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Humor in der Antike Übersetzt und herausgegeben von Karl-Wilhelm Weeber Reclam

Humor in der Antike - Reclam Verlag · Humor: Das ist ein Stichwort, nach dem man in den meis-ten Antike-Lexika vergeblich sucht. Wo der Begriff fehlt, wird auch die Sache, wenn überhaupt

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Humor in der Antike

Übersetzt und herausgegebenvon Karl-Wilhelm Weeber

Reclam

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RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK Nr. 195292006, 2018 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG,

Siemensstraße 32, 71254 DitzingenUmschlaggestaltung: Stefan Schmid DesignUmschlagabbildung: Graffito aus Pompeji

Druck und Bindung: Canon Deutschland Business Services GmbH,Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Printed in Germany 2018RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und

RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Markender Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-019529-1

www.reclam.de

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

I. Kleine Anekdoten über große Leute . . . . . . 7

II. Volkes Stimme in Wandkritzeleien undInschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34Graffiti – die Wand als Klagemauer der Gehässig-keit 35 · Wehe dem Grabschänder! 40 · Ratschläge,Lebensmaximen und Tipps aus dem Jenseits 41

III. Die Witzsammlung des Philogelos . . . . . . . 45

IV. Bissiges, Böses, Obszönes – Glanzstücke antikerEpigrammatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53Martial – der Voyeur im Amt des Sittenwächters 53 ·Aus griechischen Spottepigrammen 67

V. Das Gastmahl des Trimalchio – Ein Schelmen-roman als Sittengemälde . . . . . . . . . . . . . 74

VI. Kabinettstückchen antiken Humors . . . . . . 92Homer: Ehekrach auf dem Olymp 92 · Aristophanes:Im Klammergriff liebestoller Greisinnen 96 ·Theophrast: Das Lächeln der Selbsterkenntnis 101 ·Herondas: Prügelpädagogik auf Elternwunsch 103 ·Plautus: Die Aufarbeitung eines unfreiwilligenEhebruchs 108 · Horaz: Nervtöter auf der HeiligenStraße 113 · Ovid: Eine himmlische Affäre 117 ·Seneca: Philosophie in der Badeanstalt 119 · Juvenal:»Tausend Gefahren der grimmigen Stadt …« 120 ·Lukian: Die böseste Zunge des Altertums 123 ·Apuleius: Beamten-Autorität als Bärendienst 127

Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

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Vorwort

Humor: Das ist ein Stichwort, nach dem man in den meis-ten Antike-Lexika vergeblich sucht. Wo der Begriff fehlt,wird auch die Sache, wenn überhaupt vorhanden, dann je-denfalls eher schwach ausgeprägt und aus zweitausendjäh-riger Distanz nur schlecht fassbar sein – so könnte manaus dem enttäuschenden lexikalischen Befund schlussfol-gern. Ein falscher Eindruck, der indes eine Menge überdas immer noch vorherrschende Antike-Bild verrät: Ineine idealistische Stilisierung des Altertums mit ihrer Nei-gung, besonders die hehren, die »klassischen« Züge zu be-tonen, fügt sich etwas Profan-Alltägliches wie Humornicht recht ein.

Die vorliegende Anthologie will auf unterhaltsame Wei-se versuchen, dieses klassizistische Fehlurteil ein wenig zurevidieren, indem sie die heitere, fröhliche Seite unsereskultur- und geistesgeschichtlichen Erbes aus dem Alter-tum beleuchtet und vornehmlich literarische Texte präsen-tiert, die die Einbettung des Humorvollen in die Lebens-wirklichkeit des antiken Menschen veranschaulichen.

Denn natürlich sind Witz und Spott, Heiterkeit und La-chen aus der griechisch-römischen Zivilisation und ihrerliterarischen Produktion nicht wegzudenken. Wenn La-teinschüler nur mit den »gestrengen« Schriften eines Cice-ro, Caesar und Seneca, wenn Adepten des Griechischennur mit Sophokles, Platon und Thukydides konfrontiertwerden, wird ihnen ein Großteil der antiken Literaturvorenthalten. Es stünde einem urbanen Humanismus gutan, den Humor als genuinen Ausdruck spezifisch mensch-licher Gefühlswelt und Lebensbewältigung deutlich stär-ker zu berücksichtigen, um nicht zu sagen: ihn ernster zunehmen.

Immerhin sind es ja die Griechen gewesen, die die Ko-mödie als ausgelassenes, heiteres Pendant zur ernsten Tra-

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6 Vorwort

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gödie »erfunden« und – jedenfalls in Athen – als Teil nichtnur des Unterhaltungswesens, sondern zunächst auch desKultes gepflegt haben. Der zotig-aggressive Humor derAlten Komödie als besondere Artikulation von Gottes-Dienst – das schien den Griechen eine durchaus angemes-sene Hommage an ein Mitglied ihrer Göttergemeinschaft,die schon bei Homer durch ihr sprichwörtliches »unaus-löschliches Lachen« sympathisch-anthropomorphe Zügeträgt.

