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Philipps-Universität Marburg Fachbereich 06: Geschichte und Kulturwissenschaften Institut für Neuere Geschichte Hauptseminar: Die Reichswehr Leitung: Prof. Dr. Wolfgang Krieger
Hindenburgs politisches Taktieren wäh-rend der Revolution von 1918
von Matthäus Gerling
Kotthausen 1 34431 Marsberg
02963/327
Sommersemester 2010 12. Fachsemester
Englisch und Geschichte, LA an Gymnasien (alte Studienordnung)
1 Einleitung 2
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ............................................................................................................... 3
2 Der Weg Hindenburgs zum politischen Akteur ..................................................... 5
3 Hindenburgs politisches Taktieren während der Revolution ............................... 13
3.1 Die Waffenstillstandsforderungen und das Friedensangebot an die USA ........... 13
3.2 Kehrtwende in der Friedensfrage als Reaktion auf die zweite Wilsonnote ......... 14
3.3 Hindenburgs Verhalten bei der Entlassung Ludendorffs ..................................... 17
3.4 Hindenburgs Agieren bei der Abdankung des Kaisers ........................................ 19
4 Gründe und Motive für Hindenburgs Taktieren ................................................... 23
5 Fazit ...................................................................................................................... 31
6 Bibliographie ........................................................................................................ 33
1 Einleitung 3
1 Einleitung
Die vorliegende Hauptseminararbeit beschäftigt sich mit der Rolle und dem poli-
tischen Taktieren Paul von Hindenburgs während der Revolution von 1918. Der No-
vemberrevolution ging der erste Weltkrieg voraus, in dem Paul von Hindenburg zu-
nächst als Oberbefehlshaber der 8. Armee, dann als Oberkommandeur über das deut-
sche Ostheer und von 1916 bis 1919 als Chef der Obersten Heeresleitung (OHL) in mi-
litärischen Führungspositionen agierte. In diesem Kontext stellen sich die Fragen, wie
ein sich von 1911 – 1914 bereits im Ruhestand befindlicher Militär in die Lage kam,
politisch agieren zu können. Ferner soll analysiert werden, wie sich dieses politische
Agieren ausdrückte und warum es Hindenburg gelang, als Verlierer des Krieges sowohl
militärisch als auch politisch unbeschadet aus der Situation hervorzugehen.
Im zweiten Kapitel dieser Arbeit soll zunächst den Werdegang Hindenburgs ab
1914 nachzeichnen, beginnend mit seinem Aufstieg zum verehrten Nationalhelden als
„Sieger von Tannenberg“, nachgefolgt von der Übernahme der Obersten Heeresleitung
und der einhergehenden Politisierung, die sich in den folgenden Kriegsjahren zeigte. Im
dritten Kapitel wird der Fokus quellenbasiert auf die Ereignisse in Deutschland ab Sep-
tember 1918 gelegt, beginnend mit dem überraschenden Eingeständnis der Kriegsnie-
derlage durch die OHL. Weitere untersuchte Ereignisse, die Hindenburgs politisches
Taktieren in diesen Tagen illustrieren sollen, sind seine Reaktion auf die zweite Note
des US-Präsidenten Wilson, seine Rolle bei der Entlassung seines langjährigen Wegge-
fährten Erich Ludendorff und schließlich sein Handeln in den Novembertagen 1918, die
mit der Abdankung Wilhelms II. das Ende von über 500 Jahren Hohenzollernmonarchie
in Preußen besiegelten. Im vierten Teil werden die in Kapitel drei vorgestellten Quellen
im Hinblick auf Hindenburgs Motive zu dessen Agieren analysiert; der letzte Teil der
Arbeit fasst die Haupterkenntnisse noch einmal kurz zusammen.
Als wichtigste Quellenedition ist der zweite Band der Reihe „Ursachen und Fol-
gen“ verwendet worden; dort nicht verfügbare Quellen wurden den „Amtlichen Urkun-
den zur Vorgeschichte des Waffenstillstandes 1918“ sowie dem zweiten Band der Reihe
„Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien“ entnom-
men. Die Literaturlage ist durchaus ergiebig, dennoch stützt sich diese Arbeit haupt-
sächlich auf die große Hindenburg-Biographie Wolfram Pytas, dessen Ausführungen
gerade im Bezug auf die Fragestellungen unverzichtbar sind. Zu Fragen, die das Au-
1 Einleitung 4
genmerk eher auf Kaiser Wilhelm II. legen, wurde Wolfgang Mommsens Arbeit „War
der Kaiser an allem schuld?“ konsultiert. Da sich vor allem Pytas Arbeit auf einen un-
ermesslichen Fundus an Quellen und Literatur stützt, ist auf die Konsultation weiterer
Werke weitgehend verzichtet worden. Mit Ausnahme von Walter Hubatsch’ Arbeit
„Hindenburg und der Staat“ (1997) ist hat die jüngere Forschung die Thematik weitge-
hend ignoriert. Zwar hat Anna von der Goltz 2009 eine weitere, kurze Biographie
Hindenburgs vorgelegt, die sich jedoch auf dessen Rolle beim Aufstieg des Nationalso-
zialismus fokussiert und daher hier nur am Rande Verwendung findet.
2 Der Weg Hindenburgs zum politischen Akteur 5
2 Der Weg Hindenburgs zum politischen Akteur
„In the beginning was Tannenberg.“1 Mit diesen Worten lässt sich der Beginn
vom „märchenhaftem Aufstieg eines Pensionärs“2 wohl am ehesten beschreiben.
Hindenburgs militärischer Anteil am Sieg über die russischen Armeen unter den Gene-
ralen Rennenkampf und Samsonow tendiert allerdings gegen null, die Haupturheber-
schaft an dem erfolgreichen Feldzug gegen die russischen Verbände wird Oberstleut-
nant Max Hoffmann und Ludendorff zugeschrieben.3 Die Strategie der beiden
Schlieffen-Schüler war ein alles-oder-nichts-Szenario, an deren Ende entweder eine
„militärische Katastrophe ungeahnten Ausmaßes“4 oder der vollständige Sieg über die
russische Südarmee stehen würde. Das hohe Risiko bestand darin, die russische Nord-
armee solange hinhalten zu können, bis die Südarmee eingekesselt und zerrieben war.
Würde jedoch die Nordarmee ihrerseits im Rücken der 8. deutschen Armee auftauchen,
wäre das Szenario umgedreht, die deutsche Division ihrerseits eingekesselt und die
Schlacht nicht zu gewinnen gewesen.5 Die Strategie ging jedoch auf, Samsonows
Südarmee wurde bis zum 31. August vollständig besiegt. Mitte September gelang es der
achten Armee dann auch, die Nordarmee Rennenkampfs an der masurischen Seenplatte
zu besiegen und Ostpreußen zu befreien.
Dass dieser militärische Erfolg Hoffmanns und Ludendorffs dennoch
Hindenburgs Ansehen in der Bevölkerung in ungeahnte Höhen schnellen ließ, ist dessen
geschichtspolitischem Deutungstalent geschuldet. Hindenburg gelang es, seinen margi-
nalen Anteil am Erfolg von Tannenberg „symbolisch so aufzuladen, dass man seine
Person zum Bedeutungsträger stilisierte und tendenziell symbolisch überhöhte.“6 Hin-
denburg konstruierte bei seinem Vorrecht als Oberbefehlshaber, der siegreichen
Schlacht einen Namen zu verleihen, eine historische Tradition zu der verlorenen
Schlacht von Tannenberg 1410, in der das Heer des Deutschen Ordens von polnisch-
litauischen Verbänden vernichtend geschlagen wurde. Sein Sieg über die slawischen
Verbände sei nun seine Mission gewesen, „die Schmach von 1410 zu sühnen und den
deutschen Osten den Fängen unkultivierter Ostvölker zu entreißen.“7 Der Hindenburg-
_________________ 1 von der Goltz, Hindenburg, S. 14. 2 Pyta, Hindenburg, S. 41. 3 Ebd., S. 48. 4 Ebd. 5 Vgl. ebd. 6 Ebd., S. 54. 7 Ebd.
2 Der Weg Hindenburgs zum politischen Akteur 6
Mythos stieg also durch die politisch-historische Verwertung durch Hindenburg selbst
empor, indem er eine historische Linie konstruierte, an deren Ende er als Oberbefehls-
haber der siegreichen Armee als Retter Ostpreußens vor barbarischen slawischen Hor-
den stand.
Damit hatte Hindenburg den Grundstein für seine politische Laufbahn gelegt,
denn dieses war von nun an das Feld, auf dem er sich genuin betätigte. Seine Tätigkei-
ten im militärischen Bereich blieben höchstens marginal; die Aufgabenteilung mit Lu-
dendorff war klar in seinem Sinne. Ludendorff war der ehrgeizige General, höchst befä-
higt in militärischen Fragen, und Hindenburg nahm die Rolle des Vorgesetzten, der ge-
wissermaßen die Planungen des Generalstabschefs absegnete, gerne an. Seine politi-
schen Aktionen blieben jedoch bis 1916 eher im Hintergrund, weil ihm bis dahin die
Legitimation für solche fehlte. In die Position, durch und durch politische Entscheidun-
gen zu treffen bzw. politische Macht und Druck ausüben zu können, brachten ihn die
Ereignisse im August 1916, als er mit der Ablösung Erich von Falkenhayns dessen Pos-
ten als Chef der dritten Obersten Heeresleitung übernahm.
Dass es dazu kam, bedurfte es jedoch der Unterstützung des Reichskanzlers
Theobald von Bethmann Hollweg. Dieser war im Sommer 1916 zu der Erkenntnis ge-
langt, dass ein Siegfrieden zugunsten des Deutschen Reiches unrealistisch geworden
war, da die Ententemächte auf Dauer militärisch zu stark sein würden.8 Dieser Umstand
war insofern von Bedeutung, da er „erhebliche politische Legitimationsprobleme auf-
warf.“9 Der Krieg hatte in seinen ersten zwei Jahren bereits eine enorme Zahl an Opfern
gefordert, und einem Frieden, der lediglich eine Rückkehr zum Vorkriegszustand bein-
haltet hätte, würde in der Öffentlichkeit mit Fragen nach der Sinnhaftigkeit der vielen
Opfer entgegengetreten werden, wenn dem Deutschen Reich dadurch kein Nutzen ent-
stünde: „Die Gefahr bestand, dass nicht nur die politische Führung zur Zielscheibe der
Kritik wurde, sondern dass sich diese Unzufriedenheit verselbständigte und auch die
Monarchie in Mitleidenschaft zog.“10 Bethmann Hollweg suchte deshalb vermehrt den
Kontakt zu Hindenburg, um ihn für seine Position zu gewinnen. Von dessen überragen-
dem Ansehen in der Bevölkerung versprach sich der Reichskanzler, sein Anliegen von
einem Ausgleichsfrieden in der Öffentlichkeit innenpolitisch abzusichern.
