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Hommage an Meister Peter Deunov

Hommage an Meister Peter Deunov - Prosveta Verlag · BIOGRAFISCHE ANMERKUNG PETER DEUNOV 12. Juli 1864 - 27. Dezember 1944 1888: Studium der Theologie und Medizin in der Universitätsstadt

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  • Hommage an MeisterPeter Deunov

  • Aus dem Französischen übersetztOriginaltitel:

    Hommage au Maitre Peter Deunov

    © 1991, Éditions Prosveta S. A., France, ISBN 2-85566-519-1Französische Originalausgabee

    © Copyright 2005 by Prosveta Verlag GmbH,Heerstr. 55, 78628 Rottweil.

    Alle Rechte für alle Länder vorbehalten. Jeder Nachdruck sowie jedeBearbeitung, Darstellung, Bild-, Ton- oder sonstige Ausgabe bedürfen

    der ausdrücklichen Genehmigung des Herausgebers.

    ISBN 3-89515-087-8

    Druck 2005: Interpress, Ungarn

  • OOmmrraaaamm MMiikkhhaaëëll AAïïvvaannhhoovv

    PROSVETA V E R L A G

    Reihe Izvor – Sonderband 200

    Hommage an MeisterPeter Deunov

  • BIOGRAFISCHE ANMERKUNG

    PETER DEUNOV12. Juli 1864 - 27. Dezember 1944

    1888: Studium der Theologie und Medizin inder Universitätsstadt Madison (Wisconsin), USA

    1895: Rückkehr nach Bulgarien1900: Erste Schüler1922: Eröffnung der Schule, die bis 1944

    bestand

    *

  • LLaannddkkaarrttee BBuullggaarriieenn

  • Da Meister Omraam Mikhaël Aïvanhovseine Lehre ausschließlich mündlich überlieferte,

    wurden seine Bücher aus stenografischenMitschriften, Tonband- und Videoaufnahmen

    seiner frei gehaltenen Vorträge erstellt.

  • Wenn ich euch erzählen würde, wie großmeine Freude und wie beglückt ich an dem Tagwar, als ich dem Meister begegnete, ihr würdet esmir nicht glauben! Damals war ich sehr arm undbesaß nichts weiter als ein Bett, eine Geige undeinige Bücher. Wochenlang verbrachte ich meineZeit in den Bergen mit Lesen und Meditieren undvon Zeit zu Zeit ging ich ein wenig arbeiten, ummir einige Groschen zu verdienen. Und hättet ihrdie Schuhe und die Kleider gesehen, die ich trug!Aber ich war glücklich, denn ich fühlte michreich, sagenhaft reich; reich, weil ich wusste,dass es meinen Meister gab. Ich hatte das Gefühl,

    »Ein Meister ist wie ein Vogel, der zueuch kommt und für euch singt, umeuch auf den Weg zum verwunsche-nen Schloss zu führen. An dem Tag,an dem ihr keine Gefahr mehr lauft,euch zu verirren, kann euch derVogel verlassen, er fliegt davon.«

    Omraam Mikhaël Aïvanhov

  • dass mein Kopf und mein Herz alle Schätze desUniversums enthielten. Einen Meister zu haben,begreift ihr das! Ich wusste, dass ich durch ihnHimmel und Erde besitzen würde, dass ich diemir kostbarsten Wünsche verwirklichen würde.

    Es gibt leider nur sehr wenige Menschen, dieein Gespür dafür haben, was ein Meister für dieAusrichtung ihres Schicksals bedeuten kann, einGespür dafür, was seine Gegenwart in ihrem Le-ben alles in Ordnung bringen, verbessern undharmonisieren kann. Einen Meister zu haben, be-deutet ihnen nichts, denn sie wissen, durch ihnwird es mit ihrer Ruhe vorbei sein. Der Meisterwird ihnen ihre Mängel aufzeigen und die Gefah-ren der Wege, die sie oft einschlagen; dann füh-len sie sich natürlich ein wenig gebremst und ge-nau das wollen sie nicht. Und das ist schade, weilsie mit dieser Einstellung geradewegs auf grö-ßere Leiden und Beschränkungen zusteuern, alssie zu erdulden hätten, wenn sie auf die Rat-schläge eines Meisters hören würden. Ich aller-dings, ich habe seit meiner frühesten Jugend ge-spürt, dass ich einen Meister brauchte, undgerade das hat mich gerettet.

    Als ich dem Meister Peter Deunov begeg-nete, war ich siebzehn Jahre alt und wohnte inVarna am Schwarzen Meer. Und dass ich ihn ge-rade zu dieser Zeit getroffen habe, lag daran, dass

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  • infolge allerlei Intrigen der Klerus der orthodo-xen Kirche bei der Regierung erwirkt hatte, dasser Sofia, wo er sich niedergelassen hatte, verlas-sen musste. Er wurde in die Stadt Varna ins Exilgeschickt, in deren Nähe er übrigens geboren warund wo er lange Zeit gewohnt hatte.

    Der Meister war der Sohn eines Popen derbulgarischen orthodoxen Kirche. Sein Vaterwünschte natürlich, dass er den gleichen Wegeinschlüge und auch Pope würde. Aber das hatder Meister abgelehnt. Er kannte zu gut diesesMilieu des Klerus, seine Mentalität, und er wuss-te, was in ihnen vorging, und davon war er nichtsonderlich begeistert. Er hätte ebenso gut Pastorwerden können, denn schon in seiner Jugendzeithatte er eine protestantische Schule in Bulgarienbesucht und danach sein Theologiestudium – so-wie ein Medizinstudium – in den VereinigtenStaaten weitergeführt. Obwohl man bei seinerRückkehr erwartete, dass er ein Amt in der evan-gelischen Kirche annehmen würde, wies er auchdies zurück. Er spürte, dass er eine andere Beru-fung hatte.

