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Hildegard Pezolt - Sagen aus sterreich

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D i e E r o b e r u n g v o n K u f s t e i n

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M I T4 F A R B T A F E L N U N D 8 0 Z E I C H N U N G E N

V O NH I L D E G A R D P E Z O L T

V E R L A G C A R L U E B E R R E U T E RW I E N - H E I D E L B E R G

SAGENAUS

ÖSTERREICH

Page 6: Hildegard Pezolt - Sagen aus sterreich

A L L E R E C H T E V O R B E H A L T E N

© 1950 B Y C A R L U E B E R R E U T E R D R U C K U N D V E R L A G (M. S A L Z E R ) W I E N

J 83

P A P I E R : M A T T H Ä U S S A L Z E R S S Ö H N E / W I E N

D R U C K : C A R L U E B E R R E U T E R / W I E N

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Vorwort zur ersten Auflage

Die freundliche Aufnahme und die Zustimmung, die der erste Band „Sagen aus Österreich" bei jung und alt gefunden hat, ermutigen den Verlag, einen weiteren Band ausgewählter Sagen anzureihen, die wieder dem reichen Sagenschatz unserer Heimat entnommen und, nach Bundes-ländern geordnet, aneinandergefügt sind. Bereichert wurde die Samm-lung außerdem um einige Sagen, die ihren Ursprung wohl nicht im heu-tigen Österreich, sondern im angrenzenden deutschen Sprachgebiet haben mögen, die aber ihrer Überlieferung und Verbreitung nach in unser Land hereinstrahlen.

So wird denn auch der vorliegende Band dazu beitragen, die Liebe zu altem Volksgut lebendig zu halten.

Was einst unsere Vorväter in früheren Zeiten ihren Kindern erzählt und vererbt haben, ist wert, daß es wieder aufgefrischt und an unsere Jugend weitergegeben wird.

Wien, im Sommer 1950

Dr. Alois Pischinger

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W I E N

Meister Martin Eisenarm

Einst lebte in Wien ein Schmied, Meister Martin, der wegen seinergewaltigen Stärke in der ganzen Stadt bekannt und berühmt war;

man hieß ihn deshalb den „Eisenarm". Der Schmied hatte noch eineandere Eigenart, die dazu beitrug, daß ihn seine Mitmenschen mit be-sonderen Augen ansahen. Er arbeitete nämlich in seiner Werkstatt tag-täglich, auch an Sonn- und Feiertagen, wiewohl dies gegen jeden Brauchund gegen das Kirchengebot verstieß, aber nur so viel und so lange, biser vier Groschen verdient hatte. Dann legte er sein Schurzfell ab undsperrte seine Werkstatt zu. Mochte man ihm auch goldene Berge ver-sprechen, nichts konnte ihn dazu bewegen, einen Hammer oder eineZange in die Hand zu nehmen. Die Wiener hatten sich mit dieser Ge-wohnheit des wackeren Meisters längst abgefunden, aber sie versäumtenes nicht, jeden Fremden, der in der Stadt eintraf, auf das seltsame Be-nehmen ihres Mitbürgers aufmerksam zu machen.

Als im Jahre 1237 Kaiser Friedrich I I . nach Wien kam und sich nachErledigung der Staatsgeschäfte auch um die Merkwürdigkeiten der Stadterkundigte, erzählte man ihm unter anderem auch von Meister Martinund seiner seltsamen Gepflogenheit. Kopfschüttelnd vernahm der Kaiserdie sonderbare Geschichte und wollte den Mann mit eigenen Augensehen. So wurde denn Martin an den Hof berufen, wo ihn der Kaisernicht allzu gnädig empfing; denn er fand es als ganz ungehörig, daß derSchmied auch an den höchsten Feiertagen arbeitete.

„Ist alles wahr, was man von dir erzählt?" fragte er unwillig. DerMeister blickte dem Herrscher offen in die Augen und gestand freimütig,daß es damit seine Richtigkeit habe.

„Warum müssen es gerade vier Groschen sein, die du täglich verdienenwillst?" forschte der Kaiser weiter.

„Herr", erwiderte der Schmied, „ich habe mir zum Vorsatz gemacht,jeden Tag so viel zu verdienen, als ich benötige, und mehr als vierGroschen brauche ich nicht."

„Und was machst du mit den vier Groschen?" erkundigte sich Fried-rich neugierig.

„Einen verschenke ich", meinte Meister Martin, „einen erstatte ich,einen werfe ich weg und einen verwende ich für mich."

Verwundert hörte der Kaiser diese Auskunft und meinte: „Das istmir unverständlich; erkläre es mir näher!"

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M e i s t e r M a r t i n E i s e n a r m

„So hört, mein Herr und Kaiser!" gab der Schmied zur Antwort;„einen Groschen verschenke ich an die Armen; den zweiten gebe ichmeinem Vater zum Lebensunterhalt und erstatte ihm damit das zurück,was er in meiner Jugend, als ich noch nichts verdienen konnte, für michausgelegt hat; den dritten Groschen überlasse ich meiner Frau zur belie-bigen Verwendung, der ist wahrlich weggeworfen; denn sie braucht ihnzu nichts anderem als zu Tand und Vergnügen; den letzten endlichverwende ich selbst für meine eigenen Bedürfnisse. Ihr seht also, gnä-digster Herr, ich finde mit vier Groschen reichlich mein Auslangen, wieich Euch schon gesagt habe."

„Nicht übel!" meinte der Kaiser, dessen Miene bei den Worten desSchmieds immer wohlwollender geworden war. „Eisenarm, du kannstgehen und weiterarbeiten wie bisher. Aber sage keinem Menschen einSterbenswörtchen von unserer Unterredung! Erst wenn du hundertmaldas Angesicht deines Kaisers gesehen hast, darfst du darüber sprechen."

Der Schmied versprach, den Willen des Herrschers zu erfüllen, ver-neigte sich ehrerbietig und ging seiner Wege. Der Kaiser aber ließ seineRäte zusammenberufen und legte ihnen, um ihre Weisheit zu prüfen,folgende Frage vor: „Sagt mir, wie würdet ihr vier Groschen verwenden,von denen der erste verschenkt, der zweite erstattet, der dritte weg-geworfen und der vierte verbraucht wird?"

Verlegenes Schweigen entstand in der Runde. Keiner der Räte wußteauf diese Frage eine Antwort zu geben. Da sagte der Kaiser: „Ich gebeeuch acht Tage Frist, die Sache wohl zu überlegen; dann aber möchte icheure Antwort hören."

Doch vergebens bemühten sich die weisen Herren um die Lösung desRätsels. Keinem gelang es, eine befriedigende Antwort zu finden. End-lich kam einer von ihnen auf die Vermutung, die Frage könnte mit demErscheinen des Schmieds vor dem Kaiser in Zusammenhang stehen. Siesuchten also den Meister auf und begannen ihm heftig zuzusetzen. Langewollte Eisenarm nicht mit der Farbe herausrücken. Als sie ihm aber allesversprachen, was er sich etwa als Belohnung wünschen wollte, sagte er:

„Ich will euch die Deutung der Frage geben, wenn ihr mir hundertGoldgulden bringt."

Das Geld wurde herbeigeschafft und dem Schmied vorgezählt. Diesernahm jede einzelne Münze, besah sie genau, eine nach der andern, underzählte sodann, was es mit den vier Groschen für eine Bewandtnis habe.Zufrieden entfernten sich die Herren.

Als die festgesetzte Frist verstrichen war, erschienen die Räte vor demKaiser und gaben auf seine Frage die richtige Antwort. Mißmutig er-kannte Friedrich, daß die hochweisen Herren aus der rechten Quellegeschöpft haben mußten; denn nur der Schmied war in der Lage, ihnenso genaue Auskunft zu geben. Er ließ daher den Meister zu sich berufen

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und warf ihm mit zornigen Worten seinen Ungehorsam vor. „Habe ichdir nicht ausdrücklich untersagt", schloß er mit finsterer Miene, „auchnur ein Wort von unserem Gespräch verlauten zu lassen? Warum hastdu mein Verbot übertreten?"

„Das habe ich nicht getan", erwiderte mit fester Stimme der Schmied;„die Herren brachten mir hundert Goldgulden, und ich habe mir hun-dertmal das Antlitz meines gnädigen Kaisers besehen, bevor ich Aus-kunft gegeben habe. Unter dieser Voraussetzung aber durfte ich nachEuren eigenen Worten, erhabener Herrscher, reden."

Lachend vernahm der Kaiser diese Auslegung seines Gebotes und ver-abschiedete den schlauen Schmied mit einem ansehnlichen Geschenk. Sohatte Meister Martin doppelten Gewinn davongetragen und kehrteschmunzelnd in seine Werkstatt zurück. Die Geschichte vom MeisterMartin Eisenarm bildete noch lange, wenn die Leute zusammentrafen,das Stadtgespräch.

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Die Linde bei St. Stephan

Als der prächtige Stephansdom in Wien noch ein bescheidenes Kirch-lein war, das vor den Mauern der Stadt stand, ließ der damalige

Pfarrer Eberhard vor seinem Pfarrhaus eine Linde pflanzen, die herrlichaustrieb und gedieh, so daß der Pfarrer seine helle Freude an demBaum hatte.

Die Stadt vergrößerte sich, und der Friedhof, der sich rings um dieKirche erstreckte, wurde bald zu klein und sollte erweitert werden. Mitanderen Bäumen wollte man auch die Linde aushauen, um Platz für denFriedhof zu schaffen. Nur mit Mühe gelang es dem Pfarrer, seinengeliebten Baum vor diesem Schicksal zu bewahren. Die Linde aber wurdeim Laufe der Zeit ein mächtiger Baum, der in die Studierstube des altenPfarrherrn hineinblickte und alljährlich zur Sommerzeit den betäuben-den Duft seiner Blüten dankbar über seinen Beschützer ausströmen ließ.

Als der Pfarrer hochbetagt auf dem Sterbebett lag, fühlte er tiefeSehnsucht in sich, noch einmal seinen geliebten Baum blühen zu sehenund den herrlichen Duft seiner wohlriechenden Blüten zu verspüren.Doch es war mitten im Winter; tiefer Schnee lag in den Gassen, und Eis-röslein blühten auf den Fensterscheiben; die Linde aber reckte ihrekahlen Äste frosterstarrt zum grauen winterlichen Himmel empor. Vortiefer Ergriffenheit über das heiße Begehren des Todkranken schluchztendie Anwesenden laut. Da bat der Sterbende mit erlöschender Stimme,man möge doch wenigstens das Fenster öffnen, damit er seine liebe Lindenoch einmal sehen könne.

Mitleidig öffneten sie ein Fenster. Da ging ein Ruf des Staunens durchden Raum. Die Augen des Sterbenden aber leuchteten zum letztenmal infreudigem Glanz auf: draußen inmitten von Schnee und Eis stand diealte Linde, über und über bedeckt mit duftenden Blüten, und ein Stückblauer Himmel lachte in das Krankenzimmer herein. Überwältigt vondiesem Wunder, sanken alle, die am Bette des Kranken standen, in dieKnie. Der Pfarrer aber nahm mit dankbarem Lächeln diesen letztenLiebesgruß seiner Linde an und schloß dann seine Augen zum ewigenSchlummer. Als sich die Knienden erhoben, sahen sie, daß der Wind dieBlätter und Blüten des Baumes zum Fenster hereintrieb und ein Blüten-meer das Lager des Toten bedeckte.

Die alte Linde aber stand wieder kahl, wie in Trauer versunken, vordem Fenster des Pfarrhauses.

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Der Klagbaum

Vor fast siebenhundert Jahren brach in Wien eine schreckliche Seucheaus, die aus dem Morgenland eingeschleppt wurde und rasch um

sich griff: der Aussatz, eine Krankheit, die den Menschen aufs höchsteentstellte. Man wußte kein Mittel, die gräßliche Seuche zu bannen.

Zur Versorgung der Leute, die von der Krankheit befallen wurden,stiftete der Pfarrer Gerhard von St. Stephan im Jahre 1267 außerhalbder Stadt auf der heutigen Wieden ein Siechenhaus und eine Kapelle„Zum guten Sankt Hiob", dem erhabenen Vorbild der Geduld.

Vor dem Kirchlein stand ein schöner, großer Lindenbaum, von demmanchmal bei Nacht seltsame Klageweisen ertönten. Die Gegend kamdadurch so in Verruf, daß niemand mehr zur Nachtzeit dort vorbeizu-gehen wagte. Einige Zeit setzten diese Weisen aus, um sich später umsodeutlicher zu wiederholen. Nun baten die Bewohner der umliegendenHäuser mit dem Richter an der Spitze den Seelsorger des Spitals, diese„Wehklag"', die ihnen so große Furcht einflößte, durch Gebet undBeschwörung zu bannen.

Der würdige Mann versprach ihnen, gegen Abend zum Lindenbaumzu kommen und zu sehen, welche Bewandtnis es mit der Klage habe.Bald nachdem die Dunkelheit hereingebrochen war, kam auch schon derWächter, den man in der Nähe des Baums aufgestellt hatte, damit er

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dem Geistlichen das Ertönen der Klage melde, in höchster Erregungangestürzt und brachte die Botschaft, der Baum lasse wieder so seltsameWeisen hören, daß sich alle Leute zitternd in ihren Häusern verkröchen.

Der Priester erhob sich, nahm Kreuz und Weihwedel und schritt mitRichtern und Räten zu der schaurigen Stätte. Fröstelnd und pochendenHerzens zog die kleine Schar durch die Nacht zu dem unheimlichenBaum. Als sie näher kamen, hörten sie es deutlich: wimmernde Töneerklangen; kein Zweifel, eine verwunschene Seele hielt hier ihre grausigeKlage. Die Begleiter des Geistlichen stockten, allein schritt dieser zu demspukhaften Baum. Immer lauter schlug der Klageton an sein Ohr, un-heimlich fremd und doch wieder menschlich, daß er seine Schrittehemmte, um zu lauschen. Da drang ein Mondstrahl durch das Gewölkund warf sein unsicheres Licht auf eine schattengleiche Gestalt, die unterdem Baum hin und her zu wanken schien. Sogleich erhob der Priestersein Kreuz, sprengte geweihtes Wasser vor sich hin und rief mit beben-der Stimme seine Beschwörung. Da verstummte der Klageton, diedunkle Gestalt tauchte neben dem Beschwörenden auf, sie schien ihn zufassen und verschwand mit ihm hinter der Kapelle.

Besorgt harrten die Bürger in sicherer Entfernung auf die Rückkehrdes Pfarrers. Als aber geraume Zeit verstrich, ohne daß er wiederkam,gingen sie bedrückt wieder heim, in der sicheren Überzeugung, das Ge-spenst habe den Priester mit sich genommen.

Am nächsten Morgen erschien der Geistliche lächelnd in ihrer Mitteund erzählte ihnen, nicht ein Gespenst habe die klagenden Weisen vonsich gegeben, sondern ein wackerer Ritter und Sänger, dessen Namener nicht nennen dürfe, habe unter dem Baum seine Klagelieder über dieherrschende Krankheit ertönen lassen. Der Baum sei ihm wegen seinerEinsamkeit als der richtige Ort erschienen, seinen Schmerz über dieLeiden seiner Vaterstadt zum Ausdruck zu bringen.

Doch die abergläubischen Leute glaubten den Worten des würdigenPfarrherrn nicht. Sie meinten, dieser sei mit dem Gespenst im Bund, undnannten das Spital nach wie vor „zum Klagbaum", und dieser Nameblieb, bis es später aufgelassen wurde. Noch heute erinnert die Klagbaum-gasse auf der Wieden an die unheimlichen Weisen des klagenden Baums.

Stoß im Himmel

Vor vielen Jahren lebte in Wien eine hochmütige, eitle Frau, die fürnichts anderes Sinn hatte, als Luxus zu treiben und prunkvolle

Kleider zu tragen. Die besten und teuersten Stoffe mußten ihr vorgelegtwerden, aus denen sie die allerschönsten auswählte, um sich daraus Gewän-

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der nach der neuesten Mode anfertigen zu lassen. Den ganzen Tag saß sievor dem Spiegel, ließ den Haushalt von anderen besorgen und kümmertesich um keine Kirche und keinen Gottesdienst. Ihr einziger Herzenswunschwar, alle anderen Frauen an Putz und äußerem Glanz zu übertreffen.

Einmal ging sie in höchstem Staat an einem Bild der Gottesmutter vor-über. Ihr grenzenloser Hochmut, der Gedanke, die Schönste zu sein, ver-führte sie zu den spöttischen Worten: „Du mit deinem einfachen Ge-wand kannst mir nicht einmal das Wasser reichen. Laß sehen, ob duimstande bist, dir so herrliche Kleider zu verschaffen, wie ich sie trage!"

Einen Augenblick schien es der gottlosen Frau, als wende die HeiligeJungfrau empört ihr Antlitz zur Seite, doch hielt sie es nur für eineSinnestäuschung und schritt mit stolzem Lächeln weiter. Aber schon inder folgenden Nacht erreichte sie die Strafe des Himmels für ihrenfrevelnden Hochmut. Gegen Mitternacht klopfte ein später Gast an dieTür ihres Hauses. Verwundert erhob sie sich, um nachzusehen, wermitten in der Nacht bei ihr vorspreche. Da stand, auf einen Stockgestützt, eine alte Bettlerin auf der Schwelle des Hauses. Entrüstet schaltdie vornehme Frau über die Frechheit des lumpigen Bettelvolkes, dessenZudringlichkeit selbst in der Nacht keine Grenzen kenne. Doch die Alteließ sich nicht abweisen. Stolz hob sie ihren Stock wie ein Zepter emporund sprach mit der Würde einer Königin:

„Du eingebildetes Weib, du bist ja eine Bettlerin gegen mich! Waswollen die armseligen Lumpen besagen, die dort in den geöffnetenSchränken aufgehäuft sind! Laß dir einmal meine Schätze zeigen! Ichkomme, um dir ein kostbares Gewand anzubieten, wie es keine Königinjemals getragen hat."

„Unverschämte Lügnerin", rief die stolze Frau, „du willst Pracht-gewänder besitzen und gehst in Lumpen gehüllt umher! Pack dich fortaus meinem Haus, sonst müßte ich die Hunde auf dich hetzen!"

Ruhig zog die Alte aus einem geflickten Henkelkorb, den sie auf demArm trug, ein wundervolles Gebilde hervor und breitete es vor denAugen der erstaunt zurückweichenden Frau aus. Es war ein Pracht-gewand aus Samt und Seide, flimmernd von Gold und edlen Steinen.Dazu wies sie noch einen Schleier vor, in dessen Gewebe die Sterne desHimmels eingeschlossen schienen, so strahlte und funkelte das feineGespinst. Um die Bekleidung zu vervollständigen, lagen noch Gürtel,Haube und ein Paar kostbare Schuhe im Korb, alles von einer Pracht,daß sich keine Fürstin dessen zu schämen brauchte.

Als die eitle Frau diese Herrlichkeiten sah, änderte sie plötzlich ihrBenehmen. Nun suchte sie nach den freundlichsten Worten und batund beschwor die armselige Alte, ihr das prachtvolle Gewand zu über-lassen; kein Preis werde ihr zu hoch sein, den jene verlangen wolle.

„Kein Preis zu hoch?" fragte die Alte mit überlegenem Lächeln.

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„Aber du hast ja nichts mehr, du hast doch dein ganzes Geld schon fürKleider und Tand vergeudet."

„Es ist wahr", meinte erschrocken die Stolze, „aber ich muß das Kleidhaben. Ich will alles, was ich besitze, zu Gold machen und es dir geben;laß mir das Kleid!"

„Ich will dir einen Vorschlag machen", erwiderte die Bettlerin nacheinigem Besinnen. „Dein Gold brauche ich nicht, ich habe selbst genugdavon. Ich will dir das Gewand für drei Tage und drei Nächte borgen,und du gibst mir als Lohn, was in der dritten Mitternacht von dem Kleidbedeckt sein wird."

Die eitle Frau, die den Sinn dieser Worte nicht richtig verstand undüberdies glaubte, die Alte rede irr, versprach alles, was die Bettlerin ver-langte, nur um ihre Begierde erfüllt zu sehen. So erhielt sie das Kleid.Drei Tage und drei Nächte prunkte sie stolz in dem neuen Gewand, umdas sie von den vornehmsten Frauen beneidet wurde; denn nirgends inder ganzen Stadt fand sich ein Kaufladen, der so herrliche Stoffe, sofeine Gewebe, so kunstvolle Stickereien feilgeboten hätte.

So kam die Mitternachtsstunde der dritten Nacht heran. Nun entsannsich die Frau des Lohnes, den die Alte für das Kleid gefordert hatte, undbegann darüber zu grübeln, was jene wohl mit ihren Worten gemeinthaben könnte. Je länger sie aber nachdachte, desto unheimlicher wurdeihr zumute. Allerlei dunkle Besorgnisse und schreckhafte Bilder drängtensich der Frau auf. Endlich wurde ihr klar, das Kleid müsse höllischenUrsprungs sein. Von Entsetzen gepackt und von tiefer Reue ergriffen,beeilte sie sich, das Prunkgewand vom Leibe zu streifen. Aber wie an-gegossen saß es fest und spottete jeder Bemühung. Nun versuchte sie,es in Fetzen zu reißen, um es vom Leib zu bekommen — umsonst, derStoff, in der Hölle gewebt, war nicht zu zertrennen. Dabei kam dieStunde der Mitternacht immer näher heran. Wie von Sinnen rannte dieUnglückliche in ihrem Zimmer auf und ab, gekleidet wie eine Fürstin,jammernd wie eine elende Bettlerin.

Da ertönten zwölf Schläge vom Turm; angsterstarrt lauschte die Frau.Kaum war der letzte Schlag verklungen, tat sich die Zimmertür auf, unddie zerlumpte Bettlerin schritt über die Schwelle.

„Liebes Schätzlein", rief sie spöttisch, „du hast mir zum Lohn ver-sprochen, daß mein sein soll, was zu dieser Stunde von meinem Kleidbedeckt ist. Nun bist du es selbst, mein Kind, und daher bist du mein!"

Flammende Röte erhellte das Gemach, an Stelle der Alten stand plötz-lich der Teufel vor ihr und streckte grinsend seine Klauen nach derarmen Sünderin aus. Im Nu verwandelte sich das gleißende Kleid; derrote Samt wurde zu Blut, die Goldstickerei zu rötlichen Flammen, das Sil-ber der Sterne loderte in feurigen Zungen empor, es knisterte und brannteum den Leib der verzweifelt gegen die Hölle sich sträubenden Frau.

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Schon wollte der Satan seine Beute ergreifen, als ein heftiger Stoßdie Frau seinen Krallen entrückte. Das brennende Kleid fiel ab, inleuchtend weißem Gewand wurde die Reuige, die in letzter Stunde sichbekehrt, gegen Himmel gehoben. Ein Kreuz und ein Bildnis der HeiligenJungfrau, das unter dem höllischen Gewand auf der Brust der Sünderingeruht, hatten sie vor der ewigen Verdammnis gerettet. Sie gaben derFrau gleichsam „einen Stoß in den Himmel", damit sie nicht in dieHände des Höllenfürsten falle.

Die ehemals so stolze Frau ging in ein Kloster, wo sie büßend denFrieden der Seele fand und, mit dem Himmel versöhnt, nach vielen Jah-ren in die ewige Ruhe einging.

Das Veilchenfest

Als Herzog Otto III . , dem die Nachwelt den Beinamen „der Fröh-liche" gab, über die österreichischen Länder herrschte, begannen

die Wiener, die schlimme Zeiten hinter sich hatten, ihres Lebens wiederfroh zu werden, und allerlei Spiel und Kurzweil bereiteten manch frohe

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Stunde. Unter den Lustbarkeiten, die damals gebräuchlich waren, standdas sinnige „Veilchenfest" obenan. Der Glückliche, der das erste Veil-chen fand, bedeckte das Blümlein sorgsam mit seinem Hut und ranntespornstreichs zum Herzog, um ihm die Freudenbotschaft zu über-bringen, daß sich dieser liebliche Bote des Frühlings ans Tageslichthervorgewagt habe. Unverzüglich ließ der Herzog nach altem Brauchden festlichen Zug zum Pflücken des ersten Veilchens einberufenund zog, begleitet von Musik in Gesellschaft fröhlicher Herren undFrauen und gefolgt von einer großen Schar neugieriger Städter, zumFundort, um das Veilchenfest einzuleiten.

Es war an einem heiteren Vorfrühlingstag des Jahres 1325, als einschlanker Rittersmann langsam am Fuß des Kahlenberges dahinschritt,die Augen forschend zur Erde gerichtet, als suche sein Blick etwas aufdem Boden, der sich schüchtern mit dem ersten Grün zu bedeckenbegann. Plötzlich stockte sein Fuß, freudig bückte er sich zur Erdenieder und rief aus: „Ich hab's. Das erste Veilchen des Jahres blühtvor mir." Rasch zog er seinen Hut und legte ihn sorgfältig über dasBlümlein, das wie ein Stern neben dürrem Gestrüpp hervorlugte. Schnelleilte der Ritter stadtwärts und stand bald in der Burg, wo er sich bei demHerzog melden ließ, um ihm die freudige Kunde zu bringen, daß erden ersten Frühlingsboten gefunden habe.

„Gern will ich das heitere Frühlingsfest feiern", erwiderte freundlichder Herzog, „und ich freue mich doppelt, daß gerade Ihr, Herr Neidhartvon Reuenthal, mein lustiger Rat, den glücklichen Fund gemacht habt.Ich will auch meine Gemahlin zu dem frohen Fest mitbringen."

Unter tiefen Bücklingen entfernte sich Herr Neidhart, erfreut über diehuldvollen Worte des Herzogs. Bald bewegte sich ein fröhlicher, jubeln-der Zug aus der Stadt gegen den Kahlenberg. Allen voran stolzierte derlustige Rat, Herr Neidhart, an diesem schönen Frühlingstag und ausdiesem festlichen Anlaß sich seiner Würde doppelt bewußt. Hinter ihmschritt die Musik mit Trompeten, Posaunen und Pauken, dann kam eineSchar weißgekleideter Jungfrauen, denen im festlichen Schmuck dasstolze Herzogspaar folgte. Den Abschluß bildeten in langen Reihen dieRitter und Adeligen, die Bürger und das gewöhnliche Volk.

Endlich war man an die Stelle gelangt, wo das Veilchen seines Pflük-kers harrte. Dort lag auch der Hut. Neidhart ließ einen Kreis um denFundort bilden; aller Augen waren auf den Hut gerichtet, der den lieb-lichen Frühlingsboten bedeckte. Jetzt schritt der Herzog, gefolgt vonseinem Rat, an den Hut heran und hob ihn feierlich empor, um das ersteVeilchen zu begrüßen. Da schoß jähe Zornesröte in sein Gesicht, wütendwarf er dem wie zu Stein erstarrten Neidhart den Hut vor die Füße;denn nicht ein Veilchen war unter dem Hut verborgen, sondern übel-riechender Unrat. „Das ist Euer Veilchen, Neidhart", schrie der Herzog

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erbost; „wahrhaftig, Ihr treibt üblen Scherz mit uns! Wenn Ihr schonmeine Person mit solchen traurigen Späßen nicht verschonen wollt,so hättet Ihr doch meiner Gemahlin, der Herzogin, diesen Anblickersparen können!" Mit finsterer Miene wandte er sich ab und schicktesich an, mit seiner Gattin die Fahrt in die Stadt anzutreten.

Neidhart war wie aus den Wolken gefallen, während ringsumher lautesGelächter erscholl. „Verzeiht, Herr", stieß er mühsam hervor, „mir ist daein übler Streich gespielt worden. Das kann nur einer meiner Feindegetan haben, einer von den hiesigen Bauern. Aber wenn ich den Kerlerwische, bei Gott, der soll nichts zu lachen haben!"

Verächtlich schritt der Herzog an seinem Rat vorbei, in angeregterUnterhaltung über den Vorfall folgte die Gesellschaft. Die Menge aber,der das erhoffte Fest entgangen war, wollte schimpfend und fluchend demunschuldigen Opfer zu Leibe rücken, um an ihm ihr Mütchen zu kühlen.Doch Herr Neidhart zog es vor, durch eilige Flucht der Rache des ent-täuschten Volkes zu entgehen. Als er sich nicht weiter verfolgt sah, ver-langsamte er seine Schritte, in Gedanken den Übeltäter verwünschend,der ihm diese böse Suppe eingebrockt hatte. So näherte er sich dem Dörf-chen Heiligenstadt, und hier wandelte ihn die Lust an, mit einem HumpenWein den Ärger und die Schmach hinabzuspülen, die man ihm angetanhatte. Beim Dorfwirtshaus trat eben die Jugend zum fröhlichen Reigenan, in ihrer Mitte aber prangte auf einer Stange — ein Veilchen. Daskonnte nur sein Veilchen sein! Zornbebend zog Neidhart einen derBurschen, der ihn nicht kannte, zur Seite und fragte ihn, woher dasBlümlein stamme. Da erzählte ihm der Junge lachend, daß eigentlichNeidhart von Reuenthal das Veilchen gefunden habe; zwei Bauern, dieer ihm namentlich nannte, hatten ihn dabei beobachtet, während sei-ner Abwesenheit das Veilchen gepflückt und den Unrat dafür an seineStelle gelegt.

Neidhart hatte genug gehört. Wie der Blitz fuhr sein Schwert aus derScheide und zwischen die Bauern hinein, die entsetzt auseinanderstoben.Doch mehrere Leute trugen böse Wunden davon.

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Mit dem Veilchen, das er von der Stange gerissen hatte, eilte derRitter sogleich in die Stadt und drang zu seinem Herzog vor, dem er denStreich der beiden Bauern erzählte sowie die Rache, die er dafür genom-men hatte. Lachend hörte der Herzog seinen Bericht und versicherte ihnseiner erneuten Huld. „Ihr werdet Euch aber", sagte er schließlich, „dieBauern nicht eben zu Freunden gemacht haben!"

„Das will ich auch gar nicht", meinte Neidhart von Reuenthal darauf,„denn diese Schandtat, die sie mir vor Euren Augen zugefügt haben,kann ich nimmer vergessen." Und die Heiligenstädter Bauern waren undblieben auch seine Feinde, wie er der ihrige, bis an sein Lebensende.

Die „Gnad' Gottes" am Kahlenberg

Vor vielen Jahrhunderten kam ein Mann aus fremden Landen indie Gegend von Wien. Weil ihm das Kahlengebirge mit den

Rebenhügeln zu seinen Füßen und dem rauschenden Strom davor so gutgefiel, beschloß er, sich hier niederzulassen. Er hatte als Bergmann in ver-schiedenen Bergwerken gearbeitet und war fleißig und sparsam gewesen,so daß er auch einiges Geld besaß. Damit erbaute er sich nun ein Häus-chen am Hang des Berges und lebte mit seiner jungen Frau, die er vorkurzem geheiratet hatte, glücklich und zufrieden.

Aber die Untätigkeit war nicht nach seinem Geschmack, auch stecktenoch immer der alte Bergmann in ihm. Stollen in die Erde graben, nachErzen suchen, sein Glück probieren, das waren die Gedanken, die ihnfortwährend beschäftigten. „Warum sollten in diesem Berg und seinemblitzenden Gestein keine edlen Erze stecken", dachte er oft; „wer nichtswagt, gewinnt nichts, nur dem Mutigen wird die Gnade Gottes zuteil."

So machte er sich denn daran, den Kahlenberg zu begehen. Aber wosollte er mit dem Graben anfangen, wo hielt sich das Glück verborgen?Während er suchend über den Berg hinblickte, sah er einen Vogel, derimmer wieder an die gleiche Stelle flog. Neugierig ging er hin, blickte indas Gebüsch und gewahrte ein leeres Vogelnest. „Sicher sind die Vögleinschon alle ausgeflogen", rief er, „aber mir soll das ein Zeichen sein; hierwill ich mein Werk beginnen. Den Ort aber werde ich die Gnade Gottesnennen, die mich hierher gewiesen hat und mir gewiß auch helfen wird,alle Schwierigkeiten zu überstehen und das ersehnte Glück zu finden."

Er begann zu graben. Es war eine harte Arbeit, die ihn manchenSchweißtropfen kostete. — Wochen vergingen, schwere Wochen, under hatte bisher nichts zutage gefördert als Erde und taubes Gestein. SeinWeib wollte schon am Erfolg verzagen und meinte, er solle die vergebliche

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Arbeit einstellen; es sei nur unnütze Plage. Er aber hoffte auf die GnadeGottes und ließ sich keine Mühe verdrießen. Bald wurde in der Um-gebung bekannt, daß ein Bergmann auf dem Kahlenberg nach Goldgrabe, und etliche Männer boten sich an, mit ihm das Glück zu ver-suchen. Dankend nahm er ihre Hilfe entgegen, mit erneutem Eifergruben sie weiter. Obgleich die Arbeit nun schneller vonstatten ging,wollte sich noch immer keine Erzader zeigen. Endlich gaben auch seineHelfer den Glauben an einen Erfolg auf, und einer nach dem andernblieb aus. Nur er verlor seine Zuversicht nicht und grub weiter imfesten Vertrauen auf die Gnade des Herrn.

Drei Monate waren vergangen, und noch immer arbeitete unser Berg-mann in seinem Stollen. Da schien ihm eines Tages, als würde dasGestein immer härter und glänzender, als sehe es ganz anders aus als sonst.Aufgeregt nahm er ein Stück zur Hand und betrachtete es im Scheinseiner Lampe genauer. Fast konnte er es nicht glauben: er hielt blankesErz in der Hand, das im Widerschein des Lampenlichts hell aufstrahlte.Mit freudig pochendem Herzen eilte er ins Freie hinaus und sah hier imLicht der Sonne bestätigt, was er in der Dämmerung des Schachts nochangezweifelt hatte. Es war wirklich edles, kostbares Metall, was er ausder Tiefe gefördert hatte. Aufatmend sank er in die Knie und dankteder Gnade Gottes, die ihm seinen sehnlichsten Wunsch erfüllt hatte.

So wurde aus dem armen Bergmann ein reicher Bergwerksbesitzer,dem die Arbeiter von allen Seiten zuströmten, fanden sie doch in demneuen Bergwerk guten Verdienst. Bald erhoben sich am Fuß des Kahlen-bergs viele nette Häuschen, die sich die Bergleute von ihrem erspartenLohn erbauten. Es entstand die Siedlung Kahlenbergerdorf. Das Glückmachte aber den reich gewordenen Bergherrn nicht übermütig. Er bliebein einfacher Mann wie bisher, ließ an seinem Reichtum auch andereteilnehmen, gab willig den Armen und behandelte seine Arbeiter gütigund gerecht, bis er, von allen geschätzt, sein Haupt zur ewigen Ruhelegte.

Das Bergwerk kam nun an einen anderen Besitzer. Er hatte es um vielGeld erstanden, nun sollte es reichlich Zinsen tragen. Von Milde undWohltun war keine Rede mehr; die Löhne der Arbeiter wurden herab-gesetzt, dafür die Arbeit gesteigert, die Gaben an die Armen hörten auf,eine harte Hand machte sich überall fühlbar.

Eines Abends saß der neue Bergherr im Kreis seiner Bekannten beimWein. Unter ihnen war auch ein alter Mann, der es noch miterlebt hatte,wie der fremde Bergmann durch rastlosen Fleiß und unermüdliche Aus-dauer zu seinem Glück gekommen war. „Dein Vorgänger war ein flei-ßiger Mann", sagte der Greis zu dem neuen Bergwerksbesitzer, „undvertraute fest auf die Gnade Gottes."

„Ach was", polterte der Angeredete, „Gnad' Gottes her, Gnad' Gottes

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hin, wenn kein Gold im Berg gewesen wäre, so hätte ihm die ganzeGnad' Gottes nichts geholfen."

Das waren böse Worte. Erschrocken zuckten die Männer zusammen,bald zog sich einer nach dem andern zurück. Der Bergherr zechte alleinweiter und suchte erst spät seine Behausung auf.

Als die Bergleute am nächsten Tag längst in die Schächte eingefahrenwaren, schlief er noch immer. Fleißig wie sonst verrichteten die Knappenihre Arbeit, schlugen das Gestein von den Wänden und schleppten es ausdem Berg hinaus. Aber merkwürdig, heute war es nur taubes Gestein,keine Spur eines edlen Erzäderleins zeigte sich, als ob nie ein solchesvorhanden gewesen wäre.

Erschrocken rannte einer der Arbeiter zum Bergherrn, um ihmvon ihrer fruchtlosen Arbeit zu erzählen. Ungläubig hörte dieser denBericht, aber eine düstere Ahnung bemächtigte sich seiner. In allerEile kleidete er sich an und begab sich zum Bergwerk, wo er wirklichalles so fand, wie es ihm der Knappe geschildert hatte. Da fiel ihm blitz-artig das Gespräch ein, das er am Vorabend im Wirtshaus geführthatte. Mit dem Ruf: „Die Gnad' Gottes! An ihr habe ich gezweifelt!"stürzte er tot zu Boden.

Von dieser Zeit an fand man kein edles Erz mehr im Berg. Die Stollenverfielen, die Bergleute wanderten aus, und die wenigen, die im Kahlen-bergerdorf zurückblieben, mußten sich mühsam als Weinbauern fort-bringen.

Der Pfarrer vom Kahlenberg

Wiegand von Theben, der „Pfaff vom Kahlenberg", wie man ihnnannte, war schon als Student ein lustiger Schelm, der gern einen

harmlosen Streich verübte und immer die Lacher auf seiner Seite hatte.Als er nach Beendigung seiner Studien von seinem gnädigen Landesherrn,Otto dem Fröhlichen, die erledigte Pfarre am Kahlenberg erhielt, hattesich daran nichts geändert. Noch immer lachte der Schalk aus seinenAugen, und manches heitere Stücklein, das er sich leistete, gab Zeugnisvon der fröhlichen Sinnesart des allgemein beliebten Pfarrherrn.

Noch als Student ging er einmal zu einem der größten Fleischhauerder Stadt, um eine Speckseite zu kaufen. Student und Meister konntenüber den Preis nicht einig werden und stritten hin und her. Während-dessen nahm Wiegand von Zeit zu Zeit eine Nuß aus der Tasche undklopfte sie mit dem Beil am Hackstock auf, an den der Fleischer sichlehnte. Zugleich aber heftete er dessen Rock mit kleinen Nägeln amHackstock fest, ohne daß jener es bemerkte. Als der Meister sah, daß er

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den geforderten Preis nicht erhalten werde, meinte er: „Nun, wenn dunicht zahlen willst, was ich verlange, wirst du eben die geforderte Warenicht erhalten."

„Das wollen wir sehen", erwiderte lachend der Student, ergriff dieSpeckseite und war flugs bei der Tür draußen. Der Fleischer wollte ihmnacheilen, sah sich aber daran gehindert, da sein Rock am Hackstockfestgenagelt war. Zum Schaden hatte er noch den Spott, da man allge-mein über den Streich lachte, dem er zum Opfer gefallen war. EinigeTage später erschien Wiegand aber wieder im Laden, bezahlte die Speck-seite und konnte sogar den Dank des Fleischers entgegennehmen, demer zu erhöhtem Geschäftsgang verholfen hatte, da nun viele Leute ausNeugierde den Laden aufsuchten, in dem sich dieser lustige Vorfall er-eignet hatte.

Als Wiegand schon am Kahlenberg saß und als Pfarrherr seines Amteswaltete, kam eines Tages unangesagt die Gemahlin des Herzogs mitihrem Gefolge in den Pfarrhof und lud sich zum Mittagstisch ein. Eil-fertig rüstete der Pfarrer zum Mahl, schleppte viele Töpfe und Schüsselnherbei, entzündete das Feuer im Herd und stellte die leeren Töpfe dar-auf. Als die Herzogin, verwundert über die umständlichen Vorberei-tungen, fragte: „Und was kommt in die Töpfe hinein?", meinte derPfarrer harmlos: „Ach, ich dachte, Ihr hättet das Essen aus der herzog-lichen Küche mitgebracht; denn wenn ich eine Herzogin samt ihremGefolge aus eigenem bewirten müßte, ginge mein ganzes Jahreseinkom-men an einem Tag auf." Lachend ließ die Herzogin das Essen ihremReiseproviant entnehmen und bewirtete den Pfarrer aufs beste.

Soviel Achtung und Anerkennung der Pfarrherr auch genoß, einenMenschen gab es doch, der ihm übel gesinnt war; das war der reicheWiener Bürger Philipp Uezzelschneider. Dieser hätte die einträglichePfarre auf dem Kahlenberg gern für seinen Neffen gehabt und beschul-digte den Pfarrer, daß er sie ihm hinterlistig weggeschnappt habe. Nunwar ihm kein Mittel schlecht genug, den Pfarrer von seinem Postenzu vertreiben. Er versuchte zunächst, die Bauern gegen Wiegand auf-zuhetzen, und behauptete, dieser sinne nur auf seinen Vorteil, wollesich das Leben so angenehm wie möglich machen, den Bauern aber dieunnötigsten Lasten aufbürden. Wirklich wurden einige Bauern auf-gebracht, als er ihnen sagte, Wiegand wolle auf ihre Kosten ein neuesKirchendach herstellen lassen, was ganz und gar unnötig sei.

Aber nicht genug damit, der boshafte Neider wollte dem Pfarrer einenStreich spielen, der ihn in seiner Pfarrgemeinde unmöglich machensollte. Er bestellte bei einem Maler ein Bild, auf dem ein Wolf dargestelltwar, der den Gänsen predigte. Der Wolf sollte die Züge des Pfarrerstragen, mit den Gänsen waren offenbar die Bauern gemeint. DiesesBild sollte am nächsten Sonntag während der Predigt an der Kirchentür

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angeschlagen werden. Der Maler nahm die Bestellung entgegen, unter-richtete aber den ihm befreundeten Pfarrer über den tückischen An-schlag und versprach lachend zu tun, was Wiegand von ihm verlangte.

Am nächsten Sonntag hielt Wiegand wie gewöhnlich seinen Gottes-dienst ab und lächelte verstohlen, als gegen Ende der Predigt Hammer-schläge ankündigten, daß das bestellte Bild an der Kirchentür fest-genagelt wurde. Die Bauern aber konnten vor Neugierde kaum dasEnde der Messe erwarten, um das neue Bild zu besichtigen, von demsie schon gehört hatten. Am Schluß des Gottesdienstes gedachte derPfarrer auch des neuen Kirchendachs, das dringend der Erneuerungbedürfe. Die Bauern atmeten erleichtert auf, als der Pfarrherr hinzu-fügte, für diesmal sei er zufrieden, so viel an Spenden zu erlangen,daß wenigstens das Dach über dem Altar ausgebessert werden könne.Da dies nicht allzuviel Geld erforderte, waren die Mittel hiefür leichtaufgebracht.

Uezzelschneider ärgerte sich, als er hörte, daß die Bauern einander zu-flüsterten, er sei ein Lügner und der Pfarrer doch kein so arger Beutel-schneider, da er nur die Kosten für das Dach über dem Altar von ihnenverlangt habe. Aber er tröstete sich mit dem Gedanken an das Bild,da es nun Hohn und Spott über den Pfarrer herabregnen werde. Dochwie erschrak er, als er vor der Kirchentür unter die lachenden Bauerntrat und sehen mußte, daß der Wolf auf dem Bild nicht die Züge desPfarrherrn, sondern seine eigenen trug. Wutschnaubend eilte er davon,und der Pfarrer hatte wieder einmal die Lacher auf seiner Seite.

Daß Wiegand aber auch zu seinem neuen Kirchendach kam, dafürsorgte der Himmel. Denn als es am nächsten Sonntag in Strömen goß,wurden die Bauern in der Kirche durch und durch naß, während derPfarrer beim Altar unter dem ausgebesserten Dach im Trockenen stand.Nun sahen sie die Notwendigkeit des neuen Daches ein und spendetenreichlich.

Das Einkommen der Pfarre war nicht glänzend. Doch Wiegandfand sein Auslangen damit; besonders der Ertrag einiger Weingärten,die am Fuß des Kahlenberges lagen und zur Pfarre gehörten, war rechtzufriedenstellend. Wiegand schenkte den Wein im kleinen aus, und denBesuchern des Kahlenberges war ein gutes Tröpfchen nach dem be-schwerlichen Weg auf den Berg gar nicht unwillkommen. So brachteder Pfarrer jedes Jahr seinen Wein an den Mann und heimste dafürmanche klingende Münze ein. Daß er selbst dabei auch kein Kost-verächter war und manchen Becher durch die eigene Kehle rinnenließ, braucht niemand zu wundern.

Aber dann kam einmal ein Jahr, da gab es Wein, viel Wein, dochniemand fragte danach, er war allen Leuten zu sauer, und die klingen-den Münzen blieben aus; um das Einkommen des würdigen Pfarr-

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herrn stand es gar übel. Unangetastet ruhten die vollen Fässer imKeller. Aber unser Pfarrherr wußte auch in dieser trostlosen Lage Rat.An einem heißen Sommertag ließ er durch seine Leute allerorts ver-lautbaren, er habe durch vieles Nachdenken eine große Kunst erfundenund wolle sie am nächsten Sonntag vorführen; er werde vom Kirch-turm aus über die Donau fliegen. Seltsame Feiern und Ereignisse fin-den bei den Landleuten immer Anklang. So war es auch diesmal. Alsder Sonntag gekommen war, wanderten vom frühen Morgen an vonallen Seiten Scharen von Neugierigen zum Kahlenberg, um dieseseinmalige Schauspiel mitanzusehen.

Der kluge Pfarrer traf alle Vorbereitungen zu seinem angekündig-ten Flug, verzögerte aber den Beginn des unerhörten Ereignisses solange, daß die vom weiten Weg ermüdeten und durstigen Bauern inder glühenden Mittagshitze ausharren mußten und lechzend vor Durstnach irgendeinem Trunk begehrten. Das Rad des Ziehbrunnens hatteder schlaue Mann wohlweislich beiseite geschafft, so daß nur der saureWein zur Verfügung stand, der nun herhalten mußte. Und als die fastverschmachtenden Zuschauer ihren Durst zur Genüge gelöscht hatten,gingen die Fässer im Keller zur Neige, auf dem Zahltisch aber häuftensich die Silberpfennige, und der Pfarrer hatte seinen sauren Wein los-gebracht, dafür aber seinem Einkommen aufgeholfen.

Nun bestieg er mit ernster, wichtiger Miene den Turm, betrachtetedie mit offenen Mäulern und in lautloser Stille gaffende Menge eineWeile wortlos und fragte endlich: „Habt ihr schon einen Menschenfliegen gesehen?" Als alle verneinten, sagte der Pfarrer gelassen: „Wennihr noch keinen fliegen gesehen habt, wie könnt ihr da das Fliegenvon mir erwarten?" Nach diesen Worten stieg er mit ruhigen Schrittenwieder vom Turm herab und begab sich in seine Behausung.

Die enttäuschten Bauern zogen murrend ab und vergaßen demPfarrherrn diesen üblen Scherz lange nicht. Es wird sogar erzählt,daß Wiegand aus eben diesem Grund nach einiger Zeit seine Pfarreverließ und den Herzog Otto auf einer Reise in die Steiermark beglei-tete, wo er auf Schloß Neuberg als Burgkaplan sein Leben beschloß.

Die Bärenmühle

Zur Zeit, als der heutige Bezirk Wieden noch unverbaut war — nur einige Sommerhäuser lagen verstreut in den weitausgedehnten

Weingärten — und dieses Gebiet bis nahe an den Stadtgraben beimKärntnertor heranreichte, soll es nicht selten vorgekommen sein,daß zur Winterszeit hungrige Wölfe, ja selbst Bären in diesem Gelände

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gesichtet wurden und sich sogar bis an den Wall heranwagten, wasunter den Bewohnern dieser Gegend nicht wenig Furcht und Entsetzenerregte.

Die Sage weiß zu berichten, daß an einem eisigkalten Winterabendein mächtiger schwarzer Bär zur Heiliggeistmühle am Wienfluß kamund den Müllermeister, der eben beim Haustor herausgehen wollte,anfiel. Der Müller war ein kräftiger Mann und setzte sich gegen seinenzottigen Angreifer aufs entschiedenste zur Wehr. Doch Meister Petzerwies sich als der stärkere und streckte seinen Widersacher mit einem

Tatzenhieb zu Boden. In der Gefahr, von dem Ungetüm zerfleischt zuwerden, stieß der Müller gellende Hilferufe aus.

Ein Müllerbursche, der sich im oberen Stockwerk der Mühle geradeüber dem Kampfplatz aufhielt, hörte das Geschrei und öffnete dasFenster, um nach der Ursache des Lärms Ausschau zu halten. Da saher unterhalb des Fensters das wütende Tier, das seinen Herrn zu Bodengerissen hatte, und erkannte augenblicklich, daß schleunige Hilfe nottat und keine Zeit mehr war, über die Stiege und durch das Haus zumBeistand herbeizueilen. Ohne sich lange zu besinnen, sprang der toll-kühne Bursche zum Fenster hinaus und kam gerade auf dem Rückendes Bären wie ein Reiter auf dem Pferd zu sitzen.

Mit aller Kraft umschlang er den Hals des Bären und schnürte ihmso lange und so kräftig die Kehle zu, bis der Bär von seinem Opferabließ, um sich seines neuen Bedrängers zu entledigen. Nun gelang esdem Müller, unter dem Bären hervorzukriechen und mit Hilfe anderer

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rasch herbeigeeilter Leute dem frechen Eindringling den Garaus zumachen.

Der Müller dankte seinem wackeren Knecht, der ihm durch seinrasches, mutiges Handeln das Leben gerettet hatte, mit bewegten Wor-ten und bot ihm eine ansehnliche Belohnung an. Der Bursche aber batunter Verzicht auf jeden anderen Lohn nur um die Haut des Bären,die ihm auch gewährt wurde. Er ließ sich daraus einen Pelz machen,den er zeitlebens trug. Daher soll er den Namen „Bärenhäuter" erhal-ten haben.

Der Müller aber ließ ein Bild des Bären anfertigen und das Gemäldeüber dem Eingang der Mühle aufhängen, die davon den Namen „Bären-mühle" erhielt.

Das Gericht auf dem Lerchenfeld

Man zählte das Jahr 1338. Mißmutig stand der Ritter Bertramvon Grillenstein am Fenster seines halbverfallenen Schlöß-

chens, das am Fuß des Kahlengebirges in Sievering lag, und starrtein die sonnendurchglänzte Landschaft hinaus. Es war aber auch zumÄrgern: das Glück war dem Ritter in letzter Zeit nicht hold gewesen;sein ständig hungriger Geldbeutel wies eine bedenkliche Leere auf.Die letzten Anschläge, die er mit seinen Spießgesellen auf harmloseKaufleute und Wanderer unternommen hatte, waren fehlgeschlagen,seinen wenigen Untertanen war trotz aller Drohungen und Gewalt-taten nichts mehr herauszupressen, und nun hatte vor kurzem auchseine Werbung um die schöne Tochter des reichen Herrn von Wild-berg, der an der Fischa ein stattliches Schloß besaß, mit einem Miß-erfolg geendet; Ritter Bertram schien dem Wildberger nicht der geeig-nete Schwiegersohn zu sein.

„Und sie muß doch mir gehören", knurrte Bertram in seinen strup-pigen Bart hinein. „Wenn ich sie dann habe, wird auch der Alte weichwerden und tief in seine Schatztruhe greifen. Ein rosiges Bräutleinund ein praller Säckel dazu sollen mir nicht übel bekommen."

Schon am frühen Morgen des nächsten Tages zog er mit einer Rotteübler Gesellen aus, um die schöne Hildegunde zu rauben. Sie warennoch nicht weit gekommen, als sie in eine dichte Wolke von Heu-schrecken gerieten, so daß Ritter Bertrams Genossen, erschrockenüber diese seltsame Naturerscheinung, am liebsten wieder umgekehrtwären. Er aber riß lachend über die Furcht seiner Begleiter sein Schwertaus der Scheide und ließ es in die durcheinanderwirbelnden Massensausen, die mit furchtbarem Gebrause ihren Weg gegen Westen nah-

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men. Bei dem Schloß Wildberg angelangt, lagerte sich die wilde Hordeim nahen Tal, um eine günstige Gelegenheit zur Ausführung ihresschändlichen Vorhabens abzuwarten.

Aber ihre Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Erst gegenAbend zeigte sich das Fräulein außerhalb der Burg, um sich mit ihrerKammerfrau am Ufer der Fischa zu ergehen. Wie der Geier auf dieTaube stieß das rohe Gesindel auf die ahnungslose Jungfrau undschleppte sie trotz allen Sträubens, Bittens und Klagens mit sich fort,bevor noch ein Burgbewohner des frechen Raubes gewahr wurde. Inrasender Eile ging es über Stock und Stein, über Strauch und Moor.

Schon begann es zu dämmern, als sie auf die weite Ebene in derGegend des heutigen Lerchenfeldes kamen, wo damals erst vor kurzemder Wald gerodet worden war. Während die Wegelagerer in der Fernedie Hifthörner ihrer Verfolger zu hören glaubten und ihre Rosse zugrößerer Eile anspornten, senkte sich eine dichte, dunkle Wolke vonHeuschrecken vor ihnen herab, als wollte sie vor den Strauchritternein Hindernis aufrichten. Bertrams Gesellen rieten, einen andern Wegeinzuschlagen; sie waren entsetzt über die ungeheure Menge der ge-

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flügelten Tiere. Doch der Ritter von Grillenstein lachte nur über ihr Zau-dern und schrie prahlerisch: „Diese Straßensperre wollen wir bald ausdem Weg räumen." Damit übergab er das Fräulein einem seiner Beglei-ter und sprengte mit gezogenem Schwert in den schwirrenden Haufenhinein, wähnend, er werde sich und den andern rasch freie Bahn schaffen.

Aber bald war er von der wild durcheinandertobenden Masse dichtumringt und den Augen seiner Gefährten entschwunden. Keinerwagte es, ihm zu Hilfe zu kommen. Da sich die Schwärme der Heu-schrecken immer noch vermehrten und weithin das Feld zu verlegenschienen, wollten sie umkehren, um auf einem andern Weg ihr Zielzu erreichen. Doch schon kam der Ritter von Wildberg mit seinenMannen angesprengt, im Nu waren die Räuber umringt. Wer sich nichtergab, wurde erschlagen, die übrigen mußten gefesselt den Weg nachSchloß Wildberg antreten. Weinend vor Freude sank das befreite Fräu-lein in die Arme ihres Vaters.

Vergebens erwarteten die wenigen Knechte, die Ritter Bertram aufseinem Schloß zurückgelassen hatte, die Rückkehr ihres Herrn. Amandern Morgen brachen sie auf, um nach dem verschollenen Ritterzu forschen. Als sie auf die Ebene des Lerchenfeldes kamen, erhobensich vor ihnen dichte Schwärme von Heuschrecken, die, das Lichtder Sonne verdunkelnd, ihren gewohnten Weg nach Westen antraten.Voll Verwunderung über dieses merkwürdige Geschehen ritten dieKnechte weiter. Doch bald stockten sie wieder. Auf dem von Laubund Grün entblößten Erdboden, den das verheerende Ungeziefer soebenverlassen hatte, reckte sich den Schaudernden das nackte Gerippe einesMenschen entgegen. An dem glänzenden Schild, der daneben lag, so-wie den unweit davon hingestreckten, von den gefräßigen Insektenzernagten Leichen ihrer Gefährten konnten sie unschwer erkennen, daßihr Herr hier ein gräßliches Ende genommen hatte.

Entsetzt flohen sie die Stätte des Grauens. Sie kehrten aber auch nichtmehr in die Burg zurück, sondern gaben ihr wüstes Leben auf undwurden ehrliche Menschen. Das Raubschloß wurde bald nachher aufBefehl Herzog Albrechts I I . zerstört und zerfiel im Lauf der Zeit gänz-lich, so daß heute niemand mehr sagen kann, wo es einst gestanden.

Der Schloßherr von Ottakring

E ine finstere Dezembernacht lag schwer über der Stadt Wien und denDörfern und Vororten, die sich um die Stadt reihten. Heulend

tobte der Sturm die Hänge des Wienerwaldes entlang und stemmtesich wütend gegen die Häuschen der Winzer, die sich in die Boden-

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falten duckten. Da soll sich, wie der Chronist berichtet, über dem DorfOttakring ein unheimliches Schauspiel zugetragen haben.

Es war nahe an Mitternacht, das schaurige Getöse des Sturms hatteseinen Höhepunkt erreicht und ließ viele Menschen den gewohntenSchlaf nicht finden. Da erhellte sich plötzlich im Westen der Himmel,und die erschrockenen Dorfbewohner sahen zu ihrem maßlosen Staunenin den Lüften langsam einen Leichenzug heranschweben. Vierspännigwar der Wagen, in dem der Tote saß. Kein Trauernder gab das Geleit,nur ein mächtiger Ritter stand am Wagen und hütete das Gefährt, dassich langsam der Stadt näherte.

Wer genauer hinblickte, erkannte in dem Toten den Schloßherrn vonOttakring, der vor kurzer Zeit auf geheimnisvolle Weise verschwundenwar. Aber noch ehe sich die aufgescheuchten Dörfler von ihrem Schrek-ken erholt hatten, war der düstere Geisterzug vorübergeglitten. Voneinem fernen Turm dröhnten zwölf dumpfe Schläge, und der Spukin den Lüften zerrann. Mit erneutem Grimm tobte der Sturm gegen dieHäuser des Dorfes.

Wer konnte jener Mann gewesen sein, den die Bewohner von Otta-kring Jahre hindurch ihren Schloßherrn genannt und dessen Leichen-zug sie nun in den Lüften gesehen hatten?

Erst viel später erfuhren sie seine Geschichte. Ein deutscher Feld-oberst hatte im Jahre 1457 die starke Festung Marienburg, die dem deut-schen Ritterorden gehörte, den feindlichen Polen verräterisch in dieHände gespielt, nachdem man ihn mit Gold bestochen hatte. Mit demJudaslohn war er nach Wien geflohen und führte hier ein genußreichesLeben. Als er dann noch die Liebe einer reichen Bürgerswitwe gewannund diese seine Gattin wurde, schien sein Glück fest begründet.

Doch die Marienburger hatten den Verrat ihres ehemaligen Oberstennicht vergessen. Es gelang ihnen, seinen Aufenthalt auszuspüren; sierichteten ein Schreiben an den Stadtrat von Wien, worin sie den Ver-rat des Mannes schilderten und erklärten, dieser Verräter sei eine Schandefür die ganze Stadt Wien. Der Inhalt des Schreibens wurde nach kurzerZeit ruchbar, was zur Folge hatte, daß man den Obersten bald allseitszu meiden begann. Dieser fühlte die Abneigung, die man ihm ent-gegenbrachte, und beriet sich mit seiner Frau, was sie dagegen tunsollten. Schließlich faßten sie den Entschluß, Wien zu verlassen undsich in einem der Vororte außerhalb Wiens niederzulassen.

Bald ergab sich die Gelegenheit, ein geräumiges Haus in Ottakringzu erwerben, das der Oberst zu einem stattlichen Schloß ausbauenließ. Hier verbrachte das Ehepaar nun seine Tage, ohne sich viel umdie Gesellschaft oder die Nachbarn zu kümmern. Besucher wurdenim Schloß nie gesehen; nur zum sonntägigen Gottesdienst verließendie beiden ihr Heim.

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An einem Sonntag hatte sich der Schloßherr mit seiner Gemahlinwieder auf den Weg zur Kirche gemacht. Auf dem Friedhof in der Näheder Kirchentür lehnten an einem Grabstein drei Männer und mustertenmit scharfen Blicken die ankommenden Kirchenbesucher. Plötzlichrief der Stattlichste von ihnen: „Hier ist er!" Im selben Augenblicksprangen die beiden andern auf den überraschten Schloßherrn zu,entwanden ihm seine Waffen und rissen ihn zu Boden. Bevor sich nochseine Gattin, vor deren Augen sich der Überfall abgespielt hatte, rechtzu fassen vermochte, wurde der Schloßherr gefesselt aus dem Friedhofgeschleppt. Man hat ihn nie wieder gesehen. Alle Nachforschungender trostlosen Frau über das Schicksal ihres entführten Gatten warenerfolglos.

Der Leichenzug aber, den manche Bewohner Ottakrings in jenerstürmischen Winternacht in den Lüften gesehen, schien den Leutenein Zeichen dafür, daß der Schloßherr nicht mehr unter den Leben-den weilte.

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Der Bärenhäuter

In der unglücklichen Schlacht bei Varna im Jahre 1444 hatten dieTürken fast das ganze christliche Heer aufgerieben. Unter den

wenigen, die dem blutigen Gemetzel entronnen waren, befand sichauch der Landsknecht Georg Thalhammer. Nur der Schnelligkeitseiner Beine hatte er es zu verdanken, daß ihm die Flucht in einen dich-ten Wald gelang, wo er sich zunächst vor der Wut seiner Verfolgersicher glaubte. Todmüde hatte er sich hinter ein dichtes Gebüsch ge-worfen und überdachte seine Lage. Sie war verzweifelt. Was sollte erin dieser furchtbaren Wildnis beginnen? Würde er von den blutgierigenFeinden aufgespürt werden, oder sollte es ihm vielleicht doch gelingen,die Heimat wiederzusehen? Wie aber sich Nahrung und Obdach ver-schaffen ohne Kenntnis der Landessprache, ohne Mittel, fremd undgeächtet? Zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwankten seineGedanken hin und her, aber immer aussichtsloser schien ihm schließ-lich sein Schicksal zu sein.

Da stand plötzlich ein unheimlich aussehender hagerer Mann mitscharfer Hakennase und stechenden Augen vor ihm. Mit raschemGriff faßte der Landsknecht nach seiner Waffe, um sein Leben gegen denvermeintlichen Angreifer mit der Schärfe des Schwertes zu verteidigen.Der Fremde aber rief ihm zu: „Nur ruhig Blut, Geselle! Laß dein Schwertin der Scheide. Du hast von mir nichts zu befürchten. Ich will dir imGegenteil dazu verhelfen, ungefährdet in deine Heimat zu entkommen,und dich dort so reich mit Geld und Gut bedenken, daß du in Zukunftein sorgloses, bequemes Leben führen kannst. Dafür will ich nureinen geringen Gegendienst: nach deinem Tod soll deine Seele mirgehören."

Neue Hoffnung regte sich im Herzen des biederen Landsknechts,als er die ersten Worte des Bösen vernahm; aber die letzte Bedingungseines unheimlichen Helfers erfüllte ihn mit so tiefem Schrecken,daß er ausrief: „Nein, nein, meine Seele verkaufe ich dir nicht; lieberwill ich alle Not ertragen, ja hier elend zugrunde gehen als einen sol-chen Pakt abschließen." Vergebens suchte ihm der Teufel die Heim-kehr ins Vaterland und das schöne Leben, das ihm dort winkte, in denlebhaftesten Farben auszumalen. Der Landsknecht blieb hartnäckigbei seiner Weigerung. Da beschloß der Teufel, gelindere Saiten auf-zuziehen. Du wirst mir aber trotzdem nicht entgehen, dachte er undsagte zu Thalhammer: „Du sollst sehen, daß man mich zu Unrechtden Bösen nennt. Ich will dir einen andern Vorschlag machen, derdir besser gefallen wird." — „Und das wäre?" fragte der andere. „Dudarfst dich zum Dank für meine Hilfe durch drei Jahre weder waschennoch kämmen noch vom Schmutze reinigen, auch nicht Haare und Nä-

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gel beschneiden, darfst auch nie die Kleidung wechseln, sonst ist deineSeele mein. Im übrigen aber kannst du essen und trinken, tun und las-sen, was du willst; die Mittel dazu werde ich dir reichlich zur Verfü-gung stellen."

Dieser Vorschlag dünkte Georg weit annehmbarer. „Denn", dachteer, „habe ich während des ganzen Krieges oftmals ungepflegt in Schmutzund Nässe viele Wochen und Monate verbracht, so werde ich diesesLeben auch noch weitere drei Jahre zu führen imstande sein." MitHandschlag wurde der Pakt besiegelt, und im Augenblick sah sichThalhammer nach Wien versetzt, nachdem der Teufel noch rasch einenBären gefangen und den Landsknecht in die abgezogene Haut desTieres gesteckt hatte. Sodann übergab er ihm einen Beutel voll Goldmit dem Bedeuten, er könne davon so viel verbrauchen, als er wolle,der Beutel werde niemals leer werden. Schließlich ermahnte er seinenSchützling noch, den Vertrag in allen Punkten getreulich zu erfüllen,und verschwand.

Thalhammer hielt das Abkommen mit dem Bösen genau ein; erwusch und kämmte sich nicht, ließ Haar und Bart wachsen und gingstets in seine Bärenhaut gehüllt umher. Es war daher auch kein Wunder,

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daß er nach wenigen Wochen so schmutzig und verwildert aussah,daß fast nichts Menschliches mehr an dieser langhaarigen, schmutz-starrenden Gestalt zu erkennen war. Die Erwachsenen machten einenweiten Bogen um diesen üblen, bärenhäutigen Gesellen, der jedermannmit Furcht und Grauen erfüllte, und die Kinder wurden durch denRuf: „Der Bärenhäuter kommt" in Angst und Schrecken versetzt, sodaß sie schreiend flüchteten.

Wiewohl Thalhammer von seinen Feldzügen her an vieles gewöhntwar, schien ihm sein Zustand anfangs unerträglich. Doch mit der Zeitgewöhnte er sich an die Unreinlichkeit und an das Aufsehen, das ermit seiner Bärenhaut überall erregte. Da er mit Geldmitteln zur Ge-nüge versehen war, ließ er sich an Speise und Trank nichts abgehen,nahm in einer alten Hütte in der Vorstadt Quartier und ließ auch seinenQuartiergeber an seinem guten Leben teilhaben.

Seine seltsame Lebensweise, deren Grund die Leute nicht kannten,brachte ihn bald in den Geruch eines Zauberers und Wahrsagers; vonallen Seiten strömten Menschen herbei, um sich von ihm über allerleiDinge Rat zu holen. Da er sich bei seinen Ratschlägen auf seinen gesun-den Menschenverstand verließ, hatte er manche Erfolge aufzuweisen,was zur Hebung seines Rufes noch beitrug.

So lebte Georg Thalhammer getreu seiner Abmachung mit demSatan, und dieser mußte erkennen, daß er ein schlechtes Geschäft mitdem Landsknecht abgeschlossen hatte. Aber er hoffte, durch ihn aufandere Weise einen Profit zu machen. Als das dritte Jahr zur Hälftevergangen war, erschien er eines Tages unvermutet bei dem Bären-häuter und erklärte, er wolle ihm den Rest der bedungenen Frist erlas-sen. „In kurzer Zeit", sagte er, „wird ein reicher Wiener Bürger bei dirvorsprechen, um sich deinen Rat in einer Hausstreitigkeit zu holen.Du darfst ihm aber deine Hilfe nur unter der Bedingung zusagen,daß er dir eine seiner drei Töchter zur Frau gibt."

Der Böse unterrichtete ihn sodann über das, was er dem Bürger zusagen habe, und gab ihm neuerlich viel Geld, damit er die Habgier desBürgers reizen könne, wenn dieser vielleicht an dem wüsten Aussehendes Bewerbers Anstoß nehmen sollte. „Du kannst ihm getrost hundert-tausend Dukaten zusichern", meinte der Höllenfürst, „sie werden dirzur Verfügung stehen."

Als nun am nächsten Tag der in Aussicht gestellte Besuch wirklicherschien und gegen Geld und gute Worte den Rat des Bärenhäuterserbat, ging dieser ganz nach den Weisungen seines teuflischen Rat-gebers vor und erklärte: „Ich kann dich wohl beraten, doch tue ich diesnicht gegen Geld; denn davon habe ich selbst genug. Wenn du willst,kann ich dir mit etlichen tausend Dukaten noch aushelfen, mir kommtes nicht darauf an. Meinen Rat aber kann ich dir nur unter der Bedin-

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gung geben, daß du mir eine deiner Töchter zur Frau gibst. Wenn dichaber etwa mein übles Aussehen stören sollte, so laß dir gesagt sein,daß dies nur ein kleiner Nachteil ist, der reichlich dadurch aufgewogenwird, daß ich deine Tochter zur reichsten Frau im Lande machen kann."

Der Bürger war durch diesen Antrag aufs höchste überrascht, auchstieß ihn die Häßlichkeit des Bewerbers ab; aber sein Geiz trug schließ-lich über alle Bedenken den Sieg davon, und er sagte dem Bärenhäu-ter die Hand jener Tochter zu, die ihn freiwillig wählen würde.

Nachdem sie so handelseins geworden waren, erhielt der Bürgerdie gewünschte Auskunft und entfernte sich wieder. Thalhammer abererschien schon am nächsten Tag in der ganzen Scheußlichkeit seinesAufzuges im Hause des Bürgers, um eines der Mädchen zu freien. Seineschmutzstarrende Häßlichkeit erregte bei allen drei Töchtern des Haus-herrn tiefe, ungeteilte Abscheu; die beiden älteren weigerten sich ent-schieden, eine Verbindung mit diesem unflätigen Ungetüm einzugehen.Nur die jüngste Tochter gab endlich, durch vieles Zureden ihres Vatersbewogen, ihre Zustimmung zur Ehe mit dem Bärenhäuter. Die Hoch-zeit sollte innerhalb Monatsfrist stattfinden.

Während im Hause der nicht gerade glücklichen Braut alle Vorbe-reitungen zur Feier getroffen wurden, änderte Thalhammer nichts anseinem Aussehen und bot mit seinem schmierigen Äußeren, dem ver-filzten Haar und Bart und dem schmutzigen Bärenfell alles eher alsdas Bild eines festlichen Bräutigams. Da stellte sich in der Morgenfrühedes Vermählungstages Meister Urian bei ihm ein und sagte: „Nun istes aber höchste Zeit, daß du dich deiner Braut in einem andern Aufzugals bisher präsentierst." Er führte ihn zu einem Bach, wusch ihn gründlichab und rieb ihn mit wohlriechenden Essenzen ein. Dann befahl er ihm,in die Stadt zu eilen und sich einen neuen Anzug sowie Wagen undPferde zu kaufen, Dienerschaft aufzunehmen und in höchstem Staatbeim Haus der Braut vorzufahren, um sie zur Hochzeit abzuholen.

Thalhammer führte alles aus, was ihm der Teufel aufgetragen hatte.Höchstes Aufsehen entstand, als plötzlich am Haus der Braut eine präch-tige Karosse vorfuhr, der ein feingekleideter vornehmer Herr entstieg,in dem kein Mensch den Bärenhäuter erkannt hätte.

Je mehr sich die Braut über diese unvermutete Verwandlung ihresBräutigams freute, desto größer wurden der Ärger und die Betrübnisder beiden andern Schwestern. Sie verwünschten ihre Verblendungund verfielen schließlich in Trübsinn, der unter den bösen Einflüste-rungen des Teufels mit dem Selbstmord der beiden endete. So hatteder Satan zuletzt doch noch ein gutes Geschäft gemacht.

Georg Thalhammer aber lebte mit seiner schönen Frau noch langeJahre in Glück und Zufriedenheit in dem Haus am Lugeck, das seitdieser Zeit „Zum schwarzen Bären" genannt wurde.

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Die Totenmette im Stephansdom(Siehe Farbtafel Seite 32)

Der Weihnachtsabend des Jahres 1363 war gekommen. Bei traulichemAmpelschein saß der Pfarrherr von St. Stephan, Graf Albrecht

von Hohenberg, in seiner warmen Stube und las in einem vergilbtenBuch, dessen Inhalt ihn stark fesseln mußte, da er das Stürmen desNordwinds, der über den Friedhof brauste und an seinen Fenstern rüt-telte, ganz überhörte. Sinnend machte er sich nochmals daran, die krau-sen Buchstaben der alten Pfarrchronik zu entziffern, deren Inhalt ihmso merkwürdig vorkam. Doch es war kein Irrtum. Er hatte richtig ge-lesen.

„Wen du in der Christnacht erschaust im Gotteshaus, angetan mitdem Sterbegewand, dem löscht der Tod die Lebensleuchte aus, bevorein Jahr um ist", stand hier geschrieben. Der greise Pfarrer schüttelteden Kopf. Das konnte er nicht glauben; diese Worte mußte wohl einMann geschrieben haben, der gern fabulierte.

Doch horch, wie sonderbar! Durch die düstere Nacht, das Brausendes Sturms übertönend, dringt plötzlich ein feierlicher Gesang vom Domher an das Ohr des lauschenden Greises. Was kann das sein? Jetzt, umdiese Stunde eine Beterschar in den Hallen des Domes? Erstaunt trittder Pfarrer an das Fenster seiner Stube und blickt zur Kirche hinüber.Heller Lichtschein dringt aus den hohen Bogenfenstern des alten Baues.Nun überwindet Hohenberg seine innere Scheu, hüllt sich in seinenMantel und schreitet mit dem Kirchenschlüssel in der einen, einerLeuchte in der andern Hand über den verschneiten Friedhof dem Tordes Gotteshauses zu.

Bevor er den Schlüssel ins Schloß steckt, betet er leise: „Vater imHimmel, verzeih, es ist kein Frevel, daß ich so spät deinem Hause nahe,nur die Pflicht führt mich hierher, dein Heiligtum zu schirmen. Wasauch meiner harren mag, ich fürchte es nicht. Gelobt sei Gott!"

Knarrend öffnete sich die Pforte, festen Schrittes trat der Priester ein.Doch erstaunt blieb er stehen, als sein Blick auf die Menge der Beterfiel, die Kopf an Kopf die weite Halle füllten. Auch im Chor saßenviele Leute, kein Plätzchen war frei. Während seine Blicke über dieAndächtigen streiften, schien es ihm, als sähe er manches bekannteGesicht darunter. Und als er schärfer hinblickte, erkannte er hier Klein-Suschen, das doch, wie er wußte, sterbenskrank daheim in seinem Bett-chen lag, und dort — war das nicht Frau Margaret, die Wohltäterinder Armen? Da saß ja der alte Klaus, der immer am Stock ging, undneben ihm sein Enkelkind! So erkannte der Pfarrer neben manchenfremden Gesichtern viele seiner Pfarrkinder, und alle trugen graueTotenhemden.

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D i e T o t e n m e s s e i m S t e f a n s d o m

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Als er dann den Blick zu einem Seitenaltar wandte, wo sich eben derPriester segnend seiner Gemeinde zukehrte, sah er erbleichend seineigenes Bild. In diesem Augenblick dröhnte es vom Turm: Eins. DieStimmen verstummten, der unheimliche Spuk verschwand. Der Pfarrerstand allein mit seiner spärlichen Leuchte im finstern Dom.

Mit wankenden Knien schleppte sich Hohenberg fröstelnd in seinwarmes Stübchen zurück. Erschüttert nahm er die Chronik zur Handund trug sein Erlebnis in das alte Gedenkbuch ein. Sorglich schrieb erdie Namen aller derer ein, die er im Dom gesehen hatte, und vergaßnicht, zuletzt seinen eigenen hinzuzufügen.

Ein Jahr war vergangen. Wieder kam die selige Weihnachtszeit, dochdiesmal war sie nicht fröhlich in Wien. Der „Schwarze Tod" war in derStadt eingekehrt, weder Graf Hohenberg noch die fromme Beterschar,die im Vorjahr den Dom erfüllt hatte, konnten diesmal zur Morgen-mette kommen. Die Pest hatte alle hinweggerafft, die der alte Pfarrherrin seiner Chronik verewigt hatte, und mit ihnen noch unzählige andere,deren Namen nirgends vermerkt waren.

Die Löwenbraut(Bild Seite 264)

Im Jahre 1590 feierte die Familie Kaiser Maximilians I I . im „SchloßNeugebäude" bei Wien-Schwechat das Geburtsfest einer kleinen Prin-

zessin. Eine große Zahl von Edelleuten sowie prächtig geputzten Edel-frauen hatte sich im Schloß eingefunden, um dem Geburtstagskind dieergebensten Glückwünsche darzubringen. Kanonendonner leitete dieFeier ein, die rauschenden Klänge der Musikkapellen erfüllten den Parkund die prunkvollen Räume. Das erst vierjährige liebliche Töchterchendes Schloßverwalters, Berta, trat, als Schutzgeist Österreichs gekleidet,vor die kleine Prinzessin und überreichte ihr mit den untertänigstenWünschen einen herrlichen Blumenstrauß. Da jubelten die Gäste, Festes-freude lag auf allen Gesichtern.

Plötzlich erscholl ein grimmiges Gebrüll, und zum Entsetzen derFestgäste betrat ein majestätischer Löwe den Saal. Er war, durch denLärm und das Getöse wild geworden, aus seinem Käfig ausgebrochen,hatte den Garten durchquert und war so in das Schloß gelangt, wo ernun, geblendet von all dem Glanz und Gewoge, verdutzt stehenbliebund das Menschengewimmel anstarrte. Die kleine Prinzessin und mitihr alle Gäste schwebten in höchster Gefahr. Aber schon waren dieWachen herbeigeeilt, um die gefährliche Bestie niederzuschießen. Dawarf sich die kleine Berta schützend vor den Löwen, umschlang mit

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ihren Ärmchen das gewaltige Haupt des wilden Tieres und rief mitbittender Stimme in den Saal: „Nichts meinem Löwen zuleide tun,nichts tun! Er wird mir brav folgen!" Und zum größten Staunen allerAnwesenden ließ sich der mächtige Löwe von dem kleinen Mädchenaus dem Saal führen, folgte ihm ruhig zu dem Käfig und betrat frei-willig das enge Gelaß. Alles erschien wie ein Wunder.

Der Vater des Mädchens klärte die sprachlosen Festgäste auf: „Bertaist seit zwei Jahren mit dem Löwen vertraut; er kennt sie und gehorchtihr immer, zahm wie ein Lämmlein." Dankbar für die wunderbareRettung der Prinzessin, gebot der Kaiser, die kleine Berta möge denLöwen als ihr Eigentum betrachten, und sagte: „Du sollst von nun anden Namen ,Löwenbraut' führen."

Jahre waren seitdem verflossen. Aus dem kleinen Mädchen war eineschöne, sittsame Jungfrau geworden, die Freude und der Trost ihrerEltern. Die Freundschaft des wilden Tiers und des zarten Mädchenswar immer inniger geworden. Oft saß die Jungfrau im Tiergarten undstreichelte das zottige Haupt des gewaltigen Löwen, der alle Zeichendes Wohlbehagens zu erkennen gab. Sobald sie aber einen Tag ausblieb,konnte man deutlich seine Trauer merken ebenso wie seine Freude,wenn sie am andern Morgen wieder zum Käfig kam.

Nun hatte ein stattlicher junger Mann, ein Hauptmann der kaiser-lichen Reiterei, um die Hand der lieblichen Jungfrau geworben, und dieLöwenbraut sollte seine Frau werden. Die Eltern waren damit einver-standen, der Tag der Hochzeit wurde festgesetzt. Da gab es denn soviel vorzubereiten, daß Berta oft keine Zeit fand, sich um ihren Löwen-freund zu kümmern. Das Tier aber schien sichtlich traurig darüber,daß es die gewohnten Liebkosungen seiner Freundin entbehren mußte.Endlich kam der Hochzeitstag. Noch einmal wollte die schöne jungeBraut den Gespielen ihrer Jugend aufsuchen, um sich für immer vonihm zu verabschieden. Im Brautgewand betrat sie den Käfig, liebkostedas Tier mit Tränen in den Augen und drückte ihre Wange an seinengrimmigen Rachen. Doch der Löwe blieb traurig, als hätte er geahnt,daß es ihr letzter Besuch sein sollte. Da bemerkte er den Bräutigamder Jungfrau vor dem Käfig, seine Wut erwachte; als gönnte er demNebenbuhler die traute Gesponsin nicht, stellte er sich vor die Türdes Käfigs, dem Mädchen den Ausgang versperrend. Ein schrecklichesBrüllen erscholl, und ehe der Bräutigam zu Hilfe eilen konnte, hatte einPrankenschlag des Löwen das arme Geschöpf zu Boden gestreckt. Rotfärbte sich das Brautkleid vom Blut der Sterbenden.

