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C. Schaefer. Historische Bemerkungen xur Dispersionstheorie 243 E4stordsche Bemerkungen swur Dispersiowstheorde Tom CIemems Schlaefer Gustav Mie zwn 70. Geburtstage Es ist oft hervorgehoben worden, daB zwischen der ublichen klassischen nnd der wellenmechanischen Dispersionsformel u. a. dcr folgende Unterschied bes teht : Die ubliche klassische Theorie liefert folgende Gleichung fur den Brechungsindex: wo e Ladung, m Masse, N, die Zahl der ,,Dispersionselektronen kter Gattung" im Kubikzentimeter, vk ihre Eigenfrequenz bedeuten. Die genannten Dispersionselektronen k ter Gattung sind definiert durch die Gleichung: e (2) (i;, die Verriickung des Elektrons aus der Ruhelage, B elektrischer Vektor). In der ublichen Theorie werden so viele voneinander unabhangige Elektronenarten, d. h. Oleichungen (2), angenommen, als Eigenfrequenzen vk vorhanden sind, bei einer Serie also unendlich viele. Aus den Verriickungen 8, baut sich der Vektor 9 der dielektrischen Verschiebung auf: gk" + 4 n2 Vk2 Sk = m B , (3) 9 = 4+4ne~h7,5,. Dagegen fiihrt die wellenmechanische Theorie zu folgender Dispersionsformel : (4) wobei N die Zahl der Atome in der Volumeinheit,fj, gewisse dem Atom eigentumliche Konstanten, die sogenannten ,,Oszillatoren- starken", vjk die Eigenfrequenzen des Atoms bedeuten. Die Gestalt der GI. (1) und (4) ist die gleiche, aber - darauf kommt die Ver- schiedenheit der beiden Formeln schlieBlich heraus - die Inter- pretation ist eine andere. Was in der G1. (1) als Zahl der Dis- persionselektronen bezeichnet wird (NJ, ist G1. (4) etwas anderes, namlich - abgesehen vom Faktor N - eine Eigenschaft des

Historische Bemerkungen zur Dispersionstheorie

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C. Schaefer. Historische Bemerkungen xur Dispersionstheorie 243

E4stordsche Bemerkungen swur Dispersiowstheorde Tom C I e m e m s Schlaefer

G u s t a v M i e zwn 70. Geburtstage

Es ist oft hervorgehoben worden, daB zwischen der ublichen klassischen nnd der wellenmechanischen Dispersionsformel u. a. dcr folgende Unterschied bes teht : Die ubliche klassische Theorie liefert folgende Gleichung fur den Brechungsindex:

wo e Ladung, m Masse, N, die Zahl der ,,Dispersionselektronen kter Gattung" im Kubikzentimeter, vk ihre Eigenfrequenz bedeuten. Die genannten Dispersionselektronen k ter Gattung sind definiert durch die Gleichung:

e (2)

(i;, die Verriickung des Elektrons aus der Ruhelage, B elektrischer Vektor). In der ublichen Theorie werden so viele voneinander unabhangige Elektronenarten, d. h. Oleichungen (2), angenommen, als Eigenfrequenzen vk vorhanden sind, bei einer Serie also unendlich viele. Aus den Verriickungen 8, baut sich der Vektor 9 der dielektrischen Verschiebung auf:

gk" + 4 n 2 V k 2 Sk = m B ,

(3) 9 = 4 + 4 n e ~ h 7 , 5 , .

Dagegen fiihrt die wellenmechanische Theorie zu folgender Dispersionsformel :

(4)

wobei N die Zahl der Atome in der Volumeinheit,fj, gewisse dem Atom eigentumliche Konstanten, die sogenannten ,,Oszillatoren- starken", v j k die Eigenfrequenzen des Atoms bedeuten. Die Gestalt der GI. (1) und (4) ist die gleiche, aber - darauf kommt die Ver- schiedenheit der beiden Formeln schlieBlich heraus - die Inter- pretation ist eine andere. Was in der G1. (1) als Zahl der Dis- persionselektronen bezeichnet wird (NJ, ist G1. (4) etwas anderes, namlich - abgesehen vom Faktor N - eine Eigenschaft des

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strahlenden Atomes (jjk). E s besteht die Auffassung, die zuweilen auch ausgesprochen wird, da3 auch in dieser Interpretationsdifferenz sich der Unterschied zwischen klassischer und moderner Theorie manifestiere. Das ist: wie ich im folgenden zeigen will, nicht der FaW. Eine wirklich sinngema3 aufgestellte lrlassische Dispersions- theorie der Serienspektren fiihrt zu einer Forniel vom Charakter von (4), nicht von (1); ja, eine solche Form der klassischen Theorie existiert schon seit etwa 30 Jahren l).

