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Dülligen Kirov Unverricht Hygiene und medizinische Mikrobiologie Lehrbuch für Pflegeberufe 7. Auflage

Hygiene und medizinische Mikrobiologie - ciando.com · Phänomen als Endemie (z. B. Malaria in den Tropen oder nicht zu verdrängende Infektio-nen durch bestimmte Erreger auf manchen

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Dülligen Kirov Unverricht

Hygiene und medizinische MikrobiologieLehrbuch für Pflegeberufe

7. Auflage

DülligenKirovUnverricht

Hygiene und medizinische

Mikrobiologie

7. Auflage

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Hygiene und medizinische

MikrobiologieLehrbuch für Pflegeberufe

Monika DülligenAlexander KirovHartmut Unverricht

7., vollständig überarbeitete Auflage

Koordiniert von Vera Singbeil-Grischkat

Begründet von Rainer Klischies, Karl-Heinz Gierhartz und Ursula Kaiser

Mit 103 Abbildungen und 49 Tabellen

IV

Monika DülligenGemeinnützige Gesellschaft für soziale Dienste – DAA – mbHRoritzerstraße 7, 90419 Nü[email protected]

Dr. med. Alexander KirovHygiene-Institut GelsenkirchenRotthauser Straße 19, 45879 [email protected]

Hartmut UnverrichtKliniken Essen-MitteEvangelische Huyssens-Stiftung/Knappschaft GmbHKrankenhaushygieneHenricistraße 92, 45136 [email protected]

Ihre Meinung zu diesem Werk ist uns wichtig! Wir freuen uns auf Ihr Feedback unter www.schattauer.de/feedback oder direkt über QR-Code.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Besonderer Hinweis:Die Medizin unterliegt einem fortwährenden Entwick-lungsprozess, sodass alle Angaben, insbesondere zu dia-gnostischen und therapeutischen Verfahren, immer nur dem Wissensstand zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches entsprechen können. Hinsichtlich der angege-benen Empfehlungen zur Therapie und der Auswahl sowie Dosierung von Medikamenten wurde die größt-mögliche Sorgfalt beachtet. Gleichwohl werden die Be-nutzer aufgefordert, die Beipackzettel und Fachinforma-tionen der Hersteller zur Kontrolle heranzuziehen und im Zweifelsfall einen Spezialisten zu konsultieren. Frag-liche Unstimmigkeiten sollten bitte im allgemeinen In-teresse dem Verlag mitgeteilt werden. Der Benutzer selbst bleibt verantwortlich für jede diagnostische oder thera-peutische Applikation, Medikation und Dosierung.In diesem Buch sind eingetragene Warenzeichen (ge-schützte Warennamen) nicht immer besonders kenntlich gemacht. Es kann also aus dem Fehlen eines entsprechen-den Hinweises nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.Das Werk mit allen seinen Teilen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Bestimmun-gen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zu-

stimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schrift-liche Genehmigung des Verlages reproduziert werden.

© 1995, 1996, 2001, 2004, 2008, 2013, 2017 by Schattauer GmbH, Hölderlinstr. 3, 70174 Stuttgart, GermanyE-Mail: [email protected]: www.schattauer.dePrinted in Germany

Umschlagabbildungen: Bild links oben: © contrast-werkstatt – Fotolia; Bild links unten: © vz maze – Shutterstock; Bild in der Mitte: © royaltystockphoto – Fotolia; Bild rechts oben: © sirayot111 – Fotolia; Bild rechts unten: © BillionPhotos.com – FotoliaSatz: Achim Theiß, GrünbergDruck und Einband: Mayr Miesbach GmbH, Druck Medien Verlag, Miesbach

Auch als E-Book erhältlich:ISBN 978-3-7945-6966-3

ISBN 978-3-7945-3141-7

V

Liebe Leserinnen und Leser,eine neue Auflage des bewährten Lehrbuches liegt vor! Die 7. Auflage ist die zweite des neuen Autorenteams. An dieser Stelle möchten wir uns ganz herzlich bei Vera Singbeil-Grischkat bedanken, die uns auch dieses Mal noch beglei-tet und mit vielen guten Ideen und Anmerkun-gen unterstützt hat.Die Überarbeitung und Aktualisierung des in-teressanten und komplexen Themenbereichs hat uns wieder viel Freude bereitet. Neu aufgenom-men wurden neben Ebola-, Dengue- und Zika-Virus auch die erweiterte Klassifikation multi-resistenter gramnegativer Erreger (MRGN), ein Exkurs über Antibiotikaresistenz, alle Ände-rungen des IfS-Anpassungsgesetzes ab 1. Mai 2016 sowie ein kleiner Ausflug in die Lebens-mittelhygiene – alles wie gewohnt mit einem hohen Praxisbezug und konkreten Handlungs-anweisungen. Auch diesmal sind wir bei der bisherigen schlüssigen Gliederung geblieben. Auf die medizinische Mikrobiologie folgt die Krankenhaushygiene, die auf viele Einrich-tungen im Gesundheitswesen übertragbar ist; stationäre Alteneinrichtungen und ambulante Dienste werden nochmals gesondert betrachtet.

Die allgemeinen Aspekte der Hygiene finden sich dann in den Abschnitten »Gesundheits-förderung und Prävention«, »Umwelthygiene« sowie »Grundzüge der Ernährungslehre«.Medizinische Mikrobiologie und die unter-schiedlichen Facetten der Hygiene bilden in diesem Buch ein Netzwerk. Für die Leserin und den Leser zeigt sich dies in zahlreichen Quer-verweisen, die die Themenbereiche sinnvoll untereinander verknüpfen. Weiterführende In-formationen zum hier komprimiert angebote-nen Wissen können an vielen Stellen direkt über Links abgerufen werden. Ebenfalls per Link zugängliche Videosequenzen sowie übersicht-liche Grafiken und klinische Abbildungen ver-anschaulichen den dargebotenen Stoff und ma-chen ihn so gut verständlich.Wir wünschen allen unseren Leserinnen und Lesern auch mit dieser Auflage viele erfolgrei-che Lernerlebnisse!

Nürnberg, Gelsenkirchen und Essen, im August 2016 Monika Dülligen Alexander Kirov Hartmut Unverricht

Vorwort

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VII

Teil I Medizinische MikrobiologieAlexander Kirov

1 Wichtige Begriffe aus der medizinischen Mikro biologie . . . . . . . 3

2 Bakterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Viren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764 Pilze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1305 Parasiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1356 Wie wehren wir uns? . . . . . . . . . . . . . . 1497 Abstecher in die Reisemedizin . . . . . . . 1528 Infektionsschutz durch Impfungen . . 1569 Das Infektionsschutzgesetz . . . . . . . . . 169

Teil II Hygiene in Einrichtungen des Gesundheitswesens

Hartmut Unverricht

10 Geschichtlicher Rückblick . . . . . . . . . . 17711 Nosokomiale Infektion,

Infektionskette und vermehrt infektionsgefährdete Menschen . . . . . 182

12 Organisation der Hygiene . . . . . . . . . . 19013 Individualhygiene . . . . . . . . . . . . . . . . . 19814 Desinfektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20415 Sterilisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23716 Tierische Schädlinge . . . . . . . . . . . . . . . 24517 Isolierungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . 25218 Die häufigsten nosokomialen

Infektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27019 Infektionsprävention in Heimen

und in der ambulanten Pflege . . . . . . . 311

Teil III Gesundheitsförderung und Prävention

Monika Dülligen

20 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31921 Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33022 Suchtprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336

Teil IV UmwelthygieneMonika Dülligen

23 Umwelthygiene – eine Einstimmung . . 34924 Klima . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35025 Luft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35526 Wasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36427 Boden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37028 Abfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37429 Lärm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37730 Abschließende Gedanken zum

Thema Umwelthygiene . . . . . . . . . . . . . 381

Teil V Grundzüge der Ernährungslehre

Monika Dülligen

31 Energiegewinnung und -bedarf . . . . . 38532 Proteine (Eiweiße), Kohlenhydrate

und Fette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39033 Mineralstoffe und Wasserhaushalt . . . . 39934 Vitamine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40435 Gesunde Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . 410

Anhang

Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421

Inhalt

VIII

Bildnachweise

Seite 1 © Africa Studio – FotoliaSeite 175 © Peter Atkins – FotoliaSeite 317 © Sven Hoppe – FotoliaSeite 347 © Thaut Images – FotoliaSeite 383 © Eisenhans – Fotolia

Erläuterung der im Text verwendeten Symbole

Definition

Merksatz

Warnhinweis

Teil I Medizinische MikrobiologieAlexander Kirov

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3

1 Wichtige Begriffe aus der  medizinischen Mikro biologieAlexander Kirov

( Abb. 1-1; auch Kap. 6 »Wie wehren wir uns?«, S. 149 ff.):

Calor (Wärme) Rubor (Rötung) Tumor (Schwellung) Dolor (Schmerz) Functio laesa (eingeschränkte Funktion des

betroffenen Organs)

Als Beispiel stellen wir uns eine Gelenkent­zündung vor. Durch ärztliche Maßnahmen an einem Kniegelenk (Punktion, Injektion, Ope-ration) können Krankheitserreger in das Ge-lenk gelangen und zu einer Entzündung führen.