Hindenburgs Position in der Frage nach den Kriegszielen blieb jedoch interpre-
tierbar. Zwar äußerte er sich im November 1915 in einem Interview noch in die Rich-
_________________ 8 Ebd., S. 205. 9 Ebd.
2 Der Weg Hindenburgs zum politischen Akteur 7
tung, dass man „nicht durchhalten allein, sondern siegen“11 wolle, und grundsätzlich
nahm er diese Position des Fürsprechers eines deutschen Siegfriedens auch ein. Unter-
mauert wurde diese Ansicht durch die militärische Lage im Herbst 1915, die sich nach
dem Sieg über Serbien für die Mittelmächte als äußerst vielversprechend darlegte. Mit
solchen politischen Vorstößen vergrößerte er ferner sein Prestige in der Bevölkerung
sogar noch weiter, nachdem er als Sieger über die Russen bereits turmhohe Sympathien
für sich verbuchen konnte. Seine symbolische Funktion als Garant eines deutschen
Siegfriedens brachte ihn allerdings gleichsam in die Lage, eine Konkurrenz für Kaiser
Wilhelm II. darzustellen.
Der Kaiser hatte bereits zu Kriegsbeginn seine Befugnisse an den Chef der
Obersten Heeresleitung, Helmuth von Moltke, abgetreten. Nach außen hin wurden des-
sen Entscheidungen jedoch so verkauft, dass sie „wenn schon nicht durch Wilhelm II.
persönlich, so doch zumindest in seinem Namen und mit seiner Billigung erfolgten.“12
Wilhelm II. war nie in der Lage gewesen, seine Aufgaben als Oberster Kriegsherr auch
nur annähernd wahrzunehmen. Mit seiner sprunghaften Persönlichkeit fehlte ihm dafür
schlicht das Potenzial.13 Nachdem dann im Juni 1916 die vierte Armee Österreich-
Ungarns ein Debakel ungeahnten Ausmaßes gegen russische Verbände hinnehmen
musste, – rund 200.000 k.u.k. Soldaten gerieten fast kampflos in Gefangenschaft und
die Russen waren so weit wie noch nie auf habsburgisches Terrain vorgedrungen14 –
wurden die Stimmen nach einem einheitlichen Oberbefehl über die gesamte Ostfront in
der deutschen Militärführung lauter. Bethmann Hollweg sah in dieser Überlegung eine
hervorragende Bewährungsprobe für Hindenburg, der seit Oktober 1915 als Oberbe-
fehlshaber Ost im litauischen Kowno befand und dort in den Augen vieler unter Wert
beschäftigt war.15 Ein Problem mit einer Erhöhung Hindenburgs zum Oberbefehlshaber
über die gesamte Ostfront – also auch über die österreichisch-ungarischen Armeen –
sah der Kaiser weniger in „der mit diesem Schritt verbundenen militärischen Kompe-
tenzerweiterung des Generalfeldmarschalls, [sondern in] der genuin politischen Legiti-
mation, den er nur als tiefen Eingriff in seine Kommandogewalt auffassen konnte.“16
Der Reichskanzler argumentierte mit der Popularität Hindenburgs und Ludendorffs in
_________________ 10 Ebd. 11 Ebd., S. 207. 12 Mommsen, War der Kaiser an allem schuld?, S. 224. 13 Vgl. Ebd., S. 225. 14 Pyta, Hindenburg, S. 212. 15 Ebd. 16 Ebd, S. 213.
2 Der Weg Hindenburgs zum politischen Akteur 8
der Bevölkerung, die es politisch auszunutzen gelte: „Der Name Hindenburg ist der
Schrecken unserer Feinde, elektrisiert unser Heer und unser Volk, die grenzenloses Ver-
trauen zu ihm haben.“17 Der Kaiser sah in diesem Schritt jedoch eine Machtverlagerung,
die eine politisch und durch den Willen des Volkes begründete Installation Hindenburgs
als Oberbefehlshaber über die Ostfront bedeutete: „Dies bedeute eine Abdankung für
ihn, und Hindenburg sei damit als Volkstribun an seine Stelle getreten.“18 Dass es nicht
dazu kam, lag am Veto der österreichisch-ungarischen Verbündeten, die sich „nur“ auf
den Kompromiss einließen, Hindenburg den Oberbefehl über einen Teil der Ostfront zu
geben, der lediglich das Kommando über eine k.u.k. Armee beinhaltete.
Militärisch war dieses Unterfangen für Hindenburg eigentlich nicht zu gewin-
nen, was hauptsächlich dem desolaten Zustand der k.u.k. Armeen anzulasten ist. Daher
war auch Falkenhayn mit der praktizierten Lösung zufrieden, da sie über kurz oder lang
zu einer militärischen Demontage Hindenburgs hätte führen müssen und ihn selbst auf
seinem Posten als Chef der Obersten Heeresleitung festigen würde. Zu einem politi-
schen Rückschlag führte auch der halbherzige Versuch Hindenburgs, ein persönliches
Gespräch beim Kaiser zu erwirken. Wilhelm II. versagte ihm dieses jedoch, da es „als
Vertrauensentzug (…) gegenüber seinem engsten militärischen Berater [Falkenhayn]
aufgefasst werden“ würde, wenn ein der OHL unterstellter Armeeführer ohne Abspra-
che mit seinem Chef beim Obersten Kriegsherrn vorstellig wurde und womöglich ent-
gegen dessen Maxime argumentierte.19 Dass Hindenburg dennoch zum Chef der dritten
Obersten Heeresleitung ernannt wurde, verdankte er der Kriegserklärung Rumäniens an
Österreich-Ungarn und dessen Verbündete. Militärisch bedeutete dies eine erhebliche
Verschlechterung der Lage, da einerseits russischen Truppen der Weg nach Ungarn frei
und die Verbindung zum osmanischen Verbündeten gekappt geworden war, anderer-
seits bedeutete die rumänische Entscheidung eine sechste Front mit einer völlig entblöß-
ten Grenze zu Siebenbürgen.20 Auch Falkenhayn traf der Seitenwechsel Rumäniens
überraschend und musste ihm angelastet werden.21
Der Kaiser rechnete mit dem Zusammenbruch der Donaumonarchie, was ihn
zum Umdenken in der Frage nach der Besetzung der Obersten Heeresleitung bewog.
Ein Siegfrieden war in weite Ferne gerückt, und eine deutsche Friedensinitiative rückte
_________________ 17 Mommsen, War der Kaiser an allem schuld?, S. 235. 18 Ebd., S. 236. 19 Pyta, Hindenburg, S. 220. 20 Ebd., S. 221-222. 21 Ebd., S. 222.
2 Der Weg Hindenburgs zum politischen Akteur 9
nun ins Zentrum der politischen Agenda. Bethmann Hollweg übte weiteren Druck aus,
indem er bereits in der Frage nach dem Oberbefehl über die Ostfront behauptet hatte,
dass die Monarchie als solche auf dem Spiel stünde: „Mit Hindenburg könne er [der
Kaiser] einen enttäuschenden Frieden machen, ohne ihn nicht.“22 Dieses Szenario war
nun aktueller denn je, und Wilhelm II. „hatte den Argumenten des Kanzlers, Hinden-
burg zur politischen Absicherung einer deutschen Friedensinitiative an die Spitze der
Heeresleitung zu stellen, nichts mehr entgegenzusetzen.“23 Am 29. August 1916 verfüg-
te der Kaiser resigniert die Ablösung Falkenhayns durch Hindenburg und Ludendorff,
der den eigens für ihn geschaffenen Posten des Ersten Generalquartiermeisters besetzte.
Mit dieser Entscheidung hatte der Kaiser also die Leitung der Kriegsführung in die
Hände eines Mannes gelegt, „der aus einer ureigenen Legitimationsquelle schöpfen
konnte“, nämlich der symbolischen Repräsentation von kollektiver Identität, Nationa-
lismus, politischer Deutungskultur und symbolischer Politik.24
Wie sehr Hindenburg nun als politischer Herrscher in Uniform agierte – wobei
der häufig gebrauchte Begriff der Militärdiktatur nicht zutreffend ist25 – lässt sich an den
Beispielen des Diskurses über den U-Bootkrieg und der Julikrise 1917 aufzeigen. Die
Frage des U-Bootkrieges stand bereits seit Februar 1915 im Raum, als die deutsche
Seekriegsleitung das Gebiet um die britischen Inseln zum Kriegsgebiet erklärte, womit
diese Zone auch für Handelsschiffe gefährlich geworden war. Der Hauptkonflikt beim
für und wider eines uneingeschränkten U-Bootkrieges stellte sich insofern dar, dass der
militärische Einfluss Englands im Krieg nicht auf dem Kontinent, sondern in erster Li-
nie auf dem Seeweg einzudämmen war, andererseits Angriffe auf neutrale Handels-
schiffe weitere Nationen zum Kriegseintritt bewegen konnte, insbesondere die vereinig-
ten Staaten von Amerika. Seit deutsche Seestreitkräfte im Mai 1915 ein britisches Pas-
sagierschiff versenkt hatten, gab es ernsthafte Verwicklungen mit den USA, da bei dem
Angriff auch 139 US-Bürger ums Leben gekommen waren.26 Seit dem war der U-
Bootkrieg nicht „uneingeschränkt“, sondern nur noch „verschärft“ geführt worden, d.h.
nur auf militärische Ziele ausgerichtet.
Direkt nach der Amtsübernahme Hindenburgs wurde dieser vor die Frage ge-
stellt, ob die von der Seekriegsleitung geforderte Wiederaufnahme des uneingeschränk-
_________________ 22 Mommsen, War der Kaiser an allem Schuld?, S. 236. 23 Pyta, Hindenburg, S. 222. 24 Vgl. dazu Pyta, Hindenburg, S. 57-67. Hier werden die „Bedingungen symbolischer Politik“ aufgezeigt, die Hin-
denburg erfüllen konnte. 25 Mommsen, War der Kaiser an allem Schuld?, S. 243 u. S. 263, Pyta, Hindenburg, S. 242. 26 Ebd., S. 237.
