23
HISTORISCHES JAHRBUCH Im Auftrag der Görres-Gesellschaft herausgegeben von LAETITIA BOEHM, ODILO ENGELS, HANS GÜNTER HOCKERTS, ERWIN ISERLOH, RUDOLF MORSEY, KONRAD REPGEN 00 q-sk2ad3ý-600 Sonderdruck 112. Jahrgang Erster Halbband 1992 VERLAG KARL ALBER FREIBURG/MÜNCHEN ISSN 0018-2621

HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

HISTORISCHES JAHRBUCH

Im Auftrag der Görres-Gesellschaft

herausgegeben von LAETITIA BOEHM, ODILO ENGELS, HANS GÜNTER HOCKERTS,

ERWIN ISERLOH, RUDOLF MORSEY, KONRAD REPGEN

00 q-sk2ad3ý-600

Sonderdruck

112. Jahrgang Erster Halbband

1992

VERLAG KARL ALBER FREIBURG/MÜNCHEN

ISSN 0018-2621

Page 2: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

INHALTSANGABE

AUFSÄTZE

Beiträge der frühmittelalterlichen Iren zum gemeinsamen europäischen Haus. Von Prof. Dr. Dr. Raymund Kottje (Bonn) ........................... 3- 22

Hausrecht und Thronfolge. Überlegungen zur Königserhebung Ottos des Gro- ßen und zu den Aufständen Thankmars, Heinrichs und Liudolfs. Von Priv. -Doz. Dr. Johannes Laudage (Köln) ......................... 23- 71

Wahrnehmungsgeschichtliche Aspekte des Hexenwahns - Ein Versuch. Von Prof. Dr. Bernd Roeck (Bonn) .................................. 72-103

Das katholische Bildungsdefizit im Deutschen Kaiserreich - Ein Erbe der Säku- larisation von 1803? Von Priv. -Doz. Dr. Werner Rösener (Göttingen)

...................... 104-127 Katholische Kirche und polnische Zwangsarbeiter 1939-1945.

Von Prof. Dr. Hans-Michael Körner (Würzburg) ...................... 128-142

BEITRÄGE UND BERICHTE Das Projekt einer trilateralen Nuklearkooperation. Französisch-deutsch-italie-

nische Geheimverhandlungen 1957/1958. Von Dr. Peter Fischer (Florenz) ..................................... 143-156

Christoph Kolumbus im deutschsprachigen Schrifttum. Eine Auswahlbibliogra- phie. Von Prof. Dr. Horst Pietschmann (Hamburg) ......................... 157-179

BUCHBESPRECHUNGEN ........................................ 180-295 Besprochene Bücher: Affeldt \V., Hg., Frauen i. d. Spätantike 189 - Ahlers J.,

Welfen u. engl. Könige 207f. - Ahrens K., Staatsporträt Ludwigs XIV. 226 - Akten z. Auswärtigen Politik d. BRD, Bd. 1 u. 2, hg. v. H: P. Schwarz 283 ff.

- Albisetti J. C., Schooling German Girls 244 - Angermeier H. /Meuthen E., Hg., Reichstagsaktenforschung 214 f. - Atsma H., Hg., La Neustrie 191 ff. - Azzopardi J., Hg., Military Hospitaller Order 223f. - Babel R., Zwischen Habsburg u. Bourbon 224ff. - Battenberg F., Judenverordnungen 230ff. - Becker A., Urban II. 201 ff. - Becker-Jäkli B., Juden in Brühl 230 ff. - Beil- mann C., Eine katholische Jugend 269f. - Berbüsse V., Juden in Waldeck 230 ff. - Boehm L. /Schönbeck C., Hg., Technik u. Bildung 183 ff. - Bosbach F., Monarchia Universalis 215 f. - Brandes G., Berlin als Reichshauptstadt 257 - Bussmann W., Zwischen Preußen u. Deutschland 250 f. - Cannon J., Hg., Dictionary of Historians 291 - Capitani O. /1%Iiethke J., Hg., L'attesa delta fine 196 - Christmann H., Hg., Kolonisation u. Dekolonisation 182 f. - Clau- sen D., Grenzen d. Aufklärung 230 ff. - Coreth E. u. a., Hg., Christliche Phi- losophie 261 ff. - Decot R. fVinke R., Hg., Joseph Lortz 217ff. - Delinicre J., K. F. Reinhard 229 - Demm E., Hg., Weltkrieg 1264 f. - Eckermann W. s. Kuropka J. /Eckermann W., Hg. - Elm K., Hg., Reformbemühungen 211 - Epp V., Fulcher v. Chartres 203f. - Erb R/Bergmann \V., Judenemanzipa- tion 242 - Falque Rey E., Hg., Historia Compostellana 205 f. - Fisch S., Stadtplanung 247f. - Framke G., Kampf um Südtirol 266 f. - Franz U., Deng Xiaoping 289ff. - Freudenberger T., Fürstbischöfe v. Würzburg 221 f. - Frey S., Württemberg. Hofgericht 213 - Fröhlich W., Hg., Anselm of Canterbury 199 - Funke H., Die andere Erinnerung 230ff. - Funke M., Starker oder schwacher Diktator? 270f. - Galäntai J., Hungary 288 - Gatz E., Hg., Bi- schöfe 291 f. - Gerber B., Jud Süß 230ff. - Glanz-Blättler U., Andacht u. Abenteuer 206 f. - Gotto K. u. a., Bearb., Zentrum d. Macht 285 ff. - Gutt- mann B., Weibliche Heimarmee 263 f. - Hagenmaier M., Predigt u. Police), 222f. - Haider E., Versunkenes Dtld. 294 - Hanrieder W. F., Germany,

Page 3: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

BEITRÄGE DER FRÜHMITTELALTERLICHEN IREN

ZUM GEMEINSAMEN EUROPÄISCHEN HAUS

VON RAYMUND KOTTJE

»Man kann das Mittelalter nicht ohne die Iren verstehen. « Mit diesem Zitat hat der 1938 aus seiner österreichischen Heimat emigrierte Ludwig Bieler das Vorwort zu seinem nach wie vor sehr lesenswerten Werk über »Irland -Wegbereiter des Mittelalters« begonnen', und das far- benreiche, wissenschaftlich bestens fundierte Bild, das er vom Leben

und Wirken der Iren im frühen Mittelalter gezeichnet hat, begründet

vielfältig das Eingangszitat. Bielers Bild ist durch die seitherige wissen- schaftliche Beschäftigung mit den frühmittelalterlichen Iren im wesent- lichen bestätigt worden2. Auch in den folgenden Darlegungen wird nichts geboten, was Bielers Bild verändern würde. Es sollen lediglich im Blick auf den Beitrag der Iren zum gemeinsamen europäischen Haus ei- nige Vorgänge akzentuiert, auf offene Fragen soll erneut eingegangen werden.

I.

Ein beherrschendes Element im Bild des frühmittelalterlichen Irland bilden die irischen Mönche und ihre Klöster. Sie waren es, die schon bald nach der Christianisierung Irlands im 4. und 5. Jahrhundert3 eine herausragende Rolle auf der Insel gespielt haben4, und Mönche waren

t Olten-Lausanne-Freiburg i. Br. 1961; engl.: Ireland, Harbinger of the Middle Ages (1963).

2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin (1982 und 1954) vorgetragenen Forschungsergeb- nisse, publiziert als Veröffentlichungen des Europa Zentrums Tübingen - Kulturwissen- schaftliche Reihe», hg. von M. Bosch u. G. Schulten: 1) Die Iren und Europa im früheren Mittelalter, 2 Bde., hg. von Heinz Löwe (Stuttgart 1982); ausführliche Besprechungen von Rudolf Schieffer, Die Iren und Europa im früheren Mittelalter: DA 40 (1984) 591- 605, und Kurt Reindel: ZRG Kan. 71 (1985) 347-352; 2) Irland und Europa. Die Kirche im Frühmittelalter, hg. von Pröinseas Ni Chathiin u. Michael Richter (ebd. 1984); 3) Irland und die Christenheit. Bibelstudien und Mission, hg. von dens. (ebd. 1987).

3 Zur nicht eindeutig geklärten Frage nach dem Zeitpunkt der Christianisierung Irlands

vgl. Michael Richter, Irland im Mittelalter. Kultur und Geschichte (Stuttgart u. a. 1983) 42-47; Brendan Bradshaw, Art. Irland, in: THE XVI (1987) 273.

Vgl. John Ryan, Irish Monasticism. Origins and early development (London u. a. 1931) 57-104, der schon im Vorwort S. VII feststellt, that about A. D. 600 Ireland was well-supplied with monasteries-; Bieler (s. Anm. 1) 30; Richter, Irland (s. Anm. 3) 45:

1.

Page 4: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

4 Raymund Kottje

es auch, die seit dem Ende des 6. Jahrhunderts ihre Heimat verlassen und im angelsächsischen Britannien sowie auf dem europäischen Konti- nent, vor allem im Frankenreich, die Entwicklung des geistigen und be- sonders des christlichen Lebens nachhaltig beeinflußt haben 5.

Die Orte und Räume ihres Wirkens sind im wesentlichen bekannt. Wir kennen auch eine ganze Reihe dieser Mönche mit Namen und wis- sen manches über Motive, Methoden, Kämpfe, Probleme, Erfolge und Mißerfolge ihrer Bemühungen außerhalb ihrer Heimat (exul atriae). Unsere Kenntnisse verdanken wir aber nicht in erster Linie den Auf- zeichnungen jüngerer nichtirischer Historiographen. Die Iren selbst ha- ben nicht wenige Zeugnisse ihres Lebens, Denkens und Wirkens hinter- lassen 6.

Schon von dem als »Apostel Irlands« verehrten Patrick (t 461 ? ), auf den auch die Anfänge klösterlichen Lebens in Irland zurückgehen sol-

»... daß in der irischen Kirche seit dem ausgehenden 5. Jahrhundert die Klöster eine zu- nehmend wichtige Rolle spielen sollten«.

