Upload
others
View
2
Download
1
Embed Size (px)
Citation preview
Heterogenität im Schulsystem, in der Schule und im Klassenzimmer: Forschungsergebnisse und Entwicklungsperspektiven für die Ganztagsschule
Prof. Dr. Alfred Holzbrecher
Heterogenität im pädagogischen Alltag
• Die Schüler/innen einer Lerngruppe unterscheiden sich in Bezug auf – Alter – Geschlecht – familiäre und ökonomische Situation
(„Kulturelles Kapital“) – Migrationshintergrund – Muttersprache – Religionszugehörigkeit – Begabungsprofil – Interesse – Leistungsfähigkeit und -bereitschaft
Wie gehen (1) das Bildungssystem (2) die Schule und (3) der Unterricht mit der Vielfalt der Lernenden um?
• Modell „Segregation“: optimale Lernförderung durch mehrgliedriges Schulsystem ?
oder
• Modell „Integration“: optimale Lernförderung in „einer Schule für alle“ ?
oder / und (?)
• Kommt es über die Systemfrage hinaus noch auf andere Faktoren an?
2
Mittelwerte: Hauptschule: 394; Int. Gesamtschule 459; Realschule 494; Gymnasium 582 Quelle: PISA 2000, Zsfsg S. 44
Überschneidungen der schulartspezifischen Schülerleistungen („Überlappungskurven“)
Systemebene: Schule und Heterogenität im internationalen Vergleich
Systemebene: Schule und Heterogenität im internationalen Vergleich
Systemebene: Schule und Heterogenität im internationalen Vergleich
Systemebene: Schule und Heterogenität im internationalen Vergleich
Welche Schule wollen wir?
• „Jedem das Seine“: gegliedertes, selektionsorientiertes Schulsystem
– Zuweisung auf Schulformen // Leistungsniveaus
– (fakt.) Reproduktion sozioökonomischer Schichten
• „Eine für alle“
– Lern-, Leistungs-/Entwicklungsförderung für alle und möglichst weitgehend
– Förderung v.a. bildungsbenachteiligter Schüler/innen
Ist eine „inklusive Schule“ besser?
Woran bemisst sich „gute Schule“?
Qualitätskriterien • Output / (durchschnittliche) Kompetenzen der Schüler/innen
(vgl. IGLU, PISA)
• Leistungsfähigkeit der Schulsysteme, möglichst vielen Sch. einen möglichst hohen Bildungsabschluss zu ermöglichen?
• Gesellschaftliche Teilhabe: Erfahrung dazu zu gehören und nicht ausgeschlossen zu werden („Bildung als Menschenrecht“)
• Preis-Leistungs-Verhältnis: Wie teuer ist ein gegliedertes vs. ein integratives Bildungssystem? (wie hoch sind die gesellschaftlichen Kosten sozialer Ungleichheit?)
Woran bemisst sich „gute Schule“?
Qualitätskriterien • Output / (durchschnittliche) Kompetenzen der Schüler/innen (vgl. IGLU, PISA)
• Leistungsfähigkeit der Schulsysteme, möglichst vielen Sch. einen möglichst hohen Bildungsabschluss zu ermöglichen?
• Gesellschaftliche Teilhabe: Erfahrung dazu zu gehören und nicht ausgeschlossen zu werden („Bildung als Menschenrecht“)
• Preis-Leistungs-Verhältnis: Wie teuer ist ein gegliedertes vs. ein integratives Bildungssystem? (wie hoch sind die gesellschaftlichen Kosten sozialer Ungleichheit?)
• Schule als „lernende Organisation“: Arbeit an integrierter Bearbeitung der Qualitätsbereiche – Leistung, Umgang mit Vielfalt, Unterrichtsqualität, Verantwortung,
Schulklima, Kooperationen (vgl. Deutscher Schulpreis)
Entwicklungsaufgabe Inklusionspädagogik
Vision without action is merely a dream.
Action without vision just passes time.
Vision with action can change the world!