2 Der Weg Hindenburgs zum politischen Akteur 10
ten U-Bootkrieges durchgesetzt werden sollte. Hindenburg votierte auf Anraten des
Reichskanzlers dagegen, dass „dieser militärisch vielleicht gebotene Schritt dem Deut-
schen Reich weitere Kriegsgegner eintragen würde.“27 In dieser Hinsicht ließ sich der
Militär Hindenburg von genuin politischen Argumenten leiten. Ändern sollte sich dies
im Dezember 1916. Bethmann Hollweg machte sich über einen Siegfrieden keine Illu-
sionen und hoffte, durch ein Friedensangebot den Status quo ante wiederherzustellen,
was allerdings innenpolitischer Absicherung bedurfte.28 Ein deutsches Friedensangebot
erging am 12. Dezember 1916 an alle Mächte und stieß auch in den Vereinigten Staaten
auf offene Ohren. US-Präsident Woodrow Wilson schickte daraufhin sechs Tage später
eine Note an die Krieg führenden Nationen, die die Frage nach den jeweiligen Kriegs-
zielen stellte. Bereits die erste Offerte des Deutschen Reiches hatte einen „maßlosen
Katalog von Kriegszielen“29 beinhaltet, da Hindenburg beachtliche territoriale Gewinne
für das Deutsche Reich gefordert hatte. Von nun an brach Hindenburg mit dem Reichs-
kanzler und lehnte ein Eingehen auf die Note Wilsons ab, da man „aus nationalen
Gründen in Rücksicht auf unsere starke militärische Position darauf jetzt nicht mehr
eingehen“ könne.30 Diese starke militärische Position machte Hindenburg an der sich
wesentlich verbesserten Lage in Rumänien fest; am 6. Dezember hatten deutsche Ver-
bände unter dem ehemaligen OHL-Chef Falkenhayn Bukarest eingenommen.31 Hinden-
burg war nun auf die Seite der Befürworter eines uneingeschränkten U-Bootkrieges ge-
treten, auch weil er der Fehleinschätzung erlag, dass man an eine aktive Kriegsbeteili-
gung der Vereinigten Staaten keinen Gedanken verschwenden musste und eine eventu-
elle Kriegserklärung als Reaktion auf den uneingeschränkten U-Bootkrieg gegenstands-
los wäre.32
Der Kanzler sah sich also einer einheitlich sprechenden Militärführung gegen-
über, der er sich schlichtweg fügen musste, wenn er nicht zurücktreten wollte. Der Kai-
ser hatte in der Sache mit dem Friedensangebot „in seiner Führungsfunktion vollständig
versagt“, indem er in gar nicht in die Angebotserstellung einbezogen war und man le-
diglich seine Zustimmung dazu eingeholt hatte.33 So bedurfte es im Januar 1917 auch
_________________ 27 Pyta, Hindenburg, S. 235. 28 Ebd., S. 236-237. 29 Mommsen, War der Kaiser an allem schuld?, S. 239. 30 Pyta, Hindenburg, S. 238. 31 Ebd., S. 239. 32 Ebd., S. 240. 33 Mommsen, War der Kaiser an allem Schuld?, S. 239.
2 Der Weg Hindenburgs zum politischen Akteur 11
keiner großen Überzeugungsarbeit mehr, die Zustimmung Wilhelms II. zum uneinge-
schränkten U-Bootkrieg zu erwirken.
Zwischen Hindenburg und dem Reichskanzler war das Tischtuch jedoch zer-
schnitten, und Bethmann Hollweg trat nach der Julikrise 1917 zurück. Hindenburg und
Ludendorff hatten mit Rücktritt gedroht, falls der Kaiser den Reichskanzler nicht entlas-
sen würde. Wilhelm II. tat dies gegen seine eigene Überzeugung, nachdem die Mehr-
heitsparteien des Parlaments den Seekrieg als gescheitert erklärt hatten und einen Ver-
teidigungsfrieden für unerlässlich hielten. Die Oberste Heeresleitung protestierte dage-
gen vehement und setzte dem Kaiser ein Ultimatum, dass im Grunde nur zu ihren Guns-
ten ausgehen konnte. Die Mehrheitsparteien hatten nach einer Rede des Zentrumsabge-
ordneten Matthias Erzberger, in der er die Niederringung Englands durch den U-
Bootkrieg als illusorisch beurteilte, eine eigene Friedensresolution formuliert, die „er-
zwungene Gebietsabtretungen und wirtschaftliche oder finanzielle Vergewaltigungen
anderer Völker mit dem vom Reichstag erstrebten Verständigungsfrieden für unverein-
bar erklärte[n].“34 Bethmann Hollweg geriet, obwohl er im Grunde derselben und die
Oberste Heeresleitung genau gegenteiliger Meinung war, in die Kritik. Grund dafür war
dessen kompromissbehaftete und zauderliche Politik, die sowohl die Mehrheitsparteien
als auch die OHL kritisierten.35 Ludendorff und Hindenburg hatten bereits zuvor ver-
sucht, sich in die Kanzlerfrage einzumischen, waren jedoch vom Kaiser abgewiesen
worden. Der Reichskanzler hatte Wilhelm II. seinerseits die Zustimmung für eine Ver-
änderung vom preußischen Dreiklassenwahlrecht hin zum Reichstagswahlrecht abge-
rungen, was jedoch die preußischen Konservativen zu seinen politischen Todfeinden
machte.36 Auch Hindenburg war darüber empört, da er in Bethmann Hollwegs Vorstoß
die Preisgabe preußischer Identität sah, und so ließen er und Ludendorff dem Kaiser ih-
re Rücktrittsgesuche übermitteln. Wilhelm II. hielt noch einen Tag an Bethmann Holl-
weg fest, ehe er dessen Rücktrittsgesuch entsprach, da er die Entlassung der „Sieger von
Tannenberg“ als einen Schritt erachtete, der aufgrund der immensen Popularität der Ge-
nerale nicht abzusehende Konsequenzen für Parlament, Monarchie, Bevölkerung und
Heer mitbringen würde.
Die Geschehnisse im ersten Jahr der dritten Obersten Heeresleitung unterstrei-
chen den turmhoch gewachsenen Einfluss Hindenburgs auf politischer Ebene. Durch
sein Verhalten in der U-Bootfrage sowie während der Julikrise konnte er zweimal seine
_________________ 34 Pyta, Hindenburg, S. 272. 35 Ebd.
2 Der Weg Hindenburgs zum politischen Akteur 12
Ziele erreichen, jeweils zu Lasten des engsten politischen Beraters des Kaisers, dem
Reichskanzler. Gerade sein Rücktrittsgesuch im Juli 1917 ist an politischer Aktivität
kaum zu überbieten, da er die Fortführung seines Amtes von der Person des Reichs-
kanzlers abhängig machte: „Zwischen dem Reichskanzler und mir bestehen … unüber-
brückbare Gegensätze. Ich erblicke in seine Anschauungen und Handlungen eine ernste
Gefahr für Thron und Vaterland. Dies macht mir ein nutzbringendes Zusammenarbeiten
unmöglich.“37 Die Anführung genuin politischer Gründe und der Anspruch über deren
Definitionshoheit zeigen in aller Deutlichkeit, dass Hindenburg zum Politiker in Uni-
form geworden war, dessen Einfluss ihn sogar schon zur Hoheit in Personalfragen hatte
wachsen lassen und den Kaiser weitgehend in den Hintergrund treten ließ.38
Somit ist der Weg Hindenburgs zum politischen Akteur nachgezeichnet. Wie
sich seine politische Arbeit im Verlauf der Revolution von 1918 darstellte und was ihn
zu seinen Schritten bewegte, soll von nun an in den Fokus dieser Arbeit rücken.
_________________ 36 Ebd., S. 275. 37 Ebd., S. 279. 38 Ebd.
3 Hindenburgs politisches Taktieren während der Revolution 13
3 Hindenburgs politisches Taktieren während der Revolution
Hindenburgs Verhalten von Ende September bis zum neunten November 1918
soll im Folgenden in vier Stationen dargelegt werden. Im einzelnen sind diese (1) seine
Positionen zu den Waffenstillstandsforderungen und dem Friedensangebot an US-
Präsident Wilson, (2) die Revidierung dieser Position als Reaktion auf die zweite
Wilsonnote39, (3) sein Verhalten bei der Entlassung Erich Ludendorffs als Erstem Gene-
ralquartiermeister als Konsequenz auf die dritte Note Wilsons und (4) sein Agieren
während der Novembertage 1918, an deren Ende die Abdankung Wilhelms II. stand.
3.1 Die Waffenstillstandsforderungen und das Friedensangebot an die USA
Nach der negativ verlaufenen Sommeroffensive 1918 und einem herben Rück-
schlag am 8. August war deutlich geworden, dass der Krieg für das Deutsche Reich
nicht mehr zu gewinnen war. Nach einigem von Durchhalteparolen geprägtem Zaudern
entschied sich die Oberste Heeresleitung am 28. September, die Kriegsniederlage ein-
zugestehen und den Weg für Friedensverhandlungen zu ebnen. In einer Besprechung
kamen Hindenburg und Ludendorff zu der Ansicht, die Lage könne sich durch die Ver-
hältnisse auf dem Balkan nur noch verschlechtern, auch wenn wir uns an der Westfront
hielten. Wir hätten jetzt die Aufgabe, klar und ohne Verzug zu handeln.40 Die Räumung
der besetzten Gebiete im Westen empfanden die Generäle dabei als ein ungeheures mi-
litärisches Zugeständnis, wobei der Krieg im Osten weiter geführt werden sollte und sie
dabei auch auf das Verständnis der Westmächte hofften und glaubten, die Entente wür-
de die Gefahr erkannt haben, die vom Bolschewismus auch ihr drohte.41
Am darauf folgenden Tag erstattete die OHL dem Staatssekretär des Auswärti-
gen Paul von Hintze Bericht über die militärische Lage, und diese bedinge sofortigen
Waffenstillstand, um einer Katastrophe vorzubeugen.42 Mit dem Terminus „Katastro-
phe“ war hier nicht weniger als die Kapitulation gemeint. Von Hintze entwickelte da-
raufhin drei Möglichkeiten, um das Zusammenfassen a l l e r Kräfte der Nation zur Ab-
wehr im Endkampf möglich zu machen.43 Diese waren im einzelnen das Errichten einer
Diktatur, eine Revolution von oben oder die Herbeiführung eines sofortigen Waffenstill-
_________________ 39 Auf die Wilsonnoten wird im Kapitel 4. dieser Arbeit eingegangen. 40 Besprechung Ludendorff – Hindenburg, in: Ursachen und Folgen, Band 2, S. 319. 41 Ebd. 42 Von Hintze über die Vorgänge im Großen Hauptquartier am 29.09.18, in: Ursachen und Folgen, Band 2, S. 319 f. 43 Ebd., S. 320.
3 Hindenburgs politisches Taktieren während der Revolution 14
standes, den die OHL forderte.44 Ludendorff erteilte der Option Diktatur, die an die Be-
dingung geknüpft war, in absehbarer Zeit militärische Erfolge oder gar den vollständi-
gen Sieg zu verbuchen, sonst müsste ihr Revolution oder Chaos folgen, eine Absage mit
der Begründung, der Sieg wäre ausgeschlossen, die Lage der Armee verlangte vielmehr
sofortigen Waffenstillstand.45 Zugeneigt waren die Feldherren den letzten beiden Optio-
nen. Die Revolution von oben könnte dem Choc vorbeugen, einen Volkskrieg zu entfa-
chen,46 da die Bevölkerung über die tatsächliche Kriegslage nicht informiert war und die
Kehrtwende von Siegeszuversicht zur Niederlage sie höchst unvorbereitet treffen wür-
de. Erste Option war allerdings die Einleitung von Waffenstillstandsverhandlungen, die
die OHL noch gegen den neuen Reichskanzler Max von Baden durchzusetzen hatte, da
dieser einen Waffenstillstand für verfrüht erachtete und Hindenburg einen Fragebogen
zur Beantwortung vorlegte.47
Hindenburg beantwortete die Fragen mündlich, hatte jedoch bereits zuvor ein
Schreiben an den Reichskanzler angefertigt, in dem er seine Position in aller Deutlich-
keit darstellte: Die Oberste Heeresleitung bleibt auf ihrer am Sonntag, dem 29. Septem-
ber d. J., gestellten Forderung der sofortigen Herausgabe des Friedensangebotes an
unsere Feinde bestehen.48 Die Begründung war eine Wiederholung der Aspekte, die Lu-
dendorff bereits von Hintze vorgetragen hatte. Am selben Tag ging die erste Friedens-
note an Wilson heraus, fußend auf Wilsons 14 Punkte Programm. Eventuelle Bedingun-
gen wurden in der Note nicht genannt, es handelte sich dabei lediglich um das nüchterne
Angebot zu Friedensverhandlungen. 49
3.2 Kehrtwende in der Friedensfrage als Reaktion auf die zweite Wilsonnote
Am 14. Oktober 1918 schickte Hindenburg ein Telegramm an den Reichskanz-
ler, in dem er diesem seine ernste Sorge…, dass die gegenwärtige Stimmung im Innern
des Reiches unsere militärische Lage und unsere Aussichten bei Verhandlungen immer
ungünstiger gestaltet, mitteilte.50 Die deutschen Feinde schöpfen aus unserer inneren
Zerrissenheit und verzagten Stimmung neue Kraft zum Angriff, neue Entschlossenheit zu
hohen Anforderungen, und da Feind und neutrales Ausland beginnen, in uns nicht mehr
_________________ 44 Ebd. 45 Ebd. 46 Ebd. 47 Vgl. Prinz Max von Baden an Hindenburg. 3. Oktober 1918, in: Ursachen und Folgen, Band 2, S. 330. 48 Hindenburg an Reichskanzler Max von Baden, in: Ursachen und Folgen, Band 2, S. 331. 49 Vgl. Das deutsche Ersuchen um Waffenstillstand und Frieden. Note der deutschen Regierung an den amerikani-
schen Präsidenten Wilson vom 3. Oktober 1918, in: Ursachen und Folgen, Band 2, S. 378.