5 Vgl. Bieler (s. Anm. 1) 16-29; in dem von H. Löwe hg. Sammelband »Die Iren und Europa« (s. Anm. 2) vgl. die Beiträge von Angenendt (52-79), Bullough (80-98), Schäferdick (171-201), Prinz (202-218), Riche (735-745), Leonardi (746-757) u. Contreni (758-798); in dem von Ni Chathäin u. Richter hg. Band »Irland und die Christenheit« (s. Anm. 2) vgl. die Beiträge von Hillgarth, Campbell, Wood und Richter (311-376); materialreich über das Thema Alain Dierkens, Prolegomencs a unc histoire des relations culturelles entre les Iles Britanniques et le Continent pendant le haut moyen age. La diffusion du monachisme dit colombanien ou iro-franc dans quelques mo- nasteres de la region parisienne au Vile siede et la politique religieuse de la reine Bathilde, in: La Neustrie. Les pays au nord de la Loire de 650 ä 850, publie par H. Atsma, T. 2 (= Beihefte der Francia Bd. 16/2, Sigmaringen 1989) 371-393; jüngst Arnold Angencndt, Das Frühmittelalter. Die abendländische Christenheit von 400 bis 900 (Stuttgart u. a. 1990) 204-223; vor allem den kulturellen Einfluß behandelten Bernhard Bischoff, Il mo- nachesimo Irlandese nei suoi rapporti col continente, in: 11 monachesimo nell'alto medio- evo e la formazione dells civilta occidentale (Spoleto 1957) 121-138, im folgenden zitiert nach dem Abdruck in: ders., Mittelalterliche Studien I (Stuttgart 1966) 195-205; Ludwig Bieler, Ireland's Contribution to the Culture of Northumbria, in: Famulus Christi. Ess- ays in commemoration of the 13th centenary of the birth of the Venerable Bede, ed. Ge- rald Bonner (1976) 210-228. Rosamond McKitterick, The diffusion of insular culture in Neustria between 650 and 850: The implications of the manuscript evidence, in: La Neustrie (s. zu Dierkens) 395-431 untersucht lediglich die Beziehungen zwischen dem angelsächsischen England und dem Kontinent im Spiegel der handschriftlichen Überliefe- rung.

6 Uber die Quellen zur Geschichte der Iren vgl. James F. Kenney, The Sources of the Early History of Ireland I. Ecclesiastical (New York 1929, Reprint mit Addenda u. Corri- genda hg. von L. Bieler 1966) und Kathleen Hughes, Early Christian Ireland: Introduc- tion to the Sources (London 1972).

Page 5: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

Beiträge der frühmittelalterlichen Iren zum gemeinsamen europäischen Haus 5

len, sind mehrere Schriften erhalten, die wertvolle Zeugnisse für seine Zeit und seine Person darstellen7. Über das Leben der beiden ersten na- mentlich bekannten dieser Mönche, die ihre Heimat verließen, Columba von Iona (j 597) und Columbanus von Luxeuil und Bobbio (t 615), sind wir durch Lebensbeschreibungen unterrichtet, die auf Grund mündlicher und schriftlicher Überlieferungen an ihrer letzten Wirkstät- te - auf Iona bzw. in Bobbio - im Jahrhundert nach ihrem Tode verfaßt worden sind s. Von Columbanus besitzen wir außerdem das Zeugnis seiner Schriften: 6 Briefe, 13 Sermones, 2 Klosterregeln, 1 Bußbuch und 5 Gedichte9. Hinzu kommen Nachrichten des gut informierten Angel- sachsen Beda (t 735) und einige andere alte Aufzeichnungen 10.

' Libri Epistolarum Sancti Patricii Episcopi, ed. L. Bieler (Dublin 1952); vgl. Walter Berschin, Ich Patricius. Die Autobiographie des Apostels der Iren, in: Löwe, Iren u. Europa (s. Anm. 2) 9-25, engl. Übers. von L. Bieler, The Works of St. Patrick (Ancient Christian Writers, London 1953 - mit Kommentar); vgl. Kenney (s. Anm. 6) 165-170; dazu Bieler (s. Anm. 1) 12-16; ders., Studies on the Life and Legend of St. Patrick, ed. by R. Sharpe (= Variorum Reprints, London 1986); Jane Stevenson, Literacy in Ire- land: The evidence of the Patrick Dossier in the Book of Armagh, in: Rosamond McKit- terick (ed. ), The Use of Literacy in Early Mediaeval Europe (Cambridge 1990) 11-35, bes. 14 ff.

ä 1) Adomnan's Life of Columba, ed. (with translation) by A. O. Anderson and M. 0. Anderson (London 1%1) (vgl. die Besprechung von L. Bieler: Irish Historical Stu- dies 13 [1962/1963], Abdr. in: ders., Ireland and the Culture of Early Medieval Europe [London 1957] Nr. XI), verfaßt von Abt Adamnin von Iona (679-704) ca. 688-692, über- liefert in einer Handschrift von 713 (Schaffhausen, Stadtbibl. ), vgl. Anderson, 3 u. 96; Hughes (s. Anm. 6) 22-1 ff.; Richter (s. Anm. 3) 50f.; Michael J. Enright, Iona, Tara

and Soissons. The Origin of the Royal Anointing Ritual (= Arbeiten zur Fröhmittelalter- forschung Bd. 17, Berlin-New York 1985) 7 u. 42f.; 2) Ionas, Vita Columbani I, rec. Br. Krusch (MGH SS. rer. Germ., 1905) 148-2-14, neu hg. mit dt. Übers. von H. Haupt (= Freiherr v. Stein-Gedichtnisausgabe Bd. IV a, Darmstadt 1982) 402-497; cd. M. Tosi

mit versione italiana von E. Cremona e M. Paramidani, pres. di E. Franceschini e. J. Leclercq (Piacenza 1%5); verf. ca. 640 von Tonas, seit ca. 618 Mönch in Bobbio, vgl. Kenney (s. Anm. 6) 204 und Haupt, . Einleitung zu der zuvor genannten Ausgabe 395f. Vgl. auch P. Ni Chathiin, Art. Columba, in: THE S (1981) 156-159; D. W. Rollason, Art. Columba (Colum Cille), in: LexMA 111 1 (1984) Sp. 63; Maire Herbert, Iona, Kells

and Deny. The History and Hagiography of the Monastic "familia. of Columba (Oxford 1988) sowie A. Angenendt, Art. Columbanus, in: THE 8 (1981) 159-162; H. Haupt, Art. Columban, in: LcXMA III I (19S4) Sp. 65.

Ed. G. S. M. Walker, Sancti Columbani opera (= Scriptores Latini Hiberniae II, Dublin 1957), vgl. Bielcr, Ireland (s. Anm. 8) Nr. I-IV; Angenendt, Columbanus (s. Anm. S) 160; Peter Christian Jacobsen, Carmina Columbani, in: Löwe, Die Iren (s. Anm. 2) 434-467; Haupt, Columban (s. Arun. 8) Sp. 66f.

10 Vgl. Beds, Historia ecclesiastic gentis Anglorum 11 4,111 4, V 9, V 24 (edd. B. Col-

grave-R. A. B. Mynors, 1%9,146,2? 2,3D6,562).

Page 6: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

6 Raymund Kottje

Beide, Columba und Columbanus, haben ihre Heimat nicht verlas- sen, um in der Fremde zu missionieren. Sie wollten vielmehr gemäß dem Wort Gottes an Abraham >Verlaß Dein Land, Deine Verwandten und Dein Vaterhaus und zieh in das Land, das ich Dir zeigen werde« (Gen 12,1) handeln und als heimatlose Wanderer - dem heimatlosen Je- sus gleich - in der Fremde leben (als monachi peregrini pro Christo) 11. Von diesem Ideal geleitet sind beide mit 12 Gefährten 12, so heißt es in ihren Viten 13, in ein ihnen unbekanntes Land gefahren, Columba ca. 565 auf die Insel Iona vor der Westküste Schottlands, Columbanus ca. 590 von seinem Heimatkloster Bangor aus ins Frankenreich, wo er am Westrand der Vogesen bald drei Klöster hat gründen können: Anne- gray, Luxeuil und Fontaine 1'. Während Columba die Verbindung mit der Heimat nicht abreißen ließ und sie auch gelegentlich wiedergesehen hat, ist der Auszug des Columbanus ein Abschied für immer gewesen.

Ein tiefgreifender Unterschied hat ihr weiteres Leben in der Fremde gekennzeichnet: Columba behielt seine Gründung auf Iona bis zu sei- nem Tode 597 als Stützpunkt aller seiner Unternehmungen, Columba- nus hingegen hat im bereits christlichen Frankenreich zwar sogleich - wie Columba auf Iona - Kontakt zum Königshof gefunden, aber er mußte etwa 20 Jahre später nach Auseinandersetzungen mit dem fränki- schen E iskopat und vor allem König Theuderich II. (f 612), nicht zu- letzt infolge seines moralischen Rigorismus, aus dem Lande weichen 15.

11 Vgl. Arnold Angencndt, Monachi peregrini. Studien zu Pirmin und den monasti- schen Vorstellungen des frühen Mittelalters (München 1972) 124-137; ders., Die irische Peregrinatio und ihre Auswirkungen auf dem Kontinent vor dem Jahre 800, in: Löwe, Die Iren (s. Anm. 2) 52-79; ders., Frühmittelalter (s. Anm. 5) 212f.; Richter (s. Anm. 3) 58f.; Friedrich Prinz, Askese und Kultur. Vor- und frühbenediktinisches Mönchtum an der Wiege Europas (München 1980) 50. Daß als peregrini keineswegs nur irische Mön- che bezeichnet worden sind, betont mit guten Gründen Prinz, Frühes Mönchtum im Frankenreich. Kultur und Gesellschaft in Gallien, den Rheinlanden und Bayern am Bei- spiel der monastischen Entwicklung (4. bis B. Jahrhundert), 2., durchg. u. um einen Nach- trag erg. Aufl. (Darmstadt 1988) 214.

