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| INFOKASTEN © 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.pharmuz.de 1/2008 (37) | Pharm. Unserer Zeit | 71 HIV-IMPFSTUDIE ABGEBROCHEN | Die Eindämmung der HIV-Pandemie gehört in diesen Tagen zu den größten Herausforderungen der medizinischen Forschung. Trotz der großen Fortschrit- te in der Therapie der HIV-Infektion durch effiziente anti-retrovirale Medika- mente ist absehbar, dass die Pandemie nur durch die Entwicklung eines effek- tiven Impfschutzes beherrschbar werden wird. Die Entwicklung von HIV-Impfstoffen ist mühsam. Das Virus-Genom wird während der Virus-Replikation mit einer hohen Fehlerrate vermehrt, sodass ständig Virusvarianten mit veränderten Epitopen entstehen. In der Vergangen- heit haben viele HIV-Vakzine – obwohl sie eine potente Antikörper-Produktion gegen die immunisierten Epitope generiert hatten – keinen effektiven Schutz gegen die HIV-Infektion geboten. Ein internationales Konsortium, bestehend aus dem National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID), dem HIV Vaccine Trials Network (HVTN) und dem Pharmakonzern Merck hatte im Dezember 2004 eine breit angelegte Studie (STEP) mit einem neuen Impfstoff-Konzept aufgelegt. Mit dem Impfstoff MRKAd5 von Merck wurde bewusst nicht versucht, wie in vielen erfolglosen Studien zuvor, Anti-HIV-Antikörper in den Impflingen zu generieren. Vielmehr sollte speziell die Aktivität CD8-positiver, so genannter Cytotoxischer T-Zellen (T C ) stimuliert werden. Die T C -Zellen sollten dann HIV-infizierte Zellen gezielt zerstören. Der Vorteil dieser Methode wurde darin gesehen, dass dann HIV-Antigene aus den konstanteren Proteinen aus dem Inneren des Viruscapsids zur Immu- nisierung eingesetzt werden können, die nicht für Antikörper erreichbar sind (im Impfstoff MRKAd5 die Proteine GAG, POL und Nef). Für die Studie wurden 3.000 HIV-negative Freiwillige aus Nord- und Südameri- ka, der Karibik und Australien rekrutiert, die zu Hochrisikogruppen bezüglich der Infektion mit HIV gerechnet wurden. Nach einer routinemäßigen Zwischenaus- wertung eines Teils des Probanden-Kollektivs wurde nun die Studie wegen der offen- sichtlichen Unwirksamkeit des Impfstoffs gestoppt. Bislang wurden die Daten von ca. 1.500 Studienteilnehmern ausgewertet. Von 741 mit der Vakzine behandelten Perso- nen wurden in der Studienperiode 24 mit HIV infiziert, in der Placebo-Gruppe waren es 21 von 762. Leider waren auch die Virustiter in den beiden Studiengruppen vergleichbar: Etwa 8 bis 12 Wochen nach der Erstdiagno- se hatten die Infizierten der Vakzine-Gruppe eine Viruslast von 40.000/mL Blut verglichen mit 37.000/mL in der Vergleichsgruppe. STEP ist leider nicht die erste negativ ver- laufende HIV-Impfstudie. Allerdings ist der Ausgang dieser Studie besonders enttäu- schend, weil unter den Experten von dem neuen Impfkonzept ein Durchbruch in der Suche nach effektiven HIV-Impfstoffen er- hofft und auch erwartet wurde. Der Schock sitzt tief, aber dennoch hoffen die Autoren der Studie, dass der negative Ausgang nicht das generelle Ende des „T-Zell-Konzeptes“ in der Suche nach effek- tiven HIV-Vakzinen sein wird. Cohen, J.: Promising AIDS vaccine’s failure lea- ves field reeling. Science 318 (2007), 28-29. Thomas Winckler, Jena Anzahl der HIV-Erstdiagnosen 1.600 0 1.400 1.200 1.000 800 600 400 200 Halbjahr der Diagnose 97/II 07/I 06/II 06/I 05/II 05/I 04/II 04/I 03/II 03/I 02/II 02/I 01/II 01/I 00/II 00/I 99/II 99/I 98/II 98/I keine Angaben/Sonstige Prä- oder perinatale Infektion Personen aus Hochprävalenzländern (HPL) Heterosexuelle Kontakte ohne HPL i.v. Drogenabhängige homosexuelle Männer ABB. 1 | HIV IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND HIV-Erstdiagnosen (bestätigt positive HIV-Antikörpertests) nach Halbjahr der Diagnose und Infek- tionsrisiko ab 1997. (Stand: 1.9.2007, Quelle: Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch-Instituts, Sonderausgabe B, 5. Oktober 2007)