Der Begriff Infektion stammt aus dem La-teinischen (»inficere«) und bedeutet so viel

wie »etwas Schädliches hineintun«. Gemeint ist, dass kleinste Mikroorganismen (Bakterien, Viren, Pilze und Parasiten) in den Wirt – in unserem Fall den Menschen – eindringen und sich vermehren.

Nur die wenigsten Infektionen führen zu einer erkennbaren Erkrankung. Es muss eine Krank­heitsbereitschaft (Disposition) des betroffenen Menschen vorhanden sein. Erst bei Vorliegen von Symptomen sprechen wir von einer In­fektionskrankheit. Es kommt in vielen Fäl-len  zu  den typischen Entzündungszeichen

Abb. 1-1 Kardinal-symptome der Entzündung (nach Peter Cull, St. Bartholomew’s Hospital London)

1 Wichtige Begriffe aus der  medizinischen Mikro biologie4

Im Rahmen dieser Entzündung kommt es zu Schmerzen, Schwellung, Rötung und Überwär-mung. Das Bein kann im Kniegelenk nicht wie gewohnt bewegt werden (Functio laesa).Wie oben erwähnt, verlaufen die meisten Infek-tionen unbemerkt (inapparent).

Erst wenn die krankmachenden Eigenschaf-ten des Eindringlings größer sind als die Ab-

wehrkräfte des menschlichen Organismus, wird die Infektion bemerkt. Sie verläuft manifest.

Nach der Infektion eines Menschen passiert zu-nächst einmal gar nichts. Die Zeit vom ersten Erregerkontakt bis zum Auftreten der ersten Symptome nennt man Inkubationszeit. Das Ausmaß und die Dauer der Erkrankung werden von der Abwehrlage der betroffenen Person, der Pathogenität des Erregers und der Wirksam keit der eingeleiteten Therapie mitbestimmt.Eine Infektion kann lokal begrenzt bleiben (z. B. Abszess), sie kann aber auch in die nähere Umgebung weiter fortschreiten oder über Blut- und Lymphweg in andere Organe streuen. Von einer Bakteriämie sprechen wir dann, wenn Bakterien unbemerkt in der Blutbahn kreisen. Ruft eine Bakteriämie Symptome wie Fieber oder Schüttelfrost hervor, nennen wir das Sepsis.Werden im Rahmen einer Infektion, z. B. einer Wundinfektion, mehrere Erreger gleichzeitig im Wundabstrich gefunden, so spricht man von einer Mischinfektion. Eine Superinfektion liegt dann vor, wenn unterschiedliche Erreger nacheinander und im zeitlichen Abstand gefun-den werden. Als Beispiel sei hier eine bakteriel-le Lungenentzündung nach einer Virusgrippe erwähnt.Treten Infektionskrankheiten z. B. bei stark im-mungeschwächten Menschen auf (z. B. AIDS), so spricht man von opportunistischen Infek­tionen. Die verantwortlichen Erreger besitzen bei immunkompetenten Personen i. d. R. keine krankmachende Potenz.Die Infektionsquelle ist der Ursprung einer In-fektion. Bekannte Quellen sind

die Umwelt (Boden, Wasser, Gegenstände), Tiere und der Mensch als kranker und gesunder Keim-

träger.

Der Infektionsmodus beschreibt den Übertra-gungsweg:

Direkte Übertragungen erfolgen direkt von Mensch zu Mensch:

– Tröpfcheninfektionen (z. B. Schnupfen oder Keuchhusten)

– Kontaktinfektionen (z. B. Geschlechts-krankheiten, Händeschütteln)

– Infektion des Ungeborenen über die Pla-zenta

Indirekte Übertragungen erfolgen über an-dere Kontakte:

– Schmutz- und Schmierinfektionen (z. B. Tetanus, Poliomyelitis)

– Lebensmittel (z. B. Salmonellosen) – Wasser (z. B. Cholera) – Insekten (z. B. FSME, Malaria) – kontaminierte Gegenstände (z. B. Inhala-tionsgeräte, aber auch gemeinsam benutz-te Nadeln bei Fixern)

Krankenhausspezifische Kontaktinfektionen werden ausgiebig im Teil II »Hygiene in Ein-richtungen des Gesundheitswesens« (S. 175 ff.) besprochen.Die Kontagiosität gibt das Ansteckungspoten-zial eines Erregers an. Sie wird als die Wahr-scheinlichkeit einer erkennbaren und nicht erkenn baren Erkrankung durch den Kontakt mit einem bestimmten Erreger wiedergegeben. Nach Kontakt z. B. mit Keuchhusten ist die Chance einer Infektion (mit ca. 90 %) viel grö-ßer als nach einem Kontakt mit Diphtheriebak-terien (ca. 15 %). Demnach wird der sogenann-te Kontagionsindex für Keuchhusten mit 0,9, der für Diphtherie nur mit 0,15 angegeben.Allerdings treten wiederum nur bei einem Teil dieser Infizierten Symptome auf. Der sogenann-te Manifestationsindex gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine mit einem Erreger in-

1 Wichtige Begriffe aus der  medizinischen Mikro biologie 5

fizierte Person manifest, d.h. erkennbar er-krankt. Je kleiner der Manifestationsindex, um-so mehr Infektionen verlaufen klinisch stumm. Hier spricht man von einer stillen Feiung.Von einer exogenen Infektion spricht man, wenn Krankheitserreger von außen in einen Orga nismus eindringen (Mehrzahl aller Fälle). Eine endogene Infektion entsteht durch kör-pereigene Keime, die physiologische Bereiche verlassen und in Organe oder Körperhöhlen gelangen und dort eine krankmachende Eigen-schaft entwickeln. Als Beispiel sei ein Harn-wegsinfekt durch körpereigene Darmbakterien erwähnt ( auch Kap. 2.5 »Physiologische Flo-ra«, S. 11 f.).

Unter Epidemiologie im engeren Sinne versteht man die Lehre von den übertrag-

baren Infektionskrankheiten und deren Bekämp-fung. Im weiteren Sinne ist sie die Wissenschaft vom Auftreten, der Verteilung und der Kontrolle von Gesundheit und Krankheit innerhalb der Bevölke-rung.

Man kann nicht mit der Darstellung der einzel-nen Infektionskrankheiten beginnen, ohne eine Aufzählung wichtiger Begriffe voranzustellen, die wir als eine Art Handwerkszeug für die fol-genden Kapitel erachten.Infektionskrankheiten können beim Menschen sporadisch in Form von Einzelfällen auftreten. Treten sie jedoch kurzzeitig gehäuft in einem örtlich begrenzten Bereich auf, so spricht man von einer Epidemie (z. B. Lebensmittelinfek-tion in einer Kantine durch Salmonellen). Wei-tet sich eine Epidemie auf mehrere Kontinente aus, nennt man dies Pandemie (z. B. Influenza). Wenn eine Infektionskrankheit in gewissen Regio nen nicht zu bekämpfen ist und immer wieder vorkommt, so bezeichnet man dieses Phänomen als Endemie (z. B. Malaria in den Tropen oder nicht zu verdrängende Infektio-nen durch bestimmte Erreger auf manchen In-tensivstationen).

Epidemie: örtlich begrenzt, zeitlich be-grenzt

Pandemie: örtlich unbegrenzt, zeitlich begrenztEndemie: örtlich begrenzt, zeitlich unbegrenzt

Um die Häufigkeit und die Gefährlichkeit einer Krankheit zu beschreiben, wurden folgende Be-griffe entwickelt:

Die Prävalenz oder Krankheitshäufigkeit sagt aus, wie viele Menschen einer bestimm-ten Gruppe an einer bestimmten Krankheit erkrankt sind (Anzahl der zu einem be­stimmten Zeitpunkt Kranken/Anzahl einer bestimmten Population).

Die Inzidenz gibt die Anzahl der Neu­erkrankungen an einer bestimmten Krank-heit in einer Bevölkerungsgruppe definierter Größe (meist 100 000 Einwohner) während einer bestimmten Zeit (meist einem Jahr) an (z. B. Anzahl der neu Erkrankten/Anzahl einer bestimmten Population/Jahr).