12 Zur Zwölfzahl und ihrer biblisch-symbolischen Bedeutung im Mönchtum vgl. An- genendt, Monachi (s. Anm. 11) 50 und Heinz Hellerström, Zur Zwölfzahl der Mön- che bei Reformeingriffen: Stud. u. Mitt. OSB 88 (1977) 590-596 (593 Hinweis auf Ionas, V. Columbani).

13 Adamnan 111 4 u. Appendix (Anderson, 472 u. 546); Ionas I4 (Krusch, 160; Haupt [s. Anm. 8] 416).

14 Vgl. Bieler (s. Anm. 1) 17 u. 73ff. (betr. Columba), 91 f. (betr. Columbanus); K. Schäferdiek, Columbans Wirken im Frankenreich, in: Löwe, Die Iren (s. Anm. 2) 171ff.; Richter (s. Anm. 3) 51ff.; Prinz, Mönchtum (s. Anm. 11) 39 u. 74; Ange- n en d t, Frühmittelalter (s. Anm. 5) 213-216.

15 Vgl. Bieler (s. Anm. 1) 73-79 (betr. Columba), 92f. (betr. Columbanus); H. B.

Page 7: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

Beiträge der frühmittelalterlichen Iren zum gemeinsamen europäischen Haus 7

Am Ende einer abenteuerlichen Flucht gelangte er - nach einer kurzen Zwischenstation am Bodensee - 612 in das damals seit kurzem von den Langobarden beherrschte Oberitalien, wo er mit Unterstützung Herzog Agilulfs das einsam gelegene Bobbio als Stätte für ein neues Kloster fand, in dem er seine drei letzten Lebensjahre verbrachte 16.

Columba und Columbanus haben nicht nur Gefährten gehabt, die sie von ihrem Aufbruch an begleiteten. Sie haben durch ihr Beispiel auch weiterhin Landsleute veranlaßt, sich auf das Abenteuer der eregrinatio pro Christo einzulassen. Viele sind ihnen gefolgt, ebenfalls zu den Gründungen der beiden offenbar schon bald weitbekannten großen Mönche oder zu neuen Plätzen, zu Lebzeiten der beiden und noch lange darüber hinaus.

Entgegen ihren ursprünglichen Zielen wandten sich beide schon bald auch der Mission zu. Noch unter Columba ist Iona zum Ausgangs- punkt einer anscheinend regen missionarischen Tätigkeit der Iren bei den Pikten und wenig später auch bei den Angelsachsen, vor allem in Northumbrien geworden. Weitere Stützpunkte kamen hinzu, von de- nen das vor der Ostküste Englands gelegene Lindisfarne wohl am be- kanntesten ist 17. Seit der Synode von Whitby 663/664, auf der ein Vor- rang römischer kirchlicher Überlieferungen gegenüber irischen Praktiken anerkannt wurde (s, hat der Einfluß der Iren unter den Angel- sachsen abgenommen, wenn er auch bis zu den \Vikingereinfällen in Ir- land nicht völlig versiegt ist 19.

Wie Iona im Norden gewann die Columban-Gründung Luxeuil eine wichtige Stellung als Zentrum der Iren und Ausgangspunkt ihrer mis- sionarischen Bemühungen im Frankenreich20, ebenso Bobbio im lango- bardischen Oberitalien. Vor allem im Norden des Frankenreichs sind noch im Laufe des 7. Jahrhunderts eine Reihe klösterlicher Niederlas- sungen von Iren entstanden, von denen einige, wie vor allem Luxeuil und Peronne/Picardie (Peronna Scottorum), über ihre Bedeutung für das klösterliche Leben und die Christianisierung in ihrem Raum hinaus

Clarke-M. Brennan (edd. ), Columbanus and Merovingian Monasticism (a Brit. Ar-

chaeol. Reports, Internat. Series 113, Oxford 1981); Schäferdick (s. Anm. 14) 173f., 177ff. u. 186-190.

11 Bieler (s. Anm. 1) 94-98; Schäferdick (s. Anm. 14) 190-201; Haupt, Columban (s. Anm. 8) Sp. 66.

17 Vgl. Bieler (s. Anm. 1) S. 79ff.; ders., Ireland's Contribution (s. Anm. 5) 210ff. Is Vgl. Hanna Vollrath, Die Synoden Englands bis 1066 (. Konziliengeschichte, hg.

von W. Brandmüller, Reihe A, Paderborn u. 2.1985)48-57. 19 Vgl. Joseph F. Kelly, Irish Influence in England after the Synod of Whitby: Some

new Literary Evidence: Eire-Ireland 10, IV (1975) 35-47. a Vgl. Prinz, Askese (s. Anm. 11) 53 If.

Page 8: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

8 Raymund Kottje

auch eine Rolle als kulturelle Zentren erlangt haben. Sie und weitere Irengründungen auf dem europäischen Kontinent sind noch lange Ziel irischer monachi peregrini geblieben. Trotz mancher Konflikte der er- sten Iren mit politischen und vor allem kirchlichen Autoritäten im Frankenreich, haben sich die Nachfahren nicht nur weiterhin den ersten Niederlassungen ihrer Landsleute zugewandt21, sondern auch gleichsam in immer neuen Wellen Stützpunkte in anderen Räumen gegründet, die häufig zu Zentren des Lebens und des kirchlichen wie des kulturellen Einflusses geworden sind, so in den rheinischen Bischofsstädten Trier, Köln und Mainz22, im mainfränkischen Würzburg, unter Alemannen und Bayern23, ja schließlich von Salzburg aus, das zumal durch die her- ausragende Gestalt des Bischofs und Abtes Virgil als Wirkraum von Iren bekannt geworden ist, bis hin zu den Westslawen24.

Diese wenigen Hinweise auf die peregrinatio und die missionarischen Aktivitäten der irischen Mönche in England und vor allem auf dem Kontinent dürften hier genügen. Sie sind gut erforscht und zumindest in den Grundzügen bekannt.

II.

Im Rahmen unserer Frage nach dem irischen Beitrag zum »gemeinsa- men europäischen Haus« dürfte aber wohl vor allem interessieren, wel- che dauerhaften Beiträge zum Bau dieses Hauses den irischen Mönchen

21 Vgl. Wilhelm Levison, Die Iren und die frinkische Kirche: HZ 109 (1912) 1-22, letzter Abdruck in: Mönchtum und Gesellschaft im Frühmittelalter, hg. von Friedrich Prinz (Darmstadt 1976) 91-111; Bischoff, 11 monachesimo (s. Anm. 5); Dierkens, Prolcgomenes (s. Anm. 5).

22 Vgl. z. B. Leo Weisgerber, Eine Irenwelle an Maas, Mosel und Rhein in ottonischer Zeit?, in: Aus Geschichte und Landeskunde. FS Franz Steinbach (Bonn 1960) 727-750; M. C. Chartier, Les moines irlandais en Lotharingie aux Xe at Xle siccles. Memoire de maitrise (= Universitc de Paris X, 1975, dactylogr. ); Pierre Riche, Education at culture autour de Pan Mil. La place de is Lotharingie, in: Religion at Culture autour de Pan Mil. Royaume Capctien at Lotharingie, edd. Dominique Iogna-Prat et Jean-Charles Picard (1990) 279f.

23 Vgl. in Löwe, Die Iren (s. Anm. 2) die Beiträge von A. Wendehorst (319-329: Mainfranken), W. Müller (330-341: Alemannen), H. Koller (342-374: Baiern).

24 Vgl. Heinz Dopsch-Roswitha juffinger (Hg. ), Virgil von Salzburg, Missionar und Gelehrter (Salzburg 1985) mit zahlreichen Beiträgen über irisch-kontinentale Beziehun- gen, Virgil und sein Salzburger kirchliches und kulturelles Umfeld sowie die Salzburger Missionstätigkeit, vgl. die Anzeige des Werkes: DA 44 (1988) S. 274f.; vgl. ferner in

»Irland und die Christenheit. (s. Anm. 2) die Beiträge von H. Wolfram (415-420: Vir- gil), H. Dopsch (421-444: Salzburger Slawenmission) u. J. Strzelczyk (445-460: Westslawen).

Page 9: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

Beiträge der frühmittelalterlichen Iren zum gemeinsamen europäischen Haus 9

zu danken sind, Beiträge also, die länger als wenige Generationen Be- stand hatten. Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Es sind offen- sichtlich nicht Beiträge aus dem Bereich von Politik, Recht, Besitz oder Wirtschaft. Die Iren haben weder Land- noch Besitzgewinn einge- bracht, sie haben weder kirchliche noch politische Ordnungen verän- dert. Sie haben im Gegenteil Sonderformen kirchlicher Praxis, die ihnen aus ihrer Heimat vertraut und lieb waren, in England wie auf dem Kon- tinent nach Konflikten mit den jeweiligen kirchlichen und politischen Autoritäten aufgeben müssen. Dazu gehörte insbesondere ihre Berech- nung des Ostertermins, die in den meisten Jahren eine zeitgleiche Oster- feier aller Christen nicht zuließ25 - was mancherorts zu erheblichen Problemen nicht nur für das kirchliche Leben geführt hat26. Auch ha- ben sie sich zumal auf dem Kontinent in die altkirchliche Organisa- tionsform der Gliederung in Diözesen einfügen müssen, die von einem Bischof als höchster Autorität geleitet wurden. Diese kirchliche Gliede- rung verlangte eine Unterordnung des Abtes unter den Bischof, wäh- rend in Irland in den parucbiae, den quasi-diözesanen kirchlichen Orga- nisationseinheiten mit einem klösterlichen Mittelpunkt, der Abt - ohne Bischofsweihe - die höchste Leitungsfunktion hatte, dem ein geweihter Bischof aus dem Kreis der Mönche für bischöfliche Weihehandlungen zur Verfügung stand27.

