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Musikalische Logik dtsch., auch Logik der Musik, seit 1788. I. Der Begriff musikalische Logik hat eine Vorgeschichte, die von der VER- GLEICHBARKEIT VON MUSIK UND LOGIK ausgeht. II. Der Ausdruck musikalische Logik zielt auf ein mus. Denken, dem eine Logik zugesprochen wird, und meint eine Beschaffenheit der Musik selbst, die nicht Ge- genstand der philosophischen Logik ist, sondern Gegenstand einer Musiktheorie, welche Konzepte der philosophischen Logik heranziehen kann. Der Begriff musi- kalische Logik benennt die Logizität (logische Beschaffenheit) der Musik, die TEILHABE MUSIKALISCHER PROZESSE AN GESETZMÄSSIGKEITEN DES DENKENS. Er bezeichnet daher nicht ein gegebenes Phänomen wie Harmonik, Melodik, Form- bildung, sondern einen Anspruch, der an mus. Phänomene und an deren Zusam- menwirken gestellt wird, sofern von Musik erwartet wird, daß sie sich als in sich begründeter Zusammenhang hören läßt. (1) Ende des 18. Jh. erfolgt die PRÄGUNG DES BEGRIFFS UNTER BEZUGNAHME AUF DIE VORANGEGANGENE DISKUSSION ÜBER DIE PRIORITÄT VON HARMONIE ODER MELODIE. (a) Eine Vorstufe bildet die Wendung SYLLOGISMUS MUSICUS, mit der J. Mattheson ironisch auf H. Bokemeyers These reagiert, daß der Kanon für die Musik so grundlegend sei wie der Syllogismus für die Wahrheitsfindung. (b) Ausgehend von einer an der Rhetorik orientierten Logik prägt J. N. Forkel 1788 die Ausdrücke musikalische Logik und Logik der Musik im Blick auf die HAR- MONISCHE GRUNDLEGUNG DER MELODIE- UND FORMBILDUNG. (c) An die gramma- tische Distinktionslehre anknüpfend, sieht H. Chr. Koch in der GLIEDERUNG DER MELODIE eine logische Beschaffenheit der Musik. (d) J.-J. de Momigny bezeich- net seine MUSIKTHEORIE als „doctrine de la logique musicale“. (2) Im 19. Jh. gelten HARMONIK UND METRIK als logische Formen mus. Prozesse. (a) Diese Deutung führt M. Hauptmann systematisch durch, wobei er Grundbe- griffe der dialektischen Logik einsetzt, Ableitungen des Ausdrucks wie „LOGIK DER HARMONIE“, LOGISCHER FEHLER“ aber nur vereinzelt benutzt. (b) H. Rie- mann bezieht den Begriff auf das zentrale Modell einer Logik der KADENZ. (3) Eine Spezifizierung des Ansatzes bei rhetorischer Logik ist die Auffassung des Musikwerks als FOLGERICHTIGE GEDANKENENTWICKLUNG. (4) Zur Spezifizierung von musikalischer Logik, die sich am Vorbild der Rhetorik ausrichtet, gehört, im Blick auf das rhetorische Pathos, die Berufung auf eine LO- GIK DES GEFÜHLS. (5) A. Schönberg prägt ein Begriffsverständnis, das der Tradition tonaler Musik verpflichtet ist und als MOTIVISCHE LOGIK auch in nicht-tonaler Musik den Zu- sammenhang verbürgen soll. (6) Im 20. Jh. entwickelt Th. W. Adorno eine ERFAHRUNGSORIENTIERTE BE- GRIFFSAUFFASSUNG von musikalischer Logik.

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Musikalische Logik

dtsch., auch Logik der Musik, seit 1788.

I. Der Begriff musikalische Logik hat eine Vorgeschichte, die von der VER-GLEICHBARKEIT VON MUSIK UND LOGIK ausgeht.

II. Der Ausdruck musikalische Logik zielt auf ein mus. Denken, dem eine Logik zugesprochen wird, und meint eine Beschaffenheit der Musik selbst, die nicht Ge-genstand der philosophischen Logik ist, sondern Gegenstand einer Musiktheorie, welche Konzepte der philosophischen Logik heranziehen kann. Der Begriff musi-kalische Logik benennt die Logizität (logische Beschaffenheit) der Musik, die TEILHABE MUSIKALISCHER PROZESSE AN GESETZMÄSSIGKEITEN DES DENKENS. Er bezeichnet daher nicht ein gegebenes Phänomen wie Harmonik, Melodik, Form-bildung, sondern einen Anspruch, der an mus. Phänomene und an deren Zusam-menwirken gestellt wird, sofern von Musik erwartet wird, daß sie sich als in sich begründeter Zusammenhang hören läßt. (1) Ende des 18. Jh. erfolgt die PRÄGUNG DES BEGRIFFS UNTER BEZUGNAHME AUF DIE VORANGEGANGENE DISKUSSION ÜBER DIE PRIORITÄT VON HARMONIE ODER MELODIE. (a) Eine Vorstufe bildet die Wendung SYLLOGISMUS MUSICUS, mit der J. Mattheson ironisch auf H. Bokemeyers These reagiert, daß der Kanon für die Musik so grundlegend sei wie der Syllogismus für die Wahrheitsfindung. (b) Ausgehend von einer an der Rhetorik orientierten Logik prägt J. N. Forkel 1788 die Ausdrücke musikalische Logik und Logik der Musik im Blick auf die HAR-MONISCHE GRUNDLEGUNG DER MELODIE- UND FORMBILDUNG. (c) An die gramma-tische Distinktionslehre anknüpfend, sieht H. Chr. Koch in der GLIEDERUNG DER MELODIE eine logische Beschaffenheit der Musik. (d) J.-J. de Momigny bezeich-net seine MUSIKTHEORIE als „doctrine de la logique musicale“. (2) Im 19. Jh. gelten HARMONIK UND METRIK als logische Formen mus. Prozesse. (a) Diese Deutung führt M. Hauptmann systematisch durch, wobei er Grundbe-griffe der dialektischen Logik einsetzt, Ableitungen des Ausdrucks wie „LOGIK DER HARMONIE“, „LOGISCHER FEHLER“ aber nur vereinzelt benutzt. (b) H. Rie-mann bezieht den Begriff auf das zentrale Modell einer Logik der KADENZ. (3) Eine Spezifizierung des Ansatzes bei rhetorischer Logik ist die Auffassung des Musikwerks als FOLGERICHTIGE GEDANKENENTWICKLUNG. (4) Zur Spezifizierung von musikalischer Logik, die sich am Vorbild der Rhetorik ausrichtet, gehört, im Blick auf das rhetorische Pathos, die Berufung auf eine LO-GIK DES GEFÜHLS. (5) A. Schönberg prägt ein Begriffsverständnis, das der Tradition tonaler Musik verpflichtet ist und als MOTIVISCHE LOGIK auch in nicht-tonaler Musik den Zu-sammenhang verbürgen soll. (6) Im 20. Jh. entwickelt Th. W. Adorno eine ERFAHRUNGSORIENTIERTE BE-GRIFFSAUFFASSUNG von musikalischer Logik.

(7) Einzelne NEUERE REKURSE AUF DEN BEGRIFF der musikalischen Logik sind zu einem Teil auf eine engere Fassung seiner theoretischen Voraussetzungen, zu ei-nem anderen Teil auf eine Erweiterung seines Umfanges gerichtet. Adolf Nowak, Frankfurt a. M. 2004

HmT – 38. Auslieferung, Winter 2004/05