Die Morbidität beschreibt die Anzahl der Erkrankungen einer Krankheit bezogen auf die Gesamtbevölkerung in einem bestimm­ten Zeitraum (z. B. Erkrankte/100 000 Ein-wohner/Jahr). Sie wird bestimmt durch die Prä valenz und Inzidenz.

Die Mortalität bezieht sich auf die Anzahl der  Todesfälle an einer Krankheit bezo-gen auf die Gesamtzahl der Bevölkerung in einem bestimmten Zeitraum (z. B. Verstor-bene/100 000 Einwohner/Jahr).

Die Letalität ist die Anzahl der Sterbefälle bezogen auf die Anzahl der Erkrankten und gilt als Gradmesser der Gefährlichkeit einer bestimmten (Infektions-)Krankheit (Zahl der Verstorbenen/Zahl der Erkrankten). Sie wird in Prozent angegeben.

Das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin (www.rki.de) erstellt diese Berechnungen jähr-lich für alle Erkrankungen in Deutschland. Ärzte und Epidemiologen erhalten so wichtige Hinweise über die aktuelle Häufigkeit von Er-krankungen im Vergleich zu den Vorjahren.

1 Wichtige Begriffe aus der  medizinischen Mikro biologie6

Ebenso werden die Zahlen für internationale Vergleiche benötigt.

Beispiel – Tuberkulose in Deutsch-land 2015

Gesamtbevölkerung 81,2 Millionen Einwohner. 2015 wurden dem RKI 5 865 neue Tuberkuloseerkrankte gemeldet. Die Inzidenz betrug demnach 5 865/ 81,2 Millionen Einwohner/Jahr oder 7,2/100 000 Ein-wohner/Jahr.97 der Erkrankten sind an der Tuberkulose verstor-ben. Die Mortalität betrug daher 97/81,2 Millionen Einwohner oder 0,1/100 000 Einwohner.

Die Letalität errechnet man aus der Zahl der Ver-storbenen und der Zahl der Erkrankten: 97/5 865 oder 1,7 %.

Die folgenden Kapitel setzen sich mit den Ver-ursachern (Bakterien, Viren, Parasiten und Pil-ze), den Infektionskrankheiten im Einzelnen, deren spezifischer Behandlung und dem mög-lichen Impfschutz auseinander. Dabei werden wichtige Infektionskrankheiten oder Erreger dem jeweiligen Abschnitt in einer tabellari-schen Übersicht ( z. B. S. 15) vorangestellt.

7

2.1 Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

2.2 Pathogenitätsfaktoren . . . . . . . . 8

2.3 Vermehrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

2.4 Einteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

2.4.1 Bakterienformen . . . . . . . . . . . . . . . . 10

2.4.2 Gram-Färbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10

2.5 Physiologische Flora . . . . . . . . . . 11

2.5.1 Haut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

2.5.2 Mund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

2.5.3 Verdauungstrakt . . . . . . . . . . . . . . . . 11

2.5.4 Atemwege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

2.5.5 Harnwege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

2.5.6 Scheide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

2.6 Die humanmedizinisch wichtigsten Bakterienarten . . . 12

2.6.1 Grampositive Kokken . . . . . . . . . . . . . 12Staphylokokken . . . . . . . . . . . . . . . . . 12Streptokokken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16

2.6.2 Gramnegative Kokken . . . . . . . . . . . . 21Neisserien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

2.6.3 Grampositive Stäbchenbakterien . . . . 25Corynebakterien . . . . . . . . . . . . . . . . 26Listerien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27Sporenbildner: Bacillus und Clostridium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27Mykobakterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

2.6.4 Gramnegative Stäbchenbakterien . . . 41Bordetella pertussis . . . . . . . . . . . . . . 41

Hämophile Bakterien . . . . . . . . . . . . . 43Legionella pneumophila . . . . . . . . . . . 44Helicobacter und Campylobacter . . . . 46Durchfallerkrankungen . . . . . . . . . . . . 48Escherichia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49Salmonellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50Vibrionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52Yersinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54Shigellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56Nosokomiale Infektionen verursachende gramnegative Stäbchenbakterien . . . . . . . . . . . . . . . 56

2.6.5 Spirochäten – schraubenförmige Bakterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56Treponema pallidum. . . . . . . . . . . . . . 57Leptospiren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58Borrelien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59Erkrankungen durch Zeckenstich . . . . 61

2.6.6 Zellwandlose Bakterien . . . . . . . . . . . 62Mykoplasmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62

2.6.7 Chlamydien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63Chlamydophila pneumoniae . . . . . . . . 63Chlamydia trachomatis . . . . . . . . . . . . 63Chlamydophila psittaci . . . . . . . . . . . . 63

2.7 Bakteriologische Diagnosemöglichkeiten . . . . . . . 64

2.7.1 Harnwege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642.7.2 Stuhl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642.7.3 Sputum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642.7.4 Wundabstriche . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642.7.5 Blutkulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

2.8 Antimikrobielle Therapie – Antibiotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

2 BakterienAlexander Kirov

2 Bakterien8

2.9 Exkurs: Resistenzentwicklun-gen, Infektionsprävention, Antibiotikaverbrauch und S3-Leitlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66

2.9.1 Resistenzentwicklungen . . . . . . . . . . . 67Staphylococcus aureus . . . . . . . . . . . . 67Pneumokokken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68Enterokokken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68Gramnegative Keime . . . . . . . . . . . . . 69

2.9.2 Statistische Resistenzerhebung . . . . . 702.9.3 Prävention von nosokomialen

Infektionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 702.9.4 Antibiotika-Verbrauchs-Surveillance

für medizinische Einrichtungen . . . . . 722.9.5 S3-Leitlinie »Strategien zur

Sicherung rationaler Antibiotika-Anwendung im Krankenhaus« . . . . . . 73

2.9.6 Zukünftige Entwicklung . . . . . . . . . . . 75

Bakterien (griech. = Stäbchen) sind mikro-skopisch kleine, einzellige Lebewesen (Größe meist 0,5–5 µm). Früher wurden sie dem Pflan-zenreich zugeordnet. Begriffswendungen wie z. B. Bakterienflora stellen noch Relikte aus die-ser Zeit dar. Heute sieht man die Bakterien –  neben Pflanzen und Tieren – als selbstständige Einheit an, da sie eine von Pflanzen und Tieren abweichende Organisation der Zelle besitzen.Die überwiegende Mehrzahl der Bakterien lebt in freier Natur und erfüllt dort die unterschied-lichsten Aufgaben. Erwähnt sei die hervorra-gende Leistung im Rahmen der Trinkwasserauf-bereitung. Eine zweite Gruppe von Bakterien leistet dem Menschen in der pharmazeutischen Industrie bei der Herstellung von Medikamen-ten (z. B. Insulin) große Dienste. Verursacher von Infektionskrankheiten ist nur eine kleine, aber leider bedeutungsvolle Gruppe von Bakte-rien.

2.1 Aufbau

Bakterien besitzen im Gegensatz zu Pflanzen und Tieren keinen Zellkern. Die Erbinforma-tion besteht aus einer doppelsträngigen DNA (Desoxyribonukleinsäure). Das sogenannte Kernäquivalent befindet sich neben den ande-ren Zellbestandteilen und -strukturen (Wasser, RNA [Ribonukleinsäure], Proteine, Enzyme, Stoffwechselprodukte, Ribosomen u. a.) im Zyto plasma ( Abb. 2-1). Dieses wird von einer Zellmembran umgeben, die u. a. für den Stoff-transport von innen nach außen entscheidend ist. Eine starre Zellwand bestimmt die Form, schützt das Bakterium vor äußeren Einflüssen und wirkt als Antigen. Die Struktur der Zell-wand ist sehr kompliziert und nicht bei allen Bakterien identisch. Nur wenige Bakterienarten sind zellwandlos (z. B. Mykoplasmen).Manche Arten besitzen Fortbewegungsorgane, die Geißeln. Sie sind einzeln, in Büscheln oder am ganzen Bakterienleib angeordnet.

2.2 Pathogenitätsfaktoren

Unter Pathogenitätsfaktoren versteht man genetisch bedingte Eigenschaften der

Bakterien, die eine Infektionskrankheit beim Wirt (z. B. Mensch) auslösen können.

Es gilt die Regel: Je mehr Pathogenitätsfaktoren eine Bakterienart besitzt, desto komplizierter Abb. 2-1 Bakterienschema

Zellwand Zellmembran Geißel

Kernäquivalent Zytoplasma

2.4 Einteilung 9

wird der Krankheitsverlauf und desto schwie-riger die Therapie. Hier müssen jedoch die in-dividuellen Voraussetzungen des Patienten berücksichtigt werden (Alter, Grunderkran-kungen, Immunschwäche u. v. m.). Folgende Pa-thogenitätsfaktoren sind bekannt:

Kapsel: Bei einigen Bakterienarten befin-det sich außerhalb der Zellwand noch eine schleimige Schicht. Diese verhindert, dass unsere Abwehrzellen die Bakterien erken-nen, und bietet diesen somit einen Schutz vor Phago zytose.

