum Schiffzu benutzen. Nur an Bord des tejonthischenSchiffes hatten wir eine Chance.

Die beiden Erinnyen führten uns zurSchleuse. Auf dem Wege dorthin sah ichmich vergeblich nach Magantilliken um.Wie die Roboter versprochen hatten, beka-men wir vor der Schleuse Schutzanzüge.Vermutlich waren es jene, die wir bereits beiunserer Ankunft getragen hatten.

Offenbar verlief nicht alles so reibungs-los, wie die Erinnyen geplant hatten, dennnachdem wir die Anzüge angelegt hatten,mußten wir noch einige Zeit warten, bis wirdie Schleuse betreten durften.

Draußen erwarteten uns drei bewaffnetetejonthische Raumfahrer.

Im Hintergrund sah ich ihr dreißig Meterhohes Schiff auf den großen Heckflossenstehen.

Zweifellos handelte es sich dabei um dasSchiff, das uns nach Yarden bringen sollte.Ich überlegte, wieviel Besatzungsmitglieder

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sich an Bord aufhalten mochten, denn davonhing in erster Linie der Erfolg jeder Aktionab.

Die Tejonther schienen es eilig zu haben,denn sie brachten uns sofort zu ihrem Schiff,ohne mit den Erinnyen in der GefühlsbasisKontakt aufzunehmen. Wahrscheinlich hat-ten sie ihre Anweisungen auf dem Funkwegerhalten.

An Bord des tejonthischen Schiffes wur-den Crysalgira und ich sofort in eine Kabinegebracht. An den Bewegungen und Erschüt-terungen spürten wir, daß das Schiff unmit-telbar nach unserer Ankunft in den Welt-raum startete. Ich war überzeugt davon, daßes sich jetzt wieder in die große Flotte ein-gliederte.

»Die Waffe hilft uns wenig«, befürchteteCrysalgira. »Sie werden uns hier eingesperrthalten und sich überhaupt nicht um unskümmern.«

»Das hängt davon ab, wie lange sie nachYarden unterwegs sind«, antwortete ich.»Wenn sie einen Direktflug machen, werdenwir unser Ziel sicher bald erreichen. Ich nei-ge jedoch zu der Annahme, daß sie noch einpaar Gefühlsbasen anfliegen müssen, um indie richtige Stimmung versetzt zu werden –was immer der Grund dafür sein mag. Dasbedeutet, daß man uns verpflegen muß.«

Ich wunderte mich, daß man uns die An-züge gelassen hatte. Stand uns vielleicht einweiterer Ausflug in den offenen Weltraumbevor?

Trotz der Informationen, die wir in derGefühlsbasis erhalten hatten, konnte ich mirkein Bild von der Eisigen Sphäre machen.Wie sah sie aus, wie groß war sie?

Groya-Dol und seine Eisnarbe fielen mirein.

Konnten Sterbliche überhaupt in Yardenleben?

»Ich frage mich, ob wir nicht das Risikoauf uns nehmen und uns nach Yarden brin-gen lassen sollen«, wandte ich mich an dieArkonidin.

Sie sah mich ungläubig an.»Du weißt, was uns dort erwartet!«

»Unser Leben wäre nicht bedroht«, erin-nerte ich sie. »Wenn sie uns wirklich zurZeugung einer neuen Generation benutzenwollen, werden sie sehr vorsichtig mit unsumgehen.«

»Du willst also aufgeben?« fragte sie ent-setzt.

»Nein«, sagte ich. »Das waren nur theore-tische Überlegungen. Natürlich werden wirversuchen, das Schiff in unsere Gewalt zubringen und damit zu entkommen.«

Es war unmöglich, einen festen Plan zuentwickeln, wir mußten darauf warten, daßder Zufall uns eine Gelegenheit gab. Ichwußte nicht, wie viele Tejonther sich anBord aufhielten. An der Größe des Schiffesgemessen, konnten es etwa fünfzig sein. Wiesollten wir sie mit einer Waffe besiegen?