    Als er dann anfing, Vorträge zu halten und ei-nige Schüler um sich zu scharen, stellte sich derKlerus der orthodoxen Kirche dem Meister un-verzüglich in den Weg. Warum? Oh, das ist ganzeinfach! Zu allen Zeiten und in allen Religionenwar der Klerus stets der Ansicht, dass außerhalb

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  • der etablierten Kirchen nichts Gutes entstehenkönne. Meinetwegen, wenn die Kirchen ihreAufgabe ordentlich erfüllen würden, hätte manihnen nichts vorzuwerfen; aber oft machen sienichts weiter, als die Gläubigen in engen und be-schränkten Lebensauffassungen festzuhalten.Denn was verlangt man schließlich von ihnen?Sie sollen glauben, regelmäßig zum Gottesdienstkommen, einige Gebete hersagen, fromme Lie-der singen und Moralpredigten anhören, das istalles! Wie kann die Kirche glauben, dies genüge,um die Menschen umzuwandeln und Gott näherzu bringen? Aber will man sie wirklich umwan-deln und Gott näher bringen? Und wie viele gibtes sogar in der Priesterschaft, die tatsächlich einbeispielhaftes Leben führen, in wahrer Überein-stimmung mit den heiligsten Prinzipien ihrer Re-ligion?

    Nach und nach wurden die Person und dieAktivitäten des Meisters zu einem richtigen le-bendigen Vorwurf für die Bischöfe. Er schien ih-nen zu sagen: »Wie weit seid ihr doch entferntvon den Wahrheiten des Evangeliums! Wie sehrunterscheidet sich euer Leben von dem, was Je-sus gelehrt hat! Ihr müsst euch korrigieren.«Aber anstatt dies zu akzeptieren, beschuldigtensie den Meister, ein Häretiker zu sein, ein fal-scher Prophet. Hätte er ein völlig mittelmäßigesLeben geführt, dann hätten sie ihn in Ruhe gelas-

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  • sen, er aber wollte auf den Spuren Christi wan-deln und so haben sie ihn verfolgt. Nach einigerZeit haben sich die Bischöfe mit einigen Regie-rungsmitgliedern zusammengetan, um ihn insExil zu schicken. Dieser Schritt der Bischöfe warein Beweis ihrer Schwäche. Der Meister wurdeaufgefordert, Sofia zu verlassen. Er blieb fried-lich und begab sich mit einigen Schülern nachVarna. Das war im Jahre 1917.

    Zu dieser Zeit bewohnte ich ein Haus, dasmeinen Eltern gehörte und das sich, ohne dassich es wusste, nur einige Schritte weit von dementfernt befand, wo der Meister früher gewohnthatte, bevor er nach Sofia gegangen war. Ich er-innere mich noch gut daran, das war wirklich dieaußergewöhnlichste Straße der Stadt auf Grundihrer starken Abschüssigkeit. Jeden Morgen,wenn ich zur Schule ging, musste ich diesen stei-len Weg hinaufgehen, und im Winter war schongroße Vorsicht geboten, denn das Eis verwan-delte ihn manchmal in eine wahre Rutschbahn. Indieser Straße, die zudem sehr lang war, befandsich die Kirche, in welcher der Vater des Meistersdas Amt des Popen innegehabt hatte; so war er inein Nachbarhaus gezogen, und der Meister hattedort mehrere Jahre lang gewohnt.

    Das Exil des Meisters in Varna wurde für michzu einem glücklichen Ereignis. Durch diesen Um-

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  • stand habe ich ihn kennen gelernt, und mein Lebenbekam seine endgültige Ausrichtung.

    Schon beim ersten Anblick war ich wie ge-blendet. Sein Gesicht, seine Ausstrahlung, derFrieden, der von ihm ausging, der feierlicheErnst seines Auftretens, die Anmut seiner Gesten,sein Gang, seine Art zu sprechen, sein Blick, seinLächeln, alles entstammte einer anderen Welt.Sein ganzes Wesen ließ die lange Arbeit der Ein-geweihten und der Meister spüren, eine Arbeitvoller Geduld, voller Beharrlichkeit, voller Edel-mut und Selbstlosigkeit. Eine durch ihre Tiefe,ihren Reichtum und ihre Schönheit unermessli-che Welt, das war es, was der Meister mitbrachte.

    Was mich dann weiterhin noch sehr beimMeister beeindruckte, das war seine Würde. Aberes dürfte euch schwer fallen zu begreifen, wasich damit meine, denn für viele ist die Würdekein klarer Begriff, sie neigen dazu, sie mit Stolzoder Hochmut zu verwechseln. Die Würde desMeisters, das war sein Bewusstsein der Schätze,die Gott in ihn gelegt hatte, und der Wille, dieseunversehrt zu bewahren. Ja, wahre Würde be-steht in der Achtung all dessen, was Gott uns ge-geben hat, zunächst einmal für unseren physi-schen Körper, aber auch für unser Herz, unserenIntellekt, unsere Seele und unseren Geist. Wie ofthabe ich bemerkt, wie der Meister sich gegenjegliche körperliche oder seelische Beschmut-

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  • zung abschirmte. Man spürte, dass er beständigdarauf achtete, seine inneren Reichtümer zu er-halten, um sie eines Tages dem Schöpfer in nochgrößerer Fülle und größerem Glanz zurückgebenzu können.

    Und diese Würde, diese Selbstachtung wollteer auch seinen Schülern vermitteln, indem er ih-nen bewusst machte, dass sie Tempel, Heiligtü-mer des Ewigen sind, wo nur reine Nahrung,reine Gedanken, reine Worte und reine Empfin-dungen hinein- und herausdürfen. Alle diejeni-gen, die nicht darauf aufpassen, was in sie hi-neingelangt oder aus ihnen herauskommt, die sichhinreißen lassen, um irgendetwas zu machen,sich mit irgendetwas zu beschäftigen, ganzgleich, was zu sagen oder zu denken, die könnensich ihrer wahren Menschenwürde nicht bewusstwerden.

