34
ÜBERSICHT D ER S OMMER IGEL 2008 Willkommen zum besten Igel den diese Redaktion bisher erstellt hat. Ha- rald Schmidt sagte einmal: “Niemand liest Vorwörter” und dies scheint eine sehr zutreffende Beobachtung zu sein. Nichtsdestotrotz soll hier versucht werden, das Titelthema dieses Igel ge- nauer zu erläutern. Freiheit und Gren- zen ist ein umfangreiches Thema und erscheint mehr noch so wenn bewusst auf eine Eingrenzung verzichtet wird. In dieser Igelausgabe erwarten euch Artikel die auf verschiedene Weise mit den Grenzen und Freiheiten der Welt umgehen, ob es nun um geistige Frei- heit, Stacheldrahtzäune oder gesetz- licher Vorschriften geht. Wir hoffen das der Rote Faden des Igels dennoch er- sichtlich ist. Weiterhin haben wir einen einseiti- gen Leserbrief zum letzten Igel erhal- ten und in dieser Ausgabe abgedruckt. Die Redaktion freut sich sehr über die- se Beteiligung an Debatten und wünscht sich mehr davon, auch wenn wir natürlich nicht immer versprechen können alle Leserbriefe abzudrucken. Als weitere Möglichkeit der Beteili- gung existiert natürlich auch die GJN - Debattenliste, bitte fühlt euch dazu aufgerufen Igelartikel auf dieser zu zi- tieren und zu diskutieren! Die IGEL-Redaktion wünscht euch viel Spaß bei der Lektüre dieser bunten Ausgabe und freut sich über die Di- skussionsbeiträge der zahlreichen AutorInnen! Eure Redaktion Igel 53: Grenzen der Freiheit Titel - Freiheit und Grenzen Wo ist die Grenze für Parteien? 3 Befreiung der ICH AG 4/5 USA: Land der begrenzten Möglichkeiten 6/7 Bolivien: Vom Salpeterkrieg bis zum Streit um das Media Luna 8/9 Die Grenzen des guten Geschmacks 11 Außen vor statt mittendrin 12 Halbe Menschen 13 Grenzenloses Europa: Allerlei oder Einheitsbrei 14/15 Plädoyer für Freizügigkeit 16/17 Sprich doch mit meinen Händen 18/19 Ökologische Grenzen des Kapitalismus 20 Freie Schulen 21 Freiheit von Kultur 22/23 Gratis ÖPNV hui, Umweltplakette pfui 24/25 Schwarz, Rot, Gelb und Grün: Mehr als nur Farben? 26/27 Thema Die Entdeckung der Kriechtiere 28 Leserbrief zu Serielle Monogamie 29 Dialog mit FundamentalistInnen/Christival 30 Intern Bericht vom Landesvorstand 31 Basisgruppenticker 32/33 Addressen und Termine 34 Impressum 35 GJN, das ist der Landesverband der GRÜNEN JUGEND in Nieder- sachsen. Bei uns sind Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 14 bis 28 Jahren politisch aktiv und stellen so einiges auf die Beine. Als Jugendorganisation von Bünd- nis 90/Die Grünen wirken wir in und außerhalb der Partei, tragen junge Po- sitionen in die Gesellschaft. Die GJN ist ein progressiver Ju- gendverband und orientiert sich an den Grundsätzen Ökologie, Basisde- mokratie, Solidarität und Gewaltfrei- heit. Wir bündeln und vernetzen die Aktivitäten der Basisgruppen in Niedersachsen. Dazu gehören unsere Landesmitgliederversammlungen, Se- minare, Workshops und gemeinsame Großaktionen. Wenn auch Du all dies bewirken willst, dann komm zur GJN! Was’n GJN? Inhalt

HT Igel 53 - gj-nds.de

  • Upload
    others

  • View
    5

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: HT Igel 53 - gj-nds.de

ÜB

ER

SIC

HT

D E R S O M M E R I G E L 2 0 0 8

2 Sommer 2008Sommer 2008

Willkommen zum besten Igel dendiese Redaktion bisher erstellt hat. Ha-rald Schmidt sagte einmal: “Niemandliest Vorwörter” und dies scheint einesehr zutreffende Beobachtung zu sein.

Nichtsdestotrotz soll hier versuchtwerden, das Titelthema dieses Igel ge-nauer zu erläutern. Freiheit und Gren-zen ist ein umfangreiches Thema underscheint mehr noch so wenn bewusstauf eine Eingrenzung verzichtet wird.

In dieser Igelausgabe erwarten euchArtikel die auf verschiedene Weise mitden Grenzen und Freiheiten der Weltumgehen, ob es nun um geistige Frei-heit, Stacheldrahtzäune oder gesetz-licher Vorschriften geht. Wir hoffen dasder Rote Faden des Igels dennoch er-sichtlich ist.

Weiterhin haben wir einen einseiti-gen Leserbrief zum letzten Igel erhal-ten und in dieser Ausgabe abgedruckt.Die Redaktion freut sich sehr über die-se Beteiligung an Debatten undwünscht sich mehr davon, auch wennwir natürlich nicht immer versprechenkönnen alle Leserbriefe abzudrucken.

Als weitere Möglichkeit der Beteili-gung existiert natürlich auch die GJN -Debattenliste, bitte fühlt euch dazuaufgerufen Igelartikel auf dieser zu zi-tieren und zu diskutieren!

Die IGEL-Redaktion wünscht euchviel Spaß bei der Lektüre dieser buntenAusgabe und freut sich über die Di-skussionsbeiträge der zahlreichenAutorInnen!

Eure Redaktion

Igel 53: Grenzen der Freiheit

Titel - Freiheit und GrenzenWo ist die Grenze für Parteien? 3Befreiung der ICH AG 4/5USA: Land der begrenzten Möglichkeiten 6/7Bolivien: Vom Salpeterkrieg bis zum Streit um das Media Luna 8/9Die Grenzen des guten Geschmacks 11Außen vor statt mittendrin 12Halbe Menschen 13Grenzenloses Europa: Allerlei oder Einheitsbrei 14/15Plädoyer für Freizügigkeit 16/17Sprich doch mit meinen Händen 18/19Ökologische Grenzen des Kapitalismus 20Freie Schulen 21Freiheit von Kultur 22/23Gratis ÖPNV hui, Umweltplakette pfui 24/25Schwarz, Rot, Gelb und Grün:Mehr als nur Farben? 26/27 Thema Die Entdeckung der Kriechtiere 28 Leserbrief zu Serielle Monogamie 29 Dialog mit FundamentalistInnen/Christival 30Intern Bericht vom Landesvorstand 31Basisgruppenticker 32/33Addressen und Termine 34Impressum 35

GJN, das ist der Landesverbandder GRÜNEN JUGEND in Nieder-sachsen. Bei uns sind Jugendliche undjunge Erwachsene im Alter von 14 bis28 Jahren politisch aktiv und stellen soeiniges auf die Beine.

Als Jugendorganisation von Bünd-nis 90/Die Grünen wirken wir in undaußerhalb der Partei, tragen junge Po-sitionen in die Gesellschaft.

Die GJN ist ein progressiver Ju-gendverband und orientiert sich anden Grundsätzen Ökologie, Basisde-mokratie, Solidarität und Gewaltfrei-heit.

Wir bündeln und vernetzen dieAktivitäten der Basisgruppen inNiedersachsen. Dazu gehören unsereLandesmitgliederversammlungen, Se-minare, Workshops und gemeinsameGroßaktionen.

Wenn auch Du all dies bewirkenwillst, dann komm zur GJN!

Was’n GJN?Inhalt

Page 2: HT Igel 53 - gj-nds.de

D E M O K R A T I S C H E G R E N Z E N

Wo ist die Grenze für Parteien?

Neben uns Niedersachsen habennun auch die NRW-Grünen auf An-trag der Jüngeren einen Beschlussfür eine Neuauflage des NPD-Ver-botes gefasst. Bislang haben sichsowohl die GRÜNE JUGEND alsauch die Grünen auf Bundesebenedagegen ausgesprochen. EinigeInnenminister der Länder scheiter-ten im Frühjahr kläglich mit einemVersuch, ein Verfahren einzuleiten.Es stellt sich die Frage: Ist es dennüberhaupt möglich, die NPD zuverbieten und ihr Wirken zu be-schränken?J A N P H I L I P P A L B R E C H T

Die Fakten liegen auf der Hand: Beider Kommunalwahl in Sachsen ist dieNPD in alle Kreistage eingezogen.Über 200 Kreistagsabgeordnetedeutschlandweit – davon drei Viertelim Westen. In zwei Landtagen sitzt diePartei in Fraktionsstärke und kassiertetliche tausend Euro durch Wahl-kampfkostenerstattung und Fraktions-gelder. Sollte die Partei zukünftig keineFehler mehr bei den Parteifinanzenmachen und auf die Idee kommen, ih-ren Jugendverband und eine rechteStiftung in die staatliche Finanzierungeinzuklagen, stehen uns braune Zeitenbevor. Der Kampf gegen Rechts wirdzu einer Farce, weil weniger Geld vomStaat für Rechtsextremismusprogram-

me ausgegeben wird, als für rechtsex-treme Parteien.

Die Initiative des hiesigen Innenmi-nisters Schünemann für eine Beschrän-kung der Parteienfinanzierung wird insLeere laufen. Sollte der beauftragteRechtsgutachter ihm nicht nach demMund reden, wird er ihm deutlich ma-chen, dass dies nicht mit den Grundsät-zen unserer Verfassung vereinbar ist.Wir wissen als Grüne ganz genau, wiewichtig die Gleichbehandlung der Par-teien für die Demokratie in unseremLand ist. Natürlich befinden wir unshier in einem Dilemma: So lange dieNPD als Partei nicht verboten wurde,genießt sie grundsätzlich die gleichenRechte wie jede andere Partei. Was al-so tun? Der Ruf nach einem neuen Ver-botsverfahren liegt nahe. Doch Prohin, Contra her – hätte es denn Erfolg?

In Deutschland gab es eine Reihe anParteiverboten in den ersten Jahrzehn-ten der Bundesrepublik. Seit einigenJahren ist keine relevante Partei mehrverboten worden. In dieser Zeit hatsich die Rechtsprechung des Europäi-schen Gerichtshof für Menschenrechte(EGMR) – insbesondere in Bezug aufetliche Parteiverbote in der Türkei –stark ausgeprägt. Sollte das Bundesver-fassungsgericht die NPD tatsächlichverbieten, was ja nur gelänge, wenn

zuvor alle V-Leute des BND abgeschal-tet würden, so könnte die NPD inStraßburg auf ihre Rechte aus der Men-schenrechtskonvention klagen. Undobwohl der EGMR ein Parteiverbot alsein Mittel der wehrhaften Demokratiebegreift, sind die Hürden ziemlichhoch.

Für ein menschenrechtskonformesParteiverbot muss eine der Partei zu-rechenbare unmittelbar drohende Ge-fahr bestehen, die mit dem Grundwe-sen der Demokratie unvereinbar ist. Esspricht sogar einiges dafür, dies bei derNPD anzunehmen. Letztlich wird aberdie größere Gefahr sein, dass vieleRechtsextreme zu den neuen mehrrechtspopulistisch auftretenden Par-teien, wie PRO-Köln, PRO-NRW oderWUT in Bremen überlaufen. Sollte esdazu kommen, wird sich langfristig ei-ne etablierte Partei rechts von derUnion bilden, die sich nicht mehr be-schränken und nur noch schwer poli-tisch bekämpfen lässt. Deshalb gibt esderzeit nur eine schlichte Lösung:Kämpfen gegen Rechts, auf dass siekeine Stimmen mehr bekommen!

Jan Philipp Albrecht(25) ist Sprecher derGRÜNEN JUGENDund der Grünen-LAGDemokratie & Recht.

TIT

EL

3DERDER IGEL 53IGEL 53

Page 3: HT Igel 53 - gj-nds.de

Über die Paradoxien wachsenderSelbstbestimmung.O L E H I L B R I C H

In einem Artikel der Wirtschaftszei-tung Brand Eins wird das hierarchie-freie Unternehmen als Modell der Zu-kunft vorgestellt: Das Managementkann abgeschafft werden, einen Auf-trag nimmt das Unternehmen nur an,wenn er interessant genug ist. Wis-sensarbeiterInnen brauchen Freiraumfür Kreativität und Eigeninitiative - dastört der kritische Blick der ChefIn nur.Wenn die MitarbeiterInnen erzählen,klingt das sehr nach dem Marx‘schenIdeal selbstbestimmter Produktion„heute dies, morgen jenes zu tun, mor-gens zu jagen, nachmittags zu fischen,abends Viehzucht zu treiben, nachdem Essen zu kritisieren, wie ich gera-de Lust habe“. Doch Kessels & Smit, soheißt die niederländische Firma, ist ei-ne Unternehmensberatung, die Welt-konzerne und Staatseinrichtungen be-rät, damit diese durch effizienteresWirtschaften ihre Produktivität stei-gern. Es scheint als versöhnten sich ineinem Musterbetrieb Anarchismus undKommunismus mit der Marktwirt-schaft, als hätte die effizienzbedingte

Selbstanpassung des Kapitalismusschlussendlich selbst das Ende der Aus-beutung hervorgebracht.

Kessels & Smit ist dabei keineswegseine Ausnahmeerscheinung. Unter denStichworten „Flexibilisierung“ und„Deregulierung“ findet in den industri-alisierten Gesellschaften spätestensseit den 1990er Jahren eine Neuorga-nisation der Arbeitsbeziehungen statt.Flexible Gleitzeit statt Arbeitsbeginnnach der Werksuhr, der Abschied vomFließband in Industrieunternehmen,Arbeit von Zuhause am Computer undein kooperativer Führungsstil der Vor-gesetzten berücksichtigen, dass enga-gierte ArbeiterInnen vor allem durcheins blockiert werden: Zu strenge Vor-gaben und starre Hierarchien die Kritikerdrücken und Fehler im Betriebsab-lauf unnötig verschleppen.

Die schöne neue Arbeitswelt hat je-doch Schattenseiten, die nicht nur dar-in bestehen, dass selbstbestimmte Ar-beitsformen vor allem einer Bildungs-elite in den Wissensgesellschaften zurVerfügung stehen. ArbeitssoziologIn-nen wie Günter Voß, Kerstin Jürgensund Hans Pongratz beobachten eine

„Entgrenzung der Arbeit“, die zu zu-nehmender „Verbetrieblichung der all-täglichen Lebensführung“ und einer„systematischen Selbst-Kontrolle“ derArbeitenden führt. Dauerstress undBurn-Out-Syndrom sind Symptome ei-ner Lebensweise, die von jeder Einzel-nen verlangt, dass sie sich mit den Pro-jekten identifiziert, mit denen sie ihrenLebensunterhalt verdient. Notfallsheißt das für die Arbeit auch das Privat-leben zu opfern. Freundschaften wer-den zu Geschäftsbeziehungen, das ei-gene Zuhause zum Arbeitsplatz unddie Freizeit zur Arbeitszeit im ent-spannteren Modus. Rückzugsräumewerden so dem Erfolgsdruck wirt-schaftlichen Handelns unterworfenund wer beruflich versagt, dem bleibtnichts, woran er oder sie Halt findet.Ausbeutung wird durch ein vorange-stelltes „Selbst-“ ergänzt und funktio-niert effektiver als jeder Zwangsme-chanismus es erlauben würde.

Soziologische Untersuchungen zei-gen das Pate für die neue Arbeitsorga-nisation oft das anarchistische Prinzipder Selbstorganisation stand - erprobtin Politgruppen und Projekten derGegenkultur in den 1970er Jahren. Ge-

TIT

EL

Befreiung der ICH AG

A R B E I T O H N E G R E N Z E N

4 Sommer 2008Sommer 2008

Page 4: HT Igel 53 - gj-nds.de

A R B E I T O H N E G R E N Z E N

gossen in die Forderung der „Humani-sierung der Arbeitswelt“ wurde in derpolitischen Debatte an die Unterneh-merInnen das herangetragen, was fürsie auch wirtschaftlich Sinn macht:Wenn ihr uns nur menschlich arbeitenlasst, dann wird das auch den Gewinnsteigern.

Neoliberalismus und linke Alterna-tivbewegung gehen hier unfreiwillig ei-ne merkwürdige Partnerschaft ein: Be-freiung von Zwängen dient sowohl derSelbstverwirklichung als auch der Ent-fesselung von Marktkräften. Freiheitwird zum Imperativ, zu dem es keineOpposition gibt, weil alle mit ihm ein-verstanden sind.

Ein Blick auf die gesellschaftlichenReformen, die diesem Denkschemafolgen, beweist, dass Befreiung, die al-so auch Ökonomisierung bedeutenkann, mittlerweile alle Bereiche derGesellschaft erfasst. Dies zeigt sich be-sonders im Bildungssystem, das gesell-schaftliche Trends als „Anforderungenan die Zukunftsfähigkeit“ aufnimmtund an die nächste Generation weiter-gibt: Wochenplanarbeit statt Frontal-unterricht, selbstorganisierte Grup-penarbeit und Vermischung von Ar-beits- und Lebensphasen in Ganztags-schulen sind progressive Forderungen,die die Selbstbestimmung von jungenMenschen steigern sollen. Unter demDruck von Noten und verkürzterSchulzeit, die wirtschaftliche Zwängeim Arbeitsleben simulieren, regen siejedoch zum Erlernen von „unterneh-merischen Handeln“ und nicht zu Ko-operation und Widerstand gegenFremdbestimmung an. Untersuchun-gen über Schulstress belegen, dassauch die negativen Charakteristika mo-derner Arbeitsformen in den Schulenlängst Einzug erhalten haben.

Ein ähnliches Bild lässt sich für dieaktivierende Arbeitsmarktpolitikzeichnen, in der die „bevormundendeVerwaltung“ von Arbeitslosigkeit imvermeintlichen Interesse der Arbeits-

suchenen unter rot-grün durch unter-nehmerischen Mobilisierung abgelöstwird. Sprachlich schlägt sie sich im In-strument der ICH-AG nieder. Stressund Unwohlsein steigen, da den Op-fern von Arbeitslosigkeit ihre eigeneVerantwortlichkeit für ihre gesell-schaftliche Ausgrenzung durch denJobverlust nahe gelegt wird.

Durch die Übernahme ökonomi-scher Zwänge in das eigene Denkengewendet, erscheint Selbstbestim-mung hier als Schreckbild, das einenMenschen nur noch weiter von seinenanderen Bedürfnissen entfremdet. Istes also Zeit sich von der Forderungnach mehr Selbstbestimmung in allenBereichen der Gesellschaft zu verab-schieden?