Sinnlos vor Schmerz und Wut stürzte sich der Hauptmann auf denLöwen und tötete ihn. Weinend nahm er Abschied von der Geliebten,die ihm ein grausames Schicksal am Hochzeitstag entrissen hatte. KeinTrost konnte sein herbes Leid lindern; seine Lebensfreude war dahin.

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NIEDERÖSTERREICH

Der „Zwergenstein" auf dem Schneeberg

Vor undenklichen Zeiten lebte auf dem Schneeberg unweit vonPuchberg und Gutenstein ein gutartiges Zwergenvölkchen. Es

zeigte sich freundlich und gefällig gegen die Menschen, die ihre Her-den gern auf die saftige Alm trieben; denn nirgends gediehen die Kräu-ter so prächtig wie hier, nirgends gab es köstlichere Milch, bessere Butterund fetteren Käse.

Die Bergmännlein halfen den Hirten bei der Arbeit, trieben ihnendas Vieh zusammen und machten Butter und Käse. Sie begnügten sichmit ein wenig Milch als Entlohnung und hatten ihre Freude, wenn sieauf dem Rücken der Kühe reiten konnten. Einmal aber knallte ein wil-der Halterbub einem Männlein, das auf dem Rücken der schönstenKuh ritt, einen tüchtigen Hieb mit der Peitsche über den Rücken.Seitdem sah man lange Zeit kein Zwerglein mehr, über das Almviehkamen arge Krankheiten, und der Ertrag der Alm ging beträchtlichzurück.

Eine stürmische Christnacht lag über dem dichtverschneiten Puch-berger Tal, da klopfte es an das mit Eisblumen bedeckte Fenster einerarmseligen Hütte, die am Hang des Schneebergs angelehnt stand. Eindichtvermummtes, schneebedecktes Männlein stand vor dem Häuschenund bat, zitternd vor Kälte, die armen Bauersleute: „Gebt mir Einlaßund Nachtlager!"

„Das kannst du haben", meinte freundlich der Bauer. „Komm nurherein! Aber willst du nicht vorher mit uns etwas essen?"

„Gern", erwiderte das Männlein; „denn ich habe rechtschaffenenHunger."

Das Männlein setzte sich zu den Hausbewohnern an den Tisch undverzehrte mit ihnen das karge Mahl. Dann richtete man ihm auf derOfenbank ein Nachtlager, und der Kleine legte sich dort zufrieden zurRuhe. Am nächsten Morgen kramte der Zwerg eine Weile in seinemRanzel herum und legte dann dem jüngsten Kind des Bauern zweischöne rotbäckige Äpfel in die Wiege. „Habt Dank für die gastlicheAufnahme", sagte er freundlich beim Abschied; „ich biete euch dafürnur eine unansehnliche Gabe, doch achtet sie nicht gering! Lebt wohlund bewahrt euren mildtätigen Sinn!"

Als das Männlein in den Schnee hinausschritt, sah ihm der Großvaternach und konnte deutlich wahrnehmen, wie auf seinem Haupt eine gol-

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dene Krone im Morgenlicht glänzte. Es war der Zwergkönig, dessenGestalt im Dahingehen immer größer wurde, bis sie sich in der Fernehinter den Schneewächten verlor. Der Bauer glaubte zu träumen, alser nun an die Wiege seines Kindes trat, um die Äpfel näher zu besehen;denn heller Goldglanz strahlte ihm entgegen, und das Gewicht derleuchtenden Früchte verriet, daß sie aus purem Gold bestanden. So wardas arme Bäuerlein über Nacht ein reicher Mann geworden.

Ein solch wunderbares Geschehnis redet sich gar bald herum. Undso erfuhr auch ein alter Schäfer davon, der in der Nähe wohnte. Derdachte, es wäre so übel nicht, wenn der Zwergkönig auch bei ihm Ein-kehr hielt und dafür ein goldenes Geschenk gäbe. Da aber niemandzu seiner Hütte kam, um sich beherbergen zu lassen, ließ er seine Herdeim Stich, ging auf den Schneeberg und wollte den Zwergkönig auf-suchen. Mit lauter Stimme rief er ein über das andere Mal: „Kehr dochauch bei mir ein und gib mir eine goldene Gabe!" Aber alles blieb stummund still, nur der Widerhall seiner Stimme tönte aus den Bergen zu-rück. Lange irrte er in den Felsen umher und ließ seine Stimme erschal-len. Plötzlich zuckte ein greller Blitz über den winterklaren Himmel,ein mächtiger Donnerschlag grollte durch die Luft, und ein ungeheurerFelsblock stürzte vom Hang vor die Füße des zu Tode erschrockenenSchäfers herab. Nun sah er ein, daß die Zwerge mit ihm nichts zu tunhaben wollten, und stapfte brummend und murrend nach Hause. DieserFels ist noch heute auf dem Schneeberg zu sehen und heißt der „Zwer-genstein".

Die Zwerge blieben seither für immer verschwunden.

Die Feenkönigin auf dem Jauerling

Im Groisbachtal bei Spitz in der Wachau lag vor vielen Jahren tief imWaldesgrund eine einsame Mühle, die ein ehrsamer Müller mit

seiner Frau und seinem dreizehnjährigen Töchterchen bewohnte. DieMüllerin lag seit Jahren krank darnieder; alle Ärzte, die der Müllermit großen Kosten von weit und breit hatte kommen lassen, warensich darüber einig, daß das Leiden der Frau unheilbar sei. Sorgenvollzerbrach sich der arme Mann den Kopf, was er tun solle, um wenig-stens die Schmerzen seiner lieben Ehefrau zu lindern. Unterdessenpflegte das heranwachsende Mädchen die kranke Mutter mit aufopfern-der Liebe und suchte der Schmerzgequälten jeden Wunsch von denAugen abzulesen.

Da hörte das Mädchen eines Tages, wie mitleidige Nachbarsleute

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ihrem Vater erzählten, es gebe wohl ein Mittel, die Kranke zu heilen;das sei das Wunderblümchen Widertod, das eine reine Jungfrau umMitternacht beim Vollmondshein hoch oben auf dem Jauerling pflük-ken müsse. Es sei aber so selten, daß kaum ein Sonntagskind es findenwürde.

Das Mädchen überlegte nicht lange. Es liebte seine Mutter so heißund innig, daß ihm kein Weg zu beschwerlich, kein Schrecken zu großschien, ihn für seine Mutter nicht auf sich zu nehmen. Gleich in dernächsten Vollmondnacht stahl sich die Kleine aus dem Haus, stieg dieSchlucht des Groisbaches hinan und kletterte im einsamen Wald dieHänge des Jauerlings empor, keiner Dornen und Disteln, keiner Felsenund Schrunde achtend, wenn sie auch ihre zarte Haut zerrissen undblutige Striemen ihr Gesicht bedeckten. Nur ein Gedanke erfüllte ihrganzes Sinnen: ihr Mütterlein sollte wieder gesund werden.

Unterdessen war der Mond immer höher gestiegen und ließ seine

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bleichen Strahlen durch das Geäst der Bäume spielen, die ganz plötz-lich zurücktraten und eine weite Lichtung freigaben, in deren Mittedas verwunderte Mädchen ein herrliches Schloß erblickte. Zögerndtrat die Müllerstochter an den prächtigen Bau heran. Da öffnete sichdessen prunkvolles Tor, eine wunderschöne Frau stand unter demTorbogen und winkte dem Mädchen einzutreten. Durch einen blühendenZaubergarten, in dem die lieblichsten Blumen standen und jubelndeKinder fröhliche Spiele trieben, führte die Fee das Mädchen in einenglänzenden Saal.

„Nun sag mir, mein Kind", begann sie dort, indem sie sich auf einenfunkelnden Thron niederließ, „was willst du von mir? Möchtest du beimir bleiben? Soll ich Kinder herbeirufen, damit sie dich zu ihren Spie-len einladen? Sag es ruhig, mein Kind, ich will dich gern in meinemSchloß behalten, du wirst es nicht bereuen."

Doch das Mädchen schüttelte ablehnend den Kopf. „Mein Mütter-lein ist sehr krank", lispelte es. „Ich möchte so gern, daß sie wiedergesund wird. Kannst du mir nicht das Blümlein Widertod geben,durch das sie allein Heilung findet?"

Nochmals versuchte die schöne Feenkönigin, das Mädchen zum Blei-ben zu bewegen. Aber alle Lockungen, alle Versprechungen, die Aus-sicht auf die herrlichsten Kleider, die schönsten Spiele konnten denSinn des Kindes, das nur an seine kranke Mutter dachte, nicht ändern.Es bat die Feenkönigin, nicht zu zürnen, wenn es nicht bleibe, dennohne sein Mütterchen hätten alle Herrlichkeiten der Welt nichts zubedeuten.

Da lächelte die erhabene Frau und sprach: „Du bist ein gutes Kind.Du sollst die Wunderblume haben. Dein Mütterchen wird wieder ge-sund werden, und du selbst wirst den Lohn für deine Kindesliebe undTreue in einem glücklichen Leben auf Erden finden. Nun geh und grüßedeine Mutter von mir!"

Das Mädchen wollte der gütigen Fee mit heißem Dank zu Füßenfallen, da schien deren Gestalt, der glänzende Saal und alles ringsumplötzlich zu versinken. Taumelnd schloß es die Augen, ihm war, alsentfernten sich leise murmelnde Stimmen. Als es die Augen wiederöffnete, stand es auf der Lichtung mitten im Wald, Ruhe herrschteringsum, nur der Mond über ihm schien lächelnd zu nicken: „Es warkein Traum, aber nun geh nach Hause, mein Kind!"

Als es wieder heimkam, trat ihm schon unter der Tür gesund die ge-liebte Mutter entgegen, ein wenig bange nur, weil sie ihr liebes Kind ver-mißt hatte, das ihr nun fröhlich in die Arme flog.

Der Segenswunsch der Feenkönigin ging auch an der Jungfrau inErfüllung. Sie heiratete später einen braven Bürgerssohn und hatte vielGlück in ihrem Leben.

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Das Zwergenloch bei Hundsheim

In einem ärmlichen Häuschen in Hundsheim lebte einst ein alter Mannmit seiner Enkelin. Eines Tages begegnete das Mädchen beim

Schwämmesuchen auf dem Hexenberg einer Schar kleiner Männlein, denBewohnern des Höhlenreiches im Hexenberg. Die Zwerge luden dieMaid ein, zu ihnen in den Berg mitzukommen, und versprachen ihrreiche Schätze an Silber und Gold. Sie aber weigerte sich standhaftmitzugehen und eilte rasch nach Hause, wo sie dem Großvater ihr Er-

lebnis erzählte. Der Alte lobte ihre Klugheit und warnte sie eindringlichvor den Zwergen.

Als die Jungfrau im nächsten Jahr wieder einmal auf den Berg ge-gangen war, traf sie abermals die Zwerge, die ihr diesmal außer Goldauch kostbare glänzende Edelsteine, soviel sie nur wolle, prächtige Klei-der und ein herrliches, lustiges Leben versprachen. Das war nun desGuten zu viel und ließ die Maid ihre guten Vorsätze und die Warnun-gen des Großvaters vergessen. Ohne sich viel zu bedenken, folgte sieden Zwergen in den Berg. Wie erstaunte sie, als sie die Pracht in denunterirdischen Gängen und Sälen gewahrte! Von allen Wänden glitzer-ten funkelnde Edelsteine, in den herrlichen Zaubergärten, die sie durch-schritten, prangten die zierlichsten Blumen, aus Diamanten, Rubinenund Smaragden zusammengesetzt. Sie konnte sich nicht sattsehen an

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all diesen Herrlichkeiten, vergaß ganz auf Oberwelt, Großvater undFreundinnen und blieb im Reich der Zwerge.

Der so plötzlich einsam gewordene alte Mann war untröstlich überdas Verschwinden seiner geliebten Enkelin. Er war fest überzeugt, daßsie den Lockungen der Zwerge erlegen sei, und ging oft zum dunklenEingang des Zwergenreiches auf dem Berg, um die Wächter zu bitten,ihm das Mädchen wieder herauszugeben. Aber diese wollten nichts da-von wissen und drohten ihm mit dem Tod, wenn er versuchen sollte, inihr Reich einzudringen.

Ein Jahr hielt sich die Jungfrau schon im Berg auf. Da geschah eseinmal, daß sie bei ihren Wanderungen durch die prächtigen unter-irdischen Räume in die Nähe des Höhleneingangs kam, wo mehrerebewaffnete Zwerge Wache hielten. Plötzlich gewahrte sie überraschtein Stück blauen Himmels in das Dunkel der Höhle hereinleuchtenund wurde von tiefer Sehnsucht ergriffen, den lieben Großvater wieder-zusehen und auf Erden unter den Menschen zu weilen. Sie wollte insFreie eilen, aber die Wächter hielten sie mit Gewalt zurück und schlepp-ten sie trotz allen Sträubens in das Innere des Berges hinein. Geradezu dieser Zeit kam der Großvater zum Zwergenschloß, hörte die ver-hallenden Hilferufe und erkannte die Stimme seiner Enkelin.

Kniefällig bat er die Zwerge, sie möchten sein Kind doch wenigstensfür einen Tag auf die Oberwelt zurückkehren lassen. Die Tränenrannen dem alten Mann dabei über die Wangen. Aber die Zwergeblieben hart und unerbittlich und wiesen den Alten vom Eingang fort.

Da wurde der Greis von bitterem Schmerz und wildem Zorn über-mannt und stieß eine grimmige Verwünschung gegen die Koboldeund ihr prächtiges Reich aus. Und der Himmel erhörte seinen Fluchund ließ ihn sogleich in Erfüllung gehen. Die Erde erbebte aus demSchoß des Berges erscholl ein furchtbares Brausen, die Säle des unter-irdischen Palastes stürzten zusammen und begruben die tückischenZwerge, mit ihnen aber auch das arme gefangene Menschenkind.

Wo früher die prunkvollen Räume des herrlichen Bergschlosses inhellem Glanz erstrahlten, liegen heute die düsteren, wilden Kalkstein-höhlen des Zwergenlochs.

Die Geistergräfin von Fischamend

Vor vielen Jahrhunderten, als die Gegend um Fischamend noch vondichten Wäldern bedeckt war, stand am Ufer der Fischa ein

prächtiges Schloß, das eine stolze junge Gräfin bewohnte, die mit Leibund Seele der Jagd ergeben war. Ihre Jagdleidenschaft war so groß, daß

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sie darob alles andere, sogar den lieben Herrgott vergaß. Wenn an Sonn-und Feiertagen die Glocken zur Kirche riefen, ließ sie das Hifthornerschallen und ritt hoch zu Roß unter Hundegekläff mit ihren Jagd-gesellen in den grünen Tann. Da hielt sie nichts ab, über die frucht-barsten Felder zu stürmen, wenn auch die Hufe der Pferde die reifende

Saat zerstampften, und wehe dem Bauern, der sich vermaß, um Scho-nung der Ernte zu flehen. Er mußte gewärtigen, mit grausamen Peit-schenhieben hinweggejagt zu werden. So trieb es die übermütige Frauallerorten.

Eines Sonntags frühmorgens ritt die tolle Schloßherrin wieder zurJagd aus. Bald hatten die Hunde einen Hirsch aufgestöbert, dem dieGräfin mit ihrer Meute unermüdlich tief in den dunklen Wald hineinnachhetzte. Alle ihre Begleiter waren schon zurückgeblieben, aber dierasende Jägerin verfolgte das Wild über Stock und Stein, durch Ge-strüpp und Dornen, bis das todmüde Tier schweißbedeckt vor derHütte eines Einsiedlers am Fuß eines Kreuzesstammes zusammenbrach.

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Da trat der fromme Mann aus der Hütte, stellte sich schirmend nebendas Tier und rief, indem er seine Hände abwehrend gegen die mord-gierige Verfolgerin ausstreckte: „Halt ein, Verblendete! Erkenne denWink des Himmels, der dieses unschuldige Geschöpf unter meinenSchutz stellt! Laß ab davon, den Tag des Herrn durch deine wildeLeidenschaft zu entweihen, und gönne den Tieren im Wald dochwenigstens an diesem Tag ihren Frieden! Erlege das Tier nicht andieser gottgeweihten Stelle, sondern ziehe friedlich von dannen!"

So sprach der gottesfürchtige Klausner. Aber die hartherzige Jägerinverlachte die Worte des Einsiedlers, spannte den Bogen und sandte demerschöpft daliegenden Tier den scharfen Pfeil in das Herz. Entrüstetüber diese rohe Tat an heiliger Stätte, erhob der Greis drohend denArm und rief mit beschwörender Stimme: „Weh dir, verwegenes Weib!Du hast durch deine frevelhafte Tat das Kreuz geschändet, an dessenStamm das arme Tier Zuflucht gesucht hat. Du sollst dafür verdammtsein, ewig als Geist umherzuirren, keine Ruhe mehr zu finden und indiesen Wäldern hier bis an das Ende der Zeiten zu jagen."

Entsetzen erfaßte die junge Gräfin über diesen schrecklichen Fluch.Sie wandte ihr Pferd und jagte davon, um ihr Gefolge wieder zu er-reichen. Aber sie fand sich in dem weiten, dichtbewachsenen Gebietnicht mehr zurecht. Bis zum späten Abend irrte sie in den düsterenWäldern umher, sie vermochte keinen Ausgang aus dem Wirrsal zufinden, erblickte keine Menschenseele und verfiel allmählich in tödlicheAngst. Schon war es stockdunkel, unheimlich erschallte der Ruf nächt-licher Vögel. Nun stieg die Gräfin vom Pferd, sank reumütig in dieKnie und flehte zum Himmel um Verzeihung und Hilfe. Da drangaus weiter Ferne der leise Ton einer Glocke an ihr Ohr. Es war dieGlocke vom Turm zu Fischamend, die zu so später Stunde den Abend-segen läutete.

Freudig folgte sie dem Klang des Glöckleins und gelangte endlicherschöpft in den Ort Fischamend. Mit Tränen in den Augen warf siesich vor dem Holzkreuz nieder, das an der Mauer des Turmes stand,und dankte dem Herrn mit bewegtem Herzen, daß er sie auf so wunder-bare Weise aus dem nächtlichen Dunkel hierhergeführt hatte. Als dieGräfin erfuhr, daß die Glocke von selber ertönt sei und der Himmeloffenkundig ein Wunder gewirkt habe, gelobte sie, von nun an täglichum die gleiche späte Abendstunde das Glöcklein läuten zu lassen, damitauch fernerhin Wanderer, die sich im Wald verirrt hätten, den Weghierher finden könnten. Von dieser Zeit an wurde die Glocke vonFischamend täglich um diese Stunde geläutet.

Der Fluch des Klausners aber ging nach dem Tode der Gräfin trotz-dem in Erfüllung. Sobald es zu dunkeln beginnt, fährt die Geistergräfinmit ihrer Meute gleich der Wilden Jagd tosend über Felder, Auen und

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Wälder. Wenn dann der Klang des Glöckleins vom Turm zu Fischamendanhebt, sich über die Gefilde zu schwingen, zieht die gespenstischeGräfin dem klagenden Ton nach, um zuletzt in den Auen zu ver-schwinden. Ist dies geschehen, so verändert das Abendglöcklein seineStimme und verklingt mit hellem, freudigem Ton in der ruhigen Nacht.

Die stolze Föhre im Marchfeld

Im Marchfeld stand vorzeiten ein uralter Baum, der wegen seinesprächtigen Wuchses die ,stolze Föhre' hieß. In diesem mächtigen

Baum wohnte eine wunderschöne Fee, die tagsüber, in ein häßlichesaltes Weib verwandelt, am Fuß der Föhre saß und die Vorübergehendenanbettelte, um ihre Freigebigkeit zu erforschen. Kein Mensch vermutetein der triefäugigen Alten eine schöne, zauberkundige Fee.

Damals wohnte in Marchegg ein geiziger Großbauer, der täglich mitseiner Magd, einer armen Waise, am Baum vorüberging, um seine Feld-arbeit zu verrichten. Der Magd tat die alte Frau leid, und sie teilte mitleidig jeden Tag ihr Frühstücksbrot mit der armen Bettlerin. Denfilzigen Bauer aber dünkte es schade um jede Brotkrume, die in denSchoß der Alten fiel, und er schnitt seiner Magd das Brot von Tag zuTag kleiner vor, bis er ihr eines Tages gar keines mehr gab. So mußtedas arme Ding seine Arbeit den ganzen Vormittag mit hungrigemMagen tun. Das schmerzte sie aber weniger als der Gedanke, daß dieAlte unter dem Baum nun täglich ganz leer ausgehe. Sie weinte oftbittere Tränen darüber.

Es begab sich nun eines Tages, daß der Großbauer zu einer Hochzeitins Nachbardorf eingeladen wurde. Da er wußte, daß es dort gut zuessen und zu trinken geben werde, und die Sache keine Unkosten machte,ging der knauserige Filz beizeiten aus dem Haus, um nichts zu versäu-men, aß und trank den ganzen Tag, was der Bauch hielt, und machtesich erst gegen Mitternacht auf den Heimweg, der ihn an der stolzenFöhre vorbeiführte. Wie war er überrascht, als er an ihrer Stelle einenherrlichen, hellerleuchteten Palast erblickte, aus dem muntere Tanzwei-sen ertönten! „Holla", sagte sich der Bauer, „da muß ich doch nach-sehen, was los ist. Vielleicht schaut für mich auch noch etwas heraus."Er trat durch das weitgeöffnete Tor und gelangte in einen prunkvollenSaal, in dem eine Menge winziger Zwerge um eine liebliche Fee an einerüberreich besetzten Tafel saß. Man lud den Bauer freundlich ein, an derTafel Platz zu nehmen und zuzugreifen. Das ließ sich der habgierigeMann, der nie genug bekommen konnte, nicht zweimal sagen. Gleichwar er dabei und hielt wacker mit. Zwischendurch steckte er noch ein,

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was in seinen Taschen Platz fand, um sich für den nächsten Tag auchnoch mit den guten Bissen zu versorgen. Als die Fee nach einiger Zeitmit den Zwergen in den Tanzsaal schritt, beurlaubte sich der Bauer;denn vom Tanzen hielt er viel weniger als vom Essen.

Daheim angelangt, erzählte er seinen Leuten das wunderbare Erlebnisund zog zum Beweis der Wahrheit die mitgebrachten Kuchen und Bratenund sonstigen Leckerbissen aus seinen Taschen hervor. Aber was wardas? Nichts als Roßmist und Kuhfladen waren in den Säcken, und derDuft dieser Dinge war nichts weniger als einladend. Das laute Gelächterder Hausleute machte seinen Zorn nicht geringer, erbost warf er dasZeug seiner Magd in die Schürze. „Da hast du", rief er höhnisch, „kannstmeinetwegen morgen mit dem Bettlerweib teilen!"

Wortlos ging die Magd in den Hof hinaus, um den Unrat in dieDüngergrube zu leeren. Aber als sie eben die Schürze öffnen wollte,hörte sie es drinnen so merkwürdig klingeln. Verwundert hielt sieNachschau, was das sein könnte, und fand die ganze Schürze voll mitklingenden, funkelnden Goldstücken. Hocherfreut lief sie sogleich zurFöhre — denn der Tag graute schon —, um ihren Schatz mit der armenAlten zu teilen. Aber siehe da! Aus dem häßlichen alten Weib war einewunderschöne Fee geworden, die die mitleidige Maid liebreich an ihrHerz zog und so mit Reichtümern überhäufte und obendrein mitsolcher Schönheit ausstattete, daß sie bald die Braut eines bildschönenjungen Grafensohnes wurde, mit dem sie in glücklichster Ehe lebte.

Der schwarze Käfer in Deutsch-Altenburg

E in durstiger Bürstenbinder, ein munterer Seifensieder und ein allzeitfluchbereiter Bauer saßen eines Tages bei Trunk und Kartenspiel

in einem Wirtshaus zu Deutsch-Altenburg beisammen. Das liederlicheKleeblatt war schon den ganzen Tag am Werk, hatte manches Schöpp-lein hinter die Binde gegossen und manchen Gulden gewechselt. DerBauer, der unaufhörlich vom Unglück verfolgt war und seine ganzeBarschaft verloren hatte, erhob sich endlich fluchend von seinem Sitzund machte sich unter dem Gelächter seiner Zechkumpane auf denHeimweg. Ein fremder Handwerksbursche, der die längste Zeit traurigund stumm neben den Spielern gesessen war, schlich ihm nach und re-dete ihn an: „Bauer, ich will dir etwas geben, womit du alles Verlorenewieder zurückgewinnen kannst."

„Ein solches Zaubermittel wäre schon recht", meinte der Bauer,„aber wer weiß, ob ich den Preis bezahlen kann, den du dafür ver-langst!"

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„Den Kaufpreis wirst du erschwingen können", entgegnete derFremde.

„Ich verlange nicht mehr als ein Paar gute Stiefel, die ich morgenbei dir holen will."

Das schien nun dem Bauer nicht zuviel verlangt, doch wollte erwissen, welches Zaubermittel ihm der andere eigentlich anbiete. Aberder tat recht geheimnisvoll und meinte, der Bauer möge nicht weiterfragen, sondern froh sein, daß er das Glück so billig beim Schopfzu fassen bekomme. Darauf gab er ihm eine Blechschachtel, die trotzihrer geringen Größe ein ziemliches Gewicht hatte, und entferntesich mit der Versicherung, er werde am nächsten Tag die Stiefelabholen.

Der Bauer ging wieder in das Wirtshaus zurück und spielte weiter.Wirklich hatte sich das Blatt nun gewendet; er gewann ohne Unter-laß, so daß er bald seinen Verlust hereingebracht und obendrein nochein hübsches Sümmchen gewonnen hatte. Darüber freute er sich un-bändig und konnte es gar nicht erwarten, nachzusehen, was in derSchachtel enthalten sei. Daher empfahl er sich bald zum Ärger seinerFreunde und begab sich eilig nach Haus. Hier schloß er sich in seineKammer ein, zog die Schachtel hervor und hob vorsichtig den Deckel.Ein großer schwarzer Käfer kroch ihm entgegen, so daß er Schachtelund Käfer, von Ekel gepackt, von sich schleuderte. Der Käfer aberkroch auf den Tisch, richtete sich hoch auf und schnarrte: „Behandlemich nur nicht unfreundlich, lieber Bauer; denn ich bin es, dem du dasGlück im Spiel zu verdanken hast. Dafür mußt du mir aber auch zuessen und zu trinken geben. Täglich nach dem Abendläuten hast dumir auf die Tenne drei Maß Wein, einen Laib Brot und fünf PfundFleisch hinzustellen und dich dann gleich wieder zu entfernen, sonstdrehe ich dir den Kragen um!"

Der Bauer, der über den sprechenden Käfer zuerst ganz entsetztwar, ergrimmte über die anmaßenden Worte des sonderbaren Wesensund schrie: „Oho, das werden wir sehen! Mit dir will ich bald fertigsein!" Er nahm den Käfer auf eine Schaufel und warf ihn in die Glutdes geheizten Backofens. Aber da schlugen Flammen heraus, daß derBauer zurückweichen mußte, und eine höhnische Stimme rief: „DurchFeuer wirst du mich nicht los; denn da bin ich in meinem Element."Bevor der erstaunte Mann noch etwas erwidern konnte, fühlte er auchschon die Schachtel wieder in seiner Tasche.

Nun ging er voll Zorn in den Hof hinaus, legte das unheimliche Dingauf einen Hackstock und schlug mit aller Kraft zu, um es zu vernichten.Aber wie sehr er auch mit der schweren Hacke zuschlug, der Käferblieb unverletzt und rief ihm endlich zu: „Du mühst dich vergebens,mich wirst du nie wieder los; du mußt mich behalten."

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Da erkannte der Bauer, daß er dem Bösen in die Klauen geratenwar. Düster und verdrossen schlich er umher und verwünschte denHandwerksburschen, der ihn überlistet hatte. In das Wirtshaus ginger nicht mehr, obwohl es seine Kumpane nicht an Lockungen fehlenließen und ihn schließlich auslachten und verspotteten. Er fürchtete,beim Teufel noch tiefer in die Kreide zu kommen. Seufzend truger jeden Abend Speise und Trank auf die Tenne und fand jeden Mor-gen Schüsseln und Krüge leer. Gar bald aber machte sich der unnützeFresser in der kleinen Wirtschaft bemerkbar, und der Bauer gerietin Schulden und Not. Nun griff er trotz seines Vorsatzes wieder zuKarten und Würfelbecher, das Glück war ihm hold. Bald war er darobbei allen Spielern bekannt und gefürchtet, niemand wollte sich mehrmit ihm in ein Spiel einlassen. Mißmut und Trauer, die er beim Spieleine Zeitlang vergessen hatte, überfielen ihn wieder. Ruhelos eilteer über seine Felder und verbrachte schlaflose Nächte, immer vondem Gedanken gepeinigt, wie er den Schrecklichen losbringen könnte.

Endlich faßte er sich ein Herz, ging zu einem alten Schäfer, vondem es hieß, daß er mehr könne als andere Menschen, und klagteihm seine Not. Der schüttelte bedächtig den Kopf und sagte: „DenTeufel loszuwerden, gibt es nur ein Mittel, und das ist sehr gefährlich.Ich will es dir sagen. Du mußt eine Stunde vor Mitternacht auf demFriedhof sein und dich dort auf einem frischen Grab der Länge nachauf den Rücken legen. Dann mußt du, mit der Hand über den Kopfgreifend, eine Handvoll geweihter Erde zu deinen Häupten nehmenund damit, so rasch du kannst, zum Galgen laufen. Hier legst du dichwieder auf den Rücken und stellst die Schachtel mit dem Käfer andeinem Kopfende nieder, bedeckst sie ganz mit der geweihten Erdeund läufst sodann, was dich deine Beine tragen können, nach Haus.

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D i e K r ö t e a n d e r K i r c h e z u M i s t e l b a c h

Wenn es dir gelingt, vor dem letzten Glockenschlag um Mitternachtunter dein Dach zu kommen, kann dir der Böse nichts mehr anhaben,und du bist ihn los. Glückt es dir aber nicht, so bist du rettungslosverloren. Der Teufel dreht dir das Genick um und fährt mit dir indie Hölle."

Als der Bauer das hörte, ging er traurig nach Hause. Das Wagnisdünkte ihn zu gefährlich; er getraute sich nicht, es auszuführen. Solebte er trübsinnig weiter, während seine Wirtschaft immer mehrherunterkam. Als ihn aber der Käfer eines Tages höhnisch fragte,ob er denn gar nicht darüber froh sei, ein so kräftiges Zaubermittelzu besitzen, und warum er es niemals benütze, geriet der Bauer in stilleWut und schwor sich, das Wagestück zu unternehmen, koste es, wases wolle.

In einer finsteren, stürmischen Nacht schritt er an die Ausführung.Er war kein furchtsamer Mann, dennoch stand ihm der Angstschweißauf der Stirn, als er sich zuerst auf ein frisches Grab, dann unter denGalgen legte. Mit zitternder Hand vollzog er, was ihm der Schäfergeraten hatte, dann rannte er in fliegender Hast heimwärts. Als er beider Brücke am Bach anlangte, begann die Turmuhr eben zwölf zuschlagen. Von Entsetzen gepackt, keuchte er wie ein gehetztes Wilddurch die Straße, war mit einigen Riesensätzen bei seinem Haus undsprang bei der Stubentür hinein, als eben der zwölfte Schlag erdröhnte.

Atemlos stürzte er auf die Ofenbank hin, während zu gleicher Zeitdraußen ein wütender Windstoß gegen das Haus anprallte, daß dieMauern erzitterten, und eine furchtbare Stimme, es war die des Teufels,aus voller Kehle schrie: „Es ist dein Glück, daß du schon unter deinemDach bist, sonst hätte deine arme Seele jetzt unwiderruflich mir gehört!"

Der Bauer war den Teufel los, und von da an ging es wieder auf-wärts mit ihm.

Die Kröte an der Kirche zu Mistelbach

Auf der Anhöhe, an deren Fuß heute Mistelbach liegt, befandsich vorzeiten eine stattliche Burg, in der ein Raubritter seinen

Wohnsitz hatte. Einst überfiel er mit seinen Raubgesellen einen vor-überziehenden Fuhrmann, plünderte ihn aus und ermordete ihn. Ster-bend verfluchte der Unglückliche den wilden Gesellen und drohte,daß sein und seiner Kinder Fluch ihn ewig verfolgen werde. Von derStunde an hatte sich alles gegen den Ritter verschworen. Seine Unter-nehmungen mißglückten, sein Reichtum schmolz dahin, und das Un-glück verfolgte ihn ständig.

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D a s F e s t a u f d e m H e x e n b e r g b e i P e t r o n e l l

In seiner Not ließ er sich mit dem Teufel ein und schloß mit ihmeinen zehnjährigen Vertrag. Der Böse schaffte ihm Geld herbei, so vieler brauchte, und der Ritter lebte zehn Jahre in Saus und Braus, ohnean sein Ende zu denken. Aber die Jahre vergingen, und eines Tageswar sein Schicksal erfüllt. Der Teufel erschien und fuhr mit ihm inden Berg, auf dem die Burg stand. Seitdem sah man des Nachts vonZeit zu Zeit eine große Kröte aus dem Berg herauskommen und aufdem unbegangenen Burgweg herumkriechen. Der Teufel hatte den ruch-losen Ritter in eine Kröte verwandelt, die auf dem Schloßberg ihrnächtliches Wesen trieb. Sie bohrte Löcher in die Mauern der ver-lassenen Burg und unterstützte damit das Zerstörungswerk der Natur.Das stolze Gemäuer bekam Risse und Sprünge und verfiel im Laufeder Zeit zu einer Ruine.

Indessen war im Tal eine Siedlung entstanden. Als das Dorf wuchs,beschlossen die Bewohner, eine Kirche zu erbauen. Als Bauplatz wurdeeine Stelle auf dem Hügel in der Nähe der Burgruine ausersehen, damitder zur Kröte verwandelte Ritter durch die Nähe der heiligen Stättevon seinem Fluch erlöst werde. Kaum aber hatte man mit dem Baubegonnen, kam bei Nacht die Kröte aus dem Berg heraus und zerstörtealles, was man bei Tag aufgerichtet hatte. Das wiederholte sich mehrereMale. Schon wollten die Bauleute die Arbeit aufgeben und die Kirchean einer anderen Stelle erbauen, doch der Pfarrer erteilte den Rat,die Kröte zu töten; denn was sie tue, sei Teufelswerk.

In der folgenden Nacht begab er sich mit einigen mutigen Leutenselbst auf die Anhöhe und erschoß die verwunschene Kröte mit einergeweihten gläsernen Kugel. Nun hinderte nichts mehr den Bau, indessen Grundfeste die tote Kröte eingemauert wurde. In kurzer Zeitwar die Kirche vollendet und dem heiligen Martin geweiht.

Zur Erinnerung an dieses Ereignis wurde ein in Stein gehauenesAbbild der Kröte am äußeren Gesimse der Kirche befestigt.

Das Fest auf dem Hexenberg bei Petronell

In einem Bauernhaus bei Petronell war der Jungknecht dahinter-gekommen, daß die Bäuerin oft des Nachts das Haus verließ.

Da er ein neugieriger Bursche war, beschloß er zu erforschen, was siedenn eigentlich treibe. In der Johannisnacht legte er sich in den großenBacktrog auf die Lauer. Und richtig, gegen Mitternacht kam die Bäuerindahergeschlichen, nahm einen Besenstiel zwischen die Beine undsprach die Worte: „Oben aus und nirgends an!" Dann war sie weg.Der vorwitzige Jungknecht wunderte sich zuerst über ihr Verschwin-

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den, später dachte er, das könne er auch probieren. Er setzte sich eben-falls auf einen Besenstiel, sprach aber, da er die Worte nicht rechtverstanden hatte: „Oben aus und überall an!" Nun fuhr er freilichvom Boden in die Höhe und in der offenen Küche umher, aber insFreie hinaus kam er nicht. Er stieß sich den Kopf, die Ellbogen unddie Knie an allen Wänden, Decke und Rauchfang an und war froh,als er endlich vom Besen herab zu Boden fiel.

Über den Lärm, der dadurch entstand, war der Großknecht in dieKüche gekommen, und dem jungen Burschen glückte es gerade nochvorher, durch das enge Küchenfenster hinauszuschlüpfen. Gleich darauflag er mäuschenstill im Roßstall unter seiner Decke.

Am nächsten Abend versteckte er sich wieder in der Küche, umdie Bäuerin zu beobachten. Wieder sah er das gleiche Geschehen undhörte deutlich den Spruch. Nun versuchte er neuerlich sein Glückmit dem Besen und hatte diesmal Erfolg. Geräuschlos flog er beimRauchfang hinaus; durch die laue Sommernacht ging die Fahrt aufden Hexenberg. Verwundert sah er hier eine lange Tafel aufgerichtet,an der viele Männer und Weiber, darunter auch seine Bäuerin, in fröh-licher Laune beim Schmaus saßen. Auf dem Ehrensitz thronte einhagerer Mann mit verkniffenem Gesicht, der vom Kopf bis zum Fußrot gekleidet war und eine lange Hahnenfeder auf dem Hut trug.

Der Bursche, dem das Essen über alles ging, setzte sich unten andie Tafel und langte wacker zu. Es gab feine Leckerbissen, und allemundeten ihm herrlich. Als er nach dem Mahl zum Tanz ging, füllteer rasch seine Taschen mit den köstlichen Speisen und schlich dannin die Büsche, von wo er dem nächtlichen Treiben im Licht des Voll-mondes neugierig zusah.

Als das Fest beendet war und sich alle Teilnehmer ehrerbietig vondem Mann in roter Gewandung verabschiedet hatten, setzte sich jederauf seinen Besen, murmelte einen Spruch und fuhr durch die Lüftedavon. Als endlich alle fort waren und die Kuppe des Berges stillund verlassen dalag, kroch auch der Bursche aus dem Gebüsch, nahmseinen Besenstiel und wollte wie die andern davonfliegen. Aber derBesen rührte sich nicht vom Fleck. Der Bursche hatte den zweitenSpruch nicht gehört, und alle seine Mühe war vergebens.

Er mußte beim trügerischen Mondenschein den weiten Weg nachHause zu Fuß zurücklegen und kam erst frühmorgens mit zerschunde-nen Knien und blutiger Nase erschöpft und hungrig daheim an. Dochtröstete ihn der Gedanke, daß er sich nun die mitgebrachten Lecker-bissen wohlschmecken lassen wolle. Als er sie aber aus der Taschezog, sah er mit Ekel, daß es nur Kuhfladen waren. Das benahm ihmgründlichst alle Lust, je wieder einen Ausritt auf den Hexenberg zumachen.

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St. Nikolaus und der Fischer von Kreuzenstein

Vor langer Zeit, als die Donau mit ihren vielen Armen noch biszum Burgberg von Kreuzenstein reichte und die alte Feste noch

in vollem Glanz ungebrochen die Niederung beherrschte, wohnte ineiner einsamen Hütte unweit der Burg ein alter Fischer mit seinemjungen, kräftigen Sohn. In jeder ruhigen Nacht fuhren die beiden aufFischfang aus, um aus dem Erlös des Fanges ihren Lebensunterhaltzu bestreiten.

Als der alte Fischer erblindet war, ging der junge allein seinemErwerb nach. Zwar fiel der Ertrag der Fischzüge anfangs nicht allzureichlich aus, aber allmählich mehrte sich die Ausbeute, und der Jüng-ling konnte manchmal das Netz kaum aus dem Wasser ziehen, soschwer beladen war es mit Fischen. Er schrieb sein Glück vor allemder Fürbitte des heiligen Nikolaus, des Patrons der Fischer, zu, dessenBild schon seit undenklichen Zeiten in der kleinen Burgkapelle inKreuzenstein stand und den der junge Fischer gläubig verehrte. Trotz

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der schweren nächtlichen Arbeit vergaß er nie, dem Heiligen am Mor-gen ein zierliches Blumensträußchen an sein Bild zu heften.

An einem wunderschönen Frühlingsabend fuhr der Jüngling wiedereinmal aus, um sein Netz zu werfen. Aber heute wollte sich keinErfolg einstellen, das Netz blieb leer, obwohl er mehr als zwei Stundenruhig an einem Platz ausgeharrt hatte. Aber auch an einer anderenStelle hatte er nicht mehr Glück. So ruderte er denn weiter und kamschließlich in einen Seitenarm des Stromes, der, von hochragendenWeiden und Pappeln umsäumt, einem einsamen, stillen Teich glich.Rings um ihn herrschte Ruhe. Der Fischer ließ die Ruder aus denHänden gleiten und schaute träumerisch in die Fluten, die ihn plötzlichtief auf ihrem Grund ein wundersames Schloß sehen ließen, dessenSpitze sogar über der Wasserfläche erglänzte.

Während der Jüngling noch wie gebannt in die Tiefe starrte, rauschtees plötzlich am Bootsrand, lilienweiße Arme hoben sich aus dem Wasser,und eine liebliche Donaunixe, in einen rosenfarbenen, sternschimmern-den Schleier gehüllt, tauchte aus den Fluten. Wohlgefällig blickte sieauf den Jüngling, dann neigte sie sich zu ihm und flüsterte: „Spielmir zum Tanz!"

Der junge Fischer, der kaum aufzusehen wagte, fühlte sich wie voneinem seltsamen Zauber umfangen und griff willenlos nach seinerFlöte, die im Boot lag. Leise, dann immer lauter klangen die Töneüber das glitzernde Gewässer, leicht wie eine Elfe tanzte die Nymphedahin, als trügen sie Flügel über die spiegelnde Flut.

Müde hielt der Jüngling dann in seinem Spiel inne und gönntesich eine kurze Rast. Da schwebte die Nixe heran und setzte sich zuihm auf den Rand des Nachens. Dabei zog sie aus ihrem flimmerndenHaar einen glänzenden Edelstein, den sie dem Fischer zum Lohn fürsein Spiel bot. Freundlich dankte dieser und barg das Geschenk inseiner Rocktasche, dann griff er wieder zur Flöte und ließ träumerischeWeisen erklingen. Die Nixe aber stimmte in die Melodie ein und sangherzbetörende Lieder. Süß tönte ihre Stimme durch die geheimnisvolleMondnacht und lockte den Spielmann wie mit Zaubermacht in ihrenBann. Schon schlang sie ihre weißen Arme um seinen Nacken, umihn in den kristallenen Palast hinunterzuziehen, der am Grund desStroms glänzte, schon hatte sie ihn an den Rand des Bootes gedrängt,da traf sein Blick die Türme des Schlosses, die in den dunklen Nacht-himmel ragten. Erschrocken klammerte er sich an den Bootsrand.„Heiliger Nikolaus, hilf!" entrang es sich bebend seinen blassen Lippen.

Kaum war sein Ruf verklungen, zitterte der Ton eines Glöckleinsdurch die Nacht. Er kam vom Turm der Burgkapelle her. Da löstensich langsam die klammernden Hände vom Hals des Bedrängten; dieNixe verschwand mit wehmütigem Blick in dem stillen Gewässer.

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D e r W e i n a u s d e r B u r g r u i n e G r e i f e n s t e i n

Der Jüngling ruderte rasch ans Land und eilte den Schloßberg hinan,um dem zu danken, der das Glöcklein gezogen hatte. Als er aber obenankam, war das Tor der Kapelle verschlossen, die Bewohner der Burglagen in ruhigem Schlaf. Wer also war sein Retter gewesen? — Keinanderer als St. Nikolaus konnte das Glöcklein geläutet haben. Er, derSchutzherr der Fischer, hatte seinen Schützling vor Schlimmem bewahrt,hatte ihn vor dem ewigen Verderben gerettet. Kein Wunder, daß derJüngling fortan den Heiligen noch mehr verehrte und ihm zeitlebensseine Dankbarkeit wahrte. Die Donaunixe hat er nie mehr gesehen,ihr Geschenk aber, den Edelstein, zeigte er gern, wenn er den Leutensein Erlebnis erzählte.

Der We in aus der Burgruine Greifenstein

E in armer Taglöhner aus Greifenstein feierte einst die Taufe seinessiebenten Kindes. Weil man dem Taufpaten bei so einem Fest

denn doch einen kleinen Imbiß und einen Schluck Wein vorsetzenmuß, hatte er sich mit den letzten Groschen ein Krüglein Wein beschafft,das aber bald ausgetrunken war. Da sich's nun mit trockener Kehlegar nicht gut redet, der Geldbeutel des Mannes aber ganz leer war,wollte er doch wenigstens seinen guten Willen bezeugen, gab seinemältesten Mädchen den Krug in die Hand und sagte: „Geh und holeuns Wein!" Und als das Kind Geld dazu haben wollte, meinte derVater: „Du brauchst kein Geld. Geh zur Burgruine hinauf, dort wirdman dir auch ohne Geld Wein geben; in den Kellern dort oben gibt'sWein zum Ertrinken!"

Die einfältige Kleine ließ sich das nicht zweimal sagen und liefhurtig zum Schloß auf dem Felsen. Die Dunkelheit brach schon her-ein; aber als sie zur Ruine kam, waren alle Fenster hell erleuchtet, unddrinnen ging es gar lustig zu, obwohl die Burg schon seit Jahrhun-derten verödet war. Am Tor stand eine schöne weißgekleidete Frau,die an der Seite einen großen Schlüsselbund trug. Ohne lang zu fra-gen, nahm sie der Ankommenden das Krüglein aus der Hand undbedeutete ihr zu warten. Doch schon nach kurzer Zeit erschien siewieder, übergab dem Mädchen den bis zum Rand gefüllten Krug undsagte: „So, mein Kind, hier hast du den Wein, und wenn dein Vaterwieder nach einem guten Trunk Sehnsucht hat, soll er dich nur wie-der herschicken. Er darf aber niemandem sagen, woher der Weinkommt."

Das Mädchen bedankte sich und lief mit dem vollen Krug nachHause. Als man den Wein kostete, waren alle des Lobes voll über

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das herrliche Getränk. Schon am nächsten Festtag schickte der Vatersein Töchterlein wieder um den köstlichen Trunk nach der Burgruine,und wieder brachte das Mädchen ein Krüglein voll des edelsten Weins.Sooft in der Folge ein kleines Fest im Haus gefeiert wurde, bezogder Hausvater ohne Bezahlung seinen Wein aus dem Burgkeller. Immererschien die weiße Frau dem Kind, das den Wein holte, und fülltedas mitgebrachte Gefäß.

Einmal aber, als genügend Wein im Hause war und die Nachbarnrund um den Tisch saßen und dem guten Tropfen zusprachen, deraus dem Kruge rann, plauderte der arme Taglöhner das Geheimnisseiner Weinquelle aus. Als er dann am Abend seine Tochter nochmalszur Burg hinaufschickte, fand sie die sonst hellerleuchtete Ruine indüsterem Dunkel leer und verlassen; solange sie auch harrte, die weißeFrau zeigte sich nicht mehr, weder an diesem Abend noch an denfolgenden. Reuevoll erkannte der arme Mann, daß er sich durch seineSchwatzhaftigkeit selbst um den guten Burgwein gebracht hatte.

Der Rattenfänger von Korneuburg

In alter Zeit, als noch viele Plagen, die heutzutage leicht beseitigtwerden können, den Menschen arges Kopfzerbrechen verur-

sachten, war die Stadt Korneuburg von so vielen Ratten heimgesucht,daß die Bürgerschaft fast verzweifeln wollte. Nicht nur in allen Win-keln und Ecken wimmelte es von Ratten, auf offener Straße liefen siefrech umher, in Wohnungen und Stuben hielten sie sich auf, nichtswar sicher vor ihnen. Zog jemand eine Lade heraus, hüpfte ihm eintRatte entgegen, legte er sich zu Bett, begann es im Stroh zu rascheln,setzte er sich zu Tisch, waren die Ratten ungebetene Gäste und sprangensogar ohne Scheu selbst auf den Tisch hinauf. Alle Mittel, die häß-lichen Tiere loszuwerden, waren vergebens. Da setzte sich der weiseRat der Stadt zusammen und beschloß, einen hohen Preis für den aus-zusetzen, der die Stadt für immer von den unheimlichen Nagern befreie.Dies wurde denn auch öffentlich kundgetan.

Einige Zeit verging, da erschien eines Tages ein fremder Mann beimBürgermeister der Stadt und fragte, ob es mit der ausgesetzten Be-lohnung seine Richtigkeit habe. Als man ihm versicherte, daß es sichwirklich so verhalte, erklärte der Fremde, er wolle mittels seiner Kunstalle Ratten aus ihren Löchern und Verstecken hervorlocken undin die Donau verbannen, worüber die Stadtväter nicht wenig erfreutwaren.

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Sogleich begab sich der Mann vor das Rathaus und zog aus einerdunklen ledernen Tasche, die ihm über die Schulter hing, ein schwarzesPfeiflein hervor. Es waren keine angenehmen Töne, die er seinemInstrument entlockte; ein gellendes Quietschen und Quieken schrilltedurch die Gassen, aber den Ratten schien diese Musik lieblich imOhr zu klingen. Haufenweise kamen sie aus ihren Schlupfwinkelnhervor und liefen den grellen Tönen nach. Langsam schritt der Pfeiferder Donau zu; vor ihm, ringsherum, hinter ihm aber schlängelte sichwie ein greulicher schwarzgrauer Wurm der Zug der Ratten durch dieStraßen.

Am Ufer angelangt, blieb der Mann nicht stehen, sondern wateteohne Zögern bis zur Brust in die Fluten, die Ratten aber folgten ihmunentwegt, stürzten sich ins Wasser, verknäulten sich ineinander undtrieben schließlich in die Mitte des Stromes hinaus, wo sie von denWellen fortgerissen wurden. Alle waren dem Musikanten gefolgt, nichtein Schwänzchen blieb am Ufer.

Staunend hatte die versammelte Volksmenge diesem Schauspiel

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zugesehen und umjohlte den seltsamen Fremdling, der sich nach ge-taner Arbeit ins Rathaus begab, um seinen Lohn in Empfang zu nehmen.Nun aber die Ratten weg waren, zeigte sich der Bürgermeister weitweniger freundlich, meinte, so schwer sei die Sache ja nicht gewesenund man wisse nicht, ob das Ungeziefer nicht am Ende wieder zurück-käme, kurz, er wollte den Mann mit einem Viertel des ausgesetztenPreises abfertigen. Der aber weigerte sich, den kleinen Betrag anzu-nehmen, und bestand auf der Auszahlung des vollen Lohnes. Da warfder Bürgermeister dem Fremden den Beutel mit dem geringen Soldvor die Füße und wies ihm die Tür. Der Rattenfänger ließ das Geldliegen und verließ mit finsterer Miene die Ratsstube.

Einige Wochen vergingen. Eines Tages zeigte sich der Fremde,weit prächtiger gekleidet als das letztemal, wieder in der Stadt. Aufdem Hauptplatz zog er seine Pfeife aus der Tasche, die golden fun-kelte. Als er sie an die Lippen setzte, ertönte ein feines Klingen undSingen, alles lauschte verwundert auf die eigenartigen Töne. DieKinder aber liefen ihm aus allen Häusern scharenweise zu und folgtenihm, als er mit wiegenden Schritten der Donau zuging. Auf dem Stromschaukelte ein Schiff, das mit bunten Bändern und wehenden Fahnengeschmückt war. Ohne in seiner Musik innezuhalten, bestieg der Pfeiferdas Fahrzeug, und alle Kinder trippelten hinter ihm drein. Als dasletzte auf dem Schiff war, stieß es vom Ufer ab, drehte sich in denStrom hinaus und fuhr im hellen Sonnenschein immer rascher strom-abwärts, bis es in der Ferne verschwand. Nur zwei Kinder warenin der Stadt zurückgeblieben, eines war taub und hatte die lockendenTöne nicht gehört, das andere war am Ufer umgekehrt, um sein Röck-lein zu holen.

Als die Stadtbewohner ihre Kinder suchten und außer den beidenkeines fanden, waren Schmerz und Jammer in der Stadt groß; dennes gab fast kein Haus, das nicht den Verlust eines oder mehrerer Kinderzu beklagen hatte. Das war die Rache des betrogenen Rattenfängers.

Die drei Schatzgräber auf der Burg Eibenstein

Auf der heute längst verfallenen Burg Eibenstein bei Raabs an derThaya hatte einst ein übelberüchtigter Ritter seinen Wohnsitz,

der meist von Raub und Plünderung lebte und seine Untertanen aufsärgste bedrückte, bis den Bauern der Geduldfaden riß und sie sichzusammentaten, um ihrem grausamen Herrn nach Gebühr zu ver-gelten, was sie erduldet hatten. Als der Ritter sich in seiner Burg ein-geschlossen sah und auch seine Knechte auf die Seite der Bauern traten,

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verhüllte er seinem Roß die Augen und gab ihm die Sporen, daß esmit ihm über die Burgmauer in die Tiefe sprang, wo Roß und Reiterzerschellten. Die Burg wurde zerstört, das Raubgut des Grafen abersoll noch heute unter den Trümmern der Feste verborgen liegen.

Da verabredeten sich einmal drei Männer, mit Hilfe des Teufelsden Schatz zu heben. Sie fanden sich gegen Mitternacht im Schloßhofein, zeichneten mit geweihter Kreide einen dreifachen Bannkreis umsich und stellten in den äußeren Kreis drei geweihte brennende Kerzenund ein Becken mit Weihwasser. Auf Anraten des schlauen Müllers,der mit von der Partie war, hatten sie einen durchlöcherten Sack mit-genommen, um den Teufel bei der Schatzhebung noch tüchtig übersOhr zu hauen, wenn er nach der Beschwörung das Gold in den Sackfüllte. Dann begannen sie Schlag zwölf Uhr die Beschwörungsformelherzusagen, und zwar laut Vorschrift von rückwärts nach vorn. Sonstdurfte keiner ein Wort reden.

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Kaum war das letzte Wort verhallt, als sich ein Brausen über ihrenKöpfen erhob und die Kerzen erloschen. Mit Sturmesgewalt kamder Böse dahergefahren und fragte die drei Männer, was sie von ihmwollten. Sie antworteten keine Silbe, sondern hielten dem Teufel denMehlsack hin. Knurrend und brummend machte sich der Satan an dieArbeit, denn die Beschwörung war ganz in Ordnung vor sich gegangen,und er mußte den Schatz herausgeben. Schwitzend schaufelte er dasGold in den Sack, der aber nie voll werden wollte, weil die Goldstückedurch die Löcher am Boden des Sackes wieder herausrollten. Endlichmerkte der Satan die List und schrie wütend, indem er einen Galgenin der Luft erscheinen ließ und auf den Müller wies: „Aber der ,Rot-jankerte' muß mit!" Der Müller trug nämlich eine rote Jacke.

Erschrocken fragte der Müller: „Warum gerade ich?" Da dröhnteein Donnerschlag durch die stille Nacht, der Schatz versank, und diedrei Männer wurden mit furchtbarer Gewalt aus dem Kreis über dieBurgmauer geschleudert. Der Müller hatte das Redeverbot übertretenund damit die ganze Beschwörung zunichte gemacht. Er war soforttot, die beiden andern starben nach wenigen Tagen.

Zu gewissen Zeiten kann man im Schloßhof der Burg Eibensteineinen Jäger sehen, der sich an einem Feuer wärmt. Tritt man näher,so verschwindet die Gestalt spurlos. Es soll der Geist eines der dreiSchatzgräber sein, der die beiden andern damals zur Teufelsbeschwörungüberredet hatte.

Die Tuchnerklippen in der Wachau

Alljährlich ging es beim Michaelimarkt in Spitz an der Donau hochher. Händler und Kaufleute kamen von weit und breit, stellten

ihre Buden auf und boten ihre Waren feil. Kauflustige aus nah und ferndrängten sich in den Gassen, und auch manches Tröpflein vom „Tau-sendeimer-Weinberg", der sich mitten auf dem Marktplatz in Spitzerhebt, wurden dabei verkostet.

Wieder einmal war Jahrmarkt, und das Gedränge bei den Budenwar nicht geringer als sonst. Nur einem Händler wichen die Leuteaus, seine Waren fanden keinen Absatz, verächtliche Blicke und spöt-tische Worte waren alles, was er einheimste. Es war der reiche Tuch-händler Klaus, der seinen Reichtum nicht zuletzt den Wucherzinsenverdankte, die er seinen Schuldnern auferlegte, und der die Not und denJammer mancher armen Witwe auf dem Gewissen hatte. Klaus warzwar an die Verachtung der Leute schon gewöhnt, sie machte auf seinverhärtetes Gemüt wenig Eindruck. Aber heute brachten die bösen

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Blicke, die ihn trafen, und die spitzen Reden, die er anhören mußte,sein Blut in Wallung. In seiner Wut schleuderte er den umstehendenLeuten die unflätigsten Worte ins Gesicht. Diese aber wollten sicheinen solchen Schimpf nicht bieten lassen und sahen zugleich die Ge-legenheit gegeben, dem verhaßten Wucherer eins auf das Zeug zu

flicken. Sie verklagten ihn beim Marktrichter, der ihn sogleich zu einerhohen Geldstrafe verurteilte. Wütend erlegte der Tuchhändler denBetrag, packte seine Tuchballen und machte sich auf den Heimweg.

Als er in die Gegend von Schwallenbach kam, wurde es schon dun-kel. Schwarze Wolken zogen auf, fernes Donnergrollen kündigte dasNahen eines Gewitters an. Fluchend trieb Klaus seinen Gaul zu schär-ferer Gangart an. Bald fielen auch schon die ersten Tropfen, und esdauerte nicht lange, so hatte der Himmel seine Schleusen geöffnet,als wolle er alles Lebende ringsumher in die Donau schwemmen,bläuliche Blitze schienen Wald und Flur in Flammen zu setzen. DerHändler hieb verzweifelt auf sein Pferd ein, das die schweren Tuch-

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ballen trug. Doch ehe er noch das Dorf Gossam erreicht hatte, streckteein Blitzstrahl das Tier zu Boden. Klaus selbst stürzte und konnte sichnur mühsam, an die Äste einer Weide geklammert, aus dem Geröllemporarbeiten, das die Straße überschwemmte. Einige Warenballenwurden von den Fluten des kleinen Bächleins, das bei Gossam vomJauerling herabkommt, sonst ein harmloses Rinnsal, jetzt aber einreißender Gießbach, mit sich fortgerissen, ein paar andere erwischteder Händler gerade noch und suchte sich mit ihnen auf den die Straßebegrenzenden Hang zu retten. Keuchend und immer wieder stürzendkroch er die Lehne hinan, glitt wieder zurück, zerschund sich Gesichtund Arme und sah schließlich im Schein greller Blitze die beiden Bal-len, die er noch besaß, im Dunkeln verschwinden.

Da faßte ihn unbändiger Zorn, er brüllte einen gräßlichen Fluchund schwor beim Satan und allen bösen Geistern, er sähe seine Tuch-ballen lieber in Stein verwandelt, ehe sie ein anderer haben sollte.

Als am folgenden Morgen ein in der Nähe wohnender Einsiedler dieVerheerungen besehen wollte, die das Unwetter angerichtet hatte, er-blickte er den Tuchner, der samt seinen Tuchballen zu Stein verwandeltwar. Noch lange waren die „Tuchnerklippen" sowie die Behausung desEinsiedlers in der Nähe des Kirchleins von Gossam zu sehen. Heutesind diese Felsgebilde zerfallen, aber die Erinnerung an das Schicksaldes Tuchners lebt noch immer in den Erzählungen des Volkes, undwenn schwere Gewitter über die Gegend niedergehen, glaubt mancherden Tuchner zu sehen, wie er, mit großen Warenballen beladen, dieHänge des Jauerlings hinanklimmt.

Des Teufels Gespann in Unterloiben

Wie in so vielen Orten der Wachau trieb der Satan vorzeiten auchin Unterloiben bei Stein an der Donau sein Unwesen. Warum

er sich gerade die Wachau so häufig zu seinen Streichen ausgesuchthat, ist noch nicht recht erklärt. Vielleicht ist es nicht ganz danebengeraten, wenn man vermutet, der feurige Wachauerwein, dem derhöllische Geist so wenig abhold sein mag wie mancher irdische Mensch,müsse da mit im Spiele sein.

Sei dem nun, wie es wolle, jedenfalls ereignete es sich voreinst, daßein gewisser Hans Abel aus Unterloiben an einem schönen Herbsttagzeitig in der Früh in der Richtung gegen Dürnstein auf Kuhkaufgehen wollte. Als er vor seinen Hof trat, kam gerade ein Bauernwagen,der von zwei Rappen gezogen wurde, auf der Straße dahergefahren.Ein schwarzgekleideter Mann saß auf dem Bock und trieb die Pferde

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zum Lauf an. Da der Bauer es eilig hatte, rief er dem Kutscher zu,er möge halten und ihn gegen Geld und gute Worte ein Stück Wegesmitnehmen. Der Schwarze hielt sein Gefährt an, der Bauer aber kletterteauf den Wagen und setzte sich neben den Kutscher, der noch kein Wortgesprochen hatte. Stumm schwang der Wagenlenker dann seine Peitsche,und die Pferde fielen sogleich in scharfen Trab, der sich bald zu einemrasenden Galopp steigerte, daß dem armen Unterloibner angst und bangwurde. Entsetzt wollte er sich am Arm des Kutschers festhalten, abernoch entsetzter war er, als er ins Leere griff.

Seine Furcht steigerte sich noch, als der Wagen plötzlich von derStraße abbog und in rasender Eile durch einen Schwibbogen der Donauzurollte. Bevor der Bauer noch recht fassen konnte, was sich ereignete,sausten die Pferde samt dem Fuhrwerk ins Wasser hinein. „Jesus,Maria und Josef!" schrie der zu Tode erschrockene Mann, dann ver-lor er die Besinnung.

Als er nach vielen Stunden wieder zum Bewußtsein kam, fand er sicham Donauufer liegen, so knapp neben dem Wasser, daß die Wellenfast seine Füße bespülten. Mühsam hinkte er heimwärts, der Schreckenwar ihm aber so in die Knochen gefahren, daß er einige Wochen dasBett hüten mußte. Hätte er nicht im letzten Augenblick jenen Stoß-seufzer gerufen, so wäre des Teufels Gespann mit ihm zur Hölle ge-fahren.

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Der listige Schneider von Liebnitz

In der Nähe von Liebnitz bei Raabs soll vor vielen Jahrhundertenein See gewesen sein, an dessen Stelle vorher ein Dorf stand. Man

hielt es für nicht recht geheuer dort, Hexen und andere unheimlicheWesen bevölkerten die Umgebung des Sees.

Nun lebte einmal ein lustiger, leichtsinniger Schneider in Liebnitz,der weniger mit Nadel und Zwirn als mit der Fiedel hantierte. Beijedem Fest war er dabei, kein lustiger Tanz, bei dem er nicht aufspielte.Dabei verbrauchte er mehr, als ihm seine Tätigkeit eintrug, und Schmal-hans war ständig Küchenmeister bei ihm. Endlich war seine Not sogroß geworden, daß er den Teufel um Hilfe anrief.

Es war eine sternklare Nacht, als auf einmal eine riesengroße Gestaltvor ihm stand und ihn fragte, was er begehre.

„Viel Geld und ein lustiges Leben", gab der Schneider unerschrok-ken zur Antwort.

„Das kannst du haben", erklärte der Teufel, „wenn du mir mit deinemeigenen Blut einen Pakt unterschreibst, daß ich dich nach Jahr undTag in die Hölle mitnehmen kann."

Der leichtfertige Schneider besann sich nicht lang und willigte ein.Mit dem erhaltenen Geld begann er ein lustiges Leben, wie er sich'sschon immer gewünscht hatte, und vergaß über Spiel und Tanz infröhlicher Gesellschaft bald den Vertrag, den er mit dem Bösen ein-gegangen war.

Doch ein Jahr ist bald um, besonders wenn es dem Menschen gutgeht! Eines Nachts war der Schneider nach einem lustigen Tanz aufdem Heimweg begriffen, als er in der Nähe des Sees auf einem Baum-strunk eine schwarze Gestalt sitzen sah. Es war der Teufel, der ihmden Vertrag entgegenhielt und grinsend ausrief: „Das Jahr ist um,heut' mußt du mit mir in die Hölle!"

Aber der Schneider war nicht auf den Kopf gefallen. „Hilf, washelfen kann", dachte er und entgegnete dem Satan: „So einfach gehtdas nicht, mein Lieber. Wer sagt mir, daß du wirklich der Teufel bist.Das mußt du mir besser beweisen. Den Wisch kannst du ja dem Teufelgestohlen haben."

Verdutzt fragte der Teufel, womit er sich denn ausweisen solle.„Nun", sagte der Schneider, „wenn du imstande bist, alle Fröscheim See einzufangen, hier beim Baumstrunk beisammenzuhalten undabzuzählen, ehe die Glocke Mitternacht schlägt, will ich dir glauben."

Der Teufel lächelte zu diesem Ansinnen; er hielt es für eine Kleinig-keit, den Wunsch des Schneiders zu erfüllen. Mit seinen langen Armenfischte er im See herum und fing die Frösche her, daß es eine Freudewar. Aber nun kam das dicke Ende: die Frösche ließen sich an Land

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nicht beisammen halten. Kaum hatte er eine Handvoll entleert, hüpftensie nach allen Seiten davon und sprangen aufs neue in den See. Immerwieder versuchte der Satan sein Glück, aber je mehr er fing, desto mehrsprangen davon. Der Schweiß rann dem armen Teufel in Strömenvon der Stirn, bis er endlich, vor Wut aufbrüllend, den Baumstrunkaus der Erde riß und in den See schleuderte, während er selbst mitschauerlichem Geheul in dem entstandenen Loch versank. Der Schnei-der aber setzte lustig seinen Weg fort, und der Teufel hat ihn nie mehrbelästigt.

Das Kegelspiel am Kollmitzberg

Vor vielen Jahren lebte am Fuß des Kollmitzberges in einer einsamenHütte ein armer Köhler mit seinem Weib. Leonhard, so hieß der

Kohlenbrenner, war ein arbeitsamer Mann, der nur die eine Untugendhatte, daß er ein leidenschaftlicher Spieler war. Wenn nach dem Ver-kauf von Kohlen ein paar Geldstücke in seiner Tasche klimperten,zog es ihn mit unwiderstehlicher Gewalt in die nächste Schenke, wo erim Würfel- oder Kegelspiel sein Glück versuchte. Aber Leonhard hatteselten Glück. Meist endete der Tag damit, daß er ohne einen GroschenGeld im Sack verdrossen längs der Thaya heimwanderte. Dann kamihm der Weg doppelt so lang vor, er grübelte und sann, wie er zu Geld

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kommen und seiner Armut ein Ende machen könnte. Traurig empfingihn daheim sein Weib Gertrud. Denn anstatt mit dem notwendigenEinkauf kehrte er mit leeren Händen zurück.

Eines Tages stand der Köhler wieder einmal verdrießlich vor seinemMeiler und starrte den rauchenden Kohlenhaufen an. Dabei bemerkteer gar nicht, daß sich ihm ein hochgewachsener, junkermäßig gekleideterMann näherte. Als der Fremde dicht vor ihm stand, schrak er zusam-men. Leonhard blickte in ein unheimliches, starkknochiges Gesicht,das einen mächtigen roten Knebelbart trug. Ein großer grauer Schlapp-hut mit einer roten Hahnenfeder saß auf dem Haupt des Mannes. Alser seinen grauen Mantel auseinanderschlug, wurden ein graues, faltigesWams und Beinkleider von roter Farbe sichtbar.

Mit donnernder Baßstimme fragte der Fremde den verdutzten Leon-hard, ob er der Köhler sei, der so großen Gefallen am Kegel- und Wür-felspiel finde. Schon wollte der Gefragte verneinen, als der Spielteufelin ihm erwachte und ihn zwang, die Frage zu bejahen.

Der Graumantel verzog grinsend sein Gesicht und zog einen vollenBeutel aus der Tasche, den er dem Köhler vor die Nase hielt. Dabeiforderte er ihn auf, mit ihm ein Spielchen zu versuchen. Verlegenbekannte sich Leonhard zu seiner Armut, doch der Fremde fiel ihm insWort und meinte: „Ach was! Ich setze mein gelbes Gold gegen deineschwarzen Kohlen!"

Der Kohlenbrenner war zufrieden, führte den Besucher in seineHütte und langte vom Wandbrett den Würfelbecher herab. Bald klap-perten die Würfel auf der eichenen Tischplatte. Leonhard tat den erstenWurf. Mit zitternder Hand ließ er die Würfel aus dem Becher rollen, jeder zeigte fünf Augen. „Zehn", hallte es dumpf von den Lippen desFremden, der nun nach dem Becher griff. Gespannt folgte LeonhardsBlick den tanzenden Würfeln, bis sie zur Ruhe kamen. Fünf Augenzeigte der eine, vier der andere Würfel. „Neun", jubelte der Köhler;seine Augen leuchteten. Wortlos reichte der Rote dem glücklichenGewinner den prallen Beutel, den dieser voll Freude entgegennahm.

Unterdessen war Gertrud, des Köhlers Gattin, die im Wald Holzgeschlichtet hatte, in die Stube getreten. Als sie den Hageren im grauenMantel erblickte, gab es ihr einen Stich. Doch der Gast nahm den Köh-ler beiseite und forderte ihn auf, nun ein Kegelspiel mit ihm zu wagen.Dabei hielt er ihm wieder einen Beutel voll Gold vor die Augen. Dawandte die Frau schüchtern ein, es seien weder Kegel noch Kugelnzur Hand; in die Schenke solle der Gatte aber nicht gehen, der damp-fende Meiler erfordere dringend seine Anwesenheit. Da lächelte der Roteund meinte, mit seinem Gold klimpernd, es sei gar nicht nötig, in dasentfernte Wirtshaus zu gehen; unweit der Hütte wisse er einen Platz,der zur Not genüge, einen Meisterschub zu tun. Neun zubehauene

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Holzklötze könnten die Kegel ersetzen, und für die Kugel wolle ersorgen.

Während Meister Leonhard aus seinem Holzvorrat geeignete Stückeheraussuchte und sich damit belud, eilte der Fremde zum Fluß undlangte wie von ungefähr ein kugelrundes Geröllstück aus dem Was-ser, das bei der Berührung mit seiner Hand schäumend aufzischte.

Gertrud fühlte einen Schauder über ihren Rücken rieseln, als sie denbeiden nachsah, die miteinander dem Wald zuschritten. Ein unheim-liches Gefühl sagte ihr, daß es mit dem Fremden nicht geheuer sei, zumalsie das Aufbrausen des Wassers vernommen hatte, als er mit der Handin den Fluß griff. Außerdem schien ihr, als ob der Graumantel hinke.Ein Stoßgebet murmelnd, schlich sie den beiden in den Wald nach.

Hinter dem Stamm einer alten Eiche verborgen, sah sie nun, wie sichihr Mann zum Schub anschickte, während sein Begleiter sagte: „Esgilt also wie vorher, dieser Beutel voll Gold gegen deinen Kohlen-haufen." — Der Köhler nickte zustimmend.

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Angstbebend verfolgte Gertrud das Tun ihres Mannes. Sie bemerkte,wie der Rote höhnisch grinste, aber wie von einer geheimnisvollenMacht überwältigt, war sie unfähig, sich zu rühren oder einen Lauthervorzubringen. Sie zitterte am ganzen Leib, als Leonhard die Kugelwarf. Ein heftiger Windstoß fuhr durch die Baumkronen, die Ästebogen sich knarrend, während die Kugel mit seltsamen Sprüngen dieBahn entlangtanzte und mit dumpfem Knall die aufgestellten Holz-stücke traf. Es klang wie rollender Donner, als die Kegel polternddurcheinanderfielen.

Der Köhler tat einen Freudensprung. „Alle neun!" rief er.Gertrud glaubte vor Angst vergehen zu müssen, als der Rote die

Kugel schwang und zum Wurf ausholte. Es schien ihr, als ob Feuer-funken aus der Kugel sprühten, tobend heulte der Sturm und warfihr abgebrochene Zweige und Rindenstücke ins Gesicht. Plötzlich blen-dete ein grelles Licht ihre Augen, ein Donnerschlag erschütterte dieLuft, und dann noch einer und wieder einer. Alles Blut drang derEntsetzten zu Kopf, bis auf einmal eine gräßliche Stimme das Brausendes Sturms übertönte: „Alle zehn! Alle zehn!" — Ohnmächtig sankGertrud zu Boden.

Als das arme Weib wieder zu sich kam, herrschte Stille im Wald.Das Unwetter hatte sich verzogen, der Mond warf seine bleichen Strah-len durch das Laubdach. Stöhnend richtete sich Gertrud auf und nähertesich langsam der unheimlichen Kegelbahn. Im vollen Mondlicht botsich ihr ein grausiges Bild. Inmitten der umgeworfenen Kegelhölzerlag mit verzerrten Zügen die Leiche ihres Mannes. Von seinem finsterenKegelpartner war keine Spur zu sehen.

Mit einem Jammerschrei warf sich Gertrud über den Körper ihrestoten Gatten, vergebens suchte sie noch ein Lebenszeichen an ihmzu entdecken. Dann hob sie ihn mit übermenschlichen Kräften aufihre Schultern und trug ihn den Berg hinab, ihrer stillen Behausung zu.Aber nur ein rauchender Trümmerhaufen bezeichnete den Ort, wofrüher die Hütte gestanden war. Auch der Kohlenmeiler war fort.Der Teufel hatte den Einsatz des Köhlers samt dessen Seele mit sichgenommen.

Sieben Tage saß Frau Gertrud trauernd am Grab ihres Mannes undweinte bittere Tränen. Sie hatte ihn an der Stelle bestattet, wo seinletzter Kohlenmeiler gebrannt hatte. — Aber das Leben forderte seineRechte. Mit einigem Werkzeug versehen, zog sie sich in den Waldzurück, wo er am dichtesten und einsamsten war. Hier errichtete siean einer windgeschützten Stelle in der Nähe eines Quells aus roh zu-behauenen Baumstämmen eine einfache Hütte, die nur einen einzigenWohnraum hatte. Wurzeln und Beeren bildeten ihre Nahrung. Oftvergoß sie Tränen über den Verlust ihres Mannes und haderte mit

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ihrem traurigen Los. Aber je mehr sie grübelte und nachsann, destomehr verbitterte sich ihr Gemüt, bis sie zuletzt, alles verfluchend, wasihr bisher heilig war, mit dem Teufel einen Bund schloß.

So war aus dem ehrsamen Weib eine alte Hexe geworden, die vonallen Leuten gemieden wurde. Nur wer sich gar keinen Rat mehr wußteund der Verzweiflung nahe war, suchte sie auf, um ihren Sprüchenzu lauschen oder heilsame Tränklein und Pflaster zu holen, wofür siemit Feldfrüchten und anderen Lebensmitteln bezahlten; denn die alteHexe scheute das Geld, seitdem ihr Mann darum Leib und Seele ver-loren hatte.

Doch zu gewissen Zeiten im Jahr war die Hexe Gertrud für dieMenschen nicht zu sprechen. Es war dies zu Walpurgis, Johanni oderzur Weihnachtszeit; denn da hielten die Hexen mit dem Teufel ihreZusammenkunft ab, bei der Gertrud nicht fehlen durfte. Wem alsosein Leben lieb war, der mied es, um diese Zeit den Bannkreis desKollmitzberges zu betreten.

Eines Tages kamen wieder Leute zur Behausung der Hexe, um ihrenRat einzuholen, aber sie fanden die Hütte verschlossen. Das Dach lagauf der Erde neben der Quelle. Als man die Tür der Hütte erbrach,flüchteten unzählige Mäuse aus der Stube, die Leiche der Hexe aber lag,fast bis auf die Knochen abgenagt, unter dem Herdloch am Boden.

Seit dieser Zeit wurde der Wald, der nach der Behausung der Hexeden Namen „die öde Stube" erhielt, von allen Bewohnern gemieden.

Die Schürzenfrau von Ostrong

Auf den Höhen des Ostrongs stand vor Jahrhunderten die stolzeFeste Weißenberg. Heute ist von ihr nur mehr ein halbzerfallener

Mauerbogen übrig, den hohe Fichten überragen. Ein mächtiges Ge-schlecht war einst hier zu Hause. Die Witwe des letzten Schloßherrnwar eine ebenso geizige wie reiche Frau, die ihre Schätze selbst nachdem Tode keinem Menschen vergönnte. Daher vergrub sie zur Nacht-zeit ihr Geld sowie ihren ganzen Schmuck, damit er nicht ihren armenVerwandten zufalle. Zur Strafe für ihren Geiz findet die Burgfrau,deren Herz nur am Gold hing, auch nach dem Tod keine Ruhe; siemuß, ihren Schatz in die Schürze gehüllt, allnächtlich auf dem Bergumherirren, solang von den Mauern der Burg noch ein Stein auf demanderen steht. Gern wäre sie ihren Schatz los, um die ewige Ruhe zufinden, doch kein Mensch getraut sich in ihre Nähe, obwohl schon vieleihr Wimmern, Stöhnen und Bitten vernahmen.

An einem heißen Sommertag trieb eine arme Hirtin ihre Ziegen in

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den mit Gestrüpp bewachsenen Schloßhof und legte sich unter einenHaselbusch, um ein wenig auszuruhen. Plötzlich war ihr, als höresie die Stimme ihrer Mutter. Als sie sich umwandte, gewahrte sie einefremde Frau in sonderbarer Gewandung, deren dunkles Haar weitüber die Schultern wallte. Mit einer Hand hielt sie ihre Schürze empor,die anscheinend gewichtigen Inhalt hatte.

Traurig lächelnd sprach die Fremde zu dem Mädchen: „Kind, dukannst mir einen großen Gefallen erweisen. Nimm diese Schürze samtInhalt, trag sie in das Kirchlein von Münichreith und lege sie vor demAltar nieder. Es soll ein Opfer für die Armen sein. Schau aber nichtin die Schürze hinein, sonst ist deine Mühe vergebens und ich bin ver-loren!"

Das Mädchen versprach, alles aufs beste zu besorgen, und machtesich auf den Weg. Je näher die Hirtin aber der Kirche kam, desto bren-nender wurde ihre Neugier. Knapp vor der Kirche konnte sie nichtlänger widerstehen und tat einen Blick in die Schürze hinein. — Einlauter Schrei entfuhr ihren Lippen. Statt des Goldes, das sie in derSchürze wähnte, waren glühende Kohlen darin. Entsetzt ließ sie dieSchürze fallen und suchte das Weite.

Klagend irrt die Schloßfrau noch immer umher und harrt auf denTag, an dem der letzte Mauerrest der alten Burg zerfällt.

Die Gründung des Stifts Klosterneuburg

Der Babenberger Markgraf Leopold III . , später der Heilige genannt,stand eines Abends mit seiner Gemahlin, der Kaisertochter Agnes,

mit der er vor kurzem Hochzeit gefeiert hatte, auf dem Söller seinerneuen Burg auf dem Kahlenberg (so hieß damals der heutige Leopolds-berg). Während sie die Gründung eines neuen Klosters besprachen undsich über den Platz, auf dem das Gotteshaus erstehen sollte, nicht einigwerden konnten, entriß ein heftiger Windstoß der Markgräfin ihrenSchleier und trug ihn weit in das am Fuß der Burg sich erstreckendeGehölz hinein.