Trotz der großen Ungewißheit, die mitmeinem Vorhaben verbunden war, warteteich voller Ungeduld, daß einer der Tejontherin unsere Kabine kommen würde.

Als es endlich soweit war, erschienen mirdie äußeren Umstände für einen Angriffdenkbar ungeeignet.

Die Tür sprang auf, draußen auf demGang stand ein Tejonther mit einer schwerenStrahlwaffe in den Händen. Ein zweiterMann, der eine Handfeuerwaffe im Gürtelstecken hatte, betrat den Raum, blieb aberunmittelbar vor dem Eingang stehen.

Er hatte ein Übersetzungsgerät bei sich,das er jetzt einschaltete.

»Haben Sie bestimmte Wünsche?« erkun-digte er sich.

Ich sah ihn erstaunt an, offenbar verhalfuns unser neuer Status zu einer Reihe vonVorteilen.

»Ich habe Fragen«, eröffnete ich ihm.»Aber die werden Sie mir bestimmt nichtbeantworten.«

Er schüttelte den Kopf.»Dazu bin ich nicht berechtigt, abgesehen

davon, daß ich wahrscheinlich nicht mehrweiß als Sie.«

»Ja«, sagte ich gedehnt. »Ich wäre Ihnendankbar, wenn wir regelmäßig Nahrung er-halten könnten.«

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Page 53: Herrscher im Mikrokosmos

»Das ist selbstverständlich«, versicherteer.

Ich überlegte, was in seinem Kopf vorge-hen mochte. Sicher war er kein besondersbösartiger Mann. Er führte einen Befehl ausund wirkte ein bißchen verunsichert.

»Gut«, sagte ich. »Bringen Sie uns zu es-sen und zu trinken.«

Er drehte sich um und stand dabei genauzwischen mir und dem Mann mit dem Strah-lengewehr in den Händen draußen auf demGang.

Jetzt! dachte mein Extrahirn.Mechanisch zog ich die kleine Waffe. Der

Mann auf dem Korridor konnte es nicht se-hen, und der zweite Tejonther wandte mirden Rücken zu. Als er die Kabine verließ,gab er den Blick auf den bewaffneten Raum-fahrer frei. Der Mann mit dem Strahlenge-wehr begriff wahrscheinlich nicht, was ge-schah. Ich gab einen Schuß auf ihn ab. DieWaffe, die Magantilliken mir gegeben hatte,funktionierte einwandfrei. Der getroffeneTejonther taumelte rückwärts bis zur Wand,ohne die Waffe loszulassen. Seine Augenwaren weit geöffnet.

Ich zielte auf den zweiten Mann, der sichjetzt langsam umdrehte, mit einem Ausdruckungläubiger Überraschung im Gesicht.

»Lassen Sie Ihre Waffe stecken!« befahlich ihm.

Seine Hände zuckten zurück.»Sieh nach, ob jemand draußen im Korri-

dor ist!« rief ich Crysalgira zu.Während das Mädchen nach draußen

ging, näherte ich mich dem Tejonther undzog ihm die Waffe aus dem Gürtel. Ich warfsie der Prinzessin zu, die jetzt draußen standund gelassen feststellte: »Niemand hier, At-lan.«

Ich deutete auf den Tejonther.»Bewache ihn und laß ihn nicht aus den

Augen!«Crysalgira nahm vor ihm Aufstellung und

bedrohte ihn mit seiner eigenen Waffe.Ich trat auf den Gang hinaus, sah mich

nach beiden Seiten um und packte dann denToten an den Schultern. Ich zog ihn in die

Kabine und warf die Tür hinter mir zu. Alleswar blitzschnell gegangen. Ich hörte michaufatmen. Noch war nichts gewonnen, aberwir hatten Zeit zum Atemholen.