Freiheit und Selbstbestimmung sindnicht die einzigen Werte die Menschenzum glücklichen Leben bedürfen. DieBeispiele beweisen, dass der gesell-schaftliche Rahmen in denen vermeint-lich selbstbestimmte Handlungen statt-finden über deren wirkliche Qualitätmitbestimmt.

Da der Trend zu Selbstbestimmung,die unter gegebenen gesellschaftlichenBedingungen zu Verbetrieblichung undSelbstausbeutung führt, sowohl poli-tisch, als auch durch das Verhalten je-des Einzelnen vorangetrieben wird,muss der Widerstand dagegen auf denunterschiedlichen Ebenen stattfinden.Individuell müssen wir erkennen, dasses auch in unserem Interesse sein kann,eine Chance nicht zu ergreifen. Poli-tisch sollten wir dafür sorgen, dass die-jenigen die Opfer entfesselter Markt-kräfte werden, nicht auch noch durchdie Vorstellung belastet werden, selbstSchuld an ihrer Misere zu sein. Langfri-stig kann die gegenwärtige Täuschungwachsender Selbstbestimmung jedochnur abgelöst werden, wenn der neoli-berale Kontext in dem heutzutage überPolitik gesprochen wird, durch Denkenin solidarischeren Kategorien abgelöstwird.

Ole Hilbrich (21) istIGEL-Redakteur undführt momentan einekritische Beziehung

mit seinem „unter-nehmerischen Selbst“.

TIT

EL

5DERDER IGEL 53IGEL 53

Glossar: Wissensgesellschaft/Wis-sensarbeiterInnen:

Beschreibung der gegenwär-tigen Gesellschaft, die die Rollevon Wissen für wirtschaftlicheProzesse und menschliches Zu-sammenleben betont. Als typi-sche WissensarbeiterInnen kön-nen UnternehmensberaterIn-nen, ForscherInnen und Entwik-klerInnen gelten.Burnout:

Zustand totaler Erschöpfungmit körperlichen Beschwerdenwie Schlafstörungen, Kopf-schmerzen und Magenschmer-zen. Betroffene leiden ins Be-sondere unter dem von ihnenwahrgenommenen Kontrollver-lust in ihrer familiären oder be-ruflichen Umwelt.Literatur: Laudenbach, Peter (2008): Ler-nende Firma. In: brand eins5/2008. Abrufbar unter:http://www.brandeins.deBröckling, Ulrich (2007): Dasunternehmerische Selbst. So-ziologie einer Subjektivierungs-form. Suhrkamp Verlag: Frank-furt am Main.Voß, G. Günther/Pongratz, HansJ. (1998): Der Arbeitskraft-unternehmer. Eine neue Grund-form der Ware Arbeitskraft?

Page 5: HT Igel 53 - gj-nds.de

Ein Bericht über Armut und Ob-dachlosigkeit in der amerikani-schen Großstadt Cleveland.D A G M A R H Ö L S C H E R

Viele Menschen assoziieren mit denVereinigten Staaten den Begriff derFreiheit. Für die Entstehung dieserVerknüpfung ist zum einen die Ge-schichte der USA als eine der erstenDemokratien der Welt verantwortlich.Auch die Ideologie des AmerikanischenTraumes verstärkt die Wahrnehmungder USA als Land der individuellenFreiheit. Freiheit ist in den USA jedochvor allem eine Freiheit derer, die in derGesellschaft partizipieren können undwettbewerbsfähig sind. Sozial benach-teiligte Menschen, die auf die Hilfe an-derer angewiesen sind, zerbrechen andieser Freiheit.

Ich habe für zwei Wochen eineFreundin in Cleveland besucht, diedort seit drei Jahren Freiwillige in eineralternativen Lebensgemeinschaft ist.Durch meinen dortigen Aufenthalt ha-be ich sowohl die alltäglichen Heraus-forderungen von obdachlosen und ver-armten Menschen kennengelernt alsauch die Schwierigkeiten derer, diediesen Alltag verbessern wollen.

Im Jahr 2007 war Cleveland dieviertärmste Großstadt der USA, nach-dem sie zuvor zwei Jahre lang die na-tionale Statistik angeführt hat. Die vor-mals lebendige Großstadt am Erieseehat sich durch den Rückgang derSchwerindustrie im vergangenen Jahr-hundert in eine Geisterstadt verwan-delt. Die Innenstadt ist außer an Spiel-tagen des heimischen Baseballteamsmenschenleer. Verlassene Produk-

tionskomplexe großer Autokonzerneund verfallene Stahlwerke prägen dasBild der Stadt. Die Catholic WorkerLebensgemeinschaft befindet sich imStadtteil Ohio City, einer der ältestenund zugleich ärmsten Gegenden Cle-velands. Bei einem Spaziergang durchdie Straßen des Bezirks erwähnt meineFreundin, dass fast alle Menschen, dieunseren Weg kreuzen, entweder ob-dachlos seien oder sich mit Mühe einApartment leisten könnten. Armut istin diesem Teil der Stadt an jeder Eckeallgegenwärtig.

„Ein Grund für die große Armut vie-ler EinwohnerInnen ist der Struktur-wandel der regionalen Wirtschaft“, er-läutert Joe Lehner, einer der Gründe-rInnen der Lebensgemeinschaft. „DerNiedergang der Schwerindustrie inden 80ern hat zum Verlust vieler Ar-

TIT

EL USA:

Land der begrenzten Möglichkeiten

G R E N Z E N L O S E R E I S E B E R I C H T E

6 Sommer 2008Sommer 2008

Page 6: HT Igel 53 - gj-nds.de

G R E N Z E N L O S E R E I S E B E R I C H T

beitsplätze geführt. Besonders Gering-qualifizierte finden heute einfach kei-nen Job mehr.“

Den Zuschlag für eine der günstigenstaatlich subventionierten Wohnungenbekommen lediglich diejenigen, die esgeschafft haben auf einen der begehr-ten ersten Plätze der langen Warteli-sten zu rutschen. Die Mehrheit derMittellosen kann sich nur in der erstenHälfte des Monats mit staatlichen Es-sensgutscheinen und Sozialhilfe überWasser halten und schlägt sich denRest des Monats durch. Für diejenigen,die keine Wohnung haben, ist die Situa-tion besonders in Clevelands bitterkal-ten Wintern bedrohlich.

Nicht alle ethnischen Bevölkerungs-gruppen sind gleichermaßen von Ob-dachlosigkeit betroffen. 75,5 % derMenschen, die 2007 in den Notunter-künften geschlafen haben, waren afro –amerikanisch. „ Viele der chronischObdachlosen sind drogenabhängigoder haben psychische Probleme.“weiß Lehner. „Leider gibt es in Cleve-land zu wenig Einrichtungen und Pro-gramme, die solchen Menschen gezielthelfen.“

Die Unterstützung dieser sozial be-nachteiligten Menschen ist neben poli-tischem Engagement und Spiritualitäteine der drei Säulen der Catholic Wor-ker Gemeinschaft. Im Kampf gegen Ar-mut und Obdachlosigkeit leistet dieGemeinschaft sowohl auf Dauer ange-legte als auch temporäre Hilfe.

Das Catholic Worker Haus nimmtehemals Wohnungslose und WorkingPoor auf, die die Unterstützung einerWohngemeinschaft benötigen. Einigevon den derzeitigen HausbewohnerIn-nen leiden an psychischen Erkrankun-gen, sind aber mittlerweile durch me-dikamentöse Behandlung in einer sta-bilen Verfassung. Vier Freiwillige sor-gen für die Belange der zehn Hausbe-wohnerInnen. Nach vorheriger Instabi-lität herrscht in der Wohngemeinschaft

nun eine angenehme familiäre Atmo-sphäre, in der sich sowohl die Bewoh-nerInnen als auch die Freiwilligen wohlfühlen.

Eine weitere Aktivität der Gemein-schaft ist der Betrieb des Drop – InCenters Storefront an vier Abendenund zwei Vormittagen der Woche.Dort können Bedürftige Mahlzeitenund Kleidung bekommen oder auchnur ihre Zeit vertreiben. Die Store-front ist mit ausgedienten Sofas, einemalten Fernseher und sogar einem Kla-vier wie ein gemütliches Wohnzimmereingerichtet. Manche Leute sitzen aneinem Tisch und spielen Karten, einigeKinder rennen herum, es herrscht einegesellige Atmosphäre. Nach einigenBesuchen beobachte ich jedoch, wiemanche BesucherInnen volltrunken aufdem Sofa einnicken und ein paar An-wesende aus ihrem Verhalten zuschließen auf der Toilette Drogen neh-men. Ich bekomme den unverhohle-nen Sexismus einiger Männer zu spü-ren, die mich für ein naives ausländi-sches Mädchen halten, dem man aller-lei erzählen kann und dass sich bei auf-dringlichen Körperkontakten nicht zuwehren weiß.

Viele der Anwesenden seien inschwere Straftaten wie Drogenhandelund Zuhälterei verwickelt, erzählt mirmeine Freundin. Sie sei in den drei Jah-ren als Freiwillige schon oft menschlichenttäuscht worden.

An einem Abend erlebe ich in derStorefront einen Streit, bei dem sichzwei massige farbige Männer aggressivanschreien. Zwei Freiwillige schreitensofort deeskalierend ein in dem Wis-sen, dass die Streithähne möglicher-weise Waffen bei sich tragen. Als beidiesem plötzlichen Ausbruch von Ge-walt mein Herz fast stehen bleibt, ver-sichert mir mein Kartenspielpartner,dass die Männer gar nicht ernsthaftstreiten würden, sondern lediglich Auf-merksamkeit erregen wollten. „Wegen dieser Streitereien wird der

Laden hier bald noch dicht gemacht.“murmelt er sichtlich verärgert. „Dabeihängen so viele Menschen an diesemOrt. Wir brauchen die Storefront.“Dieses unerwartete Eingeständnisführt mir vor Augen, dass der Mann dasDrop – In Center als einen für ihn an-genehmen und wichtigen Ort ansieht -ein kleiner Erfolg für die Freiwilligen,die viel Zeit und Energie darin inve-stiert haben ihn zu einem solchen zumachen.

Das Leben in Armut und auf denStraßen Clevelands ist für die Betroffe-

nen hart und desillusionierend. Jedochstehen auch bei denen, die ihnen helfenwollen, Rückschläge und Probleme aufder Tagesordnung; Erfolge und Verän-derungen sind häufig kaum sichtbar.

Dazu Dorothy Day, eine der Initia-torInnen des Catholic Worker Bewe-gung: “People say, ‘What is the sense ofour small effort?’ They cannot see thatwe must lay one brick at a time, takeone step at a time.”

Dagmar Hölscher(22) ist Mitglied derGRÜNEN JUGENDBremen.

TIT

EL

7DERDER IGEL 53IGEL 53

Eine vergessene Ära: Alter Schornstein.

Page 7: HT Igel 53 - gj-nds.de

Das Thema Grenzen ist in Bolivienhochaktuell – Zerbricht das Landin einer Auseinandersetzung umnatürliche Ressourcen?B R I T T A V E L T Z K E

Schneebedeckte Gipfel ragen ausder kargen Landschaft empor, die au-ßer ein paar blassen Grashalmen undvereinzelten Lamas offenbar nichts Le-bendes zu bieten hat: die Atacamawü-ste. Ein Niemandsland zwischen Chileund Bolivien – so scheint es. Doch poli-tisch war die Gegend zwischen denzwei Andenstaaten einst ein berüchtig-ter Zankapfel.

Die Reise geht vorbei an skurrilenFelsformationen und trockene Weiten– immer höher die staubige Straße hin-auf, die sich bald darauf in ein einzigesGeröllfeld verwandelt. Die Luft wirdstetig dünner je näher wir uns der 5000Höhenmeter-Marke nähern. „Wir“, das

sind Conrad und ich auf unserem Rei-seabschnitt von Santiago de Chile nachLima in Peru sowie fünf weitere Ruk-ksackreisende von irgendwo her – aufdem Weg nach irgendwo hin.

In der Ferne zeichnen sich langsamdie Konturen eines Hauses ab, das sichkaum von den Nuancen der Wüste ab-hebt: Es ist die Grenzstation. Die Flag-ge neben dem spärlichen Gebäude istschnell auszumachen: Das kräftige Rot,Gelb und Grün sticht ungetrübt ins Au-ge. „Bienvenidos a Bolivia“, begrüßtuns ein mürrischer Grenzposten. „LosPasaportes, por favor!“. Die Grenz-überquerung nach Bolivien funktioniertso unbürokratisch, wie wir es von dem„Haus im Nichts“ erwartet hätten.Und weiter geht es: kein Zaun, keinGrenzsoldat, nichts hält uns auf – unddoch ist es eine Grenze. Eine Grenze,die sich seit dem Salpeterkrieg im 19.Jahrhundert durch das Gebiet windet.

Davor bot der steinige Weg durchdie Atacamawüste Boliviens einzigenZugang zum Pazifik – eine strategischewie wertvolle Region, in der früher derHandel mit Salpeter und heute das Ge-schäft mit Kupfer sowie dem Tou-rismus florieren. Seit dem Krieg gehörtdas Areal zu Chile. Noch heute – rund120 Jahre nach der blutigen Ausein-andersetzung – macht Bolivien seinenwirtschaftlich stärkeren Nachbarn fürdie eigene missliche Situation verant-wortlich: Bolivien ist das ärmste LandSüdamerikas. Gut zweidrittel der Be-völkerung lebt unter der Armutsgren-ze, obwohl das Land über viele Boden-schätzen verfügt. Der Zugang zu Bil-dung ist nur schwer erreichbar.

Reiche Eltern schicken ihre Kinderauf internationale Privatschulen. Dochleisten können sich das die Wenigsten.Durch die Straßen von La Paz laufenKinder durch die Gassen, die sich ihren

TIT

EL

Bolivien: Vom Salpeterkrieg biszum Streit um das Media Luna

G R E N Z E N L O S E R E I S E B E R I C H T E

8 Sommer 2008Sommer 2008

Page 8: HT Igel 53 - gj-nds.de

G R E N Z E N L O S E R E I S E B E R I C H T E

Lebensunterhalt durch Schuhe putzenverdienen. Ein Boliviano (11 Cent) ko-stet es die Männer, die sich auf demWeg zu ihrer Arbeitstelle noch schnelldie ledernen Halbschuhe polieren las-sen. Den Ausweg aus der bitteren Rea-lität suchen schon Kinder durch dasSchnüffeln von Klebstoff – zumindestfür die Zeit des Rausches.

Aus Boliviens Armut ergibt sich einestarke Konfliktlinie, die das Land zuspalten droht. Das Thema Grenzen hatwieder einmal einen hohen Aktualitäts-grad erreicht. Das Land trägt eineninternen Machtkampf zwischen denDepartements des „Media Lunas“(spanisch: Halbmond) im Osten undden ärmeren Regionen im Westen aus.

Als wir die Atacamawüste nach ei-ner viertägigen Fahrt verlassen, sindwir immer noch von der Vielfältigkeitbeeindruckt, die wir von der „trocken-sten Wüste der Welt“ nie erwartet hät-

ten: bunte Lagunen, brodelnde Geysireund Schwärme von Pelikanen.

Zurück in der Zivilisation begegnetuns ein Bild, das uns zunächst fremderscheint: gestikulierende Busfahrer,die für ihre Busse nach La Paz oderSanta Cruz werben, Internetcafé-Be-sitzer, die uns den Anschluss ans welt-weite Netz versprechen und Markt-frauen in traditioneller Kleidung undrunden Hüten auf den Köpfen, die Ber-ge von Empanadas feil bieten.

Bolivien ist in Südamerika das Landmit dem höchsten Anteil an indigenerBevölkerung: gut 70 Prozent. Die mei-sten Ureinwohner leben im Hochlandder Anden im Westen Boliviens, dasmit dem Niedergang des Bergbaus zu-nehmend verarmte. In den reicherenRegionen des „Media Lunas“, zu demvier Departements gehören, lebt eingroßer Anteil der weißen Bevölkerung.Die Erschließung von Gas- und Ölvor-

kommen stellte sich im Laufe der Jahreals ertragreiches Geschäft heraus. Voreinigen Jahren begann sich der Wunschauf regionale Autonomie der Oststaa-ten heraus zu kristallisieren. Dezentra-lisierung, Öffnung der Märkte und Ab-schottung von den ärmeren Regionenist das Ziel der Bewegung – wirt-schaftsliberale Ideen fallen hier auffruchtbaren Boden. Die Andenregio-nen sind jedoch auf finanzielle Unter-stützung angewiesen. So stellt sich inBolivien vielerorts die Frage: Wem ge-hören die Rohstoffvorkommen? Fürden Westen des Landes ist die Antwortklar: Der ganzen Bevölkerung undnicht einzelnen Gruppierungen odergar privaten InvestorInnen, die sich denGewinn einstreichen wollen.

Der Osten reagierte auf den neuenVerfassungstext, der im Dezember desvorigen Jahres ausgearbeitet wurde miteiner Autonomie-Erklärung. Die neueVerfassung sieht eine Umverteilung derErträge aus den natürlichenRessourcen vor. Drei Departementsim Osten führten illegale Referendendurch, die eine deutliche Zustimmungfür die Autonomiebewegung ergaben.Der Präsident Evo Morales rief vor derumstrittenen Abstimmung in SantaCruz zur Stimmenthaltung auf. BlutigeUnruhen zwischen Oppositionellenund der Regierung forderten hier meh-rere Verletzte.

Ob Bolivien bald durch eine interneGrenze geteilt wird, bleibt abzuwar-ten. Die Entscheidung darüber fälltvermutlich im kommenden August,wenn die BolivianerInnen bei einemVolksentscheid über eine Amtsenthe-bung ihres Präsidenten und weitererSpitzenpolitikerInnen entscheidenkönnen.

Britta Veltzke (21)hat auf einer Weltrei-se zahlreiche Gren-zen überschritten.

Jetzt studiert sie inBremen Politikwissenschaft.