3 Hindenburgs politisches Taktieren während der Revolution 15
ein Volk zu sehen, das freudigst alles setzt an seine Ehre, gelte es nun dahin zu wirken,
dass eine einheitliche vaterländische Stimmung in allen Stämmen und Schichten des
deutschen Volkes lebendig wird und deutlich erkennbar in Erscheinung tritt.51 Nur unter
diesen Voraussetzungen könne es dem Heer gelingen, der Übermacht zu trotzen und
nur dann finden unsere Unterhändler den Rückhalt für ihre schweren Aufgaben am
Verhandlungstisch.52 Hindenburg forderte von Max von Baden, dass jedem Deutschen
die furchtbaren Folgen eines Friedens um jeden Preis klar und deutlich vor Augen ge-
führt werden und dass es nur zwei Möglichkeiten gebe, den Krieg zu beenden, nämlich
entweder ein [e]hrenvoller Friede oder Kampf bis zum Äußersten.53
In die gleiche Richtung argumentierte Ludendorff, als er am 17. Oktober 1918
an einer Besprechung beim Reichskanzler für die Oberste Heeresleitung Auskunft über
die militärische Lage geben musste.54 Von den Bedenken, die die OHL zu Beginn des
Monats noch geäußert hatte, blieb dabei nicht mehr viel übrig. Auf die Eingangsbemer-
kung Max von Badens, dass es am dritten Oktober der dringliche Wunsch der Obersten
Heeresleitung war, dass wir die Friedensnote und das Waffenstillstandsersuchen an den
Präsidenten Wilson gerichtet haben, warf Ludendorff zunächst lapidar ein, dass man im
Krieg Soldatenglück benötige, und vielleicht bekommt Deutschland doch auch wieder
einmal Soldatenglück.55 Ferner kommt [es] für den Kriegsverlauf darauf an, was uns die
Heimat noch gibt. Es ist eine Menschenfrage.56 Für den Fall, dass Deutschland bei ei-
nem Abzug von Truppen aus dem Osten zur Stabilisierung der Westfront den Osten
bolschewistischem Einfluss überlasse, argumentierte Ludendorff: Auch das müssen wir
in Kauf nehmen. Ist die Räumung nötig oder nicht nötig für Deutschland? Wenn ja,
muss sie gemacht werden, trotz aller schauderhaften Folgen.57 Weiterhin stimmte er
Kriegsminister Scheüch zu, der die Mobilisierung von 600.000 weiteren Soldaten als
durchaus möglich darstellte: Hätten wir diese günstigen Zahlen schon jetzt gehabt, so
hätten wir die Krise an der Westfront nicht bekommen. Und wenn ich diese Leute be-
komme, sehe ich vertrauensvoll in die Zukunft.58 Im weiteren Verlauf der Sitzung griff
_________________ 50 Hindenburg an Prinz Max von Baden, in: Ursachen und Folgen, Band 2, S. 394. 51 Ebd. 52 Ebd. 53 Ebd. 54 Vgl. Protokollauszug der großen Sitzung beim Reichskanzler am 17. Oktober 1918, in: Ursachen und Folgen, Band
2, S. 401-420. Aufgrund des großen Umfangs des Protokolls wird sich hier auf die zentralen Äußerungen Ludendorffs zur Position der OHL beschränkt.
55 Ebd., S. 401. 56 Ebd., S. 402. 57 Ebd., S. 404. 58 Ebd., S. 406.
3 Hindenburgs politisches Taktieren während der Revolution 16
Ludendorff den von Hindenburg bereits genannten Aspekt der schlechten Stimmung
auf, denn diese Stimmung ist jetzt aus der Heimat ins Heer gekommen … Ich richte die
dringende Bitte an alle Stäbe, dafür zu sorgen, dass die Stimmung in der Heimat geho-
ben wird, und dass der Soldat in Belgien weiß, er verteidigt deutsche Erde.59 Vizekanz-
ler Friedrich von Payer bemerkte zur Abfassung der dritten deutschen Note an Wilson,
dass wenn es gelingt, die Note so zu fassen, dass die Bevölkerung die Sicherheit ent-
nimmt, wir sind zwar in einer schweren Lage, aber wir werfen die Flinte nicht ins Korn
– dann ist noch nicht alles verloren, wozu er Ludendorffs volle Zustimmung bekam.60
Im Folgenden der Sitzung kommentierte Ludendorff die seiner Meinung nach
wesentlich verbesserte Lage so: An der Front ist es der nicht gelungene Angriff des
Feindes von gestern und vorgestern. … Hätte er alles getan, was er konnte, so wären
wir geschlagen gewesen. An dieser Stelle hat sich die Kampffront der Entente nicht auf
der Höhe gezeigt wie bisher.61 Darauf folgte ein Wortwechsel mit dem Reichskanzler:
Der Reichskanzler: Die Lage ist also nicht mehr die selbe wie sie am 3. Oktober war, als wir veranlasst wurden, den Friedensschritt bei Wilson zu tun.
General Ludendorff: Ich habe den Eindruck, ehe wir durch diese Note Bedingungen auf uns nehmen, die zu hart sind, müssen wir dem Feinde sagen: Erkämpft euch solche Bedingungen.
Der Reichskanzler: Und wenn er sie erkämpft hat, wird er uns dann nicht noch schlechtere stellen? General Ludendorff: Schlechtere gibt es nicht. Der Reichskanzler: Oh ja, sie brechen in Deutschland ein und verwüsten das Land. General Ludendorff: Soweit sind wir noch nicht.62
Abschließend beurteilte Ludendorff die Gesamtsituation auf die Frage des
Staatssekretärs Solf, was nun der Grund für den Sinneswandel der Obersten Heereslei-
tung sei. So sei der Grund für die Einschätzungen vom 28. September in erster Linie
Menschenmangel gewesen, aber heute höre ich, dass ich in absehbarer Zeit 600.000
Mann bekommen kann. … Kann ich sie jetzt bekommen, so hört die Vereinsamung der
Armee auf. Trotz der unglücklichen Ereignisse ändert sich die Lage, weil zugleich die
Kampfkraft des Feindes nachlässt. Weiterhin befürwortete Ludendorff das Erreichen
eines Waffenstillstandes, aber nur solche Waffenstillstandsverhandlungen dürfen wir
annehmen, die eine geregelte Räumung des Landes gestatten. … Und dann dürften wir
keine Bedingungen auf uns nehmen, die eine Wiederaufnahme der Feindseligkeiten un-
möglich erscheinen lassen. Das dies die Absicht ist, muss man aber der Note nach ent-
nehmen. Die Bedingungen sollen uns außer Gefecht setzen. Bevor wir uns auf ein weite-
_________________ 59 Ebd., S. 407. 60 Ebd., S. 410. 61 Ebd., S. 418. 62 Ebd.
3 Hindenburgs politisches Taktieren während der Revolution 17
res einlassen, muss der Feind einmal sagen, was denn eigentlich seine Bedingungen
sind.63
3.3 Hindenburgs Verhalten bei der Entlassung Ludendorffs
Nachdem am 24. Oktober 1918 die dritte Note Woodrow Wilsons beim Reichs-
kanzler eingegangen war, die einen Waffenstillstand nur unter der Prämisse eines
kampfunfähigen Deutschlands ermögliche und dass dieser nicht mit der bisherigen Mili-
tärführung und der monarchistischen Reichsleitung ausgehandelt werden könne,64 gab
Hindenburg am Abend des 24. Oktober ein Telegramm an die Armeen aus, in dem er
seine Haltung dazu kundgab. Er fasste Wilsons Note insoweit zusammen, dass
der Waffenstillstand … aber Deutschland militärisch so wehrlos machen [müsse], dass es die Waffen nicht mehr aufnehmen könne. Über einen Frieden würde er mit Deutschland nur verhandeln, wenn dieses sich den Forderungen der Verbündeten in Bezug auf seine innere Gestaltung völlig füge, andernfalls gebe es nur die bedingungslose Unterwerfung. Die Antwort Wilsons fordert die militärische Kapitulation. Sie ist deshalb für uns Soldaten unannehmbar. … Wilsons Antwort kann daher für uns Soldaten nur die Auf-forderung sein, den Widerstand mit äußersten Kräften fortzusetzen.65 Am gleichen Tag schickte Hindenburg außerdem noch ein Schreiben an Max von Ba-
den, in dem er ausdrückte, dass ich in den letzten Reichstagsreden einen warmen Aufruf
zugunsten und für die Armee schmerzlich vermisst habe, ebenso wie den fehlenden Auf-
ruf ans Heer, überzeugt weiterzukämpfen: Zur Führung der nationalen Verteidigung
braucht die Armee nicht nur Menschen, sondern den Geist der Überzeugung für die
Notwendigkeit, zu kämpfen. Es sei Aufgabe des Reichskanzlers, dieser heiligen Aufgabe
zu entsprechen.66
Am darauf folgenden Tag ließ die Reichskanzlei die Weiterverbreitung des Te-
legramms an die Armeen jedoch stoppen, als sie von dessen Existenz erfuhr.67 Die Auf-
zeichnungen des Oberst Hans von Haeften geben Auskunft über die Gespräche in Ber-
lin, zu denen Ludendorff und Hindenburg am 25. Oktober aufgebrochen waren, um ihre
Position gegenüber Reichsleitung und Kaiser durchzusetzen. Für den Fall, dass sich die
Reichsleitung gegen einen Abbruch der Verhandlungen mit Wilson entscheiden würde,
so Haeften im Generalstabsgebäude vor Vertretern der Marine und des Heeres, sei es
notwendig, dass der Generalfeldmarschall und General Ludendorff um ihre Entlassung
_________________ 63 Ebd., S. 419. 64 Vgl. Antwortnote des amerikanischen Präsidenten Wilson an die deutsche Regierung vom 23. Oktober 1918, in:
Ursachen und Folgen, Band 2, S. 429-431. 65 Der Chef des Generalstabs des Feldheeres Generalfeldmarschall von Hindenburg an die Armeen, in: Amtliche Ur-
kunden, S. 196. 66 Hindenburg an Reichskanzler Prinz Max von Baden, in: Ursachen und Folgen, Band 2, S. 432. 67 Hindenburg an die Armeen, in: Amtliche Urkunden, S. 196., Anm. der Reichskanzlei darunter.