Oder die Römer: Sie fanden bei aller vermeintlichenGriesgrämigkeit und würdevollen Gestelztheit, die ihnendas Klischee als »Volkscharakter« andichten will, durch-aus Zeit, ein literarisches Genus aus der Taufe zu hebenund zu schönster Vollkommenheit zu hegen, das seitdemals Inbegriff einer humorvollen Gattung gilt: die Satire.Und auch das Spottepigramm war eine literarische Kreati-on des Altertums – wobei durchaus zweifelhaft ist, ob esin seinen besten, prägnantesten Ausformungen bei Martialspäter von einem der zahlreichen »Schüler« mit andererMuttersprache jemals übertroffen worden ist.

Mit dem Thema »Humor in der Antike« könnte maneine Vielzahl von Büchern füllen. Die Beschränkung aufden vorgegebenen Rahmen dieses Bandes machte eineAuswahl nötig, die in ihrer unvermeidbaren Subjektivitätnicht jeden Leser überzeugen wird. Der Herausgeberkann nur hoffen, dass er – in eigener Übersetzung und un-ter eigenen Überschriften – zumindest ein möglichst anre-gendes Humor-Potpourri zusammengestellt hat, das Lustmacht, tiefer und breiter in das Œuvre mancher der hiervorgestellten Autoren einzudringen. Im Übrigen bleibtnur noch ein dem Thema in besonderer Weise angemesse-ner Wunsch zu äußern: Gute Unterhaltung!

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I

Kleine Anekdoten über große Leute

»Anekdote« – das ist etwas, das, ginge es nur nach etymo-logischen Gesichtspunkten, gar nicht bekannt sein dürfte.Denn ein anekdoton ist nichts anderes als etwas »nichtHerausgegebenes«, »Unveröffentlichtes«. Erstmals als lite-rarischen Sammelbegriff verwendet hat ihn der byzantini-sche Geschichtsschreiber Prokop von Kaisareia (6. Jahr-hundert). Anekdota betitelte er eine Sammlung üblenHofklatsches und polemisch-herabsetzender Histörchenüber Kaiser Justinian und seine Frau Theodora, die er ausseinen »offiziellen« Historien wohlweislich herausgelassenhatte. Der Versuchung, die weniger glänzenden Splitterder Geschichte, die sich im Laufe seiner Recherchen gewis-sermaßen als Abfallprodukte des Bedeutenden und Seriö-sen angesammelt hatten, vor einer daran durchaus interes-sierten Leserschaft genüsslich auszubreiten, hat Prokopnicht widerstanden – daher die Herausgabe der noch »un-veröffentlichten« Geheimgeschichte.

Später erst erhielt der Anekdoten-Begriff die Bedeu-tung, die wir heute mit ihm verbinden. Was indes nichtheißt, dass dem Altertum die Sache an sich fremd gewesenwäre. Das Gegenteil ist der Fall. Allerdings verwendeteman eine Reihe anderer Begriffe dafür. Der wichtigste,dem Anekdoten-Begriff am nächsten stehende ist das»Apophthegma«.

»Ausspruch, witziges Wort, treffende Antwort« oderauch – seltener – für eine Person »charakteristische Hand-lung« sind Übersetzungen, die das Spektrum des Apo-phthegma-Begriffes erkennen lassen. Die klassische Formdes Apophthegmas ist: »Auf die Frage des X antworteteY«. Diese Basis kann erweitert oder modifiziert werden,indem eine kurze Situationsbeschreibung hinzutritt oderjemand auf eine bestimmte Lage reagiert. Ein beliebtes

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»Strickmuster« stellt die Provokation einer Persönlichkeitdurch eine unangenehme Frage oder schwierige Situationdar. So in die Enge getrieben, gelingt es ihr dann mit Hilfeeiner verbalen Pointe, die Lage zu meistern, ja sich aus derDefensive zu befreien und bisweilen sogar den Spieß um-zudrehen: Da steht dann auf einmal der Fragesteller alsder Bloßgestellte da.

Ursprünglich wurde das Apophthegma mündlich über-liefert. Man erzählte einander solche heiteren Prominen-ten-Bonmots; beim abendlichen Symposion fiel dem einendieser, dem anderen jener Ausspruch einer bekannten Per-sönlichkeit ein; oder ein Politiker würzte seine Rede miteinem überlieferten oder persönlich gehörten Witzwort ei-ner anerkannten Autorität, das dann auch eine argumen-tative Funktion bekommen konnte. Im Laufe der Zeit gin-gen Schriftsteller daran, das in großer Fülle tradierteAnekdoten-Material zu sammeln, zu ordnen und zu un-terhaltsamen Anthologien zusammenzustellen.