TIT

EL

9DERDER IGEL 53IGEL 53

Page 9: HT Igel 53 - gj-nds.de

Schwarz-gelber Fehlstart 100 Tage - 100 Fehler

von Stefan Wenzel (Fraktionsvorsitzender)

Auszüge aus der Rede in der Ak-tuellen Stunde des niedersächsi-

schen Landtags am 4.6.2008

… Man kann verstehen, dass Sie sich diesmal am liebsten um die 100-Tage-Bilanz herumgedrückt hätten. Positives gibt es nämlich nicht zu vermelden. … Seltsam zaghaft zeigen Sie sich seit Ihrer Wiederwahl, fast wie der Zöge-rer aus alten Oppositionsjahren. …

Wackelkurs bei den Gesamtschu-len, und bei den Lehrerarbeits-zeitkonten haben Sie sich erst eingemischt, als das Kind schon im Brunnen lag. Wenn es schon einmal verhext anfängt, dann geht der Ärger gleich weiter: das Turbo-Abi, der Alarmruf der Bi-schöfe wegen des Pflegenot-standes, bei VW düpiert, bei Karmann zu hoch gepokert, Ver-sprechen zum Klimaschutz nicht eingelöst, Ärger mit dem Tief-wasserhafen ohne Ende, Proteste gegen Ihre Kohlekraftwerke, Rü-gen des Rechnungshofs. Die Lis-te ist lang, und sie wird immer länger.

Auf stolze 100 Fehler haben Sie es in den ersten 100 Tagen schon gebracht. Wir geben sie heute zu Protokoll, … Die ausführliche 100 Tage – 100 Fehler-Liste findet man hier:

http://www.fraktion.gruene-niedersach-sen.de//cms/default/dok/236/236727.100_tage_100_fehler.html

Fehler sind nach unserer Mei-nung nicht nur Dinge, die Sie falsch gemacht haben. Ein paar Beispiele habe ich genannt. Feh-ler sind auch Dinge, die dringend angestanden hätten und bei de-nen man dringend hätte handeln müssen, wie z.B. die energeti-sche Sanierung der Landtagsge-bäude oder irgendeine andere konkrete Maßnahme zum Klima-schutz. …

Es gibt einen Werteverfall in den Unternehmen. Klimawandel und Artensterben stellen uns die Überlegensfrage. Der Globalisie-rungsdruck belastet unsere sozia-len Sicherungssysteme. Der Strukturwandel durch die demo-grafische Entwicklung wirbelt die Gemeinden durcheinander.

Dies alles sind Herausforderun-gen, die schweres Wetter ver-sprechen. Da braucht es einen Kapitän auf der Brücke, der die dunklen Wolken am Horizont richtig deutet und der seine Mannschaft rechtzeitig Vorberei-tungen treffen lässt. … Aber schon im Wahl-kampf haben Sie sich vor dieser Aufgabe ge-drückt.

Man hat schon fast den Eindruck, als wenn der Lan-desvater die Sie-benmeilenstiefel gegen die Pu-schen ausge-tauscht hat.

Sie haben sich für fünf Jahre in der Staatskanzlei ge-mütlich eingerich-tet, und so sollte es weitergehen. Aber daraus wird nichts. Früher als erwartet steht

schon das Volk vor der Tür: Leh-rer, Schüler und Eltern, Gentech-nikgegner und Klimaschützer protestieren. Überall brennt es lichterloh. 100 Tage - 100 Feh-ler. Wir befürchten, dass sich die-se Bilanz fortsetzt. Denn der Hauptfehler ist diese Regierung selbst. …

Sie ziehen keine Konsequenzen aus der niedrigen Wahlbeteili-gung, weder bei Volksentschei-den noch beim Wahlalter, oder aus stilbildenden Fragen im Par-lament.

Hannah Arendt hat zum Um-gang mit der Macht gesagt: Macht zu haben, heißt, gemein-schaftlich zu handeln. Sie ma-chen das Gegenteil: Statt im Par-lament zu arbeiten und nach Kompromissen zu suchen, kun-geln Sie alles in Ihrer kleinen Koalitionsrunde aus, setzen Re-gierungskommissionen ein, die irgendwann Ergebnisse vorlegen sollen. …

Sie mögen das alles bodenstän-dig finden. Wir finden es rück-ständig und werden Ihrer Regie-rung gehörig Feuer unterm Hin-tern machen. …

ANZEIGE

Neulich im Landtag Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Landtag Niedersachsen Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz 1 30159 Hannover Tel. 0511/3030-4207 Email: [email protected]

Page 10: HT Igel 53 - gj-nds.de

G E S C H M A C K S G R E N Z E NT

ITE

L

11DERDER IGEL 53IGEL 53

Die Grenzen des guten Geschmacks

Kristallklare Wasserstrahlen plät-schern spielerisch durchs Bild. Un-aufhaltsam bahnen sie sich ihrenWeg. Wohin fließen sie? In Mundund Nase eines um Gnade winseln-den Mannes, der, in einer winzigenZelle auf eine Liege gefesselt, umsein Leben kämpft.V A N E S S A H O F F M A N N U N D S T E F F E N B A C H

Es sind Szenen aus einem Kinospotvon Amnesty International, die briti-sche KinobesucherInnen auf den Ge-brauch der „Waterboarding“-Folterdurch die CIA aufmerksam machensollen. Geschmacklos, sagen manche,den KinogängerInnen zu Popcorn undCola die brutale Realität zu servieren.Geschmacklos, finden andere jedochviel eher, dass die älteste Demokratieder Welt es nötig hat, von ihrem Präsi-denten gedeckt, auf solche mittelalter-lichen Foltermethoden zurückzugrei-fen.Wo liegen sie denn wirklich, dieGrenzen des guten Geschmacks?

Dass sie meistens fließend sind,wussten schon Tocotronic: Es gab nochnie einen allgemeinen gesellschaft-lichen Konsens darüber, was ethischnoch vertretbar ist und was schon ei-nen Schritt zu weit geht, sondern viel-mehr etliche unterschiedliche Positio-nen und Einstellungen, aus denen eingemeinsamer Nenner für die gesamteGesellschaft gebildet wurde.

Momentan scheinen sich diese all-gemein anerkannten Grenzen aberweiter zu verschieben: Das fängt schonmit der abendlichen Unterhaltung an,die für viele Menschen nur noch darin

besteht, sich an der systematischenBloßstellung der KandidatInnen vonCastingshows oder am Zickenkrieg beiModel-Wettbewerben zu ergötzen.Diese Verschiebung zeigt sich auch innicht so banalen Bereichen des gesell-schaftlichen Lebens. Menschen schei-nen mehr und mehr bereit zu sein, fürgrößere Sicherheit Einschränkungenihrer Grundrechte oder gar Menschen-rechtsverletzungen in Kauf zu nehmen.

Dies geschieht unter dem Einflussder weltweiten Angst vor einem Er-starken des Terrorismus. In weiten Tei-len der USA, wo schon immer eine an-dere Auffassung von angemessenenMethoden der Verbrechungsbekämp-fung bestand (etwa hinsichtlich der To-desstrafe), ist die Anwendung von Fol-ter zur Verhinderung oder Aufklärungvon Terroranschlägen akzeptiert. Soweit sind wir in Deutschland zwarnoch nicht, aber auch hier regt sichwenig Widerstand gegen Maßnahmenwie die Vorratsdatenspeicherung oderdie geheime Online-Durchsuchung,mit denen Schäuble & Co. unter demVorwand, Sicherheit zu erhalten, diegeschützte Grenze unserer Privatsphä-re durchbrechen.

Solche Bestrebungen der Machtin-haberInnen, die natürliche Angst imVolk für eine Ausweitung ihrer Kon-trolle zu missbrauchen, hat es in Be-drohungszeiten immer wieder gege-ben. Aber stellt der Terrorismus über-haupt eine so akute Bedrohung dar?Immerhin kommen z.B. im Straßenver-kehr in Deutschland jährlich tausendezu Tode, wohingegen die Opferzahlvon terroristischen Anschlägen bei nullliegt. Allgemein schließt der (oft nur

vermeintliche) Gewinn von Sicherheitimmer den Verlust von Freiheit mit ein,und macht es somit wahrscheinlicher,dass Grenzen vom Staat überschrittenwerden.

Nehmen die BürgerInnen dieswiderstandslos hin, werden dieseÜberschreitungen schließlich zumNormalzustand. Vielleicht ist ein Um-denken erforderlich: Wir brauchenkeinen bevormundenden Überwa-chungsstaat, sondern freie, verantwor-tungsbewusste Menschen. So wie El-tern ihren Kindern nicht immer100%ige Sicherheit garantieren kön-nen, sondern sie Verantwortung lernenmüssen, um ihre schwindenden Be-schränkungen und wachsenden Frei-heiten gut zu nutzen, muss der StaatVerantwortung an seine BürgerInnenabgeben.

So lernen diese ihren Verstand zubenutzen anstatt den – von oben dik-tierten – Vorgaben blindlings zu folgen.Nur durch eine Beteiligung aller an derBewahrung der Sicherheit kann einZerfall des Rechtsstaates verhindertwerden. Mensch sollte nicht zulassen,dass der Eingriff in den privaten Be-reich und die systematische Verletzungvon Menschenrechten unter dem Vor-wand, vor Terror oder anderem zuschützen, zur Normalität werden.

Vanessa Hoff-mann undSteffen Bachsind beide 18,gehen in die

12. klasse in Gifhorn und wollen al-le Grenzen sprengen so wie Karls-son vom Dach.

Page 11: HT Igel 53 - gj-nds.de

Kinder- und Jugendarmut: Folgen,Mechanismen und Lösungsmög-lichkeiten.S V E N - C H R I S T I A N K I N D L E R

Armut: Das heißt Ausgrenzung, Re-signation, Perspektivlosigkeit, man-gelnde Freiheit, fehlende Selbstbestim-mung. Kinder und Jugendliche trifft esbesonders häufig und besonders hart.Nach einer Studie des Bundesfamilien-ministeriums vom Mai 2008 ist jedessechste Kind und jeder sechste Jugend-liche in der Bundesrepublik von Armutbetroffen. 2,4 Millionen Kinder unter18 Jahren haben nicht genug Geld (we-niger als 60% des altersbezogenen be-darfsgewichteten Median-Einkom-mens), um gleichberechtigt an der Ge-sellschaft teilhaben zu können.Armut als Mangel an Verwirkli-chungschancen

Doch Armut ist viel mehr als Man-gel an Geld. Der indische Ökonomie-Nobelpreisträger Amartya Sen defi-niert Armut als einen Mangel an "Ver-wirklichungschancen von Menschenein Leben führen zu können, für das siesich mit guten Gründen entscheidenkonnten, und das die Grundlagen derSelbstachtung nicht in Frage stellt."Nicht nur formelle individuelle Poten-ziale - wie Einkommen, Behinderungenoder Alter - sind entscheidend für einLeben ohne Armut. Genauso bedeut-sam ist, inwiefern diese Potenzialedurch gesellschaftlich bedingte Chan-cen, z.B. im Bildungs- und Gesund-heitssystem oder am Arbeits- und Aus-bildungsmarkt, gemindert, behoben

oder gesteigert werden.Grünes Konzept gegen Kinder-und Jugendarmut

Das Ausmaß der Armut von Kin-dern und Jugendlichen ist beschämend.Nicht für die Betroffenen, sondern fürdiese reiche Gesellschaft insgesamt.Doch dieser Zustand kann und musspolitisch von uns angegangen werdenund zwar mit einem intelligenten Mixaus folgenden Komponenten: 1. Echte Existenzsicherung

Kinder sind eigenständige Indivi-duen und keine halben Erwachsenen,deren Lebensbedarfe von ALG II-Emp-fängerinnen abgeleitet werden kön-nen. Deshalb haben die GRÜNEN zuRecht auf dem Bundesparteitag inNürnberg die Einführung einer bedin-gungslosen Kindergrundsicherung be-schlossen und treten dafür ein, in ei-nem ersten Schritt die ALG II -Regel-sätze abhängig vom Alter auf 300 bis350 Euro zu erhöhen. Unser Ziel musses sein möglichst schnell, möglichst vie-len Kinder eine materielle Existenzsi-cherung zu garantieren.2. Institutionen stärken

Doch neben der Kindergrundsiche-rung spielt die Qualität der öffentlichenInstitutionen eine entscheidende Rollebei der Armutsbekämpfung. Ein lei-stungsfähiger und für alle bezahlbareröffentlicher Nahverkehr, lokale Büche-reien, Jugendzentren mit attraktivenAngeboten, aber auch Familienzentren

mit Beratungsmöglichkeiten für Eltern,gerade in sozialen Brennpunkten, sindwichtige staatliche Leistungen und An-gebote, um arme Kinder und ihre Fa-milien zu unterstützen. Mit einer öf-fentlich finanzierten Kinderfreizeitkar-te könnten arme Kinder und Jugendli-che zusätzlich ohne finanziellen Druckan verschiedenen Kultur- und Freizeit-angeboten teilnehmen.3. Bildung für Alle

Bildung muss schon in Krippen undKindergärten, deren Angebote massivausgebaut werden müssen, anfangen.Um Ausgrenzung und frühe sozialeAuslese zu verhindern, muss auch dasmehrgliedrige Schulsystem durch einegemeinsame Neue Schule für Alle er-setzt werden. Die Benachteiligung vonarmen Kindern muss natürlich auchnach dem Schulabschluss in den Fokusgenommen werden. Ein gebühren-freies Studium und ein Recht auf einenAusbildungsplatz für jedeN Bewerbe-rIn sind die Grundlage, um jungenMenschen eine vernünftige Lebensper-spektive zu bieten.

Lasst uns wieder mehr soziale Ge-rechtigkeit wagen. Die Jugend vonheute hat ein Recht auf echte Perspek-tiven für ein selbstbestimmtes Lebenohne Armut und Ausgrenzung.

Sven-Christian Kind-ler, (23), ist Sprecherder GJN und arbeitetals Betriebswirt inHannover.

TIT

EL

Außen vor statt mittendrin!

S O Z I A L E G R E N Z E N

12 Sommer 2008Sommer 2008

Page 12: HT Igel 53 - gj-nds.de

Über den Unsinn von Altersgren-zen.C H R I S T O P H M Ü L L E R

Um die Meinung von Kindernbraucht man sich nicht zu kümmern.Sie sind keine WählerInnen. Sie leistennichts für die Gesellschaft. Sie sindschwach, klein, armselig und abhängig.StaatsbürgerInnen werden sie erstwerden.

Einer der Ersten, der sich diesengängigen Vorstellungen über Kinder of-fensiv entgegen stellte, war der polni-sche Arzt, Schriftsteller und PädagogeJanusz Korczak. In seinem viel zitiertenWerk „Das Recht des Kindes auf Ach-tung“ macht er unmissverständlich klar,dass Kinder nicht erst zu Menschenwerden – sondern schon welche sind.Auch in seinem Handeln folgte er sei-nen Idealen. Korczak leitete ein „Wai-senhaus“ in Warschau, das als eine Art„demokratische Kinderrepublik“ gel-ten kann. Dort gab es ein Parlament,ein Kindergericht, eine Kinderzeitungund viele andere Institutionen, in de-nen Kinder und ErzieherInnen lernenkonnten, so miteinander zu leben, dassdie eine Gruppe die andere nichtunterdrückt oder dominiert.

Im Jahre 1942 wurde Janusz Korc-zak zusammen mit den Kindern desWaisenhauses von den deutschen Na-zis ins Konzentrationslager Treblinkagebracht und ermordet.

Noch heute sind wir weit davonentfernt Kinder als gleichberechtigteMenschen unserer Gesellschaft zu se-hen und zu behandeln. Ein merkwürdi-ges Verständnis von „Schutz“ wird vor-geschoben, wenn altersdiskriminieren-de Gesetze und Praktiken verteidigtwerden.

Am deutlichsten zeigt sich diese Ab-surdität bei der Altersgrenze für das

Wahlrecht. Heutzutage sind Ge-schlecht, Hautfarbe, Besitz und Behin-derung keine Kriterien mehr dafür, obein Mensch das Wahlrecht hat odernicht. Anders ist dies bisher bei eineranderen Eigenschaft, auf die derMensch keinen Einfluss hat: seinem Al-ter. Es heißt schlicht, Kinder seien zuunreif zum Wählen. Als ob eine will-kürlich fest gelegte Altersgrenze – egalob diese bei achtzehn, sechzehn odervierzehn liegt – gewährleisten würde,dass ein Mensch, der älter ist, automa-tisch eine „reife“, „demokratische“Entscheidung treffen würde. Nichtumsonst soll in einer Demokratie dieStimme der Politikprofessorin genausoviel zählen, wie die des betrunkenenpolitisch uninteressierten Fußballfansoder der senilen Rentnerin. Das Wahl-recht ist ein Grundrecht. Darum darfes auch nicht an irgendwelche Pflichtenoder Altersgrenzen gekoppelt sein.

Außer dem Wählen sind derzeit vie-le andere Dinge, die zum Alltagslebenvon Erwachsenen ganz selbstverständ-lich dazu gehören, für Kinder und Ju-gendliche verboten. Am plausibelstenmag dieses noch beim Tabak- und Al-koholverbot sein. Der Konsum von Ta-bak und Alkohol schadet einem jungenKörper mehr als einem ausgewachse-nen. Doch trotz der Gesetze, die esKindern und Jugendlichen bis 16 Jahrenverbieten, in der Öffentlichkeit zu rau-chen oder alkoholische Getränke zukonsumieren, gibt es Zehnjährige dieKettenraucherInnen sind und hochpro-zentigen Alkohol konsumieren. Mit Al-kohol haben zwei Drittel der 12jähri-gen bzw. 90% der 14jährigen Erfah-rung. Angesichts dieser Zahlen stelltsich die Frage, ob altersbeschränkendeAlkohol- und Tabakverbote überhauptwirksam sind. Wichtiger als Verboteund Altersgrenzen ist Aufklärung. EineAufklärung, die auf die Wirkungen ein-

zelner Substanzen hinweist: auf die un-mittelbare Wirkung, auf krebserregen-de und organschädigende Inhaltsstoffe,auf die Möglichkeit einer körperlichenoder psychischen Abhängigkeit, auf fi-nanzielle Nebenwirkungen, aber auchauf eventuelle positive Aspekte.

Altersgrenzen sind immer willkür-lich und diskriminierend. Warum darfeinE 15jährigeR nicht in eine Kneipeoder Disko gehen? Welche "Gefahren"drohen ihm dort, die nicht auch ei-nem/einer 16jährigen drohen? Wiesodarf einE 16jährigeR heutzutage zwareinen Kasten Bier an einem Abend al-leine leeren, nicht aber einen einzigenSchluck Rum trinken? Warum ist die19-Uhr-Vorstellung eines Films in Ord-nung, die 22-Uhr-Aufführung des glei-chen Films aber nicht?