3 Hindenburgs politisches Taktieren während der Revolution 18
bäten, um hierdurch den Kaiser zu einer schnellen und bestimmten Stellungnahme in
dieser für die Krone entscheidenden Frage zu veranlassen.68 Ludendorff pflichtete von
Haeften bei und kündigte seinen Abschied für den Fall an, dass die Verhandlungen mit
Wilson fortgeführt würden, Hindenburg behielt sich allerdings seine Entscheidung vor.69
Anschließend trugen Hindenburg und Ludendorff ihr Anliegen, die Verhandlungen ab-
zubrechen, Wilhelm II. vor, dieser wich jedoch einer Entscheidung aus und verwies sie
an den Prinzen Max.70 Eine Unterredung mit Vizekanzler von Payer, der den erkrankten
Reichskanzler vertrat, und Kriegsminister Scheüch am selben Abend verlief völlig er-
gebnislos, und Ludendorff äußerte im Anschluss an die Sitzung gegenüber von Haeften,
[j]etzt ist Deutschland verloren, ich werde morgen meine Entlassung erbitten.71
Am Morgen des 26. Oktober wurden Ludendorff und Hindenburg beim Kaiser
vorstellig, der sogleich schwere Vorwürfe wegen des Waffenstillstandsangebotes und
vor allem wegen des Heeresbefehls vom 24. Oktober72 [erhob]73, die er gegen Luden-
dorff richtete. Daraufhin bat Ludendorff um seinen Abschied, den der Kaiser jedoch zu-
nächst ablehnte, nur um darauf seine Vorwürfe zu wiederholen und außerdem noch „die
von General Ludendorff geduldete Generalstabswirtschaft“ zu tadeln, wegen der er das
Vertrauen zum Generalstab verloren habe.74 Hindenburg hingegen schwieg zu den
schweren Vorwürfen gegen den Generalstab, dessen Chef er war.75 Ludendorff wieder-
holte sein Entlassungsgesuch, und der Kaiser bewilligte ihm dies mit den Worten: „Na,
wenn Sie durchaus gehen wollen, dann meinetwegen.“76 Nun äußerte auch Hindenburg
sein Entlassungsgesuch, was der Kaiser jedoch kurzerhand mit den Worten „Sie blei-
ben“ ablehnte, was Hindenburg prompt akzeptierte und damit den Zorn Ludendorffs auf
sich zog, denn Hindenburg habe ihn „in dieser entscheidenden Stunde im Stich gelas-
sen.“77 Der Generalfeldmarschall begründete diesen Schritt damit, dass er [i]n dieser
großen Not des Vaterlandes [geglaubt habe] es nicht verantworten zu können, den Kai-
_________________ 68 Oberst von Haeften über den Aufenthalt Hindenburgs und Ludendorffs in Berlin am 25./26. Oktober und die Ent-
lassung des Ersten Generalquartiermeisters, in: Matthias und Morsey, Regierung, S. 361. 69 Ebd. 70 Ebd. 71 Ebd., S. 362. 72 Gemeint ist das zu Beginn dieses Unterkapitels dargestellte Telegramm an die Armeen. 73 Oberst von Haeften über den Aufenthalt Hindenburgs und Ludendorffs in Berlin am 25./26. Oktober und die Ent-
lassung des Ersten Generalquartiermeisters, in: Matthias und Morsey, Regierung, S. 363. 74 Ebd. 75 Ebd. 76 Ebd., S. 364. 77 Ebd.
3 Hindenburgs politisches Taktieren während der Revolution 19
ser im Stich zu lassen, so schmerzlich es ihm auch sei, sich von General Ludendorff zu
trennen.78
3.4 Hindenburgs Agieren bei der Abdankung des Kaisers
Hindenburg überzeugte den Kaiser am 29. Oktober 1918, dass er sich aufgrund
der lauter werdenden Stimmen bezüglich seiner Abdankung besser im Großen Haupt-
quartier in Spa aufhalten solle. Eine Originalquelle liegt hier nicht vor, die Erinnerun-
gen Oberst von Haeftens spiegeln jedoch wider, dass Hindenburg aller Wahrscheinlich-
keit nach für diesen Schritt verantwortlich zeichnete: Offenbar, um dem Kaiser den Ein-
fluss des Kabinetts, das auf Abdankung drang, zu entziehen, hat der Feldmarschall die
Reise des Kaisers nach Spa anscheinend veranlasst.79 Hindenburg gelang es, diese Ak-
tion ohne vorherige Verständigung des Reichskanzlers80 durchzuführen und den Kaiser
auch am 5. November 1918 im Hauptquartier zu halten. Nachdem er zuvor sein Einver-
ständnis zu einer Rückkehr Wilhelms II. nach Berlin gegeben hatte, erfuhr Haeften,
dass der Feldmarschall seine Zustimmung zu einer vorübergehenden Rückkehr des Kai-
sers wieder [zurückgezogen hatte] und sich auch nicht mit einem kurzen 24stündigen
Aufenthalt des Kaisers in Berlin einverstanden erklären [könne].81
Über die Ereignisse am 9. November im Großen Hauptquartier in Spa ist kein
unmittelbares Protokoll verfasst worden. Erst am 27. Juli 1919 erschien in der Presse
eine Denkschrift über die Vorgänge, die der Führer der konservativen Fraktion, Graf
Kuno von Westarp, in Absprache mit allen Beteiligten verfasste.82 Nachdem ab dem 3.
November in Kiel die Matrosenaufstände ihre Bahn gebrochen hatten und sich auch in
anderen Hansestädten revolutionäre Strömungen ausbreiteten und den Weg nach Berlin
suchten, kam der am 5. und 6. November in Berlin weilende Erste Generalquartiermeis-
ter Wilhelm Groener zu der Ansicht, dass die Abdankung des Kaisers und Kronprinzen
angesichts der Entwicklung in der Heimat kaum länger werde aufgehalten werden kön-
nen.83 Wilhelm II. hingegen war der Ansicht, dass seine Abdankung die Zersetzung des
Volkes und Heer nach sich ziehen würde und äußerte am 8. November … die Absicht,
_________________ 78 Ebd. 79 Nachlass Haeften, Erinnerungen, abgedruckt in: Matthias und Morsey, Regierung, S. 429, Anm. 4. 80 Ebd. 81 Oberst von Haeften über die Ankunft des Generals Groeners in Berlin am 5. November, in: Matthias und Morsey,
Regierung, S. 525. 82 Denkschrift über die Vorgänge des 9. November 1918 im Großen Hauptquartier in Spa, in: Ursachen und Folgen,
Band 2., S.580-590. Diese Version gilt als „beschönigt“ (Anm. ²) unter dem Abdruck). In Kapitel 4. dieser Arbeit wird darauf näher eingegangen.
83 Ebd., S. 581.
3 Hindenburgs politisches Taktieren während der Revolution 20
an der Spitze des Heeres die Ordnung in der Heimat wieder herzustellen.84 Am selben
Abend wiederholte Groener in einer Lagebesprechung mit Hindenburg und General-
oberst von Plessen seine Eindrücke und beurteilte den Plan eines Vormarsches gegen
die Heimat als aussichtslos, und Hindenburg schloss sich dessen Einschätzung an.85
Am Morgen des 9. November 1918 hielten Hindenburg und Groener vor dem
Kaiser und einer Reihe hochrangiger Militärs einen militärischen Vortrag über die Lage,
zu dessen Beginn Hindenburg den Kaiser um seine Entlassung bat, weil ihm der Gedan-
ke … schwer fiel, seinem Kriegsherrn von einem Entschluss abraten zu müssen, den er
dem Herzen nach freudig begrüßte, dessen Ausführung er nach reiflicher Überlegung
als unmöglich bezeichnen musste.86 Der Kaiser behielt sich die Entscheidung darüber
jedoch vor. Groener unterrichtete den Kaiser von seiner und Hindenburgs Überzeugung,
zu der sie am Vorabend gelangt waren, während General Graf von der Schulenburg die
Auffassung Plessens teilte und die Absicht des Kaisers, gegen die Heimat zu marschie-
ren, für durchführbar erachtete und dass der Bürgerkrieg … vermieden werden [könne],
wenn schnell und energisch zuverlässige Truppen eingesetzt würden.87 Wieder blieben
Groener und Hindenburg bei ihrer Meinung, der Bürgerkrieg könne durch [die Rat-
schläge Schulenburgs und Plessens] nicht vermieden werden und verwiesen auf die nö-
tige Ruhe, die das Heer jetzt benötige bei der gleichzeitig auftretenden Problematik,
dass die Entente schwerlich Zeit für diese Ruhepausen lassen würde.88 Wilhelm II. ent-
schied sich letztendlich dafür, sein Vorhaben aufzugeben und stattdessen nach ge-
schlossenem Waffenstillstand in friedlicher Weise an der Spitze des Heeres in die Hei-
mat zurückzukehren, was Groener ihm aber als ebenso illusorisch darstellte: „Das Heer
wird unter seinen Führern und Kommandierenden Generalen in Ruhe und Ordnung in
die Heimat zurückmarschieren, aber nicht unter dem Befehl Eurer Majestät, denn es
steht nicht mehr hinter Eurer Majestät!“89
Gegen 13 Uhr erschien Oberst Heye von der OHL, um den Kaiser über das Er-
gebnis einer Besprechung mit 39 Generalen aus verschiedenen Heeresgruppen zu unter-
richten. Hindenburg hatte Heye dazu beauftragt, zwei Fragen zu erörtern: 1. Wie steht
die Truppe zum Kaiser? Wird es möglich sein, dass der Kaiser an der Spitze der Trup-
_________________ 84 Ebd. 85 Ebd., S. 582. Von Plessen war diametral gegensätzlicher Ansicht, Hindenburg und Groener blieben jedoch bei ih-
rer Einschätzung. 86 Ebd., S.583. 87 Ebd. 88 Ebd., S. 583f. 89 Ebd., S. 584.