Entwicklungsaufgabe Inklusionspädagogik
• neuer Schlüsselbegriff für Umgang mit Heterogenität
• schließt alle Differenzlinien mit ein (Alter, Geschlecht, Herkunft, Kultur, Religion, Leistungsvermögen, spezifische Stärken / Begabungen und Schwächen / Behinderungen..)
• „es ist normal, verschieden zu sein“
– Verzicht auf Normalitätskonstrukt
– Verzicht auf Stigmatisierung derer, die der Norm nicht entsprechen
– Achtsamkeit gegenüber der Dynamik sozialer Zuschreibungen (die sich meist an unhinterfragter Norm orientieren)
Warum „Individualisierung“ ?
• Kontext: Forschungsbefunde
– Mittelmäßige Ergebnisse bei PISA
• (inwiefern) ist die Struktur des Schulsystems entscheidend für die (frühen und nachhaltigen) Selektionswirkungen? // Perspektive Gemeinschaftsschule?
• Bedeutung eines lebendigen Schullebens bzw. einer wertschätzenden Lernkultur? // Perspektive Ganztagsschule?
Warum „Individualisierung“ ?
• Kontext: Forschungsbefunde – „Mit zunehmender Differenzierung des Schulsystems entsteht
die Gefahr entwicklungsbeeinträchtigender Lernmilieus“ (Baumert 2006)
– „Die Erwartung, die weniger anspruchsvolle Hauptschule sei in besonderer Weise geeignet, sich auf ihr Schülerklientel dadurch einzustellen, im Unterricht durch besondere Förderung eine Angleichung an die Standards anderer Bildungsgänge zu erreichen, ist (…) in vollem Umfang widerlegt worden.“ (Rösner 2007)
– Je länger ein Schüler in der Förderschule zugebracht hat, desto schlechter sind sowohl seine Rechtschreibleistungen als auch seine Intelligenztestwerte.“ (Wocken 2005)
Die Hamburger LAU – Studie (Lehmann 2001; Vieluf 2003)
Design: Leistungsentwicklung eines vollständigen Schülerjahrgangs ab Kl. 5 wurde erfasst. Tests (Lesen, Sprache, M, E) in zweijährigem Zyklus und mit Hintergrundvariablen verbunden (schlussfolgerndes Denken, Geschlecht, Migrationsstatus, Bildungshintergrund der Eltern).
Zentrale Befunde:
– Schüler/innen mit ungünstigen Lernvoraussetzungen zeigen in Hauptschulen mit deutlichem Abstand den geringsten Lernfortschritt („anregungsarmes Lernmilieu“)
– gleichzeitig: Realschulklassen trotz ‚Homogenisierung‘ keine nennenswerte Leistungsvorteile
– deutlich geringere Sitzenbleiberquote an integrierten Haupt- und Realschulen
– Problem: Auch in integrierten Systemen lernen stärkere Schülerinnen und Schüler schneller als schwächere Schüler/innen
Die Hamburger LAU – Studie (Lehmann 2001; Vieluf 2003)
Design: Leistungsentwicklung eines vollständigen Schülerjahrgangs ab Kl. 5 wurde erfasst. Tests (Lesen, Sprache, M, E) in zweijährigem Zyklus und mit Hintergrundvariablen verbunden (schlussfolgerndes Denken, Geschlecht, Migrationsstatus, Bildungshintergrund der Eltern).
Zentrale Befunde:
– Schüler/innen mit ungünstigen Lernvoraussetzungen zeigen in Hauptschulen mit deutlichem Abstand den geringsten Lernfortschritt („anregungsarmes Lernmilieu“)
– gleichzeitig: Realschulklassen trotz ‚Homogenisierung‘ keine nennenswerte Leistungsvorteile
– deutlich geringere Sitzenbleiberquote an integrierten Haupt- und Realschulen
– Problem: Auch in integrierten Systemen lernen stärkere Schülerinnen und Schüler schneller als schwächere Schüler/innen
„So zieht sich als roter Faden durch die LAU-Studien, dass die Gegenwart leistungsstärkerer Schülerinnen und Schüler durchgehend zu höheren Lernfortschritten der leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler führt, ohne dass ein Nachteil für die leistungsstärkeren Schülerinnen und Schüler die Folge sein muss“ (Vieluf 2003, S. 38)
Inklusion beginnt im Kopf
• Empirische Befunde – „Kinder und Jugendliche mit Förderbedarf lernen
im gemeinsamen Unterricht im kognitiven Bereich mehr und besser als in Förderschulen
– Kinder und Jugendliche ohne Förderbedarf lernen im gemeinsamen Unterricht im kognitiven Bereich nicht weniger.