So lange ein großer Teil der Bevöl-kerung (ca. 20 %) aufgrund ihres Al-ters - einer Eigenschaft, für die sienichts kann – diskriminiert wird, sindwir von einer gleichberechtigten, de-mokratischen Gesellschaft weit ent-fernt.Buchtipps und Quellen:Janusz Korczak – Das Recht des Kin-

des auf AchtungMike Weimann – Wahlrecht für Kinderhttp://kraetzae.de/ - Homepage derwunderbaren KinderRÄchTsZÄnker

Christoph Müller (21)arbeitete ein Jahrlang in einer Schulemit „geistig behin-derten“ Kindern.

A L T E R S G R E N Z E N

Halbe Menschen TIT

EL

13DERDER IGEL 53IGEL 53

Page 13: HT Igel 53 - gj-nds.de

TIT

EL

G R E N Z E N I N E U R O P A

14 Sommer 2008Sommer 2008

Grenzenloses Europa:Allerlei oder Einheitsbrei?

Auf der Suche nach einer Syntheseaus Gemeinsamkeit und Verschie-denheit.V E R A B U T T M A N N

Die Grenzen in Europa fallen wieeine Reihe Dominosteine: Nach derRiesen-Erweiterung 2004 um 15 Staa-ten sind letztes Jahr mit Rumänien undBulgarien noch zwei Mitglieder zur EUdazugekommen – jetzt zählt sie ganze27 Länder. Dem Schengen-Raum sindim Dezember neun zusätzliche Staatenbeigetreten und im November folgtmit der Schweiz schon die nächste Er-weiterung.

Dank dieser Zusammenschlüsse istMigration innerhalb Europas mittler-weile ein Leichtes. Über 20.000 deut-

sche StudentInnen absolvieren jährlichein Auslandssemester und durch Weg-fall der lästigen Grenzkontrollen istReisen unkomplizierter denn je.

Die wirtschaftlichen und politischenVeränderungen machen sich aber nichtnur bemerkbar, wenn wir aus einemLand raus und ins andere rein wollen.Sie werden uns auch durch eine uni-verselle Jugendkultur vor Augen ge-führt - mit europaweit gleicher Klei-dung und gleicher Musik. Die Super-märkte führen in den unterschied-lichen Ländern fast identische Sorti-mente - egal ob wir nun in Kroatienoder England sind, Edamer werden wirüberall finden. In den Haupteinkaufs-straßen reihen sich, ganz gleich in wel-cher europäischen Stadt, Geschäfte

der selben großen Ketten aneinander.Diese wachsende Entgrenzung wird

nicht nur als Gewinn und Chance gese-hen: Das Zusammenwachsen bringtgleichzeitig die Befürchtung mit sich,immer uniformer und austauschbarerzu werden und im europäischen Ein-heitsbrei unterzugehen. Die Öffnunggewohnter Strukturen wird als Iden-titäts- und Sicherheitsverlust empfun-den.

Solche Sorgen nähren Bewegungen,die sich dem allgegenwärtigen Trendder Grenzüberschreitung entgegen-stellen. Die Katalanen im NordostenSpaniens zum Beispiel sondern sichvom Rest des Landes ab, weil sie gro-ßen Wert darauf legen, die geschicht-

Page 14: HT Igel 53 - gj-nds.de

G R E N Z E N I N E U R O P A

lichen, sprachlichen und kulturellenBesonderheiten ihrer Region zu wah-ren. Das katalanische Parlament be-schloss 2005 sogar mit knapp 90 Pro-zent der Stimmen eine Resolution, dieKatalonien als eigenständige „Nation“bezeichnet.

In Deutschland tauchten vor einigenJahren Jacken und T-Shirts auf, die stolzmit Städtenamen beschriftet warenund dazu das entsprechende Wappentrugen. Eine neue Form von Heimat-verbundenheit und Lokalpatriotismus– offensichtlich gibt es auch hier dasBedürfnis, sich mit Wohnort und loka-len Gegebenheiten zu identifizieren.

Das wird noch deutlicher, wennmensch sich an das Fahnenmeer zurWeltmeisterschaft erinnert. Endlichwar da eine Möglichkeit, guten Gewis-sens die deutsche Flagge zu schwenkenund sich eins zu fühlen mit der Mann-schaft und ganz Deutschland. Das glei-che Spiel neulich zur Europameister-schaft.

Sei es nun der Staat, die Heimat-stadt oder die Region – die Menschensuchen sich einen klar definierten Rah-men, dem sie sich zugehörig fühlen.Dieses Bestreben wird verstärkt, jemehr die innereuropäischen Grenzenverblassen und die Vereinheitlichungvoranschreitet.

Rechte Gruppierungen, die einewirtschaftlich protektionistische Hal-tung einnehmen und es zum Schutzder nationalen Kultur und Bevölkerungfür notwendig halten, Immigration par-tout zu verhindern, schlagen daraus lei-der ihren Profit und erfahren einen un-gemeinen Zuwachs (während die NPDin Mecklenburg-Vorpommern 2002noch 0,8% der Wählerstimmen er-hielt, waren es 2006 7,3%, auch inSachsen sitzt die NPD im Landtag undim Gegensatz zur FDP und den Grü-nen hat es die rechte DVU 2004 insbrandenburger Parlament geschafft).

Angesichts solcher Entwicklungen,die sich aus der zunehmenden Ent-grenzung und den daraus resultieren-den Bedürfnissen ableiten, stellt sichdie Frage: Was ist zu tun, damit dieAuflösung von Grenzen in Europa nichtgleichzeitig als Auflösung von örtlichenBesonderheiten erlebt wird, damit dasZusammenwachsen nicht Assimilation,sondern Bereicherung bedeutet? Esgibt eine ganze Reihe von Wissen-schaftlerInnen, die dazu Überlegungenangestellt haben. Einer von ihnen istKlaus Eder, Professor der Humboldt-Universität Berlin. Er hält eine gemein-same europäische Identität für not-wendig, um eine „Einheit der Vielfalt“zu ermöglichen. Drei Optionen gibt eslaut Eder, die verbinden könnten, ohnezwangsweise anzugleichen.

Erstens die Vergangenheit: Zwar seifür Europa keineswegs denkbar, was inTschechien oder der Slowakei nach ih-rer Gründung stattgefunden habe,nämlich eine idealisierte Geschichts-schreibung, die wahlweise durch Hel-denmut oder, indem sie die Bevölke-rung als Opfer darstellt, zusammen-schweiße. Doch vielleicht sei es mög-lich, sich gemeinsam an die Vorge-schichte des vereinigten Europa zu er-innern, an die Kriege zwischen denStaaten und die wechselseitigen Verlet-zungen zu denken und sich somitgleichzeitig als Täter und als Opfer zubegreifen.

Die zweite Möglichkeit sieht Ederin einer „europäischen Diskursgemein-schaft“. In der Tat gibt es bislang trotztechnischer Möglichkeiten wenig Ver-netzung, gemeinsame Medien undKommunikation über die Sprachgren-zen hinweg. Je mehr Englisch in dieRolle einer Verkehrssprache wachse,so Eder, seien hier jedoch große Poten-ziale für ein europäisches Bewusstsein.

Als dritte Möglichkeit schlägt Ederschließlich vor, dass sich eine europäi-sche Identität auf grundlegende ge-meinsame Werte wie Frieden, Rechts-staatlichkeit, Ablehnung der Todesstra-fe und die Geltung der Menschenrech-

te gründen könne. Das seien, schauemensch in verschiedene Regionen derWelt, keineswegs selbstverständlicheGarantien. Ebenso die dauerhafteÜberwindung des Hungers in Europa,die auch hier im Übrigen erst 100 Jahrewährt.

Ob eine dieser drei Optionen greiftund wenn ja, welche, ist fraglich. Sicheraber ist, dass politische Verträge als Ba-sis für eine geglückte europäische Ge-meinschaft nicht genügen. Eine Uni-onsbürgerschaft gibt es seit demMaastrichter Vertrag vom 7. Februar1992 bereits, EU-BürgerInnen besit-zen neben ihrer primären Staatsange-hörigkeit also auch die EU-Bürger-schaft. Eine europäische Verfassung, soerhoffen es sich viele, werde noch be-stehende Zweifel an der EU ausräu-men. Doch, wie der Philosoph und So-ziologe Habermas schreibt, ist es zwei-felhaft, ob diese juristischen und politi-schen Schritte auch „an die Gemüterappellieren“ können. Sie führen viel-mehr zu einer Art Supernationalstaat,einem ähnlichen Konstrukt, wie denbisher bestehenden Nationalstaaten,das somit in die gleichen Schwierigkei-ten geriete. Der Zusammenhalt wärerein formell und Solidarität politischdiktiert.

Erst wenn Europa sich aus freiemWillen, und nicht nur auf Beschluss derParlamente hin, zusammenschließt, hates Aussichten auf Erfolg. Dann könntedie heterogene europäische Gesell-schaft ein Beispiel dafür sein, dassGrenzen zu Gunsten einer solidari-schen und offenen Gemeinschaft zuüberwinden sind und, dass die einzel-nen, unverwechselbaren Eigenarten,Geschichten und Kulturen sowohl imkleinen Rahmen Halt geben, als auchzur Kraft der Gemeinschaft beitragenkönnen.

Vera Buttmann (20)kommt aus Hannoverund ist Redakteurinim IGEL.

TIT

EL

15DERDER IGEL 53IGEL 53

Page 15: HT Igel 53 - gj-nds.de

Die EU simuliert den Belagerungs-zustand, lässt die Fallgitter herun-ter und zieht juristische Gräbenum ihre Festung.C L A U D I A B E C K M A N N

Wir Schengenraum-BürgerInnengenießen immer weiterreichende Frei-zügigkeit, müssen bei der Einreise inandere Schengenländer nicht einmalunseren Ausweis vorzeigen und sindauch in den meisten anderen Länderngern gesehene, weil reiche Gäste. FürStaatsbürgerInnen ärmerer Ländersieht es umgekehrt ganz anders aus.

Damit nur zahlungskräftige Auslän-derInnen Einlass in die Festung Europabekommen, verlangen die Botschaftenin visapflichtigen Ländern Auskunftüber private Daten wie Kontoauszüge,

Arbeitsnachweis und Steuererklärungsowie über den genauen Grund derReise. Die „goldene Regel“ bei der Ent-scheidung über einen Visumantrag lau-tet: „Je mehr Gründe jemand hat,[nach Europa] reisen zu wollen, destoweniger ratsam ist es, ihm ein Visumauszustellen.“

Zusätzlich können die Grenzbeam-tInnen immer noch nach eigenem Er-messen entscheiden, ob sie die Einrei-senden für „ScheintouristInnen“ hal-ten, die das Visum „nutzen, um insLand zu gelangen, es dann aber nichtmehr verlassen“. Um diese Menschenherauszufiltern plant die EU die glei-chen strengen Einreisekontrollen ein-zuführen, wie sie in den USA schonpraktiziert werden. So werden rechteÄngste vor illegalen Einwanderern und

Einwanderinnen oder sogar Terrori-stInnen in der Bevölkerung zusätzlichgeschürt. Erstaunlicherweise werdennur die Kontrollen für Menschen ver-schärft – nicht aber die für Handelsgü-ter wie Container, obwohl dieseimmerhin Waffen, Sprengstoff oderstrahlendes Material enthalten können.

Verfolgte, die in Europa Zufluchtsuchen möchten, bekommen für ge-wöhnlich kein Visum. Denn die GenferFlüchtlingskonvention (GFK) definiert„Flüchtling“ als Person, die sich „ausbegründeter Furcht vor Verfolgung [...]außerhalb des Landes befindet, dessenStaatsangehörigkeit sie besitzt, [...] unddorthin nicht zurückkehren kann oder[...] will.“ (GFK, Art. 1) Diese Defini-tion hat zur Folge, dass verfolgte Men-schen, wenn sie sich noch in ihrem

TIT

EL Plädoyer für die Freizügigkeit

“ E C H T E ” G R E N Z E N

16 Sommer 2008Sommer 2008

Page 16: HT Igel 53 - gj-nds.de

“ E C H T E “ G R E N Z E N

Heimatland aufhalten, kein Visum er-halten, um legal in die EU reisen zukönnen, um dort Asyl zu beantragen.Haben sie aber ihr Heimatland verlas-sen und befinden sich in einem so ge-nannten Drittland, wird ein Visum mitder Begründung verweigert, sie seienaußer Gefahr und könnten bleiben wosie sind. Außerdem verweigern Beför-derungsunternehmen PassagierInnenohne oder mit falschen Dokumentendie Mitnahme, da sie sonst mit staat-lichen Sanktionen rechnen müssen.

So bleibt für viele nur der illegaleund gefährliche Weg, wie über die spa-nischen Enklaven Ceuta und Melilla.Hier kommen die Ärmsten der Armenan, die kein Geld für professionelleSchlepper haben. Sie versuchen denZaun zu überwinden, der Europa vonAfrika trennt und in seiner technologi-schen Hochrüstung die Mauer, die1989 unter „Nie wieder!“ Rufen abge-rissen wurde, noch übertrifft. Zweisechs Meter hohe Zäune mit NATO-Draht, Beschuss durch Tränengas, Pfef-ferspray und Gummigeschossen vonder spanischen und scharfen Geschos-sen von der marokkanischen Seite,verantworten die schweren Verletzun-gen und die vielen Toten unter denFlüchtlingen, genaue Zahlen sind nichtbekannt. Diese Vorgehensweise istnicht nur extrem menschenrechtswid-rig, sondern verstößt auch gegen das inArt. 33 GFK verankerte Prinzip, dassFlüchtlinge nicht von der Grenze zu-rückgewiesen werden dürfen. Dem-nach haben die Menschen vor denZäunen eigentlich das Recht, einfach zuden Grenzposten hinter dem Zaun zugehen um Asyl zu beantragen, dochdort hin kommt mensch nur mit Vi-sum.

Neben den Kosten für die Grenz-technologie zahlt die EU an die Länderder Pufferzonen, wie Marokko, Millio-nen für deren Hilfe, Grenzüberschrei-tungen zu verhindern. Ein Flüchtlingder im Alter von dreizehn Jahren seineHeimat nach einem Umsturz verließ,

berichtet davon, insgesamt viermal anden Zäunen von Ceuta bzw. Melillavom marokkanischen Militär verhaftet,zusammengeschlagen und in die Wüstean der Grenze nach Algerien depor-tiert worden zu sein. Beim fünften Mal,mit 19 Jahren, schaffte er es bei einemMassenansturm den Zaun von Ceutazu überwinden und einen Asylantragzu stellen. Doch die Chancen stehenschlecht. Oftmals werden die Flücht-linge noch vor einer Entscheidung ihresAntrages wieder abgeschoben, auchwenn dies gegen die GFK verstößt.

Auch die deutschen Statistiken ma-chen Flüchtlingen kaum Hoffnungen:wurden 1995 immerhin noch 9% derAsylbewerber anerkannt, waren es2006 nur noch 0,8%. Diese geringeZahl ergibt sich u.a. daraus, dass nurpolitische Flüchtlinge, die in ihrer Hei-mat von staatlicher Verfolgung bedrohtsind, Asyl bekommen können. DieseRegelung der GFK aus dem Jahre 1951entspricht der weltpolitischen Lageschon lange nicht mehr. Warlords, ex-tremistische Gruppierungen etc. habenin vielen Regionen die Rolle der Staats-gewalt übernommen. Flüchtende vorÜbergriffen dieser Regime könnenebenso wenig wie z.B. Mädchen undFrauen, die vor der Beschneidung flie-hen, den Asylstatus erlangen. Sie kön-nen nur auf temporäres Abschiebever-bot (2007: 2,4% der Anträge) oder -schutz (2007: 31,3% der Anträge) hof-fen.

Weiterhin bedenklich ist die so ge-nannte Dublin-II-Verordnung. Danachist der Mitgliedsstaat für die Durchfüh-rung des Asylverfahrens zuständig, indem der Flüchtling das erste Mal euro-päischen Boden betreten hat. So kön-nen Staaten wie Deutschland Asylbe-werberInnen, die nicht per Direktflugeingereist sind, leicht in das „sichereDrittland“ abschieben über das sie ein-gereist sind, auch wenn dort eine Aus-weisung in das nicht sichere Heimat-land zu erwarten ist. Und Staaten mitEU-Außengrenzen führen besonders

strenge Einwanderungsverordnungenein, da sie deutlich höhere Einwande-rungszahlen und daraus folgende Ko-sten haben.

Diese Politik des „Schutzes vorFlüchtlingen“ und nicht „Schutzes derFlüchtlinge“ ist umso schändlicher vordem Hintergrund, dass Europa selbstzu einem großen Teil für die miserableLage in den Herkunftsländern derFlüchtlinge verantwortlich ist: Kolonia-lismus und Sklaverei haben Europareich gemacht und in Afrika die beste-henden Strukturen zerstört. Unter-drückerische Regimes wurden undwerden durch Waffenlieferungen ausEuropa unterstützt. Die EU-Agrarpoli-tik macht die afrikanischen kleinbäuer-lichen Strukturen unrentabel.

Europa muss sich endlich seinerVerantwortung bewusst werden! Ein-erseits müssen Fluchtursachen durchwirkungsvolle Entwicklungshilfe undReformen in der EU (z.B. Umgestal-tung der Agrarpolitik) bekämpft wer-den. Andererseits ist ein radikales Um-denken in der Einwanderungspolitiknotwendig. Das Modell „Gastarbeiter-tum“, das fügsame Arbeiterheere beiBedarf zur Verfügung stellen soll, diebei steigenden Arbeitslosenzahlen wie-der in ihre Heimat zurückkehren, ist zuRecht gescheitert. Wir müssen aner-kennen, dass Europa ein Einwande-rungskontinent ist.

Außerdem ist es menschenverach-tend, globale Freizügigkeit für Kapital-ströme zu fordern, diese Freizügigkeitfür Menschen jedoch abzulehnen. Soist es nur logisch, in unserer globalisier-ten Welt für jedeN ErdenbürgerIn dieFreiheit einzufordern, wählen zu kön-nen, in welchem Land er/sie lebenmöchte.

Claudia Beckmann(20) ist Mitglied derGRÜNEN JUGENDHannover.