Agnes war über den Verlust sehr traurig, denn es war ihr Braut-schleier. Wochenlang ließ Leopold nach dem Schleier suchen, ohne daßes gelang, ihn aufzufinden. Da gelobte der Markgraf, an der Stelle,wo der Schleier gefunden würde, ein Kloster zu erbauen.

Acht Jahre später jagte Leopold mit seinem Gefolge in den Wäldernetwa eine Stunde weit entfernt von seiner Burg. Plötzlich schlugen dieHunde an. Als der Markgraf, sich durch das Gestrüpp zwängend, demGebell nachging, leuchtete ihm auf einem Holunderstrauch etwas

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Weißes entgegen. Neugierig trat er heran, um das Ding näher zu be-sehen. Da erkannte er zu seinem Erstaunen den vermißten Schleierseiner Gemahlin, der wie durch ein Wunder noch ganz neu und unver-sehrt aussah.

Leopold erblickte in diesem Geschehen das Walten des Himmels undbeschloß, sich an sein Gelübde erinnernd, an dieser Stelle ein Gottes-haus mit einem Kloster zu erbauen.

So entstand das Stift Klosterneuburg, das wegen der Nähe der neuenMarkgrafenburg diesen Namen erhielt.

Noch heute zeigt man im Stift eine kostbare Monstranz, die die Formeines Holunderstrauches aufweist, mit Blüten aus Perlen, worüber einSchleier geworfen ist. Zu Füßen des Strauches kniet mit seinen Hundender heilige Leopold.

Das Melker Kreuz

Die Schatzkammer des Stifts Melk enthält als wertvolles Schaustückseit Jahrhunderten ein kostbares goldenes Kreuz, das kunstvoll

gearbeitet und mit Perlen und Edelsteinen reich verziert ist. In seinerMitte befindet sich ein Splitter vom Kreuz Christi.

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Im Jahre 1170 herrschte im Stift große Trauer; Abt und Konventwaren in höchster Erregung: das goldene Kreuz war verschwunden.Lange Zeit blieben alle Nachforschungen nach seinem Verbleib erfolg-los. Endlich wurde es ausfindig gemacht. Um die Echtheit des Kreuzesfestzustellen, schlugen Schiedsrichter eine Prüfung vor.

Das Kreuz sollte in ein Boot gelegt und dieses den Wellen der Donauanvertraut werden. Schwimme der Kahn von selbst stromaufwärts gegenMelk, so sei die Echtheit des Kreuzes erwiesen. Und wirklich geschahein Wunder. Das Boot trieb der starken Strömung zum Trotz langsamflußaufwärts dem Kloster zu.

Abt Sieghard nahm freudig das Heiligtum in Empfang und brachte esunter dem Jubel des Volkes in das Kloster Melk zurück.

Der Wackelstein bei Zelking

Im Tal der Melk, etwa zwei Gehstunden vom Städtlein Melk ent-fernt, erhebt sich an den bewaldeten Hängen des Hiesberges die

malerische Burgruine Zelking. Hier herrschte um die Mitte des 14. Jahr-hunderts reges Leben. Herr Albero aus dem angesehenen Rittergeschlechtder Zelkinger, war sich der Macht seines Hauses wohl bewußt undwollte dies der übrigen Ritterschaft und allen Besuchern seiner Burghöchst sinnfällig dadurch zum Ausdruck bringen, daß er sich einen Leib-diener von ungewöhnlicher Körperstärke beschaffte. Er ließ daher an dieSöhne seiner Untertanen eine Aufforderung ergehen, sich im Schloßeinzufinden und Proben ihrer Kraft zu geben; der stärkste von ihnensolle in seine Dienste treten.

Der Hof der Burg Zelking wurde zum Schauplatz dieser Kraft-übungen ausersehen, und viele junge Burschen fanden sich ein, um einZeugnis ihrer Stärke abzulegen. Da konnte man gar kräftige jungeMänner sehen, und vielerlei absonderliche Kraftproben versetzten dieanwesenden Herren und Damen in Erstaunen. So war einer unter denBewerbern, der warf ein Zentnergewicht dreimannshoch in die Luft,aber schon der nächste vermochte ihn zu übertreffen, indem er es so-gar noch höher schleuderte. Einer hob ein Pferd vom Boden auf, einanderer rückte einen vollbeladenen Wagen von der Stelle. Dann kamein breitbrüstiger, stiernackiger Bursche an die Reihe, der Holz aufseinem Rücken hacken ließ, und der nächste lief mit dem Kopf an dieWand und brachte sie zum Einsturz — allerdings war es nur eine Bret-terwand.

Ein stämmiger Junge aber war abseits stehengeblieben und schien allediese Kraftäußerungen verächtlich zu beobachten. Das war nun Herrn

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Albero aufgefallen. Er trat zu dem Burschen und fragte ihn leutselig:„Nun, mein Lieber, willst du deine Kräfte nicht mit den andern messen,oder wird dir vielleicht bange, wenn du siehst, was jeder imstandeist?"

„Herr", gab der Bauernbursche zur Antwort, „ich bin bereit, meineKraft zu erweisen, und habe keine Furcht, den andern nachzustehen.Im Gegenteil, was ich Euch als Probe meiner Kraft vorzeigen will,wird mir wohl keiner so bald nachmachen. Dort oben im Wald liegtein mächtiger Felsblock, den sechs Männer mit ausgespannten Armennicht umfassen können. Wenn es Euch recht ist, will ich ihn mit einerHand in Bewegung setzen."

Man kannte den Stein und hielt es für unmöglich, den riesigen Blockzu bewegen. „Junge", sagte einer der Gäste des Burgherrn, „hüte deineZunge und unterstehe dich nicht, deinen Herrn mit deiner eitlen Groß-sprecherei mutwillig in den Wald zu locken!"

Der Junge aber beharrte auf seiner Behauptung und führte denRitter, der sehen wollte, was an der Sache wahr sei, auf den Hiesberg.Viele Herren und Damen schlossen sich an. Es lag aber in der Näheder Burg, eingeklemmt zwischen zwei spitzen Felsen, ein losgerissenerungeheurer Felsblock, der ein Gewicht von vielleicht siebenhundertZentnern haben mochte. Er ruhte derart im Gleichgewicht, daß einKnabe fähig war, ihn merklich zu bewegen, wenn er an der richtigenStelle zugriff, während ihn sonst die vereinte Kraft von dreißig Män-nern nicht aus seiner Lage zu bringen vermochte. Der Junge wußte umdieses Spiel der Natur oder hatte es vielleicht sogar als erster entdeckt,jedenfalls setzte er vor den Augen des erstaunten Burgherrn und seinerGäste den Felsblock in wackelnde Bewegung und erfüllte so sein Ver-sprechen.

Dieser Beweis von Klugheit und List, verbunden mit aufrechter Be-scheidenheit, gewann dem Burschen die Gunst des Schloßherrn und ver-schaffte ihm ohne weitere Kraftprobe die Stelle eines Leibdieners beiAlbero von Zelking.

Die Geisterschlacht im Weiserturm zu Pöchlarn

In Pöchlarn steht ein massiger alter Turm, in dem das Stadtmuseumuntergebracht ist. Er trägt auf einem altersgrauen Denkstein die

Jahreszahl 1484 und das Wappen des Bistums und des damaligen Bi-schofs von Regensburg, der diesen Turm in Kriegszeiten gegen MatthiasCorvinus von Ungarn erbauen ließ. Später enthielt er wohl eine Nieder-lage der Welser Kaufleute, woher auch der Name stammen mag.

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Von diesem Turm geht die Sage, daß eine Geisterschlacht hinter seinenMauern stattfinde, die kommende Kriegsgreuel verkünde, sooft einKrieg bevorstehe. Um Mitternacht brechen dann Tausende von wildenReitern auf schnaubenden schwarzen Rossen aus einem vermauertenTor des Turmes hervor, an ihrer Spitze ein wüster Geselle mit blutrotemBart. Sie sprengen zur Donau, lösen dort die Boote und Fähren undübersetzen lautlos den Strom. Zu gleicher Zeit wird es auch am andernUfer lebendig. Unzählige finstere Gestalten, von einem schwarzen Rit-ter geführt, empfangen die Gegner mit wüstem Kampfgeschrei. Inerbittertem Ringen kehren beide Scharen sodann über die Donau zu-rück. Die Ritter, die in den Booten keinen Platz finden, eilen auf demWasser dahin, als ob sie auf ebener Erde gingen, ohne zu versinken.Drüben verschwinden alle im Turm, nur zwei Männer bleiben wachendam Tor zurück. Nun erhebt sich im Innern des Turms ein furchtbaresKampfgetümmel. Lärm und Waffengeklirr sind weithin zu hören.Ströme von Blut rinnen aus dem Turm heraus und fließen der Donauzu, deren Fluten sich röten vom Blut der Erschlagenen.

Erst wenn die Glocke eins schlägt, verstummt das Getümmel, dieSchlacht ist zu Ende.

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Der Türkensturz bei Seebenstein

Im Jahre 1532 waren die Türken aufs neue in Ungarn eingefallenund weit ins Land vorgedrungen. Während ihre Hauptmacht die

Festung Güns belagerte, brachen vereinzelte Horden auch in Österreichein und gelangten auf ihren Raubzügen sengend und brennend bis insPittental. Doch die Bauern von Seebenstein und Gleißenfeld taten sichzusammen, bewaffneten sich mit allerlei Handwerksgerät und griffendie plündernden Scharen mit dem Mut der Verzweiflung an. Es gelangihnen auch, die Feinde zu zersprengen und aus dem Tal zu vertreiben.

Ein kleiner Trupp der Türken war dabei in den Wald oberhalb See-benstein geraten und suchte sich auf versteckten Pfaden der Rachsuchtder wütenden Bauern zu entziehen. Da gewahrte der Anführer derfeindlichen Schar auf dem Weg vor ihm die lichte Erscheinung einerFrauengestalt. Voll Zorn über den letzten Mißerfolg und in der Erwar-tung, hier leichtere Beute zu finden, forderte der türkische Hauptmannseine Untergebenen auf, mit ihm dem Mädchen nachzujagen und esgefangenzunehmen. Lüstern und beutegierig eilten die Türken der

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Erscheinung nach, die vor ihnen floh, bis sie den Rand eines steilenAbgrundes erreicht hatte. Hier sprang die heilige Jungfrau Maria — denn sie war es, die den Ungläubigen zum Verderben erschienen war— jäh zur Seite, während die Türken, blindlings weiterrennend, in dieTiefe stürzten, wo sie zerschmettert liegen blieben. Nur ein Mann blieban einem Baum hängen und kam auf diese Weise mit dem Leben davon.Als man ihn gefangen vor den Anführer der Bauern brachte, erzählteer, wie die überirdische Erscheinung ihre Sinne verblendet und siein den Tod geführt habe, dem er nur wie durch ein Wunder entronnensei, während ein fürchterliches Unwetter tobte.

Die steile Felswand heißt seit dieser Zeit der „Türkensturz".

Der Spuk auf Schloß Schauenstein

Der Dreißigjährige Krieg war zu Ende, und die entlassenen Söld-nerscharen machten sich auf den Weg in die Heimat, die vielen

kein Begriff mehr war. Planlos wanderte so mancher durch die Lande.So geschah es, daß ein alter Krieger auf seiner Wanderfahrt auch in

das Waldviertel kam. Spätabends erreichte er eine Schenke und ließ sichdort Trunk und Imbiß geben. Neugierig setzte sich der Wirt zu ihman den Tisch und fing ein Gespräch an. Wie er nun den ganzen Jammerdes abgedankten Soldaten hörte, und daß der nicht wisse, wo er morgenessen und schlafen werde, meinte er, der Krieger solle doch einmal seinGlück auf Schloß Schauenstein versuchen. Das sei vor hundert Jahrenverzaubert worden, und ein großer Schatz sei dort zu gewinnen. „Frei-lich", sagte er schließlich, „hat bisher niemand Erfolg gehabt, undviele, die in das Schloß hineingingen, sind nicht wieder zum Vorscheingekommen."

Aber den alten Krieger, der schon so oft dem Tod ins Auge gesehenhatte, konnte diese düstere Warnung nicht schrecken. Er ließ sich gleichdas Schloß zeigen, bat den Wirt um geweihte Kreide und eine ge-weihte Kerze und stieg am nächsten Abend den Schloßberg hinan.Die Fenster der Burg waren hell erleuchtet, das Burgtor stand offen;durch dunkle Gänge gelangte er in einen großen Saal, der in hellemLichterglanz erstrahlte. Kein lebendes Wesen ließ sich blicken. Der Sol-dat stellte die geweihte Kerze auf den Tisch und zog mit der Kreideeinen weiten Kreis herum. Dann wartete er im Kreis, nun doch mit eini-gem Gruseln, auf die Mitternachtsstunde, sein Schwert griffbereit bei derHand.

Kaum war der zwölfte Schlag verklungen, da sprang plötzlich dieTür des Saales auf, und langsam und feierlich schritten vier Zwerge

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herein, in schwarze Gewänder gekleidet, die einen Sarg trugen, den sieam Kreidestrich niederstellten. Der Sargdeckel hob sich, und ein Zwergmit einer goldenen Krone auf dem Haupt stieg aus dem Sarg, der sichsogleich mit funkelnden Goldmünzen füllte.

Würdevoll trat der Zwergenkönig an den Krieger heran und sprachmit tönender Stimme: „Vermagst du diesen Schatz in zwei gleicheTeile zu bringen, so ist die eine Hälfte dein, und ich bin erlöst. Bringstdu es aber nicht zuwege, so bist du des Todes, und ich muß auf meineErlösung weiter harren."

Kaltblütig zählte der Soldat Stück für Stück der glänzenden Münzenund machte zwei gleiche Haufen. Zuletzt aber blieb ihm ein einzelnesGoldstück über. Da nahm er kurz entschlossen sein Schwert, hieb dieMünze mitten durch und warf zu jedem Haufen einen Teil.

Ein furchtbarer Donnerschlag erscholl, das öde Schloß belebte sich,Mägde und Reisige gingen durch die Türen aus und ein, und aus demwinzigen Zwerg wurde ein stattlicher Ritter, der zu dem beherztenSoldaten trat und sagte: „Hab' Dank, daß du mich durch diesen Streicherlöst hast. Ich war der letzte Schloßherr, ehe dieses Schloß verzaubertwurde. Auch du stammst aus meinem Geschlecht, was dir bisher ver-borgen war. Nun aber kannst du das Erbe deiner Väter antreten."Nach diesen Worten verschwand der Ritter. Das Schloß aber gehörtevon nun an dem alten Krieger, der seinen Ahnensitz wieder erhielt.

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BURGENLAND

Die „Klage" vom Leithagebirge

Einmal saß ein alter Bauer am Krankenbett seiner Tochter. Da hörteer an der Decke ein knarrendes Geräusch. Erschrocken blickte er

auf und sah eine schwarze Kugel, die sich löste und polternd zu Bodenfiel, wo sie zischend und sausend umherkreiste. Der Mann erkannte so-gleich die Schicksalskugel der Klage und stieg schnell auf einen Stuhl,um mit dem unheilbringenden Ding nicht in Berührung zu kommen.Die Kugel rollte unter das Bett der Kranken. Am nächsten Morgenwar sie eine Leiche.

Ein Bauer führte spätabends seine Weinladung über das Leithage-birge. Während er, ein fröhliches Liedlein pfeifend, neben seinem Wageneinherschritt, sah er plötzlich eine feurige Kugel vom Abhang hergerade auf seinen Wagen zurollen. In der Besorgnis, daß ihm diePferde durchgehen könnten, griff er rasch nach einem Holzprügel undrief dem dahertanzenden Ding zu: „Wenn du auf mich rollst, zerschlageich dich wie einen Kürbis." Die Kugel aber kümmerte sich um dasGeschrei des Mannes nicht und umkreiste funkensprühend unaufhör-lich den Wagen. Aber erst knapp vor dem nächsten Dorf verlor sichdie Kugel im Feld. Aufatmend hielt der Fuhrmann vor dem Gast-haus des Ortes an und erzählte dort sein Erlebnis. Die Zuhörer lachtenihn aus.

Einige Tage später fand man den Bauern mit seinen Pferden an dergleichen Stelle, wo ihm die Kugel erschienen war, unter den Trümmernseines Wagens tot auf. Weder die Pferde noch der Bauer wiesen Ver-letzungen auf, nur die Schürze des Mannes zeigte einige Brandlöcher.Die Klage, jenes seltsame Wesen, das den Menschen Unheil, Krankheitund Tod bringt, hatte den Mann und die Pferde getötet.

Das Bergmännchen von Eisenstadt

D er Burgstallberg bei Eisenstadt birgt manche Geheimnisse in sich.Verzauberte Ritter und Edelfrauen treiben nachts auf dem Berg

ihr Wesen. Ein Schatz soll auf seiner Kuppe vergraben sein, der voneinem Bergmännchen bewacht wird. Das Männchen ist den Menschen

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D a s B e r g m ä n n c h e n v o n E i s e n s t a d t

nicht feindlich gesinnt, es tut niemand etwas zuleide, aber es sprichtauch mit niemand. Denn es ist dazu verurteilt, nur Trauriges vorherzu-sagen, und da schweigt es lieber Wenn der Wicht daher unverhoffteinem Menschen begegnet, legt er warnend den Finger auf den Mund,um nicht gefragt zu werden, und huscht flink in das Gebüsch.

Einmal verspätete sich ein Bürger aus Eisenstadt bei der Arbeit imWald, so daß ihn die Dunkelheit überraschte, während er vom Burg-

stallberg herabschritt. Ahnungslos ging der Mann seines Weges, dahörte er plötzlich leise Schritte hinter seinem Rücken. Als er sich um-wandte, sah er das Bergmännchen, das mit trauriger Miene hinter ihmdreinlief. Der Mann beschleunigte seine Schritte, aber das Männchenblieb ihm auf den Fersen. Da wurde dem ehrsamen Bürger unheimlichzumute. Er fing zu laufen an und kletterte, bei seinem Haus angelangt,über die Hofmauer, um den Weg abzukürzen. Aber kaum war er inseinem Hof, sah er das Männchen wieder hinter sich. „Mußt dichtrösten!" sagte der kleine Mann plötzlich zu dem erschrockenen Bürgerund war auf einmal verschwunden.

Als der Mann, Arges befürchtend, in sein Haus trat, fand er seinWeib im Sterben. Das Bergmännchen hatte ihn schonend auf sein Un-glück vorbereiten wollen.

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Der ewige Jäger von Mogersdorf

Einst lebte in Mogersdorf ein Bursche, der sich von jeder Arbeitdrückte, lieblos und hartherzig gegen seinen greisen Vater war

und auch von Gott und der Kirche nichts wissen wollte. Wenn dieanderen Dorfbewohner am Sonntag zum Gottesdienst gingen, nahm erlieber seine Büchse zur Hand und streifte mit seinen Hunden durchWald und Feld, um seiner Jagdlust zu frönen; denn er war ein so eifri-ger Jäger, daß ihm die Jagd über alles ging.

Wieder war Sonntag, und sein alter Vater lag schwerkrank danie-der; sein Tod war stündlich zu erwarten. Der Sohn aber griff zurBüchse, ohne seinem mit dem Tode ringenden Vater einen Blick zu gön-nen, und pfiff seinen Hunden, um seinem Sonntagsvergnügen nachzu-gehen. Unbekümmert strich er durch die Fluren, nur von dem Gedankengeleitet, etwas Jagdbares aufzutreiben. Da hörte er plötzlich das Sterbe-glöcklein im Dorf läuten. Es galt seinem todkranken Vater, der in denletzten Zügen lag. Zugleich kam eiligen Laufes ein junger Bursche querüber das Feld zu ihm gerannt, der ihm die Bitte seines sterbenden Vatersüberbrachte, sogleich an sein Sterbebett zu kommen. Der Greis wolltevor seinem Tod noch einmal in seinen Sohn dringen, von seinem Ärger-nis erregenden Lebenswandel abzulassen. Doch der Sohn schüttelte kaltdas Haupt. Nicht einmal die letzte Bitte des sterbenden Vaters ver-mochte das harte Herz des Burschen zu erweichen. Ruhig gab er sichweiter seinem Vergnügen hin.

Mit banger Ungeduld harrte der Vater auf das Erscheinen des Soh-nes. Angst verzerrte seine fahlen Züge; denn er fühlte, es würde baldzu spät sein. Als man ihm aber die Absage des Sohnes mitteilte, ergoßsich die letzte Zornesröte über sein blasses Gesicht, und, sich mühsamaufrichtend, stieß er den Fluch aus: „Von nun an soll er nie mehrRuhe finden und ewig auf der Jagd sein!" Dann sank er zurück undstarb.

Kurze Zeit darauf ereilte der Tod auch den hartherzigen Sohn. Aberer fand im Grab keine Ruhe; denn der Fluch des Vaters ging in Erfül-lung. Der Geist des lieblosen Sohnes ist dazu verurteilt, ruhelos aufewige Zeiten jagend umherzustreifen. Seitdem treibt nächtlicher Spukin der Gegend von Mogersdorf sein gespenstisches Wesen. Geht manum Mitternacht zum Saubach, so dringen unheimlich gedehnte Rufedem nächtlichen Wanderer ans Ohr. „Uto — toto, uto — toto!" soscheint es nah und fern zu erschallen, lautes Hundegekläff wird hör-bar, und bald saust die tolle Meute vorüber, feurigen Dampf aus denNüstern schnaubend. Sie rast gegen den Schlößlwald, und hinter ihrjagt rastlos der ewige Jäger einher, beim Schlößl kehrt er um und tobtwieder gegen den Saubach zu.

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D e r K ü m m e r l i n g s t e i n v o n K l e i n h ö f l e i n

Dieser lärmende Spuk erscheint Nacht für Nacht und findet keinEnde. Man sagt, daß der ewige Jäger abwechselnd fünfzig Jahre inder Luft und fünfzig Jahre auf Erden seine wilde Jagd machen mußohne Rast und Ruhe bis zum Ende der Zeiten, wo auch der Fluch desVaters sein Ende finden wird.

Der Kümmerlingstein von Kleinhöflein

Der Kümmerlingsstein ist ein etwa mannshoher Felsen, der in derNähe von Kleinhöflein steht. Seit altersher geht von ihm die Sage,

daß er sich vor dem ersten Menschen, der am Morgen bei ihm vor-übergeht, tief verneigt und so gleichsam seine Ehrfurcht vor dem Fleißdes frühen Wanderers kundgibt.

„Seppl", sagte ein Weinhauer zu seinem baumlangen, der Arbeitnicht sehr gewogenen Sohn, „Seppl, das eine möchte ich noch erleben,daß sich der Kümmerlingstein vor dir verbeugt." Nun war der Sepplzwar gerade kein Frühaufsteher, aber es gelüstete ihn doch, der Märvom Kümmerlingstein nachzuforschen und zu erfahren, ob an der Sacheetwas Wahres sei.

Um sich nicht zu verspäten und richtig als erster auf dem Platz zusein, nahm er eines Abends im Spätherbst eine dicke Wolldecke unterden Arm und begab sich in die Nähe des Steines. Dort wollte er, indie Decke gewickelt, geruhsam schlafen, bis ihn am Morgen die Schrittedes ersten Weinhauers, der zur Arbeit ging, aus dem Schlaf weckenwürden. Dann, dachte er, werde er rasch aufspringen und noch vordem andern als erster am Kümmerlingstein vorübergehen. Befriedigtüber diesen Plan, legte er sich zur Ruhe nieder und schlief bald ein.

Kurz nach Mitternacht war ihm, als höre er das Geräusch vorüber-gehender Schritte, und ein helles Lachen, das an sein Ohr drang, ermun-terte ihn bald völlig. Als er sich rasch aufrichtete, sah er, wie ein Greismit blauem Schurz, der eine Butte auf dem Rücken trug, soeben amStein vorbeiging. Gleichzeitig bemerkte er bestürzt, wie der Stein vordem Greis eine tiefe Verbeugung machte. Verwundert schlich der Seppldem Greis nach, um zu erfahren, wer der unbekannte Alte sei und waser so bald nach Mitternacht in den Weinbergen treibe. Da gewahrte er,wie der Alte mit den Händen segnend jeden Weinstock berührte, undwußte nun, daß es der Leseähnl war, der ihm beim Kümmerlingsteinein Schnippchen geschlagen hatte.

Am Morgen aber zeigten sich die Beeren der Weintrauben, die tagsvorher noch unreif und sauer gewesen waren, prall und honigsüß undverschafften dem Wein besten Ruf.

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Die Teufelsmühle bei Landsee

An der Straße von Neudorf nach Landsee im Schloßgraben unter-halb der Ruine Landsee stehen die Mauerreste einer Mühle, bei

deren Bau der Teufel störend seine Hand im Spiel hatte, weil er denBau an dieser Stelle nicht dulden wollte.

Vor vielen, vielen Jahren beschloß ein reicher Müller aus der Um-gebung, im Schloßgraben eine Mühle zu errichten. Holz, Steine, Kalkwurden herbeigeschafft, die Arbeiter gedungen, und der Bau hatte baldeine ansehnliche Höhe erreicht. Aber als der Müller eines Tages früh-morgens zur Baustelle kam, fand er die Mauern zerstört und das Bau-material ringsherum verstreut. Ratlos und betroffen betrachteten derBauherr und die Maurer den Trümmerhaufen und konnten sich dieUrsache der Zerstörung nicht erklären. Aber man begann mit frischemMut den Bau von neuem und kam rasch vorwärts. Doch nach einigenTagen bot sich ihnen am frühen Morgen das gleiche Bild: wieder warendie Mauern bis auf den Grund eingerissen. „Hier kann nur der Teufelsein Spiel treiben!" rief der Müller zornig. „Was soll ich tun, um demBösen dieses unheimliche Spiel zu verderben?"

Da trat ein alter Arbeiter an den Herrn heran und sagte: „Haltet inder nächsten Nacht Wache auf der Baustelle und tretet dem Satan miteinem Kreuz in der Hand entgegen; das wird ihn von seinem boshaftenTun abschrecken."

Die Maurer begannen ihre Arbeit aufs neue, der Müller aber befolgteden Rat des Alten und begab sich bei Einbruch der Nacht mit einemKreuz in der Hand zur Baustelle. Es wurde dunkler und dunkler, einschauriger Wind brauste durch die Wipfel der Bäume, seltsame Ge-räusche erklangen: bald polterte es auf der Straße, bald knarrte es imWald, dann wieder erschollen dumpfe Rufe vom Bach her. Dem War-tenden wurde immer unheimlicher zumute. Das Getöse steigerte sich undschien dem Müller das Nahen des Teufels anzuzeigen. Da packte denMann ein entsetzlicher Schrecken, das Kreuz entfiel seiner Hand, undwie gejagt flüchtete er von diesem Ort des Grauens.

Als die Arbeiter am nächsten Morgen ihr Werk fortsetzen wollten,fanden sie die Mauern wieder zerstört. Doch soll dem Teufel der An-blick des liegengebliebenen Kreuzes die Lust am Wiederkommen verlei-det haben. Trotzdem wollte der Müller, abgeschreckt durch sein schauer-liches Erlebnis, die Mühle nicht fertigbauen lassen, und so blieb derBau unvollendet bis zum heutigen Tag. Die Stätte aber wurde von denBewohnern gemieden und heißt noch heute die Teufelsmühle.

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Die Hexenschmiede bei Rechnitz

In der Nähe von Rechnitz, dort wo die Bucklige Welt in das Burgen-land hineinragt, stand ehemals eine Schmiede, in der neben dem

Meister ein Geselle und ein Lehrjunge die Arbeit verrichteten. Lehr-bube und Geselle schliefen in der Kammer in einem breiten Bett, dasRaum genug für beide bot. Der Geselle hatte sich schon lange Gedan-ken darüber gemacht, warum der Junge des Nachts oft nicht im Bettlag, täglich blasser wurde und vor Schwäche kaum mehr arbeitenkonnte. Da stellte er ihn eines Tages zur Rede, und der Junge erzählteihm sichtlich verlegen: „Da sind die Hexen dran schuld. Um Mitter-nacht weckt mich oft eine Hexe aus dem Schlaf, befiehlt mir aufzustehenund wirft mir ein Zaumzeug über den Kopf. Dann fühle ich mich so-gleich in ein Pferd verwandelt. Sie schwingt sich auf meinen Rückenund rast wie der Wind zum Haus hinaus. Nun geht es kreuz und querdurch die Luft, mit der Peitsche treibt sie mich zu immer größererSchnelligkeit an, bis ich nicht mehr weiter kann."

Der Schmiedgeselle lachte über diese Erzählung des ehrlichen Jun-gen. Er hielt das Ganze für die Ausgeburt einer krankhaften Einbil-dung. Aber als er weiter die gleichen Beobachtungen machte und derJunge immer trübsinniger wurde, begann er doch nachdenklich zuwerden und beschloß, es mit einer List zu versuchen. Er tauschte mitdem Buben die Schlafstelle, legte sich angekleidet auf das Bett undwartete, ob der unheimliche Besuch sich wirklich einstellen werde. Undrichtig, genau um Mitternacht erschien die Hexe, sie hatte — ein Gru-seln lief dem Gesellen über den Rücken — wirklich ein Zaumzeug inHänden. Aber er überwand seinen Schrecken, packte fest an und warfder gespenstischen Gestalt flugs das Zaumzeug über den Leib. Undaugenblicklich war die Hexe in ein Pferd verwandelt.

„Lehrbub!" brüllte er seinen schlafenden Bettkameraden an, „stehauf, schau dir einmal dieses Teufelsroß an! Komm, wir wollen es be-schlagen, damit es seinen Ritt besser machen kann!" Sie packten dassich sträubende Hexenpferd und zerrten es in die Schmiede, wo sie eskunstgerecht beschlugen. Sodann schwangen sich beide auf den Rückendes Pferdes und ritten hinaus in die helle Mondnacht. Sie hetzten esunter Hussa und Holla über Wiesen und Felder, daß es schnaufte undschäumte und fast nicht mehr weiter konnte; dann lenkten sie zurSchmiede zurück, stiegen vom Rücken des zitternden Gauls und jagtenihn mit ein paar tüchtigen Gertenhieben zum Teufel.

„Hoffentlich hat das Biest jetzt genug für immer", meinte lachendder Geselle, als er mit dem Lehrbuben wieder sein Lager aufsuchte.

Aber am nächsten Tag sollten sie erst ihre Wunder erleben! Als derGeselle mit dem Buben sich frühmorgens an den Tisch setzte und auf

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D i e F a r n s a m m i c r v o n G o b e r l i n g

das Frühstück wartete, ließ sich die Meisterin nicht blicken, und auchder Meister begann ärgerlich über diese nachlässige Wirtschaft zu mur-ren. Schließlich ging er zornig in die Schlafstube, wo die Meisterinnoch im Bett lag. Schimpfend riß er die Decke vom Lager herunter,aber entsetzt fuhr er zurück; da lag die Meisterin, aber Hände und Füßewaren mit Hufeisen beschlagen. Der arme Meister erschrak so sehr,daß er, vom Schlag getroffen, tot zu Boden stürzte. Geselle und Lehr-junge verließen noch am gleichen Tag eiligst die unheimliche Schmiede.Die Meisterin aber verfiel ihrem Schicksal, sie wurde als Hexe auf demScheiterhaufen verbrannt.

Die Farnsammler von Goberling

In der Thomasnacht (29. Dezember) ereignen sich allerlei Wunder.Der Samen des Farnkrauts, das in dieser Nacht im Wald blüht,

ist heilkräftig und hat die wunderbare Eigenschaft, drei oder fünfPersonen unsichtbar zu machen, wenn sie den Farnsamen in einemKirchenkelch auffangen. Er verleiht seinem Besitzer auch die Gabe, ver-borgene Schätze zu sehen.

Diese Wunderkraft des Farnsamens war vor vielen Jahren demMesner von Goberling bekannt, und er versuchte mit zwei anderenMännern, in der Thomasnacht sein Glück zu machen. Der buckligeDorfwirt, der in vielen Zaubersachen erfahren war, belehrte sie, wiesie sich beim Einsammeln des Farnsamens zu benehmen hätten. Erselber konnte den Weg nicht mitmachen, da er als Vierter überzähligwar.

So schlichen sich denn die drei Farnsucher unter Mitnahme einesKirchenkelchs, den der Mesner heimlich entlehnt hatte, vor Mitternachtin den Wald, um das große Werk zu vollbringen. Mit geweihter Kreidezogen sie um das Farnkraut einen Zauberkreis und warteten in dem-selben auf das Wunder, das sich ereignen sollte. Erstaunt gewahrtensie um Mitternacht, wie der Farn zu blühen anfing. Als aber die Blütenabfielen und der Samen zu reifen begann, wandelte sich die Verwun-derung der Männer in Schrecken und Furcht; denn ringsumher krachteder Donner, die Erde bebte, und gespenstische Gestalten umringten denZauberkreis. Endlich fiel der Samen in den Kelch, den sie unterhielten,die Elemente beruhigten sich, und die schattenhaften Bedränger ver-schwanden.

Froh über den glücklichen Ausgang des Unternehmens verließendie drei die unheimliche Stätte und traten den Rückweg an. Der Mesner,der den Kelch trug, konnte den beiden andern nicht genug erzählen

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D e r B i n d e r s c h l e g e l im N e u s i e d l e r S e e

von den Schätzen, die er vor sich sehe, so daß seine Begleiter langeZähne bekamen und die verborgenen Herrlichkeiten auch sehen wollten.So trugen sie abwechselnd den Kelch und erlebten dabei ihre Wunder.Da kam ihnen plötzlich der bucklige Wirt entgegen und tat, als obihm die Neugierde über den Ausgang ihres Vorhabens keine Ruhemehr gelassen hätte. Als er hörte, daß sie den Farnsamen richtig ge-funden und was für Schätze sie schon gesehen hätten, wollte er denSamen sehen. Aber die andern konnten sich nicht entschließen, denDeckel vom Kelch zu heben, da sie meinten, der Samen könnte vomWind weggeweht werden. Nun wurde der Wirt zornig und drohteihnen, die ganze Sache dem Pfarrer zu verraten. So blieb ihnen nichtsübrig, als den Deckel zu lüften. Der Bucklige blickte hinein und blieszu ihrem Schrecken auf einmal den Samen aus dem Kelch; dann warer mit höhnischem Gelächter verschwunden.

Jetzt erkannten die Farnsucher bestürzt, daß es der Teufel selbstgewesen sei, der ihnen in Gestalt des buckligen Wirts entgegengetretenwar und sie überlistet hatte. Mit langen Gesichtern, aber doch heilfroh,daß ihnen kein ärgeres Übel zugestoßen war, trotteten die drei Männerihrem Dorf zu.

Der Binderschlegel im Neusiedler See

Der Neusiedler See und die Donau müssen durch ein unterirdischesGerinne miteinander verbunden sein, sonst wäre nicht möglich,

was ein Bindergeselle aus Neusiedl am See mit seinem Schlegel erlebte.Es ist wohl schon lange her, da wandelte einen einsamen Binder-

gesellen, der in Neusiedl am See bei einem Meister in Arbeit stand, dieLust an, auf Wanderschaft zu gehen und sich die Welt anzusehen.Handwerk hat goldenen Boden; und da sich der Geselle auf sein Hand-werk verstand, brachte er sich überall gut durch und konnte sich aucheinen netten Zehrpfennig anlegen. In seiner Freizeit hatte er sich einenkunstvollen Schlegel angefertigt, dessen Stiel hohl war. Hier verbarg erdie zehn Dukaten, die er sich von seinem Lohn erübrigt hatte.

Aber jeder, der die Heimat verläßt, bekommt es einmal mit demHeimweh zu tun. So packte denn auch unseren Bindergesellen dasHeimweh. Er schnürte sein Bündel, legte auch den wertvollen Schlegeldazu und begab sich auf den Heimweg. Munter zog er auf SchustersRappen fürbaß, aber weil sich der Weg zog und in Regensburg geradeeine billige Fahrgelegenheit zu haben war, beschloß er, es auf dem Was-ser zu versuchen, bestieg ein Schiff und schwamm bald lustig die Donauherunter. Aber schon bei Grein fand die Fahrt ein vorzeitiges Ende.

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D i e E n t s t e h u n g v o n B a d T a t z m a n n s d o r f

Das Schiff geriet in den berüchtigten Strudel, wurde an die Felsengeworfen und zerschellte. Der Geselle schwebte in Lebensgefahr, aberweil er ein guter Schwimmer war, gelang es ihm, sich aus der wirbeln-den Strömung herauszuarbeiten und das Ufer zu gewinnen. Freilich,das Bündel mit dem Schlegel und sein goldener Sparpfennig waren aufNimmerwiedersehen dahin.

So kam er zwar heil und gesund, aber ärmer, als er ausgezogen war,nach langen Jahren in die Heimat zurück. Doch der junge Mann ver-zagte nicht, machte sich frisch wieder an die Arbeit und war mit Fleißund Ausdauer nach einigen Jahren so weit, daß er eine Frau nehmenund seine eigene Werkstätte aufmachen konnte.

An einem Sonntag war's, da spazierte der junge Meister mit seinerhübschen Frau am Ufer des Neusiedler Sees. Zufrieden mit seinem Los,schritt er gemächlich dahin und ließ seine Blicke über den See schwei-fen. Da sah er unweit des Ufers ein merkwürdiges Ding in den Flutentreiben. Mit dem Stock danach angelnd, zog er den Gegenstand zusich heran. Wie erstaunte er aber, als er seinen Schlegel erkannte, dener vor Jahren im Strudel der Donau bei Grein eingebüßt hatte. DasWerkzeug war unbeschädigt, und so kam er auch zu seinen zehn Du-katen wieder, die noch im hohlen Stiel des Schlegels staken.

Wie aber konnte der Schlegel hierher gelangt sein? Kaum anders alsdurch ein unterirdisches Rinnsal, dessen Vorhandensein durch diesenFund bestätigt erscheint.

Die Entstehung von Bad Tatzmannsdorf

Vor vielen Jahrhunderten lebte in Oberwart ein fremder Arzt, des-sen Wunderkuren in der ganzen Umgebung bekannt und be-

rühmt waren. Niemand wußte um das Geheimnis des Wundermittels,das er seinen Kranken eingab. Der Alte aber wanderte in finsterenNächten verstohlen zu einer Quelle, die im Sumpfgebiet von Jormanns-dorf aus dem Boden sprudelte, füllte die mitgebrachten Gefäße mit demheilkräftigen Wasser und gab seinen Patienten davon zu trinken.Kein Mensch hatte ihn bisher bei seinem Tun beobachtet. Wohl hatteman hie und da bei der Quelle zur Nachtzeit ein Licht flackern sehen,aber die Gegend galt als verrufen, und die Leuten meinten, nächtlicherSpuk treibe dort sein Wesen.

In der Nähe von Oberwart bestand damals ein Bergwerk. Da kamauch ein junger Bergmann aus Deutschland hierher, der die Gegendabstreifte, um erzhaltiges Gestein zu finden. Auf seinen Wanderungenverirrte er sich einmal und wurde in dem sumpfigen Tal von Jor-

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F r a u e n h a i d

mannsdorf von der Nacht überrascht. Während er sich anschickte, untereinem Busch sein Nachtlager aufzuschlagen, sah er unweit der Stelleein Licht leuchten. Neugierig schlich er näher und bemerkte einen altenMann, der aus einer Quelle Wasser schöpfte. Als der Alte sich entfernthatte, bedeckte der Bergmann die Quelle mit grünen Zweigen undknickte einige Äste der umstehenden Bäume, um die Quelle am nächstenTag wieder zu finden. Am andern Morgen füllte er eine Flasche mitdem Quellwasser und gab einem erkrankten Bergmann davon zu trinken.Der Mann wurde gesund und konnte wieder seiner Arbeit nachgehen.

Doch nicht nur diese eine Quelle, eine zweite, weit ergiebigere, wurdegefunden, und dies geschah so:

In alter Zeit breitete sich dort, wo heute Bad Tatzmannsdorf liegt,ein weiter See aus. Am Rand des Sees sprudelte am Fuß einer altenErle eine Quelle aus dem Boden, deren Wasser den See speiste. Ein-mal hütete ein Hirte seine Schweine, die alle krank waren, in der Näheder Quelle. Er trieb die Tiere an die Quelle zur Tränke, und dieSchweine wurden in kurzer Zeit gesund. Die Nachricht von der Wun-derkraft der Quelle verbreitete sich bald in der Umgebung; von weitund breit kamen die Bauern zum See, um Heilung von ihren Leiden zufinden, und das führte zur Gründung von Tatzmannsdorf.

Frauenhaid

Im Jahre 1201 kam ein tapferer Ritter aus Aragonien in das Burgen-land. Da er von edler Abstammung war und sich durch treue Dienste

und entschlossene Taten den Dank des Königs erworben hatte, gabihm der Herrscher Macht und Ansehen im Land und verlieh ihmdie Herrschaft Mattersdorf samt Burg und Gut als Lehen. Der Ritterübernahm dagegen die Verpflichtung, im Falle eines Krieges die Gren-zen des Landes mit Leben und Blut zu verteidigen. Da der Gutsherrund seine Nachkommen ihre Verpflichtung stets getreulich erfüllten,wurde das Geschlecht später in den Grafenstand erhoben.

Als die Scharen der wilden Tataren das Land überschwemmten unddie Gegend von Mattersdorf und Eisenstadt bedrohten, flüchtete derdamalige Graf nach Wiener Neustadt, wo er aus Gram über die Ver-wüstung des Landes starb. Er hinterließ zwei Söhne, Konrad und Emme-rich, die sich über die Teilung des Erbes nicht einigen konnten. Na-mentlich die zwischen Mattersdorf und Eisenstadt gelegene große Heidegab Anlaß zum Streit; denn jeder von beiden erhob Anspruch auf

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diesen Landstrich. Sie griffen sogar zu den Waffen und bekämpfteneinander, und nicht einmal der König konnte eine Versöhnung zwi-schen beiden erzielen. Die Entscheidung über den Erbstreit war auchdadurch erschwert, daß alle Schriften des alten Grafen vernichtet wor-den waren.

Da die Zwietracht unter den beiden Erben kein Ende nehmen wollte,ordnete der König zuletzt an, daß ein Zweikampf der Brüder auf derstrittigen Heide den Zank um das Erbe entscheiden sollte. Als Tagdes Gottesurteils wurde der Pfingstmontag des Jahres 1260 bestimmt.

Frühmorgens am festgesetzten Tag zogen die zwei feindlichen Brüdermit ihrem Gefolge auf die Heide hinaus und begaben sich an die Stelle,wo der Zweikampf vor sich gehen sollte. Emmerich kam aus Eisen-stadt, Konrad aus Mattersdorf. Ein Abgesandter des Königs war er-schienen, begleitet von seiner edlen Frau und großem Gefolge, undviele Adelige und Bauern, besonders aber die Untertanen der beidenBrüder, umsäumten den Kampfplatz. Schon schickten sich die beidenGrafen an, gegeneinander loszusprengen, da warf sich das Volk zwi-schen die Kämpfer und flehte zum Himmel, daß der Kampf unter-bleiben möge. Zu Tränen gerührt über diesen Treuebeweis ihrer Unter-tanen, steckten beide Brüder ihre Schwerter in die Scheide und gabensich lächelnd den Versöhnungskuß. Der Streit um das Erbe war zu Ende.Das Urteil, wem die Heide zufallen solle, überließen sie dem König.

An dem Ort, wo die feierliche Versöhnung stattgefunden hatte, wurdezunächst eine Kapelle, später eine Kirche erbaut, wo in späteren Jah-ren ein zartes Frauenbild, ein schönes Muttergottesbild aus dem Forch-tensteiner Schloß, zur Aufstellung kam. Der kleine Ort, der dort ent-stand, erhielt den Namen Klein-Frauenhaid.

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Ritter Andreas Baumkirchner auf Burg Schlaining

Der steirische Ritter Andreas Baumkirchner, bisher ein treuer An-hänger Kaiser Friedrichs III . , erhielt im Jahre 1446 vom Kaiser

die stattliche Burg Schlaining zum Geschenk, die er mächtig ausbauenließ und zu seinem Wohnsitz erwählte. Baumkirchner trat später aufdie Seite Ladislaus' von Ungarn über, hielt dann wieder zu Friedrichund ergriff schließlich die Partei des Ungarnkönigs Matthias Corvinus.

Grollend über den Wankelmut seines Untertanen, lud ihn der Kaiserim Jahre 1471 zur Rechtfertigung in seine Burg nach Graz vor, ließihm aber einen Geleitbrief ausstellen, worin er ihm Schutz und freienAbzug bis zum Ertönen der Vesperglocke zusicherte.

Im Vertrauen auf den versprochenen Schutz fand sich Baumkirchner,obwohl er vor Verrat gewarnt worden war, mit seinem GefährtenGeißenecker in Graz ein, um sich zu verantworten. Als er jedoch sah,daß die Verhandlung absichtlich in die Länge gezogen wurde, wollteer noch vor dem Vesperläuten die Burg verlassen. Da ließ der Kaiserdie Vesperglocke eine Stunde vor der Zeit anschlagen. Die Zugbrückengingen hoch und die Ritter wurden gefangengenommen. Nach kurzerHaft wurden sie zwischen den beiden Murtoren enthauptet.

Als Martha, die Tochter Baumkirchners, von der Treulosigkeit desKaisers erfuhr, begab sie sich eilends nach Graz, um für ihren Vatereinzutreten. Aber sie kam zu spät; das Urteil war schon vollstreckt.

In namenlosem Schmerz tauchte Martha ihr Tuch in das Blut des Ge-richteten und schleuderte es den anwesenden Höflingen ins Gesicht, in-dem sie einen gräßlichen Fluch über alle jene ausstieß, die am Todeihres Vaters mitschuldig waren.

Am Stadttor in Graz wurde noch viele Jahrhunderte hindurch ein

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Stein gezeigt, der als Richtblock gedient haben soll, und manch späterFußgänger will in stürmischer Nacht die Gestalt Baumkirchners ge-sehen haben, der mit dem Kopf unter dem Arm ruhelos um seine Richt-stätte schleicht. Marthas Fluch aber soll an allen in Erfüllung gegangensein, die Baumkirchners Tod mitverschuldet hatten.

Die Türken in Güssing

B ei der Belagerung der Burg Güssing durch die Türken gab es einenlangen, hartnäckigen Kampf. Vergebens hatte der Feind die auf

einem steilen Felsen gelegene Burg berannt. Die Tapferkeit der Vertei-diger vereitelte jeden Erfolg. Als die Türken endlich erkannten, daßdie Burg mit Waffengewalt nicht zu erobern sei, wollten sie die Be-satzung durch Aushungerung zur Übergabe zwingen.

Lange dauerte die Belagerung schon, und trotz aller Einschränkunggingen die Lebensmittel in der Burg allmählich zur Neige. Es war dentapferen Verteidigern klar, daß sie sich nicht mehr lange halten konn-ten. Da wollte es der Burgherr in der äußersten Not noch mit einerList versuchen, um die Belagerer zu täuschen und sie zum Abzug zuveranlassen.

Er ließ den noch vorhandenen bescheidenen Mehlvorrat herbeischaf-fen, der aber so gering war, daß er kaum ein kleines Körbchen füllte.Bei Nacht stellte man ein großes Mehlfaß auf die äußere Burgmauer,so zwar, daß der Boden des Fasses nach oben zu stehen kam. Daraufschüttete man die geringe Mehlmenge, so daß es den Anschein hatte,als sei das Faß bis über den Rand gefüllt und noch Mehl im Überflußin der Burg vorrätig. Bei Tagesanbruch ließ der Burgherr den letztenOchsen, der noch in der Feste am Leben war, hinter der Burgmauerherumtreiben und so heftig mit Knütteln schlagen, daß das schmerzge-quälte Tier unaufhörlich brüllte. Den Belagerern sollte dadurch vor-getäuscht werden, daß noch eine ganze Herde von Schlachtvieh in derBurg vorhanden sei.

Als die Türken das anhaltende Ochsengebrüll hörten und das über-volle Mehlfaß auf der Burgmauer stehen sahen, glaubten sie wirklich,die Belagerten seien mit Vorräten noch im Überfluß versorgt und essei daher zwecklos, noch länger auf eine Hungersnot in der Burg zuwarten. Sie hoben die Belagerung auf und zogen noch am selben Tageine halbe Stunde vor Mittag von Güssing ab.

Zur Erinnerung an diese Rettung aus der Türkengefahr wurden seitdieser Zeit die Glocken in der alten Pfarrkirche zu Güssing täglichum halb zwölf Uhr geläutet.

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Die Totenschlucht bei Breitenbrunn

A ls die Türken im Jahre 1683 auf dem Vormarsch nach Wien waren,um die Hauptstadt der Christenheit dem Halbmond zu unter-

werfen, verrichteten sie viele Greueltaten. Angst und Schrecken zogenvor ihnen her. Die Landbewohner flüchteten an versteckte, schwer zu-gängliche Orte und nahmen ihre wertvollste Habe mit sich, ihre Heim-stätten schutzlos den wilden Horden überlassend. Die Zurückgebliebe-nen waren allen Bedrängnissen ausgesetzt, mußten Vieh und Lebens-mittel liefern und wurden zu den schwersten Arbeiten herangezogen.

Noch ärger trieben es die zurückweichenden Scharen der Türkennach ihrer Niederlage vor Wien. Häuser und Dörfer wurden in Brandgesteckt, die Ortsbewohner verschleppt und getötet. Wer konnte, rettetesich in Schluchten und Wälder.

Auch die Bewohner des Dorfes Breitenbrunn hatten ihre Häuserverlassen und waren in die Wälder an der Sommereiner Gemeinde-grenze geflüchtet. Dort gruben sie in die Seitenwand einer Schlucht eineHöhle, wo sie sich verbargen. Nur des Nachts streiften sie in der

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D i e To t e n s c h l u c h t b e i B r e i t e n b r u n n

Umgebung umher, um sich Nahrung zu verschaffen. Eines Tages er-schien vor der Höhle eine Frau mit ihrem kleinen Kind. Die Breiten-brunner gewährten ihr Schutz und ließen sie in die Höhle ein. Da esaber drinnen sehr feucht war, erkrankte das Kind und begann unauf-hörlich zu weinen. Nun bekamen es die andern Bewohner der Höhlemit der Angst zu tun; sie meinten, das Geschrei des Kindes könne ihrVersteck verraten und die Türken herbeilocken. Als sich aber gar einesTages das Gerücht verbreitete, türkische Horden seien in der Nähe ge-sehen worden, jagten sie die Frau samt dem Kind davon. Die armeMutter fand in ihrer Angst keinen andern Ausweg, als ergeben in ihrSchicksal in ihr Dorf zurückzukehren. Sie fand es zerstört, aber von denTürken geräumt.

Nach und nach wagten sich auch die Geflüchteten aus ihren Höhlenhervor. Als die ausgesandten Späher meldeten, daß kein Feind mehrzu erblicken sei, trieben sie das Vieh aus den Wäldern und zogen damitin ihre Dörfer zurück. Dabei kamen einige auch durch die Schlucht,die den Breitenbrunnern zum Aufenthalt gedient hatte. Hier bot sichihnen ein grausiger Anblick: zahlreiche Leichen ohne Kopf bedecktenden Boden. Eine der letzten heimziehenden Türkenscharen mußte dasVersteck der Bauern entdeckt und dieses Gemetzel angerichtet haben.Die Herzlosigkeit der Bauern war der armen Frau zur Rettung ge-worden, während jene selbst ein so schauriges Ende fanden.

Seitdem heißt diese Waldschlucht der „Totenkopfzwickel".

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OBERÖSTERREICH

Der Donaufürst im Strudengau

Wer in dunklen Nächten oder an Tagen, wo dichter Nebel allesverhüllt und die Sicht behindert, im Strudengau das Ufer der

Donau entlangwandert, der kann manchmal tiefes Seufzen oder auchdumpfe Klagerufe über den Wellen des Stromes vernehmen. Es sinddie Klagen der Donaunixen, die ihren Herrn, den Donaufürsten, be-weinen, den sie vor vielen Jahren verloren haben. Und das ging so zu:

Einst lebte ein alter Fischer mit seinem lieblichen Töchterchen amDonaustrand. Zufrieden ging der Alte frühmorgens auf Fischfangaus und kehrte erst spätabends in seine Hütte zurück, während dasMädchen das bescheidene Hauswesen führte. Als er eines Tages zurgewohnten Zeit die Netze einzog und wieder an Land stieg, fand ereine Menge Leute vor seiner Hütte, die sich aufgeregt unterhielten. Er-schrocken fragte er, was es gegeben habe, und erfuhr zu seinem Ent-setzen, daß der Donaufürst, als alter Mann verkleidet, seine Tochtergeraubt und mit sich in die Tiefe des Stromes geschleppt habe.

Schmerzgebeugt über diesen Verlust, zog sich der Fischer von allenMenschen zurück und verließ nur mehr selten seine Behausung. Immerwieder sann er darüber nach, ob es gar kein Mittel gäbe, seine Tochterdem Räuber wieder zu entreißen. Er wußte, daß sich der Herr desStromes in mondhellen, stürmischen Nächten dem Schiffer, der nichtsGeweihtes am Leib trägt, auf dem Strom zeigt. So beschloß er denn, ineiner solchen Nacht die Fahrt mit seinem Kahn zu wagen und denDonaufürsten zu suchen. Kaum befand er sich in der Mitte des Stro-mes, als eine ehrfurchtgebietende Gestalt aus den Wellen vor ihm auf-tauchte. Blauschimmernde Kopf- und Barthaare, die über einen purpur-roten Mantel bis in die Fluten wallten, hüllten die Erscheinung ein, einedreieckige glitzernde Muschelkrone bedeckte das mächtige Haupt. Aufden Fischer zuschwebend, fragte der Donaufürst — denn er war es, dersich dem Alten zeigte —, was er für einen Wunsch habe. So pflegt erjeden zu fragen, der ihm begegnet, und zieht ihn dann hinunter in dieTiefe des Stromes, wo sich jeder Wunsch erfüllen werde.

Der Fischer sprach kein Wort, sondern blickte nur wie gebannt aufdie strahlende Gestalt, die immer näher herankam. Als der Fürst abernach dem Rand des Nachens griff, hob der Alte sein Ruder und ließ esmit aller Wucht auf das Haupt des Donaufürsten niedersausen, daß vier

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D e r D o n a u f ü r s t i m S t r u d e n g a u

große glänzende Steine aus dessen Krone in weitem Bogen in die Do-nau und an das Ufer flogen. Auf dem Ruder war ein Rosenkranz an-gebracht, und das verlieh dem Fischer Schutz, sonst wäre er nach demSchlag wohl unrettbar verloren gewesen.

Seit diesem Ereignis sind viele Jahrhunderte vergangen. Aber immernoch sucht der Herr des Stromes am Ufer und am Grund des Gewäs-sers nach den Steinen, die ihm der Fischer damals aus der Krone ge-schlagen. Erst wenn er sie gefunden hat, darf er als Fürst wieder indie Wellen zurückkehren.

Weil der Donaufürst vier Steine verloren hat, darf jeder Mensch,der ertrinkt, vier Tage in seinem Palast weilen. Nixen bedienen ihn,die Fischerstochter aber windet einen Blumenstrauß und sendet ihnan die Oberfläche des Wassers hinauf, damit die Leute dort oben wissen,daß wieder einer von den Ihrigen im Strom den Tod gefunden hat.

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Die Entstehung des Irrsees

Wo heute das dunkle Gewässer des Zeller- oder Irrsees sich vorden Augen des Wanderers ausbreitet, erstreckte sich einst ein

fruchtbares Gebiet, in dessen Mitte sich das prunkvolle Schloß einesboshaften Zauberers erhob. Die armen Talbewohner, die in den Hüttenringsherum wohnten, mußten sich manchen üblen Streich von demSchloßherrn gefallen lassen, besonders aber hatte er es auf die IschlerSalz- und Bergarbeiter abgesehen. Die Arbeit der fleißigen Leute warihm lästig, und er wollte diesen Maulwürfen, wie er sie nannte, seineMacht zu spüren geben.

Eines Tages ließ er ihnen durch einen Boten einen verschlossenenTopf überbringen, in dem sich Sole befinden sollte, die er prüfen lassenwollte. Die Ischler aber waren mißtrauisch genug, ihm den sonder-baren Topf uneröffnet wieder zurückzuschicken; denn sie sagten sich,von dem übelberüchtigten Zauberer könne nichts Gutes kommen.

Der Bote wanderte mit dem schweren Topf, dessen Gewicht ihmin der sommerlichen Hitze den Schweiß aus den Poren trieb, zu seinemAuftraggeber zurück. Unweit des Zauberschlosses setzte er sich ermüdetin den Schatten eines Gebüsches, um ein wenig zu verschnaufen. Dabeibetrachtete er den Topf und dachte neugierig, ob sich wohl wirklichSole drin befinden möge. Schließlich konnte er seine verderbliche Neu-gier nicht mehr bezähmen und öffnete den Topf. Da wallte es auf, un-geheure Wassermassen stürzten aus dem Gefäß, und jeder Versuch desarmen Mannes, den Topf wieder mit dem Deckel zu schließen, warvergeblich. Das Wasser strömte und strömte, überflutete bald die ganzeGegend, unterwusch den Hügel, auf dem das Schloß des tückischenZauberers stand, und zog es samt dem Schloßherrn zu sich in die Tiefe.So hatte sich über den boshaften Hexenmeister selbst das Unheil ergos-sen, das den Ischlern zugedacht war.

An der Stelle, wo einst das Schloß stand, breiten sich heute die Flu-ten des Irrsees aus. Ab und zu, an klaren Tagen, sieht man auf demtiefsten Grund des Sees die Zinnen des Schlosses aufglänzen; zu Zeitenaber, in denen der Sturm über den See heult, will mancher Schiffereinem unheimlichen graubärtigen Mann begegnet sein, der mit seinemKahn ziellos über den See fährt.

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Das Lebenskräutlein von Kreuternbei Ischl

Vor langen Zeiten lebte in der damals noch recht einsamenGegend von Kreutern eine arme Köhlerswitwe, die eine Tochter

hatte. Mutter und Tochter liebten einander innig, und das junge Mäd-chen tat alles, um der Mutter das Leben zu erleichtern. Da wurde diealte Frau schwer krank. Wochenlang wälzte sie sich, von Schmerzen ge-peinigt, auf ihrem armseligen Lager, und die liebevollste Pflege derTochter konnte ihr kaum Linderung verschaffen. Verzweifelt mußte dasMädchen erkennen, daß es mit der Mutter zu Ende gehe. Ja, wenn esihm gelänge, das Lebenskräutlein zu finden, das in der Johannisnachtblüht, wäre noch Hoffnung vorhanden! Und als die Johannisnacht ge-kommen war, ging die Jungfrau in den Wald hinaus, um für ihre Mutterdas Lebenskräutlein zu suchen. Lange streifte sie vergebens im Waldumher, bis sie, ermüdet vom weiten Weg, ins duftende Gras sank undsogleich einschlief.

Da träumte ihr, der Zimnitzgeist stehe vor ihr und blicke sie ernstan. Als sie aufwachte, sah sie wirklich den Geist mit langem silberwei-ßem Bart vor sich stehen. Freundlich nickte er ihr zu und winkte, ihmzu folgen. Gehorsam erhob sie sich und ging mit dem Greis, der sie ineine weite, dunkle Höhle führte, in der viele Blumenstöcke standen.

„Sieh her da", sagte der Geist und zeigte auf einen Blumenstock,„das ist deine Lebenspflanze, sie hat achtzehn frische Blätter, von derjedes ein Lebensjahr bedeutet. Du hast also noch achtzehn Jahre zuleben. Der Blumenstock daneben gehört deiner Mutter, er hat nur einBlatt."

Da bat das Mädchen den Berggeist, die Blumenstöcke zu vertauschen;obwohl dieser sagte, da müsse es dann selber sterben, während dieMutter noch achtzehn Jahre zu leben hätte, gab es sein inständigesFlehen nicht auf, bis der Berggeist Gewährung nickte.

Das Mädchen sah noch, wie der Greis die beiden Pflanzen vertauschte,dann sank es in Betäubung. Als es wieder zu sich kam, lag es vor einerFelswand im Gras, eine Höhle war weit und breit nicht zu erblicken, inseinem Schoß aber hatte es das Lebenskräutlein.

Freudig eilte das Mädchen nach Hause und bereitete der Mutter einTränklein, das bald heilende Wirkung zeigte. Die Mutter erholte sichrasch und wurde in kurzer Zeit völlig gesund, während die Tochter vondiesem Tag an immer schwächer und kränklicher wurde. Als es dannso weit war, daß man ihr baldiges Ende erwartete, erschien ihr imTraum der Zimnitzgeist, blickte sie freundlich lächelnd an und reichteihr einen schönen, rotbäckigen Apfel, indem er sagte: „Dein Opfer soll

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dem hungrigen Riesen konnte die Schüssel nicht oft genug mit Suppegefüllt werden, dazu aß er zwei mächtige Brotlaibe auf. Nachher nahmihn der Bauer zum Holzfällen in den Wald mit. Er bezeichnete dieBäume, die gefällt werden sollten, und wollte sodann darangehen, siemit Hilfe seines Begleiters umzuschneiden. Aber dem eifrigen Knechtmochte dieses Verfahren als zu zeitraubend erschienen sein; er machtees viel einfacher, riß die Bäume mit der Wurzel aus und warf sie aufeinen Haufen zusammen. Da wandelte den Bauern das Grauen an.

Beim Mittagessen hatte die Bäuerin schon mit dem tüchtigen Hungerder Holzfäller und auch mit dem Appetit des riesigen Knechtes gerech-net und in doppelter Menge angerichtet. Aber Hans war mit Fleisch undKnödeln so rasch fertig, daß die Bäuerin nochmals auftragen mußteund bald entsetzt in die leeren Töpfe starrte. Nun begann der Bauersich vor seinem Knecht zu fürchten und hätte ihn am liebsten aus dem

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Der Riesenhans im Mühlviertel

dir vergolten werden. Iß von dem Apfel, und du wirst wieder gesund!"Das Mädchen aß den Apfel und wurde gesund. So belohnte der Geistdie opferbereite Liebe der Tochter.

Der Riesenhans im Mühlviertel

Aus einer Riesenfamilie stammte der Riesenhans, der im oberenMühlviertel lebte. Mit siebzehn Jahren verdingte er sich bei einem

Bauern als Pferdeknecht, und der Bauer glaubte, mit dem ungeschlachten,riesigen Burschen einen guten Fang getan zu haben. Aber schon beimersten Frühstück verging ihm die Freude an dem neuen Knecht; denn

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D i e d r e i s t e i n e r n e n B r ü d e r a m D o n a u u f e r b e i U n t e r m ü h l

Hause gejagt. Allein er getraute sich nicht, dem starken Burschen zusagen, er möge sein Bündel schnüren und sich einen andern Dienstpostensuchen; daher wollte er ihn ums Leben bringen. Am Nachmittag be-fahl er dem Knecht, am Hang eine tiefe Grube auszuheben. Hansfragte nicht warum und wozu, sondern machte sich gleich mit Fleißund Eifer ans Werk. Als er schon drei Meter tief gekommen war,wälzte der Bauer große Steinblöcke herbei und ließ sie in die Gruberollen, um den unerwünschten Knecht zu erschlagen. Hans aber rief,der Bauer solle mehr achtgeben und nicht so viel Sand in die Gruberieseln lassen, denn das hindere ihn zu sehr. Der Bauer, der den Riesenschon für erledigt hielt, erschrak und meinte kläglich, es werde nichtwieder vorkommen. Er sah keine Möglichkeit mehr, den Riesen zubeseitigen, und gab jeden Versuch auf, sich seines Knechtes auf mör-derische Weise zu entledigen.

Ob es dem Bauern schließlich doch gelungen ist, ihn loszuwerden,weiß niemand mehr zu sagen.

Die drei steinernen Brüderam Donauufer bei Untermühl

Ein grimmig kalter Winter hatte Schnee und Eis über die Landegebracht. Frostig pfiff der Wind durch das kahle Geäst der Bäume

und jagte den feinen Schneestaub in alle Ritzen und Fugen der Häuser,die in nächtlicher Ruhe am Strom lagen. Mächtige Eisschollen triebendie Donau herab und rieben sich knirschend aneinander.

Ein einziges Lichtlein schimmerte unten am Strom unfern von Unter-mühl. Es kam aus der einsamen Hütte, die der greise Fährmann mitseinem Weib bewohnte. Der alte Schiffer saß am Bett seiner schwer-kranken Frau, deren letztes Stündlein gekommen schien, und betrachtetemit düsterer Miene die verfallenen Züge seiner alten Lebensgefährtin.Nur ab und zu schrak er jäh zusammen, wenn ein dumpfes Rollenverkündete, daß ein vorbeischwimmender Eisblock seinen Kahn gestreifthatte, der nahe der Hütte am Uferrand in den Wellen schaukelte.

Mitternacht war nicht mehr fern. Da klopfte es plötzlich ansFenster, und eine rauhe Stimme rief: „He, Alter, komm heraus undführe uns über den Strom; wir haben es eilig!"

Unwillig erwiderte der Fährmann, dem die nächtlichen Wanderernicht geheuer vorkamen: „Laßt mich in Ruh'! Nicht um viel Geldfahre ich in dieser stockfinstern Nacht über das Wasser. Eisschollentreiben in dichten Massen auf dem Strom; es wäre unmöglich, in der

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Dunkelheit durchzukommen, und in der Hütte liegt mein Weib imSterben."

Fluchend drangen die Männer in den Schiffer, sie überzusetzen,aber der Alte blieb unerbittlich. Da sagten sie zueinander: „Dort untenliegt der Kahn; der Alte will uns nur schrecken. Wir sind drei Brüderund haben starke Arme. Wenn wir kräftig rudern, werden wir dieSache auch ohne den Fährmann schaffen und rasch das andere Ufererreichen. Sind wir einmal drüben, so pfeifen wir dem unwirschenDickkopf zum Spott ein lustiges Liedlein, damit er weiß, daß wir unsnicht schrecken ließen und auch ohne ihn übers Wasser gekommensind."

Sie eilten zum Ufer, sprangen in den Kahn und stießen mit kräftigemSchwung vom Land ab. Als sie die Mitte des Stromes erreicht hatten,begannen sie lustig zu pfeifen und riefen dem Fährmann zum Spottein höhnisches „Holaus" über das dumpf brausende Wasser zurück.

Der Ruf verfing sich am eben verlassenen Ufer und drang als unheim-liches „Holaus" den drei Brüdern schrecklich in die Ohren. Furcht über-kam sie, mit kräftigen Ruderschlägen suchten sie rasch den gegenüber-

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S t . P e t r u s u n d d i e M ü h l v i e r t l e r K r a p f e n

liegenden Strand zu gewinnen. Schon tauchte im nächtlichen Dunkelder Uferrand auf, eben wollten sie erleichtert an Land stoßen, dateilten sich vor ihnen die Fluten des Stromes und turmhoch stiegeine mächtige Gestalt vor ihnen empor. Es war der Donaufürst, vondessen ehrwürdigem Haupt graublau schillernde Locken bis in denStrom wallten. Ein purpurner Mantel umspannte die breite Brust derriesigen Erscheinung, die sich drohend immer höher emporreckte.Finster schaute der Beherrscher des Stromes die nächtlichen Ruhestöreran und erhob mit zorniger Gebärde seine grünschimmernden Hände.Zitternd blickten die drei auf die furchteinflößende Gestalt. Da berührteer sie mit seinen Händen, und augenblicklich waren sie zu leblosemStein erstarrt.

Der einsame Schiffer in seiner Hütte vernahm schaudernd, wie dieganze Nacht hindurch das unheimliche „Holaus" über das Wasser er-scholl. Als er am nächsten Morgen den Strom überquerte, fand er amandern Ufer die drei versteinerten Brüder, die heute noch bei Untermühlan der Donau zu sehen sind.

St. Petrus und die Mühlviertler Krapfen

Als unser Herr noch auf Erden wandelte, ging er einmal zur Sonnen-wende mit St. Petrus durch das Mühlviertel. Lange waren sie

schon unterwegs gewesen, und die Mittagszeit nahte. Da konnteSt. Petrus das Hungergefühl, das ihn schon lange quälte, nicht mehrbezwingen und sagte zum Herrn: „Meister, mich hungert; ich bitteEuch, wollen wir nicht etwas zum Essen ausfindig machen?"

Sie kamen gerade an einem Bauernhaus vorüber, das in einer Wieselag, und der Herr sprach, auf das Haus hinweisend: „Geh dort hinein,hier wohnen gute Leute; man wird dich mit Krapfen beschenken."Petrus ging in das Haus und erhielt von der Bäuerin drei fettglänzendeKrapfen. Da dachte er: „Einer ist für den Herrn, einer für mich, dendritten aber will ich heimlich behalten und verzehren; denn für meinenHunger reicht ein Krapfen nicht aus."

Sie gingen weiter und aßen die Krapfen. Petrus schritt hinter demHerrn einher. Als sie durch einen Wald wanderten, zog der Apostel dendritten Krapfen aus seiner Tasche und wollte ihn hinter dem Rückendes Herrn verzehren. Aber sooft er einen Bissen in den Mund gesteckthatte, stellte Christus irgendeine Frage an ihn, und Petrus warf denBrocken rasch weg, um sich beim Sprechen nicht zu verraten. So ging esden ganzen Waldweg entlang, und der arme Apostel hatte nicht einenBissen von dem dritten Krapfen gegessen.

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D a s „H o c h z e i t s k r e u z" am W o l f g a n g s e e

Als es dann Abend geworden war und sie auf dem Rückweg durchden gleichen Wald kamen, fiel es Petrus auf, daß aus dem Moos amWegrand kleine gelbe Schwämme hervorlugten, die auf dem Hinwegnoch nicht dagestanden waren. Verwundert fragte er den Herrn, woherdas komme.

„Sie sind dort hervorgewachsen", entgegnete ihm milde der Herr,„wo du die angebissenen Krapfenstücke hingeworfen hast."

Beschämt erkannte Petrus, daß ihn der Herr durchschaut hatte.Seit dieser Zeit wachsen um die Sonnenwende zierliche gelbe Schwämmeaus dem Moosboden hervor. Sie haben zur Erinnerung an St. Peterskleinen, dem Herrn nicht verborgen gebliebenen Betrug ihre krapfen-gelbe Farbe behalten. Die Leute nennen sie heute Bierschwämme.

Das „Hochzeitskreuz" am Wolfgangsee

Ein klarer Wintertag stand über der spiegelglatt gefrorenen Flächedes Wolfgangsees. Frau Marthe, von den Ortsbewohnern die böse

Marthe genannt, weil ihre Zanksucht und Bosheit allgemein bekanntund gefürchtet waren, und die man sogar des Bundes mit dem Satan be-schuldigte, traf die letzten Anstalten für die Hochzeit ihrer TochterKäthe, um die der stattliche Junker Stollhammer aus St. Gilgen gewor-ben hatte. Die Trauung sollte schon in acht Tagen stattfinden. Wohl wares ein gewagtes Unternehmen, Schwiegersohn der bösen Marthe zuwerden, aber die Anmut und Schönheit des lieblichen Käthchens wogenalle Bedenken auf. Der verliebte Junker hätte noch mehr getan, alseine böse Schwiegermutter mit in den Kauf zu nehmen.

Mit eifrigen Vorbereitungen vergingen die letzten Tage vor dem Fest,Verwandte und Freunde aus nah und fern wurden feierlich eingeladen,und alles war für die Hochzeit bereit. Da brach in der Nacht vor demHochzeitstag in der Scheune Frau Marthes ein Brand aus, der, genährtvom herrschenden Wind, rasch um sich griff, so daß Haus und Hof samtallen Zurüstungen zum Fest ein Raub der Flammen wurden. Binnenweniger Stunden war das stolze Anwesen ein rauchender Trümmer-haufen, den die vergebens zur Hilfeleistung herbeigeeilten Dörfler zi-schelnd und flüsternd umstanden.

„Ja" , meinte einer, der sich besonderen Ansehens zu erfreuen schien,„ich hab' mir's immer gedacht, unrecht Gut gedeiht nicht, und mitrechten Dingen ist es bei dem Reichtum der bösen Marthe gewiß nichtzugegangen; kein Wunder, daß es ein so erbärmliches Ende damit ge-nommen hat."

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D a s „H o c h z e i t s k r e u z" am W o l f g a n g s e e

„Sicher ist das ein Werk des Teufels", warf ein anderer ein, „dernun Abrechnung mit ihr halten will."

„Ach was", fügte ein dritter hinzu, dem die Genugtuung über dasUnglück, das die verhaßte Frau Marthe getroffen hatte, auf dem Gesichtgeschrieben stand, „die Alte war ein Teufelsbraten und hat diese Strafelängst verdient."

So ging es von Mund zu Mund; keiner fand sich, der ein Wort desMitleids für die schwer getroffene Frau gehabt hätte.

Da erschien plötzlich Marthe mit angebrannten Kleidern und ver-rußtem Gesicht mitten zwischen den rauchenden Trümmern. Ängstlichzog sich die Menge, den bösen Blick der gefürchteten Frau scheuend,weiter zurück. Diese aber erhob gellend ihre Stimme und stieß diegräßlichsten Verwünschungen gegen den Himmel und sein Walten aus,verfluchte alles, was dem Menschen teuer und heilig ist, und geriet inimmer größeres Rasen. Vergebens beschworen sie einige der zum Festgeladenen Verwandten, sich zu mäßigen und so gräßliche Worte zuunterlassen. Das wütende Weib war nicht zur Besinnung zu bringenund schloß mit dem vermessenen Ausruf: „Und das Hochzeitsfestmeiner Tochter soll doch stattfinden! Wenn ich schon keine Kammermehr habe, die Feier zu begehen, so will ich doch sehen, ob mir dasWasser ebenso feindlich gesinnt ist wie das Feuer. Dort auf der Eisdeckedes Wolfgangsees wollen wir die Hochzeit halten."

Alle Einwendungen der Hochzeitsgäste blieben fruchtlos. Sofort ließdie unbelehrbare Brautmutter die Vorbereitungen zum Tanz auf demEis treffen. Als der Junker Stollhammer mit seiner Begleitung eintraf,um die Braut abzuholen, war er nicht wenig bestürzt über die Zumu-tung, das Hochzeitsfest unter freiem Himmel auf dem Eis des abgrund-tiefen Sees zu begehen. Er bat und beschwor seine Schwiegermutter, dieFeier wegen des Brandes zu verschieben, aber die halsstarrige Frauwollte nicht hören; sie beharrte auf ihrem Vorsatz, das Fest auf demEis abzuhalten.

Der Tanz begann. Bald herrschte ausgelassene Lustigkeit auf demungewohnten Tanzplatz; unter fröhlichem Jauchzen wirbelten die Paareüber das Eis; eine der übermütigsten Tänzerinnen war Frau Marthe.Beim Felsenriff am Seeufer hatte die Musikkapelle Aufstellung genom-men und ließ unaufhörlich muntere Weisen ertönen. Nur Junker Stoll-hammer hielt sich mit seiner schönen Braut, die wie Espenlaub zitterte,unmutig abseits. Bange Ahnungen erfüllten die Herzen des Paares.

„Als vorhin die Mutter jene entsetzlichen Verwünschungen ausstieß",flüsterte Käthchen mit Tränen in den Augen, „da schien es mir, alshebe sich eine schwarze Gestalt aus dem See und schüttle drohend dieFaust gegen meine Mutter."

Noch hatte das Mädchen nicht zu Ende gesprochen, da begann es im

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See plötzlich zu brodeln und zu kochen, mit donnerähnlichem Knallbarst die Eisdecke, und die böse Marthe samt allen Hochzeitsgästenversank spurlos im See. Im letzten Augenblick war es dem Junkernoch gelungen, mit raschem Sprung, seine Braut mit sich reißend, dasUfer zu erreichen, wo beide totenblaß den Untergang der andern mit-ansahen.

Aus der Tiefe des Sees aber drang eine dumpfe Stimme an das Ohrder entsetzt Lauschenden: „Marthe, das Maß deiner Frevel ist voll!"

Käthchen sank ohnmächtig zu Boden und verfiel in eine schwereKrankheit, von der sie sich nur langsam erholte. Erst als sie wiedervöllig gesundet, die Brandruine geschleift und jede Spur von MarthensWohnhaus getilgt war, hielt Junker Stollhammer mit seiner Brautfeierlich und gottergeben Hochzeit in der Kirche des heiligen Ägydiuszu St. Gilgen.

Zum Gedächtnis an jenes schreckliche Ereignis, das so vielen Men-schen das Leben kostete, sowie zur dankbaren Erinnerung an seine undseiner Braut Rettung ließ Hans Stollhammer am Seeufer ein Kreuz er-richten, das man das „Hochzeitskreuz" nannte.

St. Wolfgang

Lange schon von dem Wunsch beseelt, durch Gebet und weitabge-wandte Betrachtungen in der Einsamkeit dem Herrn zu dienen, ver-

ließ Wolfgang, der fromme Bischof von Regensburg, das lärmende Trei-ben seines bischöflichen Hofes und kam auf der Suche nach einemabgeschiedenen Ort bis in die Gegend des Abersees, der später nach ihmauch den Namen Wolfgangsee erhielt.

Am Nordufer des Sees in einer Höhle des Falkensteins schlug Wolf-gang seine Behausung auf und lebte hier fünf Jahre als Einsiedler. Wenner am frühen Morgen seine Stimme ertönen ließ, um das Lob Gottes zusingen, schwieg alles Getier im Wald, und nichts regte sich um ihn her.Bevor er dann am Abend sein Haupt auf das Mooslager bettete, prieser neuerlich den Herrn mit dankbaren Worten, und wieder schienendie Bäume des Waldes und die Vöglein in ihren Nestern stumm seinerStimme zu lauschen.

Täglich las der Heilige zur Ehre Gottes die Messe, und als er einmaldie Messezeit verschlief, stieß er aus Gram und Reue über diese Verfeh-lung seinen Kopf gegen die Felswand. Aber der Stein gab nach undzeigte Eindrücke wie weicher Lehm.

Die Kunde von dem heiligmäßigen Leben des frommen Einsiedlersverbreitete sich bald in der Gegend, und von allen Seiten strömten

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Sieche und Leidende herbei und baten ihn um Hilfe und Fürsprachebei Gott; manche fanden Heilung, viele Linderung ihrer Schmerzen.

Der böse Feind aber sah mit Unbehagen das fromme Leben desheiligen Mannes und stellte ihm mit allerlei Anfechtungen nach, ja, erversuchte sogar, ihn zu töten. Als St. Wolfgang einmal auf dem Wegins Tal war, riß der Teufel einen überhängenden Felsen auseinander,aber der Heilige stemmte Rücken und Hände gegen den stürzendenFelsblock, der wie Wachs nachgab und zur Seite fiel. Die Spuren vonHaupt und Händen sind noch am Felsen zu erkennen. Nun beschloßder Heilige, an einen anderen Ort zu ziehen, dem Herrn eine Kirchezu erbauen und ihm noch frommer und gewissenhafter zu dienen,um allen Nachstellungen des Teufels zu entgehen. Er nahm die Axt,die in dem Gürtel seines härenen Gewandes stak, und warf sie weit überden Felsen ins Tal hinunter. Dort, wo sie hinfalle, gedachte er ein Got-teshaus zu erbauen. Er mußte lange suchen, bis er die Axt weit ent-fernt von seiner Behausung auf dem Felsen einer Landzunge des Seesim dichten Wald wieder auffand.