Das antike Publikum brachte dieser »kleinen« Literatur-gattung offenbar recht großes Interesse entgegen. Das hängtgewiss auch mit dem Geschichtsverständnis des Altertumszusammen, das sich stark an Persönlichkeiten orientierte.Wenn man der Auffassung war, dass im Wesentlichen Perso-nen Geschichte »machten«, dann war es sehr verführerisch,sozusagen die Quintessenz eines historischen Ereignissesoder einer geschichtlichen Entwicklung am Wesen und Ver-halten dessen festzumachen, der dafür die Verantwortungtrug. So konnte sich im Idealfall Geschichte in einem einzi-gen Apophthegma zusammenballen: Es charakterisierte sei-nen Protagonisten auf engstem Raum mit wenigen Wortenund hellte zugleich Motivationen und Hintergründe seinesHandelns auf. Umso besser, wenn sich diese »Aufklärungs-arbeit« mit vergnüglicher Lektüre verbinden ließ!

Im Zusammenhang mit dieser Neigung zur Personali-sierung von Geschichte stand vor allem bei den Römernein stark ausgeprägtes Denken in Beispielen, Vorbildern

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und Präzedenzfällen. Wo das exemplum ein solches Ge-wicht hatte, war es gut, sich im öffentlichen Leben mit ein-schlägiger »Munition« auszurüsten. Das Zitieren einesbrillanten Apophthegma, der Hinweis auf die ironisch-pointierte »Lösung« eines Sachverhalts durch eine be-rühmte Gestalt der römischen Geschichte hatte unter Um-ständen größere Überzeugungskraft als die langatmige,detaillierte Diskussion einer Sache. Und was die Philoso-phie angeht: Gab es eine einprägsamere, komprimiertereIllustration typischer Einstellungen und Verhaltensweisenführender Philosophen als die in Anekdoten-Form gegosse-ne »Kurzfassung« ihrer Lehren?

Natürlich dienten Anekdoten auch dazu, das Unterhal-tungs- und Klatschbedürfnis der Leser zu befriedigen – sovor allem, wenn sie dem Umkreis eines Königs- oder Kai-serhofes entstammten. In manch einem Apophthegma ka-nalisierte sich darüber hinaus politischer Unmut; das Witz-wort wurde zur Waffe der sonst Ohnmächtigen gegenüberTyrannen und Autokraten: Gegen seine guerillaartige,nicht fassbare Macht und Dynamik vermochten Fesselnund Gefängnisse nichts auszurichten. Schließlich derAspekt des Exemplarischen, Allgemein-Menschlichen: So-wenig sich der Großteil der Anekdoten von der Persön-lichkeit ihrer Hauptfigur lösen lässt, so gab es doch auchden anderen Typus, bei dem die scheinbar im Zentrum ste-hende Person im Grunde fast auswechselbar war – jeneSorte anekdotischer Erzählungen und Aussprüche, die ge-wissermaßen das zeitlos Allzumenschliche am Beispiel ei-nes konkreten »Opfers« spöttisch auf den Punkt bringen.

Stolz auf einen Seitensprung

Alexander der Große schrieb einmal an seine Mutter undbenutzte dabei folgende Anredeformel: »König Alexander,Sohn des Zeus Ammon, grüßt seine Mutter Olympias.«

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Worauf ihm Olympias, die Großspurigkeit ihres Sohnesmilde tadelnd, zurückschrieb: »Tu mir den Gefallen, meinlieber Sohn, und schweige! Verrate mich bitte nicht derHera, denn sie wird sich furchtbar an mir rächen, wenn duin deinen Briefen zugibst, dass ich die Geliebte ihres Man-nes war.«

Gellius, Noctes Atticae 13,4

Rettung durch Geistesgegenwart

Auf seinem Persienfeldzug war Alexander der Große imBegriff, den Befehl zur Zerstörung der Stadt Lampsakoszu geben, als sein Lehrer Anaximenes auf ihn zutrat.Lampsakos war die Heimatstadt des Anaximenes, undAlexander war sicher, dass der Gelehrte ihn um Schonungder Stadt bitten werde. Deshalb rief er ihm schon vonweitem zu: »Ich schwöre dir, dass ich deiner Bitte nichtnachgeben werde!« Worauf Anaximenes blitzschnell›schaltete‹ und entgegnete: »Ich bitte dich, Lampsakos zuzerstören« – eine Geistesgegenwart, die die Stadt vor derVernichtung bewahrte.

Valerius Maximus, Facta et dicta memorabilia 7,3, ext. 4

Schlagfertigkeit spart Geld

Die kynischen Philosophen hielten sich viel auf ihre Be-dürfnislosigkeit zugute. Das Wenige, das sie zum Lebens-unterhalt benötigten, erbettelten sie. Einst trat der Kyni-ker Thrasyllos zum makedonischen König Antigonos undbat ihn um eine Drachme. »Das ist kein Geschenk, das ei-nem König entspricht«, lehnte Antigonos ab. »Dann gibmir eben ein Talent«, erwiderte Thrasyllos. »Tut mirLeid«, erhielt er zur Antwort, »aber das ist kein Ge-schenk, das einem Kyniker entspricht!«

Plutarch, Moralia 182 E

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Fieber auf zwei Beinen

König Antiochos erfuhr, sein Sohn Demetrios fühle sichnicht wohl; er habe sich deshalb zurückgezogen. Der Kö-nig machte sich Sorgen und entschloss sich, den Krankenzu besuchen. Als er sich seiner Haustür näherte, kam ge-rade ein hübscher Lustknabe heraus. Antiochos ging insHaus, trat ans Bett seines Sohnes und fühlte seinen Puls.»Das Fieber hat mich gerade verlassen«, stotterte Deme-trios verlegen. »Ich weiß schon, mein Sohn«, erwiderteder König lächelnd, »es ist mir gerade vor der Tür begeg-net.«

Plutarch, Demetrios 19

Warum aufs Paradies warten?