TIT

EL

17DERDER IGEL 53IGEL 53

Page 17: HT Igel 53 - gj-nds.de

Stell dir vor, deine Eltern sprechenmiteinander und du verstehst sienicht. Sie reden in einer Sprache,die dir fremd ist. Wenn du dir be-sonders viel Mühe gibst, dannkannst du eventuell einzelne Phra-sen erhaschen und ihr Gespräch ineinem einigermaßen sinnvollenKontext erschließen. Aber dukannst dir sicher sein, dass einebarrierefreie Kommunikation wohlniemals möglich sein wird. Dir gin-ge es so, wie 90 Prozent aller ge-hörlos geborenen Kinder, deren El-tern hörend sind.S A R A H B E N K E

Emanzipation durch Gebärden-sprache

In der abendländischen Denktradi-tion galten gehörlose Menschen überJahrhunderte hinweg als unbildbareIdioten und bis ins 16. Jahrhundert hin-ein mussten sie gravierende Einschrän-kungen in Recht, Kirche, Bildung undÖffentlichkeit erdulden. Erst durchden Einfluss von Humanismus und Re-formation entdeckte die hörende Weltihre Bildbarkeit und erprobte erste pä-dagogische Konzepte. Jedoch hält derso genannte Methodenstreit noch bisheute an: so gibt es in Deutschland im-mer noch viel zu wenige Gehörlosen-schulen, die ein bilinguales Schulkon-zept vertreten, in dem sowohl in Deut-scher Gebärdensprache (DGS) als auchin Deutscher Lautsprache unterrichtetwird. In den meisten Schulen werdendie Kinder und Jugendlichen vorwie-gend lautsprachlich unterrichtet, wasnachweislich ein geringeres Bildungsni-veau der SchülerInnen zu Folge hat. Eine Person – eine Sprache

Bis heute wird von vielen Wissen-

schaftlerInnen angenom-men, dass der Erwerb derDGS als Erstsprachehemmend für die laut-sprachliche Entwicklungeines Kindes sei. Sie ge-hen davon aus, dass sichein gehörloser Menschgänzlich in die Welt derHörenden zu integrierenhabe und besitzen keiner-lei Kenntnisse über dieNotwendigkeit der DGSfür die Entwicklung, Bil-dung und Identität vonGehörlosen sowie dieKultur der Gehörlosenge-meinschaft.

Tatsächlich ist erwie-sen, dass die Normalent-wicklung der starkenSprache eines Kindes dieBasis für die langsamere Ausbildung ei-ner zusätzlichen Sprache ist. Daher istes für gehörlose Kinder und Jugendli-che, gerade, wenn sie in einer hören-den Familie aufwachsen, unabdingbar,eine umfangreiche Förderung in Ge-bärdensprache zu erhalten, da dies dieeinzige Sprache ist, die sie auf natürli-chem Wege erlernen und als Mutter-sprache annehmen können. Nur dieFähigkeit, in ihrer Muttersprache per-fekt kommunizieren zu können, er-laubt es den Kindern, ihre Gedankenund Gefühle in Worte zu fassen. Nega-tive Einschränkungen ergeben sich ausder Situation, mehrere Sprachen, indiesem Falle Laut- und Gebärdenspra-che, nur ungenügend zu beherrschen.Bleibt die Förderung muttersprach-licher Kompetenz aus, verschlechternsich die Ausgangsbedingungen und dieBildungsentwicklung des Kindes wirdgehemmt.

Und jetzt? Im Idealfall haben sich deine Eltern

schon beizeiten mit der Sprache undKultur der Gehörlosengemeinschaftvertraut gemacht und sich dafür ent-schieden, dich bilingual zu erziehen – inDeutscher Lautsprache und DeutscherGebärdensprache. Deine Eltern habenerkannt, dass dies der einzige Weg ist,der es dir ermöglicht, dich sowohl inder hörenden als auch in der gehörlo-sen Welt orientieren zu können.Außerdem kann es dir damit möglichsein, eine Brücke zwischen zwei völligunterschiedlichen Kulturen zu schla-gen.

Sarah Benke (21) stu-diert Gebärden-sprachpädagogik inBerlin und ist Spre-cherin der GRÜNEN

JUGEND Brandenburg.

TIT

EL Sprich doch mit meinen Händen

Gebärdensprache & Gehörlosenkultur

V E R B A L E G R E N Z E N

18 Sommer 2008Sommer 2008

Page 18: HT Igel 53 - gj-nds.de

V R E B A L E G R E N Z E N

Hintergrund: Gehörlosigkeit

Noch heute werden Gehörlose inder Öffentlichkeit oft als „Taubstum-me“ bezeichnet. Dieser Begriff gehörtjedoch verbannt, da sich das Wort„stumm“ etymologisch von dem Wort„dumm“ herleiten lässt. Zudem sindGehörlose nicht stumm, da ihreSprechorgane vollkommen ausgebildetund durch die Gehörlosigkeit nicht be-einträchtigt sind. Außerdem bedeutetGehörlosigkeit nicht, dass die Betroffe-nen im Generellen über keinerlei aku-stische Wahrnehmung verfügen. ImGegenteil: Viele Gehörlose besitzenein Resthörvermögen. Sie fühlen sichjedoch der Gehörlosengemeinschaft

zugehörig und messen ihre kulturelleIdentität nicht am Grad ihrer Hörschä-digung. Gebärdensprachen

Gebärdensprachen sind eigenstän-dige, natürliche, vollwertige und visuellwahrnehmbare Sprachen. Sie besitzeneine eigene Grammatik, ein eigenstän-diges Vokabular und unterscheidensich in ihrem Aufbau grundlegend vonder Lautsprache der jeweiligen Länder.Fälschlicherweise wird von vielen Hö-renden angenommen, bei der Gebär-densprache handele es sich um eineinternationale Sprache. Doch Gebär-densprachen unterscheiden sich vonLand zu Land. Allein im deutschenSprachraum gibt es die Deutsche Ge-

bärdensprache (DGS), die Österreichi-sche Gebärdensprache (ÖGS) und dieDeutschschweizer Gebärdensprache(DSGS). Jede von ihnen besitzt zahlrei-che Dialekte. Die DGS wurde inDeutschland im Zuge des Behinder-tengleichstellungsgesetzes im Jahr2002 rechtlich anerkannt. Erst seit die-sem Zeitpunkt besitzen Gehörlose einRecht auf DolmetscherInnen. Statistik

In Deutschland leben etwa 15 Mio.hörbeeinträchtigte Menschen. Das sindfast 20 % der Bevölkerung. 80.000Deutsche sind gehörlos. Insgesamt gibtes ungefähr 200.000 hörende und ge-hörlose SprecherInnen der DGS.

TIT

EL

WERDE EUROPA-REPORTER/INBERICHTE DIREKT VON DER SOMMERUNI VOM 28.-31. AUGUST IN FRANKFURT/ODER

Bewerb dich jetzt als Europa-Reporter/in. Die GRÜNE Europaabgeordnete Rebecca Harms lädt zwei Mitglieder der GRÜNEN JUGEND ein, vom 28. - 31. August für die neue Homepage www.rebecca-harms.de direkt von der Sommeruni der GRÜNEN Europafraktion aus Frankfurt/Oder zu berichten.

Bewerbungen und weitere Infos bis zum 14. Juli über: www.rebecca-harms.de

Infos zur Sommeruniversität: www.green-summer-university.eu

Rebecca Harms,Mitglied des EuropaparlamentsDie Grünen/EFAFon 0032.2.28-45695 [email protected]

Anzeige

Page 19: HT Igel 53 - gj-nds.de

Durch den Kapitalismus werdendie ökologischen Grenzen der Erdeüberschritten. Wie können dieseGrenzen verteidigt werden?A N N E L E N M E Y E R

Aus Wirtschaftsinteressen leidet dieUmwelt. Ozonlöcher, Bodenerosion,Waldsterben, Wassermangel, Arten-sterben und Klimawandel sind die Fol-gen. Menschen zerstören so auch ihreeigene Lebensgrundlage: Wir atmendreckige Luft, trinken unreines Wasserund leben auf giftigem Boden. Immermehr Menschen werden krank. Krank-heiten wie Krebs oder Allergien wer-den immer subtiler und können nichtauf direkte Ursachen zurückgeführtwerden. Im Schnitt kommt ein Menschim Leben mit bis zu 60.000 Chemika-lien in Kontakt.

Der Kapitalismus ist darauf ausge-richtet, dass Unternehmen ihren Profitmaximieren. Der Verbrauch und dieZerstörung von öffentlichen Güternwie Luft, Gewässer oder Natur gehenweder in die Kalkulation von Unter-nehmen noch in den Marktpreis ein, siesind kostenlos. Es ist für Unternehmenwirtschaftlich nicht sinnvoll, ökologischzu produzieren. Ein einzelnes Unter-nehmen hat nicht mal die Möglichkeitfreiwillig teurer zu produzieren, wennes konkurrenzfähig bleiben will. DieKonkurrenz zwischen Unternehmenzwingt dazu, die Produktivität ständig

zu steigern. Dies hat auch zur Folge,dass es zu größerem Umweltver-brauch kommt. In den meisten Fällenist die Steigerung der Produktivität mitzusätzlichem Energieverbrauch, alsomit mehr Umweltzerstörung verbun-den. Gibt es ökologische Gerechtigkeitim Kapitalismus?

Trotz der Kapitalismuskritik, weildieses Wirtschaftssystem Naturzerstö-rung in sich trägt, können wir nicht dasEnde dieses Systems abwarten. Nurdeswegen abzulehnen unser Wirt-schaftssystem ökologisch zu gestalten,weil so das System als solches nicht inFrage gestellt wird, wäre falsch, dennangesichts des Klimawandels mussschnell gehandelt werden. Aus realpo-litischer Perspektive ist es notwendigdurch Regulierung der Märkte im Sinnevon Natur und Umwelt zu handeln.

Märkte ohne ökologische (und sozi-ale) Regulation sind tyrannisch. Regu-lierungen sind durch Steuern und Zer-tifikate möglich und verhindern zumin-dest, dass öffentliche Güter nicht ko-stenlos verschmutzt werden. Werdenfür die Nutzung von Luft oder WasserGebühren erhoben, begrenzt diesnicht nur das Ausmaß der Nutzung.Auch können die Erlöse, die so einge-nommen werden, allen zu Gute kom-men.

Umweltsteuern und Zertifikate alsInstrumente ökologischer Verteidigungkönnen, wenn sie streng ausgestaltetsind, ökologische Grenzen durchsetz-ten. Sie sind somit ein notwendiger An-satz, der allerdings seine Grenzen hat:Es ist unmöglich Natur und Umweltvollständig in Wert zu setzen. Dieses istaber immer erforderlich, wenn Um-weltschäden in Geld ausgedrückt wer-den sollen. Auch wenn Maßnahmen,die Umweltschutz auf „marktwirt-schaftlichem Wege erreichen wollen zuweniger schädlichem Verhalten führenkönnen, so ändern sie nichts an derProfitorientierung der Unternehmen.

Zur Durchsetzung harter Regulie-rungsmaßnahmen zu Gunsten derÖkologie fehlt bisher der politischeWille. Deswegen müssen wir weiterdafür kämpfen, dass ein System vonÖkosteuern und Zertifikaten auf derinternationalen Ebene ökologischeGrenzen setzt. Gleichzeitig müssen wirunser kapitalistisches Wirtschaftssy-stem überdenken, damit das Ökosy-stem der Erde geschützt wird.

Annelen Meyer (21)kommt aus Göttingenund würde lieber ineiner gerechterenWelt leben.

TIT

EL ÖkÖkologische Grenzenologische Grenzen

des Kapitalismusdes Kapitalismus

K A P I T A L E G R E N Z E N

20 Sommer 2008Sommer 2008

Page 20: HT Igel 53 - gj-nds.de

Die SchülerInnen, die mit demniedersächsischen Schulsystem le-ben müssen, haben längst festge-stellt, dass es nicht funktioniert.Die Menschen, die es kreiert ha-ben, leider noch nicht.J U D I T H K Ö N I G

Gerade jetzt, da die Schulzeit umein Jahr verkürzt wird, steigt der Druckimmens. Schon GrundschülerInnenbrauchen vermehrt Nachhilfe, Hob-bies werden nach und nach eingestelltund Eltern hyperventilieren, sobald ihrKind mal mit einer schlechten Notenach Hause kommt. Auch die frühzeiti-ge Selektion sorgt dafür, dass Grund-schülerInnen sich nicht frei entwickelnkönnen, sondern stattdessen versu-chen müssen sich strikt an die Vorga-ben des Kultusministeriums zu haltenund die vorgegebenen Bahnen nicht zuverlassen.

Eine Möglichkeit die Grenzen desjetzigen Schulsystems einzureißen, bie-tet die Idee der Freien Schule. Hierwird auf die Individualität der Schüle-rInnen eingegangen und niemandemwird etwas aufgedrückt, was gar nichtpasst. Bei einem Informationsabendder Freien Schule Braunschweig wurdeein guter Einblick in das Konzept undden Alltag einer solchen Schule gege-ben. Hierbei handelt es sich um eineGrundschule, in der Erst- bis Viert-klässlerInnen unterrichtet werden.Dies geschieht ohne Aufteilung in Al-tersgruppen, so dass alle Kinder ge-mischt in vier Klassen aufgeteilt sind.

Der größte Vorteil an diesem Kon-zept ist, dass die älteren SchülerInnenden jüngeren helfen können, z. B., in-dem sie bestimmte Aufgabentypen, diesie bereits kennen, erklären. Da sie so-wohl sprachlich als auch sozial mit denJüngeren auf einer Ebene sind, gelingt

es ihnen oft schnellerund effektiver die In-halte zu vermitteln.Hinzu kommt eineSteigerung desSelbstbewusstseins,wenn sie merken,dass sie jemandemhelfen konnten undihr eigenes Wissenund Können wird ge-festigt, wenn sie es ineigenen Wortenweitergeben. Lehre-rInnen und Erziehe-rInnen haben oftmalsnur eine beaufsichti-gende Funktion undmüssen selten ein-greifen.

Der Alltag an dieser Schule ist indrei Unterrichtseinheiten aufgeteilt. Inder ersten, die nach der Begrüßungs-runde beginnt, werden die staatlichvorgegebenen Inhalte zu Mathematik,Deutsch, Sachunterricht, etc. ver-mittelt. Anschließend, nach einer Früh-stückspause mit frischem Obst undGemüse, beginnt die so genannteWahlarbeitszeit, zu deren Beginn dieKinder ihre Planung mitteilen, ob siezum Beispiel etwas über Landkartenoder Diagramme lernen wollen, an ei-nem Zeitungsprojekt teilnehmen oderlieber eine Buchvorstellung vorberei-ten möchten. Die LehrerInnen und Be-treuerInnen schreiten auch hier nurberatend ein.

Anschließend gibt es Mittagessen,was jeden Tag von einer anderenGruppe von Kindern geplant, einge-kauft und gekocht wird. Obwohl dieEltern helfen, lernen die SchülerInnendoch, dass sie alleine etwas auf die Bei-ne stellen können und ihre Selbststän-digkeit wird gefördert. Nach dem Es-

sen beginnt die Angebotszeit, in wel-cher es sportliche, künstlerische undmusische Angebote gibt. Die Teilnah-me ist allerdings nicht verpflichtend, sodass die Kinder auch die Möglichkeithaben zu spielen oder sich auszuruhen.Der Schultag endet mit einem Ab-schlusskreis, wo der Tag reflektiertwerden kann und wo darauf hingewie-sen wird, was am nächsten Tag an-steht.

Weitere Ereignisse während einesSchuljahrs sind etwa die Projektwo-chen, das Schulschlafen, die Klassen-fahrten und diverse Feste. Diese vierJahre Schule helfen den Kindern sichindividuell im eigenen Tempo zu ent-wickeln, stärken ihr Selbstbewusstseinund ihre Selbstständigkeit und zeigen,dass die Schule nicht nur ein Ort desLernens sondern auch des Lebens ist.

Judith König (18) istIGEL-Redakteurinund hat gerade ihrAbi in Wolfenbüttelhinter sich gebracht.

F R E I H E I T F Ü R S C H Ü L E R I N N E N

Freie Schulen TIT

EL

21DERDER IGEL 53IGEL 53

Page 21: HT Igel 53 - gj-nds.de

Kulturelle Unterschiede und wel-che Freiheiten diese erlauben.S I M O N B E N E K E

Jeder von uns wird im Alltag oder inden Medien immer wieder mit frem-den Kulturkreisen konfrontiert. DieserArtikel soll ein kurzes Plädoyer dafürsein, diese Kulturkreise vielleicht etwasweniger wichtig zu nehmen. Immerwieder hört man, dass man bestimmteVerhaltensweisen nicht vergleichenkann, dass z.B. ChinesInnen anders er-zogen wurden, eine andere Kultur ha-ben und wir letztlich unsere Maßstäbe

nicht an ChinesInnen, InderInnen, Ara-berInnen anlegen dürfen. Natürlich istes richtig, dass man niemals davon aus-gehen sollte in allen Punkten die opti-male Meinung zu haben, aber wennman seine Meinung begründen kann,sollte man auch im „interkulturellen“Dialog zu dieser stehen.

Was bedeutet es eigentlich aus ei-nem „fremden“ Kulturkreis zu kom-men? Bedeutet dies eine zwangsweiseKonditionierung, die mich automatischdazu bringt, dass ich nicht mehr in derLage bin rational über die Vor- und

Nachteile meines Landes und seinerStruktur nachzudenken?

Sind wir westlichen Nationen dieeinzigen, welche Rationalität gepachtethaben; ein Produkt der Aufklärungwelches den „fremden“ Nationenfehlt?