Sogleich ging er daran, Bäume zum Bau zu fällen. Mühsam undmit schmerzenden Gliedern tat er Tag für Tag seine Arbeit und strengtesich an, das Werk vorwärts zu bringen. Aber bald erlahmten seineschwachen Kräfte, und verzagend erkannte er, daß er allein nicht im-stande sein werde, den Kirchenbau zu vollbringen. Da stellte sich aber-mals der Teufel bei ihm ein und bot ihm seine Dienste an. Er werde denBau mit aller erdenklichen Schönheit und Pracht in kürzester Zeit zuEnde führen, wenn ihm St. Wolfgang dafür die Seele des ersten Pilgersverspreche, der die Kirche betreten werde.

Der Bischof nahm den Vorschlag an, und der Teufel machte sichsogleich an die Arbeit und begann mit teuflischer Kunst, flink wie einWiesel, den Bau weiterzuführen, während der Heilige zum Herrn flehteer möge keine menschliche Seele dem Bösen verfallen lassen und demTeufel gebührenden Lohn erteilen. Als die Sonne über den Bergenemporstieg, hatte der Satan sein Werk vollendet, und auf dem Felsenam See stand die Kirche, wie St. Wolfgang gewünscht hatte. Der Teufelaber trat zu dem Bischof und begehrte den Lohn.

„Gedulde dich noch eine Weile!" versetzte der heilige Wolfgang.„Der erste Beter, der sich an der Schwelle des Gotteshauses einfindenwird, soll dein sein."

Damit war der Teufel zufrieden. Als der Abend herankam, nahteein mächtiger Wolf, reckte sich an der Kirchentür in die Höhe undlugte ins Innere hinein.

„Satan, sieh her, hier ist dein Lohn!" sprach St. Wolfgang zumTeufel, der schon gewartet hatte, sein Opfer in Empfang zu nehmen.

Als der Böse nun sah, wer da als erster Pilger an der Kirchentür

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stand, ergrimmte er gewaltig und schrie den Heiligen an: „O Wolfgang,du hast mich betrogen. Diese Pilgerschaft kann ich nicht gelten lassen."

Der Heilige aber erwiderte: „Nimm nur dein Opfer! Der erste Pilgerwar ausbedungen, und diesen hat dir Gott der Herr zum Lohn ge-sandt."

Da fletschte der Teufel grimmig die Zähne, packte den Wolf im Ge-nick und zerriß ihn in Stücke. Dann fuhr er mit schrecklichem Geheulzur Hölle, und der heilige Wolfgang hatte für immer Ruhe von ihm.

Nach diesem wundersamen Ereignis lebte der Heilige noch zehnJahre in einer Zelle neben der Kirche, wirkte viele Wunder und tatGutes, wo er nur konnte.

Eines Tages aber erschien ein Pilger in dem Kirchlein, der vomRegensburger Hof des Bischofs kam. Dieser erkannte in Wolfgangseinen einstigen Herrn und verkündete daheim, wo er den Bischof ge-funden habe. Freudig machten sich die Regensburger Bürger auf denWeg, um ihren geliebten Herrn wieder in die Stadt zu holen. Nur mitMühe gelang es ihnen, den Heiligen zu bewegen, seinen ihm lieb ge-wordenen Aufenthalt zu verlassen und wieder nach Regensburg zurück-zukommen. Und auch das Kirchlein trennte sich schwer von seinemlieben Herrn. Es eilte ihm, wie die Sage berichtet, nach, bis ihm St. Wolf-gang gebot, sich wieder an seinen Platz zu begeben.

Das Raubgut auf Schloß Haichenbach

Eine halbverfallene Ruine, die selten eines Menschen Fuß betritt, istalles, was von der stolzen Raubritterburg Haichenbach an der

Donau übriggeblieben ist. Einst war sie der Schrecken der Umgebung,und mancher Kaufherr, der die Straße entlangzog, manches Handels-schiff, das die Donau hinauf- oder hinunterfuhr, hat ihr seinen Tributentrichten müssen. Eine lange Kette sperrte den Strom und zwang dieSchiffe anzuhalten, worauf der räuberische Burgherr mit seinen reisigenScharen aus dem Hinterhalt hervorbrach und die Schiffe ausplünderte.Die geraubten Waren wurden auf die Burg gebracht und verhalfen demHaichenbacher zu Reichtum und sorglosem Leben.

Vergeblich versuchte man, dem wilden Ritter das Handwerk zulegen; seine Burg auf der Donauhöhe war uneinnehmbar. Hatte manaber erfahren, daß der Ritter auf Raub ausgeritten war, und wollte ihmden Rückzug verlegen, so erkannte man aus den Hufspuren, daß erschon heimgeritten sein mußte. Wenn dann die Achtsamkeit nachließ,

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geschah es nicht selten, daß der Ritter unvermutet mit seinen Knechtenauftauchte und seine Verfolger niedermachte. Er hatte den Pferdendie Hufeisen verkehrt aufnageln lassen und durch diese List seine Feindegetäuscht.

Der Bischof von Passau, dem das Land ringsumher Untertan warund der unter den Gewalttaten des Raubritters nicht minder zu leidenhatte als bürgerliche Kaufleute, suchte dem Ritter ins Gewissen zu redenund drohte ihm mit irdischen und himmlischen Strafen. Aber der Ritterlachte höhnisch über alle Bekehrungsversuche und setzte sein räuberi-sches Handwerk unentwegt fort, bis er eines Tages bei einem tollkühnenRitt zu Sturz kam und sich das Genick brach. Während er in der Halleseines Schlosses aufgebahrt lag, brach Feuer in der Burg aus und ver-nichtete den stolzen Bau, so daß nur mehr die nackten Mauern zumHimmel ragten. Die Leute aber meinten, der Teufel habe zuerst dieSeele, dann aber auch den Leichnam des Burgherrn geradewegs in dieHölle geholt.

Kurze Zeit darauf träumte der Bischof von Passau, er stehe amRand eines feurigen Abgrundes und höre eine Stimme aus der Tiefe,die rief: „Herr Bischof, erbarmt Euch meiner! Ihr allein könnt mirin meiner Qual helfen. In meinem Schloß liegt noch das geraubteGut, um dessentwillen ich hier in glühendem Gold rösten muß. Ichbitte Euch, schickt einen Brief mit geweihtem Siegel nach Haichen-bach und laßt das Raubgut von dort holen!" Der Bischof hielt denTraum für die Mahnung einer höheren Macht und sandte nach einigenTagen eine Plätte die Donau hinunter, auf der der Bote mit Brief undSiegel stromabwärts fuhr.

Um Mitternacht legte die Plätte vor der Ruine Haichenbach an undwartete auf die kostbare Fracht, während der Bote zur Ruine hinan-

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stieg. Kein Laut durchbrach die Stille der düsteren Nacht. Da bebteplötzlich die Erde, ein donnerähnliches Krachen erscholl, und diebrandgeschwärzten Mauern der Burgruine schienen aufs neue in Glutund Flammen zu stehen. Aus dem Turm fuhren zwei glühendrote, ge-waltige Truhen, auf denen zwei baumlange Teufel saßen. Schnell wieder Blitz fuhren die zwei Behälter mit ihren riesigen Wächtern den Berg-hang hinab und blieben knapp vor der Plätte stehen. Den Schiffernstanden vor Grauen und Schrecken die Haare zu Berge. Die beidenTeufel aber faßten die Truhen, verluden sie eifrig auf der Plätte undsetzten sich dann wieder darauf.

Unterdessen war auch der Bote wieder herangekommen und hattedas Fahrzeug bestiegen. Da stießen die Schiffsleute vom Land ab undriefen: „In Gottes Namen, fahren wir!" Als die beiden Teufel denNamen Gottes hörten, sprangen sie entsetzt auf und stürzten sich kopf-über in die Fluten der Donau, die zischend und brausend, wie wennein Feuerbrand das Wasser berührt, über ihnen zusammenschlugen. DiePlätte aber trug ihre seltsame Fracht zum Bischof nach Passau.

Das Pferd des Teufels im Hausruckviertel

Es mag wohl schon recht lange her sein, da schritt eines Abends einMaurergeselle auf dem Heimweg von der Arbeit mit zwei Kame-

raden durch den düsteren kleinen Wald, der die Straße zwischen Wend-ling und Winkling am Hausruck einsäumt. Der Maurer hatte früherbei der kaiserlichen Reiterei gedient und erzählte seinen Begleitern man-

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Die Steinbachlklausstube bei Ebensee

Zu Beginn jeder Woche zog der Meisterknecht Jöring Simmerl ausEbensee schon vor dem Morgengrauen zur Holzarbeit aus. Er hatte

eine Schar von Holzknechten zu beaufsichtigen, die in der Steinbachl-klausstube die ganze Woche hindurch ihrer Arbeit nachgingen, dortnächtigten und am Ende der Woche wieder ihr bescheidenes Heim auf-suchten, um den Sonntag bei ihren Familien zu verbringen.

Als die Arbeiter eines Morgens zur Neumondzeit ihr Nachtlagerverließen, um ihre Suppe zu löffeln und sich dann an die tägliche Arbeit

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ches kühne Reiterstücklein, das er einst geliefert habe. Dabei sparte ernicht mit Prahlereien und Gotteslästerungen und vermaß sich wäh-rend seiner Reden, jedes Pferd zu zähmen und es mit jedem Reiteraufzunehmen.

„Und wenn das Pferd vom Teufel selbst wäre", rief er und warfsich dabei in die Brust, „ich würde es meistern, daß ihr eine Freudedaran hättet." Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als sie plötzlicham Waldrand einen prächtig gesattelten Schimmel erblickten, der dortruhig graste.

„Da kannst du gleich deine Kunst vorführen", meinte vergnügt einerseiner Gefährten, „steig auf und zeige, was du kannst!" Auch derandere munterte ihn auf, jetzt die Probe aufs Exempel zu machen. DerMaurer ließ sich das nicht lange sagen und sprang in den Sattel, umwieder einmal einen ordentlichen Ritt zu tun. Das Pferd aber warf denKopf auf und raste mit ihm gegen Osten davon. Im Nu entschwandes mit seinem Reiter den beiden Männern aus den Augen, die vollAngst vergebens auf seine Rückkehr warteten.

Erst nach drei Tagen kam der großsprecherische Maurer hinkendund zerschunden wieder nach Hause. Das Pferd war mit ihm die ganzeNacht in wildem Lauf kreuz und quer durch Feld und Wald gerannt,kein Zaum, kein Schenkeldruck hatten es zähmen können. Als dann amfrühen Morgen die Aveglocken vom Linzer Kalvarienberg erklangen,hatte der Mann unwillkürlich ein Kreuz geschlagen. Da schleuderte ihndas wilde Pferd von seinem Rücken an eine Felswand, an der sie ge-rade vorüberrasten, daß der Reiter glaubte, alle Knochen im Leibseien ihm zerbrochen. Mühselig schleppte er sich nach seinem Heimat-ort. Das Lästern und Prahlen aber gab er auf.

Der Wald erhielt nach diesem Ereignis den Namen „Toifling", dadas Pferd, wie man meinte, sicher der Satan selbst, der „Toifl" gewe-sen war.

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zu machen, fehlte der Simmerl. Schuhe, Kleider und Werkzeug lagenbei seinem Bett, von dem Mann aber war keine Spur zu entdecken.Man suchte die ganze Umgebung der Hütte sowie den Holzschlag ab;es war alles umsonst, der Holzknecht blieb verschwunden. Bedrücktgingen die Leute an ihr Tagwerk und meldeten am Ende der Wocheden Vorfall in Ebensee.

Die nächsten Wochen vergingen; die Arbeit nahm ihren Fortgang,ohne daß sich eine Aufklärung des sonderbaren Vorfalls ergeben hätte.Da fehlte beim nächsten Neumond nach einer stürmischen Nacht aber-mals ein Mann, anscheinend der stärkste. Kleider und Werkzeug aberwaren unberührt. Mehrere Holzknechte sagten, es sei ihnen bei Nachtso vorgekommen, als hätten sie ein Tappen und Schleifen gehört, abersie hätten das Geräusch nicht beachtet, auch sei ihre Müdigkeit nachder schweren Tagesarbeit so groß gewesen, daß sie gleich wieder ein-geschlafen seien. Wieder ergab alles Suchen und Forschen keine Spurvon dem Vermißten.

Nun beschloß man, Wachposten aufzustellen; jede Nacht sollten zweiMann Nachtwache halten. Als zwei Wochen verstrichen, ohne daß sichetwas ereignet hätte, wollten sie die Wache wieder auflassen. Aber dasagte ein alter Holzknecht: „Nächste Woche wird der Mond krank, werweiß, was es da wieder gibt; wir wollen lieber weiterwachen!" DerRat drang durch, und sie behielten die Wache bei.

In einer Regennacht zur Neumondzeit spürten die beiden Wächter,die am warmen Herd vor sich hindösten, einen kalten Lufthauch, derüber sie hinstrich. Als sie aufgeschreckt umherblickten, sahen sie imDämmerschein des verglosenden Herdfeuers, wie sich eine große, un-deutlich erkennbare Gestalt lautlos bei der halbgeöffneten Tür herein-schob und gegen die Ofenbank heranschlich. Da packten die beidenHolzknechte ihre Äxte und schlugen mit aller Kraft auf die unheimlicheErscheinung los. Ein Aufschrei bekundete, daß das Ungetüm getroffensei. Bevor sich die Männer aber noch darauf stürzen konnten, um eszu packen und festzuhalten, war es durch die offene Tür ins Dunkelentwichen.

Als es am Morgen heller wurde, gingen die Holzknechte, mit ihrenÄxten bewaffnet, vor die Hütte, um Nachschau zu halten. Sie fandenbald Blutspuren, die zu einer versteckten Höhle führten, wo sie einmenschenähnliches, über und über behaartes Ungetüm mit zwei klaf-fenden Wunden im Rücken tot in seinem Blut fanden. In der Höhlelagen Menschenkleider und Totenschädel umher; auch einige Kleider-reste ihrer beiden unglücklichen Kameraden gewahrten sie im Hinter-grund der Höhle vor einem in die Tiefe führenden Schlund. Dortwarfen sie den Leichnam des Ungeheuers hinunter und kehrten anihre Arbeitsstätte zurück. Von dieser Zeit an hatte die Gegend Ruhe.

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Die verwunschene Jungfrau von Königswiesen

Unweit des Marktes Königswiesen erhebt sich tief im Wald einsteiler Felsen, bei dem es nicht recht geheuer sein soll.

Einmal kamen zwei junge Burschen aus Königswiesen zu dem Fels-block und sahen droben eine Frau mit silberweißem Haar sitzen. Er-staunt betrachteten sie die seltsame Erscheinung. Dann aber begann dereine zu spotten: „Schau dir einmal das seltsame Geschöpf an; das mußgewiß schon eine sehr alte Jungfrau sein!"

„Ja, das bin ich", erwiderte das weibliche Wesen mit ernster Miene.„Dreimal schon habe ich den Wald wachsen und abholzen gesehen.Ich bin verwunschen, hier auf diesem Stein zu sitzen, ihr aber könntmich erlösen, wenn ihr morgen um die gleiche Zeit wieder zu demFelsen kommt. Dann werdet ihr mich auf diesem Steinblock als feurigeSchlange sehen, die einen glühenden Schlüssel im Maul hält; zugleichwird ein furchtbares Gewitter losbrechen, daß ihr glauben werdet,der Weltuntergang sei gekommen. Erschreckt aber nicht darüber, eswird euch nichts geschehen. Tretet nur mutig an die Schlange heranund reißt ihr den Schlüssel aus dem Rachen. Getraut ihr euch abernicht, das zu tun, so muß ich auf meine Erlösung wieder warten, bis derkleine Schößling, den ihr dort am Boden seht, zu einem mächtigenBaum herangewachsen ist, aus dessen Brettern eine Wiege gezimmertwerden kann. In dieser Wiege soll das Kind liegen, das mich erlösenwird." Nach diesen Worten verschwand die Jungfrau.

Die beiden Burschen eilten nach Hause, fest entschlossen, am näch-sten Tag das Wagnis zu unternehmen. Als sie dann wirklich zur Stellewaren, geschah alles, wie die Jungfrau angekündigt hatte. Kühn tratensie an die Schlange heran; schon wollten sie den Schlüssel aus ihremMaul nehmen, da brach ein so furchtbarer Sturm los, und es blitzte undkrachte so entsetzlich, daß die beiden das Weite suchten.

Hinter ihnen aber tönte das leise Weinen der Jungfrau, die nunwieder viele Jahrzehnte auf jenen Jüngling warten muß, der sie viel-leicht erlösen wird.

Die Gründung der Abtei Kremsmünster

Mehr als ein Jahrtausend ist vergangen, seit der Bayernherzog TassiloHerr über jenen Landstrich war, wo sich jetzt im Tal der Krems

der Prachtbau des Benediktinerstiftes Kremsmünster erhebt. Dichte Wäl-der erstreckten sich damals weithin, Bären und Wölfe, Hirsche undEber waren dort zu Hause.

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Als der Bayernherzog einst in Lorch weilte, vergnügte sich sein SohnGunter in den angrenzenden Wäldern mit der Jagd. Eifrig dem edlenWeidwerk hingegeben, drang er immer weiter im tiefen Wald vor undkam, sein Gefolge weit hinter sich lassend, bis in das Tal der Krems.Hier trieb er einen ungeheuren Eber auf und ging dem Tier kühn mitseinem Jagdspieß zu Leib. Er brachte dem fliehenden Eber eine schwereWunde bei, doch sein Speer zerbrach, und das verletzte Wild wandtesich wütend gegen seinen Verfolger. Mit seinen Hauern riß es demJäger eine klaffende Wunde am Fuß, so daß Gunter stöhnend zu Bodensank und hilflos und einsam im Moos verblutete. Es war an der Stelle,wo heute der Gunterteich liegt.

Der treue Jagdhund des Jünglings brachte die Jagdgefährten auf dieSpur des Vermißten und führte sie zu der abgelegenen Stelle im Wald,wo sein Herr tot auf dem Waldboden lag. Eilends wurde ein Bote nachLorch abgesandt, um dem Herzog die gräßliche Nachricht vom Todseines Sohnes zu überbringen. Schmerzgebeugt machte sich der Herzogsofort auf den Weg zur Unglücksstätte. Gebrochen saß er bis tief indie Nacht hinein bei der Leiche des Sohnes und trauerte über den jähenTod des hoffnungsvollen Jünglings.

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D i e S c h e n k i n a u f B u r g W i n d e g g

Da trat plötzlich ein schneeweißer Hirsch aus dem Waldesdüsterhervor, zwischen dessen Geweih rotglühende Flammen in Kreuzesformleuchteten, näherte sich dem betrübten Vater und verschwand hieraufwieder im Dunkel der Nacht — es war der St.-Hubertus-Hirsch.

Mit höchster Verwunderung hatte Herzog Tassilo diese wunderbareErscheinung gesehen; sie schien ihm eine Mahnung des Himmels, demgeliebten Sohn an der Stätte seines Todes ein Erinnerungsmal zu setzen.Er ließ an dieser Stelle zunächst eine hölzerne Kapelle erbauen, diespäter zu einer stattlichen Kirche erweitert und mit einem Kloster um-geben wurde. Sein Sohn Gunter wurde in der Kirche beigesetzt, in dasKloster aber wurden Benediktinermönche berufen, die seit der Grün-dung des Klosters im Jahre 777 bis heute an dieser Stätte wirken. ZumGedenken an den Anlaß der Gründung führt das Stift den Eber imWappen.

Die Schenkin auf Burg Windegg

Unweit von Schwertberg starren auf einem Hügelrücken die trauri-gen Überreste einer Ritterburg gegen den Himmel, deren Herren

einst stolz und mächtig das weite Land beherrschten.Die letzte Schloßfrau von Windegg war ihren Untertanen keine

gütige Herrin; sie nahm den armen Bauern das letzte Korn aus derScheuer, die letzte Kuh aus dem Stall, wenn sie ihre Steuern nichtpünktlich auf den Tag bezahlten. Dabei herrschte im Schloß Überfluß,die Gräfin lebte in Saus und Braus. Doch wehe, wenn sich ein armerWanderer am Burgtor einfand. Mit Spott und Hohn ließ sie ihn ab-weisen und sandte ihm oft in eigener Person die schmählichsten Schimpf-worte nach.

Eines Abends kam ein greiser Pilger vor das Schloß, der sich auf demHeimweg aus dem Heiligen Land befand. Die Mühen der weiten Wan-derung hatten seine Kräfte erschöpft. Bittend wandte er sich an denTorwart, man möge ihm eine Kleinigkeit zum Essen und ein Nacht-lager geben. Die flehenden Worte des alten Mannes rührten selbst dasharte Herz des rauhen Kriegsknechts, und er ließ den späten Wandererbeim Schloßtor ein. Da stand plötzlich die Gräfin vor dem Greis. Mitflammenden Augen wies sie seine demütige Bitte ab; selbst einen TrunkWein verweigerte sie dem zu Tode erschöpften Mann.

„Dort unten im Tal", schrie sie, „rinnt Wasser genug, dort magstdu trinken, so viel du Lust hast. Hier aber im Schloß ist kein Platz fürunnützes Bettlervolk!" Damit stieß sie den Alten zum Tor hinaus undschlug die Torflügel hinter ihm zu.

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Wankenden Schrittes stieg der müde Wanderer den Hügel hinab.Drunten am Bach aber sank er ins Gras und verwünschte mit bebendenLippen die hartherzige Schloßfrau, die einem Bittenden kein Dachüber dem Kopf, nicht einmal einen Trunk gewähren wollte.

Und der Fluch des greisen Pilgers ging in Erfüllung. Noch in der-selben Nacht stürzte die Burgfrau, vom Schlag getroffen, tot zu Boden.Zur Strafe für ihre schändliche Tat hat sie auch im Grab keine Ruhe ge-funden. Noch heute wandert sie nachts durch die Trümmer ihrer ver-fallenen Burg, aber nicht als stolze Schloßherrin gekleidet, sondern wieeine Schenkenfrau angetan. In der Hand trägt sie einen großen glühen-den Becher voll Wein. Jammernd und klagend sucht sie einen durstigenMenschen, der einen Trunk aus dem Pokal in ihrer Hand tue. Erstwenn sich einer findet, der dies vollbringt, ist die Schenkin von Windeggvon dem Fluch, der auf ihr lastet, erlöst.

Der schwarze Mönch auf Werfenstein

Mitten im Donaustrom unterhalb der Stadt Grein erhob sich aufmächtigen Felsblöcken einst die Burg Werfenstein, der Sitz küh-

ner Raubritter. Mit einer langen Kette, die über den Strom gezogenwurde, sperrte man den Fahrzeugen die Talfahrt, die Schiffe wurden

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geplündert, die Schiffsherren aber im Pein- oder Teufelsturm gefangen-gesetzt, bis sie sich durch reiches Lösegeld ihre Freiheit erkauften oderim Turm elend zugrunde gingen. Noch in späterer Zeit, als das Raub-nest schon längst zerstört war, soll man in stürmischen Nächten dasWehklagen der Gemordeten vernommen haben, deren Geister dort aufErlösung harrten.

In den Mauern dieses unheimlichen Turms hauste auch der schwarzeMönch, dessen Seele zur Strafe für sein gottloses Leben dorthin gebanntwar und keinen Frieden finden konnte. Sein Erscheinen zeigte Un-glück an.

Als im 11. Jahrhundert Kaiser Heinrich I I I . mit großem Gefolge,darunter auch Bischof Bruno von Würzburg, donauabwärts fuhr undam Werfenstein vorbeikam, erschien der schwarze Mönch dem Bischof,nur ihm allein sichtbar, und hob drohend die Hand. Entsetzt fragte derBischof seine Begleiter, was das für eine Schreckgestalt sei — doch nie-mand hatte etwas Besonderes bemerkt.

Als man dann in Persenbeug an Land stieg, um in der Burg derGräfin Richlita von Ebersberg Rast zu halten, hatte sich der Bischofvon seinem Schrecken wieder erholt. Inmitten der anderen Gäste ste-hend, beteiligte er sich in einem Saal der Burg am Gespräch mit der

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Schloßherrin; da stürzte plötzlich der Fußboden des Saales ein, und derBischof fiel mit allen Anwesenden in den daruntergelegenen Raum. Wäh-rend der Kaiser und alle andern heil davonkamen, fand der Bischof beidiesem Sturz den Tod.

Das Erscheinen des schwarzen Mönchs hatte dieses Unglück angezeigt,ebenso wie es hundert Jahre später, zur Zeit der Kreuzzüge, geschah,als der gespenstische Mönch einem vorbeifahrenden Kreuzfahrerschifferschien. Alle Schiffsleute sahen ihn bis auf einen Mann, und als dasSchiff bald darauf an eine Klippe stieß und unterging, fand die ganzeSchiffsbesatzung den Tod bis auf den einen, dem sich der Mönch nichtgezeigt hatte.

Kurz bevor die Türken im Jahre 1529 das erstemal Wien belagerten,konnte man auf dem Teufelsturm im Strudengau wiederholt den schwar-zen Mönch erblicken. Mit einem großen Zweihänderschwert führte erwuchtige Hiebe durch die Luft. Bald darauf kamen türkische Streif-scharen bis in den Strudengau und brachten Unglück und Not.

In späterer Zeit wurde der Turm abgebrochen, und die Steine fandenVerwendung beim Bau von Schanzen gegen die napoleonischen Soldaten.Die Stelle aber blieb verrufen bis auf die heutige Zeit.

Die Pest in Haslach

Von Osten kommend, schlich sich der schreckliche Würgengel Pestvor einigen Jahrhunderten auch im Land ob der Enns ein. Zu-

erst überfiel die Krankheit unversehens und heimtückisch nur einzelnePersonen, dann aber griff sie auch auf die Märkte und Städte über undwütete bald aufs grausamste unter der erschreckten Bevölkerung, diesich vor dem unbarmherzigen Würger vergebens in den entlegenstenSchlupfwinkeln zu verbergen suchte.

Von Rohrbach aus wurde die Pest auch in Haslach eingeschleppt;ein großes Sterben entvölkerte bald den Ort. Nur ein armer Hirtenbub,der auf dem Heimweg von der Weide einen Vogel im Gesträuch singenhörte:

„Eßt Enzian und Biberneil,So steht ihr auf, sterbt nicht so schnell",

und diesen Rat befolgte, kam mit dem Leben davon. Er hörte Wochenhindurch jeden Tag den klagenden Ton des Sterbeglöckleins von Has-lach auf seine Weide herüberschallen und sah Tag für Tag über demMarkt eine düstere Wolke, die Pestwolke, schweben, ihn selber aberverschonte die Krankheit.

Als er eines Tages mit seiner Herde an einer Linde vorbeikam, die

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abseits des Weges stand, bemerkte er, daß aus einem Astloch ein feinesRauchwölkchen aufstieg, das, sich immer mehr verdichtend, in derRichtung gegen Haslach davonschwebte und über dem Ort stehenblieb.Der mutige Hirtenjunge verstopfte das Loch; nun war der Wolke derWeg nach außen verlegt, die Pest war gefangen. Von diesem Tag anbegann die Krankheit abzunehmen und hörte bald ganz auf.

Als er sich nach einiger Zeit nach Haslach hineinwagte, traf er dortniemanden an, alles war von der Pest hinweggerafft worden.

Jungfernsprung und Jungfernlueg bei Gmunden

Auf Schloß Ort am Traunsee saß vorzeiten ein mächtiger Graf,der eine liebreizende Tochter hatte. Als er einst in den Krieg zie-

hen mußte, trug er dem Burggrafen von Wolfsegg auf, die Obhut übersein Töchterlein zu übernehmen. Das adelige Fräulein lernte aber wäh-rend der Abwesenheit ihres Vaters den jugendlichen Herrn der nahen

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Wartenburg kennen und lieben. Als der Wolfsegger davon erfuhr, ließer das Mädchen in das Nonnenkloster nach Traunkirchen bringen, umeine Zusammenkunft des Paares zu verhindern, da er nicht wußte,ob dem Grafen eine Verbindung angenehm sein würde.

Die Liebenden aber fanden trotzdem einen Weg, sich wiederzusehen.Der junge Ritter schwamm bei Nacht über den See; eine Lampe, die dasMädchen in ihr Fenster stellte, wies ihm den Weg. Eines Nachts aber,als der Wartenburger eben wieder im See unterwegs war, fiel ein heftigerSturm ein. Mutig kämpfte der Ritter gegen die hochgehenden Wellen,aber das wegweisende Licht erlosch, der kühne Schwimmer verfehltedas rettende Land und ertrank in den Wogen. Am nächsten Morgenspülte die Flut seine Leiche ans Ufer.

Als die Jungfrau den toten Geliebten erblickte, sprang sie, vor Schmer-zen von Sinnen, vom Söller des Klosters in den See, um im Tode mitdem Manne vereint zu sein, der ihr im Leben nicht gehören durfte.

Die Stelle, an der das Mädchen in die Tiefe sprang, heißt seither der„Jungfernsprung", der Platz aber, von wo der junge Ritter oft sehn-süchtig über den See nach dem Aufenthaltsort der Geliebten hinüber-blickte, wird „Jungfernlueg" genannt.

Das Turnier zu Linz(Siehe Farbtafel Seite 112)

Im Jahre 1521 war die Stadt Linz der Schauplatz großer Festlich-keiten. Man feierte die Hochzeit Ferdinands I. mit Anna von

Ungarn; von nah und fern waren Ritter und Adelige herbeigeströmt, umAugenzeugen des Festes zu sein. Auf dem Hauptplatz der Stadt ging eingroßes Turnier vor sich, an dem sich auch viele ausländische Ritterbeteiligten. Die meisten Siege errang ein kühner spanischer Ritter, dender Stolz über seine vielen Erfolge so siegessicher gemacht hatte, daßer übermütig die deutsche Ritterschaft zum Kampf herausforderte.Lächelnd rühmte er sich, er wolle jeden aus dem Sattel werfen, der gegenihn antreten werde, und begann die einheimischen Ritter zu ver-höhnen und wegen ihrer Feigheit zu schmähen.

Da fanden sich zwei österreichische Ritter, die diese schändlichenSpottworte nicht länger mitanhören wollten und den prahlerischenSpanier zum Zweikampf auf Leben und Tod herausforderten. Es warendies Herr Sebastian von Losenstein und der Herr von Hohenberg. Dader Kampf auf oberösterreichischem Boden stattfand, wurde entschie-den, daß der oberösterreichische Ritter Sebastian von Losenstein zuerstantreten und die Ehre der deutschen Ritterschaft verteidigen solle. Da

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nahm der Herr Sebastian sein mächtiges Schwert, bestieg sein mutigesStreitroß und ritt zum Kampf aus. Das Pferd trug einen Maulkorb undwar so abgerichtet, daß es den Gaul des Gegners mit den Zähnen beiden Nüstern packte und zu Boden zog, sobald man ihm den Maulkorbabgenommen hatte.

Der Kampf begann. Die Gegner ritten aufeinander los und zerbra-chen die Speere, doch blieben beide im Sattel. Nun drang der Spaniermit dem Schwert auf den Losensteiner ein, doch der wehrte jeden Hiebund Stich ab. Aber immer hitziger drängte der spanische Ritter, undschon begannen die Zuschauer um das Leben des sich tapfer wehrendenHerrn von Losenstein zu bangen. Plötzlich aber riß dieser seinem Pferdden Maulkorb herunter und stieß ihm die Sporen in die Weichen. Sogleichstürmte der Gaul wild auf das spanische Pferd hin, schnappte es bei derNase und zog es zu Boden. Und während der Spanier einen Augenblickstutzte, faßte Herr Sebastian seinen Zweihänder und ließ ihn mit allerMacht auf den Helm des Feindes niedersausen, daß er in Stücke sprang.Schwankend von der Wucht des Hiebes, vermochte sich der edle Spaniernur mit Mühe auf seinem Pferd zu halten. Bevor aber der Ritter vonLosenstein seinem Gegner den Todesstoß versetzen konnte, gebot Fer-dinand Einhalt des Kampfes. Der Spanier mußte sich für besiegt erklä-ren, der Sieger aber verließ umjubelt den Kampfplatz.

Der Schütze von Losensteinleiten

Als die Türken im Jahre 1532 in Österreich einfielen, drang eine Scharvon fünftausend Türken bis über die Enns vor und gelangte zum

Schloß Losensteinleiten. Alle Bewohner des Schlosses waren geflohen,nur ein alter Jäger blieb zurück, verschloß die Tore und trotzte alleinder Übermacht.

Der stattliche feindliche Heerhaufen lagerte auf dem LeimannsdorferFeld unweit des Schlosses, das Zelt ihres Paschas stand unter einermächtigen Linde. Nach kurzer Zeit begannen sie mit ihren Vorberei-tungen zum Sturm auf die Burg, in der sie reiche Beute vermuteten.Bäume wurden gefällt, Sturmböcke und Leitern gezimmert, und der alteJäger sah bald, daß nur eine List ihn und die Burg vor der Vernichtungretten könne. Er rannte in die Rüstkammer des Schlosses, schleppteHarnische und Helme herbei und stellte in jedes Fenster der Burg einenhohlen eisernen Mann, neben dem er eine Büchse sowie Pulver undBlei zurechtlegte. So täuschte er eine starke Besatzung der Burg vor.

Am nächsten Morgen gingen die Türken zum Sturm vor; ihr Kampfes-mut war, angestachelt durch die Hoffnung auf reiche Beute, gar nicht

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gering. Aber auch der wackere Verteidiger der Burg ließ sich nichtspotten. Flink eilte er von Fenster zu Fenster und feuerte überall einenwohlgezielten Schuß auf die heranstürmenden Feinde ab; jeder Schußfand sein Ziel, und mancher Muselmann mußte damals vor Losenstein-leiten seinen letzten Atemzug tun. Als auch der Anführer der Türken,der auf seinem Schimmel anfeuernd bei seinen Leuten umherritt, tödlichgetroffen vom Pferde stürzte, ergriff wilde Verwirrung die feindlichenStreiter, schleunig zogen sie sich zurück und gaben die Belagerung auf;

sie mochten wohl meinen, die ganze Burg stecke voll geübter, treff-sicherer Schützen und jeder weitere Kampf sei zwecklos.

Als die Belagerer abgezogen waren und weit und breit kein Türkemehr zu sehen war, kam der Jäger aus seiner Festung heraus, fing sichden herrenlosen Schimmel und freute sich seiner wohlgelungenen List.

So hat der alte Meisterschütze durch seine entschlossene Tat denraubgierigen Feind vertrieben und seinem Herrn Hab und Gut gerettet.

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Frau Perchta als Bettlerin bei Radstadt

Weitverbreitet im ganzen Salzburgerland war seit jeher der Glaubean das gütige und segensvolle Wirken der Frau Perchta. Sie

war den Menschen wohlgesinnt, wenn man ihr nicht in vorwitzigeroder frevelhafter Weise nahte.

Einst war am späten Nachmittag ein armer Bauer auf dem Heimwegvon Radstadt. Unterwegs stieß er auf ein altes Weiblein, das am Weg-rand saß und, auf einen alten Tragkorb gestützt, kummervoll vor sichhinschluchzte.

„Ja, wo fehlt's dir denn, Mütterchen?" fragte gutmütig der Bauerund blieb neben der Alten stehen. „Dir ist wohl dein Korb zu schwergeworden! Nun, komm mit mir, ich werde ihn dir tragen."

„Freilich, freilich", seufzte das Weiblein, „der Korb ist gar schwer;aber ich kann dir doch nicht zumuten, den Korb zu tragen! Was würdendenn die Leute sagen, wenn du dich mit dem Korb eines alten Bettel-weibleins abschlepptest!"

„Das soll mich nicht kümmern", meinte der Bauer, nahm den Korbauf den Rücken und ging langsam weiter, während das Weiblein anseiner Seite dahinkeuchte.

Als sie nach Altenmarkt kamen, wunderten sich die Leute nicht wenig,den Bauern mit einem halbdurchlöcherten Tragkorb auf dem RückenSeite an Seite mit der zerlumpten Alten daherkommen zu sehen. Mancheblieben stehen und schauten lachend dem ungleichen Paar nach. Dochder Bauer achtete nicht auf die spöttischen Worte, die ihm nachklangen,und schritt ruhig seinem Haus zu. Schon von weitem rief ihm seinWeib, das ihn herankommen sah, verwundert entgegen: „Ja , Alter, sag,wen bringst du denn heute daher?"

„Nur ein armes Bettelweiblein", erwiderte der Bauer, „das gern einNachtquartier möchte."

„Nun, wenn es weiter nichts ist", sagte die gutherzige Bäuerin, „dakannst du schon hereinkommen, Mütterchen, und ein wenig zum Essenwird sich auch noch finden, du bist gewiß hungrig." Sie wies der Alteneinen Platz auf der Ofenbank an, setzte ihr eine Schale Milch und einenTeller Rohrnudeln vor und hieß sie ordentlich zugreifen. Nach demAbendessen führte sie das müde Mütterchen in eine kleine Kammer,wo ein Lager für die Frau bereitstand. Dann legten sich alle zur Ruhe.

Als der Bauer am nächsten Morgen aufstand und sich nach dem Weib-

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lein umsehen wollte, war die Alte verschwunden, nur ihren Korb hattesie zurückgelassen. Bauer und Bäuerin glaubten fest, sie würde wieder-kommen und ihr Eigentum holen. Aber Tage und Wochen vergingen,und das Mütterchen ließ sich nicht mehr blicken. Da gaben sie die Hoff-nung auf, daß sie sich je wieder zeigen werde, und wollten nun einmalin dem zurückgelassenen Korb Nachschau halten, ob sich kein An-haltspunkt über ihren Namen oder Wohnsitz drinnen finden lasse.

Neugierig griff der Bauer in den Korb, bekam aber nur alte Lumpenin die Hand, die er hervorzog und zu Boden warf; zugleich gab eseinen merkwürdigen Klang. Nun untersuchte er das Lumpenbündelgenauer, und da glänzte ihm auch schon ein Silbertaler entgegen, undda noch einer und wieder einer, und schließlich lag ein stattliches Häuf-lein von Talern vor dem freudig erstaunten Blick des wackeren Land-mannes. Nun hatte die Armut der guten Leute ein Ende, und beidedankten der guten Fee, in der sie jetzt Frau Perchta erkannten, austiefstem Grund ihres Herzens.

Der Putz von Neukirchen im Pinzgau

Unweit des freundlichen Örtchens Neukirchen im Pinzgau erstrecktsich die dichtbelaubte, fichtenbewachsene Dürrnbachau, die der

murmelnde Dürrnbach durchströmt.In längstvergangener Zeit, als das Faustrecht herrschte, als überall

Fehden und Kämpfe tobten und das Land unsicher machten, lebte aufder Burg Neukirchen ein Ritter, der in den Krieg fortziehen mußte.Da nahm er alles, was ihm lieb und teuer war, Schätze und Reichtum,trug es in die Dürrnbachau und vergrub es an einem versteckten Platz.Der Ritter kehrte aus der Fremde nicht mehr in die Heimat zurück,er war im Kampf gefallen. Da er aber zu Lebzeiten ein arger Geizhalsund Bösewicht gewesen war, konnte er auch im Grab seine Ruhe nichtfinden. Er wurde zur Strafe für seine Sünden in ein kleines grauesMännchen verwandelt und verdammt, seine Schätze zu hüten.

Seitdem treibt dieser Kobold, der „Putz", wie ihn die Leute heißen, inder Dürrnbachau sein Unwesen, äfft den Wanderer und führt ihn irre,indem er bald als zuckende Flamme, bald als kleines, kaum drei Spannenlanges Männchen vor seinen Füßen hin- und herhüpft. Er liebt es, denMenschen jeglichen Schabernack anzutun, und ist auch schon manchemals grunzendes Schwein eine Strecke weit nachgelaufen.

Jahrelang hatte sich der Putz nicht mehr gezeigt, und man dachteschon, er sei für immer verschwunden, da kam einst ein Bauer in dieDürrnbachau, um ein paar Stämme für Brennholz zu fällen. Eben

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wollte er sich an einem Baum heranmachen, als ihm eine Stimme zurief:„Den nicht — geh nur weiter!" Erschrocken schaute der Mann umher,wer ihn da angeredet habe, sah aber niemand. Er ging ein Stück weiterund kam an eine freie Stelle, die rings von Fichten umgeben war. Daertönte wieder die Stimme: „Hier schlag Holz, daß die Späne fliegen!"

Wieder spähte der Bauer umher, gewahrte aber diesmal auf einemFichtenast zusammengekauert ein kleines graues Männchen, das ersogleich als den Putz erkannte, von dem man ihm als Kind so viel er-zählt hatte. Nichts Gutes ahnend, war er schon im Begriff, schleunigdas Weite zu suchen, als ihm der Kleine zurief: „Bleib nur, ich bin dochdein Taufpate und meine es gut mit dir. Darum habe ich dir heute eineneinträglichen Platz zum Holzfällen zugewiesen. Schau nur, daß du denrichtigen Stamm erwischst!"

Der Holzhauer besah sich die Stämme im Umkreis und ging zuletztauf den Baum zu, in dessen Ästen das Männlein saß. Weil er glaubte, derKleine könne nicht herabklettern, gedachte er diesen Baum zu fällen,um dem Männlein zu helfen. „He, Pate", sagte er, „wenn ich mich andiesen Baum mache, um dir von da oben herabzuhelfen, so gibt das wohlein tüchtiges Stück Arbeit, aber ich hoffe, es wird dir dann um einenguten Schluck Wein nicht leid tun!"

Doch der Putz machte ein so bitterböses Gesicht, daß dem Mannalle Lust zum Scherzen verging und er in seinem Entschluß wankendwurde. Endlich aber faßte er sich doch ein Herz und begann auf denBaum loszuhauen, der sich schon beim dritten Streich neigte undkrachend zu Boden stürzte. Der Stamm war hohl, aus dem Loch aberkollerten glänzende Dukaten heraus. Mit kühnem Sprung ließ sich derKobold aus dem Geäst zur Erde fallen, schrie dem Holzfäller zu: „Nimmdir, was du kannst!" und sauste in wilder Hast davon, dem Dorf zu.

Der Holzhauer aber ließ sich das nicht zweimal sagen und füllte sichalle Taschen mit den funkelnden Münzen. Dann setzte er seine Arbeitfort. Aber da ihn das Gold in seinen Säcken am Hacken und Spalten derStämme behinderte, leerte er alles auf die Erde — das hätte er aber nichttun sollen! — und überließ seinem Hund die Bewachung. Als am Abenddie Arbeit beendet und der Holzstoß aufgerichtet war, füllte er, höch-lichst zufrieden mit seinem Tagwerk und dem klingenden Taglohn, derihm da zugefallen war, wiederum seine Taschen, pfiff seinem Hund undtrabte frohgemut heimwärts. Schwer hing die Last an seinen Kleidern.

Als er jedoch daheim die Hosen- und Rocksäcke umstülpte, brachteer statt der Dukaten nur taube Haselnüsse zutage. Dazwischen lag einZettel, auf dem etwas geschrieben stand. Mit Mühe buchstabierte derBauer: „Die Erde verschlingt den Menschen und ebenso auch das Erz.Menschen und Erz bilden den Samen, aus dem eine Fichte wachsen wird,die in ihren Zweigen ein Kreuz trägt. Erst wenn sich einmal diese Fichte

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in ihrem Wuchs so weit gedreht hat, daß das Kreuz nach der Kircheschaut, hat die Stunde meiner Erlösung geschlagen. An dir wäre es heutegewesen, mich zu erlösen, wenn du das gewonnene Gold nicht wiederzur Erde gelegt hättest."

Kaum hatte der Holzfäller das letzte Wort gelesen, sank er zu Bodenund war eine Leiche. Der Putz aber muß auf seine Erlösung warten, bisjene Fichte gewachsen ist, die auf dem Zettel beschrieben stand.

Der Zwergenstein am Untersberg

Es gab einmal eine Zeit, da kamen die Untersberger Zwerge nochhäufig aus ihren Behausungen im Inneren des Berges heraus und

ließen sich ohne Scheu mit den Menschen ein. Damals begab sich einarmer Bauer, der sich sein Leben lang schwer genug geplagt hatte,auf den Untersberg, um Holz zu fällen. Wie er so mitten in seiner Arbeitwar und auf gar nichts anderes acht hatte, stand auf einmal ein eisgraues,langbärtiges Männchen vor ihm, in grauer Gewandung, ebensolcherZipfelmütze, ein zierliches Stäblein in der Hand, und fragte ihn, wie erheiße. Der Bauer zeigte sich über das unvermutete Auftauchen desZwerges gar nicht erschrocken und nannte seinen Namen, wobei erruhig weiterarbeitete. Da machte der Kleine mit seinem Stab ein paarsonderbare Zeichen in die Luft und stieß drei gellende Pfiffe aus. Alsder Bauer verwundert aufschaute, sah er sich auf einmal von Hundertenvon Zwergen umringt, als ob sie urplötzlich aus dem Boden hervor-gekommen wären. Nun bekam es der biedere Landmann aber dochmit der Angst zu tun, besonders als die lautlose Schar der grauenMännlein sich immer näher herandrängte und ihn neugierig betrachtete.Schon überlegte er, ob es nicht ratsam sei, sich davonzumachen, da sagtedas zuerst erschienene Männlein: „Du brauchst keine Angst zu haben,es wird dir kein Leid geschehen; sag mir nur, ob du uns Zwergen nichteinen Dienst erweisen möchtest."

Aufatmend erwiderte der Bauer: „Recht gern, wenn es mir möglichist!" Da lächelte das Männlein freundlich und meinte: „Nun, so folgemir!" Auf kaum erkennbaren Pfaden schritten sie den Berg hinan,kamen durch düstere Schluchten und standen nach langem Marsch voreiner himmelhohen, steilen Felswand, wo es kein Weiterkommen mehrgab. Da schlug der Zwerg mit seinem Stab dreimal an den Felsen, derlautlos auseinanderrückte und einen langen, dunklen Gang freigab.Vorangehend bedeutete der Zwerg seinem Begleiter mitzukommen. Undwieder hatten sie einen langen Weg vor sich, bis sie zu einer eisernenTür kamen, die von selbst vor ihnen aufsprang. Nun aber war es zu

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Ende mit der Finsternis. Ein Saal lag vor ihnen, woraus dem überrasch-ten Bauern der Glanz von tausend Lichtern entgegenstrahlte, die sich inden marmornen Wänden und in den silbernen Fliesen des Bodens wider-spiegelten. Mitten im Saal stand ein goldener Thron, von dem funkelndeStrahlen in allen Farben des Regenbogens ausgingen; so prächtig wardas Leuchten der edlen Steine, die den erhabenen Sitz zierten.

Auf dem Thron saß ein altes, ehrwürdiges Männchen, die Schulternvon einem wallenden Purpurmantel umhüllt, auf dem Haupt eine edel-steinfunkelnde Krone und ein goldenes Zepter in der Hand. Es war derKönig der Zwerge, den zwölf seiner vornehmsten Untertanen umstanden.

So viel Glanz und Herrlichkeit hatte der Bauer noch nie in seinemLeben gesehen. Er starrte wie gebannt auf die funkelnde Pracht undwagte es nicht, auch nur einen Schritt weiter zu tun; bangend warteteer, was nun mit ihm geschehen würde. Da winkte ihm der König auchschon und rief: „Komm näher, mein Sohn!"

Der Bauer schritt zögernd an die Stufen des Thrones heran und ver-beugte sich ehrfürchtig. „Bist du bereit und auch mutig genug", fragteder König, „uns den berühmten Zwergenstein zu bringen?" Als derBauer bejahte, setzte der König hinzu: „Dieser Stein hat nämlich dieEigenschaft, alle Zwerge, die ihn berühren, in Menschen zu verwandeln."

Dann teilte er dem ehrfurchtsvoll Lauschenden noch mit, wo derStein vergraben sei und wie er sich bei der Arbeit zu verhalten habe,riet ihm auch eindringlich, vorsichtig zu Werk zu gehen, wenn er denStein aus der Erde heraushole; denn ein Riese bewache ihn. „Die Haupt-sache aber ist", schloß der König seine Unterweisung, „daß du in läng-stens drei Tagen zurück bist und während der ganzen Zeit auch nichtein Wort sprichst; sonst ist alle deine Mühe und Plage vergebens, undes kann dich das Leben kosten. Gelingt dir aber deine Aufgabe, so willich dich zum reichsten Mann der Welt machen."

Der Bauer versprach, die Anweisungen des Zwergenkönigs genauzu befolgen, und begab sich sogleich auf den Weg.

Nach kurzer Zeit erreichte er die Stelle, an der der Stein vergrabensein sollte, und machte sich eifrig an die Arbeit. Schon hatte er einziemlich tiefes Loch gegraben, da sprangen plötzlich drei Zwerge ausder Grube heraus und fragten ihn, was er da mache. Fast hätte er ihnenAntwort gegeben, aber zum Glück fiel ihm noch rechtzeitig ein, daßer ja kein Wort sprechen dürfe. Daher schüttelte er nur abweisend denKopf und setzte seine Arbeit stillschweigend fort. Aber die Zwergeließen ihm keine Ruhe, sie neckten und fragten ihn immerfort und such-ten ihn zum Reden zu bringen, so daß er schließlich, von Zorn über-mannt, einen Prügel ergriff und die drei Kobolde niederschlug.

Nun ging die Arbeit eine Weile rüstig vonstatten; die Grube wurdeimmer tiefer, und er hoffte, nun bald in den Besitz des gesuchten Steins

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zu kommen. Aber neue Hindernisse und Schwierigkeiten verzögertensein Werk, bald hemmte eine riesige Steinplatte, die auszugraben ihmviel Mühe machte, die Arbeit, bald wieder mußte er sein Werkzeugschärfen, das schadhaft geworden war, und so kostete es ihm manchenSchweißtropfen, bis er endlich doch ans Ziel gelangte. Freudestrahlendhob er den Stein aus der Grube und eilte, so rasch er konnte, um dieFrist nicht zu versäumen, zum König der Zwerge zurück.

Knapp vor dem Eingang der großen Halle kamen ihm ein paarZwerge entgegen, die ihm schon von weitem zuwinkten und ihn gleichmit der Frage empfingen: „Bringst du den Stein?" Da dachte der Bauernicht an das Verbot und rief laut: „Ja!"

Nun war das Unglück geschehen. Kaum war das Wort seinen Lippenentschlüpft, erscholl ein furchtbarer Donnerschlag, daß der Bodenerzitterte. Der Stein entfiel seiner Hand und fuhr tief in die Erde hinein,fast bis zur Mitte des Untersbergs, wo er heute noch stecken soll. DerBauer aber stürzte tot zu Boden. Erst einige Zeit darauf, da man ihnsuchte, fanden die Leute seinen Leichnam in einer tiefen, unwegsamenSchlucht.

Die Drachenjungfrau in der Gerloswand

Viele Jahre ist es her, da lebte im Pinzgau eine stolze Jungfrau, einesGrafen Kind, die von der Natur mit allen Vorzügen des Geistes

und des Leibes bedacht war. Sie fühlte sich daher auch über alle Men-schen erhaben, war anmaßend und hochmütig und verachtete sogarihre eigene Mutter, die sich über die Kälte und Lieblosigkeit ihrerTochter zu Tode grämte.

Nun aber brach die Strafe des Himmels für dieses unkindliche Ver-halten über die Jungfrau herein. Schwer und lang war die Buße, dieihrem hochfahrenden Sinn auferlegt wurde. Eine mächtige Bergfrauverwandelte sie in ein Wesen, halb Drache, halb Weib, und bannte siein eine Felsenhöhle im Innern der Gerloswand. In tiefster Einsamkeit,dem Licht der Sonne entrückt, hat sie nun Zeit zu bereuen, was sieverschuldet, und darf nur alle hundert Jahre einmal aus der Tiefe em-porsteigen, um auf den zu warten, der sie erlösen soll. Erlösung kann sieaber nur finden, wenn ein beherzter Jäger ihr den Kuß der Liebe weiht.

Einmal ist sie schon aus ihrer Höhle hervorgekommen, Glocken-geläute im ganzen Tal verkündete ihr Erscheinen, aber niemand ge-traute sich in ihre Nähe. Endlich faßte ein mutiger Jägerbursche denEntschluß, das Erlösungswerk zu wagen. Kühn schritt er auf die Fels-wand zu, wo die furchtbare Schreckgestalt ihm schon von weitem

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entgegenrief: „Zittere nicht, du Lieber! Erscheine ich dir auch jetztnoch schrecklich und grauenhaft, so wird dein Entsetzen weichen undFreude und Glück dich erfüllen, wenn deine Lippen meinen Mund be-rührt haben. Weichst du aber von mir zurück, so sind wieder hundertJahre Elend und Einsamkeit mein Los."

Mutig versprach ihr der Jäger, vor nichts zurückzuweichen. Als

er sie aber in der Nähe in ihrer ganzen furchterweckenden Häßlichkeitsah, prallte er entsetzt zurück. Wohl versuchte er ein zweites- unddrittesmal näherzutreten, aber als der eisige Hauch ihres Mundes seinGesicht umwehte, taumelte er schwindelnd zurück und lag im nächstenAugenblick zerschmettert unten am Rand der Felswand.

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Mit einem Wehschrei wandte sich die Drachenjungfrau dem Felsenzu und muß nun wieder in ihrer finsteren Höhle, in Grauen versunken,hundert Jahre warten, bis sich vielleicht dann ein kühner Jünglingfindet, der sie ihrem Kerker entreißt und wieder in einen Menschen ver-wandelt.

König Watzmann

Vor undenklichen Zeiten herrschte über Salzburg und das angren-zende Bayern ein mächtiger König, Watzmann genannt. Er war

seinen Untertanen kein gnädiger Herr. Hartherzig und grausam ließer ihnen seine Macht fühlen, wo er nur konnte, bedrückte und quältesie über alle Maßen und verhängte bei den nichtigsten Anlässen diehärtesten Strafen. Sein stolzes Schloß erhob sich nächst dem Königsseekühn in die Lüfte.

Eines Tages trieb ihn teuflische Lust, die armen Bauern vor den Pflugspannen zu lassen und die Hunde hinter ihnen drein zu hetzen, damitdie Arbeit rascher vor sich gehe. Während dieser menschenunwürdigenArbeit, die sonst durch die Tiere geleistet wurde, stieß ein Bauer zu-fällig mit dem Fuß an eine größere Erdscholle. Flugs kam hinter derScholle ein kaum spannenlanges Männchen hervor und sprang demPflügenden auf die Hand! Der erschrockene Bauer konnte nur mit Müheeinen Aufschrei unterdrücken, aber das Männchen legte warnend denFinger an den Mund und hüpfte dann rasch in des Mannes Rocktasche.

Zu Hause angekommen, zog der Bauer behutsam den Kleinen aus derTasche und stellte ihn vor sich auf den Tisch. Da fing das Männlein mitgar feiner Stimme zu reden an: „Bauer, merk' auf, was ich dir jetzt sagenwill. Ich bin Heinzel, der König der Erdmännlein, und will dem ver-ruchten und lästerlichen Treiben des Königs Watzmann nicht mehr län-ger ruhig zusehen. Ich werde eurem Leiden ein Ende machen und euchvon dem grausamen Wüterich befreien. Rufe mir sofort deine Leidens-genossen herbei!"

Der Bauer befolgte sogleich diesen Befehl und rannte fort, um seineKameraden zu holen. Bald waren alle um das Erdmännchen versammelt.Nun sprang König Heinzel auf einen Holzklotz und begann: „Ihrarmen Leute, hört: Bevor ihr morgen zur Arbeit geht, füllt eure Taschenmit Kieselsteinen. Hetzt Watzmann wieder die Hunde auf euch, sowerft kühn die Kieselsteine auf ihn. Fürchtet euch nicht, denn ich binin eurer Nähe."

Während das Männchen diese Worte sprach, war es immer kleinergeworden, bis es endlich vor den Augen der Bauern verschwand.

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Am andern Morgen fanden sich alle wie gewöhnlich zur Arbeit vordem König ein. Dieser war nicht besser gelaunt als an den früherenTagen und begann sofort mit lautem, heiserem Hussa die Hunde hin-ter die Bauern zu hetzen. Diese aber griffen sogleich in die Taschen,wie ihnen das Männchen befohlen hatte, und schleuderten ihre Kieselauf den König. Im Flug vergrößerten sich die Steine, wurden zu ge-waltigen Felsbrocken und sausten auf den König und seine Hunde nie-der, die sich heulend um ihren Herrn geschart hatten. Bald warenMeute und Herr unter der Last ungeheurer Felsblöcke begraben. Nunbegannen auch die Steine auf dem Boden sich zu bewegen, rolltenauf die geworfenen Felstrümmer hinauf, wälzten sich übereinander,und bald türmte sich an der Stelle, wo eben noch König Watzmanngestanden war, ein mächtiger steinerner Bergriese in die Lüfte.

Die Bauern verließen bald darauf die Gegend, die ihnen verleidetwar, und zogen in das nahe Tirol. Von dem Erdmännchen sah und hörteman von dieser Zeit an nichts mehr. Wenn aber um die Klüfte des Watz-manns der Sturmwind braust, sagen die Leute, es seien König Watz-manns Hunde, die heulend um ihren Herrn springen.

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Das Geschenk der Untersberger

Vor langer Zeit wanderten vier arme, aber stets fröhliche Musikan-ten von Tirol nach Oberösterreich. Ihr Weg führte sie am Unters-

berg vorüber, von dessen Wundern und Geheimnissen sie schon vielgehört hatten. Als sie am Abend eines schönen Sommertages zur Alm-brücke bei Niederalm kamen, schoß dem einen der vier munteren Ge-sellen ein übermütiger Gedanke durch den Kopf.

„Wie wäre es, meine Freunde", rief er lustig, „wenn wir uns einmalden Untersberg näher beschauten und dem Kaiser Rotbart in seinerBergeinsamkeit um Mitternacht ein fröhliches Ständchen brächten?Vielleicht fiele dabei ein wenig von den Schätzen des Wunderbergesauch für uns ab, und wir könnten morgen, die Taschen mit Gold ge-füllt, unsere Reise fortsetzen!"

„Sprich nicht so frevelhafte Worte", sagte erschrocken der jüngste,„wie leicht kann der Zorn der geheimnisvollen Untersberger uns armeMenschenkinder treffen!"

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Aber lachend erwiderten die drei andern: „Warum sollten sie überein heiteres Ständchen zürnen? Wir beide sind dabei, und du mußt auchmitmachen, damit das Quartett vollzählig ist. Versuchen wir's docheinmal mit der Unterwelt, wenn uns die Oberwelt schon so schnödebehandelt!" Dem ängstlichen jüngsten half kein Sträuben; er wurdevon den drei andern halb mit Gewalt den Untersberg hinangeführt.

Als es vom Kirchturm zu Niederalm Mitternacht schlug, machten siehalt und begannen ihre munteren Weisen. Sie hatten kaum einige Minu-ten gespielt, da teilten sich die Büsche, und eine wunderschöne Jung-frau näherte sich den überraschten Spielern. Es war die Kaiserstochter,die alle vier Musikanten einlud, mit ihr zu kommen. Erwartungsvollfolgten sie ihrer Führerin in den Berg hinein, wo sich die prächtigeKaiserhalle vor ihren Augen auftat. Mitten im Saal saß der alte Kaiserauf goldenem Thron, das Haupt in die Hand gestützt, sein langer,wallender Bart reichte um den marmornen Tisch herum, der vor seinemThron stand. Um ihn bewegte sich ein zahlreicher Hofstaat niedlicher,prunkvoll gekleideter Gestalten. Auf einen Wink der Prinzessin stelltensich die vier Gesellen zurecht und hoben ihr Spiel an.

Beifällig nickte der Kaiser, als die Musik verklungen war, und mitihm bezeigten die Herren, die lauschend im Kreis standen, ihr Wohl-gefallen. Nun forderte man die Musikanten auf, sich an einen gedecktenTisch zu setzen, und schon sprangen kleine, zierliche Männlein daherund setzten Speise und Trank vor sie hin, daß sich die Tische bogen.Behaglich schmausten die immer hungrigen Wandergesellen und hat-ten dabei genügend Zeit, die Pracht des Saales und die reichen Schätzean Gold, Silber und kostbaren Steinen, die an den Wänden aufgeschich-tet waren, mit staunenden Blicken zu bewundern.

Als sie ihr Mahl beendet hatten, hieß es wieder: „Nun spielt, Musi-kanten!" Und wieder ließen sie ihre Melodien erklingen, daß der Kaisermit seinem ganzen Hof ihnen huldvoll Beifall zollte. Bis zum Morgenspielten sie dem Herrscher vor, dann wurden sie in Gnaden entlassen.Nun hofften sie, klingenden Lohn einzuheimsen, und konnten es vorUngeduld kaum erwarten, daß man ihn bringe. Doch wie groß warihre Enttäuschung! Als sich ihr kleiner Führer am Ausgang in die Ober-welt verabschiedete, überreichte er lächelnd jedem von ihnen einen grü-nen Zweig und war, bevor sie noch recht begriffen hatten, daß das ihrganzer Lohn sei, blitzschnell ihren Augen entschwunden.

Murrend und scheltend über den Geiz des Kaisers und seiner Toch-ter, betrachteten die drei älteren den unscheinbaren Zweig und warfenihn schließlich wütend von sich. Nur der jüngste dachte verzücktnoch immer an das wunderbare Erlebnis und wollte das grüneZweiglein zum immerwährenden Andenken an diese Zaubernachtwohl bewahren. Er allein blieb heiter und wohlgelaunt, während

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sie ihren Weg fortsetzten; verdrossen und schweigsam stapften dieandern dahin.

Als sie nach geraumer Zeit in ihrer Heimat angelangt waren, über-gab der junge Musikant beim Kirchgang den Zweig seiner Gattin underzählte der aufhorchenden Frau, welch unerhörtes Abenteuer er mitseinen Gefährten im Wunderberg bei Salzburg erlebt hatte.

Wie er so erzählte, wurde der Zweig in der Hand der Frau immerschwerer, und als er seine Erzählung beendet hatte, vermochte sie ihnkaum mehr in der Hand zu halten, so groß war sein Gewicht geworden.Nun untersuchten sie verwundert, woher denn das komme, und sahenmit jubelnder Freude, daß sich alle Blätter des Zweiges in Gold, dasGeäst in Silber verwandelt hatten.

So war dem jungen Musikanten, der das Geschenk der Untersbergerin Ehren gehalten hatte, für sein Spiel reicher Lohn zuteil geworden,und alle Not im Haus hatte ein Ende. Als seine Kameraden von derwunderbaren Verwandlung erfuhren, ärgerten sie sich weidlich, daßsie das Geschenk nicht besser geachtet hatten; doch zum Untersbergwagten sie sich nicht mehr zurück; sie fürchteten, daß die Strafe derUntersberger für die Mißachtung ihrer Gabe sie treffen könnte.

Der Zwerg Hahnengickerl

Eine vornehme, reiche Frau wurde jahrelang von einem bösen Leidengequält, gegen das kein Mittel helfen wollte, kein Arzt Rat wußte.

Da erreichte sie die Kunde, daß der berühmte Arzt Theophrastus Pa-racelsus in Salzburg weile und vielen als unheilbar geltenden Krankendurch seine Wunderkuren ihre Gesundheit wiedergebe. Hoffnungsvollreiste die Frau nach Salzburg, nahm im „Goldenen Schiff" Quartierund ließ sogleich den Wunderdoktor holen. Der untersuchte sie gründ-lich, schüttelte bedauernd den Kopf und sagte: „Liebe Frau, so leid esmir tut, muß ich Euch sagen, hier versagt meine ärztliche Kunst; gegendieses Leiden habe ich bisher noch kein Mittel gefunden."

Es war dem Meister sichtlich sehr unlieb, sein Unvermögen einzu-gestehen; die Frau aber war trostlos, daß ihre letzte Hoffnung zunichtegeworden sei. Verzweifelt eilte sie in ihr Zimmer und wälzte sich jam-mernd auf ihrem Lager; denn nun war ihr die letzte Hoffnung genom-men, je wieder zu gesunden. Da öffnete sich plötzlich die Tür, und mitstolzer Miene betrat ein kleiner Wicht den Raum. Er gehörte zu jenenseltsamen Wesen, die in großer Zahl das Innere des Untersberges be-völkern, kluge Zwerge, die manche Kenntnisse haben, von denen sichdie Weisheit der Erdenmenschen nichts träumen läßt. Mit pfiffigem

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Lächeln trat der Zwerg an das Bett der Kranken und sagte: „Ja , biszur letzten Weisheit sind auch die Menschen noch nicht vorgedrungen.Euer berühmter Paracelsus hat versagt, ich aber weiß das Mittel, dasEuch gesundmachen kann, und werde Euch helfen. Dafür sollt Ihraber ein Jahr lang an mich denken und meinen Namen nicht vergessen.Ich heiße Hahnengickerl, merkt es Euch wohl, Hahnengickerl. Nacheinem Jahr komme ich wieder, und wenn Ihr dann nicht mehr wißt,wie ich heiße, müßt Ihr mir als meine Gemahlin in den Untersbergfolgen."

Die Frau dachte, der Name sei wohl nicht schwer zu merken, Gesund-heit aber könne ihr niemand verschaffen; sie war mit dem Handeleinverstanden, der Zwerg murmelte seinen Gesundspruch und schrittdann mit gewichtigen Schritten zur Tür hinaus. Von der Stunde anwar die Frau wieder gesund und freute sich ihres Lebens. Glücklichund ohne Sorgen, dachte sie nicht einmal mehr daran, daß sie so langekrank gewesen, und bald war ein Jahr seit ihrer Heilung vergangen.Eines Tages erinnerte sie sich an den Zwerg, aber, o Schreck, seinName war ihr entfallen. Sie riet hin und her und kam doch nicht dar-auf. Immer näher rückte der Tag, an dem der Zwerg wieder erscheinensollte. Sie fragte alle Leute um die Namen von Zwergen, hörte dieseltsamsten Worte, aber das vergessene war nicht darunter. Da ließ dieFrau bekanntmachen, ihr halbes Vermögen wolle sie geben, wenn manihr den richtigen Namen des Zwerges sage. Doch niemand konnte ihrhelfen.

Da ging eines Tages ein armes Mädchen, dessen Mutter schwerkrankzu Hause lag, auf den Untersberg, um heilkräftige Kräuter für seinMütterlein zu sammeln. Durch das Dickicht schlüpfend, kam das Mäd-chen zu einer Felsspalte, aus der jubelnde Laute herausdrangen. Alssich die junge Kräutersammlerin neugierig vorbeugte, um den lustigenSänger zu erspähen, bemerkte sie im Hintergrund der Spalte ein kleinesMännlein, das wie toll im Kreis herumhüpfte und, in die Hände klat-schend, ein über das andere Mal jubelnd ausrief:

„Juche, bin ich froh,weil die Frau nicht weiß,daß ich Hahnengickerl heiß!"

„Hahnengickerl?" dachte das Mädchen, das von dem Wunsch derfremden Frau, einen seltsamen Zwergennamen zu wissen, gehört hatte;vielleicht war das der Name, den die Frau zu erfahren wünschte! Sieließ alles liegen und stehen und lief, was sie laufen konnte, ins „Gol-dene Schiff" nach Salzburg, wo sie sich gleich bei der Fremden anmeldenließ. Rasch erzählte sie der verwundert aufhorchenden Frau, was sieauf dem Untersberg gehört hatte.

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„Ja, Hahnengickerl, so war der Name des Zwerges", rief die Frau,und Tränen der Freude entströmten ihren Augen. Reich beschenktkehrte das Mädchen zu seiner Mutter zurück, und von Armut undSorge war fortan keine Rede mehr. Der Zwerg Hahnengickerl abermußte wohl irgendwie erfahren haben, daß sein Name verraten sei under mit langem Gesicht abziehen müßte; denn als der bewußte Tag heran-kam, ließ sich kein Hahnengickerl sehen.

Die Frau aber reiste geheilt und glücklich von Salzburg ab und lebtegesund bis ins hohe Alter.

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Doktor Faust und der Salzburger Kellermeister

Es war in jenen Tagen, als vor den Toren Salzburgs noch grüne Re-benhügel lagen, da hatte Doktor Faust zur Fastnachtszeit, wo man

gern allerlei Scherz und Kurzweil treibt, einen Kreis froher Gesellenum sich versammelt. Es waren Studenten und gute Bekannte, die derDoktor mit feurigem Wein und den feinsten Leckerbissen bewirtete. Dietrinkfesten Zecher sprachen dem edlen Rebensaft fleißig zu, und heitereScherzreden trugen dazu bei, die frohe Laune des Wirtes und seinerGäste zu erhöhen. Das übermütige Gelage dauerte bis spät in die Nachthinein. Da wandelte den Doktor die Lust an, eine Fahrt über Landzu machen und zur Abwechslung einen andern Wein zu probieren.„Kommt mit mir", rief er seinen Zechgenossen zu, „wir wollen eineKellerpartie machen und versuchen, ob auch anderswo ein guter Trop-fen für uns bereitliegt. Die Keller des Bischofs von Salzburg sind mitWeinen trefflich bestellt; warum sollten wir unsere Gaumen nicht mitköstlichem Bischofswein laben? Ich verspreche euch leichte, gefahrloseFahrt dorthin; der Bischof aber kann ein paar Gläschen leicht ver-schmerzen."

Jubelnd stimmte der übermütige Chor der weinseligen Zecher demVorschlag ihres ausgelassenen Wirtes zu und drängte sich mit ihm inden Garten, wo an der Wand eine lange Leiter lehnte. Auf Fausts Ge-heiß wurde die Leiter bereitgelegt, auf jede Sprosse setzte sich einerder Gesellen, und an ihre Spitze schwang sich rittlings der zauberkun-dige Meister. Eine Beschwörungsformel murmelnd, packte er die zweiLeiterbäume wie die Zügel eines Pferdes, und fort ging's im Hui in sau-sender Fahrt durch die Lüfte dahin, daß die Mützen der Fahrgäste flo-gen und die Mäntel im Wind flatterten.

Mitternacht war längst vorbei, als sich das seltsame Gefährt inder bischöflichen Stadt Salzburg zur Erde senkte und durch ein offenesFenster geradewegs in den Keller des Bischofspalastes hineinfuhr. Nichtsrührte sich mehr; der Bischof und seine Domherren mit ihrer Diener-schaft mochten wohl schon in tiefem Schlaf liegen.

Faust schlug Licht, und da lag vor den glänzenden Blicken der dur-stigen Eindringlinge Faß an Faß im weiten Gewölbe, daß ihnen vorFreude das Herz im Leibe lachte. Sie machten sich's an den Tischenbequem und gingen daran, alle Fässer der Reihe nach durchzukosten,bis sie das Fäßlein mit dem allerbesten Wein herausgefunden hatten. Beidem blieben sie dann, tranken es leer und rieben sich vor Wohlbehagenwonnig die Bäuche.

So hatten sie unter Scherz und Gesang wohl eine Stunde gezecht, daöffnete sich plötzlich die Tür, und der Kellermeister trat, eine Laternein der Hand, in den Keller herein. Er hatte noch nicht geschlafen und

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D o k t o r F a u s t u n d d e r S a l z b u r g e r K e l l e r m e i s t e r

kam nun, um für sich und seine Gesellen einen Schlaftrunk zu holen.Entsetzt blieb er stehen, als ihm der Lärm trunkener Stimmen aus

dem hellerleuchteten Gewölbe entgegenscholl und er eine Runde lusti-ger fremder Zecher an den Tischen erblickte.

„Wer seid ihr? Wie kommt ihr hierher?" stammelte er bestürzt; dabeiwäre im ersten Schrecken seinen zitternden Händen die Laterne fastentglitten. Aber er faßte sich bald, als er sah, daß er es nur mit einerRotte Betrunkener zu tun hatte, die kaum mehr auf ihren Füßen stehenkonnte, und donnerte sie an: „Ihr unverschämtes Diebsgesindel, dieLust an fremdem Wein soll euch bald vergehen, ihr werdet eure Frech-heit teuer bezahlen!" Und er hielt ihnen eine Strafpredigt, daß ihndie weinschweren Gesellen verblüfft mit offenen Mäulern anglotzten.

Als sich der Kellermeister den ersten Zorn von der Leber geredethatte, machte er Miene hinauszueilen, um Leute aus dem Schloßgesindezu Hilfe zu holen. Aber Doktor Faust erkannte seine Absicht, packteihn an den Haaren und hielt ihn fest. Dann hieß er seine Begleiter nochrasch ein paar Flaschen von der besten Sorte einstecken und an die Leitertreten. Mit einem Schwung setzte er den Kellermeister vor sich auf dasZaubergefährt, und ehe der überraschte Dickwanst noch recht wußte,wie ihm geschah, erhob sich das hölzerne Flugzeug und schwebte zumFenster hinaus, in die frische Morgenluft.

Halb aus Zorn, halb aus Angst stimmte der unfreiwillige Fahrgastein mörderisches Geschrei an, daß es über die Dächer schallte und demDoktor samt seinen Genossen schrill in den Ohren gellte. Das Zeterge-schrei wurde dem Doktor auf die Dauer aber doch zu arg, und als sieüber einem großen Wald dahinschwebten, setzte er den sich sträubendenund vor Angst heulenden Kellermeister, der nun sein letztes Stündleingekommen glaubte, auf dem Wipfel einer mächtigen Tanne ab. Nun warwohl die ärgste Gefahr vorübergegangen; denn das unheimliche Fahr-zeug flog weiter, und der erschrockene Kellermeister lebte noch undatmete auf. Aber da hing er nun auf dem höchsten Wipfel einer Tanne,klammerte sich verzweifelt an den schwankenden Ästen fest und wußtenicht ein noch aus. Der Angstschweiß trat ihm auf die Stirn, es warstockdunkle Nacht, und weit und breit war kein Mensch zu sehen oderzu hören. Sooft er aber den Versuch wagte, nach abwärts zu klimmen,bogen sich die Äste unter seinem Gewicht und schwankten so beäng-stigend hin und her, daß er sich rasch wieder ruhig verhielt, um einendrohenden Sturz auf den Erdboden zu vermeiden. So fügte er sich dennin sein Schicksal und wartete seufzend und stöhnend bis der Morgenanbrach, während Doktor Faust mit seinen Gefährten inzwischen glück-lich zu Hause gelandet war, wo sie den Spaß belachten.

Erst als die Sonne über den Bergen emporstieg, sah der vor Kälte aufseinem Hochsitz halb erstarrte Kellermeister ein paar Bauern heran-

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kommen, die ihre Körbe mit Butter und Eiern zum Verkauf in dieStadt bringen wollten. Hoffnungsvoll hob der Entführte ein lautes Hilfe-geschrei an. Erstaunt horchten die Bauern auf. Als sie den Mann aufdem höchsten Wipfel der Tanne kleben sahen, konnten sie nicht begrei-fen, wie dieser dicke Tannenzapfen da hinaufgekommen sein mochte.Als sie aber in dem Jammernden nun gar den bischöflichen Kellermeistererkannten, stieg ihre Verwunderung aufs höchste.

Da sie sich nicht getrauten, den wohlbeleibten Herrn allein zur Erdeherabzubringen, er ihnen aber reichlichen Lohn versprach, liefen sie eilig in die Stadt, um Hilfe herbeizuholen. Als sie dann am bischöflichenHof ihr Erlebnis erzählten, glaubte ihnen zunächst kein Mensch. Aberda der Kellermeister trotz eifrigen Suchens nirgends aufzufinden war,bequemte man sich doch dazu, nachzuforschen, was an der Meldungder beiden Bauern Wahres sei. Mehrere bischöfliche Knechte erhieltenden Auftrag, im Wald an der von den Bauern bezeichneten Stelle Nach-schau zu halten, und viel Volk schloß sich ihnen an.

Lärmend und schreiend näherte sich die Volksmenge dem Wald.Als man aber wirklich im Wipfel der höchsten Tanne Seiner bischöf-lichen Gnaden Kellermeister wie ein Häufchen Unglück dasitzen sah,wollte das Lachen und Schreien kein Ende nehmen. Mit vieler Müh'und Plage und nicht ohne neuerliche Lebensgefahr für den Ärmstengelang es schließlich ein paar geübten Kletterern mit Hilfe eines Seils,

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den angstbebenden Kellermeister auf den sicheren Erdboden zu lotsen.Man mußte ihn aber stützen, sonst wäre er vor Schwäche umgesunken.Da er nicht imstande war, zu gehen oder zu Pferd zu steigen, brachteman ihn in einer Sänfte in die Stadt und übergab ihn seinem bischöf-lichen Herrn. Gott aus tiefstem Herzensgrund für seine Errettung dan-kend, erzählte er nun, was ihm in der letzten Nacht widerfahren war.Haargenau schilderte er seine Erlebnisse, aber gerade das, was seinbischöflicher Landesherr wissen wollte, war er nicht in der Lage zusagen, nämlich wer die Weindiebe gewesen seien und wer diese unfrei-willige Luftfahrt ausgeführt und ihn im Wald ausgesetzt habe.

Erst viele Jahre später verbreitete sich das Gerücht, daß bei dieserZauberfahrt der berühmte Doktor Faust seine Hand im Spiel gehabthabe. Dem Kellermeister aber war seit jener Zeit die Lust vergangen,sich noch spät abends einen Schlafschoppen zu besorgen. Alles Goldder Erde hätte ihn nicht dazu bringen können, nach dem Abendläutennochmals in den Keller zu gehen.

Der Weinfuhrmann

Es mag mehr als hundertfünfzig Jahre her sein, da brachte ein Wein-fuhrmann mit seinem Wagen eine Ladung Wein von Tirol nach

dem Land Salzburg, um sie in der Stadt Hallein zu verkaufen. Als erzur Almbrücke bei Niederalm, einem Dorf am Fuß des Untersberges,kam, trat ihm ein Zwerg entgegen, der aus dem Wunderberg stammte,und fragte ihn, was er da führe. Der Fuhrmann erwiderte, er wolle eineLadung Wein nach Hallein zum Verkauf bringen. Da sagte das Männ-lein: „Fahre mit mir, ich will dir den Wein mit barer Münze bezahlen,du sollst mehr dafür erhalten, als du in Hallein dafür lösen würdest."

Der Fuhrmann weigerte sich entschieden mitzukommen und meinte:„Ich muß doch den Wein dem Herrn bringen, der ihn bestellt hat."Dabei knallte er mit der Peitsche und wollte die Pferde antreiben, ihrenWeg wieder fortzusetzen.

Aber das Männlein fiel den Pferden in die Zügel und rief dem Mannzornig zu: „Fuhrmann, wenn du nicht mit mir fahren willst, sollst duauch nicht nach Hallein kommen. Ich will dich so in die Irre führen,daß du Weg und Richtung verlierst."

Diese Drohung schüchterte den Fuhrmann ein. Er wußte nicht, wie erdem Männchen entkommen noch was er anfangen solle. Der von demZwerg versprochene Kaufpreis für den Wein schien ihm zwar sehr un-sicher und nebelhaft, aber um nicht alles zu verlieren, fügte er sichschließlich ins Unvermeidliche und gab dem Kleinen zu verstehen, daßer sich eines Besseren besonnen habe und mitfahren wolle.

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Zufrieden mit dem Kopf nickend, bestieg das Männlein den Kutsch-bock, und der Fuhrmann setzte sich daneben. Nun ging's in flotterFahrt geradewegs dem Berg zu, und so glatt und eben schien der Weg,als führen sie auf der schönsten und ebensten Straße. Als sie schon ganznahe am Berg waren, überkam den Fuhrmann große Müdigkeit; er warnicht imstande, sich wach zu erhalten, und schlief ein.

Als er wieder erwachte, fuhr der Wagen gerade auf ein prächtigesSchloß zu, das sich auf einem steilen, künstlich behauenen Felsen erhob.Aus rotem und weißem Marmor waren die Mauern erbaut, und einelange Reihe kristallener Fenster unterbrach die marmorne Front, überdie ein mächtiger Turm hinausragte, dessen kupfernes Dach sich leuch-tend vom Abendhimmel abhob. Rings um das Schloß lief ein breiter,tiefer Graben, und außerdem verwehrte eine mächtige Ringmauer, diesich vor dem Graben erhob, den Zugang zum Schloß. Wollte man aberhineingelangen, so mußte man sieben Brücken und Tore und ebensoviele Fallgatter passieren.