Als Antisthenes in die Orphischen Mysterien eingeführtwurde, die ihren Anhängern im Unterschied zur Staatsre-ligion ein Weiterleben nach dem Tode versprachen, stellteihm der Priester mit überschwänglichen Worten die An-nehmlichkeiten und Wonnen vor Augen, die ihn in derUnterwelt erwarteten. »Und warum stirbst du dannnicht?«, erwiderte der Philosoph mit skeptischer Ironie.

Diogenes Laertios, Leben und Meinungen berühmter Philosophen6,2

Geht auch Weisheit nach Brot?

Auf die polemische Frage des Tyrannen Dionys, wie er essich erkläre, dass Philosophen in die Häuser der Reichengingen, nicht aber Reiche in die Häuser von Philosophen,antwortete Aristipp schlagfertig: »Weil die einen wissen,was sie brauchen, und die anderen nicht!«

Ebd.

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Was ist wahrhaft kaiserlich?

Die Vergnügungs- und Verschwendungssucht seinerTochter Julia kritisierte nicht nur ihr Vater Augustus.Auch andere nahmen daran Anstoß. Einer der Kritikersagte ihr das frei heraus und empfahl ihr, sich an der Bie-derkeit ihres Vaters ein Beispiel zu nehmen. Julia konterteselbstbewusst: »Er vergisst, dass er Kaiser ist; ich dagegendenke daran, dass ich die Tochter des Kaisers bin.«

Macrobius, Saturnalia 2,5,8

Das Schwein des Herodes

Der berüchtigte Kindermord-Befehl des Herodes, demauch ein Sohn des jüdischen Königs zum Opfer gefallensein soll, veranlasste Augustus zu der sarkastischen Be-merkung: »Es ist besser, das Schwein des Herodes zu seinals sein Sohn.«

Ebd. 2,4,11

Das Gegenteil klingt besser

Als sich ein wegen unmoralischen Lebenswandels aus derArmee geworfener junger Mann flehend an Augustuswandte und ihn fragte, wie er diese schimpfliche Entlas-sung seinem Vater beibringen solle, gab ihm Augustus denRat: »Sag ihm doch einfach, ich hätte dir nicht gepasst!«

Ebd. 2,4,6

Held oder Feigling – eine Kopfbewegung entscheidet

Ein Soldat trug auf einem Kriegszug eine mächtige Stirn-wunde davon; er war von einer Steinschleuder getroffen

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worden. Stolz auf seine Narbe weisend, wurde er nichtmüde, sich seines Heldenmutes zu rühmen. Die Penetranzdes Eigenlobs störte Augustus. Er ließ ihn zu sich kom-men und fragte ihn spitz: »Bist du eigentlich sicher, dassdu dich nie umschaust, wenn du die Flucht ergreifst?«

Ebd. 2,4,7

Durchsichtige Gerüchteküche

Als er wieder einmal in einem finanziellen Engpass steck-te, wandte sich der Dichter Pacuvius Taurus mit der Bitteum ein Geldgeschenk an Augustus. Um seinem Antraggrößeren Nachdruck zu verleihen, setzt er hinzu: »Es gehtauch schon überall das Gerücht, du habest mir eine nichtunbeträchtliche Summe geschenkt.« Augustus zeigte sichunbeeindruckt und gab ihm den Rat: »Glaub’ du dasnicht, Pacuvius!«

Ebd. 2,4,4

Peinliche Fehlinterpretation

Gesandte der spanischen Stadt Tarragona kamen zu Au-gustus und meldeten ihm stolz: »Stell dir vor, welchesVorzeichen sich bei uns ereignet hat: Auf deinem Altar istein Palmbäumchen aufgesprosst!« Worauf sie der Kaisermit seinem Kommentar ziemlich ernüchterte: »Daransieht man eigentlich nur, wie oft ihr ihn anzündet!«

Quintilian, Institutio oratoria 6,3,77

Tod im Schwamm

Augustus hatte sich auch einmal als Dichter versucht. Erverfasste eine Tragödie über den griechischen Helden Aiax,

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der sich der Sage nach umbrachte, indem er sich in seinSchwert stürzte. Schon bald aber erkannte der Kaiser, dasssein literarischer Abstecher wenig geglückt war. Er zog dieKonsequenzen und vernichtete sein Drama, indem er dasauf die Schreibtafeln Geschriebene löschte. Einige Zeit spä-ter begegnete ihm der Tragödiendichter L. Varius und er-kundigte sich: »Wie geht’s denn deinem Aiax?« – »Er hatsich in den Schwamm gestürzt«, erwiderte Augustus.