– Kinder und Jugendliche ohne Förderbedarf lernen im Bereich des sozialen Lernens im gemeinsamen Unterricht mehr.“ (Klemm)
Zur Wirksamkeit unterschiedlicher Schulsysteme
„Insgesamt zeigt sich (..), dass eine längere, über die Grundschulzeit
hinausgehende gemeinsame Lernzeit oder die Einführung einer
integrierten Schulart wie die Gemeinschaftsschule einen Beitrag
zu mehr Bildungsgerechtigkeit darstellen, weil Effekte
leistungsfremder und stark schichtspezifisch oder
migrationsbedingt geprägter Bildungsentscheidungen
abgeschwächt werden (zus.f. Fend 2009:45 ff).
Es bleibt schlicht mehr Zeit, um individuell dynamische oder sich
verändernde Entwicklungen berücksichtigen zu können, wovon
insbesondere Kinder und Jugendliche mit einem niedrigen
sozioökonomischen Hintergrund profitieren“. (Bohl 2013:104)
Entwicklungsperspektive „von der offenen zur gebundenen Ganztagsschule: Verknüpfung von „Vormittag“ und „Nachmittag“
Grundstrategien der Rhythmisierung
• Größere Zeiteinheiten schaffen – Doppelstunden // Option der Zusammenlegung
(vgl. PÄDAGOGIK H.3/2010)
• Zeit gewinnen für neue pädagogische Vorhaben – z.B. fächerverbindender Unterricht, regelmäßige Projekttage
• Strukturierung des Tages & der Woche nach Lerntätigkeiten
– Berücksichtigung der physiologischen Leistungskurven im Tagesverlauf, Einbeziehung von Phasen des Spiels, der Bewegung, der Ruhe... bzw. erlebnis- und gruppenpädagogischer Elemente
• Zeit für Teambildung & Kooperationen
Entwicklungsperspektive „von der offenen zur gebundenen Ganztagsschule: Verknüpfung von „Vormittag“ und „Nachmittag“
flexiblere didaktische und methodische Gestaltung des Unterrichts
• verstärkte Einbeziehung von Gruppenarbeit,
eigenverantwortlichen Arbeitsphasen, Exkursionen, außerschulischen Lernorten, außerschulischen Experten...
• Forschendes Lernen durch (mehr) Projektphasen
• Binnendifferenzierende Lern-Förderung für alle Schüler/innen
• Integration von Phasen der Erkundung, Übung, Vertiefung.. (statt „Hausaufgaben“)
Entwicklungsperspektive „von der offenen zur gebundenen Ganztagsschule: Verknüpfung von „Vormittag“ und „Nachmittag“
Umsetzung eines professionellen Förder-Konzepts
• Individualisierung des Lernens
• abgestimmte Förderpläne für jede/n SchülerIn &
professionelle Betreuung – in Kooperation mit außerschulischen Partnern bzw.