Staunend lenkte der Fuhrmann seinen Wagen durch alle diese Be-festigungen hindurch und kam ins Innere des Schlosses in einen weitenHof, wo sich an allen Fenstern Gesichter zeigten, die neugierig auf denAnkömmling mit seinem Fuhrwerk hinabschauten. Es schien dem Mann,als wäre in all diesen Gesichtern große Freude über seine Ankunft zulesen. Bald kamen auch viele Männlein aus dem Gebäude in den Hofgelaufen, manche in schönen Röcklein, andere nur halb bekleidet; siemochten zur Dienerschaft oder zum arbeitenden Gesinde gehören. Einervon den Zwergen machte sich durch sein Gehaben bald als der Keller-meister kenntlich. Ein grauer Bart wallte bis über sein dickes Bäuchleinherab, und die eisgrauen Haare reichten weit über die Schultern; ander Seite trug er eine Tasche und einen Schlüsselbund.

Behäbig trat er an den Wagen heran und musterte mit Kennerblickendie gern gesehene Ladung. Dann wandte er sich an den zitternden Fuhr-mann und sprach: „Willkommen, lieber Freund! Hab keine Angst;du sollst reichlich bewirtet werden. Ich will dir zu essen und zu trinkenherbeischaffen lassen, was dein Herz begehrt." Aber trotz der freund-lichen Worte schlotterten dem Fuhrmann die Knie, und er konnte vorAngst keinen Laut hervorbringen.

Auf einen Wink des Kellermeisters sprangen flink ein paar der um-stehenden Männlein heran, spannten die Pferde aus und führten sie inden Stall; andere nahmen den ängstlichen Fuhrmann in ihre Mitte undgeleiteten ihn in eine freundliche Stube im Erdgeschoß des Schlosses, wosie ihn nötigten, sich an einem sauber gedeckten Tisch niederzulassen.Geschäftig eilten sie hin und her und brachten blitzblank geputztes Zinn-geschirr auf den Tisch. Es dauerte nicht lange, so schleppten wiederandere Speisen und Getränke in Hülle und Fülle herbei, daß er sich wohl

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sattessen konnte. Als sich der Fuhrmann nach dem Mahl behaglichzurücklehnen wollte, luden sie ihn freundlich ein mitzukommen; siewollten ihm das ganze Schloß und alle Herrlichkeiten zeigen.

Nun wäre der Mann wohl lieber noch ein wenig sitzen geblieben, umdas gute Mahl zu verdauen und auszuruhen, aber er wagte keinen Wi-derspruch und folgte seinen liebenswürdigen Wirten. Diese führten ihnzunächst über eine Stiege von fünfunddreißig mattvergoldeten Stufen ineinen großen, prächtigen Saal, dessen Wände kostbare Stickereien be-deckten. Durch hohe, breite Fenster, die unverglast waren, fiel Lichtin den weiten Raum. Von hier aus wandten sie sich in einen zweitenSaal, der den ersten an Schönheit weit übertraf. Der Fußboden warmit blanken Marmorplatten belegt, in denen sich das leuchtende Goldder Wände und die prächtigen Zieraten der hochgewölbten Decke inhellem Glanz spiegelten; das Kristall der mächtigen Bogenfenster zer-legte die einfallenden Sonnenstrahlen in vielfältigen Schimmer, daß dieganze Halle in allen Farben glänzte und gleißte. Das Merkwürdigsteaber in dem ganzen Saal waren vier aus edlem Metall gegossene Stand-bilder, die ein riesiges Ausmaß hatten und mit höchster Kunst gearbeitetwaren. Die riesigen Gestalten trugen goldene Ketten an den Armen,als ob sie Gefangene wären. Ein zierliches Bergmännchen, das einegoldene Krone trug, hielt die vier Enden der Ketten.

Der Fuhrmann betrachtete die vier metallenen Männer geraumeWeile. Da fragte ihn einer seiner kleinen Begleiter: „Fuhrmann, ver-stehst du, was diese Riesen mit den goldenen Ketten und das kleineMännchen mit der goldenen Krone für die Zukunft bedeuten sollen?"Jener aber meinte, das wisse er nicht; da sagte das Männlein nichtsweiter, und niemand hat später dieses Rätsel gelöst. Manche meinen,die vier Riesen und das Bergmännlein bedeuten, daß einst in vier Welt-teilen sich Krieg erheben wird oder daß die vier größten Herrschervon dem Kleinsten abhängig werden.

Im Weitergehen sah der Fuhrmann in diesem Saal noch eine großeMenge kostbarer, mit Gold und Edelsteinen verzierter Rüstungen,Helme und Schwerter sowie viele unbekannte Geschosse. An den Wän-den erblickte er zahlreiche Tische, ob aus Stein oder edlem Metall,konnte er nicht unterscheiden, doch waren alle reich mit blinkendemGold und funkelnden Edelsteinen verziert.

Nun traten sie in einen dritten Saal, der sich an Schönheit und Pracht mit dem soeben verlassenen wohl messen konnte. Da standen in Reihenwohlgeordnet prächtige Lagerstätten, die zierliche Schmiedearbeit auf-wiesen und mit edelsteinglänzenden Verzierungen geschmückt waren.

Hier machten sie halt, und einer der Zwerge setzte sich an den Tischund lud den Fuhrmann ein, neben ihm Platz zu nehmen. Dann zog ereinen großen Beutel mit Gold aus der Tasche, zählte dem freudig über-

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raschten Mann hundertachtzig Dutzend Dukaten vor und sagte: „Hierhast du den versprochenen Kaufpreis. Verschaffe dir damit einen ande-ren Wein, du wirst damit dein Leben lang Handel treiben können, undalles wird dir immer gut ausgehen! Von dem, was du hier im Berg erlebthast, sprich aber, solange du lebst, zu keinem Menschen ein Wort!"

Der glückliche Fuhrmann verwahrte sein Geld, dann geleiteten ihndie Zwerge in den Schloßhof hinaus, wo schon andere Männlein dabeiwaren, die Pferde des Mannes aus dem Stall zu ziehen und an den ge-leerten Wagen zu spannen. Als sie bemerkten, daß eines der Pferdeblind war, nahmen sie einen Stein, der einen roten und blauen Glanzausstrahlte, und strichen damit über die Augen des Pferdes. Sogleichwurde es wieder sehend. Den Stein schenkten sie dem Fuhrmann undsagten, er möge damit anderen blinden Pferden helfen. Hierauf ver-abschiedeten sie sich von dem Mann und kehrten in das Schloß zurück.

Aber gleich danach traten drei andere Männlein zu ihm, die schwarzeKleider, auf dem Kopf aber grünsamtene Mützen mit roten Federntrugen. Diese sagten zum Fuhrmann: „Du hast recht getan, den Wein,den du führtest, uns zu verkaufen. Ermahne auch deinen Bruder, daß ervon dem Wein, den er im Überfluß hat, uns verkaufen möge!"

Voll Staunen und Verwunderung über all das, was er gesehen undgehört hatte, fuhr der Mann weiter und sah sich plötzlich wieder andem Ort, wo er mit dem ersten Männlein zusammengetroffen war. Glück-lich erreichte er seine Heimat und konnte fortan ein sorgenfreies Lebenführen. Die hundertachtzig Dutzend Dukaten vermehrten sich zwarnicht, aber sie gingen auch nie zu Ende, obwohl er den Armen viel gab.

Getreu dem Gebot der Bergmännchen sprach er niemals ein Wort vondem, was er im Wunderberg gesehen und gehört hatte. Erst als er aufdem Sterbebett lag, offenbarte er alles, was ihm damals zugestoßen war.

Ritter Tannhäuser aus dem Lungau

In der Kirche zu Maria Pfarr im Lungau erinnert ein Grabstein, dereinen Helm mit geschlossenem Visier, einen Schild und den Fuß eines

großen Raubvogels mit gespreizten Krallen zeigt, an den Ritter Konradden Tannhäuser, von dem eine unheimliche Geschichte erzählt wird.

Dem Ritter wurde vorgeworfen, sich schwer vergangen zu haben. VorGericht gestellt, beteuerte er zwar seine Unschuld, wurde aber trotzdemzum Tode verurteilt. Immerhin ließen sich die Richter so weit zu einerMilderung des Urteils herbei, daß sie den letzten Entscheid einem Gottes-gericht anheimstellten. Man trug dem Ritter auf, um die Mitternachts-

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stunde mit seinem Streitroß den babylonischen Turm zu durchreiten.Dieser maß zwölf Stunden im Umkreis und drei Stunden im Durch-messer und war der Aufenthaltsort zahlreicher greulicher Tiere, ver-bannter Seelen von Übeltätern und Verbrechern, die in Gestalt vonTigern, Drachen, Molchen, riesigen Schlangen, Geiern und Adlern unddes schrecklichen Vogels Greif dort hausten. In der Mitte des Turmeshatte der oberste Herr aller dieser scheußlichen Wesen, der HöllenfürstLuzifer, in eigener Person seinen Sitz aufgeschlagen. Seinem Willenbeugten sich alle Bewohner des Turms und harrten ängstlich seinesBefehls, mit wildem Geheul durch den weiten Turm zu rasen. Tagtäg-lich erging dieser Befehl, und Tag für Tag mußten die Geister der Ver-dammten mit schauderlichem Getöse die wilde Jagd antreten. Nur in derStunde vor Mitternacht ruhte alles, um mit dem Glockenschlag zwölfaufs neue zu beginnen.

Wenn daher jemand das Wagnis unternehmen wollte, diesen gräß-lichen Höllenpfuhl zu betreten, so mußte er dies in der Ruhestunde derGeister tun und trachten, vor Beginn der neuen Jagd wieder das Freie zuerreichen, wollte er nicht rettungslos verloren sein.

Das tat auch der Ritter. Genau eine Stunde vor Mitternacht trat erseinen unheimlichen Ritt an. Mit Windeseile suchte er den düsterenRaum zu durchqueren, in dem lautlose Stille herrschte. Neben seinemWeg reihte sich ein Ungeheuer ans andere, scheußlich anzusehen, aberregungslos, noch im Schlaf befangen. Erst der mitternächtige Ruf ihresHerrn sollte sie zu neuem Leben erwecken.

Der Ritter spornt sein Pferd, treibt es zu höchster Eile an, trachtet aufjede Weise, den jenseitigen Ausgang des Turmes zu erreichen. Nur mehrzwei Minuten fehlen, dann ist die ihm gebotene Frist abgelaufen. Schonsieht er das Tor, schon glaubt er sich gerettet, da ertönt ein Hornruf, undmit einem Schlag sind alle die grimmigen Bestien ringsumher erwacht.Entsetzt stachelt der Ritter sein Pferd zur äußersten Kraftanstrengungauf — aber immer näher und näher kommt das gräßliche Geheul deswilden Heeres; Drachen, Tiger, Schlangen drängen von allen Seitenheran. Noch einmal gelingt es dem kühnen Reiter auf seinem wild da-hinrasenden Pferd, dem wütenden Griff der heranstürmenden Ungeheuerzu entrinnen. Schon fühlt er sich sicher, denn mit einigen Sprüngen mußsein Pferd den Ausgang erreicht haben: da braust es durch die Lüfte,und zwei mächtige Pranken krallen sich in den Rücken des in Todesnotaufwiehernden Pferdes. Es ist der Vogel Greif, das schrecklichste allerRaubtiere, das den Reiter erreicht hat. Wild bäumt sich das arme Pferdin fürchterlichem Schmerz, mit schrecklichem Geheul schießen die an-deren Untiere herbei, und der Ritter scheint verloren.

Da reißt er mit kräftigem Ruck sein Schwert aus der Scheide, holt auszu mächtigem Schwung und trennt mit einem Hieb die eingekrallten

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Pranken vom Leib des schrecklichen Vogels. Mit letzter Kraftanstren-gung macht das Pferd einen gewaltigen Sprung, und im nächsten Augen-blick stehen Roß und Reiter gerettet im Freien.

Gott hat für den Ritter entschieden.

Die Eulenmutter von Zell am See

Einst lebte in Zell am See ein reicher Bauer, der wegen seines Fleißesund seiner Rechtschaffenheit im ganzen Ort und weit im Umkreis

angesehen und beliebt war, während man seiner Frau nicht gerade dasbeste nachsagte. Ihre Nachlässigkeit und Verschwendungssucht warenallgemein bekannt, besonders aber ließ sie es an der gebotenen Sorge undLiebe für ihre zwei Kinder gar oft mangeln. Da befiel den Bauern eineschwere Krankheit, der er in kurzer Zeit erlag.

Nun übernahm die Frau die Führung der Wirtschaft und hatte esdurch ihren grenzenlosen Leichtsinn, mit dem sie das Geld mit vollenHänden um sich warf, bald so weit gebracht, daß Haus und Hof über-

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D i e E u l e n m u t t e r v o n Z e l l a m S e e

schuldet waren und zuletzt versteigert wurden. Die Frau mußte zu frem-den Leuten ziehen und war auf die Mildtätigkeit gutherziger Menschenangewiesen. Die Kinder zwang sie, betteln zu gehen, und was sie vonihren Bettelgängen nach Hause brachten, war bald wieder vertan. Dochnicht genug damit, peinigte die herzlose Mutter die armen Kinder aufalle erdenkliche Weise und überhäufte sie mit den rohesten Schmäh-worten, wenn sie einmal weniger Geld erbettelt hatten, als die Raben-mutter wünschte. An solchen Tagen erhielten die beiden auch nichtszu essen.

Eines Tages hatten die Kinder wieder nicht genug nach Hause ge-bracht und wurden daher von der Mutter zum Fasten verurteilt. Alsdann der Hunger übermächtig wurde und die Kinder um ein StückleinBrot baten, schalt die unmenschliche Mutter: „Wenn doch dieses unauf-hörliche Gejammer ein Ende nähme! Ich wollte, ihr wäret von Stein,dann hätte ich endlich Ruhe!"

Kaum hatte sie diese lieblosen Worte gesprochen, als sich der Himmelplötzlich mit dichten schwarzen Wolken bedeckte. Ein fürchterlichesUnwetter brach los, ringsherum zuckten die Blitze, und schwere Donner-schläge rollten ohne Unterlaß. Als das Toben der Elemente sich beruhigt

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D i e „ H u n d e v o n D o r f h e i m " b e i S a a l f e l d e n

hatte, lagen an der Stelle, wo eben noch die beiden Kinder gestandenwaren, zwei Steinblöcke, die an Gestalt und Aussehen diesen ähnlichsahen. Ein Schreckensruf entrang sich dem Mund des unvernünftigenWeibes; jetzt erwachte die Mutterliebe in ihr, aber es war zu spät. AllesJammern, Weinen und Klagen half nichts mehr; zu Stein geworden,wie sie vermessentlich gewünscht hatte, starrten ihr die beiden Kinderentgegen.

Die Frau verschwand aus dem Ort. Einige Tage später aber sahen dieDorfbewohner eine Eule, die die beiden Steinbilder unaufhörlich um-kreiste und dabei ein mißtöniges, unheimliches Geschrei ausstieß. Eswar die unglückliche Mutter der beiden bedauernswerten Kinder, dieverurteilt ist, bei Tag als Eule die Steine zu umflattern, bei Nacht aberin menschlicher Gestalt ruhelos umherzuwandern. Mancher späte Wan-derer soll gesehen haben, wie sie in finsteren Nächten klagend bei denSteinen umherhuschte.

Die „Hunde von Dorfheim" bei Saalfelden

Nicht weit von Saalfelden erhebt sich auf einer Anhöhe das SchloßDorfheim, das einstmals den Herren von Hund gehörte. Der Ahn-

herr dieses Geschlechtes, ein mächtiger Ritter namens Isenbart, hatteeine schöne, stolze Ehefrau, die verachtungsvoll auf ihre Untertanen her-absah. Einst zog der Ritter mit seinen Knechten zum Kampf aus, wäh-rend Frau Irmentritt, die ein Kind erwartete, auf der festen Burg imSchutz ihrer treuen Diener zurückblieb.

Als die Schloßfrau eines Tages vor der Burg spazieren ging, trat einearme Frau an sie heran, die vor kurzem Zwillinge geboren hatte, undflehte sie um eine kleine Gabe an. Frau Irmentritt aber fuhr sie mitharten Worten an, verspottete sie wegen des Kindersegens, der ihr zu-teil geworden, und befahl ihr schließlich, sich schleunigst davonzuma-chen, sonst lasse sie die Hunde auf sie hetzen.

Gekränkt und zornig rief das Weib der Schloßfrau zu: „Gott strafedich für deinen Hochmut und deine Hartherzigkeit! Nicht zwei, sondernzwölf Kinder sollst du auf einmal bekommen, damit du siehst, daß jederMensch sich in den Willen Gottes fügen muß!"

So sprach die Frau und entfernte sich in höchster Erregung. Ihr Fluchaber sollte bald in Erfüllung gehen. Schon nach wenigen Tagen schenktedie Schloßfrau zwölf Kindern zugleich das Leben. Da ihr dieser allzureiche Kindersegen unwillkommen war, befahl sie ihrer Magd, elf vonden Kindern in einen Korb zu legen und im nahen Fluß zu ertränken.„Wenn dir aber", fügte die Burgherrin hinzu, „unterwegs mein Gemahl

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begegnen und dich fragen sollte, was du im Korb trägst, so sage ihm,es seien junge Hunde, die du zum Fluß brächtest, um sie zu ertränken."

Wirklich wollte es der Zufall, daß die Magd dem heimkehrenden Rit-ter über den Weg lief. Er hielt die Dienerin an, fragte, was sie da imKorb habe, und schlug, da ihm die verlegen und stotternd erteilte Ant-wort verdächtig schien, den Deckel des Korbes zurück. Siehe da, nichtjunge Hunde, sondern elf nackte Knäblein blickten ihm entgegen. Dawarf sich die Magd in ihrer Todesangst weinend dem Herrn zu Füßenund bekannte den wahren Hergang der Sache. Der Ritter hörte sie ruhigan, gebot strenges Stillschweigen und ließ die Kinder auf den Hof einestreuen Untertanen tragen, wo sie erzogen werden sollten. Dann kehrteer auf sein Schloß zurück, ohne seiner Gattin ein Wort von dem Vorfallzu sagen oder sie auch nur im geringsten merken zu lassen, daß er alleswisse.

Zwölf Jahre vergingen. Der zurückbehaltene Knabe wuchs und ge-dieh, und ebenso waren aus den elf Brüdern auf dem Hof des Unter-tanen kräftige Jungen geworden. Da ließ Ritter Isenbart ein prächtigesFestmahl veranstalten, zu dem er viele Verwandte und Freunde lud.

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D i e M o o s h a m e r i m L u n g a u

Auch die elf Brüder wurden, ebenso gekleidet wie der zwölfte, zum Festbeschieden. Mitten während des Mahles, an dem auch die stolze Irmen-tritt teilnahm, warf Isenbart im Gespräch die Frage auf, welche Strafeeiner Mutter gebühre, die eines oder mehrere ihrer Kinder ermordethabe. Erbleichend im Bewußtsein der eigenen Schuld, aber doch mitstolzer Sicherheit, daß niemand um ihre Untat wisse, gab Irmentritt zurAntwort: „Sie hat die schrecklichste Strafe verdient; ihr gebührt, alsKindesmörderin öffentlich verbrannt zu werden!"

„Frau, du hast dein eigenes Urteil gesprochen!" erklärte finster derRitter und gab den Dienern einen Wink, die Tür ins Nebengemach zuöffnen. Heraus traten elf Knaben, die dem zwölften, der an der Tafelsaß, in allem und jedem glichen. Wie vom Blitz getroffen, stürzte FrauIrmentritt zu Boden, von hinten ergriff sie ein kaltes Gerippe, setztesie auf eine alte Mähre, und durch die Luft ging's dahin ins ewige Grab.So blieb ihr wenigstens der schändliche Tod erspart, zu dem sie sichselbst verurteilt hatte.

Die so wunderbar vom Tod geretteten Brüder aber hieß man von nunan die „Hunde", sie wuchsen heran und wurden die Stammväter desweitverzweigten Geschlechts der Herren von Hund.

Die Mooshamer im Lungau

Auf dem alten Schloß zu Moosham im Lungau hausten vorzeitenzwei Brüder, die ein Herz und ein Sinn waren. Was sie einander

von den Augen ablesen konnten, tat einer dem andern zu Gefallen.Nichts schien dieses traute Verhältnis stören zu können.

Da geschah es einst, daß beide Brüder an einem Turnier teilnahmen,bei dem der eine einen goldenen Ring als Preis davontrug, während derandere leer ausging. Dieses an sich geringfügige Ereignis hatte dieschlimmsten Folgen. Neid und Haß keimten im Herzen dessen, der beimTurnier übergangen worden war, und bittere Feindschaft trat bald andie Stelle brüderlicher Liebe. Hatten sie bisher gemeinsam im oberenSchloß gewohnt, so trennten sie sich nun, indem der eine oben wohnenblieb, während der andere im unteren Schloß seinen Aufenthalt nahm.Sie wichen sich aus, wo sie nur konnten, und ließen schließlich alle Fen-ster und Türen vermauern, so daß keiner den andern zu sehen oder ihmzu begegnen brauchte.

Jahre vergingen, nichts änderte sich im Verhalten der Brüder. Da kameinmal ein fahrender Sänger vor das Schloß und ließ zur Harfe seineLieder erschallen. Er sang von Liebe und Freundschaft und fand so in-nige Worte und herzbezwingende Töne, daß sich die in Groll erstarrten

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Herzen der Brüder zu erweichen begannen. Sie blickten einander freund-lich ins Auge, sie neigten sich schon, um den Versöhnungskuß zu geben,als der Glanz des goldenen Ringleins, das an der Hand des einen Bru-ders blitzte, den kaum erstorbenen Haß des andern von neuem undheftiger als zuvor erweckte. Grimmig griffen sie zu den Schwertern,wild drangen sie aufeinander ein, und nach kurzem Kampf sankenbeide, einer von des andern Hand getroffen, sterbend zu Boden. Nochim Tode verzerrte unauslöschlicher Haß die erstarrenden Züge.

Seit jener schrecklichen Stunde steht das verfallene Schloß verödet,kein Lachen dringt mehr aus seinen Mauern, niemals sind Frieden undGlück dort wieder eingekehrt. Des Nachts aber, wenn düsteres Dunkeldas Land einhüllt, steigen zwei unheimliche Gestalten aus ihren Grä-bern auf, ein feuerrotes Ringlein schwebt über ihnen, jener Ring, derdie brüderliche Liebe getötet. Drohend starren sie einander an undschlagen dröhnend mit den Schwertern los, daß die Funken stieben.Der nächtliche Wanderer, der das schaurige Tosen vernimmt, suchteilig das Weite.

Niemand wagte das verrufene Schloß wieder aufzubauen. Erst ineiniger Entfernung erhebt sich kühn über dem Tal ein neues Grafen-schloß.

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S T E I E R M A R K

Die Auffindung des Erzberges

Wenn man dem Lauf des Erzbaches talab folgt, gelangt man dort,wo der Abfluß des Leopoldsteiner Sees herabrauscht, in einer

im Felsen, aus der dem Wanderer ein unheimlich dunkler Wasserspiegelengen Talschlucht hart an der Straße zu einer grottenartigen Vertiefung

entgegenschaut. Hier soll es gewesen sein, wo vor vielen tausend Jahren,zu König Davids Zeiten, öfter eine sonderbare Menschengestalt aus derdunklen Höhlenflut auftauchte, um sich an der Sonne zu wärmen. DenBergbewohnern war das seltsame Wesen, das einen schuppigen Fisch-leib hatte, wiederholt zu Gesicht gekommen. Sie hielten es für einenWassermann und beschlossen, es bei nächster Gelegenheit zu fangen.Da sie fürchteten, der schlüpfrige Leib des Geschöpfes würde ihrenHänden entgleiten, beschmierten sie einen alten Mantel mit Pech, warfenihn dem im Schlaf ertappten Männchen über den Körper und hielten es

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fest. Sodann fesselten sie es an Armen und Beinen und gaben ihm Speiseund Trank, bis der Kleine, von dem ungewohnten Genuß betäubt, aneine Leine gebunden, mit ihnen talaufwärts ging.

Als sie aber zu der Stelle gelangten, wo man zum erstenmal den Erz-berg erblickt, wurde das Männchen widerspenstig und weigerte sichweiterzugehen. Es sträubte sich mit aller Macht gegen seine Führer,geriet in hellen Zorn und verlegte sich, als alles nichts nützte, aufs Bittenund Betteln; schließlich bot es den Bergbewohnern einen hohen Lohnfür seine Freilassung an.

„Laß hören, was du uns bieten kannst!" meinten die Männer.Da sagte der Kleine: „So wählt euch selber aus, was ihr wollt. Ich

kann euch Goldminen ein Jahr geben, Silberminen auf zehn Jahreoder Eisenminen auf immer. Aber wählet gut!"

Ohne lange zu zögern, riefen die Männer: „Gib uns Eisenminen fürimmer!"

„Ihr habt gut gewählt", erwiderte der Wassermann; „seht, dort stehtder Berg, der euch Eisenmetall für eine Ewigkeit spenden wird; verwen-det es gut zu eurem und eurer Nachkommen Glück und Segen!" Beidiesen Worten wies er auf den unfern sich erhebenden massigen Erzberg.

Da gedachten die Männer zuerst die Ergiebigkeit des Berges zu er-proben und erst dann das Männchen in Freiheit zu setzen, wenn sie sichvon der Wahrheit seiner Worte überzeugt hätten.

Ein halbes Jahr lang bauten sie den Berg ab, an dessen Hängen dasrötliche Eisenerz offen zutage lag. Und wirklich, nach dieser Zeit hattensie so viel reichhaltiges Erz gewonnen, daß sie erkannten, das Männchenhabe die Wahrheit gesprochen. Nun säumten sie nicht länger, dem Was-sermann die Freiheit wiederzugeben. Sie brachten ihn zu der Grotte,neben der sie ihn gefangen hatten, und versenkten ihn wieder in dasdunkle Wasser der Höhle. Da bebten die Felsen ringsumher, dasschwarze Gewässer färbte sich blutrot, und eine höhnische Stimme er-scholl aus der Tiefe: „Um das Beste habt ihr zu fragen vergessen: umden Karfunkelstein und die Bedeutung des Kreuzes in der Nuß." Wasder Wassermann damit sagen wollte, ist ein Rätsel geblieben. Man meint,daß der Karfunkelstein für die Bergleute das beste und sicherste Gruben-licht sei, das Kreuz in der Nuß aber mit der Verwendung des Kompas-ses im Bergwerk zusammenhängt.

Der Wassermann zeigte sich von da an nicht mehr, weder in derGrotte noch im Leopoldsteiner See. Der Erzberg aber ist zum ewigenSegen für das ganze Land geworden.

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Das Gnomenkreuz von Gaal

In dem kleinen Gebirgsdorf Gaal bei Judenburg hauste einmal einarmer Holzhauer, der nichts besaß als eine kleine Holzhütte, die sehr

ärmlich eingerichtet war. Sein Sinn stand nach Geld und Gut und eige-nem Besitz, aber sein Arbeitslohn war so gering, daß er immer geradenur zum Leben reichte.

Eines Tages ging der Mann in den Waid, um seine gewöhnliche Tages-arbeit zu verrichten. Auf dem Weg begegnete er einem Bauern, dessenReichtum in der ganzen Gegend bekannt war. Der Anblick des reichenMannes gab den geheimen Wünschen des armen Holzfällers neue Nah-rung. Mit Gott und der Welt hadernd, schritt er, ohne auf den Weg zuachten, unlustig in den Wald hinein. Aber auf einmal bemerkte er doch,daß er vom richtigen Weg abgekommen war und sich in einer wilden,ihm ganz unbekannten Gegend befand. Während er darüber nachdachte,in welcher Richtung wohl seine Arbeitsstätte liegen mochte, hörte erhinter sich ein Geräusch. Er achtete aber nicht weiter darauf; denn ermeinte, es rühre von einem aufgescheuchten Wild her. Da zupfte ihnjemand am Rock. Erschrocken wandte er sich um, und sein Schreckenwuchs, als er hinter sich ein häßliches, buckliges Männchen mit strup-pigem rotem Haar und Bart stehen sah.

Das Männlein grinste den Holzhauer freundlich an und sagte: „Habkeine Angst, sondern komm mit mir; ich will dir etwas zeigen."

Als der Holzfäller die freundlichen Worte des Kleinen vernahm, ver-lor sich sein Schrecken, und er folgte dem Männlein. Dieses führte ihnin eine tiefe Höhle, die nur vom matten Schein eines Lämpchens, dasvon der Decke herabhing, schwach erhellt war. Im Hintergrund derHöhle waren mehrere Haufen glänzender Goldstücke aufgeschichtet.Auf diese Haufen hinweisend, sagte das Männchen: „Hier siehst duGeld in Hülle und Fülle. Nimm dir davon, stopfe dir alle Taschen vollund tue damit, was du willst, aber sage keinem Menschen, wie du zudem Geld gekommen bist! Das Geld wird dir nie ausgehen, du wirstreicher sein als alle deine Nachbarn und kannst dir anschaffen, wasdein Herz begehrt. Wenn du mich aber verrätst, ist dein Leben in meineGewalt gegeben, und meine Strafe wird furchtbar sein."

Froh, auf so leichte Art zu Geld und Gut zu kommen, füllte derMann seine Taschen mit Gold, versprach dem häßlichen Männlein alles,was es wollte, und eilte jubelnd nach Hause; denn plötzlich sah erauch wieder den richtigen Weg vor sich. Nun wollte er sich mit demgewonnenen Reichtum zunächst einen guten Tag machen und ging insWirtshaus, um einmal nach Herzenslust zu schmausen und zu trinken.Die Wirtshausgäste, die ihn kannten, machten große Augen, als sie denarmen Holzfäller mitten am Werktag in der Wirtsstube erblickten, und

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sie staunten noch mehr, als er sie übermütig einlud, an seinem TischPlatz zu nehmen und mit ihm auf seine Kosten einen gemütlichen Trunkzu tun. Neugierig, wie er so plötzlich zu Geld gekommen sei, folgtensie seiner Einladung und forschten nach der Herkunft des Geldes. Abernoch dachte der Holzhauer an sein Versprechen und hüllte sich darüberin Schweigen. Aber als er einige Gläser Wein getrunken hatte, wurdeer redseliger und plauderte endlich sein ganzes Geheimnis aus. Damitwaren seine Gäste zufrieden, und einer nach dem andern machte sichauf den Heimweg, bis schließlich der Holzfäller allein übrig war undnun auch ans Heimgehen dachte.

Mühsam erhob er sich und ging seines Weges, fiel aber in der Trunken-heit bald in einen tiefen Graben, der sich neben dem Weg hinzog; hierblieb er liegen und schlief seinen Rausch aus. Als er wieder erwachte,war es stockdunkel, es gelang ihm nicht, aus dem Graben herauszukom-men. So kroch er auf Händen und Füßen im Graben weiter fort, bis erin der Ferne ein Licht aufblinken sah, das immer größer wurde. Endlichwar er am Ausgang des Grabens und bemerkte, daß das, was er für einLicht gehalten hatte, ein Feuer war, an dem starr wie ein Steinbild dasrothaarige Männlein saß. Da fiel ihm ein, daß er das Verbot überschrit-

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ten und das Geheimnis des Geldes verraten hatte; voll Angst wollte erdavonlaufen. Aber es war zu spät; denn schon stand das Männlein nebenihm, wurde größer und größer, bis eine riesenhafte Gestalt sich drohendüber ihn reckte und finsteren Blickes mit schrecklicher Stimme demzitternden Holzhauer zurief: „Elender, du hast meine Güte mißbraucht;empfange deinen Lohn!" Mit diesen Worten packte ihn der Gnom, rißihn in zwei Stücke und warf ihn ins Feuer. Darauf verschwand dasMännlein.

Am andern Tage vermißte man den Holzhauer; man suchte in derHütte nach ihm, sah ihn aber nirgends. Erst nach einigen Tagen fandenseine Kameraden zufällig die Asche seines verbrannten Körpers imWald und begruben sie an Ort und Stelle. Zum Gedächtnis an dieseschreckliche Begebenheit wurde auf dem gleichen Platz ein Kreuz er-richtet, das noch heutzutage dort steht und von den Bewohnern dasGnomenkreuz genannt wird.

Die silbernen Buben von Arzberg

Südlich von Passail am Eingang der Raabklamm liegt das Dorf Arz-berg. Unweit des Ortes war lange Zeit ein reicher Silberbergbau im

Betrieb, und der Name des Dorfes wird mit der einstigen Erzgewinnungin Zusammenhang gebracht. Die in der Nähe aufsteigenden GösserWände, im Innern stark zerklüftet, bergen nach der Meinung des Vol-kes noch heute reichhaltige Silbererze, die von seltsamen Bergmännchen,den silbernen Buben, behütet werden.

Einst kam ein armer, aber rechtschaffener Bergknappe namens Jakobin die Gegend von Arzberg, um hier sein Glück im Bergbau zu versu-chen. Er stieg in den umliegenden Bergen umher und kroch alle Fels-hänge ab, beklopfte die Wände und untersuchte herausgebrochene Fels-stücke, um Proben erzhaltigen Gesteins zu finden. Auf seinen Gängenkam er auch in die Gösser Wände und klopfte und hämmerte drauflos;aber nirgends zeigte sich eine der gesuchten Erzadern. Ermüdet von deranstrengenden Arbeit des Tages, legte er sich einmal gegen Abend aufeine kleine Rasenfläche, um ein wenig auszuruhen. Nach kurzer Zeitwar er eingeschlafen.

Als er wieder erwachte, ging es gegen Mitternacht, und der Vollmondtauchte die ganze Gegend in magischen Schimmer. Er stand auf undwollte sich eben auf den Heimweg machen, um sein Nachtquartier, daser in der Hütte eines armen Bauern aufgeschlagen hatte, zu beziehen,als sein Blick auf einen kleinen Wiesenfleck fiel, der im hellen Monden-schein unten im Tale jenseits des Flusses lag. Erstaunt blieb er stehen

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und beobachtete aufmerksam das seltsame Treiben, das sich vor seinenAugen da unten abspielte. Um besser zu sehen, stieg er schließlich vor-sichtig den Hang hinunter und schlich sich, durch das Gebüsch ver-deckt, an die Wiese heran. Eine Schar munterer Knaben in bergmänni-schem Gewand, das silberhell glänzte, sprang und tanzte fröhlich aufder ebenen Wiesenfläche im Zwielicht des Mondes umher. Einige pochtenmit kleinen Hämmern an den Felswänden herum oder schlugen auf dasGestein, daß die Funken sprühten, andere lasen die losgebrochenen

Stücke auf und schafften sie weg, während sie sich dazwischen in nek-kischem Spiel mit kleinen glänzenden Steinen bewarfen. Das alles voll-zog sich so ruhig und geräuschlos, daß den Bergmann ein unheimlichesGefühl beschlich und er sich rasch davonmachen wollte. Aber kaumhatte er einige Schritte getan, als die silbernen Buben ihn bemerktenund mit Steinen nach ihm zu werfen begannen. Er ließ sich aber dadurchnicht aufhalten, sondern setzte eilig seinen Weg fort, obwohl sie ihn mitihren Steinwürfen bis zum Hause seines Quartiergebers verfolgten.

Am nächsten Morgen erzählte Jakob dem Bauern sein nächtlichesErlebnis, und dieser teilte ihm mit, was er über die silbernen Bubenwußte, und riet ihm, an jener Felswand, an der die Kobolde in der ver-gangenen Nacht gearbeitet hätten, nach edlem Erz zu schürfen. DerBergmann befolgte den Rat des Bauern, entlieh sich den Wagen, spanntedie Rosse vor und fuhr ins Gebirge. Schon am Weg begegnete ihm einerder silbernen Buben, so daß er hoffen konnte, die richtige Fährte zuhaben. Tatsächlich hatte er das Glück, auf eine reiche Silberader zustoßen. Nun war er ein gemachter Mann. Er nahm andere Bergknappen

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in seine Dienste und begann das Silber bergmännisch abzubauen. Rei-cher Gewinn war der Lohn seiner eifrigen Arbeit.

Aber das Glück des emsigen Bergmannes erweckte bald den Neid hab-süchtiger Leute. Jakob mußte nämlich einen Teil seines Gewinns nachdem Recht der damaligen Zeit an den Besitzer der nahen Burg Stubegg,den Grafen von Stubenberg, abliefern. Da sich der Graf im Krieg be-fand, hatte er es mit dem Verwalter des Gutsbesitzers, einem hartherzi-gen Bösewicht, zu tun. Dieser suchte Jakob auf jede Weise zu benach-teiligen und ließ ihn sogar, als der Bergmann sein Recht wahren wollte,in den Kerker werfen.

Nun gedachte der arglistige Verwalter, sich selbst das ergiebige Berg-werk anzueignen; aber er mußte seine verbrecherische Absicht mit demTod büßen. Als er nämlich in den Berg einstieg, um die reichen Schätzean edlem Erz, die noch dort aufgespeichert waren, in Augenschein zunehmen, lockten ihn die silbernen Buben immer weiter ins Innere desBerges hinein, bis er sich in den dunklen Gängen des Bergwerks ver-irrte, so daß er nimmer ans Tageslicht kam.

Jakob wurde nach der baldigen Heimkehr des Bergherrn aus der Ker-kerhaft entlassen und ließ zum Dank für seine Befreiung und den reich-lichen Bergsegen die Kirche zum heiligen Jakob in Arzberg erbauen.

Das Bergwerk wurde jahrhundertelang betrieben, bis allmählich dieAdern taub wurden und so der Erzbau zum Stillstand kam. Seitdem sahman auch die silbernen Buben nicht mehr.

Die Meixnerstube bei Gleichenberg

Der Wanderer, der auf der Straße von Feldbach nach Bad Gleichen-berg unterwegs ist, kann in der „Klausen" links am Berghang eine

Vertiefung im Felsen erblicken, die allgemein „die Meixnerstube" heißt.Einst wußte ein armer Bauer namens Meixner, der auf den Gleichen-

berger Höhen zu Hause war, vor Elend und Not nicht aus noch ein.Selbst des Nachts ließ ihn die Sorge um das tägliche Brot nicht zurRuhe kommen, und er zermarterte sein armes Gehirn nach einem Aus-weg aus den quälenden Sorgen. Wie er sich nun eines Nachts wiederschlaflos auf seinem Lager wälzte, geschah es, daß plötzlich ein uraltesMännlein mit eisgrauem Haar, zerfurchtem Gesicht und listig blinzeln-den Augen in der Stubenecke zum Vorschein kam und lautlos an seinBett heranhuschte. Meixner glaubte zu träumen und rieb sich die Augen.Da wisperte das Männlein: „Wenn du mir einen Gefallen erweisenwillst, soll all deine Not ein Ende haben, und ich will dich mit denDeinen reich und glücklich machen. Ich werde dir einen Schatz geben,

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um den dich selbst Fürsten beneiden sollen. Du mußt nur in die Klau-sen hinuntergehen und auskundschaften, wo der Graf sein neues Schloßzu erbauen gedenkt. Morgen um Mitternacht werde ich wieder zu dirkommen, damit du mir das Gehörte mitteilen kannst; dann sollst dudeinen Lohn empfangen."

Der Bauer führte den Auftrag getreulich aus und berichtete in dernächsten Nacht dem Kobold, was er in Erfahrung gebracht hatte. DerGraf beabsichtigte, sein Schloß am linken Berghang oberhalb der Felsen-höhle zu erbauen und es zu gleicher Höhe mit dem gegenüberliegendenBergrücken aufzuführen. Daher auch der heutige Name „Gleichenberg",

Nachdem Meixner seinen Bericht beendet hatte, forderte ihn der Ko-bold auf, mitzukommen und den versprochenen Lohn in Empfang zunehmen. Er schritt, mit einem brennenden Bergmannslämpchen ver-sehen, voraus und führte den Bauern durch Nacht und Nebel zu derFelsenhöhle am linken Berghang. Hier mußte er feierlich versprechen,von dem, was er nun sehen werde, kein Sterbenswörtchen verlauten zulassen. Auch dürfe er die Höhle nie wieder betreten, deren Schätze Tagund Nacht von Kobolden bewacht würden. „Nur in der Christnachtvon elf bis zwölf", setzte das Männchen hinzu, „ist keine Wache vorhan-den; denn da haben wir Zwerge anderes zu tun. Aber hüte dich trotz-dem, etwa zu versuchen einzudringen; es könnte dein Verderben sein."

Meixner schwor hoch und teuer, das Gebot des Kleinen zu erfüllen.Nun gingen sie in die Höhle hinein, wanderten einen langen Gang ent-lang und kamen schließlich zu einer Felsspalte, aus der heller Lichter-glanz erstrahlte. Wie geblendet blieb das Bäuerlein beim Eingang des vorihm liegenden Saales stehen. Welche Pracht tat sich vor ihm auf! Arm-dicke Goldstangen hingen von der Decke herab; edelsteinglitzerndeSäulen strebten zum Gewölbe des Saales empor; faustgroße Diamantenerglänzten an den Wänden. Ein munteres Volk von Zwergen und Hein-zelmännchen saß und lag auf den silbernen Tischen und Bänken undtrieb mit heiterem Geplauder sein neckisches Wesen auf den marmornenFliesen des Saals.

Sobald die Kleinen den großen fremden Menschen erblickt hatten,verstummten sie und schauten ihn groß an. Nachdem aber Meixners Be-gleiter erzählt hatte, welchen Dienst ihnen der Mann erwiesen habe, ka-men sie freundlich herbei, zeigten dem staunenden Bauern ihre Schätzeund Vorratskammern, die mit Gold und Kostbarkeiten bis oben gefülltwaren, und schleppten endlich goldene Krüge mit edlem Wein und sil-berne Schüsseln voll leckerer Speisen herbei und nötigten ihren Gast,wacker zuzugreifen. Ein altes, dickes Heinzelmännchen erzählte scherz-hafte Streiche und Schnurren aus seinem Koboldleben. Und in angereg-ter, gemütlicher Unterhaltung verrann Stunde um Stunde, so daß Meix-ner alle seine drückenden Sorgen vergaß. Nun aber schlug die Stunde

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des Abschieds, und der Bauer sollte noch die versprochene Belohnungerhalten.

Man führte ihn in eine der Vorratskammern, und er durfte vom Goldund von all den herrlichen Dingen nehmen, was ihm gefiel und waser nur tragen konnte. Da stopfte das glückliche Bäuerlein alle Rock-taschen, alle Hosensäcke voll, sogar der Hut mußte herhalten. Mitvielen Dankesworten verabschiedete es sich dann und schleppte keu-chend seine goldene Last heimwärts.

So war der arme Meixner plötzlich ein reicher Mann geworden.Aber auch ihm wurde der leicht gewonnene Reichtum, wie dies so oftim Leben der Fall ist, zum Unsegen. Er ließ seine armselige Behausungniederreißen und an ihrer Stelle ein großes, schönes Haus erbauen,er schaffte Pferde und Wagen an, nahm Dienstleute auf, kümmertesich aber um keine Arbeit mehr und ließ Äcker und Wiesen verun-krauten. Er führte ein flottes Leben und dachte: „Wozu soll ich michnoch plagen, habe ich doch Geld genug!"

Inzwischen ging der Graf daran, seinen schon längst geplantenSchloßbau auszuführen. Er ließ Steine und anderes Baumaterial auf dieHöhe des Berges schaffen, was nicht geringe Mühe verursachte. Manbegann mit dem Ausheben der Grundfesten, aber eines Nachts wurdenalle Steine von unsichtbarer Hand über den Abhang gewälzt und insTal geschleudert. Dies wiederholte sich einige Male, bis der Graf zurEinsicht kam, daß höhere Mächte den Schloßbau an dieser Stelle nichtduldeten. Die im Berge hausenden Kobolde wollten eben nicht, daßfremde Hände auf ihrem Grund und Boden, den sie nun schon jahr-hundertelang bewohnten, ein Heim errichteten. Heute noch sieht manan der Fahrstraße große Steine und Felsblöcke liegen, die damals vonden Zwergen vom Berg herabgeschleudert wurden.

So ließ denn der Graf auf dem gegenüberliegenden Felsenhang seineBurg erbauen, das Schloß Gleichenberg, das noch bis vor kurzem mitseinen Türmchen und den Erkern weithin über die Lande ragte.

Fünf Jahre hindurch führte Meixner ein von Arbeit und Sorgenunbeschwertes Dasein. Aber eines Tages war die Geldlade, die seinenReichtum enthielt, leer. Einen Augenblick starrte er verblüfft in dasNichts, aber bald erheiterte ein pfiffiges Lächeln seine verdüsterten Mie-nen. Die Christnacht, dachte er, würde seine Rettung sein. Und je näherdie Zeit des Weihnachtsfestes kam, desto besser wurde seine Laune.

Als die sehnlichst erwartete Nacht gekommen war, machte er sichzeitlich am Abend auf den Weg zur Felsenhöhle. Der Kobold hatteihm doch gesagt, daß in dieser Nacht zwischen elf und zwölf die Schätzeunbewacht seien. Es gelang ihm, zur bestimmten Stunde den Saal unddie Vorratskammer zu betreten, die wirklich unbewacht und kobold-leer vor ihm lagen. In aller Eile raffte er zusammen, was er erwischen

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konnte, steckte sich die Taschen zum Platzen voll und konnte sichschließlich mit der schweren Last nur keuchend und mühsam zum Aus-gang schleppen. Da — er mochte kaum mehr zwanzig Schritte vomZiele weg sein — begann eine ferne Turmuhr die zwölfte Stunde zuschlagen.

Erschrocken hörte es der Bauer. Was soll er beginnen? Den Schatzwegwerfen und wieder ein armer Mann werden? — Nein, nimmer-mehr! Nur vorwärts, er muß es schaffen! Da, da ist der Ausgang! — Aber o weh! Ein Krachen geht durch den Berg, ein Brausen zieht durchden Raum; der Ausgang ist verrammelt, und kein Auge sah jemalsmehr den Meixner. Nur sein Name lebt weiter in der „Meixnerstube".

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In einem sonnseitig gelegenen Steinbruch auf dem Weg von Eppen-stein nach Kathal im Bezirk Judenburg wimmelte es vorzeiten von

Schlangen; darunter sah man eines Tages auch eine weiße, die einKrönlein auf dem Haupt trug, die Schlangenkönigin. Nur alle hun-dert Jahre soll die gekrönte Schlange zu finden sein. Ihre kostbareKrone aber, der man geheime Zauberkräfte beimißt, wird von denBergmännlein im Innern der Erde auf höchst kunstfertige Weise ge-schmiedet.

In der Nähe des Steinbruches stand eine ärmliche Hütte, die ein Stein-brecher mit seiner Frau und seinem Töchterchen bewohnte. Das kleineMädchen saß oft vor der Tür der Hütte und aß aus einer Schale seineMilch, in der Brotstücklein eingebrockt waren. Als die Kleine einesAbends wieder ihr Mahl hielt, kam, angelockt durch den Duft derMilch, die Schlangenkönigin herbeigekrochen und leckte begierig ander Milch, während das Kind ruhig weiterlöffelte und neugierig demTun der Schlange zusah. Nach einiger Zeit aber sagte das Kind zurSchlange, wie die Mutter wohl oft das Kind ermahnt haben mochte:„Du darfst nicht nur die Milch schlecken, du mußt auch Bröckleinessen." Die Schlange freilich kümmerte sich um diese kindliche Mahnungnicht und leckte mit dem spitzen Zünglein weiter nur an der Milch.Da rief die Kleine erbost: „Du willst nicht, da werde ich dir aber hel-fen!" und schlug der Schlange mit dem Löffel auf den Kopf. Dabei fieldas Krönlein dem Kind in den Schoß; die Schlangenkönigin aber krocheilends fort.

Die Mutter des Mädchens hatte aus der Ferne noch gesehen, wiedas Kind nach der Schlange schlug und wie diese enteilte, und kam ent-setzt herbeigelaufen, um zu sehen, ob ihr Töchterlein, das die Gefahr

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nicht ahnte, der es ausgesetzt gewesen war, keinen Schaden genommenhabe. Als sie erkannte, daß das Kind unverletzt war, nahm sie es unterFreudentränen auf den Schoß und herzte und küßte es. Das Kind aberplapperte fröhlich, erzählte der Mutter von der Schlange und zeigtedas glitzernde Krönlein, das es im Fäustchen hielt. In der Hütte wurdedas Mädchen zu Bett gebracht und schlief bald ruhig ein. Die Stein-brecherleute aber betrachteten beim Schein der Kerze mit Erstaunendas schimmernde Gebilde, das ganz aus Gold und Edelsteinen gefertigtwar.

Plötzlich wurden sie durch ein unheimliches Zischen und Rasseln,das vom Fenster her in die Stube drang, aus ihrer stummen Bewun-derung aufgescheucht. Als sie erschrocken die Blicke zum Fensterwandten, sahen sie eine Unzahl von Schlangen, die zischend und zün-gelnd am Fenster hin und her glitten und mit den Köpfen an die Schei-ben stießen. Aufspringend bemerkten sie auch am gegenüberliegendenFenster Schlangen und wieder Schlangen, die in die Stube einzudringensuchten. Sie mochten wohl das verlorene Krönlein hier gewittert habenund wollten zu ihm hingelangen. Schaudernd sahen die Eheleute ihrHeim von wütenden Schlangen umgeben und wußten nicht, wie siedieser Belagerung entrinnen sollten. Da kam dem Mann ein rettenderGedanke. Er nahm das Krönlein und warf es durch ein verborgenesSchiebefenster, das er schnell wieder verschloß, ins Freie hinaus. KurzeZeit hörten die beiden noch das Getöse und Zischen der Schlangen,die von den Fenstern verschwanden, dann trat allmählich Ruhe ein.Trotzdem konnte das Ehepaar infolge des ausgestandenen Schreckenslange keinen Schlaf finden.

Als der Mann am nächsten Morgen vorsichtig die Haustür öffneteund einen Blick ins Freie tat, war nichts Merkwürdiges mehr zu sehen.Nur vor der Tür lag tot eine große weiße Schlange. Es war die Schlan-genkönigin, die von ihren Gefährtinnen getötet worden war, weil siedurch ihre Genäschigkeit den höchsten Schmuck ihres Schlangenkönig-tums, die Krone, und damit ihre Macht verloren hatte. Es müssen aber-mals hundert Jahre vergehen, bis die Schlangen wieder zu einer Königinkommen werden.

Grünhütl und Grauhütl von Obdach

In der Nähe von Obdach lebte vor langer Zeit, als die Wälder nochbis nahe an den Ort heranreichten, ein wackerer Holzfäller in

zufriedener Ehe mit seiner arbeitsfreudigen Gattin. Ein kleines, folg-sames Söhnchen erfreute das glückliche Elternpaar durch sein auf-

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gewecktes, munteres Wesen. Da brach wie ein Blitz aus heiterem Him-mel das Unglück über die ahnungslose Familie herein. Ein zu früh stür-zender Baum erschlug den Holzfäller im Wald, und bald kamen zu derTrauer über diesen bitteren Verlust Hunger und Not in die Hütte derarmen Witwe zu Gast. Es gab Tage, an denen sich kein Stücklein Brotim Schranke fand und nur die Milch der beiden Ziegen, die ihren wert-vollsten Besitz bildeten, ihnen half, den ärgsten Hunger zu überwinden.Doch die mutige Frau verzagte nicht. Unermüdlich sorgte und rackertesie jahraus, jahrein, so daß sie sich und ihren Knaben über alle Nothinwegbrachte und stets ein Bissen Brot oder ein Löffel Suppe in derHütte war. Dabei vergaß sie nicht, den Jungen zu einem tüchtigenMenschen zu erziehen, der prächtig heranwuchs und überall gern ge-sehen war.

Als aus dem Knaben ein strammer Jüngling geworden war, suchteer durch seiner Hände Arbeit nach Kräften zum Lebensunterhalt bei-zutragen und seine Mutter zu entlasten. Aber so sehr er sich auch Mühegab, gelang es ihm nicht, regelmäßige Arbeit zu finden; denn in derGegend gab es nicht viel Ackerboden, und die wenigen Bauern hattengenug Arbeitskräfte. Daher beschloß der junge Mann, in das frucht-bare Eichfeld auszuwandern, wo fleißige Menschen stets gern geseheneArbeiter waren. Zwar fiel ihm der Abschied von der Mutter schwer,und auch diese empfand die Trennung von ihrem geliebten Kindschmerzlich, aber es mußte sein, und beide trösteten sich mit der Hoff-nung, daß es doch bald ein Wiedersehen geben werde.

So zog der Jüngling in die Welt hinaus und fand bei einem Bauernin der Nähe von Fohnsdorf einen guten Arbeitsplatz. Der neue Herrwar zufrieden mit dem willigen, arbeitsamen jungen Menschen, unddieser hatte sich über die Behandlung, die ihm zuteil wurde, nicht zubeklagen. Bald war er die rechte Hand des Bauern, der ihm jede Arbeitanvertrauen konnte, die stets zur vollen Zufriedenheit ausgeführt wurde.Sooft es Zeit und Umstände erlaubten, suchte der Bursche sein Mütter-lein auf und brachte ihm jeden Groschen seines Verdienstes, den ererübrigte. Mutter und Sohn waren überglücklich, wenn sie ein paarStunden miteinander verbringen konnten.

Das ging so Jahre hindurch. Die Mutter spürte allmählich die Last der Jahre und humpelte gebückt, auf einen Stock gestützt, einher;der Sohn aber war zu einem kräftigen Mann geworden, der noch immerden gleichen Dienstplatz innehatte, der ihm zur zweiten Heimat gewor-den war.

Wieder einmal war es Winter geworden. Eis und Schnee bedecktendie Felder, und es war nicht leicht, weite Wege über Land zu machen.Mutter und Sohn hatten sich lange Zeit nicht gesehen und freuten sichauf das nahe Weihnachtsfest, das der Sohn mit Erlaubnis seines Herrn

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bei seiner Mutter feiern wollte. Die gutherzige Bäuerin hatte das Ranzeldes Knechtes mit allerlei leckeren Sachen bis zum Rand gefüllt, undmehrere harte Taler ersparten Lohnes klimperten in der Tasche deswanderfreudigen Mannes. Ein derber Knotenstock als Waffe gegenkecke Wegelagerer und gefährliche Raubtiere — mit beiden mußteman damals rechnen — vervollständigten die Ausrüstung. So machtesich der Knecht ziemlich spät am Heiligen Abend auf, um den Wegin die Heimat zum alten Mütterlein anzutreten.

Es war ein klarer Winterabend. Soeben stieg der Mond über denWipfeln des nahen Waldes empor, und die kleinen Schneekristalleglitzerten in hellem Silberschein. Eine andächtige Stimmung erfülltedas Herz des einsamen Wanderers, der rüstig durch den knirschendenSchnee dahinschritt und die Vorfreude des nahen Wiedersehens genoß.Bald war die Stadt Judenburg erreicht, die rechter Hand zurückblieb,während der Berg Liechtenstein in Sicht kam, auf dem damals noch eineBurg stand. Als der nächtliche Wandersmann dorthin blickte, sah erverwundert auf dem steilen Hang einen Mann in grüner Kleidungstehen, von dessen grünem Hut eine lange grüne Feder wallte. Auf demRücken trug er eine Armbrust, in der Rechten hielt er einen langenJagdspieß. „Das muß ein Jäger sein", dachte der Knecht; „aber es istnicht recht, daß diese Leute auch an so heiligen Tagen, wie es der heutigeAbend ist, ihrem Beruf nachgehen, und die armen Waldtiere nicht ein-mal an so hohen Festtagen ihre Ruhe und ihren Frieden finden. Wenneiner am Heiligen Abend mit der Mordwaffe in der Hand durch dieFelder streift, so kann er doch kein guter Mensch sein!"

Während der Wanderer diesen Gedanken nachhing, hörte er sichplötzlich von dem Jäger angerufen: „He, wohin so spät in dieser Hei-ligen Nacht?"

„Nach Obdach, zum Mütterlein!" erwiderte ziemlich unwirsch derGefragte; denn er war auf den Fragesteller nicht gut zu sprechen.

„Da könntest du mir einen Gefallen erweisen", meinte der Jäger.„Wenn es mir möglich ist, warum denn nicht", lautete die Antwort.„So gib acht!" erscholl es von oben her. „Dein Weg führt dich an

der Burg Eppenstein vorüber; dort wirst du auf der Lehne des Schloß-berges einen Jäger, so wie ich einer bin, erblicken. Sag ihm, Grünhütlläßt Grauhütl schön grüßen."

„Ich werde Euren Gruß entbieten, wenn ich Euren Freund treffe",erwiderte der Knecht und dachte: Das sind mir saubere Jäger, diein der Heiligen Nacht nichts Besseres zu tun wissen, als auf Jagd aus-zugehen. Er war im Begriff, seinen Weg fortzusetzen, als ihm der un-heimliche Jäger noch nachrief: „Für deine Gefälligkeit sollst du aucheinen Lohn haben!" Mit diesen Worten warf er drei schwarze Steine,die im Mondschein merkwürdig glänzten, vor die Füße des erstaunten

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Mannes. Der hob sie auf und steckte sie in die Tasche; dann beeilte ersich weiterzukommen und war bald an Maria Buch mit seinem kleinenKirchlein vorüber. Vor seinen Augen breitete sich der fruchtbare Mur-boden aus, und seine Blicke schweiften in die Richtung hin, wo seinZiel lag.

Nun erklang vom Kirchturm zu Weißkirchen die große Glocke undlud die Gläubigen zur Mette ein, und ringsum im Kreise hörte er baldlaute, bald leise Glockenschläge, die zur Kirche riefen. Eine weihe-volle Stimmung ergriff den einsamen Wanderer. Unterdessen tauchtedie Burg Eppenstein vor seinen Blicken auf, und schon von weitemgewahrte er einen dunklen Punkt auf dem schneeglänzenden Hang,der sich zur Burg hinanzog. Näher kommend, erkannten seine scharfenAugen bald den Jägersmann, dem er den Gruß des Grünen ausrichtensollte. Grau war seine Gewandung, und eine gebogene graue Federnickte von dem grauen Hut.

Mit lauter Stimme rief er zu dem Grauen empor: „Du, Jägersmann,ich habe eine Botschaft deines Freundes für dich. Das Grünhütl läßtdas Grauhütl schön grüßen!"

„Ich danke dir für diese Nachricht", erwiderte der Jäger und setztehinzu: „Hier hast du deinen Lohn!" Und drei glänzende schwarzeSteine kollerten vor die Füße des Boten.

Seinen Dank emporrufend, hob der Mann die Steine auf, steckte siein die Tasche und machte, daß er weiterkam. Er mußte eilen, wollteer doch der Mette in der Kirche zu Obdach beiwohnen. Im Geiste sein Erlebnis mit den beiden Jägern nochmals durchdenkend, merkteer gar nicht, wie schnell die Zeit verging und wie nahe er seinem Zielwar. Ganz unerwartet sah er auf einmal seinen Heimatort vor sichliegen. Es dauerte nicht mehr lange, bis er sein Mütterchen begrüßenkonnte. Und als die Glocken zum mitternächtigen Gottesdienst riefen,fanden sie Mutter und Sohn in weihnachtlicher Stimmung auf dem Wegzur Kirche.

Erst am nächsten Tag erinnerte sich der Sohn wieder seines nächt-lichen Erlebnisses und des merkwürdigen Lohnes, den ihm beide Jägergegeben hatten. Er griff in die Tasche, um der Mutter die sonderbarenschwarzen Steine zu zeigen. Wie erstaunte er, als er Stücke lauterenGoldes in der Hand hielt! Er erzählte der Mutter, welche Bewandt-nis es mit den Steinen hatte. Die fromme Frau riet ihm, zum Pfarrerzu gehen und die Steine segnen zu lassen. Wären sie ein Werk des Teu-fels, so würde der Spuk vergehen, die Steine würden ihre natürliche Ge-stalt wiedererhalten. Wenn sie aber unverändert aus Gold blieben, wäredas ein Beweis dafür, daß es sich um keinen Teufelsspuk handle.

Der Sohn befolgte den Rat seiner Mutter und erzählte dem Pfarr-herrn, was ihm in der Heiligen Nacht widerfahren war. Dieser war

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sofort bereit, die Steine zu segnen und mit geweihtem Wasser zu be-sprengen. Und siehe da, das Gold veränderte seine Gestalt nicht undblieb lauteres Gold. Da sprach der Pfarrer: „Freue dich, mein Sohn,und nimm dieses Gold als ein Geschenk des Himmels zum Lohn fürdeine Liebe, die du deiner Mutter stets erwiesen, und für die Treue,mit der du deinem Herrn immer gedient hast!"

Hocherfreut gab der Sohn zwei Stück dem Pfarrer zur Verwendungfür die Armen; aus dem Erlös der übrigen kaufte er sich ein schönesBesitztum, auf dem er, nun nicht mehr getrennt von seinem liebenMütterlein, seine eigene Wirtschaft am „Obdacher Sattel" führte.

Der rote Fleck auf dem Kirchturm zu Ilz

Vor langer Zeit lebte in Ilz ein kecker kleiner Halterbub, der ge-nügend Zeit hatte, sich von seiner Einbildung allerlei Wünsche

vorgaukeln zu lassen. Sein sehnlichster Wunsch aber war, des TeufelsWunschhütlein zu erlangen; denn hätte er das, meinte er, so wärenalle andern Wünsche leicht damit zu erfüllen. Wenn er so auf der ein-samen Heide lag und mit seinem Stäblein in dem lustig flackerndenHirtenfeuer herumstocherte, träumte er von all den schönen Sachen,die er sich wünschen könnte, und erzählte auch wohl einer ihn dreistbeschnuppernden Kuh von seinen Plänen und Absichten, bis ihm diesekopfschüttelnd den Rücken wandte und sich davontrollte. Dann abersprang das Büblein oft auf und rannte in rasendem Lauf um die wei-dende Herde herum, daß seine Füße kaum den Boden berührten unddie Kühe verwundert im Grasen innehielten und dumm ihrem jugend-lichen Hüter nachglotzten. Aber bald war ihnen dieser eilige Dauerlaufnichts Neues mehr; Tag um Tag trat der Hirtenbub zu seiner Übungan Und ließ sich durch Sonne, Wind und Wetter nicht darin behindern.Und er verfolgte mit dem Laufen einen bestimmten Zweck; denn nurdurch einen raschen Lauf konnte er in den Besitz des ersehnten Wunsch-hütleins gelangen. Die Großmutter hatte es ihm doch erzählt: Werin der Christnachtmette während der Wandlung dreimal um die IlzerPfarrkirche herumlaufe und noch vor dem Ende der Wandlung wiedernach vorn ans Speisgitter komme, dem müsse der Teufel sein Wunsch-hütlein abtreten. Wer freilich damit nicht zurechtkäme, den hole ernoch in der gleichen Nacht. Aber davor hatte der Bub keine Angst,denn laufen konnte er wie kein zweiter. Wenn ihn etwas beunruhigte,so war es höchstens der Gedanke, daß es noch mehrere Monate bisWeihnachten dauerte und seine Schnelligkeit bis dahin vielleicht ab-nehmen könne. Er konnte die Christnacht kaum erwarten.

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Endlich war der Heilige Abend gekommen, endlich hatten die Glockenden Beginn der Christmette angekündigt. Der Bub hatte sich ein Plätz-chen nahe der Kirchentür ausgesucht, um rasch hinauseilen zu können.Er trippelte vor Ungeduld von einem Fuß auf den andern, viel zu lang-sam las ihm der Priester die Messe. Endlich zeigte das Glöcklein denerwarteten Augenblick an. Wie ein Pfeil schoß der Knabe aus der Kir-che, die Tür hinter sich zuschlagend, daß sich die Leute entrüstet um-schauten. Er lief wie ein Besessener, so schnell glaubte er noch nie gelau-fen zu sein. Und doch ging's langsamer als im Sommer; denn damals warer barfuß gewesen, heute aber trug er Schuhe an den Füßen. Zu allemUnglück war die Stelle, wo die Dachrinne zur Erde mündet, vereist,und als er mit raschem Sprung darüber hinwegsetzen wollte, glitt eraus und stürzte. Er kam zwar ohne Verletzung davon, doch ein leiserSchmerz im Fuß hemmte die Schnelligkeit des Laufes. Angst stiegin ihm hoch. Als er endlich die Kirche dreimal umkreist hatte und sichnun durch die andächtige Menge zum Speisgitter vordrängen wollte,ging auch das wegen der vielen Leute langsamer vor sich, als er gehoffthatte. Er kam nur bis zur Mitte der Kirche, da war die Wandlung zuEnde.

Und zu spät war es auch für Reue und Buße; denn schon stürztesich der Teufel heulend auf sein schreckenblasses Opfer. Noch bevorsich der Priester am Altar umgewendet hatte, um den Bösen von derheiligen Stätte zu vertreiben, fuhr dieser mit dem zappelnden Jungenim Turm empor. Da half kein Kratzen und Beißen, kein Stoßen undSträuben; was der Teufel einmal fest in den Krallen hat, läßt er nichtmehr los. Mit jäher Schwenkung fuhr er mit seiner Beute beim oberstenTurmfenster in die eisige Winternacht hinaus. Dabei schlug sich dasarme Büblein so heftig das Bein am Fenstergesims an, daß das Blutüber die Mauer herunterrann. Das Hirtenbüblein aber hat niemandmehr gesehen. Das ist die Ursache des „roten Flecks" am Turm derPfarrkirche zu Ilz.

Die Teufelshufeisen in der Ramsau

In der Ramsau lebten einst mehrere liederliche Burschen und Bauern,die jede Arbeit haßten, dem Herrgott den Tag abstahlen und tage-

lang zechend im Wirtshaus hockten. Eines Nachts, als die spätenZecher die Wirtsstube verlassen hatten und der Wirt sich eben an-schickte, sein Lager aufzusuchen, ertönte ein sonderbares Rasseln undKlirren in der Gaststube. Verwundert ging der Wirt nochmals in dieStube zurück, um nachzusehen, woher das Geräusch komme, aber alles

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blieb ruhig, die Stube war leer, nichts Auffallendes war zu sehen.Als er sich wieder zurückziehen wollte, wiederholte sich das Geräusch,das er kurz vorher gehört hatte, vor dem Fenster. Als er nun denFensterladen öffnete, bot sich ein unheimlicher Anblick seinen Augen.Vor dem Haus stand ein Pferdegerippe, auf dem ein langer, hage-rer Mann saß, der wie weißglühendes Eisen aussah. Der flammendeSchein, der von der Gestalt ausging, tauchte die ganze Umgebungin ein feurig-rotes Licht, als ob in der Nähe eine Feuersbrunst wäre.

Der fleischlose Kopf der gespenstischen Erscheinung war nur voneiner durchscheinenden Haut überzogen, hinter der das grinsendeKnochengerüst des totenkopfartigen Schädels deutlich zu erkennenwar. Aus den leeren Augenhöhlen zuckten hie und da blaue Flämmchenauf. Auf dem Kopf trug der Reiter einen spitz zulaufenden Hut, aufdem eine rote Feder wippte, in der Hand hielt er eine feurig glühendePeitsche.

An den Schwanzwirbeln des Pferdegerippes war eine lange eiserneKette befestigt, an der die liederlichen Wirtshausbrüder einer hinter demandern angehängt waren. Der Wirt sah, wie die Peitsche des Reitersdurch die Luft fuhr, hörte aber keinen Knall, er sah auch noch, wie dasPferdegerippe mit seinem Anhang zu laufen anfing, dann stürzte er

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vor Schrecken bewußtlos zu Boden. Als er wieder zu sich kam, warvon dem Höllenspuk nichts mehr zu sehen.

Zur selben Zeit erwachte der Schmied des Ortes, ging, von einerrätselhaften Gewalt angetrieben, aus der Schlafstube in die Schmiede,nahm dort sechs Paar Hufeisen vom Haken sowie das Werkzeug, daszum Beschlagen nötig ist, und trat vor die Schmiede hinaus. Hier hieltschon der unheimliche Reiter auf seinem Knochengaul mit seinen sechsangeketteten Begleitern. Als ob es so sein müsse, schritt der Schmiedauf die sechs Bauern zu und beschlug die Füße eines jeden mit einemPaar Hufeisen. Als die Arbeit getan war, flog aus den Händen des Rei-ters ein voller Beutel dem Schmied vor die Füße. Schreckensbleich sahdieser, wie sich das Pferdegerippe gegen die Scheichenspitzeben in Bewe-gung setzte und, immer schneller werdend, die sechs an der Kette hän-genden Bauern hinter sich herriß, bis die Erscheinung in der Ferne ver-schwand. Der Schmied war nicht mehr imstande, sein Haus zu betreten,sondern sank vor der Tür besinnungslos nieder. Als er nach einiger Zeitaus seiner Ohnmacht erwachte, fand er neben sich, zum Beweis, daß dasGanze kein Traum war, den Beutel, in dem zwölf Goldmünzen staken.Er taumelte ins Haus und legte sich wieder zu Bett, nachdem er den Beu-tel in einer Lade verwahrt hatte. Als er am nächsten Morgen die Ladeöffnete, drang ihm daraus ein widriger Geruch entgegen, und wie erin den Beutel hineinsah, hatten sich die Goldstücke in stinkenden Unratverwandelt.

In derselben Nacht zog vom Hohen Dachstein her ein fürchterlichesHagelwetter herunter, das die Felder der Ramsau auf das schrecklichsteverwüstete. Der erste Jäger, der sich hernach wieder auf den Berg hin-aufwagte, sah merkwürdige Eindrücke von Pferdehufen, die er frühernie wahrgenommen, und brachte auch mehrere Hufeisen mit, die eroben an Stellen gefunden hatte, wo der Mensch Mühe hat hinaufzu-klimmen, wo aber ein Pferd niemals hingelangen kann.

Der Wirt und der Schmied starben kurze Zeit darauf infolge des aus-gestandenen Schreckens. Von den sechs Bauern aber hat keiner mehretwas gesehen; die hat, sagt man, der Teufel geholt wegen ihres sünd-haften Lebenswandels.

Der Teufelsberg bei Seckau

Es war an einem Johannistag, als die Tochter eines reichen Bauernaus der Umgebung von Seckau am frühen Morgen das väterliche

Haus verließ und sich auf den Weg machte, um eine Verwandte zubesuchen. Sie wählte eine Abkürzung, die über den sogenannten Gams-

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kogel führte. Als sie etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatte,gesellte sich ein altes Weiblein zu ihr, mit dem sie bald in ein eifrigesGespräch kam, so daß sie gar nicht auf den Weg achtete, den sie ein-geschlagen hatten. Erst als es schon gegen Mittag ging, bemerkte sie,daß sie vom richtigen Weg abgekommen war. Da sich auch der Hungerfühlbar machte und sie gerade in der Nähe einer schattigen Schluchtwaren, beschlossen sie, dort ihr Mittagmahl zu verzehren.

Die Alte ging voran, das Mädchen folgte nach und sah auf einmal,wie das alte Weib vor einer steilen Felswand stehenblieb und dort an-klopfte. Da tat sich plötzlich eine bisher unsichtbare Türe auf, durch diedas Mädchen mit seiner Begleiterin in eine weite Höhle trat, aus derihm von allen Wänden Gold und Edelsteine entgegenblitzten. Hohediamantene Säulen strebten zur Decke des Raumes empor, und überallauf dem Boden lagen Stücke und Klumpen glänzenden Goldes. Ver-wirrt über den Anblick, der sich da bot, wollte sich das Mädchen miteiner Frage an die Frau wenden. Aber diese war verschwunden. Dafürstand beim Eingang der Höhle ein schmucker Bursche in Jägertracht,der das Mädchen freundlich aufforderte, sich Taschen und Körbchenmit dem herumliegenden Gold und mit Edelsteinen zu füllen. DasMädchen stopfte die Taschen und das Körbchen, das es am Arme trug,mit dem glänzenden Zeug an und trat dann wieder ins Freie hinaus.Als es sich aber umwandte, waren der hübsche Jüngling und das Torim Felsen nicht mehr zu sehen; eine glatte Wand ragte hinter ihm auf.

Nachsinnend über diese seltsame Begebenheit, wollte die Bauern-tochter ihren Weg fortsetzen, mußte aber zu ihrem Schrecken balderkennen, daß sie sich in einer gänzlich unbekannten Gegend befand.

Spät in der Nacht langte sie wieder in ihrem Vaterhaus ein. Man hattesie für tot beweint, weil seit ihrem Aufbruch schon viele Monate ver-strichen waren.

Die Kunde von diesem wunderbaren Ereignis verbreitete sich raschund lockte manchen Schatzsucher auf den Berg, ohne daß es aber einemvon ihnen gelungen wäre, das geheimnisvolle Felsentor zu finden. Ein-mal aber kam ein Bursche in das Dorf, dem man ebenfalls die Geschichteerzählte. Er ließ sich genau den Weg beschreiben, fand wirklich dieseltsame Schlucht und — o Wunder! — sogar das offene Tor im Felsen.Rasch füllte er in der Höhle seine Taschen mit Diamanten und Gold anund wollte gerade den Rückweg antreten. Aber noch bevor er denAusgang der Schlucht erreicht hatte, stürzte er tot zu Boden.

Als er nicht wieder im Dorf erschien, machten sich die Leute auf dieSuche und fanden ihn schließlich beim Ausgang der Schlucht tot auf.

Seit dieser Zeit nennen die Bewohner der Gegend den Gamskogelden „Teufelsberg"; in der Johannisnacht aber sollen an jener Stelle,wo einst der tote Bursche lag, blaue Flämmchen aus dem Boden züngeln.

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Der Höllentorwart von Mariazell

In der Nähe von Mitterbach bei Mariazell stand vor vielen Jahrenein kleines Wirtshaus, wo die Holzknechte der Umgebung an Sonn-

und Feiertagen zusammenkamen, um sich bei Spiel und Sang zu unter-halten, dabei natürlich auch manch tüchtigen Trunk zu tun und nichtzuletzt nach altem Holzknechtbrauch ordentlich zu raufen. Einer dieserHolzarbeiter war diesem Brauch besonders zugetan; er war wegenseiner Wildheit weit und breit bekannt und hieß deswegen auch der„schreckliche Sepp". Das Raufen an Sonn- und Feiertagen war ihm ge-radezu zum Bedürfnis geworden, ebenso wie der Fusel, den er ansolchen Tagen in erheblichen Mengen zu sich nahm.

Es war am Feste Christi Himmelfahrt. Scharenweise wallten dieLeute nach dem Gnadenort Mariazell, um ihre Andacht zu verrichten.Auch der schreckliche Sepp, bekleidet mit einer grauen, grün ausge-schlagenen Lodenjacke, rotem Brustlatz, gamslederner Kniehose, grünenStrümpfen, derben Nagelschuhen, auf dem Kopf ein grünes Hütlein mitmächtigem Gamsbart und unternehmend nach vorn gerichtetem Spiel-hahnstoß — eine Aufforderung an die ihm Entgegenkommenden zumRaufen —, machte sich auf den Weg. Aber nicht die Absicht, dieKirche zu besuchen, führte ihn nach Mariazell, der Wunsch zu raufentrieb ihn nach dem Gnadenort. „Heute ist Feiertag, heute muß gerauftwerden auf jeden Fall und um jeden Preis!" sagte sich der Sepp undwanderte von einem Gasthaus zum andern, um eine Gelegenheit zumRaufen zu finden. Aber alle seine spitzen Reden und Herausforderungenzogen nicht, niemand wollte den hohen Feiertag durch eine Balgereientweihen.

Mit sich und der Welt unzufrieden, weil er seine Rauflust nicht be-friedigen konnte, machte sich der Holzknecht zu Mittag auf den Heim-weg. „Gerauft muß heute noch werden, koste es, was es wolle, wasgeht mich der Feiertag an!" brüllte der Betrunkene und stänkerte alleihm Entgegenkommenden an, ohne aber den gewünschten Erfolg zu er-zielen. „In der Wirtskeusche bei Mitterbach wird es wohl genug Leutegeben", tröstete er sich schließlich, „da kann ich mich austoben!" Abersoviel Leute und Kameraden er hier auch traf, keiner wollte sich heutein einen Handel mit ihm einlassen.

„Sepp", meinten die Holzknechte, „Sepp, der heutige Tag ist dochfür eine Rauferei zu heilig. Setz dich nieder und sei ruhig!"

„Nein", schrie der Sepp wütend, „ich muß heute noch raufen, undwenn's mit dem Leibhaftigen selbst wäre!" Grölend stürzte er zurTür hinaus und begann laut zu spotten, um damit zur Raufereiherauszufordern. Da erscholl vom nahen Wald her ein gellender Jauch-zer. „Ha" , rief der Sepp, „da drinnen steckt einer, der mit mir raufen

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will. Jetzt kann's losgehen!" Und unter lautem Rufen eilte er dem Waldzu und verschwand bald im Dickicht.

Sepps Kameraden schüttelten bedenklich die Köpfe. Ihnen wolltees gar nicht gefallen, daß der Tag durch eine Rauferei entweiht werdensollte. Sie kannten Sepp und seine Stärke und wußten, daß er nach ge-taner Arbeit wieder im Wirtshaus erscheinen und sich mit seiner Helden-tat reichlich brüsten würde. So warteten sie denn gespannt auf seineWiederkehr. Aber Stunde um Stunde verstrich, der wilde Sepp kamnicht. Es vergingen Tage und Wochen; Sepp war und blieb verschwun-den.

Oft sprachen die Holzknechte noch vom Sepp und rieten hin undher, was ihm wohl zugestoßen sein mochte. Niemand wußte seinen Auf-enthalt, nichts war von ihm zu erfahren, seine Hütte blieb verschlossen.

Drei Jahre vergingen. Wieder war das Fest Christi Himmelfahrt,und die Holzarbeiter gingen wie üblich von ihrem Arbeitsplatz im Waldnach Mariazell zum Gottesdienst. Wortlos trotteten sie dahin. Als siein die Nähe der Keusche des schrecklichen Sepp kamen, brach einerdas Schweigen und meinte: „Was wohl aus dem wilden Sepp geworden

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sein mag? Heute sind es gerade drei Jahre, daß wir ihn im Wirtshausbei Mitterbach zum letztenmal trafen. Ich sehe ihn noch vor mir, wieer eilig dem Wald zuschritt. Noch immer höre ich seine letzten Worte:,Jetzt kann's losgehen!'"

Unterdessen waren sie an die Hütte des Sepp herangekommen undsahen — o Wunder! — den wilden Sepp voll Ruß und Schweiß beider Hüttentür auf einem Holzklotz sitzen.

„Ja, Sepp", riefen sie, ihn umringend, „wo kommst denn du daher?Wo bist du denn so lang gesteckt? Warum hast du gar nichts von dirhören lassen?"

Der Gefragte hob abwehrend die Hand und gab durch Gebärdenzu verstehen, daß er durstig sei und vor allen Dingen zu trinkenwünsche. Eilig lief einer der Holzknechte, das Begehrte zu bringen, undnachdem sich der durstige Holzfäller mit einem tüchtigen Schluck ausdem Wasserkrug gelabt hatte, begann er zu erzählen.