3 Hindenburgs politisches Taktieren während der Revolution 21
pen die Heimat im Kampf wieder erobert?, und 2. Wie steht die Truppe zum Bolsche-
wismus? Wird sie den Kampf mit der Waffe gegen die Bolschewisten in der Heimat auf-
nehmen?90 Heye verneinte beide Fragen und kam zu dem Fazit, das Heer marschiert un-
ter seinen Generalen allein geordnet nach Hause; es ist in jeder Beziehung noch fest in
der Hand seiner Führer. Und wenn Eure Majestät mit ihm marschieren, so ist das der
Truppe recht und ihr eine Freude. Nur kämpfen will das Heer nicht mehr, weder nach
innen noch nach außen.91
Hindenburg äußerte während der Diskussionen, die im Park des Großen Haupt-
quartiers stattfanden, den Kaiser vorübergehend nach Holland zu evakuieren, falls sein
Verbleiben im Großen Hauptquartier nicht mehr möglich sei.92 Zu den ebenfalls disku-
tierten Abdankungsforderungen, die bereits gegen Mittag aus der Reichskanzlei in Ber-
lin eingegangen waren, gab der Feldmarschall seiner Entrüstung über diese Zumutung
Ausdruck und … dass weder der Reichskanzler noch der Reichstag das Recht hätten,
die Abdankung seiner Majestät als König von Preußen zu fordern.93 Wilhelm II. signali-
sierte schließlich Bereitschaft dazu, um Blutvergießen zu vermeiden,94 … als deutscher
Kaiser abzudanken, nicht aber als König von Preußen, … um zu vermeiden, dass durch
den bei seiner Abdankung erfolgenden Abgang der Mehrzahl der Offiziere die Armee
führerlos werde und sich auflöse.95 Hindenburg solle im Falle der Abdankung Wilhelms
als Kaiser den Oberbefehl über das Heer … übernehmen, Wilhelm selbst würde bei den
preußischen Truppen bleiben.96
Dass es dazu nicht kam, war dem Reichskanzler geschuldet. Während im Gro-
ßen Hauptquartier an einer entsprechenden Erklärung gearbeitet wurde, hatte Max von
Baden bereits die Abdankung Wilhelms II. als Kaiser u n d König verkündet.97 Wil-
helm II. verwahrte sich entschieden dagegen, aber nach einer Lagebesprechung in
Hindenburgs Wohnung wurde … verneint, dass militärische Mittel zur Verfügung stän-
den, um die in Berlin ausgesprochene Abdankung rückgängig zu machen; ferner wurde
nach Abwägung mehrerer Kriterien als äußerster Ausweg der Übertritt (Wilhelms II.)
in das neutrale Ausland bezeichnet und hierfür Holland am geeignetsten genannt. Zu
_________________ 90 Ebd., S. 585. 91 Ebd. 92 Ebd. 93 Ebd., S. 586. 94 Mit einem drohenden Bürgerkrieg wurden die Abdankungsforderungen aus der Reichskanzlei begründet; Berlin
flösse in Blut und werde bereits von heftigen Straßenkämpfen heimgesucht. Vgl. dazu Ebd., S.586. 95 Ebd. 96 Ebd.. 97 Beide Erklärungen finden sich ebd., S. 570.
3 Hindenburgs politisches Taktieren während der Revolution 22
einem bestimmten Entschluss kam es jedoch nicht.98 Daher verließ Hindenburg den Kai-
ser um 5 Uhr nicht mit dem Gefühl dauerhafter Trennung, sondern in der festen Über-
zeugung, seinen Kaiserlichen und Königlichen Herrn am nächsten Tage wiederzusehen
und seine endgültigen Befehle entgegenzunehmen.99
Auch dazu kam es nicht mehr. Hindenburg erfuhr erst am nächsten Morgen von
der Abreise des Kaisers, nachdem diese auf Drängen Staatssekretär von Hintzes längst
durchgeführt worden war.100
_________________ 98 Ebd., S. 588-589. 99 Ebd., S. 589. 100 Vgl. ebd.
4 Gründe und Motive für Hindenburgs Taktieren 23
4 Gründe und Motive für Hindenburgs Taktieren
Im Betrachten der dargestellten Handlungsmuster Hindenburgs stellt sich die
Frage, warum Hindenburg die Ereignisse unbeschadet überstehen konnte. Zunächst
bleibt festzuhalten, dass Hindenburg grundsätzlich pragmatisch handelte und sein Pri-
märziel, auch künftig für politische Aufgaben einsetzbar zu sein und gleichsam dabei
seinen heldenhaften Ruf im Volk nicht aufs Spiel zu setzen, nie aus den Augen verlor.
Allerdings gestalteten sich die sechs Wochen von Ende September bis zum neunten
November 1918 für den Generalfeldmarschall als Vabanquespiel für sein Verbleiben
auf seinem Posten und auch für seinen Ruf.
Mit der Forderung, zunächst eine neue Reichsregierung einzusetzen und diese
mit der Aushandlung von Waffenstillstandsbedingungen zu beauftragen, löste die
Oberste Heeresleitung – Ludendorff und Hindenburg waren sich in der Sache einig –
eine Ereigniskette aus, an deren Ende das Ende der Monarchie in Deutschland stand.
Dass Hindenburg damit nicht belastet wurde, ist mehreren Gründen geschuldet. Zum ei-
nen kam ihm zu Gute, dass Ludendorff als Feldherr im Verlauf des letzten Kriegsjahres
auch in der öffentlichen Wahrnehmung in den Vordergrund trat,101 obwohl dieser eigent-
lich schon seit „Tannenberg“ für die militärische Arbeit des Duos verantwortlich zeich-
nete, während Hindenburg dessen Planungen mehr oder weniger nur abzusegnen
brauchte. Damit fiel Ludendorff auch die Verantwortung für die missglückten Offensi-
ven im Frühjahr und im Sommer zu, und dementsprechend wurde dessen Leistung in
der öffentlichen Wahrnehmung bewertet, wenngleich die Aktionen militärisch-
handwerklich durchaus nachvollziehbar waren und auch zum Erfolg hätten führen kön-
nen.102
Die Oberste Heeresleitung gestand am 28. September also die Kriegsniederlage
ein, und um unbeschadet aus diesem Eingeständnis hervorzugehen, reiste Hindenburg
am 2. Oktober nach Berlin, um an den politischen Weichenstellungen der kommenden
Tage mitzuwirken. Dies waren in erster Linie die Bildung einer neuen Reichsregierung
und die Formulierung des Friedensangebotes an US-Präsident Woodrow Wilson. Die
Reichsregierung wurde unter den Vorsitz des badischen Thronfolgers Prinz Max ge-
stellt, der jedoch entgegen der Auffassung der Obersten Heeresleitung ein Friedensan-
gebot für überstürzt erachtete. Hindenburg schaffte es jedoch, den Reichskanzler zu
_________________ 101 Pyta, Hindenburg, S. 325. 102 Vgl. ebd., S. 326-334. Pyta schildert hier die Ereignisse der März- und Sommeroffensiven.
4 Gründe und Motive für Hindenburgs Taktieren 24
überzeugen, indem er ihm in seinem Schreiben vom 3. Oktober103 den Ernst der militäri-
schen Lage klar machte. Nichtsdestotrotz hatte das Ansehen der Obersten Heeresleitung
Schaden genommen, und zwar in zweierlei Hinsicht. Erstens konnte ihr die Kriegsnie-
derlage angelastet werden, und zweitens wurde ihr der Versuch angelastet, „die neue
politische Führung zu überrumpeln und auf die sofortige Einleitung von Friedensver-
handlungen festzulegen.“104 Dieser Autoritätsverlust brachte dem politisch schwach ge-
stellten Kaiser neue Handlungsspielräume. Wenn er die Parlamentarisierung der Mo-
narchie überzeugend mittrug, so bedeutete dies zwar gravierende Einschnitte in seiner
eigenen Macht, allerdings auch gleichzeitig eine Schwächung der Obersten Heereslei-
tung. Bislang hatte der Kaiser als Oberster Kriegsherr die Nähe des Heeres gesucht, eine
Anlehnung ans Parlament hätte ihn vom politischen Führungsanspruch der Obersten
Heeresleitung emanzipiert.105
Die neue Reichsregierung nutze dies aus und Max von Baden bestellte einige
Armeeführer nach Berlin, um sich in Abwesenheit der Obersten Heeresleitung ein Bild
der Lage geben zu lassen. Dieser offene Affront zeigte deutlich, dass die Reichsregie-
rung versuchte, die Position der Obersten Heeresleitung zu schwächen. Hindenburg
antwortete daraufhin am 12. Oktober mit einer Rücktrittsdrohung.106 Für den Fall, dass
Ludendorff entlassen werde, kündigte auch Hindenburg seinen Abschied an. Problema-
tisch für Hindenburg war nun jedoch die Tatsache, dass der Krieg verloren war und sei-
ne militärische Unersetzbarkeit infrage gestellt war, im Gegensatz zum Zeitpunkt der
Entlassung Bethmann-Hollwegs beispielsweise. Die militärische „Initiative war auf die
neue Reichsregierung übergegangen, die den Kaiser mit zunehmendem Erfolg für ihre
Position einnehmen konnte.“107
Der Grund für den in Kapitel 3.2 dargelegten Umschwung der Obersten Heeres-
leitung liegt in der zweiten Note108 des US-Präsidenten Wilson, die am Morgen des 14.
Oktober in der Reichskanzlei eintraf. Bevor ernsthafte Waffenstillstandsverhandlungen
beginnen könnten, verlangte Wilson die Einstellung des uneingeschränkten U-
Bootkrieges. Die Militärs sahen hierin eine diplomatische Option, die in den Waffen-
stillstandsverhandlungen gezogen werden sollte und nicht bereits davor. Die Oberste
_________________ 103 Vgl. oben, Anm. 48. 104 Pyta, Hindenburg, S. 339. 105 Ebd. 106 Ebd., S. 340. 107 Ebd. 108 Vgl. Antwortnote des amerikanischen Präsidenten Wilson an den deutschen Reichskanzler vom 14. Oktober 1918,
in: Ursachen und Folgen, Band 2, S. 393 f.