Die charakteristischen Eigenarten ihres Lebens aber, die die irischen Mönche auch auf dem Kontinent bewahren konnten und die sie in das gemeinsame europäische Haus eingebracht haben, liegen im inneren, im geistlichen Bereich kirchlichen Lebens: ihre Strenge in Askese und Mo- ral, ihr Verständnis der christlichen Buße in Verbindung mit einem neu- en kirchlichen Bußverfahren, ihre Forderung der Sonntagsheiligung, vielleicht auch ihre Auffassung von der Sakralität des Königtums. Schließlich wird man auch den Impetus nicht unterschätzen dürfen, der von der Entfaltung kultureller Werte bei den Iren daheim und vor allem auf dem Kontinent ausgegangen ist.

25 ' ie leidenschaftlich anscheinend gerade über dieses litema, die Osterterminfrage, zwischen Iren und Anhängern oder Reprisentanten der übrigen westkirchlichen (römi- schen) Ordnung gestritten worden ist, lehrt Bedas Bericht über die Synode zu Whitby 663/664 (Hist. eccl. 11125. ed. Colgrave-Dlynors [s. Anm. 10] 298-308), vgl. Vollrath (s. Anm. 18) 49f., und Ähnliches lassen Columbans Briefe erkennen (cd. Walker [s. Anm. 9] 2,4,6 u. 18); vgl. Schäferdick (s. Anm. 14) 182ff.

16 Vgl. die von Beda, Hist. eccl. 111 25 überlieferten Konsequenzen für die Osterfeier am Hof König Oswius von Northumbrien: scum rex pascha dominicum solutis iciuniis faceret, tum regina cum suis persistens adhuc in ieiunio diem palmarum celebraret. (cd. Colgrave-Alynors [s. Anm. 10) 2%); vgl. auch Vollrath (s. Anm. 18) 50.

71 Vgl. Bieler (s. Anm. 1) 18 u. 32; Angenendt, Frühmittelalter (s. Anm. 5) 205 ff.

Page 10: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

10 Raymund lottje

11.1 Von der asketischen und moralischen Strenge der irischen Mönche

kann man eine Vorstellung durch irische Klosterregeln und Heiligenvi- ten, durch Rechtsordnungen und durch die gleich noch vorzustellenden Bußbücher gewinnen. Wer etwa von der Lektüre der von geistlicher Weite und Großherzigkeit durchzogenen Benediktregel kommend sich der Regel des Columbanus zuwendet, mag erschrecken über die Ängst- lichkeit und Kleinlichkeit, mit der hier an Verfehlungen der Mönche ge- dacht wird und wie sehr hier - so zumindest mag es uns erscheinen - die Entfaltung selbstgestalteten Lebens eingeschränkt wird 28. Als Akt der Selbstverleugnung, des wichtigsten Teils der Mönchsregel, wird z. B. ge- fordert, »nicht im Geist zu widersprechen und nicht zu sagen, was man will« 29.

Ein Orientierungspunkt für manche Bestimmungen nicht nur der Klosterregeln, sondern noch mehr irischer Rechtssammlungen und der irischen Bußbücher war die Bibel, insbesondere die Gesetze des Alten Testaments, von denen manche, wenn auch nicht überall dieselben, auch als solche übernommen und damit für Christen als verbindlich ausgege- ben wurden30. Ein besonders ausgeprägtes Beispiel für diese Tendenz irischer Wertung des Alten Testaments als Norm auch für Christen ist der »Liber ex lege Moysis«, eine wohl um 700 kompilierte Zusammen- stellung von Gesetzestexten aus dem Pentateuch31. Dieselbe Tendenz zeigt auch die vielleicht ein wenig ältere, ebenfalls fast ausschließlich aus alttestamentlichen Texten zusammengestellte Sammlung »De decimis et primogenitis et primitivis«''-.

Der asketische und ethische Rigorismus, der aus den Regeln, den Er- zählungen über das Mönchsleben, den Rechtsordnungen und Bußbü- chern spricht, hat zwar nicht als solcher in das Leben der europäischen Christenheit Eingang gefunden. Aber er ist durch die Iren und ihre Schriften auf dem Kontinent weit verbreitet worden und hat gewiß dazu beigetragen, den germanischen Völkern, die sich erst in den beiden letz-

28 Regula monachorum, cd. Walker (s. Anm. 9) 122-142, anschließend 142-168 die vom gleichen Geist diktierte Regula coenobialis, je mit Übers. ins Englische. Eine Übers. großer Teile ins Deutsche bietet Bieler (s. Anm. 1) 38-46.

29 Regula Columbani c. IX (Walker, 140); Übers. übernommen von Bieler (s. Anm. 1) 42.

30 Vgl. Raymund Kottje, Studien zum Einfluß des Alten Testaments auf Recht und Liturgie des frühen Mittelalters (Bonn 21970).

31 Vgl. Kottje, Studien (s. Anm. 30) 12 und ders., Der Liber ex lege Moysis, in: Irland und die Christenheit (s. Anm. 2) 59-69.

32 Vgl. Kottje, Studien (s. Anm. 30) 11 f.

Page 11: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

Beiträge der frühmittelalterlichen Iren zum gemeinsamen europäischen Haus 11

ten Jahrhunderten vor der Ankunft der ersten irischen pcregrini auf dem Boden des ehemaligen römischen Reiches niedergelassen hatten, neue Maßstäbe für ihr persönliches und gesellschaftliches Leben zu vermit- teln.

Daß die Christen in Europa davon nicht unbeeinfluß geblieben sind, lehren manche Normen, die noch jahrhundertelang, vereinzelt bis in unsere Zeit, der Kirche als Richtschnur gegolten haben. Dazu gehören insbesondere Bestimmungen und Vorstellungen im Bereich der Sexual- moral wie auch im Zusammenhang mit der Feier des Sonntags.

11.2

Die alttestamentlich begründete Norm etwa, daß Vorgänge wie die Geburt, die Menstruation, die nächtliche Pollution des Mannes den be- troffenen Menschen verunreinigen und ihn deshalb vorübergehend vom Empfang der Kommunion ausschließen, findet man in zahlreichen iri- schen Texten - ohne die für das Verständnis der alttestamentlichen Sat- zungen wichtige Unterscheidung zwischen kultischer und moralischer Unreinheit. Durch die irischen Texte, vor allem die Bußbücher, aber sind diese Bestimmungen, die vereinzelt auch schon bei älteren Auto- ren, z. B. Cassian, begegnen, offenbar in der Westkirche weit verbreitet und schließlich für die Christen zur maßgeblichen Orientierungsnorm geworden J3.

11.3 Ähnliches gilt für die Bestimmungen über die Sonntagsfeier. Bis ins

6. Jahrhundert hinein ist der Sonntag in der abendländischen Kirche le- diglich als Tag der Auferstehung Jesu verstanden und gefeiert worden. Wichtigster Bestandteil dieser Feier war der Gottesdienst, insbesondere die Eucharistiefeier. Eine Änderung bahnte sich im 6. Jahrhundert in der fränkischen und in der westgotischen Kirche an. In der 1. Hälfte dieses Jahrhunderts haben hier noch kirchliche Autoritäten gegen die - offenbar in ihrem Raum lautgewordene - Auffassung Front gemacht, daß am Sonntag jegliche Arbeit, ja sogar die Reinigung von Haus und Mensch zu unterbleiben habe. Bereits gegen Ende des Jahrhunderts ha- ben aber verschiedene Autoritäten des fränkischen Gallien - Synoden und Könige - gefordert, daß die Christen sich an allen Sonn- und Feier- tagen von körperlicher Arbeit - außer der Bereitung der Mahlzeiten - enthalten sollten. Zum ersten Mal werden in diesem Zusammenhang die

33 Vgl. ebd. 69-83.

Page 12: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

12 Raymund Kottjc

verbotenen Tätigkeiten von einem spanischen Bischof, Martin von Bra- ga, mit dem alttestamentlichen Begriff opus servile belegt.

Nur wenig jünger sind die ältesten Zeugnisse für das Sonntagsver- ständnis in Irland: Rechtstexte und Heiligenviten. Es war unverkennbar vom alttestamentlichen Sabbatgebot geprägt. Die Sonntagsruhe wurde viel rigoroser gefordert als in den Texten aus der fränkischen und west- gotischen Kirche. Um die Beachtung der Arbeitsruhe a vespera usque ad vesperain (Lev 23,32) auch durchzusetzen, wurden Folgen der Nichtbeachtung drastisch ausgemalt. In einer Vita heißt es z. B., daß ei- nige Frauen, die sich entgegen dem Sonntagsgebot in der Nacht zum Sonntag die Haare gewaschen hatten, am anderen Morgen den Ausfall aller Haare feststellen mußten.

Unklar ist noch, ob das strenge, ja rigoristische Verständnis der Sonn- tagsruhe in irischen Texten seit der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts nicht schon ältere Wurzeln in Irland hat und es ist auch noch weiter zu prüfen, ob es einen Zusammenhang mit dem Aufkommen des neuen Sonntagsverständnisses in einigen kontinental-europäischen Bereichen gibt. Eindeutig ist jedenfalls, daß die Zeugnisse aus Irland viel zahlrei- cher und vielfältiger sind als aus den anderen Räumen, und daß es in Ir- land außer einzelnen Bestimmungen über die Sonntagsruhe in größeren Rechtssammlungen, u. a. in dem erwähnten }Liber ex lege Moysis«, auch einzelne Texte gegeben hat, die nur dieser Frage galten, z. B. das altirische Sonntagsgesetz (Cdin Domnaig) und einige kleinere Texte »De die do, ninicaK m.

Außerdem ist hier auf eine Fassung des sog. Himmelsbriefes, einer vom Himmel gefallenen »Eistola Jesu« über die Sonntagsheiligung aus Irland hinzuweisen. Ein solcher Brief war zwar auch schon dem west- gotischen Bischof Licinianus von Carthagena Ende des 6. Jahrhunderts bekanntgeworden, und im B. Jahrhundert sind im Frankenreich zwei solcher Briefe bekämpft worden. Aber nur der Text des lateinisch über- lieferten Briefes aus Irland ist noch erhalten. Es liegt nahe zu fragen, ob dies vielleicht damit zusammenhängt, daß sein Inhalt dem in der iri- schen Kirche verbreiteten Sonntagsverständnis und der hier selbstver- ständlichen Forderung der Sonntagsruhe ents rach, während die Briefe auf dem Kontinent der Bekämpfung zum Opfer gefallen sind?