„Als ich heute vor drei Jahren in den Wald ging, kam mir einer ent-gegen, von dem ich glaubte, er wolle es mit mir aufnehmen. Ich forderteihn zum Raufen heraus, er aber packte mich mit ungeheurer Gewalt,und zugleich öffnete sich die Erde unter meinen Füßen. Wir sankenbeide immer tiefer, bis wir in der Hölle landeten. Hier bedeutete mirmein Überwinder, daß ich zur Strafe für meine Rauflust an dem hohenFesttag in der Hölle den Dienst des Torwarts zu versehen hätte. Zuessen bekam ich genug, aber nichts zu trinken, denn alles Flüssige ver-dampft wegen der großen Hitze in der Hölle sofort. Auch zum Schlafenließ mir mein Dienst keine Zeit, weil es ständig zu tun gab. Man solltenicht glauben, wieviel Leute täglich zur Hölle wandern. Kaum hatteich eine Partie abgefertigt, war schon wieder eine neue da. Kurz, ichhabe während der ganzen drei Jahre kein Auge zugetan. Erst heutewurde ich von meinem Dienst abgelöst, und mein Vorgesetzter erlaubtemir, mich schlafen zu legen. Als ich erwachte, fand ich mich hier inmeiner Hütte."

Sepp wusch sich hierauf, wechselte seine Kleider und ging sodannmit seinen Kameraden in die Gnadenkirche nach Mariazell. Mit seinerbösen Rauflust aber war es von dieser Stunde an vorbei.

Der Teufel auf Burg Ehrenfels im Liesingtal

Auf der Burg Ehrenfels im Liesingtal hauste einst ein mächtiges Raub-rittergeschlecht. Die Salzstraße, die sich entlang der Liesing hin-

zog, und die nahe Heerstraße bei St. Michael gaben den adeligenSchnapphähnen die beste Gelegenheit, ihr räuberisches Handwerk aus-

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zuüben. Kaufleute, die mit ihren kostbaren Waren von Österreich nachItalien zogen, wurden ausgeplündert, gefangengenommen, und wennsie sich nicht mit schwerem Lösegeld loskauften, erbarmungslos ge-mordet. Ob harmloser Wanderer, ob biederer Landmann, keiner warseines Lebens sicher. Kirchen und Klöster wurden überfallen und aus-geraubt, die Mönche getötet, die Gebäude in Brand gesteckt. Unheim-lich verkleidete Gestalten machten die ganze Umgebung unsicher.

Wohl versuchte man wiederholt, das Felsennest auszunehmen, dieadeligen Räuber zu fangen und unschädlich zu machen. Aber die Ritterhatten stets eine große Zahl gleichgesinnter Raubgesellen um sich undtrotzten auf ihrer uneinnehmbaren Burg hohnlachend allen Stürmen.Jedesmal mußten die Belagerer mit empfindlichen Verlusten abziehen,ohne das geringste erreicht zu haben. Die Raubritter aber wurden immerkühner, dehnten ihre Streifzüge bis ins Enns-, Mur- und Mürztal ausund verübten immer verwegenere Schandtaten.

Am tollsten trieb es der letzte Sprößling dieses grausamen Geschlechts.Eines Tages saß der wilde Raubgraf mit seinen Söhnen und etlichen

Spießgesellen bei Tisch. Gefangene Nonnen und Ritterfrauen, die man

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gewaltsam entführt hatte, mußten die Speisen auftragen, den Weinkredenzen und sich dabei die widerlichen Huldigungen der wüsten Ge-sellen gefallen lassen. Der Wein hatte die Gemüter erregt und die Aus-gelassenheit auf den Höhepunkt getrieben. Da öffnete sich plötzlichdie Tür des Saales, und ein ehrwürdiger Einsiedler trat über die Schwelle.Hohngelächter und gotteslästerliche Flüche empfingen den frommenMann, der unerschrocken auf die Zechenden zuschritt und sie auf-forderte, von ihren Freveltaten abzulassen und Buße zu tun.

„Ja, Buße tun, Buße tun", brüllte der wütende Raubgraf, „du wirstBuße tun für dein unverschämtes Eindringen und deine frechen Worte!"Damit befahl er seinen Knechten, den Waldbruder zu ergreifen.

Die Knechte wollten ihres Herrn Befehl ausführen, aber der ehr-würdige Mann hob warnend die Hand. „Ihr werdet mir kein Haarkrümmen", rief er hoheitsvoll, und die Mörderrotte wich scheu zurück.Der Greis aber winkte den unglücklichen Frauen, ihm zu folgen, undverließ mit ihnen den Saal, ohne daß einer der Räuber es zu hindernvermochte. Wie durch geheime Kraft festgebannt, standen und saßensie herum und waren nicht imstande, die Davoneilenden aufzuhalten.Schäumend vor Wut stieß der Raubgraf die gräßlichsten Flüche aus.

Auf einmal erscholl im Burghof Lärm und Waffengeklirr. SchwarzeGestalten auf feuerschnaubenden Rossen erfüllten den Hof, Männerin glühenden Harnischen schickten sich an, die Burg zu ersteigen. DerSchloßherr und seine Spießgesellen, die auf den Lärm hin zu den Fen-stern geeilt waren, gewahrten erbleichend den höllischen Spuk, aber siesahen sich vergebens nach Rettung um. Unter Donnerkrachen erbebteder Fels, Flammen schlugen ringsum empor, das Höllenheer verschwandund mit ihm der Raubgraf; die Burg aber sank in Trümmer.

Der Teufel mit seinem höllischen Heer hatte die sonst unbezwinglicheRaubritterburg eingenommen und zerstört, ihre Bewohner aber mit indie Hölle hinabgerissen. Auch die zahlreichen Gefangenen in den Ker-kern und Verliesen fanden bei diesem Zusammenbruch den Tod. Siekönnen keine Ruhe im Grab finden und irren zu mitternächtiger Stundegespenstisch zwischen den zerborstenen Mauern umher. Auch den Ritterund seine Gesellen kann man zuweilen sehen. Sie eilen in stürmischenNächten laut heulend in der verfallenen Burg hin und her.

Die ungeheuren Schätze und Kostbarkeiten liegen noch heute unterSchutt und Mauertrümmern der Burg vergraben. Manchmal bemerktein später Wanderer, wenn er bei Nacht vom Liesingtal zur Ruine hin-aufschaut, auf den Schloßmauern blaue Flämmchen glühen. Sie deutendie Stelle an, wo die Schätze verborgen liegen. Schon mancher Schatz-gräber hat sich die größte Mühe gegeben, das alte Gestein zu durch-wühlen und den Schatz des Raubgrafen zu heben, aber bisher ist esnoch keinem gelungen.

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Der Tod des letzten Eppensteiners

Ein altes Sprichwort sagt: „Wie gelebt, so gestorben." Daß ein wüstesLeben mit einem wüsten Tod endet, beweist das Ende des letzten

Herrn auf Eppenstein, des Ritters Reimprecht. Er führte ein zügel-loses, ausgelassenes Leben, war grausam und hartherzig und bedrückteseine Untertanen, die nur mit Zittern und Zagen die Burg betraten.Seine fromme, herzensgute Gattin war früh gestorben, die Untaten ihresGemahls hatten ihr das Herz gebrochen.

Einstmals, nach einem ausschweifenden Zechgelage, das bis in diespäte Nacht gedauert hatte, konnte der Ritter keinen Schlaf finden.Unter greulichen Flüchen wälzte er sich ärgerlich auf seinem Lagerhin und her. Da öffnete sich plötzlich lautlos die Tür des Schlafgemachs,und eine weiße Gestalt trat unhörbar an das Lager des Ritters, der diegespenstische Erscheinung wie gebannt anstarrte. Dreimal winkte dieunheimliche Gestalt dem erschrockenen Schloßherrn, dann verschwandsie lautlos, wie sie gekommen war.

Der Ritter konnte in seiner Erregung die ganze Nacht kein Augezutun und ließ in aller Morgenfrühe den Burgkaplan zu sich bescheiden,der ihm die Bedeutung dieser Erscheinung erklären sollte. Der greisePriester sagte mit tiefem Ernst zum Ritter: „Herr, Euch steht Schlim-mes bevor. Die Erscheinung, die sich Euch heute nacht gezeigt hat,war die Weiße Frau von Eppenstein. Sie kommt jedesmal, wenn einGlied Eurer Familie aus dem Leben scheiden muß. Da Ihr der letzteEures Geschlechtes seid und keine Verwandten besitzt, kann sich ihrErscheinen nur auf Euren Tod beziehen, der Euch in Bälde bevorsteht.Daher bitte ich Euch, laßt ab von Eurem weltlichen Treiben und denktan Euer baldiges Ende."

Ungläubig hörte der Ritter die Worte des Kaplans, spöttisch er-widerte er: „Ich denke gar nicht daran, so bald zu sterben. Ich stehein meinen besten Jahren und hoffe, noch manchen vollen Humpen imKreis froher Zechgenossen zu leeren. Was Ihr mir sagt, ist ödes Ge-wäsch."

Alle Ermahnungen des frommen Priesters fruchteten nichts, traurigentfernte sich der unwillkommene Mahner aus dem Gemach des Ritters.Diesem aber war ein Stachel im Herzen zurückgeblieben, er konnte ein unheimliches Gefühl nicht loswerden. Da rief er seinen Leibjäger undbeauftragte ihn, alle Vorbereitungen für eine große Jagd zu treffen.Er wollte die bangen Ahnungen, die ihn seit den Mahnworten desKaplans verfolgten, durch eine wilde Jagd betäuben.

Als es soweit war, sprengte er an der Spitze einer wilden Schar gleich-gearteter Kumpane mit lautem Hallo in die dichten, schluchtenreichenWälder, die sich um die Burg Eppenstein ausbreiteten. Wild spornte

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der Ritter sein Roß, und bald blieben seine Begleiter weit hinter ihmzurück; sie waren nicht imstande, dem ungestümen Schloßherrn zufolgen. Dichtes Gestrüpp und gefallene Baumriesen versperrten denWeg, aber Ritter Reimprecht achtete keiner Hindernisse. Doch verge-bens spähte er auf dem wilden Ritt nach einem Wild aus. Obwohl inden Wäldern neben Hasen, Reh und Hirsch auch Luchse, Wölfe, jaselbst Bären hausten und Wildschweine die sumpfigen Stellen bevöl-kerten, war es, als ob alles Getier den Zorn des grimmigen Jägersscheute, als ob alle Tiere sich in ihren Verstecken verkrochen hätten.Mit wilden Lästerworten jagte der Schloßherr tiefer in den Wald hinein,Umschau haltend, ob sich kein Ziel für seine Jagdlust biete.

Währenddessen aber zog sich, ohne daß der Ritter darauf achtete,ein fürchterliches Unwetter über dem Gipfel des Grössenberges zusam-men. Nächtliche Dunkelheit bedeckte den Wald. Blitze zuckten, und un-aufhörlich rollte der Donner. Reimprecht aber ließ sich durch Sturmund Wetter nicht beirren und trotzte allen Naturgewalten. Plötzlichtauchte vor ihm ein gewaltiger Keiler auf und suchte fliehend eine naheSchlucht zu gewinnen. Hitzig machte sich der Ritter an die Verfolgungdes Wildes und verwundete es mit seinem Speer. Da wandte sich dasgereizte Wildschwein mit furchtbarem Grimm gegen seinen Verfolger.Von den mächtigen Hauern getroffen, stürzte das Pferd zu Boden undbegrub im Fall den Ritter unter sich. Ehe er sich unter der Last des

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Tieres hervorarbeiten konnte, hatte ihm der wütende Eber so tiefeWunden gerissen, daß er vor Schmerzen nicht imstande war, sich zuerheben. Keine Hilfe, keine Rettung nahte. Allein, von allen Menschenverlassen, endete der Ritter im tiefen Waldesdunkel, auf den Moos-boden hingestreckt, sein wildes Leben.

Erst am nächsten Tag fanden die Jagdgenossen den zerfleischtenLeichnam des unseligen Burgherrn und brachten ihn auf Schloß Eppen-stein, wo der Letzte seines Geschlechtes seine ewige Ruhestätte fand.

Die Freimannshöhle bei Turrach

Auf der Stangalpe bei Turrach befindet sich eine Höhle, die Frei-mannshöhle, auch „Freimannsloch" genannt. Hierher kam vor

langer Zeit alljährlich ein Italiener, bestieg die Alpe und kehrte jedes-mal, ohne sich lang aufgehalten zu haben, schwer beladen wieder zu-rück. Niemand wußte, woher er kam und was er auf der Alpe tat, nichteinmal der Bauer, bei dem er in Turrach übernachtete; auch ließ erkein Wort über sein Beginnen fallen. Nur einmal sagte er zu demBauern: „Wenn die Leute wüßten, welche Schätze auf der Stangalpeverborgen liegen, würden sie sich nicht so sehr plagen."

Nach diesen Worten entfernte er sich und kam nie mehr in die Ge-gend zurück. Den Bauern aber ließen die Worte des Fremden nichtzur Ruhe kommen. Er beschloß, die verborgenen Reichtümer ausfindigzu machen, und untersuchte auf der Stangalpe Fleck für Fleck aufsgenaueste. Endlich kam er an eine abgelegene Stelle, wo seltsam glit-zernde Steine auf dem Boden zerstreut lagen. Der Bauer hielt sie fürEdelsteine und steckte sie erfreut zu sich. Im Weitergehen bemerkte erin einer nahen Felswand, vom Gestrüpp halb verborgen, eine dunkleÖffnung. Als er hindurchkroch, sah er sich in einer ziemlich großenHöhle, deren Wände von Gold zu glänzen schienen. Der Bauer nahmmit sich, was er nur tragen konnte, und kehrte mit seinem Fund nachHause zurück. An den folgenden Tagen stieg er immer wieder zu derHöhle hinan und brachte jedesmal eine Ladung von Schätzen mit sich.So häufte er Reichtum auf Reichtum, ohne daß jemand wußte, wie erdazukam. Sein Glück erregte den Neid seiner Nachbarn, und bald mehr-ten sich die Gerüchte, daß er auf unredliche Weise zu seinem Reichtumgekommen sei.

Nun war gerade zu jener Zeit ein reicher, vornehmer Mann, der sichohne Begleitung auf die Stangalpe begeben hatte, von seiner Wanderungnicht nach Hause zurückgekehrt. Man konnte keine Spur mehr vonihm auffinden, der Mann blieb vermißt. Bald lenkte sich der Verdacht

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der Behörden auf den Bauern; man vermutete, daß er den Fremdengetötet und sich seines Geldes bemächtigt habe, und verhaftete ihn.Zwar beteuerte der Landmann seine Unschuld, aber weil er nicht auf-klären wollte, woher sein Reichtum stamme, fand man ihn für schuldigund verurteilte ihn zum Tode.

Der Scharfrichter aber, dem man den Verurteilten zur Hinrichtungausgeliefert hatte, dachte, daß der Bauer auf der Stangalpe vielleichteine Schatzhöhle gefunden habe — wie es ja auch wirklich der Fall

war —, und versprach dem Delinquenten die Freiheit, wenn er ihmsein Geheimnis mitteilte. Als der Bauer sah, daß ihn nichts anderesmehr vor dem Tod retten könne, gewann die Liebe zum Leben dieOberhand über seinen Geiz, er willigte ein und führte den Scharfrichterzur Höhle auf die Stangalpe. Sobald der Henker die unermeßlichenReichtümer erblickte, kam die Habsucht über ihn; er wollte alles alleinbesitzen und tötete den Bauern, um nicht mit ihm teilen zu müssen.

Zur Strafe für die ruchlose Tat muß der Scharfrichter in der Schatz-

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höhle das Schwert schwingen über die Köpfe aller jener, die, von Gold-gier geblendet, hierherkommen, um sich die Schätze der Höhle anzu-eignen. Deshalb heißt die Höhle auch das Freimannsloch.

Viele haben schon versucht, in die Höhle einzudringen, aber nurwenige haben den Eingang gefunden. Wem es jedoch gelingt, die Höhlezu betreten, der kommt nur dann ungefährdet und mit Schätzen reichbeladen zurück, wenn er imstande ist, den Spuk des Freimanns miteinem geweihten Talisman zu verscheuchen. Manche aber, die das nichtkonnten, haben sich in den Klüften der Höhle verirrt und sind nie mehrans Tageslicht gekommen. Sie sind dem Schwert des gespenstischen Frei-manns und den Flammen, die aus der Höhle bisweilen emporlodern, zumOpfer gefallen.

Gerold von Liechtensteinauf Feste Liechtenstein bei Judenburg

Zur Zeit Karls des Großen lebte im fruchtbaren Eichfeld ein tapfererKrieger namens Aribo. Er wohnte mit seiner Gemahlin Oda in

einem aus Steinen erbauten Haus, das mit starken Mauern und breitenWallgräben befestigt war. Ein kleines Söhnchen, Gerold mit Namen,bildete den Stolz und die Freude der Eltern. Der schöne, kräftigeKnabe, den die Natur auch mit allen geistigen Gaben ausgestattet hatte,berechtigte den Vater zu den schönsten Hoffnungen.

Als einst die Awaren die Grenzen des Landes verwüsteten, zog Aribozum Kampf gegen sie aus. Mit bangendem Herzen warteten Mutterund Sohn auf die glückliche Heimkehr des Vaters. Aber dieser kamnicht mehr. Seine Waffengefährten brachten die traurige Kunde, daßer in tapferem Kampf gegen den Feind sein Leben gelassen hatte.

Mutter und Sohn trauerten lange um diesen herben Verlust. Unter-dessen wuchs der junge Gerold zu einem kräftigen Jüngling heran,der alle Zweige des Waffenhandwerks gründlich erlernte, um gleichseinem Vater jedem Ruf zur Verteidigung seiner Heimat Folge leistenzu können. Die Feldzüge Karls des Großen gegen die Awaren botenihm bald Gelegenheit, Kriegsdienst im kaiserlichen Heer zu nehmenund sich den Ruhm eines untadeligen, tapferen Kriegers zu erwerben.

Einst brach eine Schar räuberischer Awaren in die Gegend ein undumzingelte das Steinhaus, in dem sich Gerold mit seiner Mutter undden Knechten aufhielt. Tapfer verteidigten sich die Eingeschlossenenund fügten den hartnäckigen Feinden empfindliche Verluste zu. Als sieaber sahen, daß das Haus auf die Dauer nicht zu halten sei, zündete

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es Gerold selbst an, damit es den Feinden nicht in die Hände falle,und schlug sich durch die Reihen der Belagerer durch. Die Awarenverließen darauf die Trümmerstätte.

Nun griff Gerold zum Pflug, um für sich und die Mutter das täg-liche Brot zu schaffen. Als er einmal mit seinen Stieren den Ackerpflügte, bemerkte er in einer frisch aufgeworfenen Erdscholle einenherrlich glänzenden Stein. Gleichgültig nahm er den Fund an sich, umihn am Abend seiner Mutter zu zeigen. Bei einbrechender Dunkelheitzog er mit seinem Gespann heimwärts. Zu Hause angelangt, legte erden Stein in der dunklen Stube auf den Tisch. Aber wie erstauntenMutter und Sohn, als von dem Gestein ein so wunderbarer Schein aus-ging, daß der ganze Raum hell erleuchtet war.

„O Wunder", riefen sie wie aus einem Mund, „welch zauberhafterGlanz, was für leuchtende Farben!" und konnten nicht begreifen, daßeinem toten Stein so lebendig funkelnde Strahlen entströmen konnten.

„Diesen Stein hat uns Gott geschenkt", sagte Gerold, „er hat sicherungeheuren Wert. Ich will ihn morgen nach Judenburg tragen unddort verkaufen; vorher aber werde ich den frommen Einsiedler fragen,was er dazu sagt."

Im Wald auf dem Weg nach Judenburg war damals ein frommerKlausner daheim, der wegen seiner Klugheit bei allen Leuten in hohemAnsehen stand und vom Landvolk in allen Angelegenheiten gern zu Rat gezogen wurde. Diesen suchte Gerold vorerst auf und erzählte vonseinem Fund. Der Alte besah den wunderbaren Stein mit großer Auf-merksamkeit und meinte: „Gott hat dich da mit einem sehr kostbarenFund gesegnet. Verkaufe diesen Stein nicht, sondern gürte vielmehr deinSchwert um, ziehe zu unserm großen Kaiser Karl nach Aachen undbring ihm diese herrliche Gabe als Geschenk dar. Alles Weitere überlaßder Fügung des Himmels!"

Mit Dankesworten empfing Gerold den Rat des klugen Einsiedlers.Freude erfüllte sein Herz; denn dieser Rat kam seinem längst gehegtenWunsch entgegen, an den Hof des mächtigen Herrschers zu ziehen undunter den Augen des Kaisers kriegerische Taten zu verrichten. Einesnur machte ihm Sorge: wer würde nun für seine Mutter Oda sorgen?Aber auch dafür wußte der kluge Waldbruder Rat. Und so legte Geroldseinen glänzenden Harnisch an, gürtete sich mit dem breiten Schwert,bestieg sein Pferd und trat, von den Segenswünschen seiner Mutterbegleitet, den weiten Zug an den kaiserlichen Hof nach Aachen an.

Der Kaiser befand sich zu jener Zeit gerade im Kampf gegen auf-ständische sächsische Grenzvölker. Gerold vernahm dies nicht ungern;denn um so eher hatte er Gelegenheit, sich vor dem Kaiser im Kampfauszuzeichnen. Der Herrscher nahm den Jüngling, der um die Gnadebat, in seiner Nähe am Kampf teilnehmen zu dürfen, gütig auf und

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gewährte huldvoll seine Bitte. Bald gewann Gerold durch seine Tapfer-keit und Unerschrockenheit die Herzen seiner Mitkämpfer, er war inihrem Kreise gern gesehen und hörte aus ihrem Mund von mancherkühnen Rittertat. Gar wohl tat es seinem Herzen, als sein Feldhaupt-mann ihm einmal erzählte, daß er seinen Vater, den tapferen Aribo,gut gekannt habe, der im Kampf gegen die Awaren ein Vorbild an Mutund Entschlossenheit gewesen sei.

Eines Tages kam es zu einem größeren Gefecht. Der Kampf währteden ganzen Tag, denn die Feinde schlugen sich verzweifelt. Als dieDunkelheit über das Schlachtfeld hereinbrach, nahm Gerold seinenWunderstein, den er bei sich trug, und befestigte ihn auf seinem Helm,von wo er wie ein feuriges Auge glänzende Strahlen aussandte. In aber-gläubischer Furcht wichen die Feinde zurück, als dieses zauberhafteLicht ihnen entgegenstrahlte. Gerold aber rückte mit seinen Leuten vor,schlug den Gegner vollends in die Flucht und entschied so den Siegdes kaiserlichen Heeres. Als man dem Kaiser die seltsame Mär von demwunderbaren Lichtschein auf dem Helm des jungen Kämpfers über-brachte, ließ der Herrscher den Jüngling zu sich rufen.

Mit einer tiefen Verneigung legte Gerold den lichten Stein zu denFüßen des Kaisers nieder. Dieser betrachtete staunend den glänzendenKarfunkelstein, und alle im Umkreis bewunderten sein helles Leuchten.Dann sprach der Kaiser: „Ich nehme gern diesen lichten Stein als Ge-schenk entgegen und erhebe dich zum Lohn für deine Tapferkeit zumRitter und Edlen des Reiches. Dein Haus soll den Namen Liechten-stein' führen, und der Ruhm deines Geschlechtes sei licht, glänzend underhaben wie dieser Stein!"

Mit stolzer Freude hörte der Jüngling die Worte seines Kaisers. Alsder Kriegszug beendet war, kehrte der erste Liechtensteiner wieder in

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seine schöne, grüne obersteirische Heimat zurück, um die bedeutendenLehengüter in Besitz zu nehmen, mit denen ihn die Gnade des Herr-schers belohnt hatte.

Inmitten seines Besitzes erbaute dann Gerold die Feste Liechtensteinbei Judenburg und wurde der Ahnherr des Geschlechts derer vonLiechtenstein, das seinem Vaterlande noch viele bedeutende Männer ge-schenkt hat.

Ritter Siebenherz mit der steinernen Handin St. Michael

Im Murtal bei St. Michael fand vor vielen Jahrhunderten ein heftigerKampf statt, in dem der kaiserliche Feldhauptmann mit seinen Scha-

ren trotz tapferster Gegenwehr der Übermacht der feindlichen Streit-kräfte zu erliegen drohte. Da sprengte der Kaiser selbst mit einigenFähnlein seiner Getreuen von einem Berg herab und fiel dem Feindin den Rücken, der nun zur Flucht gezwungen wurde. Zur Erinnerungan den erfochtenen Sieg ließ der Kaiser auf der Höhe des Berges, vondem er sich auf den Gegner gestürzt hatte, eine Burg erbauen, die er„Kaisersberg" nannte. In dankbarer Anerkennung für die bewieseneTreue und Tapferkeit verlieh er sie später seinem wackeren Feldhaupt-mann, der von nun ab den Namen „Ritter von Kaisersberg" führte.

Der letzte Ritter dieses Geschlechts hatte eine einzige Tochter, die er,als es mit ihm zum Sterben kam, zur alleinigen Erbin der Burg und allerseiner Besitzungen und Reichtümer einsetzte. Der Ritter hatte seinenBurgkaplan mit der Abfassung und Verwahrung des Testaments be-traut und einen ihm befreundeten Adeligen, den Ritter Siebenherz, zumVormund für sein unmündiges Töchterlein bestellt. Bald darauf schloßder letzte Kaisersberger seine Augen für immer.

Anfangs kam Ritter Siebenherz allen seinen Obliegenheiten und Ver-pflichtungen getreulich nach, wachte besorgt über das Wohlergehenseines Mündels und verwaltete die seiner Obhut anvertrauten Besitz-tümer des Edelfräuleins mit größter Gewissenhaftigkeit. Mit der Zeitaber schlichen dunkle Gedanken in sein Herz; der verwaltete Besitzgefiel ihm so gut, daß er gern selber Herr der vom Ritter von Kaisers-berg hinterlassenen Güter geworden wäre, und sein ganzes Sinnen undTrachten begann sich darauf zu richten, seine böse Absicht zu verwirk-lichen. Ein Zufall kam ihm dabei zu Hilfe. Der Burgkaplan, der keinemMenschen ein Wort vom Vorhandensein des ihm übergebenen Testa-ments gesagt hatte, unternahm eine Wallfahrt, die ihn in ferne Länder

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führte. Er wähnte das Burgfräulein unter der Obhut ihres Vormundesin den besten Händen und griff daher ruhig zum Pilgerstab.

Aber kaum hatte der Priester die Burg verlassen, da zeigte sichRitter Siebenherz in seiner wahren Gestalt. Er begann das Mädchenlieblos und rauh zu behandeln und setzte es nach einiger Zeit sogar inder Burg gefangen. Nun glaubte er leichtes Spiel zu haben und machtesich selbst zum Herrn auf Burg Kaisersberg. Mit Hilfe eines gefälschtenTestaments, das er überall vorwies, erklärte er die ganze Hinterlassen-schaft des Kaisersberges für sein Eigentum und ließ alle Einkünfte ausdem großen Besitz in seine eigene Tasche fließen. Aber da nahmen sichdie Gerichte der letzten Kaisersbergerin an, und der Ritter Siebenherzmußte sein Vorgehen vor den kaiserlichen Räten verantworten. Er tatdies auch mit größtem Selbstbewußtsein und erklärte unverfroren, erwolle alle seine Behauptungen eidlich bekräftigen. Dies wurde ihm auchgestattet, nicht ohne vorherigen Hinweis auf die furchtbaren Folgen,die ein falscher Eid nach sich ziehe.

Am bestimmten Tage fand sich Siebenherz im Gerichtssaal ein, sprachdie vorgelesene Eidesformel Wort für Wort nach, beschwor die Echt-heit des von ihm vorgewiesenen Testaments und erklärte zum Schluß,der Himmel möge ihn strafen und seine Hand sogleich zu Stein werdenlassen, wenn er die Unwahrheit spreche.

Totenstille herrschte nach diesem Schwur im Saal. Schon glaubteSiebenherz seine Sache gewonnen zu haben, da trat ein ehrwürdigerPriester aus den Reihen der Zuhörer vor. Indem er dem erblassendenRitter das Wort „Meineidiger" zurief, zeigte er dem Gerichtshof einePergamenturkunde vor, die sich, bekräftigt durch das echte, unverletzteSiegel des Kaisersbergers, als das wirkliche Testament des Ritters vonKaisersberg erwies.

Entsetzt erkannte Siebenherz in dem Priester den Burgkaplan, dersoeben von seiner Wallfahrt zurückgekehrt war. Blaß bis in die Lippenhörte er die Verlesung des echten Testaments, dann stieß er einenfurchtbaren Fluch aus und stürzte, wie von Hunden gehetzt, aus demGerichtssaal. Gott hatte den Frevler an Ort und Stelle gestraft; was ervermessen in seinem falschen Eid gewünscht, war Wirklichkeit gewor-den; seine rechte Hand war zu Stein erstarrt.

Das Gericht sprach alle Güter und Reichtümer, die Siebenherz ansich gerissen hatte, der Tochter des Kaisersbergers zu. Der meineidigeRitter mit der steinernen Hand aber zog verzweifelt und ruhelos durchalle Länder und Städte des Reiches, von vielen gefürchtet, von allengemieden, ein lebendiges Mahnmal des göttlichen Strafgerichts.

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Der Eselssteig auf der Riegersburg

Im oststeirischen Hügelland ragt stolz und kühn die gewaltige Riegers-burg zum Himmel empor, die manchem Feind getrotzt hat. Fast

zweihundert Meter hoch erhebt sie sich über der Talsohle, abweisendblickt sie dem Wanderer von allen Seiten entgegen. Durch sieben Toreführt der Weg zum obersten Teil der Burg. Beim vorletzten Tor gibtseitlich ein Pförtchen den Weg frei zum sogenannten „Eselssteig",einem schmalen Saumpfad, der, oft in den Felsen gehauen, manchmalvon Steinen überragt, am Abgrund vorüber in mehr als hundert Stufensteil ins Tal hinabführt. Eine mit Schießscharten versehene Mauerschließt den Pfad gegen den Einblick von außen ab.

Vor langer Zeit gehörte die Riegersburg zwei Brüdern, Christophund David Ursenbekh, die miteinander verfeindet waren. Der ältereder beiden Brüder hieß der Kronegger, so genannt nach dem oberenSchloß Kronegg, der jüngere führte den Namen Lichtenegger als Herrder tiefer gelegenen Burg Lichtenegg. Der ältere Bruder hatte eine sanf-tere Natur, der jüngere war eigenwillig und herrschsüchtig, was derKronegger oft in unangenehmer Weise zu spüren bekam. Um Wasserund Lebensmittel aus dem Tal herbeizuschaffen, mußte der Durchgangdurch das untere Schloß benützt werden, den der Schloßherr aber öfter

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verweigerte. Es gab sonst keinen Weg ins Tal; daher herrschte in derBurg Kronegg empfindlicher Mangel, wenn es dem Lichtenegger einfiel,seine Tore zu sperren.

Diese unbequeme Abhängigkeit von der Gnade des hochmütigenBruders bewog den Kronegger, sich einen eigenen Weg ins Tal anzu-legen. Es war dies aber keine leichte Aufgabe; denn der Fels war hochund steil und ließ sich den Pfad nur mit Mühe abringen. Leibeigene undGefangene mußten im Schweiß ihres Angesichts harten Frondienstleisten, bis es gelang, den Steig in den Felsen zu hauen.

Endlich war das Werk vollendet und der Kronegger von den Bos-heiten und Eigenwilligkeiten seines Bruders befreit; das obere Schloßhatte einen eigenen Zugang. Täglich schleppten nun Maulesel Wasser-fässer und Vorräte den steilen Berg hinan, ohne daß der Schloßherr eineplötzliche Torsperre fürchten mußte.

Seit dieser Zeit heißt der steile Felsenweg der „Eselssteig". Er istnoch heute erhalten und gangbar und zeugt von der Mühe und demKönnen früherer Zeiten.

Der Feldbacher Galgen

Als die Stadt Feldbach im 14. Jahrhundert das Stadtrecht erhielt,war damit auch das Recht über die Todesstrafe verbunden. Der

neue Stadtrat hatte daher nichts Eiligeres zu tun, als sogleich zumZeichen der verliehenen Gerichtsbarkeit einen Galgen errichten zulassen, der alle andern Galgen des Landes an Größe und Schönheitweit übertreffen sollte. Tagelang schafften und werkten die Zimmerleuteder jungen Stadt mit Feuereifer, um ein möglichst würdiges Instrumentder Gerechtigkeit hervorzubringen. Als der Galgen endlich zur Zufrie-denheit aller gezimmert war, erhob sich die große Frage, wo man ihnaufstellen solle. Denn nicht nur verurteilte Verbrecher sollten daran ge-hängt, sondern zugleich Räuber und anderes Gesindel durch den Anblickder drohenden Strafe von der Stadt abgeschreckt werden. Schließlicheinigte man sich nach reiflicher Überlegung auf einen Platz außerhalbder Stadt, eine sanft ansteigende Höhe, wo der Galgen mit viel Ge-pränge und Feierlichkeit auch wirklich aufgestellt wurde.

Nun stand das Zeichen des höchsten Feldbacher Rechts stolz undweithin sichtbar da und blickte warnend auf die zu seinen Füßen lie-gende Stadt. Mancher fremde Wandersmann, der sein Gewissen nichtganz rein fühlte, mag sich da beeilt haben, dem Bannkreis der Stadtzu entweichen und das unheimliche Gerüst hinter sich zu lassen.

So verstrich geraume Zeit, ohne daß der Galgen seinem eigentlichen

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Zweck gedient hätte. Obwohl noch niemand gehenkt worden war, be-schäftigte der Galgen trotzdem die Gemüter der Stadtbewohner. Siezerbrachen sich die Köpfe, wer wohl das erste Opfer sein würde.

Eines Tages fing der Nachtwächter einen zufällig des Weges kommen-den Zigeuner, und der Stadtrat säumte nicht, dem armseligen Kerl we-gen Kindesraub, Brandlegung und Diebstahl den Prozeß zu machen. Er

wurde zum Tod durch den Strang verurteilt. Große Aufregungherrschte in der Stadt, und alles wartete unruhig auf den nächsten Mor-gen, an dem das Urteil vollstreckt werden sollte. Der Nachtwächter,dem dieser glückliche Fang gelungen war, wanderte mit geschwellterBrust von einem Wirtshaus zum andern, ließ es als Folge dieser Wande-rung an der nötigen Wachsamkeit über den seiner Obhut anvertrautenDelinquenten fehlen, und der gefangene Vogel entwischte in der Nacht.Als man am nächsten Morgen den armen Sünder aus seiner Zelle holenwollte, fand man das Nest leer. Die Bestürzung war groß.

Mit langen Gesichtern traten die Ratsherren zu einer vertraulichenSitzung zusammen, um über die Sachlage zu beraten; man mußte vorallen Dingen einmal die Flucht des Verurteilten geheimhalten, um nichtdem Gelächter der Nachbarn zu verfallen. Guter Rat war teuer. Da

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schlug nun ein ehrsamer Schustermeister, der auch im Rat der Weisensaß, seinen Ratskollegen vor, eine Strohpuppe als Zigeuner zu verklei-den und an ihr die Exekution auszuführen.

Gesagt, getan! Der Streich gelang, keiner der Zuschauer merkte dieFälschung. Allerdings hatte der Rat in weisem Vorbedacht angeordnet,daß die mit Hellebarden bewaffneten Stadtwächter die allzu neugierigenStädter mit den langen Schäften ihrer Waffen in gehöriger Entfernunghalten sollten, damit keiner den Schwindel merke.

Nicht lange darauf ereignete es sich, daß man im benachbarten Kirch-berg einen Mörder fing und zum Tod verurteilte. Die Kirchberger hattenaber keinen Galgen. Da wandten sie sich vertrauensvoll an den Rat derStadt Feldbach mit der Bitte, ihnen den Galgen leihweise oder käuflichzu überlassen. Die Stadtväter berieten über dieses Ersuchen und kamennach langer Beratung zu folgendem Schluß, den sie den Kirchbergernkundtaten: „Wir Feldbacher können euch unseren Galgen weder leihennoch verkaufen, weil wir ihn selber notwendig brauchen für uns undunsere Kinder."

Und so blieb der Galgen weiter in der Stadt Feldbach und wird wohlin späterer Zeit den Nachkommen jener weisen Stadtväter noch redlicheDienste bei gerechten Strafen geleistet haben.

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K Ä R N T E N

Der Riese vom St. Leonharder See

E inst lag an der Stelle, wo sich heute der St. Leonharder See aus-breitet, ein friedliches Dörfchen. Unweit davon hatte ein junger

Riese seine Behausung aufgeschlagen. Er besaß, wie alle seines Ge-schlechts, eine ungeheure Kraft, war wohlgestaltet von Körper undAntlitz und verfügte über unermeßliche Schätze. Es schien demnachalles vorhanden, was Glück und Zufriedenheit ausmachen kann. Unddoch nagte ein heimlicher Kummer im Herzen des Riesen. Weil er näm-lich von so gewaltiger Größe war, fand er weit und breit kein Weib,das ihm als Gefährtin annähernd ebenbürtig gewesen wäre. Alles Suchenwar vergebens, und er hatte schon die Hoffnung aufgegeben, einepassende Ehefrau zu finden. Dieser Gedanke bereitete ihm viele schlaf-lose Nächte.

Zur selben Zeit lebte in jener Gegend ein Zwerg, der die Gabe derHellseherei besaß, die er nicht immer vorteilhaft anwendete. Der Riesehatte von diesem Männchen gehört und wollte es gern um Rat fragen.Doch der Kleine war selten zu sehen, da er die meiste Zeit in einerunbekannten Höhle im Wald verschlief. Aber eines Tages trafen diebeiden zufällig auf dem Weg zusammen. Diese Gelegenheit ließ sich derRiese nicht entgehen. Rasch ergriff er den Zwerg, hob ihn zu sich aufeinen Felsen empor und brachte sein Anliegen vor. Das Männchenhörte ihn schmunzelnd an und sagte, indem es ihm eine wilde Rosehinhielt: „Nimm diese Rose und ziehe mit ihr durch den Wald bis zueinem großen Gut. Dort wirst du vielleicht finden, was du ersehnst.Die Bäuerin wird von einer Werbung um ihre Tochter nichts wissenwollen, du mußt diese daher entführen. Bist du dann glücklich zu Haus,so warte, bis sie in tiefem Schlaf liegt; dann lege ihr die Rose auf dieBrust! Ist sie das richtige Weib für dich, so wird die Rose unverändertbleiben!" Nach diesen Worten verschwand das Männlein.

Der Riese befolgte den Rat des Zwerges. Nach langer Irrfahrt kamer mit einem prunkvollen Gespann zu einem großen Gut, vor dem einriesengroßes Mädchen im Garten Wäsche aufhing und Linnen in derSonne bleichte. Als der ungeduldige Freier das Riesenfräulein erblickte,packte ihn gewaltige Sehnsucht, dieses riesenhafte Wesen als Brautheimzuführen. Er trat zu dem Mädchen und begrüßte es mit schmei-chelnden Worten. Auch der Riesenmaid gefiel der großmächtige Mann,um so mehr, als sie das glänzende Fuhrwerk erblickte, und sie hieß

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ihn herzlich willkommen. Aber da kam auch schon keifend und schel-tend die Mutter aus dem Haus und hieß die Tochter hineingehen; denRiesen aber wollte sie fortjagen. Inzwischen war das Mädchen an denWagen herangetreten, um das schöne Gespann des fremden Mannesnäher zu betrachten. Dieser aber nahm die Schöne in seine starkenArme, ohne daß sie sich dagegen sträubte, hob sie auf den Wagen undjagte mit ihr davon.

Als der Riese nach langer Fahrt glücklich daheim angelangt war,begehrte das Mädchen zu schlafen; denn es war von der weiten Reiseermüdet. Das war dem sehnsüchtigen Bräutigam gerade recht, konnteer doch gleich die vom Zwerg angeratene Rosenprobe anstellen. Wäh-rend die Holde nun in tiefem Schlummer lag, legte er ihr die wilde Roseauf die Brust und konnte vor Ungeduld kaum den kommenden Morgenerwarten, wo er wieder die Kammer des Fräuleins betreten wollte, umnach dem Ergebnis seines Versuches zu schauen. Als es endlich soweit war und er gespannt die Kammertür öffnete, sah er mit Schreckenanstatt der rot glühenden Rose brennende Nesseln auf ihrer Brust. Weh-klagend fuhr er in Haus und Garten umher und konnte sich doch nichtentschließen, das riesige Mädchen, das er schon liebgewonnen hatte,wieder wegzuschicken.

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Sie feierten also Hochzeit und wurden die Stammeltern jenes Ge-schlechtes von Riesen, das durch sein vermessenes Treiben den Zorndes Himmels herabrief und dadurch den Untergang des Dörfchensverschuldete, an dessen Stelle nun der St. Leonharder See liegt. Hätteder Riese den Rat des weisen Zwerges befolgt und die ungeeigneteBraut wieder nach Hause geschickt, so wäre dies namenlose Unheil denBewohnern jener Gegend erspart geblieben.

Der Fichtling von Haimburg

Nicht allzuweit abseits des Weges von Haimburg nach Diex standeneinsam und weithin sichtbar zwei alte, hochragende Fichten, die

nach der Meinung des Volkes von einem Baumgeist, einem Fichtling,bewohnt waren. Den Menschen gegenüber benahm sich der Zwerg nichtimmer in gleicher Weise; dem einen zeigte er sich wohlgesinnt, einanderer bekam seinen Unwillen zu spüren.

Ein armer Kleinbauer, dessen Anwesen an die Höhe grenzte, auf derdie Fichten standen, hatte in seiner Wirtschaft gar kein Glück. Baldschlug ihm der Hagel die Saaten zusammen, bald räumte eine Seucheunter seinem Viehstand auf, und da seine Einnahmen immer wenigerwurden, dagegen die Not und die Schulen wuchsen, verdingte er sichals Holzknecht, um in harter Arbeit doch wenigstens das tägliche Brotzu verdienen. Eines Tages ersuchten ihn mehrere Bauern, die beidenFichten zu fällen, weil alleinstehende hohe Bäume eine stete Blitzgefahrbilden. Aber der biedere Holzknecht lehnte dieses Ansinnen entschiedenab, denn er war den Anblick der beiden schönen Bäume gewohnt undhing wie alle Landbewohner mit größter Zähigkeit am A l t e . Er solltefür seine Weigerung reichlich belohnt werden, denn der Fichtling be-wies ihm seine Dankbarkeit für die Schonung der Bäume.

Als er einmal an den Fichten vorüberging, zeigte sich der Zwerg imGeäst und befahl ihm, in der Dreikönigsnacht die abgefallenen Nadelnder Bäume zu sammeln. Der Bauer befolgte den Auftrag. Aber wieerstaunte er, als er zu Hause in den Sack hineinsah! Anstatt dürrerFichtennadeln glitzerten ihm lauter silberne entgegen; alle Not warzu Ende, und aus dem armen Bauern wurde ein reicher Mann, der esnicht mehr nötig hatte, der schweren Holzarbeit nachzugehen.

Lange Zeit kümmerten sich die Leute nicht weiter um ihn, bis esschließlich auffiel, daß er, ohne zu arbeiten, ein behäbiges Leben führte.Und als man dann noch dahinterkam, daß seine Hütte mit schönem,kostspieligem Hausrat ausgestattet war, gingen bald die seltsamstenGerüchte um, wie er zu seinem Reichtum gekommen sei, ohne daß

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man dem wahren Grund auf die Spur kam, denn der Bauer bewahrtesein Geheimnis bis zu seinem Tod.

Als er dann auf dem Sterbebett lag, rief er seinen Sohn, übergabihm das Häuschen als Erbe und sagte, auf eine bis oben mit Goldmünzengefüllte Truhe hinweisend: „Höre, mein Sohn, dort siehst du ein großesVermögen, das ich dir als Erbe hinterlasse. Verwende es mit Maß undVernunft, und es wird dir immer wohl ergehen. Solltest du aber trotzdemeinmal in Not geraten, so nimm einen Sack und geh zum Fichtling, derwird dir helfen." Dann starb der Bauer und wurde in Ehren begraben.

Der Sohn aber vergaß bald die guten Lehren des Vaters, lebte in Sausund Braus und war binnen kurzem mit seinem Reichtum zu Ende. Nundachte er an die Worte des Verstorbenen, nahm einen Sack und begabsich zum Fichtling, um den Schatz zu erneuern. Ein schweres Gewitterzog heran, Blitze zuckten, unaufhörlich rollte der Donner, und derRegen goß in Strömen zur Erde hernieder. Ganz durchnäßt langte derjunge Mann bei den zwei Fichten an und wartete hoffnungsvoll, wasnun kommen werde. Plötzlich erscholl aus den Bäumen ein höhnischesGelächter; dann rührte sich nichts mehr. Unverrichteter Dinge mußteder enttäuschte Bauer mit dem leeren Sack wieder abziehen. Der Ficht-ling hatte ihm seine Hilfe versagt, da er das Geld durch seine eigeneSchuld verschwenderisch durchgebracht hatte. Fortan mußte der leicht-sinnige Mensch mit schwerer Arbeit sein Brot verdienen.

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Der krumme Reißecker

Am Fuß des Reißecks, eines mächtigen Gebirgsstockes in den HohenTauern, liegt eine kahle Alm, deren Einsamkeit von zwei klaren

Bergseen, dem Großen und dem Kleinen Reißecksee, gemildert wird.Eine kleine aus Steinplatten gefügte Almhütte bietet den Hirten imSommer einen bescheidenen Unterstand.

In früheren Zeiten weidete auf dieser Alm sehr viel Vieh, trotzdemgab es nur wenig Unfälle, was wohl der Umsicht der Hirten zuzuschrei-ben war. Manche meinen allerdings, es sei auf das gnädige Walten einesAlmgeistes zurückzuführen gewesen, der sich auf der Alm des öfterenblicken ließ.

Unter den Rindern, die alljährlich aufgetrieben wurden, erregten einesSommers zwei schöne schwarzrückige Ochsen die besondere Aufmerk-samkeit des Hirten. Sie gehörten dem Bauern Bernhard am Hattenberg.Als sich der Hirte eines Abends, müde und matt von dem täglichenAlmgang, der Hütte näherte, stand plötzlich ein kleines Männchen vorihm, das mit einem grauen Lodengewand bekleidet war und auf demKopf einen schwarzen, breitkrempigen Hut mit einer roten Hahnen-feder trug. Der Hirte erkannte ihn gleich als den „krummen Reißecker",einen Almgeist, der im Verein mit anderen unholden Gesellen seinerArt den Hirten schon manche Nuß zum Knacken gegeben hatte. Dies-mal aber hatte der Kleine eine Bitte an den Hirten und sagte treu-herzig, der Almer möge ihm über Nacht die zwei großen schwarz-rückigen Ochsen leihen, er werde sie nach getaner Arbeit wohlbehaltenwieder zurückstellen. Was sollte der Hirte anderes tun, als seine Zu-stimmung geben, um nicht der Rache des Berggeistes zu verfallen!Da nahm das Männchen die beiden Zugtiere und verschwand mit ihnenin der Abenddämmerung.

Mit banger Sorge um seine Tiere begab sich der Hirte zur Ruhe.Gegen Mitternacht erwachte er von einem wilden Geschrei: „Hü,Schwarzer, Hott, Kohle, dem großen See zu, auf die Ecke hin!" töntees in grausigen Lauten durch die Stille der Nacht, und der Widerhallin den nahen Felswänden schien höhnisch Antwort zu geben. Schlafloswälzte sich der besorgte Senne auf seinem Lager hin und her; die Rufedes nächtlichen Störenfrieds ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. All-mählich aber übermannte ihn doch die Müdigkeit, und er schlief biszum Morgengrauen. Noch war die Sonne nicht über den massigenNockbergen heraufgestiegen, da erhob er sich wieder und machte sichgleich auf die Suche nach seinen beiden Ochsen. Kalt pfiff ihm derNordwind um die Ohren. Doch er brauchte nicht lange zu suchen;schon nach kurzer Zeit fand er die Öchslein zu seiner Freude in derNähe des großen Sees liegen, aber müde und abgearbeitet, der Schweiß

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troff von ihren Flanken. Das schien ihm nun übel genug, und er sah sichbewogen, die matten, frierenden Tiere aus der eisigen Morgenluft inden Schutz der Hütte zu treiben.

Während er sich damit abmühte, erschien der krumme Reißeckerwieder und sagte in warnendem Ton: „Laß die Tiere liegen, bis dieSonne aufgegangen ist, sonst werden beide elend zugrunde gehen. Undmerke dir: Was auf dem Haupte eines jeden ist, gehört zum Lohn demBauern, was auf dem Schweif ist, kannst du dir behalten." Nach diesenWorten verschwand der Almgeist.

Der Hirte beachtete die Warnung des Männleins nicht, sondern triebdie Ochsen, die der Frost schüttelte, noch vor Sonnenaufgang in denStall. Als dann die Sonne emporgestiegen war, strahlte glänzendes Goldauf den Hörnern und Schweifen der Tiere, und sowohl Bauer als Almererhielten reichlichen Lohn nach der Weisung des Geistes. Die beidenOchsen aber gingen jämmerlich zugrunde, wie es das hinkende Männ-chen vorausgesagt hatte.

Die „hadischen Leute"

Im oberen Drautal in der Nähe von Molzbichl erhebt sich ein Berg mitseltsam abgeplattetem Rücken, der „Burgbühel". Hier stand vorzei-

ten ein altes „heidnisches Schloß". Einst sah ein junges hadisches* Fräu-lein vom Fenster der Riesenburg den Bauern zu, die am Fuß des Bergesihre Arbeit verrichteten. Neugierig schritt sie den Abhang hinunter, umdie seltsamen Geschöpfe näher zu besehen. Die winzigen Figuren, die sichda so munter bewegten, schienen ihr ein liebliches Spielzeug zu sein,und sie bückte sich zur Erde nieder, um ein paar der sonderbaren Wesenin ihrer Schürze zu bergen und in das Schloß hinaufzutragen.

„Da sieh, liebe Mutter", sagte sie freudig zu der Schloßherrin undzog ein paar Menschlein aus der Schürze hervor, „was für liebe Lerchenich gefangen habe!"

„Das sind Menschen, mein Kind, die den Boden bestellen", belehrtesie die Mutter, bestürzt den Fang ihres Töchterleins betrachtend. „Tragsie nur rasch wieder hin, wo du sie hergenommen hast. Es wird sogareinmal die Zeit kommen, wo diese kleinen Menschen uns alle aus demLand vertreiben werden."

Das junge Riesenfräulein tat, wie ihm die Mutter geboten hatte, undtrug ihre Beute auf die Wiese zurück, wo sie die Menschen kurzerhandauf den Boden schüttete. Dabei soll nun einer der Leute von dem hohen* A u f Bergen und Almen hausen „hadische Leute" in gewaltigen Höhlen, den„Hadenlucken".

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Fall ein Bein gebrochen haben. Bald darauf verschwanden die hadischenLeute aus der Gegend.

Auf einer Hochalm im Liesertal irrte einmal ein kleines Mädchenumher, das weinend ihre verlaufenen Ziegen suchte und dabei selbstirre gegangen war. Als es gar nicht mehr weiter wußte, begegnete ihmeine riesengroße „Hadin" und suchte die erschrockene Kleine zu trö-sten. „Ich will dir auch ein schönes Geschenk geben", sagte sie freund-lich; „freilich habe ich gerade nichts anderes bei mir als ein KnäuelZwirn, dessen Faden dir aber nie ausgehen wird. Wenn du einmal denAnfang des Fadens nicht findest, so werde nicht unwillig und sag janicht: Jetzt finde ich den Anfang nimmer; denn dann ist's aus mit demFaden!" Das Kind bedankte sich für das Geschenk, fand auch baldseine Geißen und den richtigen Weg und kam wohlbehalten wieder zurAlmhütte.

Das Mädchen wuchs heran und hatte Zwirn, sooft sie auch danachgriff, bis sie alt und grau geworden war. Eines Tages aber gelang esihr nicht gleich, den Fadenanfang zu finden. Da wurde sie zornig und

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rief: „Jetzt finde ich den Anfang nimmer!" Damit hatte sie sich selbstum das Geschenk der Hadin gebracht. Zwar wand sie das angefangeneKnäuel noch ab, aber der unversiegliche Faden war damit zu Ende.

Bei einem Bauern oberhalb Leoben im Katschtal erschien einst einriesiger, ungeschlachter Geselle, ein „Had", bei dessen Anblick demkleinen Bäuerlein ein Gruseln über den Rücken lief. Der Riese hatteso furchtbar große Augen, daß sich die Lider wie Balken ausnahmen,die er mit den Händen hinaufspreizen mußte, sonst wären sie ihmimmer wieder über die Augen gefallen.

„Du", sagte er zu dem erschrockenen Bauern, „mir tun die Händeschon weh; wenn ich aber die Augenbalken nicht halte, finde ich denWeg nicht mehr; führe mich zu meiner Behausung hinauf. Es solldich nicht gereuen, ich werde dir diesen Dienst lohnen." Willig gehorchteder Bauer, rüstete sich mit einem kräftigen Stock aus, der vorn einestarke Eisenspitze hatte, und machte sich mit dem Riesen auf den Weg,langsam voranschreitend, während der Had hinterdrein ging und sichan dem Stock festhielt, den ihm sein Führer hinstreckte. Als sie denWald hinter sich hatten und über einen Almboden wanderten, verlangteder Had einen Augenblick Rast, um sich die Gegend zu besehen. Stehen-bleibend schob er seine Augenbalken in die Höhe und blickte um sich.„Ja" , sagte er dann, „ich sehe, du hast mich richtig geführt. Von hieran fände ich auch mit geschlossenen Augen allein meinen Weg weiter,aber weil ich gerade nichts bei mir habe, um dich zu belohnen, mußtdu schon mit mir bis zu meiner Behausung kommen." Sie gingen nochein kurzes Stück weiter, bis der Riese vor einem Wacholderstrauchhaltmachte, der neben einem Felsblock wuchs. Mit einer leichten Hand-bewegung schob er Strauch und Felsen auseinander, und da lag derEingang zur Höhle, in der er wohnte. Auf einen Wink folgte ihm derBauer in die gähnende Tiefe.

Die erste Höhle, durch die sie kamen, war leer. In der zweiten be-merkte der Bauer verwundert eine ganze Menge Schuhe; fertige undhalbfertige, Sohlen und Leder, und alles schien bereit, den Meister zu er-warten, der seine Arbeit fortsetzen sollte. „Warte hier ein wenig", sagteder Had, „ich hole dir deinen Lohn; aber verlange selbst keine Ent-lohnung!" Dann verließ er den Bauern, und sein Führer blieb alleinzurück.

„Was braucht er denn lange zu suchen", brummte der Bauer vor sichhin. „Hier gibt es Schuhe in Menge; hätte ich nur ein Paar davon, sosollte es mir genügen; ich könnte sie dringend brauchen."

„Hättest du nur geschwiegen", ließ sich plötzlich der Riese verneh-men, der unbemerkt wieder aufgetaucht war, „so wäre das Ganze deineigen gewesen!" Dabei hielt er ihm einen großen goldig glänzenden Kar-

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funkelstein hin. „Da du aber einen Wunsch äußern mußtest, so kann ichdir nur einen Teil geben." Und er reichte ihm ein kleines Steinchen, dasimmerhin noch von riesigem Wert war. „Das Paar Schuhe kannst duauch haben", setzte er hinzu, „das du dir gewünscht hast. Aber wohlge-merkt: Geh nie damit auf den Friedhof!"

Schon wollte sich der Bauer entfernen, da rief ihm der Riese nochnach: „Warte, ich will einmal sehen, wie stark die neue Welt ist. Halther deinen Finger!"

Ängstlich sah der Bauer zu dem Riesen empor und betrachtete miß-trauisch dessen gewaltige Pranken, dann hielt er ihm die eiserne Spitzeseines Bergstockes hin. Der Had faßte zum Abschied den vermeint-lichen Finger mit seiner Hand und zerdrückte das Eisen wie Butter.„Hm", meinte er gutmütig, „der ist nicht einmal so schwach, aber unsereLeute waren noch weit stärker." Nun entließ er den Mann, der sicherleichtert davontrollte.

Das Steinchen des Had brachte dem Bauern so viel ein, daß er sichsein Dasein beträchtlich erleichtern konnte. Die Schuhe aber warenunverwüstlich, er trug sie viele Jahre hindurch. Einmal aber dachteer nicht an die Warnung des Had und ging mit ihnen auf den Fried-hof zu einem Begräbnis. Doch als er nach Hause kam, war es mit denSchuhen zu Ende, nur Fetzen hingen an seinen Füßen, die er weg-werfen mußte. Die Warnung des Had war berechtigt gewesen.

Die salige Frau im Rosental

In ganz Kärnten ist im Volk der Glaube an die saugen oder weißenFrauen, auch Salaweiber genannt, verbreitet, hehre, lichte Gestalten,

die in Felshöhlen, auf den Bergen oder in Gewässern wohnen und gernmit den Menschen verkehren, um ihnen ohne Lohn in Haus und Feldbehilflich zu sein.

Zu einem reichen Bauern im Rosental, der einen erwachsenen Sohnhatte, kam einst täglich eine salige Frau, half fleißig bei der Arbeit mitund legte sich abends in einer Kammer zu Bett. Eines Morgens trat dieBäuerin in das Gemach, wo die Salige noch friedlich schlummerte. Dielangen blonden Haare der fremden Frau hingen aufgelöst über denBettrand auf den Boden herab. Gerührt von diesem Anblick, nahm dieBäuerin die wundervollen Haare und legte sie leise, um die Schlafendenicht zu wecken, auf die Bettdecke. Doch das Salaweib erwachte undsprach tief bekümmert: „Mutter, warum habt Ihr das getan? Jetztmuß mich Euer Sohn heiraten!"

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Die Bäuerin wußte nicht recht, was sie von der Sache halten solle,doch da der Bauer nichts gegen die Heirat einzuwenden hatte und demSohn die wunderschöne Frau gar wohl gefiel, wurde nach kurzer ZeitHochzeit gehalten. Bevor der Brautzug zur Kirche aufbrach, sprachdie fremde Maid: „Eines müßt ihr mir aber versprechen: Ihr dürft mirnie etwas widerraten noch über eine Tat, die ich etwa begangen habe,Unwillen äußern oder mich gar dafür schelten; geschieht dies, so istmeines Bleibens bei euch nicht länger." Der glückliche Bräutigam so-wie die Eltern gelobten gern, was die Fremde verlangte.

Der junge Bauer hatte seine Wahl nicht zu bereuen. Das Salaweibwurde eine brave, tüchtige Hausfrau, die früh und spät mit nie erlah-mendem Eifer alle Arbeiten in Haus und Feld verrichtete. Alles gediehunter ihren Händen. Wie groß aber war erst das Glück des jungenBauern, als ihm seine Gattin zwei herzige Kinder schenkte, einen stillen,besinnlichen Knaben und ein munteres Mädchen. Beide Kinder gediehenprächtig an Körper und Geist und waren der Stolz und die Freude desglücklichen Vaters.

Eines Tages ging die Mutter mit den Kindern über die Draubrücke.Als sie mitten auf der Brücke waren, packte die Salige das fröhlich da-hinspringende Mädchen und warf es, ohne ein Wort zu verlieren, überdas Geländer in den hochgehenden Fluß, wo es bald in den schäumendenWellen verschwand. Unsägliches Entsetzen ergriff die Hausbewohner,als der Knabe die furchtbare Tat seiner Mutter erzählte. Jammer undWehklagen erfüllten das Haus, namentlich die Großmutter des Kindesgebärdete sich wie unsinnig, da sie nicht zu fassen vermochte, wie eineMutter ihr eigenes Kind, das allen so lieb gewesen war, einem so gräß-lichen Tod überliefern konnte. Sie geriet darüber schließlich in derar-tigen Zorn, daß sie ihre Schwiegertochter ein herzloses, grausames Weibschalt. Da senkte sich tiefe Trauer auf das Antlitz der gebrochenenMutter herab, und sie sagte: „Nun habt ihr mich gescholten; so darf ichdenn nicht länger bei euch bleiben. Lebt wohl! Ich muß das Haus jetztverlassen." Mit müden Schritten wankte die Salige davon, den Gattenin trauriger Betrübnis zurücklassend.

Mutterlos wuchs der Knabe heran. Sein stilles und ernstes Benehmenund seine Klugheit bestimmten den Vater, ihm das erbetene Studiumzu gewähren. Später wandte sich der Sohn dem geistlichen Beruf zu;aus dem Bauernjungen wurde ein Priester. Schon nahte der Tag, an demder junge Geistliche sein erstes Meßopfer feiern sollte; glücklich undstolz erwartete der Vater das Fest, an dem das ganze Dorf Anteil nahm.Der Sohn saß freudestrahlend, aber still in sich versunken an der Fest-tafel, die im Elternhaus bereitet war. Da erschien plötzlich eine herrlicheFrauengestalt in dem festlich geschmückten Raum, trat zu dem jungenPriester und überreichte ihm einen großen goldenen Apfel mit den

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Worten: „Nimm dies als Festgabe deiner Mutter! Deiner Schwestergeht es gut. Sie wäre ein leichtfertiges Ding geworden, wenn sie längergelebt hätte. Ein früher Tod ist besser als ein Leben in Schande undSchuld; deshalb habe ich sie damals in den Fluß gestoßen." Nach diesenWorten verschwand die Frau.

Es war das letztemal, daß sie sich den Ihrigen zeigte; niemals kehrtesie mehr in das Haus zurück.

Die wilde Jagd

In den Nächten vor Weihnachten bis zum Dreikönigstag rast die„Wilde Jagd" in den Lüften über Wälder und Felder. Ein furcht-

bares Getöse, ein unheimliches Brausen und Sausen in der Luft kündigensie an. Schreckliches Geheul ertönt, und allerlei Tierstimmen werdenlaut, Hundegekläff wird vernehmbar. Der wilde Jäger oder, wie er im Volksmund heißt, der „Wilde Mann" reitet mit großem Gefolge einher,sechs dreifüßige Hunde begleiten ihn. Er ist von großer, kräftiger Ge-stalt, hat aber auffallend kleine Füße, seine Stimme ist rauh und grim-mig, ein breitkrempiger Hut bedeckt den mächtigen Schädel.

Einmal stand eine alte Frau spät abends vor der Tür ihres Hauses.Da hörte sie die wilde Jagd aus der Gegend von Feldkirchen heran- . kommen. Sie erkannte sie gleich an dem Sausen und Brausen, dasdie Luft erfüllte. So rasch näherte sich der nächtliche Zug, daß siesich mit Müh' und Not gerade noch in das Haus zurückziehen konnte.Wäre sie draußen geblieben, so hätte sie die tobende Schar zu Staubzermalmt. Doch fand sie keine Zeit mehr, die Tür zu schließen, undso zog der unheimliche Spuk in das Haus hinein und machte sich amHerd breit. Das war ein Getöse und Heulen, und kein Mittel half,die gespenstischen Gestalten vom Herd zu verscheuchen. Da verfieldie Frau auf einen sonderbaren Ausweg. Sie schlug alle Eier auf, diesie im Haus vorfand, und legte die leeren Schalen auf den Herd; da-neben stellte sie alle Schüsseln und Töpfe, deren sie habhaft werdenkonnte. Plötzlich sagte eine Stimme unter den ungebetenen Gästen:„So viele Töpflein habe ich mein Lebtag noch nicht beisammen gese-hen." Sprach's und sogleich zog die wilde Jagd eilig davon.

Verrufen als Tummelplatz der wilden Jagd war der BugglwaldSt. Urban. Als sie in die Nähe des Bugglwaldes kamen, hörten siedavon.

Einstens waren mehrere Burschen bei Nacht auf dem Weg nach

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St. Urban. Als sie in die Nähe des Bugglwaldes kamen, hörten sieschon ganz nahe das Heulen der wilden Jagd. Angst und Schreckenerfaßten sie, denn sie wußten, daß die unheimlichen Geister des nächt-lichen Zuges keinen Spaß verstünden. Was sollten sie tun? Da fiel einemvon ihnen ein, gehört zu haben, daß man sich manchmal durch ganzabsonderliche Mittel vor dem Zugriff der wilden Gestalten retten könne.Rasch legten sie sich in Form eines Rades zu Boden, steckten die Köpfedicht aneinander und spreizten die Füße weit aus. Da war die wildeJagd auch schon über ihnen, und sie hörten die rauhe Stimme deswilden Mannes:

„Bin schon so altwie im Bugglwald neunmal Wiesen und neunmal Wald,aber ein so garstiges Viehsah ich mein Lebtag noch nie!"

Damit zog der wilde Jäger mit seinem Geleit vorbei, ohne sichweiter um die geängstigten Burschen zu kümmern, die froh waren,mit dem bloßen Schrecken davongekommen zu sein.

Der Lindwurm vom Goggauersee

Im oberen Wimitztal bei Feldkirchen liegt in einer ziemlich unwirt-lichen Gegend der kleine Goggauersee. Der Teufel soll ihn voreinst

in einem großen Gefäß herbeigebracht und mit scheußlichem Gewürmund allerhand Untieren bevölkert haben. Eines davon war ein unge-heurer Fisch, der eine scharfzähnige Säge am Rücken trug, womit eralles durchschnitt, was in seine Nähe kam. Einst sollte ein Taucher dieGewässer des Sees durchsuchen und nähere Kunde über diesen gefähr-lichen Fisch von seiner Taucherfahrt mitbringen. Um gegen die scharfeSäge des Untiers geschützt zu sein, zog der Mann ein Gewand aus neunstarken Glaswänden über den Leib und tauchte so in die Fluten hinab.Trotzdem wäre es um ein Haar mit ihm zu Ende gewesen; denn achtGlasschichten durchschnitt der Sägefisch mit einem Zug, und nur rascheFlucht rettete dem Taucher das Leben. Außer dem Fisch bemerkte eraber noch viele andere scheußliche Wesen auf dem Grund des Sees,denen er nur mit knapper Not entging.

Auch eine Wasserfrau hatte in früheren Zeiten dort ihren Wohnsitz.Sie hielt sich am Südende des Sees auf, wo das Wasser im Kreis fließtund einen Wirbel bildet. Ein wundervolles Antlitz und schneeweißeArme zeichneten sie aus, an Stelle der Füße aber wollte man einen

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Fischschwanz an ihr bemerkt haben. Ihre große Schönheit und ihrbetörender Gesang lockten viele Menschen an, die in die Nähe desSees kamen. Wer sich aber mit ihr einließ, den zog sie unweigerlichmit sich in den Strudel hinab. Deshalb trachtete man, den See gänzlichzu meiden.

Das gefährlichste Untier aber, das in der Nähe des Sees sein Un-wesen trieb, war ein gräßlicher Lindwurm von unfaßbarer Größe,der alle Bewohner der Umgebung in Angst und Schrecken versetzte.Sein Rachen war so ungeheuer groß, daß er damit ein Paar Ochsensamt einer Fuhre Heu verschlingen konnte. Uber seine Entstehungerzählte man, ein siebenjähriger Haushahn habe vor vielen Jahrenin einen Düngerhaufen ein rotes Ei gelegt, dem nach drei Jahren einLindwurm entschlüpfte, der rasch zu einem Riesentier heranwuchsund nun Menschen und Vieh in unheimlichen Mengen verschlang.Niemand wagte es, sich mit dem Ungeheuer in einen Kampf einzu-lassen, bis schließlich ein altes Männlein, das im Ruf eines Hexen-

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meisters stand, sich erbot, dem Untier den Garaus zu machen. DieBauern mußten ihm einen Stier zur Stelle schaffen, den er schlachtenund ausweiden ließ. An Stelle der Eingeweide stopfte er dem Tiereinen großen schwarzen Klumpen in den Bauch, der mit den schärfstenGiften durchtränkt war. Sodann befahl er, den Stier an den See zu brin-gen, in dessen Nähe der Lindwurm hauste.

Allein es fand sich niemand, der dieses Wagnis auf sich nehmenwollte; jeder fürchtete um sein Leben. Schließlich erklärte sich einbärenstarker Knecht, der „Goggauer Togger", wie man ihn allgemeinnannte, dazu bereit. Mit geradezu übermenschlicher Kraft lud er sichden toten Stier auf die Schultern und trug ihn an das Ufer des Sees.Der Lindwurm witterte sogleich seine Beute, kam schnaubend heran-geflogen, und im Nu waren Stier und Knecht verschlungen. Aber baldtat das fürchterliche Gift seine Wirkung. Das riesige Ungetüm begannsich zu dehnen und zu winden, schlug mit dem Schweif Löcher in dieFelsen, stieß ein greuliches Heulen und Zischen aus und verendete untergräßlichen Zuckungen.

So fand das scheußliche Untier vom Goggauersee sein Ende, und dieBewohner konnten ungefährdet ihrer Arbeit nachgehen.

Der Schatz im Hoch-Gosch

Zwischen dem grünen Drautal und dem blauen Millstätter See er-streckt sich der Wolfberg, der in dem waldigen Hoch-Gosch gip-

felt. In diesem Berg soll ein großer Schatz verborgen sein, der schonviele Menschen anlockte, ihr Glück zu suchen. Doch sosehr sie auchsuchten und die buschigen Berglehnen durchstöberten, von einem Schatzwar nirgends etwas zu finden.

Einst ging ein armer Bauer daran, in seinem Wald, der sich an denHängen des Hoch-Gosch ausbreitete, Bäume zu fällen. Als er auf demHinweg, mit Hacke und Säge ausgerüstet, am Gehöft eines Bekanntenvorüberkam, der gerade an der Tür seines Hauses lehnte, fragte ihndieser, ob er vielleicht beabsichtige, mit der Holzarbeit zu beginnen.Auf die bejahende Antwort des Bauern meinte der andere, davon möchteer abraten; denn er habe in der vergangenen Nacht ein gräßliches Joh-len und Heulen an den Hängen des Hoch-Gosch vernommen, einZeichen, daß alle Berggeister wach seien und auf ihre Erlösung warteten.Aber unser Bäuerlein ließ sich nicht beirren und setzte frohgemut seinenWeg fort. Nicht lange schritt er im Wald dahin, als er bemerkte, daßer vom richtigen Pfad abgekommen war. Er konnte sich nicht mehr zu-rechtfinden, das Gestrüpp wurde immer dichter, und umgestürzte Bäume

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versperrten ihm den Weg. Mit dem Aufgebot all seiner Kräfte arbeiteteer sich durch Gewirr und Dickicht und gelangte endlich auf eine Lich-tung im Wald. Vor ihm ragte ein mächtiger Felsen empor, in dem einedunkle Öffnung zu erkennen war, aus der ihm ein Lichtstrahl entgegen-drang.

Verwundert blickte der Bauer in die Grotte hinein und wagte nurzögernd vorwärtszugehen. Aber wie erstaunte er, als er mit einemmalin einem herrlichen Saal stand, dessen Wände von purem Gold glänzten.Funkelnder Schmuck bedeckte die goldenen Wände, von der farben-prächtig bemalten Decke hing eine altertümliche Ampel herab, dieden prunkvollen Raum in ein geisterhaftes Licht tauchte. Mitten indem Gemach sah der Bauer einen riesigen Getreidehaufen liegen undkonnte nicht begreifen, wie er hierher in den Wald gelangt war. Er überlegte gerade, ob er nicht einiges von dem Korn mit sich nehmensolle, da seine Frau und die Kinder zu Hause oftmals Not litten, alsplötzlich ein geharnischter Ritter erschien, der ihn aufforderte, vondem Vorrat zu nehmen, soviel er nur wolle. Eine goldene Rüstung um-schloß die kräftige Gestalt des Rittermannes, sein Haupt war miteinem edelsteinfunkelnden Helm bedeckt, unter dem sich goldblondeLocken ringelten. Bittend blickten die blauen Augen den erstauntenBauern an; aber ehe dieser noch etwas erwidern konnte, war die Er-scheinung wieder verschwunden.

Nun füllte der Bauer seine Taschen mit Korn, soviel er davon nurunterbringen konnte, und machte sich schwer bepackt auf den Heim-weg. Er war entschlossen, mit einem Fuhrwerk wiederzukommen, umden Rest des Getreides, das noch übriggeblieben war, in Säcken wegzu-führen. Aber er konnte seine Absicht nicht ausführen; denn als ermit seinem Gespann an Ort und Stelle war, fand er weder die wunder-bare Höhle im Felsen noch den Getreidehaufen. Wie er aber so umher-spähte, erblickte er plötzlich in einer Felsnische den gewappneten Ritter,der ihm abwehrend die kräftigen Hände entgegenstreckte und in trau-rigem Ton sprach: „Bauer, hättest du das ganze Getreide auf einmalaus dem Raum geschafft, so wäre ich jetzt erlöst. So aber muß ichwieder viele Jahre hier schmachten; denn erst nach langer Zeit wirdsich das Felsentor wieder einem Menschenkind öffnen." Nach diesenWorten verschwand die Gestalt.

Verdrossen begab sich der Bauer mit seinem Gespann auf den Rück-weg. Als er dann zu Hause das Korn näher besichtigte, das er zuerstaus dem Berg heimgebracht hatte, entdeckte er zu seiner Freude, daßes lauter Goldkörner waren, die in seinen Taschen steckten. Nun är-gerte es ihn erst recht, daß er nicht gleich das ganze Korn aus demBerg getragen hatte; aber auch das wenige Gold brachte ihm Glückund machte ihn bald zu einem der angesehensten Bauern.

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Der Goldsucher im Lesachtal

Viele Jahre lang ließ sich zur Sommerszeit ein alter Mann im Le-sachtal blicken, von dem niemand zu sagen wußte, wer er sei

und woher er komme. Abgetragene Kleider umhüllten die hagere Ge-stalt, ein spitzer Hut bedeckte den kahlen Schädel, auf dem Rückenhing ein grobleinerner Sack, und in der Hand führte der Fremde einenderben Knotenstock, der oben gekrümmt und mit Metall beschlagenwar. Finster blickten seine Augen aus dem knochigen Gesicht, dasvon einem struppigen weißen Bart umrahmt war. Ein kleiner schwarzerHund war der ständige Begleiter des Mannes.

Die Leute hielten ihn für einen Wurzel- und Kräutersammler undhießen ihn, weil es der Brauch ist, jedem Fremden einen Namen zugeben, den Wurzenander. Die Kinder hatten eine heilige Scheu vorihm, und es genügte, seinen Namen auszusprechen, um die Unfolgsamenzum Gehorsam zu bringen. So kam und ging der Wurzenander jedesJahr und schlug sein Standquartier jedesmal beim Gruberbauer auf.Von hier aus unternahm er seine gewohnten Streifzüge in die Berge.Die Einheimischen beobachteten ihn zwar mit Mißtrauen, ließen ihnaber ungehindert gewähren.

Schon lange war die Neugierde der Gruberbäuerin erwacht; siehätte gern gewußt, was der Fremde in den Bergen eigentlich treibenmochte. Eines Tages konnte sie nicht mehr an sich halten und forderteihren Mann auf, dem Kräutersammler nachzugehen und seine Schlichezu erkunden. Der Bauer ließ sich überreden und tat seiner Frau denWillen. Er folgte dem Wurzenander heimlich und ungesehen bis insTuffbad und weiter in das Hintertal, wo er ihn unter einem Felsenhaltmachen sah. Während er versuchte, geräuschlos näher heranzu-kommen, um zu sehen, was der Mann vor ihm tue, witterte ihn derwachsame Spitz und schlug Lärm. Rasch sprang der Bauer nun an dieSeite des erschrocken auffahrenden Fremden und sah verwundert, wiedieser Goldkörner aus einer Quelle fischte, die vor ihm aus einemFelsloch sprudelte.

Als der angebliche Kräutersammler seinen Quartiergeber erblickte,maß er ihn mit zornigen Blicken und wäre in seinem Ärger gegen denunerwünschten Störenfried fast handgreiflich geworden. Aber ein Blickauf die große, kräftige Gestalt des Bauern ließ eine Kraftprobe nichtratsam erscheinen. So bequemte er sich denn zu einem Vergleich undstellte dem Gruberbauern reichen Lohn in Aussicht, wenn er zu schwei-gen verstehe. Verrate er aber nur ein Wort von der geheimen Goldquelle,so werde seine Rache furchtbar sein. Der Bauer gab das Versprechen zuschweigen und sagte, zu Hause angelangt, auf die Fragen seiner Frau,er habe nichts Besonderes wahrgenommen.

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Der Sommer verging, und der Wurzenander verließ die Gegend,nachdem er seinem Gastgeber ein Säcklein mit klingenden Münzen alsSchweigegeld eingehändigt hatte. Der Bauer hielt zwar sein Verspre-chen und ließ kein Wort von seinem Geheimnis verlauten, aber dieSucht nach Gold trieb ihn des öfteren ins Hintertal, um sich auch Gold-körner aus der Quelle zu fischen. Doch all sein Suchen war vergebens,das Goldbrünnl war nicht mehr zu finden. Mit der Zeit fiel es derGruberbäuerin auf, daß ihr Mann oft abwesend war, ohne einentriftigen Grund dafür anzugeben; zudem stieß sie im Schrank auf einschönes Häufchen blinkender Goldmünzen. Auf ihre Frage nach derHerkunft des Goldes gab der Bauer ausweichende Antworten und er-weckte dadurch erst recht den Argwohn der Frau. Sie begann ihmimmer mehr zuzusetzen, während er sich schließlich in beharrlichesSchweigen hüllte. Der Hausfriede war gestört, bald gab es Zank undStreit, bis die Bäuerin endlich erklärte, es sei unrechtes Gut, das sienicht im Haus dulde. Sie werde so lange keine Hand mehr rühren,bevor sie nicht wisse, woher dieses Diebsgut stamme. Da gab der Bauerendlich nach und rückte mit der Wahrheit heraus. Nun gab sich dasWeib zufrieden, und alles schien in Ordnung zu sein.

Wohl hatte der Gruberbauer seiner Ehehälfte streng aufgetragen,tiefstes Stillschweigen über die Sache zu bewahren, aber wie die Weiberschon sind, erzählte sie es doch einmal unter dem Siegel der Verschwie-genheit einer lieben Nachbarin, und bald wußte das ganze Dorf umden Goldschatz des Gruberbauern und das Goldbrünnl im Hintertal.

Dem Bauern aber war nicht wohl zumute; die Drohung des Wurzen-ander gab ihm zu denken. Trübsinnig und niedergeschlagen schlich erumher, ein unheimliches Furchtgefühl quälte ihn. Seine düsteren Ahnun-gen wurden bald zur traurigen Wahrheit. Als er eines Morgens in denStall trat, lag sein bestes Pferd tot vor der Futterkrippe. Zwei seinerbesten Milchkühe hatten sich knapp vor dem Almabtrieb zu Tode ge-fallen. Einige Wochen später aber trug man seinen ältesten Sohn zuGrabe; niemand konnte sich erklären, welche Todesursache den kräfti-gen, gesunden Jüngling so jäh dahingerafft hatte.

Der Ruf des Goldbrünnls hatte sich unterdessen immer weiter ver-breitet. Als der Schnee geschmolzen war, sah das Hintertal viele Be-sucher, die dort ihr Glück zu finden hofften. Freilich mußten sie alleunverrichteter Dinge wieder abziehen; denn keiner entdeckte den spru-delnden Goldquell.

Der Hochsommer war gekommen, der Wurzenander aber war dies-mal ausgeblieben. In düstere Gedanken versunken, kehrte der Gruber-bauer an einem schwülen Sommerabend mit den Seinen vom Feld heim.Der Gedanke an den Fremden und seine Drohung ließ ihn nicht zurRuhe kommen. Von schweren Sorgen gequält, legte er sich nach getaner

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Arbeit zu Bett. Endlich erbarmte sich der Schlummer des müden Man-nes, und Ruhe kehrte im Bauernhaus ein. Freundlich blickte der Mondauf das schlafende Anwesen. Da gellte plötzlich ein schauriger Rufdurch die Stille der Nacht. „Feuer! Feuer! Es brennt beim Gruber-bauern!" Ein Jäger, der oben am Berg wohnte und eben vom Pirsch-gang heimgekehrt war, hatte den Brand zuerst erspäht und war in wil-den Sprüngen in das Dorf gerannt.