Der Ausgangspunkt, an den ich seinerzeit ankniipfte, war der folgende: Man kann zwar sicher durch eine Formel vom Typus (1) die Dispersion leuchtender Gase formal darstellen, indem man die Werte vk dem Experiment entnimmt; daR aber die vk eine bestimmte GesetzmaBigkeit - eben die der Serie - befolgen, kommt grund- sutxlich nicht zum Ansdruck; im Gegenteil werden in den GI. (2) fur die Vektoren 5, die Eigenfrequenzen vz als ganzlich unabhbgig voneinander betrachtet.

Man kann diesen Mange1 - grundsatzlich - beseitigen, indem man die Gleichungen fur die ,,Elektronen kter Gattung" nicht mehr - wie in (2) - als unabhungig voneinander betrachtet, sondern sie miteinander koppelt, indem man dadurch ihre Abhangigkeit von- einander zum (grundsatzlichen) Ausdruck bringt :

(5)

Hat man es insbesondere mit einem strahlenden System zu tun, das, wie bei einer Serie, unendlich viele Eigenfrequenzen besitzt, so geht dns System der gekoppelten G1. (5) in eine partielle Diffe- rentialgleichung nebst Randbedingungen iiber.

Schon an dieser Stelle erkennt man die Aihnlichkeit dieser Auffassung mit der modernen Theorie, clie die Schradingergleichung zur Charakterisierung des strahlenden Systems und zur Ableitung der Dispersionsformel benutzt.

Wir setzen also etwa, um ein moglichst einfaches Beispiel zu nehmen, fur das strahlende Atom die Differentialgleichung der schwingenden Saite an:

1) C1. Schaefcr , Ann. d. Phys. 28. S. 421. 1909 (I); 29. S. 715. 1909 (11); 32. S. 883. 1910 (111). Diese Arbeiten sind wenig beachtet worden; soweit mir bekannt ist, hat nur Herr G. Jaffi! in seinem Handbuchartikel (Hand- buch der Experimentalphysik Bd. XIX, 1928) sie referiert und nach ihrer Ab- sieht richtig gewiirdigt (a. a. 0. S. 1Sff.)

C. Schaefer. Historische Bemerkungen xur Dispersionstheorie 245

wozu die Randbedingungen treten :

(6 a) G(0) = G ( 1 ) = 0 ,

wenn wir die ,,Saitenlange" = 1 nehmen; m ist die Masse, e die Ladung pro Langeneinheit, S eine Konstante. Natiirlich war es bereits damals klar, daB die einfache G1. (6) nicht dem strahlenden Gebilde adaquat war; sie wurde auch damals lediglich als Beispiel fur den allgemeinen Gedankengang benutzt; zum Beweis zitiere ich etwa: ,,RTas nun noch zu geschehen hat, ist die Auffindung einer Differentialgleichung, die die GesetzmaiBigkeiten der Serien wieder- gibt" *).

Fur die dielektrische Verschiebung hat man analog (3) anzusetzen :

wenn e' = e dx die Ladung in einem Punkte oder genauer auf einem unendlich kleinen Stuck der ,,Saite" bedeutet; anders geschrieben lautet also die letzte Gleichung:

% = 6 + 4 n N e B d x ,

wobei das Integral uber die Lange der ,,Saite" erstreckt ist und N die Anzahl derselben im Kubikzentimeter bedeutet.

Von nun an liegt eine rein mathematische Aufgabe Tor uns. Zur Integration der Differentialgleichung (6) setzen wir an:

(7) s

G ( x , t ) = 6 : , ( s ) c o s 2 n u t , i S ( X ) t ) = y ( x ) c o s 2 n u t ; (8)

damit wird aus (6):

(9)

(10) A =

9D" (2) + 9D (z) = - 5 go (3 >

mi t 4 n 2 m v 2

s Fugen wir sogleich noch die Differentialgleichung der freien Schwin- guogen hinzu [ y , (x) Eigenfunktionen, 2, Eigenwerte:]

(1 1) YDkl'!') + ' k Ypk(') =

mit 4 TI m vk2

S ' I., =

1) I s. 434.

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und bemerken, daB (9) nur dann eine Losung hat, wenn i i + A k ist. Zur Integration von (9) ist es zweckmagig, sowohl die rechte Seite - $go, wie auch y ( x ) nach den Eigenfunktionen rpl,(x) zu ent-

wickeln:

Dabei ist ck bekannt, ak zu bestimmen. Four ie rschen Theorem:

Und zwar ist nach dem

c k = - - 's 1% (4 Yk (4 d z 9

bzw., wenn wir die Dimension des Atoms (der ,,Saite") als klein gegen die Wellenltinge betrachten, was in allen Dispersionstheorien zu geschehen pflegt:

(14) Ck = - -+g0(2) s gFk(Z) d z = - + ( 2 ) c;.