    Was ich euch nun erzählen werde, hat sich inVarna zugetragen, in der Anfangszeit meiner Be-kanntschaft mit dem Meister, als ich ihm einenBesuch abstattete. Es war während des Balkan-krieges. An jenem Abend hatten wir viel mitein-ander gesprochen, und ich war recht spät dran.Die Zeit der nächtlichen Ausgangssperre warlängst erreicht. An einer Straßenecke lief ichplötzlich zwei berittenen Wachleuten in dieArme, die mich aufhielten und fragten: »Wohin

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  • wollen Sie denn noch so spät?« – »Ich geh’ nachHause.« – »So, so, dann kommen Sie erst malmit.« Ich musste mitgehen. Dabei dachte ich anden Meister und war so glücklich über unsereUnterhaltung, dass es mir völlig gleich war, obich die Nacht im Gefängnis verbringen würde...Auf einmal, ganz ohne Grund, änderten dieWachleute ihr Verhalten und sagten: »Gut, gehenSie zu! Gehen Sie nach Hause. Wir begleiten Sienoch ein Stück, damit Sie nicht von der nächstenWache angehalten werden; aber lassen Sie sichnicht einfallen, wieder um diese Uhrzeit auf dieStraße zu gehen.« Ich war sehr froh über ihr Ein-lenken, und am folgenden Tag hatte ich denZwischenfall bereits vergessen.

    Einige Tage darauf ging ich wieder zumMeister. Er empfing mich lächelnd und meinte:»Wie ist es ausgegangen neulich abends? DieWachleute waren freundlich, nicht wahr?« –»Was, Sie wissen, was passiert ist, Meister? Washaben Sie gemacht?« – »Ich habe den Wachleu-ten gesagt: Lasst ihn in Frieden heimgehen, erist ein guter Schüler.« Nach diesem Zwischen-fall habe ich begriffen, wie sehr es für den Meis-ter, der hellsehen konnte, ein Leichtes war, so imUnsichtbaren zu sprechen. Alle, die sich hin-sichtlich der Realität der Gedanken Fragen stel-len, ob diese sich wohl frei im Raum bewegenkönnen und ob das menschliche Gehirn sie auf-

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  • fangen kann, werden über diese Tatsachen nach-denken. Der Meister hatte den Wachleuten ge-sagt: »Das ist ein guter Schüler, lasst ihn«, undihre Seelen waren gehorsam, denn der Aufruf ei-nes Meisters ist ein Befehl.

    Manchmal, wenn wir miteinander sprachen,betrachtete der Meister den Himmel und beob-achtete die von den Wolken gebildeten Figuren.»Mikhaël«, sagte er zu mir, »heute Nachmittagwerden drei Leute aus Sofia zu mir kommen.« –»Woran sehen Sie das, Meister?« – »Die Wolkenkündigen es mir an«, antwortete er, »sie benach-richtigen mich.« In welcher Sprache sie das ta-ten, das weiß ich nicht, aber durch den Meisterhabe ich viel zu diesem Thema gelernt. Er hatmir auch erklärt, dass die Wolken, die man übereiner Stadt sieht, die Gesinnung ihrer Bewohnererkennen lassen.

    Zu einer bestimmten Zeit wohnte ich mit ei-nem meiner Freunde zusammen. Als ich einesTages nach Hause kam, sagte mir mein Freund,dass ein Dieb bei uns eingedrungen war und etli-che Sachen hatte mitgehen lassen, unter anderemeinen Radioapparat und eine Uhr, die mir gehör-ten. Ich hatte den Meister sagen hören, dass unsoft deshalb Diebe Dinge entwenden, weil sie unsaus irgendwelchen Gründen nicht wirklich gehö-ren. So antwortete ich meinem Freund: »Wenn

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  • das wirklich unsere Sachen sind, dann werdenwir sie zurückbekommen; wenn wir sie nicht zu-rückbekommen, dann gehören sie uns nicht, wirbrauchen uns also nicht zu beklagen.« MeinFreund war sehr intelligent, aber vor allem auchsehr praktisch veranlagt. Er fand meine Scherzeein wenig fehl am Platze und zog es vor, bei derPolizei Anzeige zu erstatten, wobei er seinen undmeinen Namen angab.

    Zwei Tage später wurde ich ins Kommissariatvorgeladen. Ich ging hin, und als der Kommissarmich sah, sagte er: »Sie sind ein Schüler vonHerrn Deunov, nicht wahr?« – »Ja, woher wissenSie das?« – »Das sehe ich Ihrem Gesicht an.« –»Sie kennen also den Meister?« – »Ja, ich kenneihn und ich werde Ihnen erzählen woher.« Und erbegann, wobei er den Dieb völlig vergaß: »Welchein Glück für Sie, einen solchen Meister zu ha-ben! Warum ich das denke? Also, während desKrieges war ich an der mazedonischen Front.Mein Vater war damals Gouverneur von Varna.Zu der Zeit war es äußerst schwierig, Briefe zurFront zu schicken oder von dort zu erhalten, undmein Vater, der ohne Nachricht von mir war,machte sich Sorgen. Als er erfuhr, dass Ihr Meis-ter sich in Varna aufhielt, ging er zu ihm mit derFrage, ob er ihm sagen könne, wo ich mich be-fand. Der Meister schloss einen Moment lang dieAugen, um mich zu suchen und antwortete dann:

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  • »In diesem Augenblick befindet sich Ihr Sohnmit Kameraden in einem Wald; sie versteckensich, weil Flugzeuge das Gehölz überfliegen undBomben abwerfen, und sie haben Angst, weildieser Platz sehr den Angriffen ausgesetzt ist.Wasser fließt auch in ihrer Nähe. Jetzt fällt eineBombe dort, wo sie sich versteckt halten... IhrSohn ist verwundet, aber nicht tödlich getroffen.Seien Sie ohne Sorge, er wird gerettet werden.Ich kann Ihnen versichern, dass er nicht sterbenund bald nach Varna zurückkehren wird. HolenSie ihn an folgendem Datum vom Bahnhof ab(der Meister gab Tag und Stunde genau an), erwird an dem Tag ankommen und einen Fisch mit-bringen.« Mein Vater war tief gerührt und gingberuhigt heim. An dem Tag, den der Meister an-gegeben hatte, erwartete er mich mit Freundenam Bahnhof und sah mich zu seiner großenFreude ankommen – mit einem Fisch!