4 Gründe und Motive für Hindenburgs Taktieren 25
Heeresleitung ließ es somit auf die direkte Konfrontation mit der Reichsregierung hin-
auslaufen und argumentierte bereits zu diesem Zeitpunkt mit den Grundzügen der späte-
ren Dolchstoßlegende. Sowohl Hindenburg in seinem Telegramm an Max von Baden
vom 14. Oktober als auch Ludendorff in der großen Sitzung beim Reichskanzler be-
mängelten die Innere Zerrissenheit und die schlechte Stimmung im Heer, die allein auf
die Gefühlslage in der Heimat zurückzuführen sei. Daher liege die Hauptschuld für die
vertrackte militärische Situation nicht beim tapfer kämpfenden Heer, sondern in der
Heimat, die alle nötige Unterstützung für die Armee vermissen ließe. Durch diese Ar-
gumentation versuchten die Feldherren, die Verantwortung an der eingestandenen
Kriegsniederlage der politischen Führung in Berlin anzulasten und sich selbst von aller
Schuld freizusprechen. Dies gipfelte am 20. Oktober in der Rücktrittsdrohung des
Reichskanzlers, die den Kaiser dazu veranlasste, die Anweisung an die Heeres- und Ma-
rineleitung auszusprechen, ihre Bedenken aufzugeben und sich auf die Bedingungen
Wilsons einzulassen.109
Hier zeigte sich deutlich der Machtverlust der Obersten Heeresleitung. Wilhelm
II. hatte sich auf die parlamentarische Regierungsform eingelassen und damit die militä-
rische Führung diszipliniert. Der Machtzuwachs von Reichstag und politischen Parteien
im Oktober 1918 hatte den Einfluss des Kaisers auf die Zusammensetzung der Reichs-
regierung zwar stark eingeschränkt, sein Weisungsrecht gegenüber den Militärs behielt
er als Oberster Kriegsherr jedoch. Wenn jetzt der Kaiser davon im Sinne der Reichsre-
gierung Gebrauch machte, war die militärische Führung der Einigkeit der legalen Herr-
schaft ausgesetzt und politisch nicht sehr mächtig.110
Da sich Hindenburg auch unter veränderten politischen Umständen für herr-
schaftliche Funktionen vorsah, blieb ihm am 26. Oktober keine andere Wahl, als sich
von seinem Weggefährten Ludendorff zu separieren, wenn er diese Möglichkeit auf-
recht erhalten wollte. Wilson hatte in seiner dritten Note111 an die Reichsregierung die
grundlegende Umgestaltung des deutschen Reichs gefordert. Er wollte nicht mit den
monarchischen Autokraten und den militärischen Herrschern112 verhandeln, sondern nur
mit einer dem deutschen Volk verantwortlichen Regierung. Weiterhin verlangte Wilson
eine starke Schwächung der deutschen Kampfkraft, eine für Militärs nur schwer zu ak-
zeptierende Forderung. Ferner hätte dies eine Auslieferung an den Willen der Sieger-
_________________ 109 Pyta, Hindenburg, S. 343. 110 Ebd. 111 Vgl. oben, Anm. 64. 112 Ebd.
4 Gründe und Motive für Hindenburgs Taktieren 26
mächte bedeutet. Aus diesem Grund verfasste Hindenburg sein in Kapitel 3.3 vorge-
stelltes Telegramm an die Armeen, in der er die Fortführung der Kämpfe anordnete. Mit
seinem Schreiben an Max von Baden versuchte er weiteren Druck auf die Regierung
auszuüben und ihnen nochmals die Verantwortung an der misslichen militärischen Lage
vorzuwerfen. Sowohl Armeebefehl als auch die Nachricht an den Reichskanzler „konn-
ten nur als offene Kampfansage an die Reichsregierung verstanden werden.“113 Hinden-
burg und Ludendorff unternahmen somit den letzten Versuch, den Kaiser von ihrem
Standpunkt, die Gespräche mit Wilson abzubrechen, zu überzeugen.
Mit ihrer schärfsten Waffe, nämlich der Rücktrittsdrohung, hatten Ludendorff
und Hindenburg es bereits im Juli 1917 geschafft, den Kaiser zur Entlassung des
Reichskanzlers gegen dessen innere Überzeugung zu veranlassen. Da ihr Versuch vom
25. Oktober ins Leere lief, suchte Ludendorff einen Tag später den Kaiser um seinen
Abschied nach, den er im zweiten Anlauf auch erhielt (vgl. Kap. 3.3). Dass Hindenburg
dagegen im Endeffekt seinen Posten nicht verließ, ist allerdings nicht mit dessen Erklä-
rung zu begründen, er könne den Kaiser in dieser Situation nicht im Stich lassen. Einer-
seits ging es Hindenburg vielmehr um seine eigene p o l i t i s c h e Zukunft, anderer-
seits waren die Mitglieder der Reichsregierung überhaupt nicht darauf erpicht,
Hindenburgs Entlassung zu erwirken.114 Für die Reichsregierung machte ihn seine sym-
bolische Kraft zu der Person, die den Übergang vom alten Regime zur parlamentari-
schen Monarchie abfedern sollte. Damit wurde ein politisches Signal an das stark ver-
unsicherte Heer gesendet, welches durch die Konstante Hindenburg beruhigt werden
sollte und von politische Unruhen nach bolschewistischem Vorbild unbedingt verwahrt
bleiben sollte. Außerdem war ein intaktes Heer als militärischer Faktor von existenziel-
ler Bedeutung für die anstehenden Waffenstillstandsverhandlungen.115
Nach militärischen Ehrbegriffen jedoch hätte Hindenburg sich vor seinen Ersten
Generalquartiermeister Ludendorff stellen und ihm zur Seite springen müssen. Norma-
lerweise war es so, dass der ranghöhere Militär – in diesem Falle also Hindenburg – die
Verantwortung für die Verfehlungen des Untergebenen übernahm und konsequenter
Weise ebenfalls auf seinem Abschied bestehen bleiben müsste. Da er jedoch politisch
weiter agieren wollte, machte er sich Ludendorffs aufbrausendes Temperament zu Nut-
_________________ 113 Pyta, Hindenburg, S. 345. 114 Vgl. dazu die Aufzeichnungen Haeftens, wie Anm. 68, S. 364: Ich meldete dem Prinzen (Max von Baden) die
Entlassung des Generals Ludendorff. Alle Anwesenden (u.a. Vizekanzler Payer, Staatssekretäre Solf und Roedern) stürmten, erregt aufspringend, mit den Worten auf mich ein: „und Hindenburg?“ „Der bleibt“, erwi-derte ich kurz. Ein lebhaftes „Gott sei Dank“ aller Anwesenden war die Antwort.
115 Pyta, Hindenburg, S. 348.
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ze und behauptete, dieser habe seinen Abschied dadurch provoziert, dass er auf sachli-
che Kritik des Kaisers überzogen reagiert und beleidigt um seinen Abschied gebeten
habe.116 Einmahl mehr betätigte sich Hindenburg als Interpret der Ereignisse, indem er
eine Version der Ludendorff-Entlassung zu seinen Gunsten weiterverbreitete.117
Hindenburg kam also unbeschadet aus der Krise heraus, während Ludendorff al-
len Unmut auf sich zog und nun auch für die permanente Einmischung der Obersten
Heeresleitung in die Politik verantwortlich gemacht wurde. Ludendorffs Entlassung
bewahrte Hindenburg also einerseits vor einem Schuldeingeständnis in Sachen Kriegs-
niederlage, andererseits eröffnete sich ihm nun die Aufgabe, dem Feldheer den schwie-
rigen Gang in die parlamentarische Monarchie zu vermitteln. Militärisch blieben ihm
ferner noch die Aufgaben, die Kampfkraft der Truppen bis zum Waffenstillstand auf-
recht zu erhalten und danach für die geordnete Überführung des Heeres ins Reich zu
sorgen – also Aufgaben, die kein großes militärisches Geschick mehr benötigten. Aber
dadurch, dass sich Hindenburg der Reizfigur Ludendorff entledigt hatte, hatte er von
Seiten der Reichsregierung keine Gefahr mehr für seine Position zu befürchten. Dazu
kam, dass Hindenburg mit Wilhelm Groener einen Mann, der als Idealbesetzung für den
Posten des Ersten Generalquartiermeisters unter den Voraussetzungen der parlamentari-
schen Monarchie galt, tatsächlich als Nachfolger für Ludendorff auswählte, und er da-
mit ein weiteres Zeichen gab, die neue Staatsform anzuerkennen und aktiv in ihr mit-
wirken zu wollen.118
Ab Ende Oktober wurden die Rufe nach der Abdankung des Kaisers immer lau-
ter, was Hindenburgs Position an der Spitze der OHL potenziell infrage Stellen konnte.
Für den Fall, dass Wilhelm II. seinen Thron mit Waffengewalt verteidigen wollte, wäre
die Remilitarisierung für die Position des Chefs des Generalstabs des Feldheeres not-
wendig geworden, wofür Hindenburg schon lange nicht mehr in Frage kam.119 Hinzu
kam, dass Wilhelm II. Hindenburg nicht mehr allein das Feld der „Repräsentanz der Na-
tion überlassen wollte“: Der Kaiser überlegte, in der Tradition Friedrich Wilhelms III.
sein Volk zu einer „nationalen Kraftanstrengung“ aufzufordern; er begab sich also in
die Rolle, welche Hindenburg seit „Tannenberg“ ausgeführt hatte, in der Hoffnung, da-
durch die Monarchie zu retten.120 Um sich also vollends aus der Okkupation der Obers-
_________________ 116 Vgl, Ebd., S. 350 f. 117 Ebd., S. 351. Dies bezieht sich in erster Linie auf militärische Kreise, auf die Hindenburgs Nicht-Rücktritt zumin-
dest befremdlich gewirkt hatte (vgl. Pyta, Hindenburg, S. 350.). 118 Vgl. Ebd., S. 352 f. 119 Ebd., S. 354. 120 Ebd., S. 354 f.
4 Gründe und Motive für Hindenburgs Taktieren 28
ten Heeresleitung zu befreien, legten Wilhelms Berater in dieser Sache, die Generale
Gallwitz und Mudra, „ihre Initiative als Gemeinschaftsaktion von Kaiser und Reichsre-
gierung“ an, was die OHL von beiden isoliert und für Hindenburg speziell einen Verlust
seiner Autorität als Verkörperung der nationalen Einheit bedeutet hätte.121
Hindenburg kam zu Gute, dass die Reichsregierung auf die Initiative der beiden
Generale nur verhalten reagiert hatte, da ein gemeinsamer derartiger Appell nur mit dem
Abbruch der Verhandlungen mit Wilson einher gehen konnte. Dies hätte für Hinden-
burg den Verlust seiner Position nach sich gezogen, da er für militärische Aufgaben
nicht mehr geeignet war und seinen militärischen Kopf Ludendorff drei Tage zuvor hat-
te opfern müssen, um eben auf seiner Position als Chef des Generalstabs des Feldheeres
verbleiben zu können. Ludendorffs Nachfolger Groener war ein bürokratischer Militär,
der zuvor im Kriegsministerium gearbeitet hatte, sehr fähig auf diesem Gebiet, aber
kein Mann, der auf dem Schlachtfeld die Fäden ziehen konnte.
Daher verhielt sich Hindenburg so wie in Kapitel 3.4 dargestellt: er lotste den
Kaiser von Potsdam nach Spa, um das Zusammenspiel von Krone und Regierung zu sa-
botieren, bevor letztere womöglich auf die Vorschläge Gallwitz’ und Mudras eingegan-
gen wäre. Dass Wilhelm II. Hindenburgs Appell nachfolgte, ist mit dessen Wankelmü-
tigkeit zu erklären: Hindenburg dürfte dem Kaiser die Reise nach Spa damit schmack-
haft gemacht haben, dass er sich dadurch den Abdankungsforderungen fürs erste entzie-
hen konnte, außerdem war das Heer immer noch eidlich an seine Person gebunden und
stellte damit „das einzige dem Kaiser verbliebene Machtinstrument dar.“122 Außerdem
argumentierte Wilhelm II., dass das Heer auseinander fiele, würde man ihm seinen
Obersten Kriegsherrn nehmen. Am 1. November wurde Wilhelm dann direkt von der
Reichsregierung dazu aufgefordert, freiwillig abzudanken. Wilhelm verneinte dies mit
dem Hinweis auf die von ihm vorgebrachte Argumentation. In diesem Zusammenhang
sprang Hindenburg dem Kaiser zur Seite. Zwar war er nicht mehr die militärische Auto-
rität, dennoch blieb er als moralische Größe wichtig. Auch Groener teilte seine Ansicht,
dass der Kaiser eine funktionale Unersetzbarkeit für das Heer besitze.123
Dennoch wirkte Hindenburg schlussendlich auf die Abdankung Wilhelms II.
hin. Im Verlauf der Novembertage musste er sich mit dem Gedanken vertraut machen,
dass der Thron nicht zu retten war. Durch die sich von Kiel ausbreitende Matrosenre-
volte sah sich die Oberste Heeresleitung gezwungen, eine Delegation zum Oberbefehls-
_________________ 121 Ebd., S. 355. 122 Ebd., S. 357.
4 Gründe und Motive für Hindenburgs Taktieren 29
haber der Alliierten Foch zu senden, um den Krieg zu beenden, bevor die revolutionären
Truppen Berlin erreichten. Allerdings wurde in Person von Staatssekretär Matthias Erz-
berger ein Politiker mit dem Abschluss des Waffenstillstandes beauftragt, obwohl diese
Aufgabe eigentlich Militärs zufällt. Dennoch war Hindenburg hiermit durchaus zufrie-
den, weil er dadurch hoffte, die Waffenstillstandsbedingungen werde man der Reichsre-
gierung und nicht der Obersten Heeresleitung ankreiden.