Pili: Bei vielen gramnegativen Bakterien fin-det man Pili. Dies sind Protein fäden auf der Zelloberfläche, die nach Eindringen der Er-reger in den menschlichen Körper der An-heftung an Wirtsstrukturen dienen (z. B. an Schleimhäute des Atem-, Gastrointestinal- oder Urogenitaltrakts).

Toxine: Bakterien produzieren Toxine, die den Wirtsorganismus schädigen. Werden Toxine von den Bakterien als Stoffwechsel-produkt nach außen abgegeben, so spricht man von Exotoxinen (z. B. Tetanustoxin). Werden sie erst bei Zerfall von Bakterien (durch Immunabwehr oder nach Antibioti-katherapie) frei, spricht man von Endotoxi­nen.

Enzyme: Hierunter versteht man kataly­tisch  wirksame Proteine, die ein Bakte-rium produziert, um Substanzen des Wirtes zu spalten. Hierdurch werden einerseits Nährstoffquellen für Bakterien erschlossen, andererseits können sie ein Schutz vor Ab-wehrstrukturen des Wirtes sein. Einige wichtige Beispiele:

– Hyaluronidasen: Zersetzen von Gewebe; Ausbreitung in Wirtsstrukturen

– Hämolysine: Auflösen von Erythrozyten – Proteasen: Spaltung von Wirtsproteinen – Koagulase: Verklumpung von Plasma – Fibrinolysine: Auflösen von Fibrin

2.3 Vermehrung

Die Bakterienzelle vermehrt sich i. d. R. durch Zweiteilung. Aus einer Mutterzelle entstehen zwei Tochterzellen. Die Geschwindigkeit die-ses Teilungsvorgangs ist stark von der Bakte-rienart und vom Umgebungsmilieu abhängig. Diese Generationszeit beträgt z. B. bei Escheri-chia coli (E. coli) – gute Umweltbedingungen voraus gesetzt – nur ca. 20 Minuten, beim Tu-berkuloseerreger (Mycobacterium tuberculosis) jedoch ca. 20 Stunden.Die hierdurch bedingten unterschiedlichen Wachstumszeiten beeinflussen damit auch den Zeitpunkt des Sichtbarwerdens als Kolonie auf festen Nährböden. Geht man davon aus, dass für eine Koloniebildung 45 Generationen (Gen.) notwendig sind, braucht E. coli ca. 15 Stunden (20 Min × 45 Gen.), während M. tuberculosis ca. 37 Tage (!) (20 Std. × 45 Gen.) benötigt. Der Befund einer anschließenden Resistenztestung des angezüchteten Stammes wird bei der Tuber-kulosediagnostik daher nicht wie gewohnt nach 24 bis 48 Stunden, sondern i. d. R. erst nach 6 bis 8 Wochen zu erwarten sein.

2.4 Einteilung

Als sinnvoll hat sich für Bakterien die Eintei-lung nach folgenden Kriterien erwiesen:

Form und Anfärbeverhalten (z. B. Gram-Färbung)

Wachstumsbedingungen im Labor hinsicht-lich optimaler Temperatur und Umgebungs-milieu (Sauerstoffverträglichkeit)

Kolonieaussehen und Verhalten auf Nähr-böden

biochemische Leistungsmerkmale (z. B. Ab-bauvermögen von verschiedenen Kohlen-hydratarten)

Oberflächeneigenschaften gegenüber spe-ziel len Antikörpern (Serotypie)

Verhalten gegenüber Antibiotika (Resisto-typie)

2 Bakterien10

Sporenbildung (Ausbildung von umweltre-sistenten Dauerformen)

Lysotypie-Eigenschaften (hochspezifisches Vermögen bestimmter Viren [Bakteriopha-gen], eine Infektion oder sogar das Abtöten des zu untersuchenden Bakterienstamms auszulösen)

massenanalytische Struktureigenschaften (z. B. Maldi-Tof-Analyse): Kombiniertes Ver-fahren der Matrix-unterstützten Laser-De-sorption/Ionisation (»MALDI«) und Mas-senspektrometrie mit Flugzeitanalyse (engl. time of flight, »TOF«) ermöglicht seit weni-gen Jahren in vielen Routinelabors eine schnelle Identifizierung (wenige Minuten) von als Bak terienkolonie vorliegenden Stäm-men. Dieses Verfahren gibt teilweise schon Hinweise auf bestimmte Antibiotikaresis-tenzen.

Im Folgenden wird kurz auf die Bakterienfor-men und das Anfärbeverhalten eingegangen.

2.4.1 Bakterienformen

Man unterscheidet im Wesentlichen drei Bak-terienformen ( Abb. 2-2):

Kokken (kugelförmige Bakterien) stäbchenförmige Bakterien schraubenförmige Bakterien (Spirochäten)

2.4.2 Gram-Färbung

Bakterien unterscheiden sich von ihrem Zell-wandaufbau voneinander. So gibt es Bakterien mit einer dünneren und solche mit einer di-Abb. 2-2 Verschiedene Bakterienformen

Staphylokokken(= Haufenkokken)

Streptokokken(= Kettenkokken)

Diplokokken(= Doppelkokken)

Stäbchen

Schraubenformen

Abb. 2-3 Grampositive Kokken, hier Staphylokok-ken, traubenförmige Anordnung (mit freundlicher Genehmigung von Prof. Braun, Esslingen)

Abb. 2-4 Gramnegative Stäbchen, hier E. coli (mit freundlicher Genehmigung von Prof. Braun, Esslin-gen)

2.5 Physiologische Flora 11

ckeren Zellwand inklusive einer sogenannten Mureinschicht. Dieser Sachverhalt wird bei einem relativ einfachen Färbetest sichtbar, der bereits 1884 von dem dänischen Mikrobiologen Hans C. J. Gram zufällig entdeckt wurde. Bak-terien, die nach dieser Färbung dunkelblau erscheinen, werden grampositiv ( Abb. 2-3), rot gefärbte Bakterien gramnegativ benannt ( Abb. 2-4). Dieser Test wird in jedem bakte-riologisch ausgerichteten Labor durchgeführt.

Das Anfärbeverhalten ist von großer Wich-tigkeit für die Artdiagnose eines Erregers

und u. a. auch von großer Bedeutung für die richtige Auswahl eines Antibiotikums für einen an einer bak-teriellen Infektionskrankheit leidenden Patienten.

2.5 Physiologische Flora

Bevor wir die wichtigsten humanpathogenen Bakterienarten besprechen, wenden wir uns der physiologischen Bakterienflora zu.

Unter der physiologischen Bakterien-flora versteht man Bakterien, mit denen wir

in einer Art Symbiose zusammenleben und die einem gesunden Menschen normalerweise nicht schaden, sondern teilweise sogar von Nutzen sind.

Unter bestimmten Voraussetzungen (immun-supprimierende Therapie mit z. B. Cortison oder Zytostatika, schwere Grunderkrankung) sind Bakterien der physiologischen Flora dazu be fähigt, Infektionen zu verursachen. Zu die-sen  sogenannten fakultativ pathogenen Kei­men gehören beispielsweise Dickdarmbakterien wie Escherichia coli. Während einer Darm-operation oder einer Perforation des Darms können sie in die freie Bauchhöhle gelangen und zu erheblichen Infektionen (Peritonitis) führen. Außerdem sind sie die Hauptverursa-cher von Harnwegsinfekten.

2.5.1 Haut

Die Haut ist von einer Vielzahl von Keimen be-siedelt (Hautflora). Hier lassen sich hauptsäch-lich Staphylokokken und Streptokokken, aber auch Propionibakterien nachweisen, die bei der Akneentstehung eine wichtige Rolle spielen. Weitere Keime sind Mykobakterien und Cory-ne bakterien. In den behaarten Hautgebieten finden sich – neben den Hand- und Fußinnen-flächen – die meisten Bakterien. Sie sind dort für die charakte ristische Geruchsentwicklung verantwortlich. Die physiologische Hautflora bietet neben dem pH-Wert und anderen Fakto-ren einen guten Schutz vor obligat pathogenen Bakterien. Dies sind Keime, die zu jeder Zeit und bei jedem Menschen eine krankmachende Potenz besitzen ( auch Tab. 11-2, S. 185).

2.5.2 Mund

Im Bereich der Mundhöhle nehmen »vergrü-nende Streptokokken« eine Kontrollfunktion gegenüber Anflugkeimen von außen ein – sie sind die sogenannte »Mundpolizei«. Bei gesun-den Menschen sind andere Bakterienarten (und auch Pilze) zwar vorhanden, aber unbedeutend.