Ich griff nach dem Übersetzungsgerät.»Wie heißen Sie?« fuhr ich den Tejonther

an.Der Raumfahrer war völlig eingeschüch-

tert und brachte keinen Ton hervor.»Sprechen Sie!« drängte ich ihn. »Ich ha-

be nicht viel Zeit.«»Warquel!« sagte er stockend.»Wieviel Besatzungsmitglieder befinden

sich an Bord, Warquel?«»Mit mir sind es zehn!«Zweifellos sprach er die Wahrheit. Ich

hatte mich also verschätzt, denn ich hattemit fünfzig Gegnern gerechnet. Daß es nurzehn waren, erleichterte mich. Jetzt hattendie Prinzessin und ich eine echte Chance,das Schiff unter Kontrolle zu bringen. War-quel war unser Gefangener, der Mann, dener mitgebracht hatte, lebte nicht mehr.

»Wieviel Raumfahrer halten sich zur Zeitin der Zentrale auf?« fragte ich weiter.

»Nur einer – das Schiff fliegt mit dem Ro-botpiloten.«

»Wir befinden uns in der Flotte derKreuzzügler?«

»Ja«, bestätigte Warquel.»Ich will vermeiden, daß weitere Tejon-

ther ihr Leben verlieren«, sagte ich zu ihm.»Deshalb wäre es klug von Ihnen, mir zuhelfen.«

Allmählich gewann er seine Fassung zu-rück. Seine gelben Augen bewegten sichheftig, offensichtlich suchte er nach einemAusweg.

»Handeln Sie nicht unüberlegt!« warnteich ihn. »Die Besatzung wird überleben,wenn sie sich meinen Befehlen fügt.«

»Was haben Sie eigentlich vor?« wollte erwissen. »Sie haben doch überhaupt keineChance, irgend etwas zu erreichen.«

Ich ignorierte diese Behauptung, mit derer uns nur einzuschüchtern versuchte.

»Wo sind die übrigen Besatzungsmitglie-der?«

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Er zögerte. Ich richtete den Lauf der Waf-fe auf ihn. Unwillkürlich blickte er zu demToten hinüber.

»Kommen Sie nicht auf die Idee, uns zubelügen!«

»Im Aufenthaltsraum«, erwiderte er wi-derstrebend. »Ich weiß nicht, was sie dorttun, aber die Mehrzahl wird schlafen odersich ausruhen.«

Ich nickte zufrieden. Die Situation war fürCrysalgira und mich ausgesprochen günstig.Wenn wir schnell und entschlossen handel-ten, konnten wir unser Ziel erreichen. Ichnahm die schwere Strahlenwaffe an mich.

»Sie führen uns jetzt zu den Aufenthalts-räumen!« befahl ich Warquel. »Lassen Siesich zu keinen unüberlegten Handlungenhinreißen, eine Waffe wird immer auf Siegerichtet bleiben.«

In Gedanken war ich schon bei der näch-sten Stufe meines Planes. Wenn wir dasSchiff in unserer Gewalt hatten, mußten wireine Möglichkeit finden, aus der Flotte aus-zuscheren. Wie würden die übrigen Raum-fahrer auf ein solches Manöver reagieren?

Wenn die Zeit gekommen war, wollte ichmit Warquel über dieses Problem reden,jetzt mußten wir erst die Besatzung aus-schalten.

Crysalgira erwies sich einmal mehr alszuverlässige Verbündete. Sie ließ den Tejon-ther nicht aus den Augen, so daß ich ohneRisiko die Umgebung beobachten konnte.Warquel hatte die Wahrheit gesprochen, aufdem Weg in den Aufenthaltsraum trafen wirmit niemand zusammen. Schließlich standenwir vor dem Eingang der Mannschaftsquar-tiere.