Einsetzen von (13) und (14) in (9) liefert d a m :

Darin kann man noch nach (11) schreiben:

y;' (') = - 'k yk (') und erhalt zur Bestimmung der gesuchten Koeffizienten ak:

ckl "it = + go (4 ,

oder unter Einfuhrung der Werte fur ii und I., nach (10) und (12):

ak = -- Go (2) ~. e Ckl

(1 5) Y k 2 - Y 2

Yolglich erhalt man fur $(z, t ) nach (13) und (8) die Losung:

Nunmehr haben wir noch nach ( 7 ) 9 zu bilden. Das liefelt mit (16):

(17) SS)=@++nNe ' d x = G S k

C. Schaefer. Historische Bemerkungen zur Dispersionstheorie 247

Damit aber haben wir die Dispersionsforrnel:

wenn wir noch c i 2 = f, setzen, um die Analogie mit der wellen- inechanischen Dispersionsgleichung (4) hervortreten zu lassen. Man erkennt, daB unsere oben ausgesprochene Behauptung richtig ist: Bei einer sinngemalen klassischen Dispersionstheorie der Serien- spektren bestinimt man nicht die GroRen ! ,N;( , die Bnzahl der Elektronen kter Gattung, sondern die GroWen f,, die man heute Oszillntorenstar ken nennt, d. h. cine Eigenschaft des schwingenden Systems. Ich zitiere folgenden Passus aus einer der friiheren Arbeiten, urn zu zeigen, daB dies schon damals richtig erkannt war1): ,,Dam ist aber auch die bisherige Interpretation der GroBen N , . . . aufzugeben. Man darf nicht mehr . . . die beobachteten Zahlen N , als die Zahl der Nlektronen kter Gattung in der Volumeinheit be- zeichnen. . , . Diese Zahlen ( N f,) stellen nach meiner Anschauung (abgesehen von dem nicht storenden konstanten Faktor iV) eine Eigenschaft des schwingenden Systems quantitativ dar ; sie liefern also einen Anhalt, um Schliisse auf die Natur desselben zu ziehen. Nicht aber stellen nach meiner Auffassung diese Zahlen (abgesehen von dem Faktor e2/mn) die Zahlen der Elektronen kter Gattung dar.(L

Da auf der rechten Seite der G1. (18) eine unendliche Reihe steht, so kann diese Formel nur einen Sinn haben, wenn die Reihe konvergent ist. Das aber laBt sich in der Tat streng beweisen, und es folgt dann weiter daraus, daB - wenigstens von einer bestimmten Stelle ab - die Koeffizienten f, abnehmen miissen. I n der Sprache der gewohnlichen klassischen Dispersionstheorie ausgedriickt heiBt das, datl mit hoherer Gliednummer der Serie die sogenannte Zahl der Dis- persionselektronen gesetzmaBig abnehmen muB. Ns ist klar, daB die gewohnliche klassische Dispersionstheorie weder dieses Ergebnis liefern noch die Konvergenz der Reihe auf der rechten Seite von (18) beweisen kana

Das Vorstehende mag geniigen; wenn man will, kann man natiirlich die enge Verwandtschaft meiner alten Dispersionsformel(18j mit der wellenmechanischen noch weiter verfolgen ; z. B. hangen die vk in beiden Fallen mit den Eigenwerten, die GroBen f mit den Eigenfunktionen zusammen. Natiirlich bleibt der fundamentale Unter-

1) 111, S. 887ff.; das Zitat ist nur dadurch etwas veriindert, weil ich hier andere Bezeichnungen gewiihlt habe.

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schied zwischen klassischer und quantenhafter Auffassung der Strah- lung auch hier bestehen. Statt weiterer Ausfuhrungen sei es mir gestattet, das schon erwahnte Urteil von Ja f fk (a. a. 0.) anzufuhren, das es rechtfertigen moge, daB ich heute noch einmal auf diese alten Arbeiten zuriickgekommen bin: ,,Die Bedeutung der Schae fe r - schen Dispersionstheorie der Serienspektren liegt darin, daR hier zum ersten Male die Notwendigkeit erkannt und durgefiihrt ist, die Serien frequenzen - wenn auch auf Grund eines unzutreffenden Modells - in die Dispersionsforinel einzufiihren, wie es auch die heutige Quantentheorie aiif Grund ganz anderer Vorstellungen tut."

13 r e s lau , Physikalisches Institut der Universitiit, im Juli 1938.

(Eingegangen 2. Juli 1938)