Was bedeutet eigentlich Kultur? Ichtrete hier für den Begriff der persön-lichen Kultur ein. Dieser Begriff besagt,dass jeder Mensch sein eigener Kultur-kreis ist, sogar in verschiedenen Umge-bungen seine Kultur wechselt. Kann

TIT

EL Freiheit von Kultur

K U L T U R E L L E F R E I H E I T E N

Songcontest der Grünen:„Beat the heat“ – Musik für den KlimaschutzAmateurbands können Aufnahme-Session im Tonstudio gewinnenDie Grünen-Bundestagsabgeordnete Brigitte Pothmer und der Kreis-verband Hildesheim laden ein zum Songcontest „Beat the heat - Musikfür den Klimaschutz“. Ab sofort können sich alle MusikerInnen, Song-schreiber und Tonkünsterlinnen mit eigenen Arbeiten daran beteiligen.Einsendeschluss ist der 30. August. Den Gewinnern wird die Aufnahmeihres Songs im Hildesheimer Trillke-Studio finanziert. Weitere Preisesind Einkaufsgutscheine.„Der gigantische Energieverbrauch und der unbändige Konsum der In-dustrieländer, die Billigflieger, die Spritfresser, die Massentierhaltungund viele andere Fehlentwicklungen der modernen Zivilisation habenin den letzten Jahrzehnten zu einem drastischen Raubbau an der Natur

und einer ruinösen Umweltverschmutzung geführt. So kann es nichtweitergehen!“, heißt es in dem Aufruf zum Wettbewerb. Und direkt analle Interessierten gerichtet: „Ihr wisst: Veränderungen beginnen in denKöpfen und Herzen. Dazu könnt ihr euren Teil beitragen! Denn Musikberührt und bewegt die Menschen oft viel stärker als das gesprocheneund geschriebene Wort. MusikerInnen haben sich schon immer eingemischt und engagiert,wenn es darum geht, aufzurütteln, Mut zu machen und Veränderungenin Gang zu setzen.“Eingereicht werden können Songs zum Klimawandel und den damitzusammenhängenden Themen, Problemen und Ideen. Der Musikstil istegal. Ausreichend sind Aufnahmen in Probenraum-/Demoqualität. Einefachkundige Jury wird die Songs bewerten und unter allen EinsenderIn-nen die Gewinner ermitteln.Weitere Informationen zum Wettbewerb gibt es unter.www.pothmer.de | [email protected]

Anzeige

Page 22: HT Igel 53 - gj-nds.de

man überhaupt davon ausgehen, dassein Mensch als hochkomplexes Lebe-wesen mit Millionen von Einflüssen aufihn letztlich mit einer so groben Struk-tur wie der Landeskultur analysierbarist? Zwei Bauern in Hessen können di-rekt nebeneinander aufgewachsensein, eigentlich müssten sie eine sehrähnliche Kultur haben, dennoch sind esbei auch nur oberflächlicher Betrach-tung völlig verschiedene Menschen.Gegen diesen Punkt kann natürlich ein-gewendet werden, dass der Kulturbe-griff ja auch nicht so stark gefasst wer-den muss, die Kultur nur eine Grund-tendenz in der Bevölkerung des Lan-des angibt. Wenn dies aber der Fall ist,wofür brauchen wir den Begriff dannüberhaupt wenn er sobald ich mich miteinzelnen Personen oder auch nur ge-wissen Gruppen unterhalte sofort

wertlos wird? Meine Aufforderung ist hier nicht

Traditionen, Geschichte und Bräucheeines Landes zu ignorieren. Meine Auf-forderung ist erstens, den Begriff derKultur wenn er uns in den Medien be-gegnet, nicht einfach aufzunehmen,sondern ihn äußerst kritisch zu reflek-tieren. Dies gilt auch für solche populi-stischen Spielereien wie die „Jugend-kultur“. Zweitens sollten wir immerwenn wir uns mit Menschen unterhal-ten immer erst einmal davon ausgehen,dass der Gegenüber ein genauso ratio-nales Lebewesen ist wie man selbst,egal woher er kommt. Menschen mö-gen ein Demokratiemodell nach west-lichem Prinzip ablehnen und dafür teil-weise auch gute Gründe haben abernur sehr wenige Menschen würden ge-

nerell der Aussage zustimmen, dass sienicht die Möglichkeit verdienen sich anihrem politischen System zu beteiligen.

Für diese Aussage gibt es nicht vielerationale Pro-Argumente welche nichtgleichzeitig die Person selbst herabwürdigen. Gehen wir mit offenemGeist und möglichst wenig kulturellenVorurteilen in die Gespräche mit ande-ren, ob nun Deutsche mit anderer Er-ziehung oder Ausländern, glaube ich,dass wir deutlich mehr erfahren kön-nen als wenn wir nur die Fragen stel-len, welche wir im Reiseführer gelesenhaben.

Simon Beneke (22)ist IGEL-Redakteurund Mitglied der GJHannover.

Anzeige

K U L T U R E L L E F R E I H E I T E NT

ITE

L

Energiesparen, Effizienz, Erneuerbare. Die drei E´s stehenheute nicht mehr nur für das Credo von Ökologen. Grüne Ener-giepolitik ist gleichzeitig Klimaschutz, Friedens- und Wirt-schaftspolitik. Der Klimawandel verschärft globale Sicherheits-risiken. Naturkatastrophen, Klimaflüchtlinge, Ressourcenkon-flikte, ökonomische Schäden, Verbreitung von Massenvernich-tungswaffen – all dies wird sich bei unterlassenem Klimaschutzin den nächsten Jahrzehnten dramatisieren.Grüne sind die Entdecker dieser Zusammenhänge, die sichheute weltweit durchsetzen, von Stern Review über das Nobel-preiskomittee bis hin sogar zum Weissen Haus. Wir werdenaber immer diejenigen bleiben, die am konsequentesten nachdiesen Einsichten handeln. Dafür gibt es in der Bevölkerungauch Mehrheiten, nicht aber bei der Großen Koalition. Merkelbetreibt nur Klimaschutzdarstellung, ohne real zu liefern. Ver-fehlten schon die Meseberg-Beschlüsse der Großen Koalitiondas Ziel, bis 2020 40 % der Treibhausgase zu vermindern, soschmolzen diese Vorsätze in der Umsetzung wie Gletscher imHochsommer.Die Bundesregierung wird mit den bisher geplanten Maßnah-men ihre eigenen Klimaschutzziele meilenweit verfehlen. ImVerkehrsbereich soll nun nicht einmal mehr das erreicht wer-den, was die Automobilindustrie der damaligen Umweltmini-sterin Merkel versprochen hat. Statt 120g CO2 pro km nun 130,statt 2012 nun 2015, statt Strafzahlungen Ausnahmeklauseln fürgroße Autos. Merkel wird zur Autokanzlerin. Eine entschlosse-ne ökologische Rahmensetzung wird nur mit den Grünen gelin-gen. Darum geht es in den kommenden Landtagswahlen und inder Bundestagswahl 2009. Klimaschutz sofort!

Jürgen Trittin, MdB030 / 2 [email protected]

Page 23: HT Igel 53 - gj-nds.de

Statt unattraktiv zu machen, wasunattraktiv gehört, sollte attraktivgemacht werden, was attraktiv ge-hört!J U L I A N E S E I B E R T

Der menschengemachte Klimawan-del wird vor allem global, also auch inEuropa massive soziale Probleme auf-werfen. Zu erwarten sind unter ande-rem ungeheuerliche Flüchtlingsströmeinfolge von Naturkatastrophen undKrieg. Es ist also bei weitem nicht mehrmöglich, ökologische Probleme ohneeine soziale Ebene zu betrachten. Viel-leicht ist der Klimawandel genau des-halb auch das in den Medien dominie-rende ökologische Thema. Sogar derBundeskanzlerin ist es ein großes An-liegen, sich als Klimaschützerin zu prä-sentieren.

Angesichts der massiven Probleme,die der Klimawandel in den nächstenJahrzehnten verursachen wird, ist es al-so an der Zeit, drastische Mittel zu er-greifen, die Schäden zu minimieren. Esist absolut notwendig, bei diesen Maß-nahmen immer auch die soziale Ebenemitzudenken.

Eine relativ unstrittige Regulierungs-

maßnahme war zum Beispiel die Öko-steuer, im Zuge derer die Benzinpreisedurch Steuern erheblich angehobenwurden. Zwar wurde der Parteitags-beschluss der Grünen, der Liter Benzinsolle 5 DM kosten, bis heute nicht er-reicht, aber die Folgen sind trotzdemerheblich. Der Benzinverbrauch inDeutschland ist zwar – wie sollte esauch anders sein –gesunken, allerdingsging das auch auf Kosten der Lebens-haltung bestimmter Bevölkerungs-gruppen: zum Beispiel Menschen, dieauf dem Land leben, haben oft kaumMöglichkeiten, andere Fortbewe-gungsmittel als Autos zu nutzen. DassMenschen vom Land wegziehen, nurweil das Benzin teurer wird, ist kaumzu erwarten. Durch die Ökosteuer istganz klar eine wirtschaftliche Last fürMenschen mit bestimmten Lebensent-würfen geschaffen worden. Besser istdies durch die nun eingeführten Um-weltplaketten bestimmt nicht gewor-den: Menschen, die alte Autos fuhrenund auf diese angewiesen waren, mus-sten zusehen, wie sie sich modernereAutomobile anschafften. Die wenig-sten von ihnen sind die medial überre-präsentierten Oldtimer-Besitzenden,sondern wohl eher Menschen, die sichkein moderneres Auto leisten konnten.

Die Vermutung, dass dadurch mehrLeute auf alternative Fortbewegungs-möglichkeiten umsteigen würden,muss sich erst noch bewahrheiten,aber ich bezweifle, dass dies passierenwird.

In diesen Reformansätzen lässt sichwenig Sozialkompetenz entdecken.Vielleicht sollte anderswo angesetztwerden? Die höchsten zulässigenSchadstoffwerte eines polnischen Neu-wagens sind deutlich niedriger als beideutschen Neuwagen. Aber was solltein einem Staat mit einer so starkenAutomobillobby wie Deutschland auchanderes zu erwarten sein? Steuerungs-instrumente in die Richtung sind alsokaum zu erwarten, wenn auch trotz-dem wünschenswert. Sinnvolle Regulierungsmaßnah-men ergreifen!

Es sollte der gesamte Staat betrach-tet werden, von dem ja eigentlich einganzheitliches Handeln zu erwartensein sollte. Hier nun ein paar attrakti-vere und sozialverträglichere Schritte:

Eine ausgiebige Förderung der Rad-nutzung ist kostengünstig und klima-

TIT

EL

Gratis-ÖPNV hui,Umweltplakette pfui!

Ö K O L O G I S C H E F R E I H E I T

24 Sommer 2008Sommer 2008

Page 24: HT Igel 53 - gj-nds.de

Ö K O L O G I S C H E F R E I H E I T

freundlich. Ein Kilometer, der mit demFahrrad zurückgelegt wird, kostet dieöffentliche Hand circa 1,1 Cent, wo-hingegen ein Autokilometer allein dieKommune bereits das Zehn- bis Zwan-zigfache kostet. Berufspendelnde, diestatt mit dem Auto mit dem Fahrradunterwegs sind, ersparen täglich Ko-sten von 2,50 Euro. Insofern ist es sinn-voll und notwendig, die Fahrradförde-rung in die Verkehrsplanung deutlichmehr miteinzubeziehen. Wenn es er-reicht würde, dass im Durchschnitt proJahr und Person 1000 statt bisher ca.300 Kilometer mit dem Fahrrad zurük-kgelegt würden, könnten 7,5 MillionenTonnen CO2 pro Jahr eingespart wer-den.

Wenn es keine Tierhaltung mehrgäbe, gäbe es auch kein Klimaproblem– kein wunder, wenn in Betracht gezo-gen wird, dass Methan, welches ja

hauptsächlich von Rindern ausgestoßenwird auf den Treibhauseffekt circa 23mal so stark einwirkt, wie das meistge-nannte Treibhausgas Kohlendioxid. Na-türlich wird es wohl kaum je zumStaatsziel erklärt werden, alle solltensich ab sofort nur noch vegan ernähren– jedoch suggeriert ein Blick auf dieInternetseite des Bundesministeriumsfür Ernährung, Landwirtschaft und Ver-braucherschutz, es sei das Ziel der Re-gierung, die Bürger dazu zu bewegen,am besten ausschließlich Tierproduktezu konsumieren. Da ist die Fleischpro-paganda der CMA (Centrale Marke-ting-Gesellschaft der deutschen Agrar-wirtschaft) noch gar nicht miteinbezo-gen. Bei einer derartigen Propaganda-politik braucht es einen nicht zu ver-wundern, dass die deutsche Bevölke-rung eine der Dicksten weltweit ist.

Statt zu hoffen, dass den Autofah-

renden irgendwann auffällt, dass dasaus ihrer Warte ungemütlichere Bahn-fahren eine gute Alternative ist, könn-ten sie auch mit der Nase drauf gesto-ßen werden: wäre der öffentliche Per-sonennahverkehr gratis, müsste nie-mand mehr anstrengende Rechnungenanstellen, was für wen jetzt günstig ist.

In Australien ist vor einiger Zeit dieGlühbirne verboten worden. Es müs-sen jetzt also alle Energiesparlampennutzen, auch hier entfällt nun also Bil-dungsarbeit darüber, dass Energiespar-lampen ein besseres Preis-Leistungs-verhältnis haben. Genauso könnte derStaat auch vorgeben, dass Elektronik-geräte, die neu verkauft werdengrundsätzlich die höchste Energieeffi-zienzklasse haben müssen. Und warumdürfen neue Geräte eigentlich eineStand-by-Funktion haben, wenn, gäbees sie nicht oder würde sie nicht ge-nutzt, zwei große Kraftwerke (wahl-weise Kohle oder Atom) abgeschaltetwerden könnten?Ganzheitliche Steuerungselemen-te schaffen!

Wenn der Staat will, dass die Men-schen bestimmte Produkte kaufen undandere nicht, so ist das System, demdie Ökosteuer folgt, eines, dass be-stimmte Dinge unattraktiv macht – lo-gischer wäre es doch, die Dinge attrak-tiv zu machen, die konsumiert werdensollen. Eine Strategie dabei wäre –wenn schon unbedingt steuerliche Re-gelungselemente genutzt werden sol-len – bestimme Produkte zwar be-wusst zu verteuern, andere erwünsch-te Produkte (regenerative Energien,öffentlicher Personenverkehr, regiona-le Bio-Lebensmittel etc.) aber im glei-chen Zuge stark zu subventionieren.

Juliane Seibert (19)aus Hannover ist Vor-sitzende des Landes-schiedsgerichts derGJN und arbeitet

derzeit bei JANUN.

TIT

EL

25DERDER IGEL 53IGEL 53

Page 25: HT Igel 53 - gj-nds.de

Müssen sich Grüne in der neuenParteienlandschaft auf jede Far-benkonstellation einlassen? Oderist Schwarz-Grün ein politischesund moralisches Tabu? Was istwichtiger: Macht oder Inhalt? C H R I S T I A N H I N R I C H S .

Manche Gespräche gehen menschnicht aus dem Kopf. „Wenn ihr mit derCDU zusammengeht, habe ich euchdas letzte mal gewählt“, diesen Satzbekam ich während des Straßenwahl-kampfes in Hamburg wenige Tage vorden Hamburger Bürgerschaftswahlenhäufiger zu hören. Damals antworteteich diesen Leuten stets aus Überzeu-gung: „Das kann ich mir nicht vorstel-len“.

Das Unvorstellbare wurde danndoch wahr und die Republik diskutierteplötzlich über neue Regierungskonstel-lationen und die durch die Linke verän-derte Parteienlandschaft. Wie sollmensch nun die erste schwarz-grüneLandesregierung in diesem Land be-werten?

Bei keiner anderen Koalitionsdebat-te gibt es soviel Emotionen und Ideolo-gie. Für die einen ist es reine Strategiedurch neue Bündnisse an Regierungenzu kommen und für die anderen noch

immer eine Grundsatzfrage. Dochzeigt sich an dieser Debatte auch dieveränderte Lage der deutschen Partei-enlandschaft. Die alten herkömmlichenLagerbündnisse haben keine Mehrhei-ten mehr und nun taktieren die Strate-gInnen in den Parteizentralen neueMachtoptionen aus. Deshalb ist es zukurzsichtig sich allein auf Hamburgoder schwarz-grün zu beschränken.

Hamburg: „Unter grünem Lackdoch nur ein Pfeffersack?“

Doch bleiben wir erstmal in Ham-burg. Insbesondere das gebrocheneWahlversprechen die Elbvertiefung zuverhindern, hat für die Grünen imniedersächsischen Umland Hamburgsgroße Auswirkungen gehabt. VieleGrüne sind in den Bündnissen und Initi-ativen der ElbvertiefungsgegnerInnenaktiv und mussten sich nun für die Ent-scheidung aus Hamburg rechtfertigen.So fragte der NABU die GAL nach Ab-schluss der Koalitionsvertrages in An-spielung auf den Hamburger Hafen:„Unter grünem Lack doch nur ein Pfef-fersack?“

Auf vielen Ebenen wurde diskutiert:Wie grün ist der Koalitionsvertrag? Ha-ben Grüne ihre Inhalte aufgegeben? Ichhabe mir eher die Frage gestellt: Wa-

rum ist es so schwer für eine Parteiehrlich zuzugeben, dass bei Verhand-lungen nicht alles erreicht wurde undmensch Kröten schlucken musste?Stattdessen hörte mensch immer nur,wie grün der Vertrag doch sei. KeinWort jedoch von den Schattenseiten.Diese Ehrlichkeit hätten die WählerIn-nen und insbesondere die wahlkämp-fende Basis verdient. Immerhin war esdie Basis, die auf der Straße den Men-schen mit Slogans, wie „Keine Kohlevon Beust“ unbewusst die Leute ver-arschten und dabei gleich mit verarschtwurden. Abgesehen von den zum Teilziemlich faulen Kompromissen in eini-gen Politikbereichen gibt es sicherlichauch einige Erfolge. Allerdings kann esnicht das Ziel der Debatte sein kleinka-riert einen Koalitionsvertrag Seite fürSeite durchzuarbeiten und die zum Teilregional sehr unterschiedlichen Rah-menbedingungen miteinander abzu-gleichen. Jedoch wurde es unterlassenin der Partei einen Dialog über die Fra-ge zu führen, wann und unter welchenBedingungen wir in Bündnisse (egal mitwem) einsteigen wollen.

Wir hier unten – die da oben?Fördern diese Koalitionsdebatten

nun die Politik- oder Parteienverdros-senheit? Immerhin vertrauen die Men-

TIT

EL

Schwarz, Rot, Gelb und Grün –Mehr als nur Farben?