2.5.3 Verdauungstrakt

In der Speiseröhre findet sich nur eine geringe Keimzahl. Diese Besiedlung ist im Magen dank des sauren Sekrets bis auf wenige Ausnahmen (z. B. Helicobacter pylori) nicht mehr nachzu-weisen. Im Verlauf des Dünndarms nimmt die Bakterienzahl wieder zu. Der Dickdarm ist das größte Keimreservoir des Körpers. Hier konnte man bisher weit über 100 Bakterienarten isolie-ren. In jedem Gramm Stuhl findet man ca. 108 bis 1011 Bakterien (20–30 % der Stuhlmasse). Ihre Zusammensetzung ist bei gesunden Men-schen relativ einheitlich:

5 % coliforme Stäbchen (wie E. coli) und En-terokokken

95 % Anaerobier

2 Bakterien12

Anaerobier sind Bakterien, die nur unter Sauer-stoff ausschluss wachsen können. Zu den häu-figsten Vertretern zählen Bacteroides, Clostri-dien und anaerobe Kokken.

2.5.4 Atemwege

Der Nasenbereich ist stark mit Bakterien besie-delt. Am häufigsten kommen Staphylokokken und Streptokokken vor. Bei Krankenhausper-sonal finden sich mehr fa kultativ pathogene Arten als bei der übrigen Bevölkerung.Das Bronchialsystem und die Alveolen sind i. d. R. keimfrei.

2.5.5 Harnwege

Bei gesunden Menschen sind Nierenbecken, Harnleiter und Blase steril. Der untere Teil der Harnröhre ist durch Streptokokken, Staphylo-kokken und gramnegative Stäbchen besiedelt. Diese Keime sind einerseits für die Verunrei-nigung von Urinproben und andererseits für aufsteigende Harnwegsinfekte verantwortlich (  auch Kap.  18.2 »Harnwegsinfektionen«, S. 272 ff.).

Wegen der bakteriellen Besiedlung des unteren Urogenitaltrakts muss als Urin-

probe entweder Mittelstrahlurin, Katheterurin oder Urin, der durch Blasenpunktion gewonnen wurde, verwendet werden!

2.5.6 Scheide

Die Zusammensetzung der immer ausgepräg-ten Besiedlung der Scheide ist stark vom Le-bensalter der Frau abhängig. Nach der Geburt wird die zunächst sterile Region durch Milch-säurebakterien (= Laktobazillen, Döderlein-Stäbchen) besiedelt. Die Mischflora der Kind­heit wird mit der Pubertät wieder durch die säureproduzierenden Döderlein-Bakterien ver-drängt. Nach Abschluss der Geschlechtsreife etabliert sich wieder eine Mischflora.

Durch den sauren pH-Wert im Bereich der Scheide der geschlechtsreifen Frau wird die Besied lung durch andere Mikroben verhin-dert,  sodass man in dieser Phase, unter Be-achtung der persönlichen Hygiene, weniger Harnwegs infektionen als in höherem Lebens-alter findet.

2.6 Die humanmedizinisch wichtigsten Bakterien-arten

Nach den oben erwähnten Kriterien (Form, Gram-Verhalten) lässt sich die in Tabelle 2-1 (S. 13) gezeigte Übersicht über die humanme-dizinisch wichtigsten Bakterienarten erstellen. Daneben gibt es noch Vertreter, die sich nur schwierig in eine dieser Gruppen einordnen lassen. Zu diesen Bakterien gehört Mykoplas­ma, das, da es keine Zellwand hat, nicht nach Gram angefärbt werden kann. Eine zweite Gruppe, vertreten durch Chlamydia, kann nur innerhalb von Wirtszellen existieren.

2.6.1 Grampositive Kokken

Neben zahlreichen verschiedenen taxonomisch zu unterscheidenden Bakterienstämmen füh-ren  zahlenmäßig einerseits die Familie der »Staphylo coccaceae«, andererseits die Familien der »Streptococcaceae« und »Enterococcaceae« das Vorkommen im klinischen Alltag an. Unter den Bakteriengattungen der Staphylococcaceae sind die Staphylokokken mit der wichtigen Art »Staphylococcus aureus« neben zahlreichen weiteren Staphylokokken, darunter Staphylo-coccus epidermidis, von herausragender Bedeu-tung.

Staphylokokken

Staphylokokken sind grampositive Haufenkok-ken ( auch Abb. 2-3, S. 10). Wir unterscheiden zwischen

2.6 Die humanmedizinisch wichtigsten Bakterienarten 13

den fakultativ pathogenen, koagulase nega-tiven Staphylokokken (u. a. Staphylococcus epidermidis) und

der meist pathogenen Staphylokokkenart Staphylococcus aureus

Epidemiologie und Übertragung S. epider­midis ist bei Gesunden vor allem im Hautbe-reich zu finden und hat meist nur im Kranken-haus eine medizinische Bedeutung. Der Keim ist in der Lage, implantiertes Kunststoff mate-rial zu besetzen, sich dort zu vermehren und eine lokale Infektion hervorzurufen. Wir alle kennen die Folgen eines zu lange liegenden Venenverweil katheters mit den typischen Ent-zündungsparametern ( Kap. 1 »Wichtige Be-griffe aus der medizinischen Mikrobiologie«, S. 3 f.). Weitere Kunststoffimplantate, die besie-delt werden können, sind Herzklappen, Gefäß-prothesen oder auch ein Blasendauerkatheter. Die Symptome (Schmerz, Rötung, Schwellung) verschwinden meist von selbst, sobald der Fremdkörper mit der Infek tions quelle entfernt wird.Wesentlich gefährlicher ist der Keim S. aureus. Er »nistet« ebenfalls im Hautniveau, ist aber

auch im Nasen-Rachen-Bereich zu finden (Rate menschlicher Träger ca. 30–40 %, aber: Kran-kenhauspersonal 70–100 %!). Verschiedene En­zyme (Plasmakoagulase, Hyaluronidase, Hä-molysin, Koagulase, Betalactamase) und Toxine (Leukozidin, Enterotoxin) begründen die Pa-thogenität und Virulenz.Für das Zustandekommen einer Infektion mit Staphylokokken ist aber auch die Disposi­tion des Wirtes ganz entscheidend. Folgende Patientengruppen sind besonders gefährdet:

chronisch Kranke (vor allem Diabetiker) Ekzematiker oder Patienten mit anderen

Hauterkrankungen Patienten mit Verbrennungen Alkoholkranke Immungeschwächte

Erregerreservoir ist der Mensch selbst. Durch Hautkontakt (Händeschütteln) oder Tröpfchen (Niesen) wird der Keim verbreitet.

Inkubationszeit und Krankheitsbild Bei Schädigung der Haut (Wunden, Dermatitis) oder Manipulationen (Gelenkpunktion, Opera-tion allgemein) kann schon innerhalb von 2 bis

Tab. 2-1 Übersicht der humanmedizinisch wichtigsten Bakterienarten

Kokken Stäbchen Schrauben-formengrampositiv gramnegativ grampositiv gramnegativ

StaphylococcusStreptococcusEnterococcusPneumococcus

Neisseria

• Gonococcus

• Meningococcus

CorynebacteriumListeriaBacillusClostridiumMycobacterium

BordetellaCampylobacterHämophilusHelicobacterLegionellaSalmonellaShigellaVibrioYersiniaE. coliKlebsiellaProteusPseudomonas

BorreliaLeptospiraTreponema

2 Bakterien14

6  Stunden der Keim seine pathogene Eigen-schaft entfalten: Er ist der typische Eitererreger. In Tabelle 2-2 sind die wichtigsten Infektionen durch S. aureus dokumentiert.Diese Aufzählung macht zweierlei deutlich:

Zum einen ist S.  aureus einer der bedeu-tendsten Krankenhauskeime und somit ver-antwortlich für eine Vielzahl von noso­komialen Infektionen ( Teil II »Hygiene in Einrichtungen des Gesundheitswesens«, S. 177 ff.).

Weiterhin neigen die eitrigen Infektionen zur lokalen Begrenzung (Abszess, Furunkel [ Abb.  2-5], Empyem). Wegen ihrer Fä-higkeit, Koagulase zu produzieren, ist die S.-aureus-Spezies in der Lage, einen schüt-zenden Fibrinwall (Kapsel) gegen Abwehr-mechanismen des menschlichen Körpers zu bilden. Die Abwehrzellen können nicht oder

nur sehr schlecht in die infizierte Region ge-langen. Gleiches gilt für Antibiotika.

Diagnostik Die Staphylokokken werden mit den klassischen mikrobiologischen Kulturver-fahren oder genotypisch über die Sequenzie-rung der ribosomalen RNA nachgewiesen.