So kann man fragen. Eine Tatsache ist aber, daß das vom Alten Testa- ment inspirierte Sonntagsverständnis der Iren samt ihrer strengen Ein- schärfung der Enthaltung von körperlicher Tätigkeit im Gefolge der iri-

34 Vgl. außer Kottjc, Studien (s. Arun. 30) 50ff., R. E. McNally (cd. ), Dies dominica <Tcxtc I-III>, in: Scriptores Hiberniae Minores I (- Corpus Christ., Series Lat. 108 B, Turnhout 1973) 175-186.

Page 13: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

Beiträge der frühmittelalterlichen Iren zum gemeinsamen europäischen Haus 13

scheu Mönche und der von ihnen mitgebrachten Texte auch auf dem Kontinent seit dem 7. Jahrhundert mehr und mehr bekanntgeworden ist. Nachdem 826 zum ersten Mal ein Papst, Eugen II., ein Verbot der opera servilia am Sonntag gefordert und dies mit dem Alten Testament begründet hatte, war der Weg beschritten zu einem gesamtkirchlichen Gebot der Sonntagsruhe, das bis heute - in manchen Ländern mit staat- lichem Schutz - weiterwirkt35.

11.4

Zu den Büchern, die die irischen Mönche wohl von Anfang an auf ih- rer pcregrinatio im Reisegepäck hatten, gehörten die schon mehrfach genannten Bußbücher, bis zum B. Jahrhundert eine irische Spezialität. Die ältesten erhaltenen Bücher sind im 6. und 7. Jahrhundert in Klö- stern der keltischen Kirche, in Wales und vor allem in Irland, verfaßt worden. Es handelt sich dabei um katalogartige Zusammenstellungen von Verfehlungen (Sünden) mit Angabe der dafür vorgesehenen Bußen (nicht Strafen)36. Sie waren im Zusammenhang mit einer neuen Buß- praxis in der keltischen Kirche aufgekommen.

Diese unterschied sich von dem altkirchlichen, in der übrigen West- kirche nach wie vor geübten Bußverfahren in drei wesentlichen Punk-

75 Vgl. Kottje, Studien (s. Anm. 30) 44-56; C. S. Mosna, Storia delta Domenica dalle

origini fino agli inizi del V secolo (- Anal. Greg. 170, Roma 1969); ferner Ann Hamlin, Dignatio diei dominici: an element in the iconography of Irish crosses?, in: Ireland in Ear- ly Mediaeval Europe. Studies in memory of Kathleen Hughes, cd. by D. Whitelock, R. McKitteriek, D. Dumville (Cambridge 1952) 69-75 (H. sieht in den irischen High Crosses eine Betonung der Sonntagsheiligung) und Dorothy Whitelock, Bishop Ecgrcd, Pehtred and Niall, in: ebd. 47-6S (behandelt Äußerungen irischer und englischer Bischöfe-

und Äbte zur strengen Sonntagsheiligung). x Vgl. Cyrille Vogel, Les "Libri paenitentiales", mise ä jour par A. J. Frantzen

(=Typologie des sources du moyen age occidental 27, Turnhout 1985); Raymund Kott- je, Art. Bußbücher, in: LexMA II 5 (1952) Sp. 1118-1121; Maria Giuseppina Muzzarel- Ii (cd. ), Una componente dells mentalitä occidentale: I Penitenziali nell'alto medio evo (_ 11 mondo medievale 9, Bologna 1980) sowie - in der Sicht des Geistes. der Paenitentialia

abweichend - Angenendt, Frühmittelalter (s. Anm. 5) 210ff. Über den nicht definierten Unterschied von Buße und Strafe vgl. schon Paul Hinschius, Das Kirchenrecht der Ka-

tholiken und Protestanten in Deutschland, Bd. IV (1858) 828: Durch die übernommenen Bußwerke sollte . der Mensch vor Gott von der Sünde gereinigt werden ...

Die Privatbu- ße ist nicht nur nicht Strafe, sondern entbehrt überhaupt des rechtlichen Charakters.; vgl. auch J. Weisweiler, Buße. Bedeutungsgeschichtliche Beiträge zur Kultur- und Geistes-

geschichte (1930); Viktor Achter, Geburt der Strafe (Frankfurt a. M. 1951) und Hans

Hattenhauer, Über Buße und Strafe im Mittelalter; ZRG Germ. 100 (1983) 53-74, bes.

66f.

Page 14: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

14 Raymund Kottje

ten: 1) Nach altkirchlichem Verständnis von Sünde und Buße war nach der Taufe nur eine einmalige Buße schwerer Schuld möglich. In der neuen keltischen Praxis wurde eine beliebig häufige Wiederholung von Sündenbekenntnis und Rekonziliation eröffnet. 2) Im altkirchlichen Bußverfahren war das Sündenbekenntnis vor Bischof oder Presbyter zwar in der Regel geheim, die Bußleistung, im allgemeinen mit Aus- schluß vom Hauptteil des Gottesdienstes verbunden, und die Rekonzi- liation aber waren öffentliche Akte. Im neuen Bußverfahren war nicht nur ganz selbstverständlich das Sündenbekenntnis geheim - lediglich in Notfällen konnte es vor einem Diakon abgelegt werden -, sondern auch die Bußleistungen und häufig selbst die Rekonziliation, zumal bei gehei- men Sünden. 3) Nach altkirchlichem Verständnis galt als Sünde, die durch das kirchliche Bußverfahren gesühnt werden konnte, die schwere Schuld, z. B. Mord, Unzucht, Selbstsucht; solche Verfehlungen sind ge- legentlich in Lasterkatalogen aufgeführt worden - am bekanntesten sind sie in der Form von Achtlasterkatalogen. Sie liegen als Einteilungs- schema auch noch manchen Bußbüchern zugrunde. In der keltischen Kirche, d. h. zunächst in den Klöstern, hielt man es aber offenbar für notwendig und heilsam, die Vergehen möglichst differenziert zu sehen, auch geringfügigere Schuld einzubeziehen und bei der Bemessung einer Buße auch Motive und Lebensumstände des Sünders zu berücksichti- gen. »Diversitas crlparu n diversitatern facit paenitentiarum. « Mit die- sen Worten hat Columbanus am Beginn seines Bußbuches (Paenitentia- le) ein grundlegendes Anliegen des neuen Bußverständnisses ausgedrückt37.

Die Buße war also in der irischen Kirche häufiger zu wiederholen, grundsätzlich geheim, und die Palette der Sünden, die zu beichten für notwendig gehalten wurde, war reicher geworden. Differenzierter sollte daher auch die Bußauflage sein. Im alten öffentlichen Bußverfahren be- stand die Buße vor allem im zeitweiligen Ausschluß vom Gottesdienst und in einigen demütigenden Leistungen; so mußte der Büßer z. B. öf- fentlich eine. Bußkleidung tragen, was mit dem geheimen Verfahren der keltischen Kirche nicht vereinbar war.

Die Buße sollte nun vor allem durch Fasten, zum Teil bei Wasser und Brot, in einer milderen Form nur unter Verzicht auf Wein und Fleisch, über einen unterschiedlich langen Zeitraum hin - von wenigen Tagen

v Paenit. Columbani B, Prologus (ed. L. Bieler, Irish Penitentials, Scriptores Latini Hiberniae V [1963] 98). Über die wichtige Rolle der Buße in der frühen irischen Kirche und die Unterschiede zwischen dem irischen und dem kontinentalen (. altkirchlichen) kirchlichen Bußwesen vgl. auch Clare Stancliffe, Red, white and blue martyrdom, in: Ireland in Early Mediaeval Europe (s. Anm. 35) 41 if. u. 45.

Page 15: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

Beiträge der frühmittelalterlichen Iren zum gemeinsamen europäischen Haus 15

bis zu vielen Jahren -, auch durch Gebete und Geld- oder Sachleistun-

gen, in besonders schweren Fällen auch durch zeitlich begrenztes oder lebenslanges Exil erfolgen. Um dem Priester bei der Bemessung der Buße eine Hilfe zu bieten, sind anscheinend die Bußbücher angelegt worden. Mithin aus der Bußpraxis erwachsen, stellten sie Hilfsmittel für die Bußpraxis dar. Sie erleichterten es dem Priester, ein möglichst ge- rechtes Bußmaß zu bestimmen und dabei nicht zu subjektiv zu verfah- ren, nicht sec undu7n arbitrium suum - ein Gesichtspunkt, den Karl der Große einmal zur Begründung für seine Anordnung vorgebracht hat, daß die Richter in seinem Reich ihren Urteilen die lex scripta zugrunde- legen sollten3S. Bußbücher (Paenitentialia) sind offenbar bald in ver- schiedenen Klöstern verfaßt worden. Sie waren und blieben aber Privat-

arbeiten, die von keiner kirchlichen Autorität erlassen oder auch nur förmlich gebilligt waren.