HIV-Impfstudie abgebrochen

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| I N FO K A S T E N

© 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.pharmuz.de 1/2008 (37) | Pharm. Unserer Zeit | 71

HIV-IMPFSTUDIE ABG EBROCHEN |Die Eindämmung der HIV-Pandemie gehört in diesen Tagen zu den größtenHerausforderungen der medizinischen Forschung. Trotz der großen Fortschrit-te in der Therapie der HIV-Infektion durch effiziente anti-retrovirale Medika-mente ist absehbar, dass die Pandemie nur durch die Entwicklung eines effek-tiven Impfschutzes beherrschbar werden wird. Die Entwicklung von HIV-Impfstoffen ist mühsam. Das Virus-Genom wirdwährend der Virus-Replikation mit einer hohen Fehlerrate vermehrt, sodassständig Virusvarianten mit veränderten Epitopen entstehen. In der Vergangen-heit haben viele HIV-Vakzine – obwohl sie eine potente Antikörper-Produktiongegen die immunisierten Epitope generiert hatten – keinen effektiven Schutzgegen die HIV-Infektion geboten.Ein internationales Konsortium, bestehend aus dem National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID), dem HIV Vaccine Trials Network

(HVTN) und dem Pharmakonzern Merck hatte im Dezember 2004 eine breit angelegte Studie (STEP) mit einem neuen Impfstoff-Konzept aufgelegt. Mit dem Impfstoff MRKAd5 von Merck wurde bewusst nicht versucht, wie invielen erfolglosen Studien zuvor, Anti-HIV-Antikörper in den Impflingen zu generieren. Vielmehr sollte speziell die Aktivität CD8-positiver, so genannterCytotoxischer T-Zellen (TC) stimuliert werden. Die TC-Zellen sollten dann HIV-infizierte Zellen gezielt zerstören. Der Vorteil dieser Methode wurde darin gesehen, dass dann HIV-Antigene ausden konstanteren Proteinen aus dem Inneren des Viruscapsids zur Immu-nisierung eingesetzt werden können, die nicht für Antikörper erreichbar sind (im Impfstoff MRKAd5 die Proteine GAG, POL und Nef).Für die Studie wurden 3.000 HIV-negative Freiwillige aus Nord- und Südameri-ka, der Karibik und Australien rekrutiert, die zu Hochrisikogruppen bezüglich

der Infektion mit HIV gerechnet wurden. Nach einer routinemäßigen Zwischenaus-wertung eines Teils des Probanden-Kollektivswurde nun die Studie wegen der offen-sichtlichen Unwirksamkeit des Impfstoffsgestoppt. Bislang wurden die Daten von ca. 1.500 Studienteilnehmern ausgewertet.Von 741 mit der Vakzine behandelten Perso-nen wurden in der Studienperiode 24 mitHIV infiziert, in der Placebo-Gruppe waren es21 von 762. Leider waren auch die Virustiterin den beiden Studiengruppen vergleichbar:Etwa 8 bis 12 Wochen nach der Erstdiagno-se hatten die Infizierten der Vakzine-Gruppeeine Viruslast von 40.000/mL Blut verglichenmit 37.000/mL in der Vergleichsgruppe.STEP ist leider nicht die erste negativ ver-laufende HIV-Impfstudie. Allerdings ist derAusgang dieser Studie besonders enttäu-schend, weil unter den Experten von demneuen Impfkonzept ein Durchbruch in derSuche nach effektiven HIV-Impfstoffen er-hofft und auch erwartet wurde. Der Schock sitzt tief, aber dennoch hoffendie Autoren der Studie, dass der negativeAusgang nicht das generelle Ende des„T-Zell-Konzeptes“ in der Suche nach effek-

tiven HIV-Vakzinen sein wird.

Cohen, J.: Promising AIDS vaccine’s failure lea-ves field reeling. Science 318 (2007), 28-29.

Thomas Winckler, Jena

Anzahl derHIV-Erstdiagnosen

1.600

0

1.400

1.200

1.000

800

600

400

200

Halbjahr der Diagnose

97/II 07/I06/II06/I05/II05/I04/II04/I03/II03/I02/II02/I01/II01/I00/II00/I99/II99/I98/II98/I

keine Angaben/Sonstige

Prä- oder perinatale Infektion

Personen aus Hochprävalenzländern (HPL)

Heterosexuelle Kontakte ohne HPL

i.v. Drogenabhängige

homosexuelle Männer

A B B . 1 | H I V I N D E R B U N D E S R E P U B L I K D E U T S C H L A N D

HIV-Erstdiagnosen (bestätigt positive HIV-Antikörpertests) nach Halbjahr der Diagnose und Infek-tionsrisiko ab 1997. (Stand: 1.9.2007, Quelle: Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch-Instituts, Sonderausgabe B, 5. Oktober 2007)