    Mein Vater, der auch wusste, dass der MeisterPhrenologe war und an der Schädelform die Ver-anlagung eines Menschen ablesen konnte,brachte mich später einmal zu ihm hin, um mei-nen Kopf in Augenschein nehmen zu lassen; icherinnere mich aber nicht mehr daran, was er dazusagte, denn damals war ich noch recht unbeküm-mert und nicht in der Lage, die Worte Ihres Meis-ters zu begreifen...«

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  • Nach diesem Bericht bat mich der Kommis-sar um nähere Angaben zu dem an mir und mei-nem Freund begangenen Diebstahl. Er versprachmir, sein Möglichstes zu tun, um den Dieb aufzu-spüren, und so ging ich nach Hause. Mir lag vorallem daran, meine Uhr wiederzubekommen undzwar aus folgendem Grund: Es handelte sich umeine silberne Uhr, die mindestens fünfzig Jahrealt war, sie hatte meinem Vater gehört und waraußerdem deshalb von besonderem Wert, da siedie jeweilige Planetenstunde anzeigte. Ich hattedieses astrologische Zifferblatt auf Grund ent-sprechender Berechnungen selbst angefertigt,und es genügte, einen Blick darauf zu werfen, umden jeweiligen Planeteneinfluss zu kennen. Da-rum wollte ich meine Uhr gern wiederhaben.Und ich habe sie wiederbekommen. Der Diebwar ein armer junger Mann. Ich habe versuchtmit ihm zu reden, um sein Herz zu berühren, unddann habe ich den Kommissar gebeten, nicht zuhart mit ihm zu sein; ich sagte dem Kommissar,dass er ein Opfer der sozialen Verhältnisse, dasser arm und hungrig gewesen sei. Meine Argu-mente erschienen ihm nicht gerade überzeugend,aber vielleicht auf Grund seiner Sympathie fürmich, vielleicht, weil ich ein Schüler des Meis-ters war, versprach er mir, nicht zu streng zu sein.Als ich nach Hause kam, sagte ich zu meinemFreund: »Siehst Du, die unsichtbare Polizei ar-

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  • beitet tüchtig: Sie hat herausgefunden, dass dieseSachen uns gehören und dass der Diebstahl einIrrtum war.« Vor Freude fiel er mir um den Hals.Ich muss dazu sagen, dass ihm weitaus mehrDinge abhanden gekommen waren.

    Einige Jahre später habe ich einen hervorra-genden Schriftsteller kennen gelernt, der michbat: »Erzählen Sie mir von Ihrem Meister. Ichkenne ihn, er muss jetzt schon sehr alt sein, er-zählen Sie mir, was er macht. Als ich noch imGymnasium war, bin ich mit einem Kameradenzu ihm gegangen, denn wir hatten gehört, er seiein großer Phrenologe, und wir wollten etwasüber unsere Zukunft erfahren. Er schaute uns lä-chelnd an und sagte dann zu mir: »Sie haben einezarte Gesundheit, aber Sie werden ein großerSchriftsteller.« Damals hat mich das sehr er-staunt, denn ich wollte Händler werden und ver-spürte nicht im Geringsten den Hang zum Schrei-ben. Zu meinem Kameraden hingegen, derSchriftsteller werden wollte, sagte er, dass er spä-ter Handel treiben würde, was diesen natürlichetwas verdross. Alle von ihm gemachten Voraus-sagen sind eingetroffen. Überbringen Sie IhremMeister meine ehrerbietigsten Grüße, ich habegroße Achtung vor ihm.«

    Und es stimmt, dass der Meister ein einzigar-tiger Phrenologe war. Bevor er sich seiner Lehr-

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  • aufgabe widmete, hatte er jahrelang die Städteund Dörfer Bulgariens durchstreift, um dieKöpfe aller möglichen Leute zu erforschen undzu messen. Er hatte sogar phrenologische Stu-dien über den Klerus gemacht! Außerdem besaßer die Gabe, die Menschen zu durchschauen, ih-ren Entwicklungsgrad zu erkennen, zu sehen, biswohin sie gekommen waren und was aus ihnenwerden würde. Ja, das war eine Gabe von ihm,oft hat er mir den Beweis geliefert. Und gleich-zeitig war er ein guter Beobachter. Seine Ge-wohnheit, die Leute um ihn herum, und insbe-sondere natürlich seine Schüler zu beobachten,ist mir gleich aufgefallen. Das machte er aller-dings sehr diskret, denn er wollte niemandendurch einen aufdringlichen Blick in Verlegenheitbringen. Wenn man seinem Blick überraschendbegegnete, wendete er sich sogleich ab, als inte-ressierte er sich für etwas anderes; war er jedochder Ansicht, dass man nicht gewahr wurde, beob-achtet zu werden, so spürte man seinen Blicksehr tief in sich eindringen.

    Wenn ich bei ihm zu Besuch war und er michdann zur Tür begleitete, drehte ich mich beimFortgehen für einen letzten Gruß zu ihm um: Erstand da, sah mich an und ich spürte an seinenAugen, dass er mich noch eingehend erforschte.Er achtete darauf, wie ich ging. Vielleicht wollteer herausfinden, welche Wirkung unser Gespräch

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  • und seine Worte auf mich gemacht hatten, dennder Gang ist immer sehr aufschlussreich bezüg-lich des inneren Zustands.