Wilhelm II. dagegen suchte als letzten Ausweg den militärischen Marsch auf
Berlin, um seinen Thron zu sichern. Sowohl Hindenburg als auch Groener rieten dem
Kaiser wie in Kapitel 3.4 dargelegt von diesem Vorhaben ab mit der Begründung, dass
dieses Vorhaben schlichtweg undurchführbar sei.
Für Hindenburg stellten sich in politischer Hinsicht zwei Aufgaben. Erstens
musste er den Kaiser davon überzeugen, dass der Thronverzicht unvermeidbar sei,
zweitens wollte er selbst nicht damit belastet werden. Dazu berief Hindenburg eine Ver-
sammlung der Truppenkommandeure ein, die dem Kaiser deutlich vor Augen führte,
dass das Frontheer nicht als Bürgerkriegsarmee taugte. Um selbst nicht mit der Abdan-
kung des Kaisers belastet werden zu können, wollte Hindenburg wieder einen Teil der
Verantwortung abwälzen. Folglich wurde Groener zum Überbringer der schlechten
Nachrichten an Wilhelm II., dass das Heer nicht fähig sei für einen Marsch auf Berlin
(vgl. Kap. 3.4).
Damit war die Abdankung Wilhelms als Kaiser besiegelt, die in Kapitel 3.4 dar-
gestellte Version, die der Presse am 27. Juli 1919 zur Verfügung gestellt wurde, ist je-
doch ein Schreiben, das nur mit Zustimmung aller beteiligten Militärs verfasst wurde.
Graf Kuno von Westarp zitiert in seiner Rückschau über die Ereignisse und die Abfas-
sung der Presseerklärung mehrere Quellen, darunter die Generale Marschall und
Schulenburg sowie den Kaiser selbst, die Hindenburgs Verantwortlichkeit an der Abrei-
se des Kaisers in Exil bezeugen.124 Speziell ein Brief Schulenburgs an von Plessen lässt
wenig Zweifel, dass Hindenburg die treibende Kraft in der Sache war. Zware beteuert
Schulenburg darin seine Loyalität zu Hindenburg, diese dürfe jedoch nicht soweit ge-
hen, dass die OHL uns vorschreibt, was wir in unserem Namen vertreten sollen, und
dass unser Protokoll an einzelnen Stellen nicht mehr die Darstellung der nackten Tat-
sachen ist, sondern zu einer Verteidigung und Rechtfertigung der OHL übergeht.125
_________________ 123 Vgl. ebd., S. 358. 124 Westarp, Das Ende der Monarchie, S. 98-115. 125 Ebd., S. 107.
4 Gründe und Motive für Hindenburgs Taktieren 30
Es besteht kein Zweifel, dass Hindenburg die treibende Kraft war „bei einem
Schritt, der wie kein zweiter das Ansehen der Hohenzollernmonarchie ruinierte und
zumindest den letzten Träger der preußischen Krone so diskreditierte, dass Wilhelm II.
selbst bei vielen Ultra-Monarchisten zur persona non grata wurde.“126 Ebenso wenig
Zweifel besteht darüber, dass er sich dessen bei seinem Ratschlag an den Monarchen
durchaus bewusst war. Hindenburg hatte bereits mittags den Oberbefehl über das deut-
sche Heer erhalten, und durch diesen Zug Wilhelms II. war er diesem nicht mehr ver-
antwortlich, und genau dies ließ er den Kaiser durch seinen Rat in aller Deutlichkeit
spüren. Hindenburg hatte sich ideell bereits von der preußischen Monarchie und mit der
Übernahme des Oberbefehls auch „völlig von Wilhelm gelöst.“127 Seine Herrschaft, die
er bis Ende September 1918 faktisch ausüben konnte, wenngleich auch nicht mit dikta-
torischen Zügen, war ohne kaiserliche Autorisierung nicht durchführbar. Mit dessen
Abdankung fiel dieser Aspekt weg. Zum Gang ins Exil überredete ihn Hindenburg je-
doch aus einem entscheidenden Grund: Wilhelm II. war „ein Störfaktor, der die innere
Zerreißprobe des Heeres auslösen konnte, wenn revolutionäre Soldaten aus der Heimat
und antirevolutionäre Einheiten des Frontheeres wegen des Kaisers in die Auseinander-
setzung gerieten“128, und Hindenburg setzte alles daran, die Einheit des Heeres nicht zu
gefährden, selbst wenn dies die Opferung seines ehemaligen Kaisers und Königs zur
Folge hatte. Damit rettete er zwar vermutlich Wilhelms Leben, brachte diesem aber in
der Heimat den Ruf eines Fahnenflüchtigen ein. Aber „dieses Verhalten belegt einmal
mehr, dass der Feldmarschall auch in ihn persönlich belastenden Konfliktsituationen na-
tionalen Interessen – wie er sie definierte – den Vorrang einräumte vor dynastischen In-
teressen der Hohenzollern. Hindenburg ließ sich dabei von einem Gedanken leiten, der
seinen politischen Kompass bildete: den absoluten Primat der inneren Einheit.“129
_________________ 126 Pyta, Hindenburg, S. 372. 127 Ebd., S. 373. 128 Ebd., S. 378. 129 Ebd., S. 379.
5 Fazit 31
5 Fazit
Abschließend bleibt festzuhalten, dass Hindenburgs Handeln im Herbst 1918
stets von drei Aspekten geleitet war. Erstens ging es ihm um den Erhalt seiner persönli-
chen Macht, zweitens agierte er immer unter der Maxime der inneren Einheit sowohl
des Heeres als auch des Volkes, und drittens stand für ihn eine bedeutende Stellung
Deutschlands in der Welt. Diesen Prämissen ordnete er alles unter, so dass er sowohl
prinzipielle Überzeugungen bezüglich Staatsform – als Ur-Preuße war er von Grund auf
Befürworter der monarchistischen Staatsform – als auch gewachsene persönliche Be-
ziehungen – hier sind in erster Linie die so genannte „Feldherrenehe“ mit Ludendorff
und seine Beziehung zu Wilhelm II. zu nennen – im Ernstfall pragmatischen Entschei-
dungen zugunsten seiner zwei Leitlinien opferte. Dieser Pragmatismus äußerte sich am
deutlichsten mit der Kehrtwende in der Friedensfrage nach der zweiten Wilsonnote,
durch die er Deutschland als bedeutenden Machtfaktor in Gefahr sah und dadurch seine
eigentliche Überzeugung, den Krieg schnellstmöglich beenden zu müssen, zu revidie-
ren. Zwar konnte er seine Macht, die er seit der Übernahme der OHL im August 1916
ausübte, nicht in vollem Umfang beibehalten, da die Entwicklungen im Oktober 1918
eine gewisse Eigendynamik entwickelten, aber dennoch gelang es ihm, sich an die neu-
en Gegebenheiten anzupassen, indem er sich von seinem militärischen Kopf Ludendorff
separierte und damit nur wenig von seiner Bedeutung einbüßen musste; obendrein ge-
lang es ihm sogar, diesen für die Kriegsniederlage verantwortlich zu machen. In der
Abdankungsfrage des Kaisers gab die Maxime, die innere Geschlossenheit des Reiches
nicht zu gefährden, den entscheidenden Ausschlag, diesen zum Gang ins Exil zu drän-
gen. Immer abgesichert durch die enorme Popularität, die er durch den Erfolg bei „Tan-
nenberg“ im Volk genoss, konnte er seine Absichten größtenteils durchsetzen.
Um diesen Ruf als „Sieger von Tannenberg“ nicht zu gefährden, lenkte er auch
die gemeinsame Erklärung der Militärs in die Richtung, dass ihm die Abdankung des
Kaisers nicht angelastet werden würde. In der Folgezeit argumentierte er nach den har-
ten Regressansprüchen der Alliierten von Versailles, dass das Heer im Felde unbesiegt
gewesen sei und die Heimat die Hauptlast der Niederlage zu tragen habe. Diese Argu-
mentation ging als Dolchstoßlegende in die Geschichte ein, und sie erlaubte Hindenburg
sogar, ab 1925 als Reichspräsident das höchste Staatsamt der republikanischen Staats-
ordnung einzunehmen. Hindenburgs Taktieren während der Revolution von 1918 ver-
fehlte also nicht seinen Zweck: Hindenburg stand weiterhin für politische Aufgaben zur
5 Fazit 32
Verfügung, und die innere Einheit des Volkes konnte durch die Abwehr der revolutio-
nären Strömungen aufrecht erhalten werden.
6 Bibliographie 33
6 Bibliographie
1. Quelleneditionen Amtliche Urkunden zur Vorgeschichte des Waffenstillstandes 1918 : auf Grund der Ak-
ten der Reichskanzlei, des Auswärtigen Amtes und des Reichsarchivs. Hrsg. vom Auswärtigen Amt u. vom Reichsministerium des Innern, 4. Auflage Berlin 1928 (EA 1919)
Matthias, Erich und Morsey, Rudolf, Die Regierung des Prinzen Max von Baden (Quel-
len zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Bd. 2. Hrsg. v. W. Conze, E. Matthias und G. Winter), Düsseldorf 1962
Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatli-
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deutschen Machteliten, München 2002 Pyta, Wolfram, Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, München
2007 von der Goltz, Anna, Hindenburg. Power, Myth and the Rise of the Nazis, Oxford 2009 von Westarp, Kuno, Das Ende der Monarchie am 9. November 1918: abschließender
Bericht nach den Aussagen der Beteiligten (hrsg. von Werner Conze), Oldenburg 1952.
6 Bibliographie 34
Versicherung
Ich versichere hiermit, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig verfasst, ganz oder
in Teilen noch nicht als Prüfungsleistung vorgelegt und keine anderen als die angegebe-
nen Hilfsmittel benutzt habe. Sämtliche Stellen der Arbeit, die benutzten Werken im
Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen sind, habe ich durch Quellenangaben kennt-
lich gemacht. Dies gilt auch für Zeichnungen, Skizzen, bildliche Darstellungen und der-
gleichen sowie für Quellen aus dem Internet.
Marburg, den 02. November 2010 _________________________________________
Matthäus Gerling