außerunterrichtlichen Angeboten
• Mentoring-/Paten-Konzept, altersgemischtes
Lernen
Entwicklungsperspektive „von der offenen zur gebundenen Ganztagsschule: Verknüpfung von „Vormittag“ und „Nachmittag“
Schulentwicklung im Bildungsraum
• Öffnung von Schule nach außen / Sozialraumorientierung
• Partizipation von Schülern & Eltern erweitern
• Individuelle Förderung in Kooperation
• Verzahnung von außerunterrichtlichen Angeboten und Unterricht (Projekte, Absprachen)
• Entwicklungsorientierung durch Selbstevaluation, Fortbildung / Professionalisierung
Quellen / Literatur
• Bohl, Thorsten / Sybille Meissner (Hg.) Expertise Gemeinschaftsschule; Forschungsergebnisse und Handlungsempfehlungen für Baden-Württemberg, Weinheim/Basel
• Döbert, Hans u.a.(Hrsg.) Die Schulsysteme Europas, Baltmannsweiler (Schneider Verlag Hohengehren) 2004
• Nathalie Fischer u.a. (2011), Ganztagsschule: Entwicklung, Qualität, Wirkungen. Längsschnittliche Befunde der Studie zur Entwicklung der Ganztagsschule (StEG), Weinheim (Juventa),
• Klaus Klemm, Gemeinsam lernen, Inklusion leben, Gütersloh 2009 http://www.bertelsmann-stiftung.de/bst/de/media/xcms_bst_dms_32811_32812_2.pdf
• Vieluf, Ulrich (2003) LAU 13 - Erste Ergebnisse. : In: Hamburg macht Schule, 18 (2006) 1, S. 32
• http://de.wikipedia.org/wiki/LAU-Studie
Aufgabe bis 31.Mai
Aufgabe bis 31.Mai
• Lesen Sie den Text „Binnendifferenzierung.Matrix“ als Hintergrund • Wählen Sie aus den Kombinationsmöglichkeiten der Matrix 2 bis 3
aus, die Ihnen sinnvoll und didaktisch begründbar erscheinen und • suchen / (er)finden Sie (aus einem Ihrer Fächer) dazu passende
differenzierende Aufgaben, • nach Möglichkeit mit Quellenverweisen aus der Fachdidaktik • auf max 1 Din-A-4-Seite und • laden Sie diese auf stud.ip in den vorbereiteten Ordner • Wir werden die Aufgabensammlung sortieren bzw.
ausgewählte in der Vorlesung am 20. oder 27.6. besprechen
Aufgabe bis 31.Mai
Aufgabe bis 31.Mai
• Lesen Sie den Text „Differenzlinien und didaktische Differenzierung“ als Hintergrund
• Wählen Sie aus den Kombinationsmöglichkeiten der Matrix 2 bis 3 aus, die Ihnen sinnvoll und didaktisch begründbar erscheinen und
• suchen / (er)finden Sie (aus einem Ihrer Fächer) dazu passende differenzierende Aufgaben,
• nach Möglichkeit mit Quellenverweisen aus der Fachdidaktik • auf max 1 Din-A-4-Seite und • laden Sie diese auf stud.ip in den vorbereiteten Ordner • Wir werden die Aufgabensammlung sortieren bzw.
ausgewählte in der Vorlesung am 20. oder 27.6. besprechen
Alfred Holzbrecher
Differenzlinien und didaktische Differenzierung
Der klassische Unterricht funktioniert nach der 7-g-Logik: „Alle gleichaltrigen Schüler
haben zum gleichen Zeitpunkt beim gleichen Lehrer im gleichen Raum mit den gleichen
Mitteln das gleiche Ziel gut zu erreichen“ (Helmke 2013:36). Die Orientierung an den
„Mittelköpfen“, wie E.Chr.Trapp im 19. Jahrhundert formulierte, unterfordert die Einen
und überfordert die Anderen, im Belehrungsmodus nicht berücksichtigt werden auch et-
wa unterschiedliche Lernzugänge oder Lerntempi, ganz zu schweigen etwa von entwick-
lungsbedingten Lernhemmungen.
Die vielzitierte Metastudie von Hattie (2009: Visible Learning) zeigt, dass individualisiertes
Lernen ein großes Potenzial zur Lernförderung hat, aber nicht per se zu besseren Lerner-
gebnissen führt. „(..) Es kommt weniger auf das OB an, sondern auf das WIE, insbeson-
dere darauf, inwiefern
- Dosierung und Timing angemessen sind;
- die Lehrer hohe Erwartungen haben und die Aufgaben herausfordernd und an-
spruchsvoll sind;
- die Lehrperson eine positive Einstellung zu den Grundgedanken der Individualisie-
rung hat und sich intensiv engagiert, um in die Lernprozesse ihrer Schüler Einblick zu
nehmen;
- das Lernen in einem von Respekt, Wertschätzung und Fehlerfreudigkeit gekennzeich-
neten Klima stattfindet und vielfältige Angebote zur kognitiven und sozialen Schüler-
aktivierung gemacht werden; die Unterrichtszeit effizient für da Lernen genutzt wird.“
(Helmke 2013: 36)
Kurz: Die wichtigsten Medien sind wir selbst (als Lehrpersonen), und Lehrerprofessiona-
lität besteht darin, nach einer Diagnose des Lernstands und einer Einschätzung der An-
eignungsaktivität der konkreten Lernenden („adaptiv“) unterschiedliche didaktische Re-
gister ziehen zu können, d.h. individualisiertes, kooperatives und instruktionsorientiertes Lernen
didaktisch begründet zu „mischen“ bzw. zu verflechten.