Macrobius, Saturnalia 2,4,2

Gedächtnis als gefährlicher Mitwisser

Der in augusteischer Zeit lebende Redner Cassius Severusgalt als ebenso scharfzüngiger wie rhetorisch brillanter, lei-denschaftlicher Hasser von Unfreiheit und Tyrannei. Dasbrachte ihm manche Schwierigkeit mit den Beratern desAugustus ein, die darin eine zumindest indirekte Majes-tätsbeleidigung witterten. Als die Schriften seines geistes-verwandten Freundes T. Labienus gemäß Senatsbeschlussverbrannt wurden, nahm Cassius trotz des einschüchtern-den Klimas kein Blatt vor den Mund: »Nun müsst ihr auchmich noch bei lebendigem Leib verbrennen«, kommentier-te er den Kultur-Vandalismus der Senatoren, »denn ichkenne die Schriften des Labienus auswendig.«

Seneca d. Ä., Controversiae 10, praef. 8

Augurenlächeln

Auguren und Haruspices waren in Rom wichtige Priester-schaften, denen die Erforschung des göttlichen Willensdurch Deutung von Vorzeichen oblag. Die einen beobach-teten Vogelflug und Himmelszeichen, die anderen inter-pretierten die Eingeweide von Opfertieren. In der spätenRepublik wurde mit diesen mantischen »Künsten« auch

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viel Schindluder getrieben, nicht selten aus politischenGründen. Schon der Alte Cato hatte freilich seine Skepsisgegenüber manchen Praktiken der Weissagungs-»Profis«kundgetan: Er wundere sich, pflegte er zu sagen, dass einHaruspex nicht lachen müsse, wenn er einem Kollegen be-gegne …

Cicero, De divinatione 2,51

Bestattungssorgen habt ihr!

Als im Senat heftig darüber gestritten wurde, ob man esden lange Zeit in Rom internierten Geiseln des Achäi-schen Bundes erlauben solle, in ihre griechische Heimatzurückzukehren, stand Cato auf und setzte den ihm eige-nen sarkastischen Akzent: »Als ob wir nichts anderes zutun hätten, sitzen wir den ganzen Tag hier herum undstreiten darüber, ob ein paar griechische Tattergreise bes-ser von unseren Leichenträgern oder von denen in Achaiabeerdigt werden sollten!«

Plutarch, Cato maior 9

Mein Mitleid hast du!

In antiken Prozessen war es üblich, dass Verteidiger in ih-ren Plädoyers auch kräftig »auf die Tränendrüse drück-ten«, um bei den Geschworenen Mitleid mit ihren Man-danten zu bewirken. Als ein schlechter Anwalt einmal seinAbschlussplädoyer vorgetragen und sich wieder gesetzthatte, flüsterte er dem Catulus erwartungsvoll zu: »Na,was meinst du: Habe ich wohl Mitleid erregt?« – »Großessogar«, erwiderte Catulus, »denn ich kann mir niemandenvorstellen, der so hartherzig wäre, dass er deine Redenicht als bemitleidenswert empfunden hätte.«

Cicero, De oratore 2,278

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Beunruhigender Perspektivwechsel

Der im späten 5. Jahrhundert v. Chr. lebende Diagorasvon Melos galt als geradezu hartgesottener Atheist. EinesTages wies ihn ein Freund auf Votivtafeln geretteterSchiffbrüchiger hin und fragte ihn: »Wie kannst du ange-sichts dieser Indizien daran zweifeln, dass es Götter gibt,die diese Menschen aus höchster Seenot wohlbehalten inden Hafen zurückgebracht haben?« – Diagoras nahm inseiner Erwiderung nur einen Perspektivwechsel vor: »Wasist mit denen«, fragte er seinen Kritiker, »die hier auf kei-nen Weihgaben abgebildet sind, weil sie Schiffbruch erlit-ten haben und im Meer ertrunken sind?«

Cicero, De natura deorum 4,89

Alle Achtung, wie der Wein das schafft!

Alter Falernerwein galt als Spitzenerzeugnis der italischenWinzer. Er war natürlich nicht billig, und manch einerscheute die Ausgaben für diesen köstlichen Rebensaft. Soauch ein gewisser Damasippus, der freilich seine Knaus-rigkeit nicht gern eingestehen wollte. Gewissermaßen alsVorwärtsverteidigung forderte er deshalb seine Gäste beieinem Gelage auf: »Lasst euch diesen Falerner gut mun-den, Freunde! Er ist 40 Jahre alt!« Worauf Cicero bissigerwiderte: »Kommt aber mit seinem Alter prächtig zu-recht!«

Macrobius, Saturnalia 2,3,2

Damen haben kein Alter

Etwas eleganter nahm Cicero die Koketterie seiner Be-kannten Fabia mit ihrem Alter aufs Korn. Als sie einemgemeinsamen Freund erzählte, sie sei 30 Jahre alt, bestätig-

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te Cicero diese Aussage mit den Worten: »Stimmt genau!Denn das höre ich schon seit 20 Jahren von ihr!«

Quintilian, Institutio oratoria 6,3,73

Embryonen auf der Schulbank?