    Als ich begriff, welche Bedeutung der Meis-ter der Beobachtung der Menschen beimaß, habeauch ich begonnen, sie zu beobachten. Viele mei-nen, um die Menschen kennen zu lernen, müsseman ihnen Fragen stellen und sie reden hören. Si-cher ist etwas Wahres daran, aber es ist nochweitaus wahrer, dass die Worte oft dazu dienen,sich zu tarnen, zu täuschen und sich vor den an-deren vorteilhaft darzustellen. Was tatsächlichsehr viel mehr aussagt als das Wort, das sind eineMenge kleiner Details in den Gesten, in der Mi-mik, im Verhalten und in der Physiognomie ganzallgemein. Da die meisten Leute aber nicht beob-achten können, bemerken sie auch nichts bei denanderen, und darum kennen sie sie auch soschlecht. Was Meister Peter Deunov betrifft, sowar er ein außergewöhnlicher Beobachter.

    Aber das Bemerkenswerteste beim Meister,was ihn zu einem ganz besonderen Menschenmachte, das war das spirituelle Leben, das vonihm ausging, und das, Lichtstrahlen gleich, unsdurchdrang. Denn die Strahlung, die ein Menschdurch ein intensives, spirituelles Leben erzeugt,ist etwas Lebendiges, eine von sehr reinen Wesenbewohnte Welt, die alle, die sich ihr nähern, er-füllt und auf sie einwirkt.

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  • Viele meinen, das Wesentliche eines Meisterssei das Wort, die Weisheit, die er vermittelt, undwenn er nichts sagt, so würden sie nichts lernen.Nun, das ist ein Irrtum: Selbst wenn er nichtspricht, vermittelt euch die Strahlung, die vonihm ausgeht, etwas von seinem Licht und seinerKraft. Bewusst oder unbewusst nehmt ihr diesefeinen Partikel auf. Aber natürlich wird eure ei-gene innere Arbeit leichter vonstatten gehen,wenn ihr euch dessen bewusst seid. Das habe ichbeim Meister begriffen. Das Wichtigste, das warnicht die Lehre, die er uns durch das Wort ver-mittelte. Das Wichtigste, das war die intensiveSchwingung seines Geistes, die uns erfüllte.

    Auf diese Weise arbeitet ein wahrer Meisteran seinen Schülern: Es genügt nicht, dass er siedahin führt, seine Vorstellungen und Ansichtenzu teilen, er überträgt ihnen die Quintessenz sei-ner Seele und seines Geistes. Nach einigen Jah-ren ist die Seelensubstanz des Schülers durch-drungen, durchwirkt von der Quintessenz seinesMeisters, und auf diese Weise gleicht er sich die-sem nach und nach an. Ein Meister, das ist eineQuelle; ein Meister, das ist ein See; ein Meister,das ist ein Baum; ein Meister, das ist eine Frucht;ein Meister, das ist Brot; ein Meister, das istSonne. Und darum ernährt sich ein Schüler beiseinem Meister, er stillt seinen Durst, er läutertsich und wird licht. Als ich das begriff, war das

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  • eine große Bereicherung für mich. Natürlichhabe ich es nicht gleich begriffen, dazu war ichzu jung. Aber einige Jahre später, als mir wirk-lich klar wurde, was die Gegenwart des Meistersbedeutete, bemühte ich mich, die Zeit, die ich mitihm verbrachte, bewusster zu erleben und aucheinige Erfahrungen, deren Wert ich damals nichtgleich erkannt hatte, im Geiste noch einmal zudurchleben.

    In Varna gab es einen wundervollen Park, deram Ufer des Schwarzen Meeres lag. Dorthin gingich jeden Morgen, um den Sonnenaufgang mitzu-erleben. Oft traf ich da den Meister, der auch zumSonnenaufgang dort hinging. Ich grüßte ihn under begrüßte mich, indem er seinen Hut hob. Zudieser frühen Stunde waren wir die Einzigen, diein den Park kamen. Vielleicht hat es ihn beein-druckt, einem jungen Burschen so früh am Mor-gen zu begegnen, und das hat zuerst seine Auf-merksamkeit auf mich gelenkt.

    Eines Tages hatte ein Bruder, der außerhalbvon Varna, nahe der Weinberge, ein Haus besaß,den Meister zu sich eingeladen. Dort besuchteich den Meister, der mich dann für den folgendenMorgen sehr früh zu sich bestellte, denn er wolltemich zum Sonnenaufgang ein gutes Stück in dieHügel hinaus mitnehmen. Ich war dermaßenglücklich darüber, einfach so mit ihm am Morgen

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  • hinauszugehen, dass ich in der Nacht fast nichtschlief. Selbstverständlich war ich pünktlich undwir gingen los. Unterwegs sprach ich ihn an, be-kam aber keine Antwort. Ich war so fröhlich, sovoller Freude, dass ich einfach sprechen mussteund er schaute mich an, lächelte mir zu, sagteaber nichts. Nach einer Weile, ein wenig ent-täuscht darüber, dass er mir keine Antwort gab,verfiel auch ich in Schweigen. Ich begann zu be-greifen, dass es in solchen Augenblicken besserwar, nicht zu sprechen. Wenn man am Morgender Sonne entgegengeht, muss man sich innerlichdarauf vorbereiten, alle ihre Segnungen zu emp-fangen. Aber was wollt ihr, wenn man jung ist –ich dürfte etwa achtzehn gewesen sein – dannversteht man all das noch nicht so, und ich warvor allem überglücklich, an der Seite des Meis-ters zu gehen!