Das blieb so, auch als sie durch die irischen Mönche zusammen mit deren neuer Bußpraxis auf dem europäischen Kontinent Eingang ins kirchliche Leben fanden. Bischöfe in Gallien und Spanien lehnten zwar das neue Verfahren und mit ihm die Bußbücher zunächst ab. Die Iren haben sich aber behauptet. Das neue Verfahren wurde in immer weite- ren Teilen der Westkirche rezipiert und seit dem Ende des B. Jahrhun- derts offensichtlich zur vorherrschenden Form kirchlicher Buße. Nach- dem auch nochmalige Abwehrversuche karolingischer sog. Reformkrei- se erfolglos geblieben waren, ist das in der keltisch-irischen Kirche aufgekommene und ausgebildete, im wesentlichen geheime Bußverfah- ren im Laufe der folgenden Jahrhunderte ein so selbstverständliches Element des kirchlichen Lebens geworden, daß es heute von Papst und Bischöfen für unverzichtbar gehalten und gegen Änderungsbemühun-

gen verteidigt wird 39. Es war aber nicht nur ein neues Bußverfahren in das kirchliche Leben "

Europas gelangt, sondern durch die Bußbücher mit ihrer kasuistischen Auflistung sündhafter Tatbestände auch ein neues Sündenverständnis und neue Wertmaßstäbe. Wenn auch in den Bußbüchern als Sünden vornehmlich äußere Tatbestände zusammengestellt waren, darf das

nicht als Ausdruck einer reinen Tatmoral verstanden werden. Berück-

)t Vgl. apitulare missorum generale c. 26:. ut iudices secundum scriptam legem iuste iudicent, non secundum arbitrium suum. (AMGH Capit. I Nr. 33 S. 96). Auch die Bußbü-

cher konnten dazu beitragen, daß in der kirchlichen Bußpraxis nicht nach dem »Gutdün- ken des Priesters. verfahren wurde, das Arnold Angenendt, Missa spccialis: Frühmittel-

alterliche Studien 17 (19S3) 161 unterstellt (. hängt es vom Gutdünken des Priesters ab

... «). Die Bußbücher boten zumindest eine Orientierungshilfe. 39 Vgl. Angenendt, Frühmittelalter (s. Anm. 5)171 f.

Page 16: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

16 Raymund Kottje

sichtigt werden sollten ja nicht nur die Lebensbedingungen eines Sün- ders - ob er z. B. Kleriker oder Laie, arm oder reich, frei oder unfrei, gesund, gebrechlich oder krank, alt oder jung, männlich oder weiblich war -, sondern auch die inneren Triebkräfte - Be ierden, Absicht, Arg- list usw. -, die nicht von außen faßbar sind. In dieser Hinsicht werden in den Bußbüchern gelegentlich feine Unterschiede gemachti0. Das war allerdings etwas Neues.

11.5

Neu war auch die schon im Zusammenhang mit Sexualmoral und Sonntagsheiligung berührte Orientierung an alttestamentlichen Geset- zen und Sündenvorstellungen««. Da in die Bußbücher alttestamentliche Texte aufgenommen wurden, etwa um die Sündhaftigkeit eines Han- delns zu dokumentieren, und da obendrein manche Bestimmungen von alttestamentlichen Gedanken und Worten geprägt waren, haben vor al- lem durch die Bußbücher alttestamentliche Normen in der abendländi- schen Kirche größeren Einfluß auf Recht und Moral gewonnen. Zwar sind die Bußbücher der Iren - entgegen der Meinung von Bieler - auf dem Kontinent anscheinend nicht »weit verbreitet« worden42. Aber sie haben hier Nachfolger gefunden, neue Werke, denen die irischen Bü- cher als Quelle gedient haben. Selbst in die scholastischen Bußbücher und Bußsummen, die seit dem 12. Jahrhundert die frühmittelalterlichen Bußbücher abgelöst haben, sind viele Normen, ja auch Texte der älteren Werke übernommen worden. Auf diesem Wege haben Bestimmungen, Vorstellungen und Wertmaßstäbe der Iren mit ihrer Vorliebe für das

10 Vgl. die an den Bußpriester gerichtete Praefatio zum Paenit. Ps: Egbcrti und Paenit.

mixtum (Doppelpaenit. Bedae-Egberti): »... ut discretiones omnium causarum invcstigcs

primitus, sine quibus rectum iudicium non potest stare ... sed distingue quid, ubi, quam- diu, quando, qualiter debeas facere. Non omnibus ergo in una eadcmque libra pensandum est, licet

... discretio sit ...

de qualitate peccatorum ..., continens vel incontinens, volun- tate vel casu ..., necessitate vel volunate. (H. J. Schmitz, Die Bußbücher und das kano-

nische Bußverfahren - nach handschriftlichen Quellen dargestellt 11 [Düsseldorf 1898] 662 f. u. 680). Auf dem Hintergrund eines solchen Sünden- und Bußverständnisses sind die Bestimmungen der Bußbücher zu sehen. Wenn in ihnen Sünden de qualite religicuse et spirituelle (geistlich, nicht geistig! ) nicht eigens genannt werden (so Vogel [s. Anm. 36] 105), darf daraus also nicht geschlossen werden, Sünde sei »in den Bußbüchern vor allem die in der Tat selbst vorliegende Abweichung von objektiven Regeln., wie Hanna Voll-

rath, »Gewissensmoral« und Konfliktverständnis: Thomas Becket in der Darstellung sei- ner Biographen: HJb 109 (1989) 37 f. irrtümlich meinte.

41 Vgl. Kottje, Studien (s. Anm. 30) zusammenfassend 106ff. 42 Bieler (s. Anm. 1) 55f.; vgl. dagegen R. Kottje, Überlieferung und Rezeption der

irischen Bußbücher auf dem Kontinent, in: Löwe, Die Iren (s. Anm. 2) 511-524.

Page 17: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

Beiträge der frühmittelalterlichen Iren zum gemeinsamen europäischen Haus 17

Alte Testament und seine Normen in Europa lange, in manchen Berei-

chen bis heute nachgewirkti3.

11.6

Bis heute ungeklärt und daher in der Forschung umstritten ist die Frage, ob es irischer Einfluß war, der zur Salbung des ersten karolingi- schen Königs Pippin im Zuge seiner Königserhebung 751 geführt hat44. Daß dabei die alttestamentliche Königssalbung eine Vorbildfunktion ge- habt hat, ist eine verbreitete Meinung. Auf welchem \Vege oder auf wel- chen Anstoß hin könnte es aber zur Umsetzung des alttestamentlichen Vorbildes sein?

Die Quellen, zeitgenössische Annalen, berichten lediglich über die Salbung Pippins4s. Westgotischer Einfluß ist angenommen worden, weil eine Salbung der Könige \Vamba 672 und seiner drei Nachfolger (Erwig 680, Egica 687 sowie Witiga 700/701) eindeutig bezeugt ist46. Demge-

genüber hat aber Michael Enright vor wenigen Jahren darauf aufmerk- sam gemacht, daß es überhaupt keinen Anhaltspunkt für die Annahme

gibt, die westgotische Königssalbung sei im Frankenreich bekannt ge- wesen 47. Die These von Arnold Angenendt, die Salbung nach der Taufe, die Firmsalbung, habe zur Salbung bei der Königserhebung angeregt, und diese sei mit »Gutheißung« durch Papst Zacharias erfolgt, beruht

auf Deutungen's. Die zur Stütze der These angeführten Königssalbun-

'13 Vgl. Kottje, Studien (s. Anm. 30) passim. " Zum Geschehen und seiner Vorgeschichte vgl. die eingehende Untersuchung von

Werner Affeldt, Untersuchungen zur Königserhebung Pippins. Das Papsttum und die Begründung des karolingischen Königtums im Jahre 751: Frühmittelalterliche Studien 14 (1950) 95-187; vor allem mit der Frage nach der Beteiligung des Bonifatius an der Erhe- bung von 751 befassen sich Kurt-Ulrich Jäschke, Bonifatius und die Königserhebung Pippins des Mittleren, in: Aus Geschichte und ihren Hilfswissenschaften. FS für Walter Heinemeyer. Archiv für Diplomatik 23 (1977) 25-54 und Jörg Jarnut, \Ver hat Pippin 751 zum König gesalbt?: Frühmittelalterliche Studien 16 (1982) 45-57.

'S Vgl. Continuationes Fredegarii c. 33, rec. H. Wolfram-H. Haupt (= Freiherr v. Stein-Gedächtnisausgabe IV a, 1952) 295; Ann. regni Francorum ad a. 750 (MGH SS. rer. Germ., rec. F. Kurze, IS95) Sf.; Clausula de unctione Pippini (NIGH SS XV 1) S. 1;

Ann. Mettenses priores ad a. 751 (MGH SS. rer. Germ., rec. B. de Simson, 1905) 42;

über die weiteren Quellen vgl. Affeldt (s. Anm. 43)109f.

46 Vgl. Enright, Iona (s. Anm. S) 80. " A. a. O. (s. Anm. 8) S1-S5; vgl. die Enright in diesem Punkt und in der Analyse des

irischen Materials zustimmende Rez. von T. Reuter: DA 44 (198S) 266 f. 't Vgl. Arnold Angenendt, Rex et Sacerdos. Zur Genese der Königssalbung, in: Tra-

dition als historische Kraft, hg. von N. Kamp und J. Wollasch (Berlin-New York 1982) 100-115; ders., Princeps imperii - Princeps apostolorum. Rom zwischen Universalismus

2 Ilut. Jahrbuch tl2/1

Page 18: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

18 Raymund Kottje

gen durch Päpste in der 2. Hälfte des B. Jahrhunderts haben nach dem grundlegenden Ereignis von 751 stattgefunden und sind nur an karolin- gischen Königen vollzogen worden, während im übrigen eine Personen- salbung - außer der Salbung nach der Taufe und zur Firmung - in Rom zumindest bis ins 9. Jahrhundert nicht üblich war, auch nicht bei der Bi- schofsweihe49.