K O A L I T I O N E N

26 Sommer 2008Sommer 2008

Page 26: HT Igel 53 - gj-nds.de

K O A L I T I O N E N

schen den Parteien von Umfrage zuUmfrage jedes mal ein Stückchen we-niger und die allgemeine Verdrossen-heit zeigt sich auch in der stetig abneh-menden Wahlbeteiligung. Das Gefühlvon „Wir hier unten – die da oben“ istweit verbreitet. Der Trend ist klar.Dennoch wird nichts getan. Vielmehrwerden Alibi-Veranstaltungen aufgezo-gen, die zum Ziel haben den Menschenein Gefühl von Partizipation an politi-schen Entscheidungsprozessen zu ge-ben. Von den Jugendparlamenten überStadtteilforen bis hin zu den Agenda 21– Gruppen. Die Leute erarbeiten Kon-zepte und Ideen, wie sie ihre eigeneLebensumwelt gestalten wollen undhäufig genug werden eben diese Ideenvon der „großen Politik“ auf allen Ebe-nen missachtet oder abgelehnt. Dabeiwären diese Beteiligungsgremien eineechte Chance die Partizipation derMenschen zu verwirklichen – dafürmüsste man jedoch diese Gremienauch ernst nehmen.

Leider wird die Beteiligung vonMenschen am politischen Prozess vonden Herrschenden weniger als Chancesondern mehr als Bedrohung empfun-den. Solange diese Parteiendemokratieso unnahbar für die Menschen bleibt,werden sich die Menschen zunehmendaußerparlamentarischen Gruppen zu-wenden oder es gleich sein lassen mitdem Engagement. Die Parteien leidenschon heute unter Mitgliederschwund.

Angst vor zu viel DemokratieWas in anderen Staaten längst Nor-

malität ist, wird von den PolitikerInnenhierzulande als „Schwäche“ abqualifi-ziert. Viele Staaten werden von soge-nannten Minderheitenregierungen re-giert, die sich jeweils bei jedem neuenThema neue Mehrheiten im Parlamentsuchen müssen. Statt mit satten Mehr-heiten durchzuregieren, geht es darumin der politischen Auseinandersetzungdie besten Ideen mehrheitsfähig zu ma-chen. Dabei werden Entscheidungenvon mehreren Seiten beleuchtet und

auch die Opposition hat hier echte Ge-staltungsmöglichkeiten. Ein Ausdruckwahrer Demokratie. Doch leider stehtdie deutsche Politik solchen Modellennoch ablehnend gegenüber. Dabeiwerden wir uns in Zukunft häufiger insolchen Situationen wiederfinden.Hessen ist hier nur ein Beispiel.

Die ersten Beschlüsse der rot-rot-grünen (Mehrheits-?)Opposition gegendie nur noch geschäftsführende CDU-Landesregierung unter Roland Kochwurden bereits gefasst. Es kann alsofunktionieren.

Was bleibt für uns zu tun?Ein abschließendes Fazit mit präzi-

sen Handlungempfehlungen kann andieser Stelle niemand erwarten. Den-noch müssen wir im Hinblick auf diekommenden Wahlen und insbesonde-re der Bundestagswahl 2009 schauen,wie sich die Grünen positionieren.Ebenfalls müssen wir von Grünenmehr Ehrlichkeit bei Koalitionsaussa-gen einfordern. Die Standfestigkeit der

eigenen Partei ist ein wichtiger Beitraggegen die Politikverdrossenheit derMenschen in diesem Land.

Nicht zuletzt deswegen sollten unsGespräche mit den Leuten auf derStraße, wie das eine in Hamburg, in Er-innerung bleiben.

Christian Hinrichs (20)ist für die Grünenkommunalpolitisch imKreis Stade aktiv und

ist Riesenfan von WillyBrandt und seiner „Mehr Demo-kratie wagen“ - Politik.

TIT

EL

27DERDER IGEL 53IGEL 53

Vor und nach der Wahl: Was sind Versprechungen noch wert?

Page 27: HT Igel 53 - gj-nds.de

Sie wurde neugierig, trat näher undfand eine kleine Öffnung durch die siehindurchschlüpfte.

Sie blickte sich um. Überall sah sieseltsame Wesen auf dem Boden krie-chen, die anscheinend von dem in derMitte stehenden Aufseher zu dieser er-niedrigenden Körperhaltung gezwun-gen wurden.

Sie empfand Ekel, drehte sichschnell wieder um, um den Ausgang zufinden. Verwirrt blieb sie vor der nocheben existierenden Öffnung stehenund bemerkte, dass es keinen Ausgangmehr gab und sie wohl bald entdecktwerden würde.

In ihrer Panik versuchte sie einStück Mauer zu lockern, da wurde ihrGenick schon von einer schwerenHand gepackt. Zögernd wendete sieihren Kopf zur Seite und blickte in sei-ne hässliche Fratze.

Es war nun also zu spät. Hatte sieeben noch Abschaum und Mitleid mitden gebrochenen Figuren empfunden,hatte sie jetzt nur noch Angst um sichselbst. Bevor sie sich wehren konnte,gab ihr der Mann einen kräftigen Schlagauf den Rücken. Sie fiel zu Boden. Alssie sich aufrichten wollte, wurde sie an-gebrüllt; er drohte ihre Zunge rauszu-schneiden und befahl ihr kriechend imKreis zu laufen. Unsicher blickte sie umsich, erwartete eine Erklärung der an-deren Gebückten. Doch die nickten ihrnur auffordernd zu, es ihnen gleich zutun. Sie sammelte ihre letzten Kräfteund streckte ihren Körper auf, entge-gen den anderen.

Dem Aufseher schrie sie lauthals indie Fresse und erntete dafür Schläge.

Zu ihrem Entsetzen erkannte sie in

diesem Moment, dass die Kriechtierewohl vorher auch Menschen gewesensein müssten. Da fühlte sie eine im-mense Kraft in sich aufsteigen, die siezu einem erneuten Kampf aufmunter-te, dann verschwand diese und sie fiel

erschöpft auf den dreckigen Boden.Auf dem Gesicht des Aufsehers breite-te sich ein fettes Grinsen aus und dieKriechenden zwinkerten ihr verhei-ßungsvoll zu. Für einen kurzen Mo-ment genoss sie die Anerkennung, bissie, beim Anblick der Masse, Angst be-kam, auch so zu werden. Ihr war klar,dass sie versuchen müsste auszubre-chen. In einem unachtsamen Momentdes Wächters richtete sie sich wiedervollends auf und rammte mit ihrerWaffe der Wut und Entschlossenheitgegen die Mauer. Wider Erwartensinteressierte dieses den Aufseher garnicht. Wieso hatte sich also niemandder anderen getraut auszubrechen?

Sehr bald hatte sie es geschafft, dieMauer zu zerstören. Sie stand nundort, erlangte ihre Freiheit und Würdezurück, sonnte sich im Triumph.

Das Erlebte war grausam, dieKriechtiere eine Warnung, aber sie wa-ren immer auf alles vorbereitet gewe-sen und auf der sicheren Seite, wennsie taten, was ihnen gesagt. .

Welchen Weg sollte sie nun gehen?Den Weg nach Hause fand sie nichtmehr und niemand flüsterte ihr dierichtige Lösung zu.

Gwen (18), hat einJahr Arbeit für lau hin-ter sich und geht jetztwieder in Hannover

zur Schule .

TH

EM

A Die Entdeckung der KriechtiereG E S C H I C H T E

28 Sommer 2008Sommer 2008

Page 28: HT Igel 53 - gj-nds.de

Z U I G E L N R . 5 2 , S . 8

Paarbildung auf Zeit; SerielleMonogamie

Schon lange hat die gesellschaftlicheKonvention ihre Stimmigkeit mit derrealen Lebensgestaltung in Sachen „ro-mantische Paarbeziehungen“ verloren.In einem solchen Fall bedarf es einesDiskurses, der in beide Richtungenwirkt – die faktische Lebensführungmahnt und die Konvention neu formu-liert. Annelen präsentiert uns eine For-mel, die genau das zu leisten im Standescheint!

Es ist, wie immer wenn etwas end-lich formuliert wurde, als würde sichvor einem ein verzwicktes Thema ent-blättern und doch durchschaubar wer-den: „Menschen sind seriell monogam“– zumindest im 21. Jahrhundert. ImNebensatz liegt allerdings auch der kri-tische Punkt der Argumentation. Lei-der braucht mensch immer irgend eineArt von wissenschaftlicher Evidenz umein Thema befriedigend behandelt zuhaben. All zu gerne wird sich da beiden Naturwissenschaften bedient undes kommt dann eine scheinbar unum-stößlich bewiesene Natürlichkeit alsErgebnis der Argumentation heraus.Aber wenn Menschen natürlicherWeise seriell monogam sind, warumgibt es dann Paare, die ein Leben langzusammen bleiben? Machen diese sichselbst in ihrer Konformität krank? Dasder Mensch in ihrer/seiner Körperlich-keit auch biologisch bestimmt ist, istfraglos richtig, aber dass sie/er durchihre/seine Organik determiniert wäreist ungefähr so plausibel wie den freienWillen zu leugnen, weil mensch dieneuronale Vernetzung des Gehirnsverstanden hat.

Wir treffen Entscheidungen undzwar in einem gesellschaftlichen Kon-text. Die Freiheit in der Moderne er-möglicht es uns mit diesen Entschei-

dungen ehrlich umzugehen und in je-der Situation unabhängig von sozialenoder selbstauferlegten Zwängen die„Felder des Möglichen“ (Sartre) neuauszuloten. In jedem Moment die Wahlzu haben, verwirklicht diese Freiheiterst – zu behaupten, die Entscheidungsei biologisch vorherbestimmt nimmtsie uns wieder. Paare trennen sichnicht, weil die Hormone aufgehört ha-ben zu brodeln, auch wenn dieser Um-stand diese Entwicklung vielleicht be-günstigt. Aber die Entscheidung treffensie selbst. Weil die Lebenswege ausein-ander gehen (z.B. jemand wegzieht)oder weil mensch sich einfach selbstund damit auch ihre/seine Einstellungbzw. die eigene Haltung ihrem/seinemGegenüber oder gegenüber Beziehun-gen allgemein geändert hat. Die eigent-lich interessante Frage ist also nicht,wann welche Hormone weswegenausgeschüttet werden oder nicht, son-dern wie das Konstrukt Beziehung an-gelegt ist und welche gesellschaftlichenBedingungen welche Art der Ausge-staltung ermöglichen oder auch verhin-dern. Das ist so wesentlich, weil dieAusgestaltung zwischenmenschlicherBeziehungen ein (wenn nicht das)grundlegende(s) Element der Gesell-schaftsstruktur und der Form des sozi-alen Zusammenlebens ist. Das ernst zunehmen, sich Gedanken darüber zumachen und den sozialen Umgang be-wusst zu gestalten prägt auch denMenschen zum gesellschaftlichen Sub-jekt, eben nicht nur als immer schonsoziales sondern auch immer schon ge-sellschaftliches Wesen – statt ein biolo-gistisches Menschenbild vorauszusetz-ten und dann eine gesellschaftlicheKonvention dazu zu erfinden.

Hier wird auch die Bedeutung desim Artikel entwickelten Begriffs in die

andere Richtung deutlicher, die leiderin der biologistischen Argumentations-kette fast untergeht: „Monogamiekommt weder den realen Bedürfnis-sen, noch den begrenzten Fähigkeitender Menschen in puncto Beziehungs-führung nach. Doch Polygamie auchnicht.“ In der biologistischen Vorge-hensweise wirkt die Argumentationcontra Polygamie schwerfällig. Siefunktioniert nicht, weil sie die Verläss-lichkeit für die Kinderaufzucht nichtgarantiert? In der modernen Gesell-schaft treten ein Drittel aller Erzie-hungsberechtigten als Alleinerziehendeund eine Unmenge an kinderlosen undtrotzdem (seriell) monogamen Bezie-hungen den Gegenbeweis an. Polyga-mie funktioniert nicht, weil sich der im-mer schon gesellschaftliche Mensch einBild von der Beziehung machen muss,für oder gegen die sie/er sich entschei-det. Die Entwicklung eines solchen Bil-des findet in der Polygamie einenGrenzwert des Gestaltbaren, weil zueiner Beziehung rein logisch (minde-stens) zwei Menschen gehören und dieForm der Beziehung daher von vorneherein sozial konstruiert, d.h. auf bei-den Seiten annehmbar ausgehandelt,sein muss. Polygamie bedürfte einerviel stärkeren gesellschaftlichen Kon-vention und damit einem radikalerenZwang auf die/den EinzelneN, als dasfreie Einvernehmen über eine Bezie-hung zwischen den Beteiligten. Mehrnoch: Polygamie ist schlicht kein Bezie-hungsmodell, sondern reines indivi-duelles Netzwerkhandeln.Moritz Keppler (25) ist aktiv beider Grünen Jugend Göttingen.

LE

SE

RB

RIE

F

29DERDER IGEL 53IGEL 53

Page 29: HT Igel 53 - gj-nds.de

Ende April fand in Bremen derevangelikale Jugendkongress Chri-stival mit 16.000 TeilnehmerInnenstatt. S A R A D A H N K E N

Die Idee viele junge ChristInnen da-zu zu bewegen nach Bremen zu kom-men, um zusammen an Seminaren teil-zunehmen und zu feiern, ist begrü-ßenswert. Jedoch wurde dieses Vorha-ben durch evangelikale, intolerante An-sichten überschattet.

Diskriminierende Meinungen, wiez.B. Homosexualität sei heilbar und so-mit eine Krankheit, sowie Abtreibungsei Mord, sollten den Jugendlichen alsGottes Wort und „einzige Wahrheit“ inSeminaren vermittelt werden. DieDeutung der Bibel bleibt jedem/rselbst überlassen solange die Grenzeder Meinungsfreiheit nicht überschrit-ten wird. Wenn jedoch die Würde desMenschen angegriffen wird, verhältman sich menschenrechts- und somitverfassungswidrig. Dies darf nicht kri-tiklos geduldet werden.

Auf Pressedruck hin wurden Semi-nare abgesagt- eine Problemlösung istdies jedoch nicht! Die VeranstalterIn-nen der betroffenen Seminare, als auchder Christival e.V., haben sich nicht vonden Äußerungen distanziert und ankeinen öffentlichen Diskussionsrun-den, wie z.B. der von der Grünen Ju-gend Bremen organisierten Podiums-diskussion „Frei denken, handeln, lie-ben“, teilgenommen. Stattdessen wur-de KritikerInnen mit Klagen gedroht.Doch als diese sich nicht einschüchternließen, wurden die Verfahren zurük-kgezogen.

Die Eingefahrenheit und Gefährlich-keit evangelikaler Ansichten wurdendurch Olaf Latzel (Pastor der Martini

Gemeinde Bremen) während der ge-nannten Podiumsdiskussion deutlich.

Die von Volker Beck (MdB) und An-negret Siebe (Pro Familia) eingebrach-ten Kritikpunkte nahm Herr Latzeldurch seine Art von Interpretation derBibel und fanatische Glaubensüberzeu-gung nicht an. Er beharrte weiterhinauf der Sündhaftigkeit von Homosexu-alität und Abtreibung.

Somit wurden die Grenzen derKommunikation mit FundamentalistIn-nen für uns sehr deutlich. Sie lassensich nicht durch vernünftige Argumen-te und tolerante Ansichten von „ihrerWahrheit“ abbringen. Dieser Fana-tismus führt weltweit zu religiös ba-sierten Auseinandersetzungen und istäußerst gefährlich. Wenn wir uns globaldafür einsetzen, dass Menschenrechteanstatt Religionsbücher die Grundlagejeder Verfassung werden, dann müssenwir auch lokal dafür Sorgen, dass dieseErrungenschaft uns nicht verlorengeht.

Die Kritiker des Christivals, u.a. ProFamilia, Bündnis90 /Die Grünen (be-sonders auf Bundesebene Volker Beck(MdB) und lokal Klaus Möhle (MdBB)),das Bündnis Freiheit für Vielfalt, dieGrüne Jugend Bremen und viele mehr,konnten durch ihre Aktionen keineFundamentalistInnen bekehren, jedochjungen ChristInnen klar machen, dassihr Glauben nicht intolerant sein darfund sie kritisch und keinesfalls leicht-gläubig den PastorInnen gegenüberstehen sollten. Sara Dahnken (22) macht gerade

ein Praktikum bei denGrünen und will dieSituation von Schwu-len und Lesben inBremen verbessern.

Christival ist ein mehrtägiger Ju-gend-Kongress, der seit 1976 fünfmalin Deutschland stattgefunden hat. Dasfünfte Christival wurde Ende April2008 in Bremen unter dem Motto Je-sus bewegt durchgeführt. Eingeladenhatte die Evangelische Allianz Bremen.Träger des Christival ist der gemein-nützige Verein Christival e.V., der zurDeutschen Evangelischen Allianz ge-hört und dem 122 Mitglieder aus denevangelischen Landeskirchen, aus Frei-kirchen sowie aus verschiedenenchristlichen Hilfswerken und Verbän-den angehören.

Finanziert wird das Christival vonden Mitgliedern des Christival e.V., vonZuschüssen des Staates und von kirch-lichen Organisationen sowie weiterenSpendern. Christival e.V. hat das Spen-densiegel der Evangelischen Allianz. Zuden Firmensponsoren des Christivalgehören u.a. die Friedhelm Loh Group,Heinrich Deichmann-Schuhe und Nis-san Deutschland Schirmherrin desChristival 2008 war Ursula von derLeyen, Bundesministerin für Familie,Senioren, Frauen und Jugend, die auchden Vorsitz des Kuratoriums inne hat-te. Sie wollte dadurch die christlicheKinder- und Jugendarbeit anerkennenund erwartete vom Christival 2008ähnliche Impulse für nachhaltige christ-liche Kinder- und Jugendarbeit wie vonfrüheren Christivals.

Zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung,die Schirmherrschaft zu übernehmen,waren ihr die Inhalte der einzelnen Se-minare noch nicht im Detail bekannt.Später intervenierte sie in einzelnenFällen diesbezüglich. Das Familienmini-sterium unterstützte das Christival mit250.000 Euro; das waren 8 % der Ge-samtkosten.

Weitere Infos: www.christival.de Quelle: http://de.wikipedia.org/wi-

ki/Christival

TH

EM

A Dialog mit FundamentalistInnen?C H R I S T I V A L 2 0 0 8

30 Sommer 2008Sommer 2008

Page 30: HT Igel 53 - gj-nds.de

B E R I C H T V O M L A N D E S V O R S T A N DIN

TE

RN

31DERDER IGEL 53IGEL 53

Drei Monate ist es her, dass derneue Landesvorstand (Lavo) ge-wählt wurde und viel ist geplant,passiert, soll sich verändern underneuern.