Therapie Abgekapselte, eitrige Prozesse müs-sen i. d. R. chirurgisch eröffnet werden. Die eher generalisierten Infektionen (Pneumonie, Sep-sis) erfordern eine Antibiotikatherapie. Diese ist in den vergangenen Jahren zunehmend schwieriger geworden, da Staphylokokken leicht Resistenzen entwickeln können. Fast jeder S.-aureus-Stamm produziert Betalactamase, ein Enzym, welches sogenannte Betalactam-antibiotika unwirksam machen kann. Zu dieser Gruppe gehört das Penicil lin, weshalb ein Teil der Betalactamasen auch Penicillinase genannt wird. Deshalb wurde eine Reihe penicillinase-fester Penicilline (z. B. Methicillin, später das nebenwirkungsärmere Oxacillin) entwickelt, die bei Staphylokokken infektionen primär ein-zusetzen sind.Seit Mitte der 1990er-Jahre gibt es gehäuft mehrfach resistente S.-aureus-Stämme (MRSA = Methicillin-resistente S. aureus bzw. ORSA = Oxacillin-resistente S. aureus). Sie sind eine He-

Tab. 2-2 Typische Infektionen durch Staphylococcus aureus

• Abszesse

• Furunkel

• Mastitis

• Empyem

• Osteomyelitis

• Panaritium

• Impetigo

• Wundinfektion

• Pneumonie

• Sepsis

• Lebensmittel-vergiftung

Abb. 2-5 Furunkel. Typische Infektion durch Staphylococcus aureus (aus: Bork K, Bräuninger W. Hautkrankheiten in der Praxis. Diagnostik und Therapie. 3. Aufl. Stuttgart: Schattauer 2005)

2.6 Die humanmedizinisch wichtigsten Bakterienarten 15

rausforderung für viele Krankenhäuser, ins-besondere für Intensivstationen, da nur noch wenige Antibiotika wirksam sind. Übertragen werden die MRSA/ORSA vor allem durch die Hände des medizinischen Personals: Der Na-sen-Rachen-Bereich oder andere Körperregio-nen können unbemerkt chronisch besiedelt sein – hier reicht eine kurze Berührung mit der Hand, durch das anschließende Berühren eines Patienten sind die Erreger übertragen.

Prophylaxe Um MRSA in der Klinik in den Griff zu bekommen, ist ein konsequentes Hy-giene manage ment nötig ( auch Kap. 17.3.1, Abschn. »MRSA«, S. 259 ff.). Betroffene Patien-ten sind zu isolieren, möglichst mit eigener Nass zelle, mehrere MRSA-Infizierte kann man unter Beachtung der hauseigenen Hygieneleit-linien (z. B. nach den Ergebnissen verschiedener Antibiotikagruppen) zusammenlegen (Kohor-tenisolierung). Nun erfolgen häufig Abstriche aus dem infizierten Bereich sowie meist der Nase und des Rachens). In vielen Fällen werden dann nach Resistenzergebnis spezielle Antibio-tika eingesetzt. Zur Sanierung einer nasalen MRSA-Besiedlung wird u. a. die Anwendung

von Mupirocin-Nasensalbe empfohlen, wobei auch hier leider schon Resistenzbildungen be-kannt sind. Die intakte Haut sollte mit antisep-tisch wirksamen Seifen gewaschen und die Bettwäsche täglich gewechselt werden. Sind dann Abstriche an drei auf einander folgenden Tagen negativ, kann man i. d. R. die Isolierung auf eben ( auch Kap. 17.3.1, Abschn. »MRSA«, S. 264).Das Personal der Station sollte ebenfalls unter-sucht werden. MRSA-Träger unter dem Perso-nal sollten bis zur nachgewiesenen Sanierung keinen Patienten pflegen und behandeln. Lässt sich dies nicht vermeiden, sind besondere hygie-nische Maßnahmen zu ergreifen (z. B. Mund-Nase-Schutz, Einmalkittel, Händedesinfek-tion). Nähere Informationen  S. 259 ff. bzw. unter www.rki.de.Zur Eindämmung der Infektionsausbreitung werden heute alle oder nach bestimmten Krite-rien ausgewählte Patienten bei Krankenhaus-aufnahme auf MRSA untersucht, insbesondere Hochrisikopatienten, die vor einem invasiven Eingriff stehen. Dafür ist u. a. auch ein Schnell-test möglich, der innerhalb weniger Stunden ein Ergebnis liefert.

Übersicht StaphylokokkenErreger: S. aureus (koagulasepositiv), S. epidermidis (koagulasenegativ)

Epidemiologie: gehören zur physiologischen Flora

Übertragung: meist Tröpfcheninfektion, ferner Wundinfektion, Lebensmittelvergiftung (S. aureus); wichtiger Erreger von nosokomialen Infektionen

Inkubationszeit und Ansteckung: Stunden bis wenige Tage

Krankheitsbild: lokal begrenzte Eiteransammlung oder generalisiert (Sepsis), Pneumonie, akute Gastroenteritis

Diagnostik: Abstrich, Bronchialsekret, Stuhl, Blutkultur

Behandlung: chirurgisch, Antibiotika (Achtung: Häufig Resistenzen! MRSA!)

Prophylaxe: Desinfektion

Gesetzliche Bestimmungen: Meldepflicht bei epidemischem Ausbruch, Labormeldepflicht bei Nachweis aus primär sterilen Materialien

2 Bakterien16

Gesetzliche Bestimmungen Bis auf Nachwei-se aus primär sterilen Materialien (Blutkultur oder Liquor) sind einzelne MRSA-Erkrankun-gen oder -Besiedlungen nach dem IfSG (= In-fektionsschutzgesetz) nicht meldepflichtig. Fer-ner ist gemäß §  6, Abs.  2 IfSG das gehäufte Auftreten (ab zwei Fällen!) von Infektionen, bei denen ein epidemischer Zusammenhang wahr-scheinlich ist oder vermutet wird, unverzüglich dem Gesundheitsamt als Ausbruch zu melden.

Enterotoxin

Einige Stämme von S. aureus produzieren hitze-labile wie auch hitzestabile Enterotoxine. In konta minierten Lebensmitteln (Milch, Eipro-dukte, Kartoffelsalat, Fleischwaren) kommt es zur schnellen Vermehrung der Bakterien und so zur Anhäufung der Toxine. Die Inkubations-zeit ist sehr kurz. Wenige Stunden nach Verzehr dieser Lebensmittel treten Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen und Diarrhoe auf. Eine The-rapie ist oft nicht nötig ( auch Abschn. »Durchfall erkrankungen«, S. 48 f.).

Streptokokken

Streptokokken sind grampositive, sporenlose, unbewegliche Kettenkokken. Die Länge der Ketten ist unterschiedlich und hängt von der Streptokokkenspezies und dem Nährboden ab. Wie schon die Staphylokokken, sind die Strep-tokokken biologisch sehr aktiv. Sie können – je nach Art – eine Vielzahl von Enzymen und Toxi nen abgeben:

Hämolysin: Je nach Ausprägung dieses En-zyms werden Blutfarbstoff oder Erythro-zyten aufgelöst. Das Hämolysin wird auch Streptolysin genannt. Es wirkt als Antigen, gegen das unser Immunsystem Antikörper produziert, das sogenannte Antistreptolysin (ASL). Es wird bei einer Streptokokkeninfek-tion im Blut des Patienten nachgewiesen.

Streptokinase: Dieses Enzym kann Fibrin auflösen. In der Klinik wird es zur Lysethe-

rapie von frischen Blutgerinnseln (Throm-bose, Herzinfarkt) eingesetzt.

Hyaluronidase: Dieses Enzym fördert die Ausbreitung der Infektion im Gewebe.

erythrogene Toxine: Diese Toxine sind fie-bererzeugend und die Ursache für das Schar-lach-Exanthem.

Diese Aufzählung ist nicht komplett. Eine wis-senschaftlich exakte Liste der Pathogenitätsfak-toren wäre hier zu umfangreich.Streptokokken sind wichtige Erreger verschie-dener akuter Erkrankungen des Menschen. Die folgende grobe Einteilung ist immer noch üb-lich:

Streptokokken der Gruppe A Streptokokken der Gruppe B Streptokokken der Gruppe D »vergrünende« Streptokokken Pneumokokken

Streptokokken der Gruppe A (S. pyogenes)

Die meisten der für den Menschen gefährlichen Streptokokkeninfektionen werden durch Strep-tokokken der Gruppe A verursacht. Sie neigen zu flächenhaften Entzündungen (Enzym Hya-luron idase!). Es kommt daher im Gegensatz zu

Tab. 2-3 Typische Streptokokkenerkrankungen der Gruppe A

• Angina tonsillaris

• Sinusitis

• Otitis media

• Bronchitis, Pneumonie

• Scharlach

• Erysipel

• Augeninfektion

• phlegmonöse Entzündung

• Impetigo

• akute Glomerulonephritis

• rheumatisches Fieber

2.6 Die humanmedizinisch wichtigsten Bakterienarten 17

Infektionen mit Staphylokokken weniger zu abszedierenden als zu phlegmonösen Entzün­dungsprozessen ( Tab. 2-3).Infektionen mit sogenannten betahämolysie-renden Streptokokken der Gruppe A betreffen vor allem Kinder im Kindergarten- und frühen Schulalter, aber auch Erwachsene. Die Übertra-gung erfolgt meist über Tröpfcheninfektion. Häufig ist eine eitrige Entzündung der Rachen-mandeln (Angina) der Beginn.Zwei Erkrankungen sollen wegen der besonde-ren Krankheitsbilder hervorgehoben werden: Scharlach und Erysipel.