Für einen irischen Hintergrund der Königssalbung von 751 sprechen hingegen eine Reihe von Tatsachen: 1) daß sich im keltisch-irischen Raum wenigstens seit dem 7. Jahrhundert die Vorstellung von einem sa- kralen Königtum nachweisen läßt, 2) daß Könige gesegnet, vielleicht so- gar gesalbt worden sind, 3) daß die Iren möglicherweise ebenfalls schon im 7. Jahrhundert die Salbung bei der Bischofsweihe gekannt haben so und 4) daß in der um 700 kompilierten »Collectio canonum Hibernen- sis« das alttestamentliche Vorbild der Königssalbung ausführlich zitiert wird. Enright konnte die Feststellung hinzufügen, daß das älteste Zeug- nis für diese Sammlung auf dem Kontinent Ende der vierziger Jahre des 8. Jahrhunderts in dem nordostfranzösischen Kloster Corbie, einem Tochterkloster Luxeuils, nachweisbar ist, also nur wenige Jahre vor der Erhebung Pippins51. Von Corbie liefen aber manche Fäden zum Hof

und Gentilismus, in: Roma - Caput er Fons. Zwei Vorträge über das päpstliche Rom zwi- schen Altertum und Mittelalter <von Arnold Angenendt u. Rudolf Schicffer> (- Ger- da Henkel Vorlesungen, Opladen 1989) 7-44, das Zitat 24; ders., Frühmittelalter (s. Anm. 5) 284 informiert nur über die Tatsache der Salbung Pippins, die Salbungspraxis der Westgoten und Iren sowie das alttestamentliche Vorbild, wiederholt aber nicht seine The- se, daß Firmsalbung und päpstliche Weisung zur Vorgeschichte der Salbung von 751 ge- hören.

'19 Vgl. Kottje, Studien (s. Anm. 30) 101 u. 103f.; Angenendt, Rex (s. Anm. 48) 100. Odilo Engels, Zum päpstlich-fränkischen Bündnis im B. Jahrhundert, in: Ecclesia et reg- num. Beiträge zur Geschichte von Kirche, Recht und Staat im Mittelalter. FS f. Franz-Jo- sef Schmale, hg. von D. Berg u. H. -\%7. Goetz (Bochum 1959) 21-38 geht auf die Frage nach der Herkunft der Salbung nicht ein, weist aber (33) darauf hin, daß . die Salbung Pip- pins und seiner Söhne <754> ... ein zusätzliches Element war, das während der Vorberei- tungen des Papstbesuches noch nicht vorauszusehen war. <weil es dem Papst noch fremd

war? >, und E. erwähnt S. 29, daß die erzählenden Quellen ... alle aus einer nach »754 ent- standenen Sicht berichten..

50 Der Einwand von Jan Prelog, Sind die Weihesalbungen insularen Ursprungs?: Frühmittelalterliche Studien 13 (1979) 308-311 gegen die von mir (Studien [s. Anm. 30] 99f. ) ins Feld geführte Wendung »unctum aput« in der Vita s. Brigidae muß noch über- prüft werden.

51 Vgl. Enright, Ions (s. Anm. 8) 8Sf. Zur Gründung Corbies 657-661 mit Mönchen aus Luxeuil vgl. Dierkens (s. Anm. 5) 385 u. 3S7 sowie David Ganz, Corbie in the Ca- rolingian Renaissance (- Beihefte der Francis Bd. 20, Sigmaringen 1990) 14 f.

Page 19: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

Beiträge der frühmittelalterlichen Iren zum gemeinsamen europäischen Haus 19

des Hausmeiers52. Daß Iren Kontakt zu Pippin hatten, ist bekannt. Wenn man außerdem an die zuvor schon mehrfach erwähnte besondere Vorliebe der Iren für alttestamentliche Normen und Vorstellungen und deren Übernahme in ihr Leben denkt-3, darf man es dann nicht auch für

zumindest sehr gut möglich oder gar wahrscheinlich halten, daß die fränkische Königssalbung von 751 irischem Einfluß zuzuschreiben ist? Und da diese Salbung als integrierender Teil der Königserhebung tradi- tionsbildend gewirkt hat - über den fränkischen Bereich hinaus und bis in die Neuzeit-" -, wäre sie somit vielleicht ein weiteres Element, das die Iren zum christlichen Fundament Europas beigetragen haben.

III.

Schließlich muß hier noch kurz auf den häufig genannten Beitrag der Iren zur kulturellen Entwicklung Europas eingegangen werden. Er ist

nicht eindeutig zu bestimmen. Nur auf Grund eines Mosaiks von Sym- ptomen läßt sich eine gewisse Vorstellung von ihm gewinnen. Immerhin glaubte Ludwig Bieler bereits vor fast 30 Jahren »ohne Übertreibung behaupten zu dürfen, daß von etwa 600 bis 750 die Iren - erst allein, dann, seit dem Ende des siebenten Jahrhunderts, neben den Angelsach- sen - die bestimmende Bildungsmacht auf dem Boden des späteren Ka- rolingerreiches waren. 55. Worin aber hat dieser Beitrag bestanden und war er mehr als eine vorübergehende Erscheinung ohne Nachwirkun- gen?

111.1

Gewiß ist an die nach Umfang wie Inhalt beachtliche literarische Pro- duktion von Iren zu denken, die aus dem von Bieler genannten Zeit-

raum (600-750) erhalten ist und damit aus der Zeit, die in der europäi- schen Geschichte im Blick auf das geistige Leben als Teil des sog. »dunklen Zeitalters« gilt. Aus dieser Zeit sind zeitlich an erster Stelle die Werke Columbans zu nennen; sie sind zwar handschriftlich zuverlässig

sz Vgl. Enright, Iona (s. Anm. S) 93. 53 Vgl. Kottje, Studien (s. Anm. 30) 106ff. S' Vgl. Coronations, Medieval and Early Modern Monarchic Ritual, ed. by Janos M.

Bak (Berkeley-Los Angeles-Oxford 1990) mit Beitrigen über die Königskrönung im Ka-

rolingerrcich, in Frankreich, England, den skandinavischen Ländern, Polen und Sizilien. ss Bieler (s. Artur. 1) 110; vgl. auch ders., The Classics in Celtic Ireland, in: R. R.

Bolgar (ed. ), Classical influences on European Culture A. D. 500-1500 (Cambridge 1971) 45-49 und die Sammlung mit Aufsätzen Bielers, Ireland and the Culture of Early Medieval Europe, cd. by K. Sharpc (- Variorum Reprints, London 1937).

2"

Page 20: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

20 Raymund Kottje

bezeugt, haben aber anscheinend nur in einem begrenzten Raum Inter- esse gefunden56. Im Unterschied zu ihnen ist der von einem anonymen irischen Autor, Pseudo-Cyprianus, Mitte des 7. Jahrhunderts verfaßte Traktat »De duodecim abusivis saeculi« mit »einer Art Gesellschaftsmo- ral« 57 noch in zahlreichen kontinentalen Handschriften erhalten, die sei- ne breitgestreute Rezeption bezeugenS5. Einfluß hat auf dem Kontinent auch die schon genannte irische Kanonessammlung, die »Collectio ca- nonum Hibernensis«, gehabt, die um 700 wahrscheinlich auf Iona kom- piliert worden ist59. Etwa gleichzeitig verfaßte dort Abt Adamnan die Vita s. Columbae, die jedoch auf dem Kontinent anscheinend nur in ei- nem sehr begrenzten Kreis bekannt geworden ist60. Kein Zeugnis gibt es für eine kontinentale Überlieferung der Viten St. Patricks, die im 7. Jahrhundert Tirechän (ca. 670) und etwa zwei Jahrzehnte später Muir- chü schrieben; das Werk des letzteren hat Bieler als »Chef d'Euvre« der irischen Hagiographie bewertet61.

111.2

Anders als diese hagiographischen Werke sind die irischen Interessen an Erklärung und Deutung der biblischen Schriften durch einen verbrei- teten Niederschlag in kontinentalen Handschriften des frühen Mittel- alters belegt. Sie sind in der Mehrzahl erst seit wenigen Jahrzehnten, vor allem durch Forschungen Bernhard Bischoffs bekannt. Auf Grund des Umfangs und des Charakters dieser Texte hat er »Wendepunkte in der

56 Vgl. L. Bieler, Notes on the Text Tradition, in: Walker (s. Anm. 10) LXXIII- LXXVII.

S' Hans Hubert Anton, Pseudo-Cyprian, De duodecim abusivis saeculi und sein Ein- fluß auf den Kontinent, insbesondere auf die karolingischen Fürstenspiegel, in: Löwe, Die Iren (s. Anm. 2) 568; Anton hat 569-574 nochmals eindeutig die irische Herkunft des Werkes belegt.

SB S. Heilmann (cd. ), Ps. -Cyprianus, De duodccim abusivis saeculi (= Texte u. Unter-

suchungen Bd. 34,1909)l-61, bes. 26-31; Enright, Iona (s. Anm. 8) 85: »well known in Francia«; Anton (s. Anm. 56) hat die hsl. Überlieferung nicht berücksichtigt.

sv Vgl. Maurice P. Sheehy, The Collectio Canonum Hibernensis -A Celtic Phenome- non, in: Löwe, Die Iren (s. Anm. 2) 525-535; Enright, Iona (s. Anm. 8) bes. 24f., 88- 94 u. 97-100.

611 Zur Abfassungszeit vgl. Anderson (s. Anm. 8) 96; Enright, Iona (s. Anm. 8) 7; zur geringen hsl. Ubcrlieferung vgl. Anderson, 3ff. (1 Hs. sacc. VIII in. [A] früh auf dem Kontinent, 3 B-Hss. s. XII u. XV englischer Provenienz).

61 Ludwig Bieler, The Celtic Hagiographer, in: Studia Patristica 5, cd. F. L. Cross (= Texte und Untersuchungen Bd. 80, Berlin 1962) 255 (Abdruck in: ders., Ireland [s. Anm. 49] Nr. X); zur Überlieferung der beiden Viten im Book of Armagh (geschr. 807) vgl. Stevenson (s. Anm. 7) 13.

Page 21: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

Beiträge der frühmittelalterlichen Iren zum gemeinsamen europäischen Haus 21

Geschichte der lateinischen Exegese im Frühmittelalter« markieren kön-

nen6=. Diese in der Regel anonymen Bibelkommentare liegen überwie-

gend nicht in Handschriften vor, die in irischer Schrift geschrieben sind, vielmehr von kontinentalen nichtirischen Schreibern stammen. Dies

weist darauf, daß sie auf dem Kontinent interessierten; es gibt oben- drein literarische Zeugen dafür, daß sie von karolingischen Exegeten be-

nutzt worden sind. Ihre Wirkung ist also »keineswegs auf Irland und die irischen Zirkel auf dem Kontinent beschränkt« geblieben6', hat al- lerdings auch nicht über das frühe Mittelalter hinaus angehalten.