Grundlegend dafür scheint ein Paradigmenwechsel weg von der Belehrung/Vermittlung
(„beybringen“) hin zu einem Denken, von der Lernaktivität der Schüler/innen selbst
auszugehen und „mit den Augen der Lernenden sehen“ zu lernen (Groeben 2013:6).
Didaktische Kompetenz, binnendifferenzierend Lernumgebungen gestalten
beinhaltet also,
diagnostische Kompetenz
- Wie können der Lernstand, die Stärken/Schwächen, bevorzugte Lernzugänge,
mögliche Ursachen für Lernblockaden etc. erkannt und sichtbar gemacht wer-
den?
didaktische Kompetenz:
- Welche Qualität der Herausforderungen / Aufgaben und Dosierung der Un-
terstützungsformen ist angemessen, um den Lernenden Erfolgs-
(Selbstwirksamkeits-)Erfahrungen zu ermöglichen? // welches didaktische
„Register“ erscheint besonders geeignet dafür?
- In welcher Weise kann durch das didaktische Arrangement den Lernenden die
Erfahrung vermittelt werden, welche Lernwege die für sie effektivsten sind, so
dass sie ihr Lernen zunehmend selbst gestalten / regulieren können?
Evaluationskompetenz
- Inwiefern war das Lernangebot gemessen an den Lernvoraussetzungen der
Schüler_innen angepasst bzw. „adaptiv“ genug gestaltet?...
Lehr-Kompetenz bzw. die Gestaltung von Lernumgebungen lässt sich im Sinne der
Praxisforschung als Spiralprozess beschreiben, in dem die Lehrtätigkeit zu einem
Oszillieren zwischen einem „diagnostischen Abtasten“ und reflektierten didaktischen
Gestalten mit dem vielfältigen Spektrum an differenzierenden Lernmethoden wird:
A B C D E F G H I K
Didaktische Differenzie-rung Differenzlinien:
Sozial-form
1
Methodische und mediale Zugänge
2
Lern-tempo
3
Art der kognitiven Aktivitäten
4
Schwierig-keitsgrad
5
Scaffolding6
/ Helfer-systeme
Stoff-umfang
Lern- ziel
7
Selbst- Differen-zierende Aufgaben
8
Haus-aufgaben
1 Leistungsfähigkeit 2 Interesse / Leistungsbereit-
schaft
3 Vorwissen / Lernvorausset-zungen
4 Spez. Begabung / Behinde-rung
5 Lernstil 9
6 Alter 7 Geschlecht 8 Sprachkenntnisse 9 Lebenswelt /
soziokulturelle Herkunft
10 Zuwanderungsgeschichte
1 1.Einzelarbeit; 2.Gruppen-/Partnerarbeit; 3.Instruktion/Frontalunterricht entsprechend der Unterrichtsphase im Kontext der U-Reihe
2 z.B. entlang der Kategorien: 1) wissen, verstehen, durchdringen, sich auskennen mit, informiert sein über / 2) sprechen, kommunizieren, berichten, erzählen, erfragen /3)
erarbeiten, herstellen, gestalten, methodisch umgehen mit /4) vergleichen, bewerten, beurteilen, reflektieren, bedenken, entscheiden /5) das eigene Lernen beobachten, be-schreiben, reflektieren und weiterentwickeln (Metakognition) (Ziener/Kessler, Kompetenzorientiert unterrichten Seelze 2012: 51 ff. (Klett/Kallmeyer) 3 Vgl. Enrichment, Akzeleration
4 Z.B. explorieren, formulieren, begründen, verallgemeinern…
5 Vgl. Kleinschrittigkeit der Lösungsschritte, Abstraktheit vs. Anschaulichkeit des Zugangs // deduktive vs. induktive Didaktik; sprachliche Komplexität der Aufgabenstellung;
Vorstrukturiertheit von Aufgabe und geforderter Lösung, Bekanntheitsgrad der Mittel/Wege zur Lösung… 6 Gezielte Stützmaßnahmen / Hilfen und individualisiert Wegnehmen der Stützen