    Da er die Zeit genau berechnet hatte – erkannte Varna gut, denn er hatte lange dort gelebt– kamen wir genau kurz vor Sonnenaufgang an.Nun machten wir halt, wählten einen Platz aufden großen Hügeln aus und die Sonne begannaufzugehen. Eine ganze Weile schauten wir ihrzu, wie sie am Himmel aufstieg. Der Meister warin Betrachtung versunken, und ich war stolz wieein Pfau, weil ich bei ihm war! Danach machtenwir einige Atemübungen und dann sagte der Meis-ter: »Jetzt legen wir uns hin.« Ich war ein wenig

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  • erstaunt darüber, dass wir uns nach dem Sonnen-aufgang dort hinlegten, aber er gab mir keinerleiErklärung. Oft macht ein Meister solche Dinge,ohne vorher etwas zu sagen, ohne eine Erklärungabzugeben. Dann legten wir uns also flach aufden Bauch, so dass der Rücken den Sonnenstrah-len zugewandt war. Später habe ich begriffen,wie wichtig die Sonnenstrahlen für den Rückensind, denn dieser ist wie eine Batterie, die sich inder Wärme und dem Licht der Sonne auflädt.

    Bevor wir uns allerdings ausstreckten, warfder Meister hintereinander einige Steine in dieLuft. Ich wusste auch nicht, warum er dieseSteine warf, das hat er mir aber nachher erklärt.Wir lagen also da, die Sonne wärmte uns, es warwunderbar. Und wir begaben uns auf eine Reise.Das war kein Schlaf, aber ein ähnlicher Zustand.Wohin waren wir unterwegs? Nach einiger Zeitkamen wir beide gleichzeitig zurück. Ich befandmich in einem Zustand der Verzückung, ichfühlte, dass etwas Außergewöhnliches geschehenwar, dass ich von einem unbeschreiblich schönenOrt zurückkehrte, jedoch nichts war mir klar imGedächtnis geblieben. Der Meister schaute michlächelnd an und fragte: »Weißt du, wo wir wa-ren?« – »Nein, Meister, aber ich würde michfreuen, wenn Sie es mir sagen.« – »Du hast gese-hen, wie ich anfangs einige Steine warf; damithabe ich unsere Ankunft auf der Kausalebene an-

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  • gekündigt. Dort sind wir also gewesen. Die We-sen, die uns empfangen haben, haben allerdingsgesagt, dass du dich nicht an das Gesehene erin-nern darfst, und so musste ich einen Schleierüber dich legen. Aber du spürst doch, dass etwasgeschehen ist?« – »Ja Meister, ja.«

    Dann haben wir uns mit einem kleinen Imbissgestärkt und sind wieder hinuntergegangen. Esschien mir, als ob die Luft um uns herum eine an-dere Schwingung bekommen hatte, als ob dieganze Natur verzaubert war. Es war das ersteMal, dass der Meister mich auf die Kausalebenemitgenommen hatte.

    Später habe ich den Meister oft begleitet,wenn er zum Sonnenaufgang auf die Hügel vonVarna ging. Ihr könnt euch keine Vorstellung ma-chen von der Schönheit der Farben des Morgens,wenn die Sonne über dem Schwarzen Meer auf-ging. Wir verweilten lange in Meditation, verlie-ßen den Körper und der Meister führte mich, umdie Realität der anderen Welten zu schauen. Je-des Mal kündigte er uns bei den Wesen dieserRegionen vorher an, damit sie sich auf unserenEmpfang vorbereiteten. Das waren unbeschreib-lich schöne Augenblicke.

    In seiner Lehre hat der Meister der Sonne ei-nen hervorragenden Platz eingeräumt. Dennwenn man weiß, wie man die Sonne betrachten,

    30 Hommage...

  • und wie man mit ihr arbeiten soll, dann erlangtman die wahre Kraft. Alles, was auf der Erdeexistiert, Steine, Pflanzen, Tiere, Menschen, alleserhält das Leben der Sonne, ihre Wärme, ihrLicht, doch nur die großen Meister, die Einge-weihten, haben begriffen, welcher Art dieseEnergie ist. Sie haben Zentren entwickelt, mit de-nen sie diese auffangen und umwandeln könnenund durch ihr Leben, durch ihre Ausstrahlungwerden sie so zu einem Segen für alle, die sichihnen nähern.

    Ihr werdet jetzt sagen: »Aber wie machen siedas?« Die Eingeweihten wissen, dass das Be-wusstsein nicht auf einen kleinen Teil des Men-schen begrenzt ist, und dass es durch beständigesArbeiten möglich wird, sich der inneren Berei-che, welche die Psychologen Unterbewusstsein,Unbewusstes und Überbewusstsein nennen, be-wusst zu werden. Durch die Inbesitznahme die-ser Bereiche macht das Bewusstsein Entdeckun-gen, stellt Vergleiche an und wird auf diese Weiseimmer umfassender und kraftvoller.

    Viele werden entgegenhalten, das sei nichtsehr wissenschaftlich. Nun, da irren sie sich. Undich behaupte noch weiter, dass alles, was außer-halb von uns existiert, auch in uns existiert. Al-les, was auf und unter der Erde existiert, alles,was in Flüssen, Seen, Meeren, Ozeanen existiert,alles, was am Himmel existiert, die Sterne, die

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  • galaktischen Sternensysteme, all das existiertauch im Menschen. Dadurch erklärt sich, dassder Mensch sich seit Urbeginn dazu getriebenfühlt, die ihn umgebende Welt zu erforschen undzu begreifen, denn sich selbst will er damit erfor-schen und begreifen.

    Solange der Mensch die tiefer liegenden Ur-sachen dieser Neigung nicht kennt, begnügt ersich leider damit, außerhalb seiner selbst zuschauen, zu notieren und zu registrieren, ohne je-mals das Wesentliche zu begreifen. All die For-schungsarbeit der Wissenschaftler, um immerbesser zu erfassen, welch enorme Schätze dieNatur in sich birgt, das ist großartig! Nur sind dieEingeweihten sehr viel weitergegangen, da siediese Forschungen in sich selbst betreiben, wobeisie die Grenzen ihres Bewusstseins bis in die Un-endlichkeit ausdehnen.