Krankheitsbild: Scharlach

Verursacht wird diese klassische Kinderkrank-heit durch hämolysierende Streptokokken der Gruppe A. Die erythrogenen Toxine sind für den Krankheitsverlauf und das Exanthem ver-antwortlich und führen zu einer Immunität.

Epidemiologie und Übertragung In Deutsch-land rechnet man derzeit mit etwa 64 000 Scharlachfällen pro Jahr (Inzidenz: ca. 60 auf 100 000). Der Erreger wird über Tröpfchen übertragen.

Inkubationszeit und Krankheitsbild Nach einer Inkubationszeit von 2 bis 7 Tagen kommt es zu mehr oder weniger deutlichem Krank-heitsgefühl, Fieber und einer Tonsillitis. Der Rachen ist gerötet (Enanthem). Die Redewen-dung »ohne Angina kein Scharlach« hat sicher auch heute noch Gültigkeit. Die Zunge ist zu-nächst belegt und imponiert erst am 3. bis 4. Tag als typische Himbeer­ oder Erdbeerzun­ge ( Abb.  2-6). Das feinfleckige Exanthem (Gefühl wie Sandpapier) beginnt im Hals-/Brustbereich ( Abb. 2-7) und überzieht den gesamten Körper, mit Ausnahme der Mundpar-tie (zirkumorale Blässe, Clowngesicht). Im wei-teren Verlauf setzt eine Hautschuppung vor allem im Hand-/Fußflächenbereich ein.

Diagnostik Durch einen Rachenabstrich kann man Streptokokken der Gruppe A nachweisen. Ein erhöhter ASL-Titer und der typische Krank-heitsverlauf sprechen für Scharlach.

Abb. 2-6 Scharlach. Himbeer- oder Erdbeerzunge (aus: Tischendorf FW. Der diagnostische Blick. 7. Aufl. Stuttgart: Schattauer 2008)

Abb. 2-7 Sehr diskretes Scharlachexanthem (aus: Tischendorf FW. Der diagnostische Blick. 7. Aufl. Stuttgart: Schattauer 2008)

2 Bakterien18

Therapie Um Folgeerkrankungen ( Tab. 2-4) vorzubeugen, behandelt man heute alle Schar-lachpatienten – auch die leichter verlaufenden Fälle – mit Penicillin über 7 bis 10 Tage. Die Entfieberung wird dadurch beschleunigt, der Krankheitsverlauf milder und die Wiederzulas-sung zum Schulbesuch kann früher erfolgen.

Prophylaxe Schon lange ist die früher übliche Scharlachschutzimpfung zur Erzeugung einer antitoxischen Immunität (gegen erythrogene Toxine) aufgegeben worden. Durch Antibioti-kagabe an alle Kontaktpersonen, die in enger Lebensgemeinschaft mit einem Scharlachkran-ken leben, lassen sich Epidemien verhindern bzw. wirksam bekämpfen.

Gesetzliche Bestimmungen In Deutschland besteht bis auf wenige Ausnahmen in einigen Bundesländern ( oben) im Allgemeinen kei-ne krankheits- oder erregerspezifische Melde-pflicht gemäß IfSG.Jedoch haben Leiter von Gemeinschaftseinrich-tungen gemäß § 34 Abs. 6 IfSG das zuständige

Gesundheitsamt unverzüglich zu benachrichti-gen, wenn in ihrer Einrichtung betreute oder betreuende Personen an Scharlach, Impetigo contagiosa oder sonstigen Streptococcus-pyo-genes-Infektionen erkrankt sind oder bei ihnen der Verdacht auf eine dieser Erkrankungen be-steht.

Erkrankte dürfen Schulen oder andere Ein-richtungen (Krankenhäuser!) nicht betre-

ten, bis eine Weiterverbreitung nicht mehr zu be-fürchten ist.

Krankheitsbild: Erysipel

Das Erysipel (Wundrose) wird sehr häufig durch hämolysierende Streptokokken der Gruppe A verursacht.

Übertragung Das Erysipel tritt häufig bei chronisch infizierten älteren Wunden und beim Ulcus cruris auf. Die Erreger dringen meist durch einfache Verletzungen in den Körper ein.

Übersicht ScharlachErreger: erythrogene toxinebildende A-Streptokokken

Epidemiologie: meist Kinder betroffen, kalte Jahreszeit

Übertragung: Tröpfcheninfektion

Inkubationszeit und Ansteckung: wenige Tage (2–3)

Krankheitsbild: Fieber, Angina, Krankheitsgefühl, feinfleckiges Exanthem, Erdbeerzunge, Hautschuppung

Diagnostik: Rachenabstrich, ASL-Titer-Bestimmung, Erkennen des Exanthems

Behandlung: Penicillin

Prophylaxe: keine wirksame Impfung gegen Erreger oder Toxine bekannt, Mitbehandlung bei symptomatischen Kontaktpersonen

Gesetzliche Bestimmungen: zur Vermeidung von Epidemien Meldung von Erkrankten in Schulen, Kindergärten, Heimen usw.

Eine Meldepflicht der Erkrankung »Scharlach« besteht zurzeit in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

2.6 Die humanmedizinisch wichtigsten Bakterienarten 19

Inkubationszeit und Krankheitsbild Nach einer kurzen Inkubationszeit (1–3 Tage) kommt es im betroffenen Bereich zu einer flammend roten bis bläulich lividen, scharf begrenz-ten Hautverfärbung, die sehr schmerzhaft ist ( Abb. 2-8). Da es sich um eine Infektion der Hautlymphbahnen handelt, sind die regionalen Lymphknoten angeschwollen. Die Patienten leiden unter einem deutlichen Krankheits-gefühl mit hohem Fieber, Leukozytose und er-höhter BKS (Blutkörperchensenkung). Das Erysipel neigt zu Rezidiven. Eine weitere Spät-folge ist die Vernarbung der entzündeten Lymphgebiete, wodurch dann ein Lymph stau entsteht (Elephantiasis).

Therapie Die Behandlung besteht aus einer systemischen Antibiotikagabe (Penicillin), Ru-higstellung der betroffenen Region und – wenn eine Extremität befallen ist – Hochlagerung.

Folgeerkrankungen nach Infektion mit Strepto kokken der Gruppe A

Infekte durch A-Streptokokken ( Tab.  2-3, S. 16) sind besonders wegen ihrer möglichen Folge erkran kungen ( Tab.  2-4) gefürchtet. Das klassische Bild des sogenannten rheuma­tischen Fiebers beginnt akut mit einer Poly-arthritis, die vor allem die großen Gelenke be-fällt. Alle Zeichen der akuten Gelenkentzün-dung – schmerzhafte Schwellung, Rötung, Überwärmung, eingeschränkte Funktion – sind bei dem voll ausgebildeten Krankheitsbild nachweisbar. Eine Karditis (Myokarditis, En-dokarditis) kann bei Kindern und Jugendlichen den Verlauf völlig beherrschen. Während man die Gelenkentzündung mithilfe von Antirheu-matika therapeutisch im Griff zu haben scheint, sind Langzeitschäden einer Endokarditis, wie z. B. Herz klap pen zer störungen mit der Folge einer möglichen Herzinsuffizienz, häufig. Ein operativer Herzklappenersatz kann dann nötig werden. (»Das rheumatische Fieber beleckt die Gelenke und beißt das Herz.«)

Eine zweite, sehr wichtige Komplikation eines A-Streptokokken-Infekts ist die akute Glo­merulonephritis, die unbehandelt zur Nieren-insuffizienz und Dialysepflicht führen kann.Auch aufgrund dieser möglichen Folgeerkran-kungen ist die Antibiotikatherapie eines eitri-gen, bakteriellen Infektes durch A-Streptokok-

Tab. 2-4 Wichtige Folgeerkrankungen nach Strep-tokokken-A-Infekt

Rheumatisches Fieber mit• Karditis

• Polyarthritis

• Erythema anulare

• subkutanen Rheumaknoten

• Chorea minor

• Glomerulonephritis

Abb. 2-8 Erysipel bei einer Streptokokken infek-tion. Akutes Stadium mit Rötung und Ödem (aus: Bork K, Bräuninger W. Hautkrankheiten in der Pra-xis. 3. Aufl. Stuttgart: Schattauer 2005)

2 Bakterien20

ken notwendig. Bei rezidivierenden Mandelent-zündungen ist eine operative Entfernung zu diskutieren ( S2k-Leitlinie »Therapie entzünd-licher Erkrankungen der Gaumenmandeln – Tonsillitis«; Stand: August 2015).