7 Zielgleicher vs. zieldifferenter Unterricht: Was ist „Fundamentum“ und was ist „Additum“?
8 Z.B. kreative Bearbeitung, mediale Umsetzung, Kniffelaufgaben….
9 z.B. verbal-sprachl.Lerner, log.-math.L., visuell-räuml. L., physisch-kinästhet.L. (vgl. Konzept der „7 Intelligenzen“ (H. Gardner)); oder: eher induktiv (über Anschauung zur Abs-
traktiv) vs. eher deduktiv (abstrakt-logischer Zugang, ggf. angereichert mit Beispielen)
Diese Matrix ist ein Versuch, ein wenig Ordnung ins Themenfeld zu bringen, sie könnte
eine heuristische Funktion haben, d.h. zur didaktischen Reflexion und zur Diskussion der
Sinnhaftigkeit von didaktischer Differenzierung entsprechend den einzelnen
Differenzlinien anregen. Vor allem aber könnte sie didaktische Phantasie freisetzen,
indem neue Ideen generiert werden.
Bevor einige der Felder bzw. Kombinationsmöglichkeiten durchdekliniert werden,
vorweg eine grundsätzliche Bemerkung: Indem nach bestimmten Differenzlinien (z.B.
Geschlecht, Zuwanderungsgeschichte etc.) unterschieden und beispielsweise Gruppen
eingeteilt oder unterschiedliche Aufgaben gestellt werden, wird diese Unterscheidung für
die Lernenden sichtbar gemacht, damit aber besteht auch die Gefahr einer sozialen
Zuschreibung bzw. einer Fest-Stellung dieser Differenz, - was häufig für das Sozialgefüge
der Klasse und für das Selbstbild der Lernenden kontraproduktiv ist.
A 1 ff.
Je nach Unterrichtsinhalt in einer bestimmten Phase der Unterichtsreihe erscheint relativ
unproblematisch, im flexiblen Wechselspiel von Instruktionsphasen (Frontalunterricht) und
Einzel- sowie Partner-/Gruppenarbeit die unterschiedlichen kognitiven und habituellen
Voraussetzungen (2,3,4,5) zu berücksichtigen, - über eine Neigungsdifferenzierung
hinaus, indem man als Lehrperson (ggf. vorsichtig) steuernd in die Gruppenbildung
eingreift und etwa gezielt bzw. didaktisch reflektiert leistungshomogene oder
leitungsheterogene, geschlechtsgetrennte oder -gemischte, altersgleiche oder -differente…
Gruppen bildet.
Von entscheidender Bedeutung ist also nicht nur die didaktische Reflexion der
Gruppenbildung in den einzelnen Phasen der Unterrichtsreihe, sondern auch die
Reflexion der didaktischen Funktion von Instruktion bzw. individualisierendem bzw.
kooperativem Unterricht: Unverzichtbar ist der Frontalunterricht sicher als Einführung in
eine Thematik („input“), aber auch zur strukturierten und Überblick vermittelnden
Darstellung.
Für leistungsschwächere Schüler – so legen empirische Befunde nahe – dürften stärker
gelenkte Sozialformen eher lernförderlich sein, d.h. sie sind durch ein größeres Maß an
Freihheit tendenziell überfordert - und müssten Arbeit in Gruppen erst (klein)schrittweise
und strukturiert lernen. Gerade mit Blick auf diese Schülergruppe gilt es nach einer
angemessenen „Dosis“ der Mischung zwischen stark strukturierten Methoden (z.B. auch
Frontalunterricht) und solchen, die das selbstbestimmte und tendenziell selbstregulierte
Lernen fördern.