So versuchen wir im Verband durchpersönliche Gesprächen und Orts-gruppenbesuche über mögliche neuePartizipationsmöglichkeiten auf Lan-desebene zu reden und bestehendevorzustellen. Zudem sorgen vieleOrtsgruppengründungs- und -reakti-vierungstreffen derzeit für mehr Sta-cheln in Niedersachsen. Mitgliedergewinnung und struk-turelle Unterstützung stehen anerster Stelle

In der Unterstützung und Vernet-zung der Ortsgruppen sowie demTransportieren von GJN-Interessen,Positionen und Aktivitäten nach außensehen wir unsere Hauptaufgabe. Des-halb hoffen wir auch, dass bestehendeAngebote des Landesverbandes nochviel mehr von allen Mitgliedern genutztwerden: Schreibt Berichte über EureOrtsgruppen und Aktionen an [email protected], so dass unsere Home-page bunter wird und die GJN auchwirklich so darstellt, wie sie ist – näm-lich aktiv. Beteiligt Euch an den Landes-arbeitskreisen (LAKs) und nutzt unsereE-Mailadresse ([email protected]) alsKontaktadresse. Schickt uns Fragen,Anregungen, fordert Unterstützungan, ladet uns in Eure Ortsgruppe ein –sei es für einen thematischen Input, fürUnterstützung bei Problemen mit denAltgrünen, wenn Ihr ein lokales Ereig-nis Niedersachsen weit bekannt ma-chen wollt und auch falls Ihr Fragen jeg-licher Art zum Landesverband habt.

Um mehr Mitglieder zu gewinnenhat die GJN vom Lavo der 'Altgrünen'das Angebot bekommen, sich in Formeiner „GRÜNEN JUGEND/Grüne Zei-ten“ allen Mitgliedern der Grünen inNiedersachsen vorzustellen. DieseChance haben wir gleich wahrgenom-men und freuen uns sehr, dass sich vie-le Mitglieder spontan an der Gestaltungdieser Zeitung beteiligten. Das Ergeb-nis könnt Ihr Euch unter www.gruene-niedersachsen.de ansehen. Zudem sollein monatlicher GJN-Ticker allenniedersächsischen Mitglieder über dieAktionen und Veranstaltungen in denOrtsgruppen und auf Landesebene in-formieren.Weg mit Kohledreck, Bildungs-lücken und Einfältigkeit

Aber auch inhaltlich wollen wir los-legen. So planen diverse Landesar-beitskreise (LAK) ein Reaktivierungs-treffen und werden Euch über dieses

auf unserer Mailingliste [gjn-info] infor-mieren. Ein Neugründungstreffen desLAK Bildung wurde bereits für den 11.und 12. Juli angekündigt. Anmeldungenrichtet bitte an [email protected]. Zudem wollen wir das geplan-te Klima-Camp in Wilhelmshaven

unterstützen und somit gegen den Bauvon Kohlekraftwerken demonstrieren.Hier wird auch angedacht darüber hin-aus aktiv zu sein und sich mit weiterenBürgerInneninitiativen (BI) zu vernet-zen.

Vom 29.-31.August findet unserenächste Landesmitgliederversammlung(LMV) zum Thema „Kulturpolitik“statt. Besonders freuen wir uns überdie rege Teilnahme von gut 70 Mitglie-dern an der Themenabstimmung. InEmden werden wir uns aktiv für kultu-relle Vielfalt, stärkere Förderung vonJugend- und Soziokultur und eine de-mokratisch, pluralistische freie Kulturfür Alle einsetzen.Ihr seid die GJN! - Mehr Basisbe-teiligung ist, was wir wollen

Die regen Diskussionen und auchdie vielen Rufe nach mehr Basisbeteili-gung in unserem Verband zeigen, wieaktiv die GJN ist und werden will. Des-halb wird es auf der nächsten LMV einVerfahren zur Abstimmung des näch-sten LMV-Themas geben und auch denLeitantrag wollen wir mit allen Mitglie-dern gemeinsam schreiben. Wir hoffenauf spannende Diskussionen im Vorfeldder LMV und einen tollen Leitantrag.

In diesem Sinne wünschen wir unsviel Feedback an [email protected],viele Infos in unserem GJN-Ticker undüber [gjn-info], rege Diskussionen auf[gjn-debatte] und ein baldiges Wieder-sehen.

Stachelige Grüße,Euer LaVo: Annelen, Birte, Christina,Clemens, Julia, Kevin, Pat und Sven

Was macht eigentlichder Landesvorstand?

Page 31: HT Igel 53 - gj-nds.de

INT

ER

NB E R I C H T A U S D E N B A S I S G R U P P E N

32 Sommer 2008Sommer 2008

BasisgruppentickerWie in jeder Ausgabe präsentiert euch der IGEL an dieser Stellejung-grüne Aktivitäten vor Ort. Wenn ihr euren Ort nicht findet,dann werdet selber aktiv und gründet eigene eigene GJ-Basisgruppe.Ihr seid aktiv und trotzdem nicht im IGEL? Dann sagt uns Bescheid!

Wir, die Grüne Jugend Hannover, ha-ben uns in den ersten paar Wochendiesen Jahres das Schwerpunktthe-ma Medien ausgesucht, um uns in-haltlich, in Form von Atktuellen Hal-ben Stunden und Diskussionen, da-mit auseinander zu setzen. In regionalen Medien, wie der Han-növerschen Neuen Presse oder Ra-dio Flora, waren wir in letzter Zeitöfter vertreten, weil wir ihr Interes-se mit einigen Aktionen auf uns lenk-ten. Unter anderem protestiertenwir gegen das Pharma-UnternehmenBoehringer, das mit Schweinen inMassentierhaltung Impfstoffe ent-wickelt und kamen damit auf die Ti-telseite. Außerdem solidarisiertenwir uns mit den Punks in unsererInnenstadt, um die es zurzeit vielStreit gibt, indem wir uns superschnieke angezogen, klassische Mu-sik hörend und Rotwein trinkendvor eben die Läden setzten die sichin ihren absurden Vetreibungsforde-rungen besonders hervorgetan hat-ten.Uns forderte kein Geschäftsinha-ber zum gehen auf.Für den 12.07. planen wir einenNacht-Info-Stand in der Innenstadt.Kontakt:[email protected]

www.gj-hannover.de

Hannover

In Peine sind wir mit ein paarLeuten gerade dabei, die Grüne Ju-gend wieder aufzubauen. Dem-nächst haben wir einen Workshopmit den großen Grünen, um ein paarSachen zu klären, danach wird's dannrichtig losgehen.Wir haben jetzt schon mehr Leutezusammen, als wir 2006 waren, be-vor nach und nach alle irgendwohingezogen waren. Wir hoffen, schonbald ein paar Aktionen starten zukönnen, jedenfalls haben wir schoneinige Ideen.

Kontakt: [email protected]

Peine

Vor kurzem gründete sich inBraunschweig die GJ-Ortsgruppeneu. Sie setzt sich nun mit Bildungs-politik auseinander und plant einenBeschwerdebriefmit krasser Kritikund eindeutigen Forderungen zuschreiben und inBraunschweigsSchulen Unterschriften für diesen zusammeln. Hinterherschicken wir denBrief mit Unterschriften dann an dasKultusministerium o.ähnl. (Wir sindaber noch nicht bei der konkretenPlanung sondern noch beiminhalt-lichen Teil)

Kontakt: www.gj-bs.de

Braun-schweig

Die GJ Göttingen wächst undwächst. Mit den vielen neuen Ge-sichtern, die wir in den letzten Wo-chen bei uns begrüßen durften, sindwir inzwischen zu einer Gruppe ausdeutlich über 10 AktivistInnen ange-wachsenBewährt hat sich in Göttingen dieZusammenarbeit in Bündnisform. Soist die GJ Teil des überparteilichen„Energiebündnisses“, welches sichzum Ziel gemacht hat, die Macht dergroßen Stromkonzerne zu zerschla-gen.Dafür beteiligten wir uns u.a. an Ak-tionen und ließen PassantInnen aufdem Marktplatz vor der Kulisse einesaufblasbaren Atomkraftwerkes Fra-gen zu erneuerbaren Energien be-antworten und verteilten leckereAtomkraftwerke zum Aufessen.Vordem Bundeskongress beschäftigtenwir uns mit den vorliegenden Anträ-gen und brachten uns durch Ände-rungsvorschläge und Anträge ein.In den nächsten Wochen wird nachall den Aktionen unser Schwerpunktwieder auf thematischem Arbeitenund Diskutieren liegen. Außerdemwerden wir auf Podiumsdiskussionendes Stadtjugendrings an GöttingerSchulen Positionen beziehen undStacheln zeigen.

Kontakt: www.gj-goettingen.de

Göttingen

Page 32: HT Igel 53 - gj-nds.de

B E R I C H T E A U S D E N B A S I S G R U P P E NIN

TE

RN

33DERDER IGEL 53IGEL 53

Die Grüne Jugend Gifhorn ist einbunter Haufen von gut einem dut-zend Jugendlicher, die sich hier inGifhorn politisch und sozial engagie-ren wollen.So haben wir zum Beispiel im Rah-men der Waldwoche einen Baum inder Innenstadt gepflanzt und die um-liegenden Wälder erkundet, durcheine Flyer-Aktion vor Lidl die Kun-den auf die miserablen Arbeitsbedin-gungen, die beim Discounter undseinen Zulieferern herrschen, auf-merksam gemacht und versucht, dieInnenstadt durch das Säen von Lupi-nen und Gelbsenf zu verschönern. Wir setzen uns außerdem für denBau einer Disko direkt in Gifhornein, um den gefährlichen Nachhaus-eweg zu verkürzen, und sind auf De-mos in Gifhorn (für ein freies Tibet),Braunschweig (gegen den Überwa-chungswahn) und Hamburg (am 1.Mai) präsent.In naher Zukunft planen wir zumBeispiel ein vegetarisches Grillen füralle parteilichen Jugendorganisatio-nen vor Ort und eine Aktion in derInnenstadt gegen die zunehmendeÜberwachung durch den Staat.Wenn du Lust hast, mal reinzuschau-en: Wir treffen uns jeden Dienstagum 18 Uhr im Grünen Laden in Gif-horn.

Kontakt: www.gj-gifhorn.de.

Seit unserer Gründung vor einemJahr hat sich bei uns einiges getan:Wir sind mittlerweile 12 Leute, di-skutieren und streiten fleißig bei un-seren wöchentlichen Treffen undveranstalten viele Aktionen.Dazu gehört eine Müllsammelaktionbei MC Donald's, Informationsaben-de über Rechtsextremismus undDrogenpolitik, gemeinsames Fah-nenschwingen auf Demos, die Orga-nisation einer Demo gegen Atom-kraft bei uns vor Ort und vielesmehr.Im Moment sind wir dabei mal wie-der einen Infoabend über Rechtsex-tremismus und einen über Drogen-politik zu organisieren, eine weitereDemo gegen Atomkraft mit einembreiten Bündnis von Anti AKW Geg-nerInnen vor Ort, ein Konzert gegenRassismus, eine Antinazidemo ste-hen an. Außerdem wollen wir ge-meinsam mit der GJ Verden auf Ka-nutour gehen, sind Station auf derGJN Fahrradtour im Sommer undwerden unsere Stadt durch GuerillaGardening demnächst ein bisschengrüner gestalten.Schaut doch mal auf unserer Home-page vorbei www.gj-rotenburg.de.tloder trefft euch mit uns am Dienstagvon 17-19Uhr. Bis bald, eure GJ Ro-tenburg!

Kontakjt: www.gj-rotenburg.de.tl

GifhornRotenburg

Nachdem sich die Grüne JugendNienburg neu konstituiert hat sindnun 8 Jugendliche zwischen 11 und18 Jahren dabei. Für den August planen wir unterdem Motto “Fußball verbindet,Rechtsaußen bleibt draußen” einantirassistisches Fußballturnier.Wenn eine Basisgruppe Lust hat, mit-zuspielen kann sie sich bei uns gernemelden!Kontakt: [email protected]

melden.

Nienburg

Unsere Ortsgruppe Holzminden trifft sich jetzt regelmäßig jeden Dienstag um18 Uhr im Haus der Jugend (am Haarmannplatz) in Holzminden.

Holz-minden

Im Moment stecken wir Mitten inden Vorbereitungen zum Klimaak-tionscamp „Dein Zelt für’s Klima“ imJuli in Wilhelmshaven. Hier soll näm-lich der drittgrößte Standort für Koh-lekraftwerke weltweit entstehen.Campen, Diskussion, Smart-Mob,Demo, Aktionen, Musik und vielesmehr erwarten Euch. Der genaueTermin wird noch bekannt gegeben.Weitere Infos gibt’s auf unserer Ho-mepage www.gj-oldenburg.de. Dasnächste Vernetzungstreffen findetam Samstag, den 14. Juni in Olden-burg statt. Also kommt alle vorbeiund campt mit!Außerdem machenwir natürlich weiterhin Aktionen inOldenburg z.B. gegen Rechts, gegenAtom oder für mehr Datenschutz.Wir treffen uns jeden Dienstag um19 Uhr im Büro der Grünen.Kontakt: www.gj-oldenburg.de

Oldenburg

Page 33: HT Igel 53 - gj-nds.de

INT

ER

NA D R E S S E N & T E R M I N E

34 Sommer 2008Sommer 2008

LandesgeschäftsstelleOdeonstraße 430159 HannoverFon: (05 11) 126 085 77Fax: (05 11) 126 085 70E-Mail: [email protected]: http://www.gj-nds.deBankverb.: Bank für SozialwirtschaftKonto: 84 31 500, BLZ: 251 205 10Geschäftsführung:Dima KonsewitchE-Mail: [email protected] Willie Hamburg (Sprecherin)[email protected]öttingenSven-Christian Kindler (Sprecher)[email protected] Hennig (Schatzmeisterin)[email protected]öttingen Kevin Sanft (Polit. Geschäftsführer)[email protected] Drenske (Hannover)[email protected] Meyer (Göttingen)[email protected] König (Verden)[email protected] Schwanhold (Wolfenbüttel)[email protected]

IGEL-RedaktionGwendolyn Buttersack (Hannover)[email protected] Blumtritt (Hannover)[email protected] Hilbrich (Braunschweig)[email protected] König (Wolfenbüttel)[email protected] Beneke (Hannover)[email protected][email protected] Buttmann (Hannover)[email protected] Seibert (Vorstitzende)[email protected] [email protected] [email protected] im LandtagHelge [email protected] / HannoverMitglied im BundesvorstandJan Philipp Albrecht (Sprecher)[email protected]

Wichtige Termine die bald anste-hen:GRÜNE JUGEND11-12.07.08 Gründungstreffen desLandesarbeitskreises (LAK) Bildung ab 17 Uhr in der LGS in Hannover25-27.07.08 Klima-Aktionscamp inWilhelmshavenwww.klima-aktionscamp.de 26.07-2.08.08 Fahrradtour der GjnVorraussichtliche Route:26.7. Emden27.7. Norden28.7. Wilhelmshaven29.7. Bremerhaven30.7. Stade31.7. Rotenburg01.8. Nienburg02.08 Hannover02-03.08.08 Lavoklauser zur LMVVorbereitung15-24.08.08 Klima- und AntiRa Campin Hamburg29-31.08.08 Landesmitgliederver-sammlung (LMV) in Emden zum The-ma Kulturpolitik

Weitere Informationen und Kontakt-adressen, auch von GRÜNE JUGEND-Gruppen in Eurer Nähe, bekommt Ihrin der Landesgeschäftsstelle oder imInternet: www.gj-nds.de (Niedersachsen)www.gruene-jugend.de (Bundesverb.)

Hier habt Ihr E-Mail-Adressen und Telefon-nummern von AnsprechpartnerInnen derGRÜNEN JUGEND Niedersachsen (GJN):

Service machenwir mit links!

Page 34: HT Igel 53 - gj-nds.de

E I N L A D U N G E N & I M P R E S S U M

IMP

RE

SS

UM

35DERDER IGEL 53IGEL 53

ImpressumHerausgeberinGRÜNE JUGEND NiedersachsenOdeonstraße 430159 Hannover Fon: (0511) 126 085 77Fax: (0511) 126 085 70E-Mail: [email protected]: www.gj-nds.deBank für SozialwirtschaftKonto: 84 31 500BLZ: 251 205 10

RedaktionBirte König, Gwendolyn Buttersack,Marcus Blumtritt, Ole Hilbrich, JudithKönig, Vera Buttmann, Simon DavidBenekeMitarbeitJuliane Seibert, Jan Philipp Albrecht,Dagmar Hölscher, Britta Veltzke, Va-nessa Hoffmann, Steffen Bach, Chri-stoph Müller, Sven Kindler, ClaudiaBeckmann, Sarah Benke, AnnelenMeyer, Christian Hinrichs, MoritzKeppler, Sara Dahnken, Dima Konse-witch

Von Frauen geschriebene Artikel:58%LayoutJan Philipp Albrecht Simon David BenekeDruckAkzent Druck Hannover, gGmbHAuflage: 800 StückAnmerkungNamentlich gekennzeichnete Artikel,besonders in den Meinungsseiten, ge-ben nicht unbedingt die Meinung derRedaktion wieder.

Hinweise zur Teilnahme an Seminaren Meldet euch möglichst bald in der Landesgeschäftsstelle für die Veranstaltungen an! Die Teilnahmegebühr wird 10 Euro be-tragen und auf der Veranstaltung eingesammelt. Bahnkosten werden bis zu 50% des Normaltarifs (BahnCard 50 Preis) er-stattet, Gruppentickets & ÖPNV ganz. Benzinkosten nur auf begründeten Antrag! Kostenanträge werden verteilt.Ideen für Seminare und Kongress werden immer gerne vom Landesvorstand entgegen genommen!

Vom 26. Juli bis zum 2. August 08 findet wieder die Radtour der Grünen Jugend Niedersachsen statt.Ihr erinnert euch sicher noch an die letzte: Eine kleiner Zusammenschluss von coolen Leuten fuhr mit dem Fahrrad durchganz Niedersachsen.Dort haben die FahradfahrerInnen bei Straßenaktionen mitgemacht und vor allem die Menschen kennengelernt und so dieGJN vernetzt.Das hat damals allen Beteiligten sehr viel Spaß gemacht.Diese gehen davon aus, das die Tour dieses Jahr genauso geil wird, weswegen sie euch dringlichst raten mitzukommen! Anmeldungen bitte an: Gwen Christina Hennig oder Pat:

[email protected]; [email protected] [email protected]

Spritlos, politisch, vernetzend - Die Fahrradtour 08

Fahrradtour 07