    Diese Arbeit der Bewusstwerdung beginntmit der Erforschung des Unterbewusstseins, mitder Erforschung der Wesen, die es bewohnen, derStröme, die es durchziehen. Auf diese Weise gibtdas Unterbewusstsein einen Schatz nach dem an-deren an das Bewusstsein frei. Ein Eingeweihterist ein Mensch, der sein Bewusstsein in dieBreite, in die Tiefe und in die Höhe entwickelt;es gelingt ihm, Licht in alle tiefen Bereiche desUnterbewusstseins zu bringen und in alle höhe-

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  • ren Regionen des Überbewusstseins. Und weildas Bewusstsein des Eingeweihten die Fähigkeiterlangt hat, einen unermesslichen Raum zu um-fassen, beginnt es zu strahlen, die Geschöpfe inseiner Umgebung zu berühren und in ihr Be-wusstsein Einlass zu finden. Aber es bleibt nichtdort stehen, es dehnt sich immer weiter aus, bishin zur Sonne.

    Für einen Eingeweihten ist das Licht derSonne eine Nahrung, er nimmt sie auf, er verdautsie, baut sie in seinen Stoffwechsel ein, um siedann um sich herum zu verströmen. Daher kanner den Geschöpfen Licht bringen, sie wärmenund beleben. Ein Mensch hingegen, dessen Be-wusstsein in materiellen Beschäftigungen ste-cken bleibt, ist nicht in der Lage, seinen Mitmen-schen wirklich zu helfen.

    Das Bewusstsein des Eingeweihten lebt inden anderen, darum kann er sie auch aus der Ent-fernung mit seinem Licht nähren. Die physischeNahrung kann nur den nähren, der sie verzehrt;und selbst, wenn eine Mutter eine Zeit lang dasKind nährt, das sie unter ihrem Herzen trägt, sotrennt es sich doch bei der Geburt von ihr undmuss fortan selber essen. Im spirituellen Bereichmuss der Meister, zumindest am Anfang, denSchüler nähren. Er »isst« und führt dadurch demSchüler Nahrung zu. Wie die Mutter, die einKind unter ihrem Herzen trägt, so ist auch der

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  • Meister bereit, in seiner Seele, in seinem Be-wusstsein, Kinder aufzunehmen, die sich durchihn ernähren, bis sie in der Lage sind, für sichselbst zu sorgen. Von diesem Zeitpunkt an kön-nen auch sie dann andere ernähren.

    Die Schüler sind mit ihrem Meister verbun-den, wie der Fötus mit der Mutter. Wenn derMeister Kräfte des Himmels empfängt, so profi-tiert der Schüler davon. Auf diese Weise habe ichmich jahrelang beim Meister ernährt. Er betrach-tete die Sonne, empfing ihr Licht und ließ es mirals perfekt zubereitete Speise für mein Herz,meinen Intellekt, meine Seele und meinen Geistzukommen. Und wenn der Meister in seinerLehre der Sonne einen so bedeutenden Platz ein-geräumt hat, wenn er betont hat, wie wichtig esist, morgens ihr Erscheinen mitzuerleben, danndeshalb, weil er meinte, dass auch jeder Schülerdiese Aufgabe zu erfüllen hat: zu lernen, dasSonnenlicht zu verdauen, es umzuwandeln, auf-zubereiten, um es schließlich den anderen in derForm aller Tugenden weiterzugeben.

    Viele Brüder und Schwestern der Bruder-schaft in Bulgarien hatten ein Heft und baten ihreFreunde, Gedanken hineinzuschreiben. Oft hatman mich gebeten, in solch ein Heft etwas hi-neinzuschreiben und ich habe immer den gleichenSatz des Meisters hineingeschrieben. Wollt ihrwissen welchen? »Es ist die Sonne, die dem Le-

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  • ben seinen Sinn gibt.« Natürlich muss man die-sen gedanklichen Zusammenhang symbolischverstehen.

    Auch Musik und Gesang nehmen einen gro-ßen Platz in der Lehre des Meisters ein, denn diessind sehr wirkungsvolle Mittel, um sich mit denaufbauenden Kräften der Natur zu verbinden.Der Meister hat selber welche komponiert, wirhaben da ein fantastisches Repertoire.

    In der Welt gibt es allerlei Arten von Musik,und vielleicht habt ihr davon schon so viele ange-hört, dass ihr für die Musik des Meisters, für ihreSchwingungen nicht mehr empfänglich seid,dass sie euch nicht mehr berührt. Ihr seid viel-leicht zu sehr an Klänge und Rhythmen gewöhnt,die keinerlei geistiges Gesetz achten, denen dieEntsprechungen zwischen den Tönen und denBereichen von Seele und Geist fremd sind. Lasstsie ein wenig beiseite und versucht zu erspüren,welche Wirkung die Musik des Meisters auf euchausübt, wie sie nicht nur auf uns selbst und aufdie anderen einwirkt, sondern auch auf die subti-len Bereiche des Raumes.

    Ich will damit nicht jegliche aktuelle Musik,alle Lieder verdammen, nein, nur machen sie lei-der meistens nichts anderes, als Leidenschaftenund ungeordnete Gefühle zu verstärken. Also,lasst euch nicht von ihnen beeinflussen, macht

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  • euch beizeiten davon, das heißt, bevor sie ihreabstumpfende Wirkung auf euch ausüben odereuch die Kontrolle verlieren lassen. Die Seeledes Menschen hat das Bedürfnis, sich durch denGesang auszudrücken, aber durch einen Gesang,der reinigt, der erhebt. Sicherlich gibt es im Mu-sikerbe der Menschheit erhabene Gesänge, dieeine echte Nahrung für die Seele darstellen, wiedie Messen, Requien, Oratorien... Nur, falls ihrmit dem Singen warten müsst, bis ihr in der Lageseid, solche Werke wiederzugeben, werden diemeisten von euch niemals den Mund auftun.Singt also lieber die Lieder des Meisters, dennsie sind nicht nur Nahrung für Herz und Seele,sondern sie erhellen auch euer Denken und spor-nen euren Willen an.