B 1 ff.
Ein Angebot unterschiedlicher methodischer und medialer Zugänge wird ebenfalls – z.B.
im Rahmen einer Neigungsdifferenzierung – sowohl den Leistungsstarken als auch den
-schwachen entgegenkommen, insbesondere den Lernenden mit unterschiedlichen
Lernstilen. Ein hohes Differenzierungspotenzial ergibt sich, wenn man – didaktisch
reflektiert – den Wechsel zwischen instruktiven, individualisierenden und kooperativen
Lernphasen im Verlauf einer Unterrichtsreihe nutzt, um auch eine Gruppeneinteilung
nach unterschiedlichen methodischen und medialen Zugängen vorzunehmen.
C 1 - 4
Eine Differenzierung nach Lerntempo dürfte primär in leistungsheterogenen Gruppen
bedeutsam sein (C 1 / C 3), wobei die Geschwindigkeit („Tempo“) immer im
Zusammenhang mit den anderen Differenzierungskategorien (D, E, G und F) zu sehen
ist: „Lerntempo“ könnte differenzierter verstanden werden, indem man den Lernweg von
A nach B entweder in 2, 3 oder 6 Teilschritte zurücklegt (s. Grafik) – und dafür
unterschiedlich lange braucht:
(Bönsch 2000:150)
Eine Differenzierung nach Lerntempo (in Kombination mit anderen
Differenzierungsformen) dürfte eine zentrale Kategorie bei der Gestaltung differenzierter
Lernumgebungen darstellen. Deren Berücksichtigung ist ein wirksames Heilmittel gegen
einen Belehrungsunterricht, der (vgl. die 7 G‘s von Helmke) davon ausgeht, dass alle
diejenigen, die nicht im gleichen Tempo lernen, abgeschult bzw. herausselektiert werden.
D 1 ff.
Je nach Phase im Unterrichtsverlaufs geht es (schwerpunktmäßig) um unterschiedliche
kognitive Aktivitäten wie Erkunden, Finden von Gesetzmäßigkeiten und
Zusammenhängen, Vergleichen, Einordnen in größere Zusammenhänge / Ordnen und
Systematisieren, Verallgemeinern, Austauschen etc., ein Spektrum, das irgendwann
natürlich alle Schüler_innen kennen und können müssen. Gerade für die Phase des
Erkundens neuer Zusammenhänge könnten selbstdifferenzierende, offene
Erkundungsaufträge gestellt werden, die für schwächere Schüler konkreter und
materialgestützter stattfinden können, bei der Phase des Übens und Wiederholens bietet
dann auch wieder (vgl. E, F, I) ein sehr breites Spektrum an Differenzierungs-
möglichkeiten (vgl. Leuders 2013: 191).
F Ein auf spezifische Schwierigkeiten der Lernenden abgestimmtes Helfersystem) bietet –
so das Scaffolding-Konzept – die Möglichkeit, bei allen kognitiven Aktivitäten bzw. in
allen Unterrichtsphasen gezielte Hilfen / Stützen zu geben, die dann – je nach
Lernfortschritt – dosiert wieder weggenommen werden. Solche Stützen können auch
andere methodische und mediale Zugänge (B), Umwege über andere kognitive Zugänge
(D) oder Schwierigkeitsgrade (E) sein, eine Differenzierungsmöglichkeit, die sich
besonders für Lernende anbietet, denen der Lernstoff – aus welchen Gründen auch
immer (vgl. 8, 9, 10) „fremd“ erscheint.
G, H
Eine Abkehr von den 7 G’s (Helmke) beinhaltet ein Nachdenken darüber, in welcher
Weise man die Bildungspläne in Richtung auf das Fundamentum-Additum-Konzept hin
entwickeln kann:
Förderung: Grundbegriff schulpädagogischen Handelns
jede/r wird
soweit wie möglich
durch Aufgaben herausgefordert
und unterstützt
FörderungMindeststandards
für alle
Ein Mindeststandard an Kompetenzen muss unverzichtbare Grundlage sein, und jede/r
soll kompensatorisch so lange gefördert werden, bis der Standard erreicht ist. Darüber
hinaus sind differenzierte Aufgabenformate zu entwickeln, die auch und gerade den
Leistungsstarken entgegenkommen (zieldifferenter Unterricht) ! Dabei bietet sich in allen
Unterrichtsphasen das breite Spektrum an Differenzierungsmöglichkeiten im Unterricht
(A – I) ebenso wie bei den Hausaufgaben (K) an.