Aus Eitelkeit pflegte sich Vibius Curius als erheblich jün-ger auszugeben, als er tatsächlich war – bis Cicero einmalder Kragen platzte und er ihn öffentlich anfuhr: »Ach, wieinteressant, dann warst du damals ja noch gar nicht aufder Welt, als wir zusammen die Rednerschule besuch-ten?!«

Ebd.

Wasser als anstößiges Getränk

Lucius Cotta war als großer Liebhaber des Weines be-kannt. Als er das »Sittenwächteramt« der Censur ausübte,konnte sich Cicero eine Anspielung auf das Faible destrinkfreudigen Censors nicht verkneifen. Nach einer Redetrank er einmal in der Öffentlichkeit ein Glas Wasser undwandte sich an die Umstehenden mit den Worten: »Ihrhabt schon Recht mit euren Befürchtungen. Es kann mirleicht passieren, dass ich mir eine censorische Rüge ein-handle, weil ich Wasser trinke!«

Plutarch, Cicero 27

Fachmann ohne Kenntnisse

Publius Costa hielt sich für einen bedeutenden Rechtsge-lehrten. Mit dieser Einschätzung stand er jedoch ziemlichallein da, und Cicero nahm in einem Prozess die Gelegen-heit wahr, ihm das spöttisch klarzumachen. Costa war als

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Zeuge geladen, erklärte aber gleich bei seiner Verneh-mung, er wisse nichts. »Keine Angst!«, rief ihm Cicero zu.»Du wirst hier nicht nach juristischen Dingen gefragt.«

Ebd. 26

Kurzbeschreibung eines Ehebrechers

»Was ist das für ein Mensch, der sich in flagranti beimEhebruch ertappen lässt?«, fragte Pontidius in einer Ge-richtsverhandlung. Unter schallendem Gelächter der Zu-schauer beantwortete Cicero die Frage mit einem einzigenWort: »Ein langsamer!«

Cicero, De oratore 2,275

Schwierige Vater-Suche

Metellus Nepos hörte nicht auf, den Aufsteiger Cicero mitder Frage zu »löchern«, wer eigentlich sein Vater sei. End-lich riss Cicero der Geduldsfaden, und er konterte, auf denlockeren Lebenswandel der Mutter des Metellus anspielend:»Was dich angeht, so hat deine Mutter die Beantwortungdieser Frage für dich ausgesprochen schwierig gemacht!«

Plutarch, Moralia 205 A

Keine leeren Versprechungen, bitte!

Crassus konnte in mancher Hinsicht als Inbegriff der rö-mischen Kapitalisten gelten. Er war völlig skrupellos,wenn es darum ging, Profit zu machen. So verdiente ernicht nur am versteigerten Eigentum Geächteter ein Mil-lionenvermögen; er bereicherte sich auch dadurch, dass erdie Notlagen seiner Mitmenschen ausnutzte. Brach ir-gendwo in Rom ein Feuer aus, so schickte Crassus seine

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Privatfeuerwehr gern zum Löschen dahin – vorausgesetzt,der verzweifelte Eigentümer überschrieb ihm flugs seinenImmobilien- und Grundbesitz zu einem Schleuderpreis.Kein Wunder, dass Crassus bei vielen Römern der bestge-hasste Mann war. Darauf spielte Cicero an, als Crassuseinmal in einer vielköpfigen Gesellschaft die Bemerkungmachte, niemand in seiner Familie sei älter als 60 Jahre ge-worden. »Du Schmeichler«, tadelte ihn Cicero daraufhinscheinbar gutmütig, »du weißt ganz genau, was die Römerhören wollen …«.

Plutarch, Cicero 25

Bekenne dich zu Pythagoras – und halte den Mund!

Der Sophist Sidonios war sich sicher: Er stand auf Du undDu mit allen führenden Philosophenschulen. Er kannteihre Grundsätze in- und auswendig – dachte er. In Wirk-lichkeit sprach er nicht einmal ordentliches Griechisch:»Ruft mir Aristoteles ins Lyzeum«, prahlte er, »ich folge.Ruft mir Platon in die Akademie – ich komme! Ruft mirZenon in die Stoa – ich bin schon da! Ruft mir Pythagoras– so schweige ich.« Das war für den Philosophen Demo-nax das Stichwort. Augenblicklich stand er auf und rief:»Pythagoras ruft dir!«

Lukian, Demonax 14

Lebensgefahr bei Vernunft

Der Redner Demosthenes warnte den athenischen Politi-ker und Feldherrn Phokion: »Wenn sie verrückt werden,werden die Athener dich zum Tode verurteilen!« – »Schonrichtig«, erwiderte Phokion, »mich, wenn sie verrücktwerden, dich aber, wenn sie bei Verstand bleiben!«