»Du bleibst mit Warquel hier im Gangund bewachst ihn«, sagte ich zu meiner Be-gleiterin. »Zögere nicht zu schießen, wenner sich rührt.«

»Du kannst dich auf mich verlassen, At-lan.«

Ich nickte ihr zu und öffnete dann vor-sichtig das Tor zu den Aufenthaltsräumen.Im Vorraum befand sich niemand. Ichdurchquerte ihn und öffnete die nächste Tür.

Ich blickte in eine Art Bibliothek. Die sie-ben Raumfahrer saßen in bequemen Sesselnrund um eine sich drehende Bildsäule. Sieblickten nicht auf, als ich eintrat, wahr-scheinlich dachten sie, Warquel oder der an-dere Mann seien eingetreten.

Die Raumfahrer hatten ihre Ausrüstungabgelegt. Soweit ich sehen konnte, trug kei-ner von ihnen eine Waffe.

»Hallo!« rief ich in das Übersetzungsge-rät. »Niemand rührt sich von seinem Platz.«

Sie starrten mich an wie eine Erschei-nung. Ein großer Mann erholte sich zuerstvon seiner Überraschung. Es wäre ihm fastgelungen, mich zu überrumpeln. Er warfsich vornüber aus dem Sessel und zog dabeieine kleine Strahlenwaffe aus dem Gürtel.Bevor er abdrücken konnte, traf ich ihn mitder erbeuteten Waffe. Er blieb vor dem Ses-sel liegen und rührte sich nicht mehr.

»Das hätte nicht zu passieren brauchen!«rief ich. »Ich will nicht, daß sich ein solcherZwischenfall wiederholt. Fügen Sie sichmeinen Anordnungen, dann kann ich Ihnenversprechen, daß kein Schuß mehr fallenwird.«

Ich rief Crysalgira und Warquel herein.»Sieh dir die anliegenden Räume an«, bat

ich die Arkonidin. »Wir brauchen ein geeig-netes Gefängnis für diese Männer.«

Ich winkte Warquel mit der Waffe. Er tratzu den anderen, während Crysalgira mit derUntersuchung der benachbarten Räume be-gann. Ich entschied mich dafür, die Gefan-genen in einer großen Vorratskammer unter-zubringen, die von außen verriegelt werdenkonnte und aus der ein Entkommen prak-tisch unmöglich war.

Ich trieb die Raumfahrer, ausgenommenWarquel, hinein und versprach ihnen, daßsie sich keine Sorgen zu machen brauchten.Wahrscheinlich haßten sie mich. Ich hattezwei ihrer Artgenossen getötet, dafür hattensie bestimmt kein Verständnis. Es ging je-doch um das Schicksal von Crysalgira undmir, da konnte ich auf die Gefühle dieserWesen nicht viel Rücksicht nehmen. Ob siemir geglaubt hätten, daß ich auf Belkathyr

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für die Beendigung der Kreuzzüge gekämpfthatte? Vielleicht wußten sie es sogar. Dieüberwiegende Mehrheit der Tejonther warfür die Beibehaltung der Kreuzzüge nachYarden, sie schienen nicht zu ahnen, warumdiese Aktionen überhaupt durchgeführt wur-den.

Die Tejonther waren Werkzeuge der letz-ten Tropoythers, aber sicher konnte ihnendas niemand begreiflich machen.

Nachdem der Vorratsraum verriegelt war,befahl ich Warquel, uns in die Zentrale zubringen. Dort hielt sich das letzte freie Be-satzungsmitglied auf. Seine Überwältigungbereitete keine Schwierigkeiten, denn es warim Sessel vor den Kontrollen eingeschlafen.Crysalgira brachte den verstörten Raumfah-rer in den Vorratsraum zu den anderen Ge-fangenen, während ich mir die Bildschirmeansah.

Das Schiff, in das man uns gebracht hatte,flog inmitten einer gewaltigen Flotte. Offen-bar waren doch annähernd zehntausend Ein-heiten zusammengekommen. Es war ein im-posanter Anblick, der mich so faszinierte,daß ich Warquel fast vergessen hätte. Ausden Augenwinkeln sah ich, daß der Raum-fahrer langsam an mich herankam. Er glaub-te an eine Chance, mich überwältigen zukönnen.