I
„Selbstdifferenzierende Aufgaben“ bieten neben unterschiedlichen methodischen und
medialen Zugängen (B) und Arten der kognitiven Zugänge (D) den Lernenden selbst die
Möglichkeit herauszufinden, welche Lernwege für sie „passend“ und „effizient“ sind.
Anspruchsvoll konzipiert und in eine Feedback-Kultur eingebettet, dienen
„selbstdifferenzierende Aufgaben“ der Entwicklung der Fähigkeit zur Metakognition und
damit der Kompetenz, das eigene Lernen zunehmend in die
eigene Verantwortung zu übernehmen.
K
Differenzierungsmöglichkeiten bei
Hausaufgaben10 könnten
nach Höhmann u.a. (2007) sein:
• Unterschiedlich viele HA geben
• Lernenden die Menge der HA selbst bestimmen lassen
• Leistungsstarken Sch. zusätzliche HA geben
• Leistungsstarken Sch. Aufgaben aus anderen Lehrwerken geben
• Lernenden sich selbst HA stellen lassen
• Lernenden sich gegenseitig Aufgabenblätter anfertigen lassen
• HA-Tandems: Sch. unterschiedlicher Leistungsniveaus zusammen üben oder die Inhalte für eine Lernkontrolle wiederholen lassen...
• Lieber öfter als viel und selten
• Unterschiedlich schwierige Aufgaben, Sch. entscheiden selbst, welche sie bearbeiten
• Eine Gruppe bekommt komplexe Aufgabe und vereinbart, wer welche Teilaufgabe(n) bearbeitet („Experten“ bilden)
„Lernen sichtbar machen“ wurde das Themenheft (Dez. 2010) der Zeitschrift PÄDAGOGIK (s. nebenstehendes Zitat) betitelt. Ebenso lautet der Titel der deutschen Übersetzung der Hattie-Studie, die im Mai 2013 erscheinen soll. Vielleicht ist „Visible Learning“ ein Schlüsselbegriff für didaktische Entscheidungen im differenzierenden Unterricht:
10 Zum Thema „Hausaufgaben“ vgl. auch das
Themenheft März 2013 der Zeitschrift
PÄDAGOGIK (Beltz)
(Eikenbusch 2010:9)
Literatur: Bönsch, Manfred (2000): Intelligente Unterrichtsstrukturen. Ein e Einführung in die Differenzierung, Baltmannsweiler (Schneider Verlag Hohengehren)
Eikenbusch, Gerhard (2010): Lernen sichtbar machen. Wie man Einsicht in Lern-Landkarten bekommt, in: PÄDAGOGIK 62 (2010) 12, S. 6-9
Groeben, Annemarie v.d., (2013): Mit den Augen der Lernenden sehen. Individualisierung als didaktische Herausforderung, in: PÄDAGOGIK 65 (2013) H.2/Febr. („Individualisierung im Fachunterricht“), S. 6-10
Helmke, Andreas (2013). Individualisierung: Hintergrund, Missverständnisse, Perspektiven, in: PÄDA-GOGIK 65 (2013) H.2/Febr. („Individualisierung im Fachunterricht“), S.34-37
Höhmann, K., Kohler, B., Mergenthaler, Z. & Wego, C. (2007): Hausaufgaben an der Ganztagsschule. Schwalbach/Ts.: Wochenschau Verlag
Leuders, Timo (2013): Standards und Unterrichtsentwicklung am Beispiel des Faches Mathematik, in: Th. Bohl / S.Meissner (Hg.), Expertise Gemeinschaftsschule. Forschungsergebnisse und Handlungsempfeh-lungen für Baden-Württemberg, Weinheim und Basel (Beltz), S. 179-194