Plutarch, Moralia 188 A

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Sexuell Anzügliches in witziger Verpackung

Schamlosigkeit war eine »Tugend«, die der PhilosophDiogenes in seinem Kampf für mehr Ursprünglichkeitund gegen zivilisatorische Fesseln auf sein Panier ge-schrieben hatte. Kein Wunder, dass er sie in seinen bissi-gen Bemerkungen auch verbal praktizierte. Als der Sohneiner stadtbekannten Prostituierten einen Stein in eineMenschenmenge warf, ermahnte ihn Diogenes: »Vorsicht!Pass auf, dass du nicht zufällig deinen Vater triffst!« – Alser erfuhr, ein gewisser Didymon sei in flagranti beimEhebruch ertappt worden, kommentierte er das mit ei-nem Wortspiel: »Dann hat er’s nicht besser verdient, alsan seinem Namen aufgehängt zu werden.« didymoi sindauf Griechisch ›die Hoden‹. – Ein anderer Didymon,Arzt von Beruf, galt als berüchtigter Schürzenjäger. Alssich ein Mädchen wegen einer Hornhauttrübung zu ihmin Behandlung begeben wollte, warnte Diogenes an-züglich: »Gib Acht, dass er dir nicht das Häutchen ver-letzt!«

Diogenes Laertios, Leben und Meinungen berühmter Philosophen6,62; 51

Hund und König

Die berühmteste Anekdote, die sich um den kauzigen Ky-niker rankt, bringt sein Ideal der Genügsamkeit, aber zu-gleich seine Respektlosigkeit und Unabhängigkeit gegen-über jedweder Autorität auf den Punkt. Als Alexander derGroße einmal vor den in der Sonne dösenden Diogenestrat und ihm anbot: »Fordere von mir, was du willst«, er-widerte der nur: »Geh mir aus der Sonne!«

Ebd. 6,38

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Voilà Platons Mensch

Als Philosoph der Praxis machte sich Diogenes gern überseine Theorie-Kollegen lustig. Auch Platon blieb vomSpott des »Hundes« nicht verschont. Unter beifälligemNicken seiner Schüler definierte er den Menschen einmalals federloses, zweifüßiges Tier. Worauf Diogenes wenigspäter in die Vorlesung platzte, einen gerupften Hahnhochhielt und ausrief: »Das hier ist also Platons Mensch!«

Ebd. 6,40

Provokation mit dem Salzfisch

Anaximenes, ein bekannter Redner, hielt einen gelehrtenVortrag vor einem stattlichen, offensichtlich interessiertenAuditorium. Plötzlich mischte sich Diogenes unter dieZuhörer und hielt einen Salzfisch hoch. Sofort wandtesich ihm die Aufmerksamkeit aller zu. Anaximenes warwütend und schimpfte auf den Störenfried ein. Der aberbemerkte nur trocken: »Erstaunlich! Ein elender Salzfischfür eine Obole hat genügt, der Disputation des Anaxime-nes ein Ende zu machen!«

Ebd. 6,57

Die kleinen hängt man …

Als Diogenes einmal sah, wie einige hohe Priester einenMann abführten, der eine Schale aus dem Tempelschatzgestohlen hatte, kommentierte er: »Die großen Diebe füh-ren den kleinen ab.«

Ebd. 6,45

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Erster Preis im Treten

Der – stark professionalisierte – Sportbetrieb seiner Zeitwar Diogenes ein Dorn im Auge; er ärgerte sich auch überdie unreflektierte Bewunderung sportlicher Erfolge durchein in seinen Augen unkritisches Publikum. Um das Wett-kampfwesen zu verulken, ließ er sich einmal in Korinthfolgende »Aktion« einfallen. Er sah, wie zwei zusammen-gebundene Pferde heftig miteinander kämpften. Unterdem johlenden Beifall einer Menge von Schaulustigen tra-ten und bissen sie sich, bis einer der Kontrahenten sichlosriss und davontrabte. Hierauf trat Diogenes in Erschei-nung. Er ergriff einen Siegeskranz, legte ihn dem »stand-haften« Pferd auf den Kopf und rief es zum Sieger in denIsthmischen Spielen aus: Es habe den ersten Preis im Tre-ten errungen.

Dion Chrysostomos, Oratio 9,22

Bitte nicht auf den Boden spucken …

Diogenes besuchte einen reichen Mann in dessen prächti-ger Villa. Der Hausherr bat ihn, in seinem luxuriösenHause nicht zu spucken. Diogenes räusperte sich kurzund schleuderte dann seinem Gegenüber eine ganze La-dung Speichel mitten ins Gesicht. »Einen passenderen Orthabe ich hier nicht gefunden«, meinte er.

Diogenes Laertios, Leben und Meinungen berühmter Philosophen6,32

Haltet die Stadt fest!