Ich bedrohte ihn sofort mit der Waffe.»Stehenbleiben!« schrie ich ihn an.In Zukunft, beschloß ich, wollte ich noch

vorsichtiger sein. Auf keinen Fall durfte ichdiesen Tejonther unterschätzen.

Er brachte es fertig zu lächeln.»Sie sehen, daß Sie nur eine relative Frei-

heit gewonnen haben«, meinte er. »DiesesSchiff befindet sich mitten unter anderenSchiffen meines Volkes. Sie können nichtentkommen. Geben Sie auf.«

Ich winkte mit der Waffe und ließ ihn imSessel vor den Kontrollen Platz nehmen.

»Wir werden dieses Schiff aus der Flottesteuern«, ordnete ich an.

Sein Pelz sträubte sich im Nacken. Erschien ernsthaft bestürzt zu sein.

»Kommen Sie nicht auf den Gedanken,

eine Funkbotschaft abzustrahlen oder IhrenFreunden ein Zeichen zu geben«, warnte ichihn. »Vergessen Sie nicht, daß Sie und alleanderen Besatzungsmitglieder mit uns ster-ben werden, wenn irgend etwas mit demSchiff passieren sollte.«

»Ja«, sagte er grimmig.Meine Blicke wanderten über die Kon-

trollen. Da ich eine Zeitlang an Bord vonVruumys' Schiff zugebracht hatte, waren mirdie Instrumente nicht völlig fremd. Es fielmir leicht, die Funkanlage zu finden. Ichzerstörte ein paar Schaltungen, so daß War-quel keine Verbindung zu anderen Schiffenaufnehmen konnte, ohne vorher nicht auffäl-lige Vorbereitungen zu treffen.

Er schien enttäuscht zu sein.»Wir wollen uns unterhalten, wie wir nun

vorgehen«, schlug ich vor.Er machte keinen sehr bereitwilligen Ein-

druck, aber ich ließ mich davon nicht irritie-ren.

»Sie wissen, was ich vorhabe«, fuhr ichfort. »Es geht darum, mit diesem Schiff denKreuzzug zu verlassen.«

»Das ist unmöglich!« Er ließ sich im Sitzzurücksinken, als wäre die Sache damit erle-digt.

»Mag sein, daß Sie so darüber denken«,sagte ich mit Nachdruck. »Trotzdem werdenSie es versuchen müssen, wenn Sie am Le-ben bleiben wollen.«

Er seufzte. Ich war nicht sicher, ob erwirklich mit großen Schwierigkeiten rechne-te oder mir nur etwas vormachte. Auf jedenFall durfte ich mich nicht von meinen Plä-nen abbringen lassen. Die Eroberung desSchiffes war völlig sinnlos, wenn wir wei-terhin in diesem Pulk mitflogen.

Ich preßte Warquel den Lauf der Waffe inden Nacken.

»Entscheiden Sie sich!«Das wirkte. Er begann, an den Kontrollen

zu hantieren. Ich ließ die Bildschirme nichtaus den Augen. Da ich nicht bereit war, eineFunkverbindung zu anderen tejonthischenEinheiten zuzulassen, mußte ich mich aufdie optischen Wahrnehmungen verlassen. Es

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war denkbar, daß unser Schiff angegriffenund vernichtet wurde, wenn es mit dem un-vorhergesehenen Manöver begann, aber die-ses Risiko mußte ich eingehen.

Crysalgira kam in die Zentrale zurück.»Ich habe ihn gut untergebracht«, berich-

tete sie. Ihr Blick fiel auf die Kontrollen,und sie wurde sofort wieder ernst. »Geht esschon los?«

Ich nickte nur, denn ich wollte mich jetztnicht ablenken lassen.