111.3

Ebenso haben die Bemühungen der Iren um die Buchkultur nur eine zeitlich begrenzte Wirkung auf dem Kontinent gehabt. Aus wenigen Jahrhunderten, etwa vom 7. bis zum 10., sind jedoch recht viele Zeug-

nisse irischer Schreibkunst von zahlreichen auf den Kontinent gewan- derten schreibkundigen Mönchen erhalten. Sie sind ebenso wie die be- kannteren Zeugen irischer Buchmalerei noch heute eindrucksvoll. Die Entwicklung der angelsächsischen Schrift ist von den Iren nachweisbar so sehr beeinflußt worden, daß man in der Forschung beide Schrift- arten, die irische und die angelsächsische, zusammenfassend als »insu- lar« bezeichnet. Daß aber die Zentren dieser Schreib- und Maltätigkeit auf dem Kontinent, zum Beispiel die Columban-Gründung Luxeuil, Pc- ronna Scottorum in der Picardie und Bobbio in Oberitalien, zu ihrer Zeit bekannt waren und durch ihre Produkte, die Bücher, wie durch de-

ren Gestaltung einen nicht meßbaren Einfluß auf die Entwicklung kul- turellen Lebens im Frankenreich ausgeübt haben, ist anzunehmen, doch

nur in wenigen Fällen nachzuweisen'. Immerhin dürften auch diese hier nur knapp skizzierten neueren Er-

kenntnisse über die Schrift- und Buchkultur der irischen Mönche und deren Einfluß auf dem Kontinent das Bild bereichern, das uns die Zeug-

nisse irischer Spiritualität, ihrer Vorliebe für das Alte Testament, ihres Einflusses auf Fragen der Sexualmoral, der Sonntagsfeier und vor allem auf die kirchliche Bußpraxis, vielleicht auch auf die Übernahme der Kö-

L' Bernhard Bischoff, Wendepunkte in der Geschichte der lateinischen Exegese im

Frühmittelalter: Sacris Erudiri 6 (1954) S. 189-279; von mir benutzt der Abdruck in:

ders., Mittelalterliche Studien 111 (19S1) 205-273.

"s Bischoff, \\'endepunkte (s. Anm. 61) 224. " Nlgl. vor allem die Feststellungen B. Bisehoffs über den Weg der in irischen Zentren

geschriebenen Werke in: Wendepunkte (s. Anm. 61) 231-269, bes. Nr. 1,5,16 u. 27, so- wie ders., Irische Schreiber im Karolingerreich (1977), abgedruckt in: Mittelalterliche Studien 111(19S1) 39-54.

Page 22: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

22 Raymund Kottje

nigssalbung nach alttestamentlichem Vorbild und der literarischen Akti- vitäten wie des Interesses an der Bibelerklärung geboten haben. Sie ha- ben hoffentlich deutlich genug vor Augen geführt, wie vielfältig der Beitrag der irischen Mönche zum gemeinsamen europäischen Haus im frühen Mittelalter gewesen ist. Vielleicht darf man, ohne in den Ver- dacht der Iromanie zu geraten", in Abwandlung des eingangs zitierten Satzes von Ludwig Bieler sagen: Man kann nicht nur das Mittelalter,

man kann Europa nicht ohne die Iren, genauer: die irischen Mönche, verstehen.

65 Vgl. Johannes Duft, Iromanie und Irophobie. Fragen um die frühmittelalterliche Ircnmission, exemplifiziert an St. Gallen und Alemannien: Z. f. Schweiz. Kirchengesch. 50 (1956) 241-262; Edmondo Coccia, La cultura irlandese precarolingia. Miracolo o mito?, in: Studi Medievali IIl ser. 8,1 (1967) 257-420 und die sachgerecht abwägenden Hinweise von Löwe in seiner »Einleitung« in: Die Iren (s. Anm. 2) bes. 4.

I.

Page 23: HISTORISCHES JAHRBUCH - mgh-bibliothek.de · (1963). 2 Vgl. die auf drei internationalen Kolloquien über »Irland und Europa im frühen Mit- telalter» in Tübingen (1978) und Dublin

America, Europe 281 f. - Hehl E. -D., Hg., Konzilien Deutschlands 916-1001 195f. - Heineberg H., Hg., Innerstädtische Differenzierung 247f. - Helbich J. u. a., Hg., Briefe aus Amerika 260 - Hist. Atlas von Baden-Württemberg 292 f. - Hofmann Ch., Flugschriften 293 f. - Hortzitz N., »Früli-Antisemitis- musk 230ff. - Jungnickel C. /McCormmach R., Theoretical Physics 260f. - Junker D., Kampf um d. Weltmacht 272 - Katz J., Vom Vorurteil bis zur Vernichtung 230 ff. - Kiefer R., Bachem 257 ff. - Klessmann C., Hg., Septem- ber 1939 279f. - Köbler G., Dt. Rechtsgeschichte 180 - Kölzer T., Urkun- denfälschungen 198 f. - Kosztolnyik Z. J., From Coloman to Bela 111 199 ff. - Kroener B. /Müller R. D. /Umbreit H., Organisation u. Mobilisierung 278 f. - Kropat \V. -A., Kristallnacht in Hessen 275 f. - Krumeich G., Jean d'Arc 185 - Kuropka J. /Eckermann \V., Hg., Oldenburger Profile 185 f. - Ladero Quese- da M. A., Granada 209 ff. - Ladero Queseda M. A., Los Muddjares de Castilla 209 ff. - Livet G. s. Schang P. - Löffler P., Bearb., Bischof von Galen 272 ff. - Longerich P., Braune Bataillone 268 f. - Löwe H., Hg., Iren u. Europa 189 ff.

- Löwenstein U., Bearb., Quellen z. Gesch. d. Juden 230 ff. - Maier H., Zeit-

rechnung 295 - Marshall B., Post-War German Politics 280f. - McCormmach R. s. Jungnickel C. - McKitterick R., Carolingians 194 - Melanchthons Brief-

wechsel, Bd. 4 u. 5, hg. v. H. Scheible 219 f. - Meuthen E. s. Angermeier H. / Meuthen E., Hg. - Miethke J. s. Capitani O. /Mliethke J., Hg. - Mühleisen H., Kurt v. Lersner 265 - Müller H., Bearb., Bistum Münster Bd. 5 197 - Müller R. D. s. Kroener B. /Müller R. D. - Umbreit H. /Müller W., Hg., Säkularisa-

tion 229f. - Mussinghoff H., Rassenwahn in Münster 276f. - Na'aman S., Deutscher Nationalverein 245 f. - Naarmann M., Paderborner Juden 230 ff. - Netzer H: J., Albert v. Sachsen-Coburg 252 ff. - Ni Chathain P. /Richter M., Hg., Irland u. d. Christenheit 189ff. - Osterhammel J., China u. d. Weltge-

sellschaft 289ff. - Padgen A., Spanish Imperialism 216 - Plötz R., Hg., San-

tiago-Pilgerfahrt 204 f. - Polster G., Polit. Studentenbewegung 242 ff. - Pom-

merin R., Von Berlin nach Bonn 283 - Pörtner R., Hg., Kindheit im Kaiserreich 256 - Preissler D., Frühantisemitismus 231 ff. - Prinz J., Bearb., Westfälisches Urkundenbuch IX 211 f. - Rädlinger-Prömper C., St. Emme-

ram in Regensburg 196f. - Rinki G. /Pok A., Hg., Hungary and European Civilization 287f. - Real W., Savigny 254ff. - Regesten d. Erzbischöfe v. Y. öln, bearb. v. N. Andernach 212f. - Roos H., Polnische Nation 289 - Rösch G., Venezianischer Adel 20S f. - Schang P. /Livet G., Hg., Gymnase Jean Sturm 186 ff. - Scheeben E., Ernst II. v. Sachsen-Coburg 252 ff. - Schci- ble H. s. Melanchthons Briefwechsel - Schenck E. G., Patient Hitler 271 f. - Schönbeck C. s. Boehm L. - Schultheiss H., Hg., FS Otto Borst 181 f. - Schwarz H. -P. s. Akten - Sorkin D., German Jewry 230 ff. - Stadler P., Zwi-

schen Mächten, Mächtigen u. Ideologien 180 f. -Strahm H., Metltodistenkir-

ehe 277 - Stratmann M., Hinkmar v. Reims 195 - Szklanowski B., Bearb., Haus des ewigen Lebens 230ff. - Tellenbach G., Abhandlungen 180 - Tha-

mer H: U., Verführung u. Gewalt 267f. -Tilkovszky L., Teufelskreis 288f. - Ueberholz H., Gemeinde im Wiederaufbau 287 - Ulrich K., Hg., Kath. Ge-

meinden 248 f. - Umbreit H. s. Kroener B. - Vinculum Societatis. FS J. Wol- lasch 194 f. - Vinke R. s. Decot R. - Vinke R., Jung-Stilling 227 f. - Voigt K., Zufhicht auf Widerruf 274f. - Weber-Kellermann I., Landleben im 19. Jh. 249f. - Weiland A., Campo S. Teut. Rom 294 - Weiler H., Reichsexekution 265 f. - Wells J. C., Althochdt. Glossenwörterbuch 292 - Werner K. F., Hg., Hof, Kultur u. Politik 246f. - Wetzel J., Jüdisches Leben in München 230ff.

Winter I. M., Bismarck 251 f. - Zemon-Davis N., Frauen u. Gesellschaft 216 f.

NEKROLOG

Bernhard Bischoff t (1906-1991). Von Prof. Dr. Peter Herde (Würzburg) ...............................

296-301

ZUSAMMENFASSUNGEN (SU1BSARIES) ........................ 302-304