Als Diogenes im kleinasiatischen Myndos vorbeikam,wunderte er sich über die riesigen Stadttore, die sich diekleine Stadt gebaut hatte. »Bewacht eure Tore gut«, emp-

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fahl er den Bürgern von Myndos, »damit euch eure Stadtnicht irgendwann mal wegläuft!«

Ebd. 6,57

Zivilcourage

Der Tyrann Dionys von Syrakus las einmal Auszüge auseigenen Tragödien vor. Die Tafelrunde klatschte pflicht-schuldigst begeistert Beifall, nur der Dichter Philoxenosrührte keine Hand. »Wie gefallen dir meine Verse?«, fragteDionys ihn deshalb direkt. Er erhielt eine ehrliche Ant-wort: »Überhaupt nicht!« Solcher Freimut erschien demTyrannen denn doch als strafwürdige Majestätsbeleidi-gung. Er verurteilte den Dichter für eine Zeit lang zurSchwerstarbeit in den Steinbrüchen. Einige Monate späterwurde Philoxenos begnadigt. Er wurde sogar wieder zuden Abendgesellschaften im Palast eingeladen. Bei einerdieser Gelegenheiten trug Dionys wieder einmal eigeneDichtungen vor. Philoxenos hörte eine Weile zu, standdann auf und wandte sich der Tür zu. »Wohin gehst du?«,rief Dionys ihm nach. »Zurück in die Steinbrüche«, erhielter zur Antwort.

Stobaios, Anthologium 3,13,31

Ablenkungsstrategie

Dionys der Ältere herrschte über Syrakus mit harterHand. Besonders populär war er nicht. Als man ihn einesTages fragte, warum er ausgerechnet einen charakterlichschlechten Mann, den die gesamte Bürgerschaft hasse, mitGunstbeweisen und Ehren überhäufe, antwortete der Ty-rann lachend: »Weil ich Wert darauf lege, dass jemandnoch verhasster ist als ich!«

Plutarch, Moralia 176 B

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Theorie und Praxis

Als jemand bemerkte, der Dramatiker Euripides sei eingroßer Frauenhasser, sagte Sophokles mit wissendem Lä-cheln: »In seinen Tragödien schon, im Bett aber nicht!«

Athenaios, Deipnosophistai 13,557 E

Kaiserliche Konsequenz

Ein grauhaariger Bürger nahm eine kaiserliche Audienzwahr, um von Hadrian etwas zu erbitten. Er erhielt eineabschlägige Antwort. Daraufhin färbte er sich die Haare,ging erneut zum Kaiser und trug ihm dieselbe Bitte vor.»Tut mir Leid, das habe ich schon deinem Vater abge-schlagen«, beschied ihn Hadrian.

Historia Augusta, Hadrian 20,8

Treuebeweis

Hieron von Syrakus war schon recht alt geworden, bevorihn jemand auf seinen schlechten Mundgeruch hinzuwei-sen wagte. »Warum hast du mir das nie gesagt?«, fuhr erseine Frau an. »Weil ich dachte, alle Männer röchen so«,gab sie zur Antwort.

Plutarch, Moralia 175 B

Adel verpflichtet – nicht immer

Iphikrates war ein tüchtiger athenischer Feldherr. In denAugen der dünkelhaften Jeunesse dorée hatte er nur einenMakel: Er war ein Aufsteiger; sein Vater war »nur« Schus-ter gewesen. Den verletzenden Hinweis auf seine niedrigeGeburt aus dem Munde eines adligen Nichtsnutzes, der

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außer seinen Ahnen nichts Erwähnenswertes vorzuweisenhatte, konterte Iphikrates geschickt: »Meine Familie be-ginnt mit mir; mit dir dagegen endet deine Familie.«

Ebd. 187 B

Kleiner Unterschied, große Wirkung

Lucius Mallius galt als einer der besten Maler Roms. Alseinem Gast die Hässlichkeit der beiden Söhne auffiel, dieihm im Hause des Malers begegneten, sagte er: »Da siehtman doch mal den Unterschied zwischen fingere (erzeu-gen) und pingere (malen), Mallius!« »Kein Wunder«, re-plizierte Mallius schlagfertig, »denn das eine tue ich inhellem Tageslicht, das andere in finsterer Nacht!«

Macrobius, Saturnalia 2,2,10

Retourkutsche eines Abgewiesenen

Der Politiker Scipio Nasica wollte einmal den DichterQuintus Ennius besuchen. Der aber wollte ungestört seinund ließ sich durch eine Sklavin verleugnen. Nasica hattezwar den Eindruck, dass er nur »abgewimmelt« werdensollte, beschwerte sich aber nicht weiter. Ein paar Tagespäter klopfte es an seiner Tür. Draußen stand Ennius.»Bin nicht zu Hause!«, rief Nasica. »Was soll der Un-sinn?!«, entgegnete Ennius. »Ich erkenne doch sogar deineStimme.« Worauf ihn durch die verschlossene Tür ein em-pörter Nasica anfuhr: »Unverschämter Kerl! Als ich neu-lich zu dir wollte, habe ich es einer Sklavin geglaubt, dassdu nicht zu Hause seist. Und du willst es nicht einmal mirselbst glauben?«

Cicero, De oratore 2,276