Bei der Bedienung der verschiedenenSchaltanlagen machte Warquel einen siche-ren Eindruck. Ich konnte nicht völlig aus-schließen, daß er einen Trick versuchte,denn dazu kannte ich die tejonthische Tech-nik nicht gut genug. Einmal mehr mußte ichmich völlig auf meinen Instinkt verlassen.

Auf den Leuchtskalen erschienen jetztständig neue Werte, auch die Stellung desSchiffes zum übrigen Verband begann sichzu ändern.

Das Manöver hatte begonnen.

*

Obwohl alles sehr schnell ging, verstrichdie Zeit scheinbar mit quälender Langsam-keit. Keines der anderen Schiffe schien zureagieren, aber das war eine oberflächlicheFeststellung, denn ich konnte längst nicht al-le Einheiten auf den Bildschirmen beobach-ten. Vielleicht hatten in diesem Augenblickschon ein paar Verbände Kurs auf unserSchiff genommen, um es zu stoppen.

Ich hatte den Verdacht, daß Warquel dasAusschermanöver absichtlich verzögerte.

»Es geht zu langsam!« herrschte ich ihnan. »Beeilen Sie sich, wenn Sie diese Aktionüberleben wollen.«

»Ich tue, was ich kann!« Zum erstenmalwurde er richtig wütend und widerspenstig.

Da wir im Grunde genommen auf ihn an-gewiesen waren, beschloß ich, ihn währendder Kurskorrektur nicht zu stark unter Druckzu setzen, denn das konnte zu einer Kurz-schlußreaktion führen.

Als ich wieder auf den Bildschirm blickte,

sah ich auf einer Seite den offenen Welt-raum. Unser Schiff war im Begriff, sich vonder Flotte der Kreuzzügler zu trennen. Bis-her war nichts dagegen unternommen wor-den.

Ich wandte mich wieder an Warquel.»Beschleunigen Sie jetzt mit Höchstwer-

ten!« befahl ich.Er wollte Einwände erheben, besann sich

aber anders und führte meine Anordnungaus. Das Schiff schien förmlich aus diesemSektor der mikrokosmischen Galaxis heraus-zuspringen.

»Geschafft!« rief Crysalgira.»Suche ein paar Stricke!« bat ich sie.

»Wir wollen unseren Freund an den Sitz fes-seln, damit er auch in Zukunft nicht aufdumme Gedanken kommt.«

14.Atlan

Crysalgira und ich beschlossen, abwech-selnd zu schlafen, denn es war sicher nichtangebracht, Warquel unbeaufsichtigt an denKontrollen des Schiffes zu lassen.

Ich wollte die erste Wache übernehmen,denn die Prinzessin war wesentlich er-schöpfter als ich. Ihr Durchhaltevermögenwar sowieso bewundernswert.

Crysalgira lehnte sich an mich und küßtemich flüchtig auf die Wange.

»Ich bin froh, daß wir dem Schicksal ent-ronnen sind, das die Varganen für uns be-stimmt hatten«, sagte sie müde, aber glück-lich. »Ich darf nicht daran denken, was mituns geschehen wäre, wenn man uns in dieEisige Sphäre gebracht hätte.«

Ich runzelte die Stirn. Meine Gedankenbeschäftigten sich bereits mit der nächstenZukunft. Wahrscheinlich würde Crysalgiravon meinen Plänen nicht begeistert sein.»Vergiß nicht, daß in Yarden eine Flucht-möglichkeit in den Makrokosmos besteht,Prinzessin!«

»Das ist mir gleichgültig«, gab sie zurück.»Wir werden nach Yarden gehen – auf

meine Weise!« verkündete ich. »Dort haben

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wir die Chance, den Umsetzer zu benutzen,außerdem kann ich vielleicht meinen Sohnwiedersehen.«

Ihr Gesicht veränderte sich, ich hatte sieniemals zuvor so wütend gesehen.