Erst spät hatte man beim Gruberbauern den Brand entdeckt, der beider herrschenden Dürre und Trockenheit rasch um sich griff und nacheinigen Stunden das ganze Anwesen in Schutt und Asche legte. Mitknapper Not hatten die Hausleute ihr nacktes Leben retten können.Als die Sonne hinter den Bergen aufging, stand der Gruberbauer erschüt-tert vor den rauchenden Trümmern seines Anwesens. Weinend undklagend drängten sich Frau und Kinder um ihn. Tief ergriffen spracher zu seinem Weib: „Das ist die Rache des Wurzenander. Hätte ich ge-schwiegen, wäre mir alles Unglück erspart geblieben!"

Der Schatzberg bei Metnitz

In der Gegend von Metnitz erhebt sich eine steile Felswand, die anihrem Fuß eine grottenartige Vertiefung zeigt. Hier soll der Zugang

zu einem ungeheuren Schatz im Innern des Felsens sein. Aber nur einSonntagskind kann in der Pfingstsonntagnacht zu den verborgenenReichtümern gelangen; denn nur ein solches hat Macht über die unter-irdischen Geister, die jene Schätze bewachen.

Einst kam eine arme Witwe mit ihrem Kind in diese Gegend. Siehatte von dem Schatz gehört und wollte, da sie ein Sonntagskind war,nun versuchen, Zutritt in den Felsen zu erhalten, um den Schatz zuheben. Am Abend des Pfingstsonntags schritt sie zitternd und zagend, das Kind an der Hand, zum Felsen hinan. Ängstlich erwartete sie dieMitternachtsstunde, als plötzlich ein fernes Brausen vernehmbar wurdeund die Felswand in geisterhaftem Licht erstrahlte. Ein mächtiges Tortat sich auf, aus dem ein häßlicher Zwerg herausschritt, der die Witwemit einem Wink seines Kopfes aufforderte, durch das Tor einzutreten.

Mit dem Kind auf dem Arm schritt die Frau in den Felsen hineinund sah sich in einem weiten, lichten Saal, der mit vielerlei Kostbarkei-ten angefüllt war. Staunend betrachtete sie das viele Gold und dieglänzenden Steine, die auf dem Boden und an den Wänden blinktenund glänzten. Sie könne mit sich nehmen, was sie nur wolle, meinte derZwerg. Unentschlossen, was sie zuerst einstecken solle, nahm die Fraubald ein paar blanke Goldstücke, bald eine Handvoll blitzender Steineund setzte schließlich das Kind auf den Boden, um besser zugreifen zu

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können, Aber die Zeit, in der ihr gestattet war, in der Schatzhöhle zuverweilen, näherte sich ihrem Ende. Mahnend sagte der Zwerg, siemöge sich beeilen; denn die Zeit sei bald um. Da raffte die Witwe zu-sammen, was sie in der Eile noch erhaschen konnte, und lief rasch insFreie. Hinter ihr rückten die Felsen mit dumpfem Getöse zusammen,und das Tor zu den Schätzen war verschwunden.

Jetzt erst dachte die erschrockene Mutter wieder an ihr Kind, auf dassie, geblendet vom Anblick der Reichtümer, im Eifer des Schatzsam-melns ganz vergessen hatte. Weinend stand sie da mit ihren Schätzenund starrte verzweifelt auf die undurchdringliche Felswand, die ihr denWeg zu dem armen Kind versperrte. Ihre Goldgier und Unachtsamkeitverwünschend, schleuderte sie das Geld und die Edelsteine, die sie nochin den Händen hielt, weit von sich und raufte sich jammernd die Haare.Erst als der Morgen schon graute, gewann sie ihre Fassung wieder, lasdie weggeworfenen Reichtümer auf und verließ traurig den unheim-lichen Ort. Nur eine Hoffnung hielt die beklagenswerte Mutter auf-recht: Gott werde ihr heißgeliebtes Kind nicht elend im Berg verhun-gern lassen. Von dem so teuer erkauften Reichtum wollte sie abernichts mehr wissen; sie verschenkte alles Gold und die kostbaren Steinean Arme und Notleidende.

Als genau ein Jahr nach diesem Vorfall vergangen war, kehrte dieFrau an die Stätte ihres Kummers zurück, da sie im stillen hoffte, Ein-laß in den Berg zu erhalten und ihr Kind wiederzufinden. Wirklichtäuschte sie ihre Hoffnung nicht. In der Pfingstsonntagnacht öffnetesich abermals die Felswand und, siehe da, gesund und munter saß ihrKind, mit Goldstücken spielend, an der gleichen Stelle, wo sie es imVorjahr zurückgelassen hatte. Mit einem Freudenschrei riß die Fraudas lächelnde Kind an ihre Brust und eilte mit ihm, ohne einen Blickauf die Schätze und Reichtümer zu tun, aus der unheimlichen Höhlehinaus. Überglücklich herzte und küßte sie das strampelnde Kind unddankte dem Himmel für seinen gnädigen Schutz.

Von nun an dachte die Witwe nie mehr an Reichtum und Gold, son-dern war vom Herzen zufrieden, daß sie sich mit dem Kind durch ihrerHände Arbeit redlich und ehrlich fortbringen konnte.

Die Lindenkreuzkapelle bei Kleinkirchheim

Bei Kleinkirchheim steht eine kleine Kapelle, Lindenkreuzkapelle ge-heißen, weil sie ein mächtiger Lindenbaum überschattete.

Einst erhob sich auf der Anhöhe des nahen Berges ein stattlichesBauerngehöft. Sein Besitzer, ein braver, fleißiger Mann, war ohne sein

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Verschulden in drückende Not geraten. Mißernten und Unglück mitdem Vieh hatten ihn in Schulden gestürzt und seine Lage so schlimmgestaltet, daß er sich schließlich keinen Rat mehr wußte und beschloß,sein Haus zu verlassen, um in der Welt sein Glück zu versuchen. Damitihn aber Frau und Kinder nicht fortgehen sähen, schlich er um Mitter-nacht davon und eilte dann raschen Schrittes die Anhöhe hinunter.

Als er zur Wegkreuzung kam, bemerkte er drei schwarze Gestalten,die sich mit Kegelscheiben vergnügten. Das dünkte ihn gar absonder-lich, und ein unheimliches Gefühl hemmte seine Schritte. Aber er über-wand die aufsteigende Furcht und wollte rasch vorübergehen. Da hörteer sich von einer feinen Stimme angerufen, ob er nicht auch mitspielenwolle. Der Bauer, der ein guter Kegelscheiber war, dachte, das seiendrei übermütige Gesellen, die zu viel Geld im Beutel hätten, das ihmgerade vonnöten sei; daher stimmte er zu und spielte mit. Aber dasGlück schien ihn diesmal gänzlich im Stich zu lassen; es gelang ihm keinWurf, und bald war sein Geld zu Ende.

Da wollte er es ein letztesmal versuchen, nahm einen Marientaleraus der Tasche, ein altes Patengeschenk, und warf dieses letzte Geld-stück, das er noch besaß, unwillig zum Einsatz der andern. Aber sieheda, nun wandte sich das Glück. Er gewann Spiel um Spiel, das Geldvermehrte sich in seinen Taschen, und bald konnte auch sein Ränzeldie Menge des Gewinns kaum mehr fassen. Das fiel mit der Zeit auchden schwarzen Gesellen auf, und sie verlangten von dem Bauern, ermöge den Marientaler aus dem Geldhaufen entfernen. Aber der schlaueLandmann hatte nun erkannt, mit wem er es zu tun hatte, und weigertesich entschieden, ihren Wunsch zu erfüllen.

Unterdessen begann es im Osten zu tagen, die Morgenglocke ertönte,und bei ihren ersten Klängen zogen die dunklen Gestalten murrendund fluchend ab. Der Bauer aber hatte es nicht mehr notwendig, in dieFremde zu ziehen; er war ein steinreicher Mann geworden, dem esnun ein leichtes war, seinem Hof und der Wirtschaft wieder aufzuhel-fen. Zum Andenken an sein Erlebnis errichtete er an der Wegkreuzungdie kleine Kapelle, deren Inneres ein Heiligenbild birgt, woran einMarientaler angebracht ist.

Die Quittung des Ritters von Tanzenberg

Im 16. Jahrhundert lebte auf dem alten Schloß Tanzenberg RitterSiegmund, ein habgieriger, gewalttätiger Herr, der seinen Unter-

tanen das Leben sauer machte, wo er nur konnte. Ein Rappe, der ihnin manchem Streit auf dem Rücken getragen hatte, und ein Affe, der

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immer in seiner Nähe weilte, waren sein liebster Besitz. Zu den Lände-reien des Ritters gehörte auch die Ortschaft Möderndorf, die er einemehemaligen Verwalter des Gutes Tanzenberg verpachtet hatte. Der„Möderndorfer", wie er kurz genannt wurde, lieferte immer pünktlichzur festgesetzten Zeit seinen Pachtschilling ab.

Als wieder einmal der Zinstermin gekommen war, begab sich derMöderndorfer auf das Schloß Tanzenberg, um dem Gutsherrn seineSchuld zu bezahlen. Ritter Siegmund nahm das Geld in Empfang, waraber nicht imstande, eine Quittung darüber auszustellen, da ihn einheftiges Gichtleiden in den Händen schreibunfähig machte.

Bald darauf starb er, und sein Sohn, der sich bisher in Ungarn auf-gehalten hatte, trat das Erbe an. Bei der Überprüfung der Bücher fandder junge Schloßherr, daß der Pächter von Möderndorf mit der letztenPachtzahlung im Rückstand sei. Er ließ ihn daher zu sich rufen undverlangte die Abstattung der Schuld. Der Pächter beteuerte, daß erseine Zahlung pünktlich geleistet habe. Da verlangte der Ritter dieVorweisung der Quittung. Nun erzählte der Möderndorfer, wie esgekommen sei, daß der alte Schloßherr keine solche ausgestellt habe,aber er fand keinen Glauben. Entweder die Quittung oder das Geld,hieß es, und da der Pächter beides nicht besaß und auch nicht willenswar, zweimal zu zahlen, schlich er betrübt nach Hause und verwünschteden unglücklichen Zufall, der damals die Ausstellung der Quittungverhindert hatte.

Eines Tages ritt er nach Karnburg, wo er ein Geschäft zu erledigenhatte, und kam unterwegs an der Hütte einer alten Zigeunerin vorbei,die im Ruf der Wahrsagerei stand. Da blitzte ihm der Gedanke durchden Kopf, die Alte um Rat zu fragen. Vielleicht, dachte er, weißsie ein Mittel, wie ich zu der verlangten Quittung kommen könnte.Gedacht, getan! Er stieg vom Pferd, band es an einen Pflock vor derHütte und trat durch die niedere Tür in einen düstern Raum, in dem dieAlte am Herd hantierte. Ein schwarzer Kater saß auf der Schulter desWeibes und pfauchte den Eintretenden böse an. Der Pächter erzähltenun der Wahrsagerin die Geschichte mit der Quittung und fragte, waser tun solle.

„Ich will dir einen Rat geben", sagte die Alte mit listigem Blinzeln,„aber du mußt genau befolgen, was ich dir sage." Da er mit allem ein-verstanden war, mischte sie ein Tränklein, das sie ihm zum Trinkenanbot. Dabei sagte sie: „Besteige dein Pferd und reite in der Richtung,die ich dir zeigen werde. Auf dem Weg wird dir ein Jäger begegnen,der dein Pferd verlangen wird. Gib ihm darauf zur Antwort: ,Pferdund Reiter gehören zusammen. Ich will die Quittung!' Wenn du dannweiterreitest, wirst du nach mehreren Stunden zu einem Schloß kom-men, wo man dir einen Trunk anbieten und dich einladen wird nieder-

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zusitzen. Beides mußt du ablehnen. Merke dir noch: Du darfst aufdem Weg nicht den Namen Gottes anrufen, sonst kann es dir übelergehen." Der Pächter bedankte sich, schwang sich auf das Roß undritt in der angegebenen Richtung. Unterdessen hatte sich ein schweresGewitter zusammengeballt, grelle Blitze erhellten den düsteren Wald,durch den sein Weg führte, und heftiger Donner machte den Erdbodenzittern. Sein Roß scheute und war kaum zu bändigen.

Plötzlich stand ein Jäger vor ihm und redete ihn an: „Verkaufst dudein Pferd?" Der Pächter erwiderte: „Pferd und Reiter gehören zusam-men. Ich will die Quittung!" Der Fremde drehte sich um und ver-schwand. Dafür huschten jetzt allerlei unheimliche Gestalten durch denWald, als wollten sie ihn von der Richtung ablenken oder am Weiter-reiten hindern. Aber der Pächter ließ sich durch nichts abschrecken undsetzte seinen Ritt mutig fort. Das Gewitter hatte sich ausgetobt, derWald begann sich zu lichten. Und mit einemmal war der Reiter voreinem prächtigen Bau angelangt, der ganz dem Schloß Tanzenberg glich.

Er ritt durch das offene Tor in den weiten Burghof hinein und über-gab sein Pferd einem herbeieilenden Knappen. Dann schritt er dieStiege empor, die zum Rittersaal führte. Hier begegnete er dem Keller-meister; das war ein alter Bekannter, mit dem er so manchen Humpengeleert hatte. „Nur hurtig herein", rief fröhlich der Dickwanst, „HerrSiegmund erwartet dich schon!" Sie betraten zusammen den Saal, vondessen Wänden grellrote Flammen zu züngeln schienen. Eine Tafelwar mitten im Saal errichtet, an der eine ausgelassene Schar froherZecher versammelt war. Der Möderndorfer erkannte sie alle; es warenRitter und Pächter aus der Umgebung von Klagenfurt, in ihrer Mittesaß der alte Ritter von Tanzenberg. Ein Winken und Rufen erhob sich,als man seiner ansichtig wurde, von allen Seiten hielt man ihm Becherentgegen und forderte ihn auf, Bescheid zu tun; Herr Siegmund hießihn freundlich an seiner Seite Platz nehmen. Aber eingedenk des Ratesder alten Zigeunerin lehnte er beides dankend ab. Da sprach der Ritter:„Endlich kommst du daher! Was willst du von mir?"

Entschlossen erwiderte der Möderndorfer: „Ich will die Quittung!"„Wenn du das Geld brauchst", sagte darauf der Tanzenberger, „so

wisse, es liegt im Katzenloch; eine Quittung ist nicht mehr nötig, dadu in einem Jahr ohnedies bei mir herunten sein wirst."

„Das liegt in Gottes Hand", erwiderte der Pächter. Da war es ihm aufeinmal, als erwache er aus einem schweren Traum. Verwundert um sichblickend, bemerkte er mit Schrecken, daß er mitten auf dem Friedhofvon Maria-Saal lag. Unweit von ihm graste sein Pferd, das an einemGrabkreuz angebunden war. Er konnte sich nicht enträtseln, wie erhierhergekommen sei, doch plötzlich fiel ihm ein, daß er ja wegender Quittung bei Herrn Siegmund in der Hölle gewesen war, und

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zugleich sah er in seiner Hand einen Zettel, der die Aufschrift ,Quit-tung' zeigte.

Hastig raffte er sich auf, bestieg sein Pferd und verließ den unheim-lichen Ort. Die Quittung wies er dem Erben von Tanzenberg vor,auch gab er den Ort an, wo der abgeführte Betrag verborgen sei. Dochniemand kannte das Katzenloch. Schließlich aber fand sich ein greiserOchsenknecht, der früher im Dienst Siegmunds gestanden war und nunzaghaft erklärte, er kenne das Katzenloch; das sei ein unheimlicherOrt, an dem Geister zu Hause seien. Dieses Katzenloch war nämlichein alter Turm des Schlosses Tanzenberg, in den sich der Affe des altenRitters nach dem Tod seines Herrn zurückgezogen hatte. Das Tier warim Besitz eines kleinen silbernen Pfeifchens, das es dem Ritter entwen-det hatte. Und da aus dem Turm öfter ein geheimnisvolles Pfeifen er-tönte, glaubten die Dienstleute der Burg, ein Geisterspuk treibe dortsein Unwesen.

Als der junge Ritter mit dem Pächter zum Turm kam, zeigte sichgerade der Affe an einem Fenster des alten Gemäuers. Mit einem wohl-gezielten Schuß wurde das Tier erlegt, und man drang in den Turm ein.Dort befand sich in einer Nische wirklich der verborgene Geldbetrag.

So hatte der Pächter von Möderndorf seinem schurkischen Gutsherrnnoch in der Hölle die Quittung entrissen und das vermißte Geld wiederzustande gebracht.

Der Hausbau des Teufelsim Leobengraben bei Gmünd

Ein armer Bauer im Leobengraben konnte auf keinen grünen Zweigkommen, sosehr er sich auch plagte und abrackerte. Es war ihm

ganz unverständlich, daß es andern Bauern, die weniger arbeiteten alser, so viel besser ging, ja, daß manche sogar einen erklecklichen Batzenübriges Geld besaßen, während seine Not immer größer wurde.

Da hörte er einmal von einem alten Köhler, daß man bei der „Schwar-zen Wand" um Mitternacht den Teufel beschwören könne und daß derjedem zu Reichtum und Besitz verhelfe, der ihn darum angehe; nurmüsse man ihm seine Seele verschreiben. Der furchtlose Bauer dachte,das wäre ein Mittel, auf leichte Weise zu Geld und Gut zu kommen unddas harte Los seiner Familie zu erleichtern. Seine Seele aber werde erschon irgendwie zu retten wissen. Also ging er getrost zur „SchwarzenWand", setzte sich auf einen Stein und erwartete die Mitternacht. Er warnoch nicht lange da gesessen, als ihn ein Geräusch aus seinem Sinnen

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schreckte. Als er sich umwandte, gewahrte er einen hageren Mann inJägertracht, der ihm grinsend zunickte. Dem Bauern lief es eiskalt überden Rücken, aber er faßte sich bald, als der Fremde ein harmloses Ge-spräch anknüpfte. Im Lauf der Unterhaltung schilderte er dem Mannseine Not und bat ihn um Rat. Da versprach ihm der Teufel — denn derwar der freundliche Jägersmann —, sein verfallendes Haus in einer ein-zigen Nacht neu aufzubauen, bevor das Krähen des Hahns den kom-menden Morgen ankünde; dazu wolle er ihn zum reichsten Bauern imTal machen, wenn er ihm seine Seele verschreibe.

Da es nun ernst wurde mit der Seelenverschreibung, plagte den Bauerndoch das Gewissen; er zögerte, den Vertrag einzugehen. Aber das Ver-langen nach Wohlstand und Geld gewann endlich die Oberhand; auchmeinte er, es werde dem Teufel unmöglich sein, in einer Nacht dasHaus fertigzustellen. So willigte er ein, und der Teufel verschwandspurlos, wie er gekommen war. Nun eilte der Bauer nach Hause underwartete, ohne einem Menschen von seiner Abmachung zu erzählen,bangend die nächste Nacht.

Kaum war die Sonne hinter die Berge gesunken und die Dunkelheithereingebrochen, erwachte reges Leben um das Bauernhaus. Unzählige

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unsichtbare Hände schleppten Steine und Bauholz herbei, in wenigenStunden war der neue Bau bis zur Dachgleiche gediehen. Da erwachtedas Gewissen des Bauern aufs neue; ruhelos, von Angst und Furchtgemartert, um das Heil seiner armen Seele besorgt, rannte er im altenHaus umher. In dieser verzweifelten Stimmung sah ihn eine alte Frau,der er am Abend Unterkunft im Haus gewährt hatte. Auf ihre Fragenach dem Grund seiner Unruhe erzählte er von dem Vertrag mit demTeufel und schloß mit versagender Stimme: „Mir bangt um meineSeele; das Haus ist fast fertig, und noch hat der Hahn nicht den Morgenverkündet. Was soll ich jetzt tun?"

Da gab ihm die alte Frau den Rat, den schlafenden Hahn zu nehmen,in ein Tuch zu wickeln und mit einem frommen Gebet in den Wasser-trog zu werfen. Der Bauer befolgte den Rat der Frau, und wirklichkrähte der Hahn, als ihn das kühle Naß aus dem Schlaf riß. Auf einmalertönte ein Poltern und Fluchen, und alle höllischen Geister, die amBau mitgearbeitet hatten, mußten schleunigst das Weite suchen.

Es war aber auch höchste Zeit gewesen, daß der Hahn gekräht hatte;denn zur Vollendung des Baues fehlten nur mehr einige Dachbretter.Vergnügt betrachtete der Bauer sein neues Haus; die fehlenden Bretterschaffte er selber herbei und nagelte sie auf das Dach. Die alte Frauaber, die ihm den guten Rat gegeben hatte, blieb von der Stunde anverschwunden.

Das Goldbergwerk St. Oswald bei Villach

In alter Zeit grub man im St. Oswaldiberg bei Villach nach Gold-erzen. Die Ausbeute gab reichen Gewinn, die Goldadern der Grube

schienen unerschöpflich zu sein. Nicht nur die Herren des Bergwerkskamen voll auf ihre Rechnung, sondern auch die Knappen hatten teilam Ertrag und bezogen hohe Löhne, so daß sie ein üppiges Leben füh-ren und sich schöne Summen ersparen konnten. Wohlleben macht über-mütig. Das zeigte sich auch bei den Bergknappen; ihr Reichtum ver-lockte sie bald zu ausgelassenen, rohen Scherzen.

Unweit des Bergwerks stand eine unscheinbare Hütte, in der einefromme alte Frau ihr Leben fristete. Ihr einziger Besitz war eine Kuh.Diese Frau hatten die rohen Bergleute zur Zielscheibe ihres grausamenWitzes erkoren. Eines Tages schickten sie das Weiblein mit einemAuftrag in die Stadt Villach und benützten die Zeit ihrer Abwesenheitdazu, einen ihrer bösen Streiche auszuführen. Sie zerrten die Kuh ausdem Stall, schlachteten sie und zogen ihr die Haut ab. Die leere Kuh-haut stopften sie mit Stroh aus und stellten das Scheingebilde wieder

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zur Krippe in den Stall. Boshaft lachend über ihr Bubenstück, suchtensie dann das Weite.

Als die Frau heimkam, entdeckte sie zu ihrem Entsetzen bald dieboshafte Tat. Jammernd und wehklagend über den Verlust des ein-zigen, was sie ihr eigen nannte, saß sie am Abend vor der Tür ihrerHütte. Mitleidige Nachbarn, die die schändliche Tat mit angesehenhatten, teilten ihr mit, wer ihr die Kuh getötet hatte. Da beschloß dieFrau, die Strafe des Himmels auf die gottlosen Buben herabzurufen.Sie ging deshalb in das Nachbardorf, wo einer ihrer Verwandten dasSchmiedehandwerk betrieb, und bat den Schmied, ihr eine eiserneHenne anzufertigen. Nachdem die bestellte Arbeit fertiggeschmiedetwar, trug sie die Henne in das Bergwerk, stellte sie in dem ergiebig-sten Stollen auf und sprach einen Fluch über die Goldgrube aus: „Sowenig diese Henne jemals Eier legt, so wenig soll in diesem Berg ferner-hin Gold gefunden werden." Es dauerte wirklich nicht lange, so gingihr Fluch in Erfüllung. Schon nach wenigen Tagen fanden die Knap-pen, die im Berg nach Gold gruben, statt der reichhaltigen Golderzenur taubes Gestein. Seit jener Zeit ist der Goldreichtum des Oswaldi-berges versiegt.

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Die weiße Rose im Kloster Arnoldstein

Wenn die frommen Brüder des Klosters Arnoldstein im Gailtal desMorgens in die Kirche gingen, um gemeinsam Gott den Herrn

zu loben und zu preisen, geschah es manchmal, daß einer der Möncheauf seinem Betstuhl eine duftende weiße Rose vorfand. Dann küßteer sie demütig und bereitete sich auf seinen Tod vor; denn diese Rosewar das Zeichen, das der Herr demjenigen seiner Diener sandte, dener noch am selben Tag zu sich berufen wollte.

Eines Abends kam ein müdes, abgehärmtes Weib mit einem Knäb-lein an die Klosterpforte und bat um Kost und Herberge. Die mild-tätigen Brüder gewährten ihre Bitte. In der Nacht starb die Frau anErschöpfung, und ihr Söhnlein Johannes wäre allein auf der weitenWelt dagestanden, wenn sich der Pförtner nicht seiner angenommenhätte. Der Knabe wuchs heran, zeigte aufgeweckten Sinn und guteBegabung, so daß ihm der Abt Unterricht in der Klosterschule gebenließ. Als der stille, versonnene Jüngling sein Studium beendet hatte,wählte er den Priesterstand zu seinem Beruf und trat als Mönch in dasKloster ein.

Als er dem Herrn sein erstes Meßopfer darbrachte, strömte, wie im-mer bei solchem Anlaß, viel Volk aus der ganzen Gegend zusammen,um des Segens des neugeweihten Priesters teilhaftig zu werden; darunterbefand sich auch ein schönes junges Mädchen, die Tochter des Ver-walters der Fuggerschen Güter. So wie die übrigen Andächtigen drängtesich auch die Jungfrau nach vorn, um vor dem segnenden Priesterniederzuknien. Da traf sie sein Blick, sie sah sein Auge sich senkenund tiefe Röte sein Antlitz überziehen. Errötend neigte die Maid ihrHaupt. Beschämt gestand sich der junge Mönch, daß eine weltlicheRegung sein Innerstes berührt habe. Trotz aller Feierlichkeiten war erden ganzen Tag niedergeschlagen; sehnsüchtige Liebe nahm seinen Sinngefangen, und die Aussichtslosigkeit seiner plötzlich entflammten Nei-gung machte sein Herz traurig und ließ seinen Mund verstummen. DasBild des lieblichen Mädchens schwebte unablässig vor seinen Augen,begleitete ihn bis in den Traum und stand vor seiner Seele, als er amnächsten Morgen in wonnigem Gedenken als erster die Kirche betrat.

Lächelnd näherte er sich seinem Platz. Da leuchtete ihm etwas Weißesentgegen. Zagend schritt er hinzu, es war — eine weiße Rose. VorSchrecken erbleichend, tat er, wozu ihn der nackte Selbsterhaltungstrieb,die Furcht vor dem Tode, zwang, er legte die todkündende Blume aufden nächsten Platz; denn das Leben schien so lockend und schön; eshatte ja eben erst begonnen und verhieß für die Zukunft alle irdischeSeligkeit. Als kurz darauf die andern Brüder zur Morgenandacht kamen,erblickte sein Nachbar, der greise Pater Vinzenz, auf seinem Platz die

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Botschaft des Todes und freute sich innig, daß ihn der Herr endlichzu sich berufen wolle; denn er hatte Gott schon längst um Erlösungvon diesem mühseligen Erdenleben gebeten. Kaum hatte er sich imBetstuhl niedergekniet, sank er tot um.

Noch am selben Tag kamen Dienstleute des Verwalters ins Kloster;sie waren auf der Suche nach der Tochter ihres Herrn, die am frühenMorgen das Elternhaus verlassen hatte und seitdem nicht wieder zu-rückgekehrt war. Man suchte das Mädchen überall, viele Leute schlos-sen sich den Nachforschungen an. Endlich fand man es tot am Fußeines Felsens. Bald stellte es sich heraus, daß sie es gewesen, die jeneweiße Rose zum Zeichen ihrer unschuldigen Neigung dem jungen Mönchauf das Betpult gelegt hatte. Davon aber erfuhr Johannes erst vielspäter. Von tiefem Gram und schweren Gewissensbissen gequält, wan-delte er den ganzen Tag ruhelos im Kloster umher. Der plötzliche Toddes geliebten Mädchens erschütterte sein Herz, nagende Reue über denvermeintlichen Mord an seinem Mitbruder folterte sein Gewissen. LangeZeit fand er weder Rast noch Ruhe. Um sein Vergehen zu sühnen,weihte er sein ganzes Leben Werken der Nächstenliebe und Barm-herzigkeit.

Unermüdlich flehte er den Himmel an, ihn von dieser Erdenqualzu erlösen, ihm die weiße Rose zu senden. So verstrich Jahr um Jahr,aber er harrte vergebens; nie lag die weiße Rose auf seinem Platz. EinesTages fand man den Neunzigjährigen sanft entschlummert auf demGrab des Paters Vinzenz, mit der Rechten die weiße Rose umklam-mernd, die dem Grab des Toten entsprossen war.

Seit jenem Tag hat sich das Rosenwunder im Kloster Arnoldsteinnicht mehr ereignet.

Die Heimkehr nach St. Jakob im Rosental

In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts hatte Kärnten viel unterden Einfällen der Türken zu leiden. Im Jahre 1472 drangen sie auch

ins Rosental ein und kamen auf ihren Raubzügen nach St. Jakob. Dergrößte Teil der Dorfbewohner hatte sich ins Gebirge gerettet, vielein der Kirche Zuflucht genommen. Man verschanzte den Friedhof undversuchte von hier aus den Ort zu verteidigen. Aber trotz heftigerGegenwehr überrannten die Türken die tapferen Verteidiger, die inder Minderzahl waren, erstürmten den Friedhof und verbrannten dasDorf. Unter den zahlreichen Gefangenen, die sie mit sich schleppten,befand sich auch ein schönes jungvermähltes Weib, Rosalia, kurz Salagenannt. Als Kriegsbeute der Türken wurde sie nach Konstantinopel

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gebracht und kam in den Harem eines Paschas. Bezaubert vom Lieb-reiz der jungen Frau, wollte sie dieser zu seiner Gemahlin erheben,wenn sie dem Christentum abschwöre. Aber Sala konnte sich dazu nicht entschließen. So blieb sie weiter Gefangene.

Sieben Jahre vergingen. Eines Tages sang sie im Garten ein weh-mütiges Lied in ihrer Muttersprache. Das hörte der Gärtner, der gleich-falls Gefangener war und aus dem Rosental stammte. Die heimatlichenLaute erweckten heiße Sehnsucht nach dem Vaterland in dem wackerenKärntner. Er fand Gelegenheit, sich Zutritt zu der schönen Sala zuverschaffen, die in ihm ihren Oheim erkannte, und verabredete mit ihrdie gemeinsame Flucht. Es glückte den beiden, zu entkommen und un-gefährdet bis zur Donau zu gelangen. Hier aber stellten sich ihrer wei-teren Wanderung ungeahnte Hindernisse entgegen. Da waren es vorallem fabelhafte Wesen, die sogenannten „Hundsköpfe", die, wie dieSage erzählt, nur ein Bein und ein Auge haben, das mitten auf der Stirnsteht; diese suchten ihre Flucht zu verhindern. Die Hundsköpfe riecheneinen Christen schon von weitem und verfolgen seine Spur wie derHund den Hasen. Nach dem Rat einer alten Türkin wanderten sieimmer stromaufwärts, aber nur in der Nacht. Bei Tag versteckten siesich, im Wasser stehend, unter den Wurzeln der Bäume, die am Uferwuchsen, und legten sich breite grüne Rasenstücke auf den Kopf, damitihre Verfolger sie nicht riechen könnten. Einmal aber kamen ihnen diegräßlichen Wesen so nahe, daß sie ihre Rufe hörten: „Hier sind siegewesen, hier sind sie nicht, es riecht nach Christenfleisch!" Unter sol-chen Mühsalen und Gefahren erreichten sie endlich, drauaufwärts wan-dernd, St. Jakob.

Salas Gatte hatte sieben Jahre in Treue auf seine Frau gewartet. Nunaber beschloß er, sich wieder zu verheiraten; er hatte jede Hoffnungauf die Wiederkehr seiner ersten Gemahlin aufgegeben. Es war aneinem Sonntag; ein prächtiger Hochzeitszug bewegte sich zur Kirche,wo sich Sala mit ihrem Oheim im Bettlergewand aufgestellt hatte. Alsdas Brautpaar an ihnen vorüberschritt, warf sie die Vermummung abund rief ihrem Mann zu: „Haltet ein, ich bin Sala, dein angetrautesWeib!" Am Ehering erkannte der Mann die totgeglaubte Gattin. AnStelle der Hochzeit wurde nun ein fröhliches Wiedersehensfest gefeiert.

Sala und ihr Mann waren das glücklichste Paar.

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T I R O L

König Laurin(Siehe Farbtafel Seite 208)

Südlich von Bozen, vom Etschtal bis zum Schiern, erstreckt sich dasReich des Zwergenkönigs Laurin. Tief im Erdinnern in einer kristal-

lenen Burg hat der König seinen Sitz. Tausende von Zwergen sindihm Untertan, die für ihren Herrn unermeßliche Schätze an Gold, Sil-ber und Edelsteinen aus dem Felsen graben und seine Schatzkammernmit köstlichem Schmuck füllen. Droben aber im Licht der strahlendenSonne inmitten öden Felsengewirrs hat sich der König einen herr-lichen Garten angelegt, in dem unzählige prächtige Bäume, blühendeSträucher, wundersame Blumen und duftende Rosen, Rosen ohne Zahl,Auge und Herz erfreuen. Dieser herrliche Zaubergarten ist nur mitgoldenen Fäden umfriedet; jeder, der vorüberkommt, kann den ent-zückenden Anblick genießen, doch niemand darf es wagen, den gol-denen Faden zu zerreißen oder ohne Erlaubnis des Königs den Wunder-garten zu betreten: es wäre sein Tod.

Einst ritt Herr Dietrich von Bern mit seinen Kampfgenossen, demalten Meister Hildebrand und den jungen Helden Wolf hart, Wolf-brand, Wittich und Dietleib von seiner Residenz Bern nach Norden,um den Zaubergarten des Zwergenkönigs aufzusuchen. Herr Dietrichwollte den Zwerg für seine Untaten bestrafen, obwohl Meister Hilde-brand seine warnende Stimme erhob und seinen Herrn bat, sich vorder übermenschlichen Kraft des Beherrschers der Berge zu hüten.

Lange Zeit ritten die Recken dahin, vorbei an schauderlichen Ab-gründen, über nacktes Felsgeröll, überquerten reißende Gebirgsbäche,fanden sich in trostloser, schweigender Einöde und wollten schon dieHoffnung aufgeben, den vielgerühmten Zaubergarten aufzufinden, alssich ihnen mit einemmal hinter einer Felswand ein blühendes Wun-derland auftat. Süßer Rosenduft hüllte sie ein, liebliche Vogelstimmenerschallten, und freudig stiegen sie von den Pferden, um sich, müdevom weiten Ritt, in das weiche Gras zu werfen. Doch nicht langehielten sie Rast: der Zwerg sollte seine Strafe haben. Sie begannenden Garten zu verwüsten, zerstampften das Gras, zertraten die Blumen,köpften die Rosen und taten Schaden, wo sie konnten.

Plötzlich rief der Ritter Wittich: „Ihr Herren, seht dorthin! Dakommt jemand geritten, strahlend gewappnet unter einem Baldachin,das mag wohl der Herr dieses Gartens sein!"

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Herr Wolfbrand aber meinte: „Freunde, ich rate euch, bindet eureHelme fester; wer weiß, was der Reiter im Schilde führt!"

Es war wirklich König Laurin, der zornig heranritt, den Frevelzu bestrafen. Ein goldener Helm schirmte sein Haupt, helles Leuchtenging von einem glänzenden Karfunkelstein aus, der den Helm zierte.Seine Brünne funkelte von Edelsteinen, ein elfenbeinerner Schild, mit

goldenen Zieraten durchwirkt und mit blitzenden Steinen geschmückt,blinkte im Sonnenlicht. An seiner Seite hing in goldener Scheide einköstliches Schwert, an dessen Knauf ein heller Diamant strahlte. DreiDinge hatte der König bei sich, aus denen seine Kraft floß: einen Ring,der ihm Zwölfmännerstärke verlieh, einen Gürtel, der Zauberkraftbesaß, und eine Tarnkappe, die ihn unsichtbar machen konnte.

Zornlodernd sprengte der Zwerg an die ungebetenen Gäste heranund schnaubte: „Was treibt ihr hier, ihr Narren, wer hat euch her-gebeten? Wer hieß euch meinen Garten verwüsten? Wißt ihr, daß ihreuer Leben verwirkt habt? Ihr sollt mir sehr danken, wenn ich michmit geringer Buße zufrieden gebe!"

Doch höhnisch erwiderte Dietrich von Bern: „Was willst du dennnoch alles von uns, du kleiner Wicht? Deine Rosen werden wiedernachwachsen, an eine Buße aber denken wir nicht."

Schnell zog Wittich sein Schwert, um auf den wütenden Zwergeinzudringen. Der aber streckte den Helden mit einem Speerstoß zuBoden, sprang vom Pferd und griff nach dem Schwert, um sich seine

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Buße zu nehmen. Rasch eilte Dietrich von Bern dem Bedrohten zuHilfe, und es entspann sich ein harter Kampf. Schon schien es, alswürde Laurin den Helden niederringen, da rief Meister Hildebrand:

„Er hat einen Ring am Finger, der ihm Zwölfmännerkräfte gibt;den mußt du ihm entwinden." Da schlug Dietrich seinem Wider-sacher den Ring samt dem Finger ab, daß Laurin einen Zornesschreiausstieß. Trotzdem drang er neuerlich auf Dietrich ein und versetzteihm einen so wuchtigen Hieb, daß der Held halb betäubt ins Gras sank.

Wieder rief Hildebrand: „Er hat noch den Zaubergürtel, der ihmKraft verleiht; entreiß ihm den Gürtel, dann hat der Streit ein Ende!"

Herr Dietrich raffte sich auf, der Zorn verdoppelte seine Kräfte.Er faßte nach dem Gürtel und riß so stark daran, daß das Zauberdingentzweibrach und zu Boden fiel.

Doch Laurin griff in seine Tasche nach der Tarnkappe, setzte sierasch auf und war für seinen Gegner unsichtbar. Herr Dietrich schienverloren. Der Zwerg hieb und stach auf ihn ein, und bald war derHeld von Wunden bedeckt.

Wieder war es Meister Hildebrand, der Rat in höchster Not wußte.„Ringe mit ihm", rief er seinem Herrn zu, „und suche dabei die Tarn-kappe zu erhaschen; dann kann er sich nicht mehr verbergen, undder Kampf muß zu Ende sein!"

Herr Dietrich griff nach dem Zwerg, erwischte ihn, und sie rangengewaltig, bis der Held die Tarnkappe in seinen Händen hatte undweit von sich ins Gras warf. Nun bat König Laurin: „Schone mich,ich will mich dir ergeben!"

Aber Dietrich von Bern war allzusehr ergrimmt. „Nein", wütete er,„nichts soll jetzt mehr dein Leben retten, elender Zwerg!"

Da rief Laurin in hellen Nöten: „Dietleib, edler Held, hilf mir, ichwill dir dafür deine Schwester Kühnhild ausliefern, die ich auf meinemGebiet angetroffen habe und die bei mir als Gefangene lebt."

Als Dietleib das hörte, bat er den Berner: „Herr, schont ihn, damitich erfahre, wie es um meine Schwester steht!"

„Nein", zürnte Herr Dietrich, „es ist um sein Leben geschehen."Da griff Dietleib zornentbrannt zum Schwert, und es wäre zum

Kampf zwischen den beiden Helden gekommen, wenn sich nicht Hilde-brand mit den andern Rittern dazwischengeworfen und die erregten Ge-müter besänftigt hätte.

Als Gefangener mußte König Laurin nun zwischen den Reckenreiten und ihnen den Weg zur Jungfrau Kühnhild zeigen. MeisterHildebrand aber riet seinen Kameraden vorsichtig zu sein; denn derZwergenkönig sei tückisch, man dürfe auf seine Worte nicht bauen.

Sie ritten die ganze Nacht und kamen gegen Morgen auf einengrünen Anger, von wo der Eingang ins Erdinnere führte. Davor standen

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und saßen Zwerge, musizierten, tanzten und trieben allerlei Spiele.Der Kleine führte seine Begleiter in den Berg hinein, wo es von hell-stem Lichterglanz strahlte. Schon trat die schöne Kühnhild den Frem-den entgegen. Wie groß war ihre Freude, als sie unter ihnen ihrenBruder erkannte! Flehentlich bat sie ihn, sie aus dem Reich der Zwergefortzuführen. Und der Bruder versprach ihr gern, dies mit Hilfe seinerGenossen zu vollführen.

König Laurin aber redete zu den Recken: „Ihr edlen Herren, geruhtnun, euch zu Tisch zu setzen und an Speise und Trank zu laben."

Man brachte köstliche Speisen, kredenzte herrlichen Trunk, und dieHerren langten nach dem mühevollen Ritt wacker zu. Laurin hatteeinen betäubenden Schlaftrunk unter den Wein mischen lassen, undes dauerte nicht lange, so sank einer nach dem andern der durstigenHelden in schweren Schlaf. Darauf hatte König Laurin gewartet. Schnellberief er seine Mannen, ließ den Helden die Harnische ausziehen undwarf sie als seine Gefangenen in den Turm, der mit gewaltigen Fels-trümmern als Türen gesichert war.

Vergebens flehte Jungfrau Kühnhild den König um Erbarmen an;Laurin wollte das Blut seiner Gefangenen, keine noch so rührendeBitte vermochte seinen starren Sinn zu erweichen.

Eines Tages lag der König in tiefem Schlaf. Da eilte Kühnhild durchalle Gemächer der Burg, um den Aufenthalt der Gefangenen zu er-kunden. Als sie ihr Ohr auch an den Luftschacht des Turmes legte,hörte sie tief unten die Stimmen der Helden. Freudig rief sie hinunter:„Ihr Herren, seid fröhlich; ich werde euch retten!" Eilig holte sie dieHarnische und Schwerter der Recken, gab auch sechs Ringlein dazu und band alles an ein Seil, das sie in die Tiefe hinunterließ. „DieRinge steckt an die Finger", befahl sie den Gefangenen, „dann wer-den sich alle Türen vor euch auftun."

Die Helden taten es und sahen bald alle Türen offenstehen. Fröhlichtraten sie aus ihrem Kerker und dankten der wagemutigen Maid. Siebestiegen ihre Rosse, um das Reich des treulosen Zwergenkönigs zuverlassen. Unterdessen war Laurin aus seinem Schlummer erwacht, hörtedas Rasseln der Harnische und ahnte Gefahr. Sogleich ließ er seinHorn erschallen, das seine Zwerge zusammenrief.

„Ihr Herren", mahnte Meister Hildebrand, „steckt Kühnhilds Ringean eure Finger, sonst seht ihr keinen von den Zwergen, sie steckenalle unter Tarnkappen!"

Geschwind folgten die Helden dem Rat des Alten. Nun hob einKampf der sechs Helden gegen die Übermacht des kleinen Volkesan, daß der Fels sich rötete vom Blut der geschlagenen Wunden. HerrnDietleib drängten die Zwerge zu einem Tisch und rückten ihm hartzu Leibe. Er aber zertrat sie mit den Füßen.

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Wolfhart geriet bei einem hohen Turm im Berg in große Not. Dariß er den Turm um, daß an zweihundert Zwerge die Flucht ergriffen.

Herr Dietrich von Bern schlug mit Wucht um sich und strecktezahllose Feinde nieder. Aber immer neue Scharen drangen gegen ihnheran, schon floß ihm das Blut aus vielen Wunden. Da packte denHelden die Wut; wie heißes Feuer lohte der Atem aus seinem Mundund versengte die Bedränger, daß sie schaudernd zurückwichen.

An ein Tor gelehnt, wehrte Meister Hildebrand den Ansturm derKleinen ab. Das Tor war aus Eisen und so breit und schwer, daß keinesMenschen Hand es vom Fleck rühren konnte. Er aber hob es aus denAngeln und warf es auf die Zwerge, daß Hunderte von ihnen davonerdrückt wurden.

Wacker focht der Held Wittich. In einer Ecke, den Rücken ge-deckt, schwang er sein Schwert und ließ dazwischen seinen schwerenSchild niedersausen; mancher Gegner mußte hier sein Leben lassen.

Der kühne Wolfbrand aber schlug aus einer Steinwand gewaltigeFelsbrocken und warf damit viele von dem vorstürmenden Zwergen-volk zu Tode.

In dieser Schlacht verlor König Laurin viele seiner Untertanen. Wut-entbrannt stieß der König in sein Horn und berief damit sechs ge-waltige Riesen aus dem Wald, die nun mit langen stählernen Stangendie Helden anliefen. Ein furchtbarer Kampf entbrannte, Schilde undPanzer zersplitterten, Helme wurden eingeschlagen, aus tiefen Wundenfloß das Blut, bis Held Dietleib einem der Riesen mit mächtigem Hiebdurch den Helm schlug, daß der Riese erlag. Herr Dietrich erschlugden nächsten, und so wurden alle sechs Riesen erschlagen.

Nun wandte sich der Zorn der edlen Recken gegen König Laurin;sie wollten Rache nehmen für seine Treulosigkeit. Doch die edle Jung-frau Kühnhild bat für den König, der sich milde gegen sie erwiesenhatte; sie schonten daher sein Leben, aber er mußte ihnen seine Schatz-kammer öffnen, der sie gewaltige Schätze entnahmen.

Reich beladen kehrten die Helden mit der Jungfrau nach Bern zu-rück; traurig blickte ihnen der Zwergenkönig nach; ihm war leid umden Verlust Kühnhilds, die er liebgewonnen hatte. Später kam Laurinfreiwillig nach Bern und schloß Frieden mit dem Helden Dietrich, dervon nun an in Freundschaft mit dem kleinen Mann lebte.

Noch heute gleicht die Gegend um Bozen, wo König Laurin sein ober-irdisches Reich hatte, einem Rosengarten, und ein Teil dieses wildenFelsgebirges führt auch den Namen „der Rosengarten". Des Abends,wenn die Sonne ihre Strahlen sendet, leuchtet der Fels blutrot, weithinbis ins Tal des Inn sichtbar. Der Harnisch König Laurins wurde bisins späte Mittelalter im Schloß Tirol verwahrt und war leider einesTages spurlos verschwunden.

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Die Fee vom Sonnwendjoch

Im Innern des über zweitausend Meter hohen Sonnwendjochs, dassich unweit des Städtchens Rattenberg am linken Innufer stolz in

die Lüfte erhebt, wohnte einst eine stolze Fee, die Gebieterin desBerges und Schirmherrin alles Wildes, das sich an den Hängen und inden Felsklüften des Gebirgsstockes tummelte.

Einst zog ein junger Ritter aus der Burg Mehrnstein, die in derNähe von Brixlegg stand, zur Jagd aus und kam bei der Verfolgungeiner Gemse am linken Innufer bis an den Fuß des Sonnwendjochsheran, wo schon das Schutzgebiet der Bergfee seinen Anfang nahm.Plötzlich trat ihm eine hohe, königliche Gestalt entgegen und erhobwarnend die Hand. „Was jagst du auf meinem Grund?" rief sie demerstaunten Jäger zu. „Weißt du nicht, daß alles Wild hier herum untermeinem Schutz steht? Ich bin die Herrin dieses Gebiets und wünschenicht, daß einem meiner Tiere auch nur ein Haar gekrümmt wird."

„Verzeiht, edle Gebieterin", erwiderte der Ritter, nachdem er sich

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gefaßt hatte, „ich wollte Euch nicht erzürnen; ohne zu wissen, daßich Verbotenes tue, bin ich bis hierher vorgedrungen." Der liebreizendeAnblick der Herrscherin des Berges machte tiefen Eindruck auf denRitter; auch die Fee fand Gefallen an der stattlichen Erscheinung desJünglings. Sie gebot ihm, von der Verfolgung des Wildes für immerabzustehen, wenn er wünsche, daß sie ihm ihre Gunst schenken solle.Mit Freuden versprach es der Ritter.

Darauf führte ihn die Fee in ihr Reich mitten im Berg. Da gab esviel Herrliches und Wunderbares zu schauen: glänzende Paläste, prunk-volle Säle mit kristallenen Decken und mit Wänden aus rötlich schim-merndem Marmor. Wundervolle Gärten mit nie verblühenden Bäu-men, grünende Matten voll friedlich weidender Herden, silberklareBächlein zogen sich weit durch das Innere des Berges.

Die Fee schloß einen Herzensbund mit dem Ritter und steckte ihmzum Pfand ihrer Gunst ein Ringlein an den Finger. Oft ritt der Jüng-ling nun scheinbar zur Jagd aus, aber nie brachte er Beute mit sich;denn sein Weg führte ihn jedesmal in den Berg zu seiner geliebten Fee.Seine Freunde und Nachbarn wunderten sich; denn der Mehrnsteinerwar ein geübter Jäger, der kein Wild verfehlte und schon manchenBären oder Eber mit seinem Spieß erlegt hatte. Auch fiel es auf, daßer die umliegenden Burgen nie mehr besuchte und kein Auge für diezierlichen Edelfräulein in der Nachbarschaft hatte.

Da geschah es einmal, daß der Burgherr auf Schloß Rattenberg einVermählungsfest gab, wozu er auch seinen Freund, den Mehrnsteiner,einlud. Dieser konnte die Einladung nicht gut ablehnen und erschienbei der Feier. Das aber sollte sein Unglück sein. Ein schönes Edelfräu-lein aus Innsbruck, das gleichfalls als Gast anwesend war, schmeicheltedem Ritter den Ring der Fee ab, den sie an seinem Finger glänzen sah.Von den lächelnden Augen und werbenden Worten der Schönen betört,gab der Jüngling den Ring her.

Am nächsten Morgen freilich packten ihn Scham und Reue über seineTreulosigkeit. Mit verlangendem Herzen eilte er an den Fuß des Sonn-wendjochs, um die Fee um Vergebung für seine törichte Tat anzu-flehen. Der Anblick eines weißen Rehs, das vor ihm über die Haldesprang, ließ seine alte Jagdlust wieder erwachen. Er verfolgte dasTier bis zu einer Felswand, wo er bisher durch ein Klopfen mit demRinglein immer Einlaß in den Berg gefunden hatte. Aber diesmal nützte alles Pochen nichts; er hatte ja den Ring nicht mehr.

Da stand plötzlich die Fee vor ihm, nicht zürnend, aber ernst undwürdevoll; tiefe Trauer schien auf ihren Zügen zu liegen. Sie hielt dasRinglein in der Hand.

„Du bist nicht treu", sprach sie, „du schworst, stets nur an michzu denken, den Ring nicht aus der Hand zu geben und nie mehr eines

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meiner Tiere zu verfolgen. Du hast dein Wort dreifach gebrochen; eswird dein Unglück sein. Leb wohl auf immer!"

Die Fee war verschwunden, bestürzt starrte der Ritter die leere,kahle Felswand an. Kaum hatte er die Stelle verlassen, schoß mit don-nerndem Getöse eine Mure von der steilen Bergwand nieder und ver-schüttete eine weite Strecke.

Der Ritter soll nie mehr im Leben froh geworden sein. Später zoger aus dem Inntal fort; man sagt, er habe einen Zug nach dem HeiligenLand unternommen. Doch niemals kehrte er in die Heimat wieder.

Die Albacher und die Dornauer Riesen

Vor uralten Zeiten kam ein Riese in ein Seitental des Zillergrundes.Nur Bären und Wölfe hausten in der abgeschiedenen Wildnis,

und selbst diese waren ihres Lebens nicht sicher; denn weite Streckendes Tales waren versumpft, und nur eine dünne Moosschicht bedeckteden grundlosen Morast, der kein Tier mehr losließ, das seinen Fuß aufdie trügerische Decke gesetzt hatte.

Hier gefiel es dem Riesen, hier wollte er bleiben. Er wählte sicheine Höhle zum Aufenthalt aus, leitete das Sumpfwasser ab und rodeteganze Strecken des Urwalds. Als er sich alles nach seinem Dafür-halten recht wohnlich eingerichtet hatte, zog er aus, um sich ein Ehe-weib zu holen, aber keine Wildfrau oder ein Seefräulein, eine Frauseiner Art sollte es sein. Er sah sich überall im Hochgebirge um einepassende Gefährtin um und kam nach einiger Zeit mit einer Riesinwieder, die ebenso groß und stark war wie er und dem Gatten eifrigden Haushalt führte. So lebten sie fröhlich dahin.

Bald wurde dem fleißigen Riesenpaar die alte Wohnung zu eng; dennes hatten sich im Lauf der Zeit drei junge Riesen eingestellt, die prächtiggediehen, so daß der Raum in der Höhle an allen Ecken und Endenzu klein wurde. Da ging der alte Riese daran, sich ein neues, geräumigesWohnhaus zu bauen, und die jungen Riesenburschen mußten dabeiwacker mithelfen. Der Alte schlug die Bäume dazu auf dem Grund, wojetzt die Mareiter Alm liegt, und die Jungen mußten die Stämme zudem mehr als eine Stunde entfernten Bauplatz schleppen. Die jungenRiesen waren noch recht schwache Burschen, und keiner konnte aufeinmal mehr als einen Baum tragen, den freilich ein paar DutzendMenschenkinder nicht hätten bewegen können. Nur der jüngste derdrei Riesensöhne, Bartl genannt, versuchte es ab und zu, zwei Bäumeauf einmal wegzuschleppen, worüber der Vater zufrieden lächelte.

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Um den Bau kunstgerecht zu gestalten, fing der Alte einige „Fliegen",wie er die Menschen nannte. Die waren gelernte Zimmerleute undmußten die Stämme behauen und aneinanderfügen, wobei ihnen diejungen Riesen halfen; denn allein hätten gewöhnliche Erdensöhne dieriesigen Baumstämme unmöglich wenden und heben können. Die Men-schen nannten den entwässerten Sumpf das Roßmoos, das neue Wohn-haus des Riesen aber den Roßmooserhof.

Als der neue Bau vollendet und alles aufs beste bestellt und ein-gerichtet war, schien es dem Riesenvater an der Zeit, das Anweseneinem seiner Söhne zu übergeben; denn er fühlte das Alter heran-nahen, seine Kräfte ließen nach. Es machte ihm aber viel Kopfzer-brechen, welchem von seinen drei Söhnen er seinen Besitz anvertrauensollte; denn alle drei waren ihm gleich lieb. Er beriet sich hierübermit seinem Weib, und das meinte: „Gib alles dem stärksten, dannbrauchst du nicht lange mehr zu überlegen, und keiner kann sich be-klagen."

Das leuchtete dem alten Riesen ein; er rief seine Söhne zusammenund sagte: „Buben, ich bin alt, einer von euch soll das Haus haben.Aber weil ihr mir alle drei gleich lieb seid, will ich es dem stärkstengeben. Wir machen ein Steinwerfen; wer am weitesten wirft, ist Sieger."

Dieser Vorschlag war den jungen Riesen höchst willkommen. Gleichnach dem Mittagessen trug der Alte einen sechs Zentner schweren Stein,an dem ein mächtiger Eisenring angebracht war, fünfzehn Schrittevom Haus weg in die Ebene. Diese fünfzehn Riesenschritte machtenaber genau eine Viertelstunde Gehzeit für den gewöhnlichen Menschenaus. Der Wettkampf sollte so vor sich gehen, daß sich der Werfendemit dem linken Fuß fest auf den Boden stellte, mit dem rechten in denEisenring schlüpfte und den Stein mit kräftigem Schwung gegen dasZiel schleuderte. Dieses lag in der Richtung des Hauses, aber noch einStück darüber hinaus.

Zuerst trat der älteste Sohn an. Er schwang den Stein kräftig undwarf ihn nach vorn, kam aber damit nicht einmal bis an das Hausheran.

Man holte den Stein wieder herbei. Nun warf der zweite Sohn undmachte seine Sache schon besser. Er schmetterte den Stein an die Vor-derwand des Hauses, daß die Mauertrümmer herumflogen und einbreites Loch in der Wand gähnte.

„Du Esel", schrie der alte Riese, „ist das alles, was du kannst?"Jetzt griff der Jüngste nach dem Stein, holte weit aus und schleuderte

ihn so kräftig und hoch, daß er mitten auf das Dach fiel, dort ein mäch-tiges Loch schlug und innen im Haus alles kurz und klein hieb.

„O mein lieber Bartl", spottete der alte Riese, „du bist erst der richtigeHeld! Du hast das Haus zwar gewonnen, nun kannst du es dir aber

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gleich neu aufbauen." Und dann schalt er weiter: „Ihr dummen Kinds-köpfe, die ihr seid! Jetzt schaut mir einmal zu, und ich bin schon einalter, schwacher Kerl! Geh, liebes Weib", wandte er sich an seine Frau,„lauf hin und hol mir den Stein!"

Die Riesin lief und brachte den Stein an einem Finger ihrer Hand,der just in den Ring paßte, herbei, und der Alte stellte sich zum kunst-fertigen Wurf an. Hei, da flog der Stein weit über den Roßmooserhofhinaus, und die jungen Riesenkerle schlichen beschämt davon. Der alteRiese aber seufzte: „Die jungen Leute haben heutzutage gar keine Kraftmehr. Ja, zu meiner Zeit, da war es noch etwas anderes; unsereinerkonnte sich noch sehen lassen mit seiner Kraft. Ich entsinne michnoch deutlich, wie ich einmal einen hundert Zentner schweren Steinein hübsches Stück Weges ins Tal hinausgeschafft habe. Bei der Kolben-talersäge liegt er noch heute."

So hatte sich der alte Riesenvater noch als der kräftigste von allenerwiesen. Aber mit der Zeit wuchs auch die Stärke seiner Söhne. Be-sonders der etwas tolpatschige Bartl entwickelte oft Kräfte, daß selbstder Alte staunte. Das zeigte sich am besten bei einem Ringkampf, dender Bartl einmal mit den rauflustigen Dornauer Riesen auszufechtenhatte.

Auf dem Dornauerberg im Zillertal wohnten nämlich ein paar Riesen,denen der Bartl schon lang ein Dorn im Auge war. Vielleicht war erihnen bei ihrem Liebeswerben um eine hübsche junge Riesin ins Gehegegekommen. Ihre Rauflust war zudem nicht gering, und so suchten sieden Bartl zu einer Rauferei zu stellen. Der aber wich ihnen aus, woer nur konnte, nicht vielleicht weil er feige war, aber seine friedfertigeNatur war allen gewaltsamen Auseinandersetzungen abhold.

Da kamen einmal die Dornauer Riesen auf den Roßmooserhof her-über, unterhielten sich mit dem Alten und trafen dabei auch den Bartl.Spöttelnd forderten sie den jungen Roßmooser Riesen zum Kampf auf;doch der zuckte die Achseln und schwieg. Das kränkte den Alten, under rief dem Sohn verweisend zu: „Ja, sag einmal, Bartl, besitzt du keinenStolz, daß du dir alles gefallen läßt?"

„Ja , Vater", fragte der Bartl, „darf ich denn raufen?" Und als derAlte zustimmend nickte, meinte der Sohn: „Aber mit einem ist's mirgar nicht der Mühe wert. Ich will mich gleich über beide auf einmalhermachen." Und da ging er den Kampf an mit beiden zugleich, er-wischte sofort einen jeden beim Kragen, riß sie in die Höhe und ließsie zappeln und strampeln, bis ihnen das Wasser aus den Augen rann.Dann schleuderte er sie zu Boden, daß sie regungslos liebenblieben undder Alte schon meinte, es sei mit ihnen zu Ende. Aber sie rappelten sichnach einiger Zeit doch wieder auf und machten sich beschämt davon.Sie hatten genug und dachten nie mehr daran, nochmals mit dem Bartl

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anzubinden. Der aber wurde durch diesen Sieg weit und breit berühmt;denn die Dornauer Riesen waren keineswegs Schwächlinge. Man wußte,daß jeder von ihnen drei bis vier Salzsäcke, eine Last von fünf odersechs Zentnern, auf einmal von Zell am Ziller auf den Dornauerbergtrug. Dabei fanden sie noch unterwegs Vergnügen daran, mit der Lastauf den Schultern im Bach Forellen zu fangen.

Nicht minder groß und kräftig war auch die Schwester der DornauerRiesen. Die hatte sich mit einem großen, starken Bauernsohn verlobt,der selber fast ein halber Riese war. Als aber die starke Riesenmaidihrem Bräutigam den Verlobungskuß gab, sank der stattliche Mann totzu Boden. Die Riesin hatte ihm bei ihrer feurigen Umarmung alle Rip-pen zerdrückt. In bitterer Kümmernis starb sie, und mit ihr erlosch dasGeschlecht der Riesen.

Das Schachtmännchen zu Steinberg

In einem Wirtshaus zu Achenkirch diente vor vielen Jahren ein Knecht,der einmal nach Steinberg geschickt wurde, um dort für seinen

Herrn Schafe abzuholen. Gemächlich ging er seines Weges und ließdabei seine Augen fleißig in der Gegend umherwandern. Plötzlich saher vor sich eine schöne glänzende Schafschelle liegen, die er aufhobund zu sich stecken wollte. Aber vorher probierte er, welchen Klangdas Glöcklein wohl habe; der Ton war aber so rein und silberhell,daß er gar nicht aufhören konnte zu klingeln. Mit einemmal trat eingraues Bergmännchen hinter einem Felsblock hervor und fragte denBurschen unwillig: „Was ist's? Was willst du denn? Warum klingelstdu mir denn unaufhörlich, du dummer Bursche?"

„Geh heim und laß mich ungeschoren!" versetzte der Achenkirchner.„Ich habe dich nicht gerufen und brauche dich nicht." Damit setzteer seinen Weg fort.

Trotzdem folgte das Bergmännchen dem Burschen und redete ihnneuerlich an: „Ich will dir etwas sagen, schenk mir die Schelle!"

Doch der biedere Älpler schüttelte ablehnend den Kopf und meinte:„Ich mag nicht."

„Ich zeige dir einen Schatz, wenn du mir die Schelle gibst", fing dasBergmännchen wieder an.

„Nur zeigen", sagte darauf der Knecht, „nein, auch geben!"„Gut!" erwiderte der Kleine; „komm mit mir!" Er führte den Bur-

schen an eine Stelle abseits vom Weg, wo zwei Schächte nebeneinanderoffenstanden. „Einer ist für dich, einer für mich", meinte er. „Ausdem deinen darfst du mit dir nehmen, was du willst, doch nicht mehr,

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als du für dich brauchst. Aber sag keinem Menschen, woher du deinenSchatz hast!"

„Das sind ja lauter gewöhnliche Steine, die da in dem Schacht lie-gen", erklärte der Bursche enttäuscht, wurde aber von dem Schacht-männchen belehrt, daß es wertvolles Erz sei; er möge das Gestein nuruntersuchen lassen.

Der Knecht brummte, das werde er auch tun und die Schelle demMännchen erst dann ausfolgen, wenn die Untersuchung die Wahrheitseiner Worte bestätigt habe.

Er steckte sich alle Taschen voll mit den grauen Steinen und gingnach Brixlegg ins Schmelzhaus, wo das Gestein als Silbererz erkanntwurde. Man zahlte ihm zwanzig Gulden dafür aus.

Nun stieg er wieder zu den beiden Schächten am Berg hinauf undübergab dem Schachtgeist die Schelle, der sie begierig ergriff undsogleich in seinen Stollen hineinwarf, wo sie mit silbernem Klingelnin der Tiefe versank. Verwundert fragte der Bursche das Männchen:„Warum wirfst du die schöne Schelle da hinunter?"

Rasch war der Kleine mit der Antwort bereit: „Damit nicht wiederein Tölpel wie du sie finde! Denn wer diese Schelle besitzt, dem mußich immerfort dienen, und das macht mir gerade kein Vergnügen. Abersei du zufrieden mit dem, was du mir erpreßt hast. Mein Gestein kanndich zum reichsten Mann machen. Aber merke dir den Spruch gut: ,Seireich — und schweig!'

Danach verschwand das Männchen in seinem Schacht.Der Bursche trug von nun an heimlich immer mehr Steine aus dem

Schacht weg und war bald in der Lage, sich Haus und Hof, Felder undVieh zu kaufen. Er wurde mit der Zeit der reichste Bauer in der ganzenUmgebung. Nie sagte er ein Wort, woher die Steine stammten. Aber derleichtgewonnene Reichtum machte ihn mit der Zeit liederlich, er begannmit dem Geld herumzuwerfen und ergab sich dem Trunk.

Eines Tages hatte er sich in Achenkirch derart bezecht, daß ihnsein Bruder nach Hause führen mußte. Der im Ubermaß genosseneWein löste seine Zunge, und so plauderte er im Rausch sein Geheimnisaus und erzählte seinem Bruder von der gefundenen Schelle, vomSchachtgeist und von seinem erzenen Schatz. Da hörten beide auf einmaleine Schelle silberhell klingen, sahen aber nichts. Der Berauschte er-schrak und wurde plötzlich nüchtern. Eilig lief er zu seinem Schacht,fand aber kein Körnchen mehr von dem silberhaltigen Erz, und derSchacht des Männchens war ganz verschwunden. Die Quelle seinesReichtums war versiegt, und da er inzwischen auch das Arbeiten ver-lernt, dafür aber das Trinken sich angewöhnt hatte, sank er von Stufezu Stufe und verkam schließlich in Not und Elend. Der Schatz desSchachtmännchens hatte ihm keinen Segen gebracht.

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Der Almputz in der Hintertux

Neben den Kasermandln, den wegen ihrer bösen Taten zum Um-geistern auf der Alm verurteilten Sennen, spuken noch andere ge-

spenstische Wesen auf den Almen und Bergen herum, die im irdischenLeben Frevel und Unrecht begangen haben und nun dafür büßen müs-sen; man nennt sie die Almputze. Diese Spukgeister erscheinen oft insonderbarer Gestalt, manche haben einen Kopf aus Lehm, andere garkeinen Kopf, der eine oder andere muß in Tiergestalt sein Unwesentreiben.

Auf einer Alm in der Hintertux hauste ein Berggespenst, das vieleBewohner der Umgebung schon gesehen hatten. Sie schilderten es über-einstimmend als ein entsetzliches schnaubendes Roß, das urplötzlichvor den erschrockenen Gebirglern auftauchte, aber in seiner Wildheitkeinen Menschen in seine Nähe kommen ließ; dazu strömte es einen sogräßlichen Gestank aus, daß jedermann schleunigst die Flucht ergriff.Kein Mensch war sicher vor der schrecklichen Wut dieses Almputzes,und schon viele Jäger und Wildschützen hatte er mit seinen eisenhartenHufen zu Brei zerstampft.

Einst faßte ein wackerer Älpler den tapferen Entschluß, diesemSchreckgespenst ernstlich zu Leib zu rücken. Er lud seinen Stutzenmit einer geweihten Kugel und stieg eines Tages zur Alm Eis hinauf,wo es der Putz besonders arg trieb. Unfern der Almhütte stand einWegkreuz, bei dem der mutige Schütze noch ein kurzes Gebetlein spre-chen wollte, bevor er den Tummelplatz des gefährlichen Rosses betrat.Als er sich umwandte, um weiterzugehen, stand ein unscheinbares, grau-gewandetes Bergmännchen hinter ihm, das ihn um einen Bissen Brotund einen Schluck Branntwein bat. Gutmütig öffnete der Mann seinenSchnappsack und teilte Brot, Gemsenfleisch und Enzian mit dem Männ-chen. Als sie gegessen hatten, sagte der Kleine: „Ich weiß, was du vor-hast. Aber ich rate dir gut: Kehre wieder um; denn wenn du nicht,Reißendes, Beißendes und Gleißendes' bei dir hast, bist du unwiderruf-lich verloren. Der Putz wird dich zu Brei zertreten und zu Staub zer-malmen."

Da fragte der Schütze verwundert, was er denn unter diesen dreiDingen verstehe. Das Bergmännchen erwiderte: „Das sind dein Stutzen,dein Hund und dein Schwert."

Der Jäger befolgte den Rat des Männleins, kehrte um und versorgtesich zu Hause mit den drei schützenden Dingen. Dann trat er erwar-tungsvoll aufs neue seinen Gang an, um seine Heldentat zu vollbringen.Aber es kam anders, als er erwartet hatte. Der Almputz, dieses greu-liche Pferdeungetüm, erschien, sprengte in rasendem Galopp auf ihn

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zu, schnaubte Feuer, strömte stinkenden Dampf aus, bäumte sich undstampfte wie toll. Dann wieherte das Roß grimmig und grollend, daß esrundherum gräßlich widerhallte, und schrie dem erschrockenen Jäger zu:„Du Lump, wenn du nicht das Reißende, Beißende, Gleißende bei dirhättest, würde ich dich zu Staub und Moder zermalmen." Schrie es undsprengte davon, daß Staub und Funken stoben, ehe der wie angedonnertdastehende Jäger nur ein Glied zu rühren vermochte. Als er sich dannnach dem spukhaften Wesen umsah, verschwand es gerade in der Glet-scherwand, aus der es gekommen war. Dem Schützen aber war von daan die Lust, mit Geistern und Putzen Kämpfe zu bestehen, ganz und garvergangen.

Die mutige Magd im Wattenser Tal

Im Wattenser Tal, das sich stundenweit ins Hochgebirge hineinziehtund den Zugang zu zahlreichen Almen bildet, die sich zu beiden

Seiten des Tales den unfruchtbaren Hochbergen vorlagern, liegt auf derlinken Bachseite die schöne Alm Wotz.

Hier hauste alljährlich zur Winterszeit ein fleißiger Almgeist, einKasermandl, das nächtelang in der Almhütte herumrumorte und erst

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gegen Weihnachten ruhiger wurde. Wenn dann beim Frühjahrsbeginndie erste Amsel auf den Fichten im nahen Gehölz ihr inniges Liebesliedsang, nahm der winterliche Gast Abschied von der Hütte und wurde biszum Herbst nicht wieder gesehen.

Im Hause des Bauern, dem diese Alm gehörte, diente eine brave,ehrliche Magd, die mit rührender Liebe an ihrem armen alten Mütter-chen hing, das schwerkrank darniederlag. Nun war wieder die Weih-nachtszeit gekommen, und das fleißige Mädchen hatte in Haus und Stallalles geputzt, gebürstet und sauber gemacht. Als der Bauer am HeiligenAbend mit dem Gesinde und ein paar Bekannten am Weihnachtstischsaß, kam die Rede auch auf die Alm, und einer der Gäste meinte:„Was wohl heut' das Kasermandl macht? Ob es auch Weihnachtenfeiert?"

Der Bauer, dem die paar Viertel Roten, die er sich heute vergönnthatte, zu Kopf zu steigen begannen, rief in heiterer Festlaune: „Wervon euch sich getraut, jetzt gleich auf die Wotzalm zu steigen undnachzuschauen, was das Kasermandl heute nacht treibt, und zum Zei-chen, daß er oben war, den Melkkübel aus der Almhütte mitbringt, demwill ich meine schönste Kuh aus dem Stall geben."

Aber die Nachbarn und Knechte schwiegen, keiner brachte den Mutauf, den nächtlichen Gang zu wagen, nicht einmal um die schönsteKuh; denn das Kasermandl da oben stand in keinem guten Ruf undhatte schon manchen, der ihm in die Quere kam, mit geschwollenemKopf davongejagt. Da faßte sich das mutige Mädchen ein Herz unddachte: „Ich wage es in Gottes Namen. Ich tue es nicht aus Prahlereioder Neugierde, sondern um meiner armen Mutter zu helfen, die eineKuh gut brauchen kann." Also erklärte sich die Magd bereit, den Gangauf die Alm zu unternehmen. Leicht war es nicht, in kalter, finstererNacht zwei Stunden lang durch Schnee und Eis bergauf zu stapfen, aberdas mutige Mädchen überwand alle Schwierigkeiten und erreichte glück-lich sein Ziel.

Droben in der Almhütte war alles hell erleuchtet, Tische und Bänkeglänzten vor Sauberkeit, auch der Fußboden war blitzblank gescheuert.Das Kasermandl saß im Feiertagsgewand vor dem Herd, schmauchtesein Pfeifchen und kochte sich in der Pfanne einen kohlrabenschwarzenBrei. Mutig trat das Mädchen in die Hütte, knixte unerschrocken vordem Mandl, so gut es eben eine einfache Bauerndirn verstand, undwollte eben anheben, ihr Kommen zu erklären, da winkte ihr derKleine und sagte: „Komm her, setz dich nieder und iß mit!" Aber derMagd graute vor der seltsamen schwarzen Speise, sie zögerte, den dar-gebotenen Löffel in die Hand zu nehmen. Das Mandl aber meinte:„Dirndl, fürchte dich nicht! Mach nur rasch ein Kreuzzeichen über derSpeise, und du wirst sehen, daß sie recht gut genießbar ist."

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Die Magd tat dies. Sogleich lagen die schönsten Krapfen in derPfanne, und sie hieb wacker ein; denn der weite Weg hatte sie hungriggemacht. Auch das Männchen griff zu und aß mit dem Mädchen um dieWette; es schmeckte beiden ganz ausgezeichnet. Als sie die Pfanne feinsäuberlich ausgeputzt hatten, fing das Kasermandl zu reden an: „Ichkenne dein Anliegen schon. Du sollst nachschauen, was ich hier treibe,und den Melkkübel mit hinunterbringen, zum Zeichen, daß du hierwarst. Ich werde ihn dir gleich geben; denn du bist ein tüchtiges, bravesMädchen. Wenn du dann wieder im Tal unten bist, so verlange vomBauern die beste trächtige Kuh mitsamt dem Kalb. Die soll er nur her-geben als Strafe dafür, daß er dich mutwillig mitten in der Nacht beiKälte und Schnee auf den Berg heraufgeschickt hat."

Froh machte sich die Bauerndirne mit ihrem Melkkübel wieder aufden Heimweg. Als sie zum Haus ihres Dienstherrn kam, wollte diesergerade zur Kirche aufbrechen. Freudig erzählte ihm die Magd den Er-folg ihres Ganges und zeigte zum Beweis, daß sie wirklich auf derAlm war, den Melkkübel vor; dann bat sie um die versprochene Kuh.Da lachte der Bauer und sagte: „Daß du dumm genug warst, mitten inder Nacht auf die Alm zu rennen, ist dein eigener Schaden. Aber für so

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närrisch hätte ich dich nicht gehalten, meinen Spaß mit der Kuh fürbare Münze zu nehmen. Dein Gang ist ja keinen Pfifferling wert, ge-schweige denn eine Kuh." Damit war die Sache für ihn erledigt, unddas arme Mädchen hatte das Nachsehen.

Am andern Morgen aber gab es eine traurige Weihnachtsbescherungim Bauernhof: eine der schönsten Kühe lag tot vor ihrem Barren imStall. Der Bauer wollte sich schier die Haare ausraufen vor Ärger undLeid. Die Kuh war sein Liebling gewesen und hatte ihm schon manchenPreis eingetragen.

„Hättest du die Kuh mir gegeben, so wäre dir dieser Kummer er-spart geblieben", meinte die Magd. „Willst du dein Versprechen nichthalten?" Aber der Bauer schnauzte sie derb an und hieß sie schweigen.

Da ereignete sich am nächsten Tag neuerlich ein schreckliches Un-glück, man fand wieder eine schöne Kuh tot im Stall; sie hatte sich ander verknüpften Halskette erwürgt. Und als am dritten Tag ein drittesTier zugrunde ging, gab der Bauer klein bei; denn er meinte, es könneihn den ganzen Viehstand kosten, wenn er sein Wort nicht einlöse. Sogab er der Magd die begehrte trächtige Kuh und hatte fortan wiederRuhe im Stall. Die Magd aber führte die Kuh in das Häuschen derMutter, die mit glänzenden Augen die wertvolle Gabe in Empfangnahm; denn nun hatte ihre Not ein Ende.

Dankbar gedachte das Mädchen des Kasermandls auf der Wotzalmund schickte täglich fromme Wünsche zum Himmel empor, um dasMännchen von dem Fluch, der auf ihm lastete, zu erlösen.

Die Goldhöhle in den Alpacher Bergen

An dem schmalen Gebirgsweg, der von Alpach über das Höseljochnach Thierbach führt, hatte vorzeiten ein armes Bäuerlein sein

mageres Anwesen. So gering auch sein Viehstand war, das wenige Heu,das seine kleinen Almwiesen trugen, reichte kaum für die Kuh unddie paar Geißen, die er sein eigen nannte. Da mußte denn sein ältestesTöchterlein schon zeitig im Frühjahr, wenn auf der Sonnseite des nahenBerges das erste Fleckchen schneefrei wurde, mit dem Kleinvieh aufdie Weide ausfahren. Darüber war das Dirnlein gar nicht böse, denn essprang lieber unter Gottes freiem Himmel im hellen Sonnenschein her-um, als daheim in der dumpfen Stube am Spinnrad zu sitzen.

Einmal ließen sich ihre Ziegen an der blauen Wand, einer mächtigenFelslehne von blaugrauer Farbe, das zarte grüne Gras schmecken, wäh-rend das Mädchen, leise vor sich hinträllernd, die Wand entlangging.Plötzlich bemerkte es im glatten Felsen ein hohes, gewölbtes Tor, dessen

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Flügel weit offenstanden. Dahinter saß ein altes eisgraues Männchen,dessen langer grauer Bart bis auf den Boden reichte. Drinnen glitzertees im Sonnenschein von Gold und edlem Gestein. An den Wänden lagenGoldlaibe reihum, und vom Gewölbe hingen gleißende Goldzapfenherab.

Das Männchen winkte der Hirtin heranzukommen und fragte:„Möchtest du gern herein zu mir? Komm nur weiter!" — Erschrockenlief das Mädchen davon und eilte schnurstracks zum Vater heim, umihm von dieser seltsamen Begegnung zu erzählen. Der Alte erinnertesich, daß er auch einmal, als er noch Hüterbub war, bei der blauenWand eine goldene Blume gesehen habe, so groß wie sein Hut. Als ersie abends beim Heimfahren mitnehmen wollte, war sie nirgends mehrzu finden.

Nun eilte er, so rasch ihn seine Füße trugen, mit seiner Tochter zurblauen Wand hinauf, aber das hohe, gewölbte Tor war verschwunden,sie fanden nichts mehr als eine glatte Felswand. Und sooft das Mädchenin späterer Zeit auch an diese Stelle kam, niemals bemerkte es mehrdas Männlein oder das offene Tor.

Der Hexenspielmann von Hötting

In Hötting lebte einst ein armer Spielmann, der sich mit dem Geigen-spiel seinen Lebensunterhalt verdiente, und wenn es hoch kam, ab

und zu auch noch ein weniges zu einem Notgroschen für das Alterbeiseite legen konnte. Einmal hatte er in einem Wirtshaus bis gegenMitternacht aufgespielt und war nun auf dem Heimweg begriffen. Un-terwegs begegnete ihm eine Schar lustiger junger Frauen, die ihn gleichumringten und fragten, ob er ihnen nicht gegen gute Bezahlung auchnoch ein Stündchen aufspielen wolle.

Der Spielmann, der einen guten Verdienst witterte, besann sich nichtlange und willigte in das Begehren der fröhlichen Gesellschaft ein. Nunging es unter ausgelassenen Scherzreden und übermütigem Gelächtereine gute Strecke Weges bis über Zirl hinaus. Zwischen Eigenhofenund Dirschenbach langten sie schließlich bei einem stattlichen Gebäudean, das der Musikant, soweit er sich erinnern konnte, bisher noch niean dieser Stelle bemerkt hatte. Hier war das Ziel ihrer nächtlichenWanderung erreicht.

Ein hellerleuchteter Saal nahm sie auf, und ein fröhliches, über-mütiges Treiben begann. Der Geiger hob zu spielen an, und bald wir-belten die Paare im Kreis herum. Die schönen Frauen vergaßen auchden Spielmann nicht, schenkten ihm fleißig ein und forderten ihn auf,

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die vorgelegten Speisen wacker zu genießen. Das ließ sich der hungrigeMusikant auch nicht zweimal sagen. Denn da gab es Eier mit Spinat,Würstel, Gebratenes und Gebackenes, sogar knusprige Krametsvögelstanden auf der Tafel. Der Spielmann geigte, aß und trank und fidelteweiter, nebstbei stopfte er von den guten Sachen alle Taschen voll, da-mit er auch morgen noch ein paar Leckerbissen habe.