    Wenn ihr das Gefühl habt, nicht mehr so rechtzu wissen, woran ihr seid, wenn ihr gedanklich ausdem Konzept geratet, dann singt: »Misli, pravomisli: denke recht« und schon seht ihr den Wegwieder klarer. Wenn ihr meint, dass euch niemandmehr liebt, singt: »Bog é liubov: Gott ist Liebe«,und was wollt ihr dann mehr, da Gott euch doch nieverlässt? Und falls ihr euch erschöpft fühlt oderkrank, singt: »Sila, zdravé é bogatstvo: Kraft undGesundheit sind Reichtümer« und ihr erlangt eureEnergie zurück. Solltet ihr einmal von innerer Un-ruhe erfasst sein, dann singt: »Pri vsitchkité ouslo-via na jivota, né goubi svoya mir: In allen Lebens-

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  • lagen, verliere niemals deinen Frieden«. Falls ihrdas Leben trübe findet und es euch keine Freudemehr macht, singt: »Krassiv é jivota na nachatadoucha: Schön ist das Leben unserer Seele«. Undwenn ihr glücklich seid, dankt mit dem Lied: »Bla-goslaviaï, douché moïa, Gospoda: Meine Seele,lobe den Herrn«. Damit habt ihr einige Methoden,ein ganzes magisches Arsenal, also bedient euchseiner.

    Manchmal werde ich gefragt: »Warum singtihr diese Lieder auf Bulgarisch und nicht in derSprache eures Landes? Man versteht ja über-haupt nichts!« Zuerst antworte ich dann, dass eszu diesen Liedern Übersetzungen gibt, die mansich leicht besorgen kann. Aber vor allem, dasses bei der Musik nicht so sehr auf das intellek-tuelle Verständnis ankommt, sondern auf das,was man unter dem Einfluss der Töne, derSchwingungen und der Harmonie in sich ver-spürt. Versteht man denn den Gesang der Vögel,das Rauschen des Wassers oder des Windes inden Zweigen? Nein, aber man ist fasziniert, vol-ler Bewunderung. Es ist immer besser, die Liederin der Sprache zu singen, in der sie geschriebenwurden. Selbst wenn man nichts versteht, so be-steht doch eine Beziehung zwischen den Wortenund der Musik, und eine Übersetzung würdediese Beziehung zerstören. Die Musik ist nichtdazu da, um verstanden, sondern um gefühlt zu

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  • werden. Selbst wenn Worte sie begleiten, istdoch das, was man dabei verspürt weitaus wich-tiger. Natürlich, wenn beides – Verständnis undGefühl – Hand in Hand gehen, so ist das nochbesser, aber es kommt mehr auf das Gefühl an.

    Meister Peter Deunov hat auch eine Artrhythmischen Tanz geschaffen, die Paneurhyth-mie, für die er die Musik geschrieben und die Fi-guren vorgegeben hat. Im Frühjahr und im Som-mer wird sie morgens im Freien getanzt. Brüderund Schwestern tanzen paarweise und bilden da-bei einen weiten Kreis. Alle Figuren der Paneu-rhythmie, obgleich sehr einfach, sind von großerplastischer Schönheit; sie entsprechen einem tie-fen Wissen über die psychische Struktur desMenschen sowie über die akustischen Gesetze.Es ist der Mühe wert, die Bedeutung dieser Figu-ren kennen zu lernen und zu verstehen, wie sieeuch mit den Kräften und den harmonischenStrömungen der Natur in Verbindung bringen.Selbst wenn man ihren Sinn nicht kennt, so spürtman doch ihre wohltuende Wirkung, man fühltsich gestärkt und voller Frieden.

    Der Meister hat ebenso gymnastische Übun-gen angegeben, die jeden Morgen nach dem Son-nenaufgang zu machen sind, sei es in der Ge-meinschaft oder allein zu Hause. DieseBewegungen sind einfach und für jeden leicht

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  • auszuführen. Sie erhalten den Körper geschmei-dig, harmonisieren die Zellen und stärken denOrganismus. »Warum macht ihr die Gymnastik-übungen nicht?« fragte der Meister manchmal ei-nige Brüder und Schwestern. »Wir habenRheuma«, erwiderten diese, »und Übungen zumachen ist für uns eine Qual, wir können nicht.«– »Doch«, sagte der Meister, »versucht es, machtsie, bald wird es besser gehen, ihr werdet sehen.«Und er hat Recht behalten.

    Der Meister kannte die gute Wirkung dieserÜbungen, die er uns da gegeben hat, nehmt ihr esalso auch ernst damit. Vielleicht werdet ihr ent-gegnen, dass ihr sie schon seit Jahren macht, unddass sich bei euch nichts geändert hat. Das magdem Anschein nach wahr sein, aber von wie vie-len Übeln seid ihr durch sie verschont geblieben!Ihr esst, ihr trinkt, ihr geht, ihr schlaft und atmetund habt nicht den Eindruck, dass das große Aus-wirkungen auf euer Leben hätte. Nur esst einmalnicht, trinkt nicht, geht nicht, schlaft nicht und at-met nicht, dann werdet ihr mir etwas anderes be-richten! Also, wenn es euch gelingt, diese Gym-nastikübungen bewusster zu machen und dabeizu begreifen, wie wichtig all diese Bewegungenfür eure Gesundheit und eure Ausgeglichenheitsind, dann werdet ihr euch besser in der Lagefühlen, euch den schwierigen Situationen des Le-bens zu stellen.

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