»Es geht dir ausschließlich um diesenMischling!« beschuldigte sie mich.

Ich vergaß mich und schlug ihr ins Ge-sicht. Sie wich vor mir zurück und sah michan wie einen Fremden. Ich begriff, daß ichmit diesem Schlag viel zerstört hatte, aber erließ sich nicht zurücknehmen.

»Ja«, fuhr sie mit entstellter Stimme fort.»Wenn du ihn zu ihr zurückbringst, wird siedich in Gnaden aufnehmen.«

Ich verstand sofort, daß sie von Ischtarsprach. Fast hätte ich erneut die Beherr-schung verloren.

»Wir sind beide müde«, sagte ich müh-sam. »Alles wird anders aussehen, wenn wiruns ausgeruht haben. Unsere Nerven wurdenin den letzten Tagen überbeansprucht.«

Sie ließ nicht locker.»Gib es doch zu!« rief sie aus. »Du

träumst davon, unsterblich zu werden wiesie und mit ihr zu leben. Du hast vergessen,daß du für die Freiheit der Arkoniden kämp-fen mußt. Was ist mit deinen Plänen, Orba-naschol III. zu vernichten?«

Mit dumpfer Stimme gab ich zurück: »Ichhabe nichts davon vergessen.«

Sie lachte spöttisch. Unser Gespräch wardamit beendet, wir hatten uns im Augen-blick nichts mehr zu sagen.

Mein Extrahirn meldete sich.Hat sie wirklich unrecht? Wann hast du

zum letztenmal an die Mörder deines Vatersgedacht?

Ich lauschte in mich hinein. In den ver-gangenen Tagen hatte ich kaum Zeit gefun-den, mich mit mir selbst zu beschäftigen.

Nein! dachte ich entschieden. Ich hattenichts vergessen, weder meine Freunde nochmeine Gegner im Makrokosmos.

Ich war entschlossen, dorthin zurückzu-kehren und den Kampf wieder aufzuneh-men.

Aber der Weg in den Makrokosmos führte

nur an den unsterblichen Varganen vorbei –mitten durch die Eisige Sphäre.

*

Meine Befürchtung, daß wir verfolgt wer-den könnten, bestätigte sich glücklicherwei-se nicht. Warquel hatte nicht versucht, unszu hintergehen. Der Tejonther machte einensehr niedergeschlagenen Eindruck, wahr-scheinlich hatte er mit seinem Leben abge-schlossen.

Ich beschloß, mich mit der Technik diesesSchiffes vertraut zu machen und die Gefan-genen früher oder später auf einem geeigne-ten Planeten abzusetzen. Die tejonthischenRaumfahrer bedeuteten für Crysalgira undmich nur eine Belastung.

Solange Crysalgira schlief, brachte ich diebeiden Toten zur Hauptschleuse und stießsie in den Weltraum. Dann kehrte ich in dieZentrale zurück und löste Warquel wiedervon den Fesseln, damit er sich frei vor denKontrollen bewegen konnte.

Ich sagte ihm, was ich vorhatte.Er schien überrascht zu sein, daß dieses

Abenteuer für ihn und seine Freunde soglimpflich verlaufen sollte.

»Denken Sie über die Bedeutung derKreuzzüge nach«, empfahl ich ihm. »Ich binsicher, daß sie zum Schaden Ihres Volkesveranstaltet werden.«

Er antwortete nicht, wahrscheinlich ge-hörte er zu den überzeugten Anhängern die-ser traditionellen Unternehmungen.

Ich war froh, als Crysalgira erwachte undmich ablöste. Kaum, daß ich mich in einemSitz niedergelassen hatte, schlief ich auchschon ein.

Meine unruhigen Träume drehten sich umIschtar, Magantilliken und jenen unheimli-chen Raum, der Schrecken und Verlockunggleichzeitig verhieß: die Eisige Sphäre.

ENDE

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