Es wurde immer später, der Musikant war müde und matt, seineTänze hatte er schon alle zum besten gegeben, da dachte er daran,sein Spiel zu beenden. Noch ein frommes Lied zum andächtigen Schlußwollte er aufspielen. Aber sowie er den ersten Bogenstrich machte,brach Knall und Fall das prächtige Haus auseinander, alles verschwand,die Lichter erloschen, und der Spielmann saß allein in finsterer Nachtauf einem nackten Felsen im Feld. Der Morgen dämmerte schon heran,Kälte und Müdigkeit krochen in seine Glieder, und schließlich überfielihn auch noch der Hunger. Doch er hatte sich ja alle Säcke mit Lecker-bissen angefüllt; mit vollen Taschen Hunger zu leiden, meinte er beisich, sei doch nicht nötig. Aber als er seinen Vorrat hervorzog — o weh!—, da waren die Eier zu Roßmist geworden und der Braten, und was

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er sonst noch eingesteckt hatte, zu Kuhfladen, Totengebein und häß-lichen Kröten.

Von Ekel gepackt, mußte er alles von sich geben, was er bei Nachtim Hause gegessen hatte, kroch mit Mühe vom Felsen herab und kamtodmüde erst bei Sonnenaufgang nach Hause.

Die Hexe Stase von Landeck

Auf einem Hof in der Nähe von Landeck hauste einst eine Bäuerin,die als Hexe Stase weit und breit verrufen war. Fiel sich im Som-

mer auf der Alm ein schönes Kalb zu Tode oder ging sonst ein StückVieh ein, so hatte gewiß die Hexe Stase ihre Hand dabei im Spiel.Gelang es einer Bäuerin auf einem Hof nicht, aus der Milch Butter zugewinnen, so hatte die Stase den Butterkübel verhext, wie es einmaleiner ihrer Nachbarinnen erging. Diese aber war nicht faul und gedachtedie Hexe mit einem glühenden Bratspieß aus dem Kübel zu vertrei-ben; dann werde die Arbeit schon gelingen. Da trat auf einmal dieStase in die Stube und fragte hastig: „Was machst du denn mit demglühenden Spieß am Butterkübel?" Und als jene erwiderte: „Ich willder Hexe da drinnen an den Leib", sagte das alte Weib: „Das brauchstdu ja gar nicht; schau, die Butter gerinnt schon!" und klopfte dabeian den Kübel. Und siehe, augenblicklich war die schönste Butter da,und die Alte entfernte sich, ohne ein Wort zu sagen. Hätte die Bäuerinmit dem Spieß in den Kübel gestochen, wäre die Hexe ohne Zweifelschwer verwundet worden.

Sooft im Sommer schwarze Wolken über den Bergen aufzogen,dauerte es nicht lange, und man sah die Hexe auf einem Sattel ohnePferd durch die Luft reiten und mit einem Besen die Wolken vor sichherfegen. Wenn die Hexe aber zu Hause Mus kochte und es ihr an Salzfehlte, fuhr sie auf ihrem Sattel nach Hall um Salz.

So trieb sie es lange Zeit. Aber einmal war doch das Maß ihrer Übel-taten voll. — Der Gatte der Stase betrieb neben seiner kleinen Wirt-schaft das ehrsame Schusterhandwerk. Daß seine Frau böse Künstetreibe, wollte er durchaus nicht glauben, obwohl in der ganzen Gegenddie Rede davon war. Eines Tages suchte er am frühen Morgen seinHandwerkszeug zusammen, um in einem entfernten Hof seine Schuster-arbeit zu verrichten. Da sah er schwere Wolken hinter den Bergenaufsteigen und meinte zu seiner Frau, er wolle lieber zu Hause blei-ben, um die am Vortag gemähte Gerste unter Dach zu bringen, sonstkönnte der Hagel die Körner ausschlagen.

Der Stase paßte es aber nicht in ihren Kram, daß der Mann heute im

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Hause weile, denn sie wollte gerade an diesem Tag einen großen Hexen-tanz besuchen. „Nein, nein", erklärte sie daher, „es ist gar nicht not-wendig, daß du daheim bleibst; du kannst unbesorgt deiner Arbeitnachgehen, ich werde mich schon um die Gerste kümmern und sienoch vor dem Gewitter einbringen."

Nicht allzu sehr davon überzeugt, daß das Weib wirklich rechtzeitigdie ganze Gerste bergen werde, machte sich der Schuster auf den Weg.Das Haus, in dem er arbeiten sollte, lag am jenseitigen Talhang, seinemAnwesen gerade gegenüber, so daß er alle Vorgänge auf seinem Hof be-obachten konnte. Als er nun einmal hinüberblickte, da gerade die erstenTropfen fielen, sah er, wie sein Weib eine Gerstengarbe nahm und damitzur Scheune ging, und alle andern Garben flogen wie eine Schar Taubenhinter ihr drein. Da erinnerte sich der Mann an das Gerede der Leute,daß seine Frau eine Hexe sei, und sagte sich erschrocken, es müsse wirk-lich so sein. Sofort ließ er Hammer und Ahle fallen und eilte nachLandeck, wo er beim Gericht die Anzeige machte.

Der Richter entsandte sogleich eine Schar Gerichtsdiener, die dieHexe einfangen sollten. Sie führten einen kupfernen Kessel mit sich,in den man das Weib hineinschmieden wollte; denn Eisen oder anderesMetall hatte sie wie Wollfäden auseinandergerissen, Kupfer aber wider-steht der Zauberkraft der Hexen. Zum Glück hatte die Alte vom An-marsch der Häscher nicht Wind bekommen, sonst wäre es ihnen nichtgeglückt, die Hexe zu fangen; sie hätte sich in ihren Sattel geworfenund wäre durch die Luft davongeritten.

Als man sie dann, in den Kessel eingeschmiedet, gegen Landeckführte, forderte sie die Kinder, die neugierig um den Zug herumspran-gen, mehrmals auf, sie mit Kot zu bewerfen. Aber die Wächter verbotendies streng; denn sie wußten, wenn nur ein Krümmlein Erde die Hexeberührte, wäre sie imstande gewesen, die eisernen Ketten wie Spinn-weben zu zerreißen und zu entfliehen.

In Landeck machte man kurzen Prozeß mit der Stase und verurteiltesie als Hexe zum Scheiterhaufen. Sie zeigte weder Furcht noch Reueund sagte trotzig, als sie auf den Holzstoß stieg: „Heute wird ein war-mer Tag werden!"

Nun wurde der Scheiterhaufen angezündet, aber zweimal kamenschwarze Vögel und löschten unter schrecklichem Gekrächze mit wildemGeflatter die emporzüngelnden Flammen aus, bis man geweihte Sachenin das Feuer warf und so die Macht der Teufelstiere zunichte machte.So fand das böse Weib in den Flammen den Tod und wurde zu Staubund Asche verbrannt. Aber die Kunde von der Hexe blieb erhalten, undder Sattel der Stase ist im Landeckerischen sogar sprichwörtlich gewor-den; sagt man doch, wenn jemand sich schnell an einem Ort einfindensoll: „Reite auf dem Stase-Sattel dorthin."

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Die Teufelsplatte bei Galtür

H och oben im Paznauntal liegt das Dorf Galtür. Von hier zieht sichgegen Süden, wo die glitzernden Eisriesen der Silvretta ins Land

herabschauen, das Jamtal mit seinen saftigen, fetten Weiden. Mittenin den grünen Matten aber kann man einen kahlen Felsblock sehen, dieTeufelsplatte, um die einst der Teufel sein Spiel trieb und eine Seelegewann. Ein viele Zentner schwerer Eisenring, den der Teufel selbst an-gefertigt hat, soll in dem Steinblock drinnen stecken.

Zwei Bauern aus Galtür lagen jahrelang im Streit um eine schöneWiese, die dem einen wie dem andern in die Augen stach. Weil keinernachgeben wollte und der Streit kein Ende nahm, verstanden sie sichschließlich dazu, sich einem Schiedsspruch der Gemeinde zu unterwer-fen, die rundherum ebenfalls Wiesen besaß.

So setzten sich denn die ehrsamen Gemeindeväter zusammen undberatschlagten bei verschlossenen Türen, wie man den Streitfall ambesten beilegen könne. Nach langem Erwägen und Überlegen kamensie zu dem Schluß, die beste Lösung werde es sein, wenn auch die Ge-meinde noch ein Geschäft dabei mache. Daher ließen sie die beidenhartnäckigen Gegner folgendes wissen:

Der Streit wird durch einen Wettkampf entschieden. Die beidenBauern müssen sich auf einem Felsblock oberhalb des strittigen Grund-stückes aufstellen und einen Ring über die Wiese werfen. Wer denRing am weitesten wirft, dem soll die Wiese gehören; wenn der Ringüber die Wiese hinausgeschleudert wird, soll der Sieger auch den Teildes angrenzenden Grundes bekommen, den der Ring überflogen hat.Wenn aber der Ring innerhalb der Wiese liegen bleibt, soll auch dieGrenze da gehen, und der restliche Wiesenstreifen wird Eigentum desAnrainers. Das war nämlich die Gemeinde, der das Nachbargrundstückbis zu einer Felsplatte am gegenüberliegenden Talrand gehörte. Und dadas Streitobjekt ziemlich breit war, hoffte die hohe Dorfobrigkeit auchfür die Gemeinde noch etwas herausschlagen zu können.

Nach drei Tagen sollte der Wettkampf stattfinden. Die beiden Bauernhatten den Spruch der Gemeinde mit gemischten Gefühlen vernommen.Jeder wünschte die Wiese zu gewinnen, aber jeder wollte auch noch einmöglichst großes Stück vom Gemeindegrund dazu haben. So dachte einjeder hin und her, wie er den andern und die Gemeinde dazu ums Ohrhauen könnte. Aber während der eine sich keinen Rat wußte, wie er esanstellen solle, ging der andere, als alles Nachsinnen nichts fruchtete, inseiner Habgier so weit, daß er den Teufel berief und mit diesem einenVertrag schloß.

Als nun die Stunde des Wettkampfes gekommen war, lag bei demSteinblock, wo sich die Ringwerfer aufstellen mußten, ein Eisenring,

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gut fünf Zentner schwer. Den hatte der Teufel herbeigeschafft, umseinem Mann zu helfen. „Ha" , sagten die weisen Gemeindeväter zu-einander, „der ist schon recht, den werfen sie nicht weit, und wir ge-winnen die ganze Wiese." Zuerst trat der Bauer an, der auf seine eigenenKräfte gestellt war. Aber, o weh, er konnte den Ring nicht einmalaufheben. Nun ging es der andere an. Gestärkt durch die Kraft desTeufels, hob er den Ring, als wäre er nur ein Fingerreif, und schnellteihn mit Wucht bis zur Felsplatte am gegenüberliegenden Talrand, woer noch tief in den Felsen hineinfuhr, daß nur noch ein ganz kleinerRand herausragte.

Verdutzt kratzten sich die löblichen Gemeindevertreter hinter denOhren, der erhoffte Gewinn war beim Teufel. Der Bauer hatte dieWiese und den ganzen Gemeindegrund gewonnen und rieb sich grin-send die Hände.

Aber noch ein anderer grinste vergnügt; das war der Teufel; dennder war der wirkliche Gewinner. Es dauerte auch gar nicht lange, sowurde der durch seinen Teufelsgewinn reichgewordene Bauer trübsinnigund menschenscheu und fand Tag und Nacht keine Ruhe mehr. EinesNachts aber zog sich ein furchtbares Gewitter über dem Hof desBauern zusammen, und unter schrecklichem Donnerkrachen fuhr einBlitzstrahl in das Haus, das sogleich in hellen Flammen stand. Als dieaufgeschreckten Nachbarn herankamen, um helfend einzugreifen, sahensie gerade noch, wie ein riesiger Teufel, den reichen Bauern am Kragenhinter sich herschleppend, aus dem Flammenherd herausflog, um mitseinem Opfer zur Hölle zu fahren.

Das Unwetter hatte aber nicht nur das Haus des Bauern zerstört,sondern auch alle seine Felder und die gewonnenen Wiesen verwüstetund mit Steintrümmern übersät, die von den Bergen herabgerollt waren.

Der Vogelfänger von Schwaz

Dieteler, armer Leute Kind aus Schwaz, war ein Vogelnarr, wie erim Buch stand. Kein Tag verging, an dem er nicht, mit Lock-

vögeln und Leimruten wohl versehen, in die nahen Berge stieg, umdie armen Vögel zu Hunderten zusammenzufangen.

An einem Sonntagmorgen im Spätherbst ging er wieder seiner Lei-denschaft nach und wanderte zur benachbarten Geißlehne, um dortoben sein Glück zu versuchen. Bald hatte er einen freien Platz gefunden,wo die Vögel schönen Anflug hatten, und richtete seine Lockmittel auf.Alles ging nach Wunsch; die Lockvögel taten ihre Schuldigkeit, und die

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betrogenen Waldvöglein gingen auf den Leim. Im Flug vergingen dieStunden, und Dieteler merkte gar nicht, daß es höchste Zeit war, wenner zur Zehnuhrmesse in Schwaz noch zurechtkommen wollte.

Plötzlich sah der eifrige Vogler einen wunderschönen Gimpel, dessenBrust in der hellen Morgensonne glänzendrot leuchtete. „Ha", dachteDieteler, „der muß mein werden, zur Zehnuhrmesse komme ich noch

immer zurecht. Wenn er nur schon auf der Leimrute säße!" Der Vogelkam näher und näher; da hörte der Jüngling die Glocken aus demTal zum Kirchgang läuten, aber zugleich zappelte der prächtige Gimpelauf dem Leim. Behutsam löste ihn Dieteler von der Rute, reinigteihm Füße und Flügel und sperrte ihn in einen Käfig aus Eisendraht.Dann eilte er voll Freude über seinen schönen Fang, aber nicht ohneReue über die versäumte Messe den Hang abwärts. Wie er so dahin-rannte, wurde die Last auf seinem Rücken schwerer und schwerer, sodaß ihm schließlich war, als könne er sie nicht mehr ertragen.

Da blieb der Junge stehen, nahm die Trage vom Rücken und unter-suchte alle Käfige, die er aufgepackt hatte, um zu sehen, was schulddaran war, daß sie gar so sehr drückten. Entsetzt bemerkte er, daß derGimpel glühend rot und so groß geworden war, daß er den Käfig ganz

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ausfüllte, ja sogar die Gitterstäbe desselben nach außen bog. Er schiennoch immer größer zu werden.

Das konnte nicht mit rechten Dingen zugehen. Von Grauen ge-packt, warf Dieteler den Käfig die Lehne hinunter und rief hinter-drein: „In Gottes Namen, du Teufelsgimpel sollst mich nicht kriegen!"Der Käfig aber kollerte mit großem Lärm den Berghang hinab, undDieteler sah deutlich, wie der Gimpel einen feurigen Streif hinterließ.

Seitdem war der Junge von seiner Leidenschaft geheilt, rührte keineLeimrute mehr an und versäumte keinen Sonntagsgottesdienst mehr.

Der Schatz im Schloß Fragenstein bei Zirl

Oberhalb Zirl stehen die Mauerreste der Burg Fragenstein, in denenunermeßliche Schätze vergraben liegen. Oft erschien in vergan-

genen Zeiten in der Nähe des Schlosses ein Jäger in grünem Wams undforderte die am Schloßberg arbeitenden Leute auf, nach dem verborge-nen Hort zu suchen. Doch keinem ist es bisher geglückt, den Schatzan sich zu bringen.

Einmal waren mehrere Männer, die sich zusammengetan hatten, umgemeinsam ihr Glück zu versuchen, nahe daran, den Schatz zu heben.Schon waren ihre Hauen und Schaufeln an der richtigen Stelle so tiefin den Schutt gedrungen, daß eine eiserne Kiste sichtbar wurde. Da er-hob sich auf einmal ein so gräßliches Getöse, daß die Schatzsucher ent-setzt ihre Werkzeuge hinwarfen und das Weite suchten. Es war einWerk des Teufels, der den Schatz nicht herausgeben will.

Ein anderesmal sollte eine Magd im Häuschen nächst der Schloß-ruine zur Winterszeit frühmorgens Feuer anmachen und die Stubeheizen. Als sie, um das zu besorgen, noch vor Tagesanbruch aufstandund beim Ankleiden aus ihrem Kammerfenster blickte, sah sie vor demHaus einen großen Haufen glühender Kohlen. „Da kannst du dir dasFeuerschlagen mit Stein und Schwamm ersparen", dachte sie und gingzu dem Kohlenhaufen hinaus, um sich Feuer zu holen.

Zu ihrer Überraschung sah sie bei den glühenden Kohlen zwei schöneschwarzgekleidete Frauen sitzen, die ihr freundlich zunickten und siedurch Gesten aufforderten, nur möglichst viel Kohlen in die mitge-brachte Pfanne zu schaufeln. Das Mädchen nahm, so viel es brauchte,und wollte damit ins Haus eilen. Aber die beiden Frauen winkten ihrbittend, sie solle noch mehr nehmen. Da füllte die Magd ihre Pfannefast ganz an und wandte sich wieder dem Hause zu. Doch die Frauenhielten sie abermals zurück und baten, sie möge alle Kohlen wegtragen;dabei sahen sie die Magd flehend an. Diese häufte so viele Kohlen in die

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Pfanne, daß sie über und über voll war, ließ die andern an Ort undStelle liegen und ging ins Haus.

Wie staunte sie, als sie im Haus drinnen die Kohlen ausleerte! Siewaren samt und sonders zu glühenden Dukaten verwandelt, die dasMädchen mit hellem Gefunkel anstrahlten. Das gefiel der Dirne, und sieeilte nochmals an die Stelle, wo sie soeben die vermeintlichen Kohlengeholt hatte, um auch den Rest einzusammeln. Aber als sie zu dem Platzhinkam, waren Kohlen und Frauen dahin, nur die nackten Ruinen desSchlosses lächelten höhnisch auf sie herab.

Der Traum von der Zirler Brücke

Ein Bauer in Rinn tat sich nicht leicht, und der Schuh drückte ihnauf mehr als einer Stelle. Da träumte ihm einmal, er solle auf die

Zirler Brücke gehen, dort werde er eine wichtige Neuigkeit erfahren.In der folgenden Nacht hatte er den gleichen Traum. Das kam ihmdoch merkwürdig vor; er erzählte die Sache seiner Frau und schloß:„Drum meine ich, es muß doch etwas dahinter stecken; ich werde mor-gen auf der Zirler Brücke sehen, was dort los ist."

Die Frau aber wehrte ab: „Was sollst du denn schon dort erfahren?Willst du die Arbeit stehenlassen und dazu noch deine Schuhe zer-reißen? Wir kommen damit ja doch auf keinen grünen Zweig!"

Mißmutig ließ der Bauer seine Absicht fallen und blieb zu Hause.Doch sonderbar: in der nächsten Woche träumte ihm die gleiche Ge-schichte. Nun ließ er sich nicht mehr halten und eilte in aller Frühnach Zirl, um bei Sonnenaufgang schon auf der Brücke zu sein.

Eine Zeitlang stand er, über das Geländer gebeugt, aber es wollteniemand kommen. Endlich trottete der Geißhirt daher. Der wünschteihm einen guten Morgen und zog mit seiner Herde weiter. Dann ließsich niemand mehr sehen. Es wurde Mittag, der Hunger quälte denBauern. Da zog er ein Stück trockenes Maisbrot aus der Tasche undbiß herzhaft hinein. Von der Brücke wäre er um keinen Preis weggegan-gen. Aber solange er auch wartete, es kam niemand daher. Fast warseine Geduld zu Ende, nur der Gedanke hielt ihn noch zurück, daßihn sein Weib auslachen oder wegen seiner Leichtgläubigkeit verspot-ten werde, wenn er unverrichteter Dinge daherkomme. Die Sonne warschon am Untergehen, als der Geißhirt mit seiner Herde wieder desWeges kam. Der Mann wunderte sich nicht wenig, als er den Bauernnoch immer auf der Brücke stehen sah.

„Ja, bist du denn noch immer da?" fragte er erstaunt. „Worauf war-test du denn noch?"

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„Weißt du", erwiderte der Bauer mürrisch, „mir hat geträumt, ichsolle auf die Zirler Brücke gehen, dort würde ich eine wichtige Neuig-keit erfahren."

„Merkwürdig", meinte der Hirte lachend, „mir hat auch geträumt,ich solle nach Rinn zu einem Bauern gehen (dabei nannte er den Namendes vor ihm stehenden Bäuerleins), dort würde ich einen großen Kesselvoll Gold im Herd eingemauert finden."

Der Bauer hatte genug gehört. Spornstreichs verließ er die Brück"und rannte, so rasch ihn seine Beine trugen, seinem Anwesen zu. Erwollte gleich nachsehen, ob an den Worten des Hirten etwas Wahressei. Als er spät abends heimgekommen war, machte er sich unverzüg-lich an die Arbeit, trug heimlich den Herd ab und fand wirklich einengroßen Kessel mit Gold, der ihn zum reichsten Bauern in der ganzenUmgebung machte.

Der Adasbub von Längenfeld

Vor langer Zeit hauste auf einem Bauernhof bei Längenfeld im Ötz-tal ein riesiger Bursche, den man allgemein Adasbub hieß, ein

schändlicher Kerl, von bärenmäßiger Kraft, ein Raufer, wie es weitund breit keinen gab, dabei Wildschütz und Tagedieb, eitel und prah-

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D e r A d a s b u b v o n L ä n g e n f e l d

lerisch, der nichts als ruchlose Gedanken im Kopf trug. Er war miteinem Sack voll Geld, das er geraubt und erpreßt hatte, aus dem Kriegnach Hause gekommen und verpraßte nun sein Diebsgut mit einer Rottegleichgesinnter Spießgesellen.

Tagelang hockte er in den Wirtshäusern umher, prahlte und soff undprunkte dabei mit seiner neuen Samtweste, an der die nagelneuen Silber-taler glänzten und klingelten. Die jungen Burschen, die in seiner Ge-sellschaft waren, schämten sich ihrer einfachen Bekleidung und suchtenes ihm gleichzutun, was ihren bäuerlichen Eltern gar manches Öchsleinim Stall kostete. Niemand wagte es, gegen den Adasbuben aufzutreten;denn seine Stärke war so groß, daß er einmal bei einer Rauferei gegenfünfzig gesiegt hatte, die über ihn hergefallen waren. Wenn sich abereiner den Unhold zum Feind gemacht hatte, mußte er fürchten, daß ihmüber Nacht ein Wildbach in seine Stube geleitet oder Felsblöcke auf dasHausdach gewälzt würden. War es doch Tag für Tag die größte Lustdes üblen Gesellen, böse Streiche auszusinnen und die schändlichstenUntaten zu verüben, wobei seine Kumpane wacker mithalfen. Sie hobenden Leuten die Haustore aus den Angeln und trugen sie weit fort aufdas Feld oder in den Wald hinein, stellten Wagen auf die Dächer derHäuser, brachen in die Kirchen ein und räumten die Opferstöcke ausoder tranken mit johlendem Gelächter den Meßwein, wobei sie unterwütendem Geschimpf den Priester zum Teufel wünschten. In die Feld-kapellen sperrten sie Ziegenböcke ein und schrien, sie sollten den Gläu-bigen etwas vormeckern. Nicht einmal die Grabkreuze auf den Fried-höfen hatten ihre Ruhe vor den Schandbuben. Die bezechte Horde grubsie aus der geweihten Erde aus und steckte sie verkehrt wieder in denBoden, jubelnd und grölend, nun stünde der Herrgott einmal auf demKopf.

Eines Tages wurde eine neue Schandtat ausgeheckt. Auf dem Burg-stein bei Längenfeld hatte der Einödhofbauer sein Anwesen. Seine Toch-ter, ein blühendes Mädchen, führte die Wirtschaft. Auf diese hatten diewüsten Gesellen, allen voran der Adasbub, es diesmal abgesehen. DerVater aber erhielt Kunde von dem schrecklichen Plan und war auf derHut. Als die verrohten Burschen nachts lärmend in sein Haus einbra-chen, griff er zum Beil und spaltete dem als ersten eindringenden Adas-buben mit einem wuchtigen Hieb den Schädel, daß er tot zusammen-brach. Die andern, ihres Führers beraubt, wandten sich erschrocken zurFlucht.

Lärm und Geschrei hatten die Nachbarn aus ihrer Nachtruhe aufge-scheucht. Sie kamen herbeigeeilt, hörten, was vorgefallen, und sahenden Unhold tot vor der Haustür liegen. Alle dankten dem Einödhof-bauern, daß er die Gegend von diesem greulichen Unmenschen befreithabe. Der Kopf wurde in das Beinhaus der Kirche von Längenfeld ge-

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bracht, wo er heute noch zu sehen ist. Man kann ihn leicht an demSpalt erkennen, der in der Schädeldecke klafft und vom Axthieb desBauern herrührt.

Die St. Leonhards-Kirche bei Kundl

A ls Kaiser Heinrich IL , der Heilige, im Jahre 1004 auf seinem Zugnach Italien den Inn entlangreiste, erblickte er mitten in einer

sumpfigen Wiese an der Straße ein Steinbild des heiligen Leonhard. DieBewohner der Gegend erzählten dem Kaiser, dieses Steinbild habe vorundenklichen Jahren wunderbarerweise der Inn auf seinen Wellen da-hergetragen, die Gläubigen hätten es an Land gezogen und auf dernahen Wiese zur Verehrung aufgestellt. Viele Wunder seien der Fürbittedes Heiligen zu danken.

Da gelobte der fromme Kaiser, dem obdachlosen Heiligen ein Heimzu errichten, wenn sein Zug nach Italien erfolgreich sein werde. Wirk-lich nahm das Vorhaben des Fürsten einen günstigen Ausgang; er wurdein Pavia zum Kaiser gekrönt, entging glücklich einer gegen ihn ange-zettelten Verschwörung und kam wohlbehalten wieder nach Deutsch-land zurück.

Aber der Heilige ging leer aus. Der Kaiser hatte im Drang der Ge-schäfte vergessen, sein Versprechen einzulösen. Nach Jahren führteihn sein Weg wiederum an dem Steinbild auf der Wiese bei Kundl vor-über. Aber er kam an dem Bild nicht vorbei. Sein Pferd begannzu scheuen und sich zu bäumen, so daß er in Gefahr geriet, aus demSattel geworfen zu werden.

Nun erinnerte sich der Kaiser des Gelübdes, das er vor Jahren getan,bereute seine Unachtsamkeit und versprach, mit der Erbauung einerKirche nicht länger zu säumen. Kaum hatte er das dem Heiligen imGeist gelobt, da beruhigte sich sein Pferd wieder, und der Herrscherkonnte ungehindert seinen Weg fortsetzen.

St. Leonhard aber brauchte auf seine Kirche nicht mehr lang zuwarten. Der Kaiser ließ sogleich mit dem Bau beginnen, und balderhob sich auf dem Feld eine Kirche, wie sie heute noch steht.

Eine Inschrift im Innern des Kirchleins erinnert an dieses Jahrhun-derte zurückliegende Ereignis: „Diese Kirche des heiligen Leonhardwurde im Jahre des Herrn 1019 von Kaiser Heinrich dem Heiligenerbaut und im Jahre 1020 von Papst Benedikt V I I I . geweiht."

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Die Eroberung von Kufstein(Siehe Farbtafel gegenüber vom Titel)

Im Jahre 1504 führte Kaiser Maximilian einen starken Heerhaufenvon Innsbruck gegen Kufstein, um die gewaltige Feste zu erobern,

die von dem tapferen bayrischen Feldhauptmann Hans von Pienzenauverteidigt wurde. Grimmig donnerten die Geschütze der Belagerer gegendie Burg, aber die meterdicken Mauern der Feste trotzten aller Gewalt.Die Wirkung der Geschosse war so gering, daß die Verteidiger hohn-lachend den Mörtelstaub mit dem Besen von den Wällen kehrten.Aber der Kaiser ließ nicht locker. Erzürnt beschloß er, stärkeres Ge-schütz auffahren zu lassen, und befahl, seine zwei größten Feldschlan-gen, den „Purlepaus" und den „Weckauf" vom Innsbrucker Zeughausheranzuholen. Auf einem mächtigen Floß wurden die beiden Ungetümeden Inn abwärts geführt und vor Kufstein aufgestellt.

Nun wehte alsbald ein anderer Wind um die Mauern der Festung.Die beiden Kanonen warfen so gewaltige steinerne Kugeln gegen dieBefestigungswerke, daß nicht nur der Mörtelstaub flog, sondern auchdie dicken Mauern durchstoßen wurden und sogar der Felsen zu wan-ken begann. Hans von Pienzenau erkannte, daß die Burg nicht zu haltensei, und bot gegen Zusicherung des freien Abzugs die Ubergabe an.Aber der Kaiser, ergrimmt durch den langen Widerstand der Besatzung,lehnte jede Bedingung ab und nahm den Pienzenauer mit seinen Mannenbei einem Ausfall aus der zertrümmerten Festung gefangen.

Den tapferen Verteidiger der Burg und seine Getreuen erwarteteder Tod durch Henkershand. Der Unmut des Kaisers war so groß,daß er keine Schonung gewähren wollte, ja sogar schwor, er werdejedem eine Maulschelle geben, der etwa um Gnade für einen der Ver-urteilten bitten sollte. Gleichmütig trat Hans von Pienzenau seinenletzten Gang an und beugte mutig sein Haupt unter dem Schwert desHenkers. Siebzehn seiner Getreuen folgten ihm in den Tod.

Nun aber meinte der Herzog Erich von Braunschweig, der Ge-rechtigkeit sei vollauf Genüge getan, und bat den Kaiser mit gebeugtemKnie um Gnade für die übrigen Mannen des Pienzenauers. Kaiser Maxgewährte die Bitte des befreundeten Fürsten, gab ihm aber getreu seinemSchwur einen leichten Streich auf die Wange.

Ein Bildstock am linken Innufer bei Zell bezeichnet noch heute dieStelle, wo an Hans von Pienzenau und den Seinen das harte Urteilvollstreckt wurde.

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V O R A R L B E R G

Die Windsbraut auf der Schröcker A l m

Einmal war ein Bauer mit seinem Gesinde an einem heißen Sommertagauf der Schröcker Alm eifrig bei der Heuernte beschäftigt. Man

hatte das Heu auf Haufen zusammengeschichtet, um es bündelweise indie Scheune zu schaffen. Da zogen schwarze Wolken am Himmel auf, esdrohte, wie nicht selten im Hochsommer, ein Gewitter. Ein plötzlicherWind erhob sich, der neben den Heuern wirbelnd in einen Heuhaufenfuhr und ein großes Bündel Heu in die Höhe entführte. Das wäre nunan und für sich nichts so Seltsames gewesen, und doch starrten dieLeute verwundert der Heuwolke nach; denn es schien ihnen, als seimitten in der über ihnen schwebenden Windhose im Heubündel eindunkler Körper enthalten, den sie vergebens zu erkennen suchten. Sievermochten sich diese Erscheinung nicht zu enträtseln.

Da nahm ein junger Bursche sein Weidmesser heraus und rief halbim Ernst, halb im Scherz: „Wir werden gleich sehen, was für ein Wesenda oben steckt!" Damit schleuderte er sein Messer hoch in die Luft, dergeheimnisvollen Heuwolke nach. Aber o Wunder! Niemand sah dasMesser wieder zur Erde herabfallen, und man konnte es auch trotzvielen Suchens nirgends finden. Der Wirbelwind ging rasch vorüber,und dann war alles wie bisher.

Im nächsten Frühjahr wanderte ein Trupp junger, kräftiger Leute,bei dem sich auch jener junge Bursche befand, in die welsche Schweiz*);sie wollten sich dort als Maurer oder Handlanger verdingen. Als sienicht mehr weit von ihrem zukünftigen Arbeitsort entfernt waren,kehrten sie an der Straße in einem Wirtshaus ein, um nach langerWanderung eine Stärkung zu sich zu nehmen. Da sah der vorjährigeMesserwerfer ein Weidmesser auf dem Fensterbrett liegen. Er erkanntean der eigentümlichen Form der Klinge und des Heftes sogleich seinMesser, das er im vergangenen Sommer nach der aufsteigenden Heu-wolke geworfen hatte.

Überrascht, sein Eigentum hier zu finden, nahm er das Messer, umsich zu überzeugen, ob er sich nicht täusche. Während er das Messernoch in der Hand hin und her wandte, trat der Wirt in die Gaststube,und als er das Messer in der Hand des jungen Mannes erblickte, fragteer, ob er es vielleicht kenne. Eine dunkle Ahnung sagte dem Jüngling,er dürfe es nicht als sein Eigentum bezeichnen. Daher erklärte er dem*) Italienischer Teil der Schweiz, Tessin.

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D a s M ü t t e r l e i n m i t d e m S p i n n r a d i n D o r n b i r n

Wirt, es sei ihm nur die merkwürdige Form des Messers aufgefallen,auch habe er sich das eingeritzte Wappen genauer besehen wollen.

Darauf erwiderte der Wirt: „Mit dem Eigentümer dieses Messershabe ich nämlich noch ein Wörtchen zu reden. Im vorigen Sommer hates meine Tochter mit nach Hause gebracht. Als sie einmal eine Fahrtüber Land unternommen hatte, wurde ihr dieses Messer von einemunbekannten Burschen in den Leib gestoßen. Ihre Verletzung war soschwer, daß sie nur mit Mühe und Not das Haus erreichte, mir geradenoch das Unglück, das sie betroffen hatte, mitteilen konnte und balddarauf den Geist aufgab. Das Messer habe ich absichtlich auf dasFensterbrett gelegt. Vielleicht erkennt es einmal einer der vielen Durch-reisenden als sein Eigentum und verrät sich dadurch als Mörder meinerTochter."

Der junge Bursche von der Schröcker Alm aber war froh, daß ererklärt hatte, das Messer nicht zu kennen. Er wußte jetzt aber auch, daßdie dunkle Erscheinung in dem Heubündel, das die Windsbraut auf derSchröcker Alm damals davongetragen hatte, keine Täuschung gewesen war.

Das Mütterlein mit dem Spinnrad in Dornbirn

Als es in Dornbirn noch üblich war, daß die Nachbarn an den langenWinterabenden in der Spinnstube zusammenkamen, die Frauen

mit ihren Spinnrädern, die Männer mit der unvermeidlichen Tabaks-pfeife, erschien auch Tag für Tag und Winter für Winter ein altesMütterchen, das sich mit seinem Spinnrad in die hinterste Ecke setzte,wo es, ohne sich an der allgemeinen Unterhaltung und Fröhlichkeit zubeteiligen, wortlos seinen Faden spann. Man kannte das seltsame Weib recht gut, war an ihr Stillschweigen gewöhnt und richtete keine Fragean sie. Schweigend, wie sie gekommen war, entfernte sie sich wieder,wenn die muntere Gesellschaft, oft erst sehr spät, die Arbeit einstellteund nach Hause aufbrach.

Unter den jungen Leuten, die an diesen Abenden gern Scherz undKurzweil trieben, befand sich auch ein junger Bursche, der aber häufigauf die Späße und Neckereien seiner Altersgenossen nicht achtete und,wie von einer unerklärlichen Macht gezwungen, aufmerksam die Altein ihrem Winkel betrachtete. Es war seltsam, daß er immer wiederhinblicken mußte. Lag es an ihrer scheuen Zurückgezogenheit oder andem milden und doch schmerzlichen Ausdruck, der ihre Züge bedeckte?Er war ein lustiger Bursch und hätte manchmal gern mit den anderngelacht, aber wenn dann sein Blick wieder auf das stumme Mütterchenfiel, stand ihm das Weinen näher als das Lachen.

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So ging es drei Jahre. An einem frostigen Winterabend hatte sichwieder einmal alles in der Spinnstube versammelt, und heitere Scherz-reden flogen hin und her. Das Mütterchen saß einsam wie immer inseiner Ecke und spann. Sinnend schaute der Bursche der schweigsamenAlten zu und folgte mit den Blicken allen ihren Hantierungen. Plötzlichbemerkte er, daß sich ihr Spinnrad verkehrt drehte. Da stand er auf,setzte sich neben sie und schaute ihr noch eine Zeitlang zu; dann fragteer: „Immer links um, Mütterchen?"

Ein Strahl der Freude verklärte die leidensvolle Miene der einsamenAlten. Rasch erhob sie sich und winkte dem Burschen, mit ihr zukommen. Verwundert folgte er ihr in die kalte, stille Nacht hinaus.Stumm wanderte die alte Frau mit ihrem Gefährten über die Äcker undWiesen, bis sie zu einem vereinzelt stehenden Gebüsch kamen. Hierblieb sie stehen, wandte sich ihrem Begleiter zu und sagte: „So unendlichviele Jahre habe ich gesponnen und immer links herum, und niemandhat es bemerkt. Erst du hast es zu meinem Glück gesehen und mich vonjahrelangem Leid erlöst. Dafür will ich dir reichen Lohn verschaffen.Grabe morgen hier an dieser Stelle! Was du findest, soll dein Eigentum

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D e r S c h u s t e r u n d d e r H a u s g e i s t

sein!" Nach diesen Worten war sie verschwunden; man sah sie niewieder in den Spinnstuben.

Der gute Bursche aber grub am nächsten Morgen an der bezeichnetenStelle und brauchte sich gar nicht lange zu bemühen, so hob er einengroßen Kessel voll Taler aus der Erde, die zu seinem Glück wurden.Denn zu dem gewonnenen Geld gesellten sich Fleiß und Ausdauer, dieihn nach kurzer Zeit zum reichsten Mann im Dorf machten.

Der Schuster und der Hausgeist

Vor vielen Jahren wurde einmal ein Schuster von einem reichenBauern gedungen, ihm das ganze Schuhzeug im Hause, auf der

„Stör", wie man zu sagen pflegt, wieder instand zu setzen. Als derBauer am Abend des ersten Tages dem Schuster seine Schlafkammeranweisen wollte, meinte der Handwerksmann: „Das ist gar nicht nötig,ich lege mich hier in der Stube auf die Bank beim warmen Ofen."

„Tu das nicht", wehrte der Bauer ab, „auf dieser Ofenbank ist derSchlafplatz des Hausgeists, das ist ein kleines Männchen, das jede Nachthier sein Lager aufschlägt. Wenn du dem Kleinen seinen Platz weg-nimmst, könnte es dir schlecht ergehen."

Der Schuster aber ließ sich nicht abhalten und legte sich trotzdemauf der Ofenbank zur Ruhe. Um Mitternacht weckte ihn ein heftigesZiehen am Hemdärmel aus dem Schlaf. Richtig stand ein kleines Männ-chen neben ihm, das ihn von der Bank herunterzuzerren versuchte. DerSchuster setzte sich unwillig zur Wehr, so daß der Kleine schließlichbrummend verschwand. Am nächsten Abend und in den folgendenNächten war es nicht anders.

Als der Handwerker schließlich nach einiger Zeit seine Arbeit beendethatte und mit einbrechender Dunkelheit das Haus verließ, packte ihnplötzlich, kaum daß er ein paar Schritte gegangen war, eine rauhe Handbei der Brust, und eine zornige Stimme rief: „So, jetzt bin ich Meister,und du wirst mir folgen!"

Der Schuster wußte nicht, wie ihm geschah; es drängte und triebihn, hinter dem davongelaufenen Männchen dreinzuspringen. Immerschneller wurde der Lauf des Kleinen, über Stock und Stein ging es,wie eine Gemse sprang er die steilsten Hänge hinauf. Keuchend setzteder Schuster ihm nach; bald hing das Schuhwerk in Fetzen von seinenFüßen, schon waren seine Sohlen wundgelaufen, und noch immer nahmdie wilde Jagd kein Ende. Kläglich winselte der Unglückliche umErbarmen, aber je mehr er bat und jammerte, desto schneller ging esvorwärts. Als sie endlich auf dem Gipfel eines Berges angelangt waren,

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hatte sich der arme Schuster die Füße bis auf die Knöchel abgelaufen.Und zu guter Letzt packte ihn der Zwerg und hing ihn an den verstüm-melten Füßen auf der Bergspitze an den höchsten Tannenbaum und ließihn dort zappeln, bis ihn der Tod von seinem Leiden erlöste.

Das Fräulein von Ruckburg

Auf der Ruckburg lebte vorzeiten ein Ritterfräulein, die schönsteMaid weitum im Land. Viele Ritter und Adelige kamen aus fernen

Gegenden, ließen sich den weiten Weg nicht verdrießen und freitenum sie. Aber die vielumworbene Jungfrau hatte einen gar ernsten, weit-abgewandten Sinn, wollte von den Männern nichts wissen und wiesalle Werber ab.

Eines Abends ging das Fräulein unweit der Burg auf einem Angerspazieren, und wie sie in Gedanken verloren so vor sich hinschritt, saßda eine Bettlerin am Weg, hatte ihr Strickzeug in der Hand und sprachdas junge Mädchen an. Mit bewegten Worten erzählte sie von Notund Elend in der Welt und schilderte, was für traurige Tage sie im Lebenschon mitgemacht habe. „Ihr könnt Euch nicht vorstellen, gestrengesFräulein", jammerte sie seufzend, „was ich im Leben schon erduldethabe; Ihr wißt ja gar nicht, was Kummer und Sorge heißen!"

„So sag mir doch", meinte das Fräulein betroffen und reichte derAlten eine kleine Gabe, „was Kummer und Sorge sind!"

Da hielt das Weiblein dem Mädchen ein Knäuel Garn hin und rief:„Nehmt dieses Knäuel, gestrenges Fräulein, und geht damit in denTannenwald hinauf; laßt den Faden abrollen, so lange, bis Ihr die Seeleim Knäuel drinnen seht, dann werdet Ihr bestimmt erfahren, was Kum-mer und Sorge sind!"

Das Fräulein griff lächelnd nach dem Knäuel und stieg munter zumTannenwald hinauf, vor sich her den Faden abwindend. Inzwischenbrach langsam die Dämmerung herein, und wie es dunkler und dunklerwurde, war der Faden zu Ende, und das Fräulein hielt eine Nuß in derHand, um die das Knäuel gewunden war; das war die Seele des Knäuels.Das Mädchen aber erfuhr nun wirklich, was Kummer und Sorge seien;denn die Dämmerung war der Nacht gewichen, und das zarte Geschöpfstand mutterseelenallein im düsteren Tannenwald, wußte weder Wegnoch Steg zum Schloß zurück, hatte Hunger und Durst, doch nichts zuessen und zu trinken, war müde und matt und hätte sich gerne schlafengelegt, aber nirgends fand sich ein Lager. Kühl strich die Luft unter denBäumen dahin, aber kein Haus, keine Hütte nahm sie auf, kein lustigflackerndes Feuer erwärmte die froststarren Glieder. Nie gekannten

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Kummer und ängstliche Sorge im Herzen, begann das arme Mädchenbitterlich zu weinen und gelobte, ins Kloster zu gehen, wenn es ausdieser Not errettet würde und wieder zu Menschen käme. Mit Tränenin den Augen schritt es unter den dunklen Tannen und den unheimlichrauschenden Föhren weiter, der Wind zerzauste seine Locken, Zweigeund Äste ritzten das zarte Gesicht.

Auf einmal sah die geängstigte Jungfrau ein Lichtlein durch dieTannen flimmern und hastete mit einem Freudenschrei darauf zu. Einekleine Hütte war's, die da mitten im Wald stand; eine alte Frau öffneteauf ihr drängendes Klopfen und trat mit einem Licht in der Hand aufdie Schwelle.

„Laß mich bei dir Unterschlupf finden die Nacht über", rief bittenddas Fräulein, „ich habe mich in der Dunkelheit verirrt und finde denHeimweg nicht mehr!"

„Armes Kind, komm nur herein", sagte das alte Mütterchen undführte das Mädchen in eine bescheidene Stube. „Ich will dich gern beimir behalten; wenn nur der Jäger heute nicht nach Hause kommt, sonstkann es dir übel ergehen! Das ist nämlich ein wilder, ungestümer Kerl,der keinen Menschen um sich sehen will, nur mir tut er nichts; denn,sagt er, ich sei schon geschlagen genug mit meinem Buckel. Oft bleibter viele Tage lang aus, wenn er im Wald dem Hochwild nachgeht. SoGott will, kommt er heute nacht nicht mehr."

Das Fräulein horchte ängstlich auf die Worte der Alten, Kummer undSorge machten sich aufs neue in ihrem pochenden Herzlein breit. Dahörte man auch schon Hundegebell und zorniges Rufen, und der Jägerstand fluchend auf der Schwelle. Schreckensblaß sprang das Mädchenauf, um zu flüchten, rannte aber geradewegs dem wüsten Gesellen indie Arme, der seinen Hirschfänger zog und einen Hieb gegen den Kopfdes Mädchens führte. Aber nur die flatternden Locken fielen der scharfenSchneide zum Opfer; unverletzt entwischte das Fräulein dem rauhenGriff des wütenden Unholds und rannte, Gott dankend für seine Er-rettung, blindlings in den tiefen Wald hinein.

Das hatte sich im Herbst zugetragen. Aber seit dieser Zeit ließ derGedanke an diese Tat den Jäger, dessen Zorn bald verraucht war, nichtmehr zur Ruhe kommen. Das Bild der lieblichen Jungfrau stand immervor seiner Seele. Oft nahm er ihre blonden Locken zur Hand, stecktewohl auch als Zier eine Blume dazwischen und dachte wehmütig, wosie wohl weilen möge. Eines Tages sagte er entschlossen zu der Alten:„Weib, mich zieht es fort von hier. Nun gehe ich und suche das Fräuleinund will nicht aufhören zu suchen, bis ich sie gefunden habe; denn ohneden Engel kann ich nicht mehr leben."

So machte er sich denn auf den Weg, mitten im Winter, und zog alleinund ohne sichere Richtung von Ort zu Ort, von Schloß zu Schloß und

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suchte das Mädchen. Aber nirgends fand er eine Spur der Gesuchten.Endlich kam er ins Schwabenland und stand eines Abends bei einerKlosterpforte, wo er um Suppe bat. Und wer gab sie ihm? Es wardas Fräulein von Ruckburg, das Mädchen, nach dem er so lange ge-sucht hatte. Vor Schrecken erblaßten beide, schnell schlug die Kloster-frau die Tür zu, den Jäger aber fand man am andern Morgen erfrorenvor der Klosterpforte.

Die Weiße Frau von Rosenegg

Auf dem Schloß Rosenegg bei Bürs ließ sich zeitweise ein ver-zaubertes Burgfräulein sehen, das auf seine Erlösung wartete und

die Menschen, mit denen es zusammentraf, inständig bat, das Erlösungs-werk zu vollbringen. Einen reichen Schatz versprach es seinem Retterals Lohn. Ein Bürser Büblein soll der letzte gewesen sei, dem es sichzeigte.

Der Knabe war eines Abends knapp vor dem Dunkelwerden hinterdem Schloß eben dabei, ein Bündel Holz, das er gesammelt hatte,zusammenzubinden und nach Hause zu tragen. Da stand plötzlich das

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Burgfräulein in schneeweiß leuchtendem Gewand vor ihm, blickte ihnfreundlich an und sagte: „Büblein, lade dein Bündel noch einmal ab,du könntest mir einen großen Dienst erweisen. Jahrelang muß ich schonhier hausen, du aber könntest mich heute erlösen; du wärst gerade derrichtige Mann dazu."

Das Büblein erwiderte: „Es ist schon recht spät; das Abendläuten istauch lange vorüber, und meine Mutter wartet zu Hause auf das Holz

für die Küche. Darum muß ich jetzt schnell heimlaufen und ihr dasHolz bringen. Aber nach dem Nachtmahl will ich, weil gerade Mond-schein ist, noch auf ein Sprünglein heraufkommen."

„So geh jetzt", meinte das Fräulein darauf, „aber komm bestimmtwieder und vergiß nicht, drei geweihte Ruten mitzunehmen!"

Als der Knabe sein Abendbrot verzehrt hatte, sprang er rasch in dieOberstube, nahm drei geweihte Palmzweige und lief damit wieder zurBurg hinauf. Das Schloßfräulein kam ihm schon entgegen, lächelte ihndankbar an und führte ihn ins Schloß hinein. Mutig schritt der Kleine

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hinter der hohen Gestalt einher, als es über eine steinerne Stiege zwölfoder fünfzehn Stufen tief in ein Gewölbe abwärts ging. Im hinter-sten Winkel des düsteren Kellers stand eine große eiserne Truhe, aufderen Deckel regungslos ein großer schwarzer Hund hockte.

„Jetzt schau, liebes Büblein", erklärte nun das Fräulein, „diesem Hundmußt du mit jeder deiner geweihten Ruten einen Schlag geben. Nachdem dritten Streich wird der Hund von der Kiste herabspringen, ichwerde dir von meinem Schlüsselbund den Schlüssel zur Truhe reichen,und du kannst die Truhe aufsperren. Der Schatz, der drinnen ist, gehörtdir, und ich bin erlöst."

Der Junge hörte aufmerksam zu und nickte verständnisvoll. Gleichnahm er eine Rute und gab dem Hund einen Schlag. Da begann das Tierbösartig zu knurren, daß es im ganzen Gewölbe widerhallte, rollte seinefeurigen Augen und schwoll zu unheimlicher Größe. Obwohl denKnaben ängstliches Grauen beschlich, griff er doch zu der zweiten Ruteund schlug nochmals auf den Hund los. Aber nun wurde es nochärger. Der Hund fletschte die Zähne und knurrte so laut, daß demarmen Jungen ein Schauer nach dem andern über den Rücken jagte.Die Augen des Tieres leuchteten wie Feuerräder, und sein Rückenwuchs bis zur Decke des Gewölbes an. Da war es um den Mut desKnaben geschehen. Die dritte Rute noch in der Hand, lief er heulendhinaus aus der Burg und über Stock und Stein bis nach Hause.

Hinter ihm aber kam das Burgfräulein aus dem Schloß heraus, rangjammernd die Hände und klagte: „Nun muß ich aufs neue hundertJahre warten und hier hausen, bis einer kommt, mich zu erlösen."

Der Ring an der Kirchentüre von Andelsbuch

Wenn Kriege die Länder verheeren, suchen die Bewohner ihrewertvolle Habe den spähenden Blicken der Feinde zu entziehen.

Sie verstecken und vergaben Schätze, um sie nach Abzug der Fremdenwieder ans Tageslicht zu bringen. Wenn aber ihre Besitzer während derKriegszeit den Tod finden, mag es oft vorkommen, daß das vergrabeneGut in Vergessenheit gerät.

So soll auch ein Kessel voll Gold während eines Krieges auf der Höhezwischen Bezau und Andelsbuch vergraben worden sein. Die Eigentümerstarben, bevor die Feinde abzogen; nur ein alter Diener wußte um dasGeheimnis des Schatzes, wollte aber aus Neid keinem Menschen dierichtige Stelle verraten. Er starb und nahm sein Wissen mit ins Grab.Zur Strafe dafür muß er nach seinem Tod den Schatz hüten, bis eseinem Glücklichen gelingt, ihn zu heben. Oft sieht man um Mitternacht

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ein schwaches Flämmchen um die Höhe geistern und hört in stürmischenNächten manchmal auch ein ängstliches Stöhnen, das aus der Erde dringt.Es ist die Seele des verwunschenen Schatzhüters, die keine Ruhe findet.

Einmal beschlossen zwei mutige junge Burschen aus Andelsbuch,den vergrabenen Schatz an sich zu bringen. Mit Hauen versehen,machten sie sich in einer stockfinsteren Nacht auf den Weg nach demPlatz, wo das Lichtlein gewöhnlich aufflackerte. Um Mitternacht zeigtesich wirklich ein kleines Flämmchen. Sogleich begannen sie wortlos— denn nur unter dieser Bedingung durften sie auf Erfolg hoffen — ander Stelle, wo das Licht erschienen war, nach dem Schatz zu graben.

Es dauerte nicht lange, so stießen sie auf etwas Hartes, und als sie dieErde weggeräumt hatten, lag ein Kessel vor ihnen, der bis zum Randmit Goldmünzen gefüllt war. Schweigend griffen sie nach dem Kessel-ring und zogen den Behälter aus der Grube. Nun war der Schatz in ihrenHänden! Im Übermaß der Freude entschlüpfte aber einem von ihnender Ruf: „Bei Gott, jetzt haben wir ihn!" — und verschwunden war derKessel samt den Goldmünzen, nur der Ring blieb ihnen in der Handund soll noch heute an der Kirchentür zu Andelsbuch zu sehen sein.

Die drei Schwestern von Frastanz

Westlich von Frastanz zieht sich von Feldkirch gegen die Grenzedes Fürstentums Liechtenstein ein malerischer Gebirgszug hin,

aus dem seltsam geformte kahle Steingebilde, die „Drei Schwestern"genannt, emporragen.

Hierher kam vor langer Zeit öfter ein Welscher, ein Venediger,wie die Leute sagten, und hielt sich tagelang in dem damals unbewohn-ten Saminatal auf, das am Ostfuß des Gebirgsstockes hinstreicht. Soofter dann die Gegend verließ, war sein Behälter bis zum Rand mitGold gefüllt.

Der Mann kam mit einem großen Krug in der Hand durch die Luftvon Venedig in das Saminatal gefahren, wo er eine Goldquelle wußte.Dort stellte er seinen Krug unter den goldführenden Wasserstrahl, deraus dem Innern der Erde Goldkörner mitriß. Sobald der Krug vollwar, fuhr er durch die Luft wieder nach Venedig zurück. Einmal, alser gut gelaunt war, hatte er den Krug voll Gold einigen Hirten ge-zeigt. Die aber hatten sich bekreuzt und waren schleunigst davongeeilt,denn sie hielten den Mann für einen bösen Zauberer, der seine Kunstmit Hilfe des Teufels ausübe.

Nun lebten damals in Frastanz drei leichtsinnige, tändelsüchtige

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Schwestern, die einmal an einem hohen Feiertage schon frühmorgensin das Gebirge gegangen waren, um Beeren zu pflücken und sie imnahen Feldkirch zu verkaufen. Von dem Erlös gedachten sie sichSchmuck oder schöne Kleider zu beschaffen.

Mitten im Wald begegneten sie plötzlich dem Venediger, der sierauh anfuhr: „Was macht ihr heute, an diesem hohen Feiertag, hierim Wald?"

„Nichts, nichts", riefen die drei Schwestern wie aus einem Munderschrocken aus; das Gewissen schlug sie, weil sie nur aus leichtsinnigerTändelsucht Geld erwerben wollten.

„So sollt ihr auch zu nichts werden", schrie der Zauberer mit barscherStimme, „nichts sollt ihr sein als drei kahle Felsen, ohne Gras undLaub, ohne Baum und Strauch; unter diesem Felsen soll verborgender Goldquell rinnen, und kein Mensch soll ihn finden."

Schreckensstarr standen die drei Mädchen auf der Stelle; zu Steingeworden, konnten sie sich nicht mehr vom Platz rühren. Der Zaubereraber hatte sich dadurch, daß er Macht über sie gewonnen, von seinemFluch erlöst, den sie an seiner Stelle übernehmen mußten.

Man sah den Venediger nie mehr in der Gegend, den Goldquellhat bisher kein Mensch gefunden, die drei Schwestern aber stehenheute noch oben auf dem Berg und blicken ernst und starr auf dasGetriebe der Menschen im Rheintal hinab.

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Das Bruderhäuslein von Dalaas

Einmal wurde einem Tannenberger ein totes Knäblein geboren,was den armen Ritter sehr betrübte. Aber mit gläubigem Sinn

gedachte er den Herrn anzuflehen, sich des Kindleins zu erbarmenund es nur kurze Zeit zum Leben zu erwecken, damit es getauft werdenkönne. Er befahl seinem Knecht, die Leiche nach Schruns zu tragenund in der Kirche niederzulegen. Dem Knecht mochte der Weg zuweit sein, oder er hielt von dem Glauben seines Herrn nicht viel, kurz,er trug das tote Kindlein nur bis in den Dalaaser Wald und begrubes dort unter einem Busch. Dann kehrte er zu seinem Herrn zurückund meldete ihm, er habe das Kind nach Schruns getragen, es auf den

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D e r L o h n d e s V e r r ä t e r s v o n B r e g e n z

St. Josefsaltar niedergelegt, und da es nach einiger Zeit Lebenszeichenvon sich gegeben habe, indem seine Wangen rot wurden, sei es vomPriester getauft und hernach in geweihter Erde bestattet worden. DerVater gab sich mit diesem Bericht zufrieden.

Als die Gattin des Tannenbergers ihren Gemahl nach einigen Jahrenwieder mit einem Söhnlein beschenkte, hielt der betrübte Vater wiederein totes Kindlein im Arm. Diesmal ließ es sich der Ritter nicht nehmen,das Kind selbst nach Schruns zu tragen, damit es die Taufe erhalte.Er hatte ungefähr die Hälfte des steilen Fußpfades von Dalaas bis aufdie Höhe des Christberges zurückgelegt und setzte sich nun ermüdetam Wegrand unter einem Gebüsch nieder, um eine Weile auszuruhen.Wie er so dasaß und sich den Schweiß von der Stirn wischte, glaubteer dicht neben sich aus einer Erdscholle eine Stimme zu vernehmen:„Vater, nimm mich auch mit!" Der Tannenberger hielt es für eineSinnestäuschung und wollte gerade aufstehen, um seinen Weg fort-zusetzen, als die Stimme neuerlich und diesmal viel dringlicher inwimmerndem Ton kläglich ausrief: „Vater, so nimm mich doch mit!"Nun grub er in der Erde nach, und siehe da, es kam die unversehrteLeiche des Kindes zum Vorschein, das der Knecht vor ein paar Jahrennach Schruns hätte tragen sollen. Er erkannte es deutlich an einemMuttermal, das es auf der Wange hatte.

Da wußte er, daß ihn der Knecht damals betrogen hatte, nahmbeide Leichen auf den Arm und eilte mit ihnen nach Schruns, wo seinheißer Wunsch in Erfüllung ging. Beide Kinder gaben Zeichen vonLeben, wurden getauft und auf dem Friedhof beerdigt.

Zur dankbaren Erinnerung an dieses Geschehen ließ der Tannen-berger an der Stelle, wo er die Leiche des älteren Buben aus der Erdegegraben hatte, das „Bruderhäuslein" erbauen, das in stiller Einsam-keit, umgeben von den hohen Bergen, über die der Arlbergpaß hin-wegführt, ein liebliches Muttergottesbild ziert.

Der Lohn des Verräters von Bregenz

Südlich von Bregenz befindet sich auf einem gegen den Bodenseevorspringenden Felsrücken des Pfänders die Bregenzer Klause, ein

schon vor alters stark befestigter Bergpaß, der im Dreißigjährigen Kriegmit neuen, mächtigen Schanzen umgürtet wurde, die sich bis in dieGegend von Lochau erstreckten. Bregenz galt daher als ein so sichererPlatz, daß viele Fürsten und Klöster ihre Schätze hierher in vermeint-liche Sicherheit brachten. Das reizte die Raubgier der schwedischenTruppen; General Wrangel rückte im Jahre 1646 mit beträchtlicher

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Heeresmacht heran, um seine leeren Kriegskassen mit neuer Beutezu füllen. Kempten fiel, Ravensburg wurde bis auf den letzten Knopfausgeplündert, doch Bregenz war nicht zu bezwingen.

Da fand sich ein ortskundiger Mann aus Lochau, der die Schwedenauf versteckten Wegen und Pfaden an die Stadt heranführte, die baldmit unermeßlicher Beute dem Feind in die Hände fiel.

Um guten Lohn hatte er sich erbötig gemacht, die feindlichen Scharenauf Umwegen ins Tal vor das Städtchen zu führen. Die Schwedengingen darauf ein, und die Stadt fiel in die Hand der Feinde. Nunkam der Verräter zu General Wrangel und bettelte um den zugesicher-ten Lohn. Der aber sagte: „Dein Taglohn soll dir wohl werden. Gehauf den Schloßberg hinter die Felsen; dort ist ein Sumpf, da haben dieGrafen von Bregenz im Appenzeller Krieg, wie man mir sagte, eingoldenes Kegelspiel vergraben; das ist dein Lohn, das kannst du dirholen. Geh nur dorthin mit Hacke und Schaufel und such dir's!"

Da ging der Mann hin zum Sumpf und grub und grub immerzu,aber er fand kein goldenes Kegelspiel, er fand aber auch keine Ruhe

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D i e B r e g e n z e r w ä l d l e r i n n e n im S c h w e d e n k r i e g

mehr nach seinem Tod. Berggeister und böse Gesellen zerren ihnum Mitternacht durch Wasser, Schilf und Moor. Und so geistert erdort noch zur Stunde herum und muß zum Lohn für seinen Verratgraben und graben auf ewige Zeiten. In düsteren Nächten, um Mitter-nacht, wankt der Verräter, in der Hand Laterne und Schaufel, trüb-selig an die Arbeit und gräbt, bis es zwei schlägt. Da aber verlöschtihm sein Lichtlein, und was er gegraben hat, fällt wieder in sich zu-sammen.

Die Bregenzerwäldlerinnen im Schwedenkrieg

Nach der Einnahme der Stadt Bregenz durch die Schweden imJahre 1646 blieb eine kleine schwedische Besatzung in der Stadt

zurück; auch Lingenau im vorderen Bregenzer Wald erhielt Einquar-tierungen, während die Hauptmacht der Schweden über Lindau nachSchwaben zog.

Als die Schweden auf einem Streifzug einmal bis gegen das DorfAlberschwende gekommen waren, erblickten sie plötzlich an den vor

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Z e h n a u f e i n e n S t r e i c h

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ihnen liegenden Hängen weißgekleidete Gestalten und meinten, es seienhimmlische Wesen, die zum Kampf gegen sie heranrückten.

Die weißgekleideten Wesen ließen den Schweden aber nicht langeZeit, zu überlegen oder sich von ihrem Schrecken zu erholen, sondernstürzten mit einem Wutgeschrei über die Soldaten her und erschlugenalle bis auf den letzten Mann.

Es waren Frauen und Mädchen aus dem Bregenzer Wald, die sichauf die Kunde vom Anmarsch der Schweden zusammengerottet undmit Sensen, Hauen und Gabeln bewaffnet hatten, um den verhaßtenFeind zu vertreiben. Daß sie weiße Kleidungsstücke trugen, war weiterkein Wunder, denn die Tracht der Bregenzerwäldlerinnen war damalsweiß und soll erst später gegen eine dunkle vertauscht worden sein,gleichsam als Dank für die Hilfe des Himmels, der sie den Schwedenals himmlische Wesen hatte erscheinen lassen.

Wegen dieses Sieges haben die Frauen des Bregenzer Waldes langedas Vorrecht gehabt, beim Opfergang in der Kirche vor den Männernum den Altar zu gehen und ganz vorne mit dem Pfarrer zu beten.

Zehn auf einen Streich

Es war einmal ein Schuster, der in seiner Werkstatt fleißig überseiner Arbeit saß. Vor ihm auf dem Fensterbrett lagen drei schöne

rotbackige Äpfel. War es die schöne rote Farbe, war es der Obst-geruch, kurz, die Äpfel schienen den Fliegen in der Werkstatt ein will-kommener Ruhepunkt. Haufenweise kamen sie herangeflogen und lie-ßen sich auf und neben den Äpfeln nieder. Unwillig brummte derSchuster: „Was haben denn die vielen Fliegen auf meinen Äpfeln zuschaffen?" und scheuchte sie mit seiner Lederkappe fort, einmal, zwei-mal, aber immer wieder kehrten sie zu den Äpfeln zurück.

Endlich wird es dem Schuster zu dumm, er reißt sein Lederkäppleinvom Kopf und schlägt damit auf die Äpfel. Und wie er das Käppieinwieder aufsetzt, sieht er zehn Fliegen mausetot auf den Äpfeln kleben.Auf dieses Meisterstück bildet sich der gute Mann nicht wenig ein:er rückt sein Käppiein zur Seite, stemmt die Arme unternehmend indie Hüften und ruft stolz: „Bin ich nicht ein baumstarker Kerl, habeich nicht zehn auf einen Streich erschlagen? Wenn das unter die Leutekommt, die werden Augen und Maul aufreißen."

Gleich kommt ihm ein guter Gedanke; er läuft zum Goldschmiedund gibt ihm seine Kappe, damit er ihm mit großen Goldbuchstabendrauf schreibe: „Zehn auf einen Streich erschlagen."

Der Goldschmied schaut die sonderbare Kundschaft groß an, denkt

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sich: „Der hat wohl ein Rädlein zuviel im Hirn", tut aber nichts der-gleichen und verspricht dem Schuster, die bestellte Arbeit ehestensfertigzustellen.

Zur bestimmten Zeit kommt der Schuster wieder zum Goldschmied,fragt nach seinem Käppiein, und es ist richtig fix und fertig. Gleichprobiert er's, und es steht ihm gut; die Goldbuchstaben funkeln nurso, daß es eine helle Freude ist. Man kann sich leicht vorstellen, daßdas Funkeln und Glänzen dem Herrn Meister bald den Kopf ganzverdreht; es dauert gar nicht lang, so kommt er auf den Gedanken,das Handwerk ganz aufzugeben, die Arbeit liegenzulassen und dafürals ein zweiter Goliath in der Welt umherzuziehen. Gedacht, getan.Er nimmt den Weg unter seine Füße, wandert durch Dörfer und Städteund kommt in aller Herren Länder.

Eines schönen Tages legte sich der Goldkäppler auf seiner Wan-derung ins grüne Gras am Fuß eines Hügels und tut einen guten Schlaf.Auf dem Hügel aber steht ein Schloß, und der Schloßherr schautgerade beim Fenster heraus. Er ist traurig und bedrückt; im Waldhaust nämlich ein Einhorn, das seine Felder verwüstet und schonmanches schöne Stück Vieh erstochen hat. Er hätte wohl gut und

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Z e h n a u f e i n e n S t r e i c h

gern einen Sack Taler darangegeben, wenn ihm einer das Untier er-legt hätte. Aber bisher hat noch jeder, der das Unternehmen wagte,sein Leben dabei verloren. Das alles geht dem armen Schloßherrndurch den Kopf, und deshalb ist er gar so traurig. Wie er nun so beimFenster hinausblickt, sticht ihm auf einmal ein heller Glanz in dieAugen. Er weiß zuerst nicht, was es ist, und erst als er sich mit einemTüchlein die Augen auswischt und schärfer hinblickt, sieht er amFuße des Hügels einen Mann liegen, von dessen Kopf der helle Scheinausstrahlt.

„Wer das sein mag", denkt er sich, nimmt das Fernrohr zur Handund späht. Nun kann er's genau sehen: Da liegt richtig ein Mann imGras und schläft; auf dem Kopf trägt er eine lederne Kappe, auf derin glänzenden Goldbuchstaben geschrieben steht: „Zehn auf einenStreich erschlagen."

Der gute Graf meint nicht anders, als es seien zehn Männer gewesen,läuft eilig den Schloßberg hinab, zupft den Schlafenden am Ohr, biser erwacht, und sagt: „Höre, du starker Mann, nichts für ungut, daßich dich wecke, aber ich hätte ein Anliegen an dich. In meinem Waldhaust schon Jahr und Tag ein Einhorn, das mir ungeheuren Schadenzufügt, meine Felder verwüstet und mein Vieh zugrunde richtet. Ichwürde ein schönes Stück Geld dafür geben, wenn mir einer das Untiererschlüge; mancher hat auch schon um das angebotene Geld sein Glückversucht, aber bisher ist's noch keinem gelungen, das Tier zu erlegen,jeder hat sein Wagnis mit dem Leben bezahlen müssen. Wärest dunicht der rechte Mann, mich von dieser Plage zu befreien? An meinerErkenntlichkeit sollte es nicht fehlen."

Der wackere Schuster horcht auf, besinnt sich nicht lang und gibtzur Antwort: „Ja , freilich, den Gefallen kann ich dir leicht tun, demVieh will ich's schon zeigen!"

Er hängt sich ein scharf geschliffenes Schwert um und wandert gutenMutes dem verrufenen Wald zu, wo das Ungeheuer hausen soll. Kaumist er unter die ersten Tannen getreten, rauscht es vor ihm, und dasEinhorn stürzt auf ihn los. Er aber, nicht faul, springt hinter dieTanne, die gleich hinter ihm steht, und das Einhorn kann seinen Laufnicht mehr so rasch abbremsen und bohrt sein spitzes Horn tief in dieTanne hinein.

Da zieht der Goldkäppler sein Schwert, führt damit einen kräftigenHieb um die Tanne herum und schlägt dem Einhorn den Kopf ab.Den abgehauenen Schädel des Tieres unter dem Arm, wandert er wiederdem Schloß zu, wo er seine Beute als Siegeszeichen vorweist. VollFreuden über den Tod des Untiers macht der Schloßherr den Schusterzum reichen Mann, behält ihn bei sich im Haus und gibt ihm zuletztsogar sein liebliches Töchterlein zur Frau.

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Die Geschichte von der Gründung desBades Rotenbrunn

Ein junger Hirte hatte einmal seine Herde in die Gegend von BadRotenbrunn im Großen Walsertal getrieben.

Während seine Tiere dem karg sprießenden Futter nachgingen, lehnteer an einem Felsblock und besah sich die Umgebung. Sie schien ihmso unwirtlich, kahl und unfruchtbar, daß er sich nicht enthalten konnte,unwillig zu sagen: „Der liebe Gott hat dieses Tal doch recht stiefmütter-lich behandelt. Nur wenige kümmerliche Halme lugen zwischen denSteinhaufen hervor, und nur ein paar schmächtige Kräutlein ziehensich den Bach entlang, kaum so viel, daß die genügsamen Schafe ihrenHunger stillen können. Warum hat der Herrgott hier keine Obstbäumeerschaffen wie in anderen Tälern und wogende Kornfelder oder dochwenigstens eine fette, grasige Weide?"

Während der Hirte nörgelnd vor sich hinbrummte, zog sich einheftiges Unwetter zusammen, und unter Blitz und Donner ging einstarker Wolkenbruch nieder. Rasch sah sich der Hirte nach einemUnterstand um und wollte unter eine dichtästige Tanne flüchten. Dabrach im Laufen die Erde unter seinen Füßen ein, und er stürzte inden Graben hinab, wo der Wildbach dahinschoß. Mit einer schwerenVerletzung am Fuß lag er lange Zeit schmerzgepeinigt da, unfähig, sichzu bewegen oder aus dem Bachbett herauszukriechen.

Schmerzen und Not lehrten ihn beten. Inbrünstig flehte er zumHimmel um Rettung aus dieser hilflosen Lage. Da hörte der Regenauf, der blaue Himmel zeigte sich wieder, und strahlender Sonnen-schein flutete in das einsame Tal herab. Eine wundersame Helligkeitleuchtete plötzlich aus dem nahen Tannenwald heraus, und zwischenden Tannen trat die Muttergottes hervor, eine erhabene Lichtgestalt.Um Stirn und Haupt der himmlischen Erscheinung flimmerte es wievon einer Sternenkrone.

Mild neigte sich die Jungfrau zu dem stöhnenden Hirten herabund sprach: „Schilt nie mehr über die Werke der göttlichen Vorsehung.Was in einsamen Tälern und in schauerlicher Wildnis verborgen liegt,wiegt oft mehr als die Ernte des Südens. Sieh, dort sprudelt silberfarbenaus dem roten Gestein eine murmelnde Quelle hervor. Geh dorthinund bade darin deinen verletzten Fuß!" Nach diesen Worten ent-schwand sie. Plötzlich erschien ein edler Hirsch, um ihm behilflichzu sein.

Gläubig kroch der Hirt zur Quelle, badete seine Wunden im wohl-tuenden Naß und verspürte bald die Heilkraft des Wassers. Nachkurzer Zeit waren alle Schmerzen vergangen. Er rief seine Herde

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D i e G e s c h i c h t e v o n d e r G r ü n d u n g d e s B a d e s R o t e n b r u n n

und zog mit dankbarem Herzen heimwärts. Überall aber, wohin ihnsein Weg führte, erzählte er von der Erscheinung der Muttergottesund von der wundertätigen Quelle, die ihm Heilung gebracht. Baldwanderten die Leute von nah und fern zu dem wunderwirkendenWasser, suchten und fanden Heilung von ihren Leiden, und der Rufdes Heilquells drang weit in die Lande.

Da baute man an der Stelle, wo der Brunnen dem Felsen entquoll,ein Badhaus und nannte die Quelle den „Roten Brunnen", von demfeinen roten Sand, den das Wasser mit sich führt. Der Bach aber hießseit jener Zeit zur Erinnerung an die Erscheinung der Muttergottes der„Madonnenbach".

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I N H A L T S V E R Z E I C H N I S

Vorwort 3

W I E N

Meister Martin Eisenarm 5 Die Linde bei St. Stephan 8 Der Klagbaum 9 Stoß im Himmel 10Das Veilchenfest 13Die „Gnad' Gottes" am Kahlenberg 16Der Pfarrer vom Kahlenberg 18Die Bärenmühle 21Das Gericht auf dem Lerchenfeld 23Der Schloßherr von Ottakring 25Der Bärenhäuter 28Die Totenmette im Stephansdom 32Die Löwenbraut 33

N I E D E R Ö S T E R R E I C H

Der „Zwergenstein" auf dem Schneeberg 35Die Feenkönigin auf dem Jauerling 36Das Zwergenloch bei Hundsheim 39Die Geistergräfin von Fischamend 40Die stolze Föhre im Marchfeld 43Der schwarze Käfer in Deutsch-Altenburg 44Die Kröte an der Kirche zu Mistelbach 47Das Fest auf dem Hexenberg bei Petronell 48St. Nikolaus und der Fischer von Kreuzenstein 50Der Wein aus der Burgruine Greifenstein 52Der Rattenfänger von Korneuburg 53Die drei Schatzgräber auf der Burg Eibenstein 55Die Tuchnerklippen in der Wachau 57Des Teufels Gespann in Unterloiben 59Der listige Schneider von Liebnitz 61Das Kegelspiel am Kollmitzberg 62Die Schürzenfrau von Ostrong 66Die Gründung des Stifts Klosterneuburg 67Das Melker Kreuz 68Der Wackelstein bei Zelking 69Die Geisterschlacht im Weiserturm zu Pöchlarn 70Der Türkensturz bei Seebenstein 72Der Spuk auf Schloß Schauenstein 73

B U R G E N L A N D

Die „Klage" vom Leithagebirge 75Das Bergmännchen von Eisenstadt 75Der ewige Jäger von Mogersdorf 77Der Kümmerlingstein von Kleinhöflein 78Die Teufelsmühle bei Landsee 79

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I n h a l t s v e r z e i c h n i s

Die Hexenschmiede bei Rechnitz 80Die Farnsammler von Goberling 81Der Binderschlegel im Neusiedler See 82Die Entstehung von Bad Tatzmannsdorf 83Frauenhaid 84Ritter Andreas Baumkirchner auf Burg Schlaining 86Die Türken in Güssing 87Die Totenschlucht bei Breitenbrunn 88

O B E R Ö S T E R R E I C H

Der Donaufürst im Strudengau 90Die Entstehung des Irrsees 92Das Lebenskräutlein von Kreutern bei Ischl 93Der Riesenhans im Mühlviertel 94Die drei steinernen Brüder am Donauufer bei Untermühl 95St. Petrus und die Mühlviertler Krapfen 97Das „Hochzeitskreuz" am Wolfgangsee 98St. Wolfgang 100Das Raubgut auf Schloß Haichenbach 102Das Pferd des Teufels im Hausruckviertel 104Die Steinbachlklausstube bei Ebensee 105Die verwunschene Jungfrau von Königswiesen 107Die Gründung der Abtei Kremsmünster 107Die Schenkin auf Burg Windegg 109Der schwarze Mönch auf Werfenstein 110Die Pest in Haslach 112Jungfernsprung und Jungfernlueg bei Gmunden 113Das Turnier zu Linz 114Der Schütze von Losensteinleiten 115

S A L Z B U R G

Frau Perchta als Bettlerin bei Radstadt 117Der Putz von Neukirchen im Pinzgau 118Der Zwergenstein am Untersberg 120Die Drachenjungfrau in der Gerloswand 122König Watzmann 124Das Geschenk der Untersberger 126Der Zwerg Hahnengickerl 128Doktor Faust und der Salzburger Kellermeister 131Der Weinfuhrmann 134Ritter Tannhäuser aus dem Lungau 137Die Eulenmutter von Zell am See 139Die „Hunde von Dorfheim" bei Saalfelden 141Die Mooshamer im Lungau 143

S T E I E R M A R K

Die Auffindung des Erzberges 145Das Gnomenkreuz von Gaal 147Die silbernen Buben von Arzberg 149Die Meixnerstube bei Gleichenberg 151Die Schlangenkönigin bei Judenburg 154Grünhütl und Grauhütl von Obdach 155Der rote Fleck auf dem Kirchturm zu Ilz 159

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I n h a l t s v e r z e i c h n i s

Die Teufelshufeisen in der Ramsau 160Der Teufelsberg bei Seckau 162Der Höllentorwart von Mariazell 164Der Teufel auf Burg Ehrenfels im Liesingtal 166Der Tod des letzten Eppensteiners 169Die Freimannshöhle bei Turrach 171Gerold von Liechtenstein auf Feste Liechtenstein 173Ritter Siebenherz mit der steinernen Hand in St. Michael . . . . 176Der Eselssteig auf der Riegersburg 178Der Feldbacher Galgen 179

K Ä R N T E N

Der Riese vom St. Leonharder See 182Der Fichtling von Haimburg 184Der krumme Reißecker 186Die „hadischen Leute" 187Die salige Frau im Rosental 190Die wilde Jagd 192Der Lindwurm vom Goggauersee 193Der Schatz im Hoch-Gosch 195Der Goldsucher im Lesachtal 197Der Schatzberg bei Metnitz 199Die Lindenkreuzkapelle bei Kleinkirchheim 200Die Quittung des Ritters von Tanzenberg 201Der Hausbau des Teufels im Leobengraben bei Gmünd 204Das Goldbergwerk St. Oswald bei Villach 206Die weiße Rose im Kloster Arnoldstein 208Die Heimkehr nach St. Jakob im Rosental 209

T I R O L

König Laurin 211Die Fee vom Sonnwendjoch 216Die Albacher und die Dornauer Riesen 218Das Schachtmännchen zu Steinberg 221Der Almputz in der Hintertux 223Die mutige Magd im Wattenser Tal 224Die Goldhöhle in den Alpacher Bergen 227Der Hexenspielmann von Hötting 228Die Hexe Stase von Landeck 230Die Teufelsplatte bei Galtür 232Der Vogelfänger von Schwaz 233Der Schatz im Schloß Fragenstein bei Zirl 235Der Traum von der Zirler Brücke 236Der Adasbub von Längenfeld 237Die St. Leonhardskirche bei Kundl 239Die Eroberung von Kufstein 240

V O R A R L B E R G

Die Windsbraut auf der Schröcker Alm 241Das Mütterlein mit dem Spinnrad in Dornbirn 242Der Schuster und der Hausgeist 244Das Fräulein von Ruckburg 245Die Weiße Frau von Rosenegg 247

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I n h a l t s v e r z e i c h n i s

Der Ring an der Kirchentüre von Andelsbuch 249Die drei Schwestern von Frastanz 250Das Bruderhäuslein von Dalaas 252Der Lohn des Verräters von Bregenz 253Die Bregenzerwäldlerinnen im Schwedenkrieg 255Zehn auf einen Streich 256Die Geschichte von der Gründung des Bades Rotenbrunn 259

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