Krankheitsbild: Endokarditis

Eine Entzündung der Herzinnenwand tritt der-zeit in Deutschland mit einer Inzidenz von ca. 10 Erkrankungen pro 100 000 Einwohner pro Jahr auf. Wird diese Erkrankung nicht erkannt und nicht intravenös mit Antibiotika über 4 bis 6 Wochen behandelt, ist sie mit einer hohen Le-talität verbunden.

Streptokokken der Gruppe B (S. agalactiae)

Streptokokken der Gruppe B können sowohl bei  Neugeborenen (infizierter Geburtskanal, nosokomiale Infektion) als auch bei immunge-schwächten Erwachsenen Erkrankungen hervor-rufen. Die Neugeboreneninfektion weist meist einen schweren Verlauf (Meningitis, Pneumo­nie) auf. In der Tiermedizin sind B-Strepto-kokken als wichtige Erreger der Mastitis bei Milchkühen bekannt.

Streptokokken der Gruppe D (S. faecalis, S. faecium, Enterokokken)

Enterokokken sind Bestandteile der physiologi-schen Darmflora des Menschen. Im Gegensatz zu den übrigen Streptokokkenarten neigen die Enterokokken zu einer ausgeprägten Antibio­tikaresistenz. Sie sind im Krankenhaus für eine Vielzahl von Harnwegsinfektionen (ca. 5 %), seltener für Wundinfektionen verantwortlich. Analog zu den problematischen Resistenzent-wicklungen bei Staphylokokken mit dem Auf-treten von MRSA-Stämmen ( S. 14 f.) gibt es zunehmend Probleme durch Resistenzbildun-gen von Enterokokkenstämmen gegen Vanco-mycin (VRE = Vancomycin-resistente Entero-kokken) – bis hin zum Therapieversagen. Als

Mitursache betrachtet man die unkritische An-wendung von Avoparcin (einem Vancomycin-derivat) in der Tiermasthaltung in den 1970er- und 1980er-Jahren, die in Deutschland seither verboten ist ( auch Abschn. 2.9.1, S. 68).

»Vergrünende« Streptokokken (u. a.  Streptokokken der Viridans-Gruppe)

Vergrünende Streptokokken gehören zur phy-siologischen Mundflora und können – z. B. nach einer Zahnextraktion – im Blut nachge-wiesen werden (Bakteriämie). Ihren Namen ver-danken sie der Eigenschaft, dass um die Bakte-rienkolonien auf Blutagarnährböden ein grüner Hof zu erkennen ist. Diese nicht vollständige, sogenannte Alpha-Hämolyse der Erythrozyten beruht auf dem unvollständigen Hämabbau bis zum Biliverdin (grünes Hämoglobinabbaupro-dukt [Gallenfarbstoff]).Zu den wichtigsten Erkrankungen zählen die Endokarditiden, insbesondere die subakut ver-laufende Endocarditis lenta. Die Bakterien be-siedeln vorgeschädigte Herzklappen (angebo-ren, rheumatisch bedingt, toxisch bedingt, z. B. durch Alkohol oder andere Drogen).Ein Nachweis gelingt am besten durch vielfache Blutkulturen.

Pneumokokken (S. pneumoniae)

Pneumokokken sind grampositive Diplokok-ken (Doppelkokken), die meistens von einer Schleimkapsel umgeben sind ( Abschn. 2.2 »Patho geni täts faktoren«, S. 8 f.).Als physiologischer Bestandteil der Mund- Rachen-Flora bei etwa 50 % der Menschen kön-nen sie unter bestimmten, für den Menschen ungünstigen Bedingungen (z. B. anderer Infekt) vor allem Erkrankungen der Atemwege her-vorrufen. Pneumokokken verursachen Bron-chopneumonie, typischerweise Lobärpneumo-nie (Lungenentzündung, die nur einen Lungen-lappen [Lobulus] betrifft), Nebenhöhlen- und Mittelohrentzündungen sowie Meningitis.

2.6 Die humanmedizinisch wichtigsten Bakterienarten 21

Zur Therapie sind Penicilline die Antibiotika der ersten Wahl. Zum Glück haben Resistenzen vor einigen Jahren von teilweise 30 %, insbeson-dere in Südeuropa, durch korrigiertes Verhalten der Antibiotikatherapie wieder abgenommen.Die Ständige Impfkommission (STIKO) emp-fiehlt Impfungen für alle Kinder bis zum 2. Le-bensjahr sowie einmalig für alle Erwachsenen über 60 Jahre ( Kap. 8 »Infektionsschutz durch Impfungen«, S.  156 ff.). Vor einer geplanten Milz ent fernung ist ebenfalls eine Impfung dringend indiziert, weil sonst Pneumokokken-infektionen gehäuft mit tödlichem Verlauf die Folge sind.

2.6.2 Gramnegative Kokken

Unter einigen taxonomisch zu unterscheidenden Familien stellt neben den eher selten isolierten »Moraxellaceae« die Familie »Neisse ria ceae« die humanpathologisch bedeutendste dar.

Neisserien

Benannt ist diese Bakteriengattung nach deren Entdecker Albert Neisser (1855–1916). Neisse-rien sind gramnegative, unbewegliche Bakte rien, die oft paarweise zusammenliegen (semmel- oder kaffeebohnenförmige Doppelkokken).Neben mehreren apathogenen Formen gibt es heute vor allem folgende zwei Spezies, die eine humanpathogene Bedeutung besitzen:

Gonokokken Meningokokken

Gonokokken (Neisseria gonorrhoeae)

Der Ausdruck Gonorrhoe heißt übersetzt »Sa-menfluss«, da bei dieser Erkrankung eitriges Sekret aus der Harnröhre, u. a. auch Vagina fließen kann. Die Gonokokken besitzen eine besonders hohe Affinität zur Schleimhaut des Urogenitaltrakts, des Rektums und der Augen-bindehaut. Sie sind die Erreger der häufigen sexuell übertragbaren Infektion Gonorrhoe

(Tripper; niederl.: in Tropfen herabfallen) und gehört damit zu den vielen Erregern der STIs (engl.: sexually transmitted infections).

Epidemiologie und Übertragung Die Gonor-rhoe ist weltweit verbreitet und tritt auschließ-lich beim Menschen auf. Für Deutschland ste-hen keine genauen aktuellen epidemiologischen Daten zur Verfügung, da seit 2001 keine gene-relle Meldeplicht für Gonorrhoe besteht.Übertragen wird die Gonorrhoe durch Ge-schlechtspraktiken jeglicher Art. Denkbar, aber eher unwahrscheinlich ist auch eine Infektion über gemeinsam benutzte Handtücher, Toilet-tenbrillen oder Sexspielzeuge.

Inkubationszeit und Krankheitsbild Nach einer Inkubationszeit von wenigen (2–4) Tagen kommt es zur Rötung und zur eitrigen Sekre-tion des infizierten Areals. In den allermeisten Fällen wird zunächst schmerzhaftes Wasser-lassen und eitriger Ausfluss aus der Harnröhre ( Abb. 2-9, S. 22) beklagt. Die Harnröhrenent­zündung (Urethritis) ist bei Männern weitaus schmerzhafter als bei Frauen. Dies führt den Mann eher zum Arzt; daher wird in Deutsch-land eine Gonorrhoe beim Mann etwa 3-mal so häufig diagnostiziert wie bei der Frau. Auch der kulturelle Nachweis gelingt bei Gonorrhoe aus Untersuchungsmaterialien vom Mann eher; bei Frauen ist das Ergebnis eher falsch negativ. Es ist jetzt aber schon nach Einführung der Unter-suchungen auf Gonokokken mittels Polyme-rasekettenreaktion (polymerase chain reaction, PCR) zu sehen, dass sich dieses Missverhältnis ändert, da diese Methode viel sensitiver ist.Gefährlich sind die Krankheitsverläufe mit einer nur gering ausgeprägten Symptomatik. Der Arztbesuch wird unterlassen, es erfolgt keine Behandlung, und die Erkrankung kann chroni fizieren oder »aufsteigen«. Folgeerschei­nungen sind

beim Mann eine Entzündung der Prostata (Prostatitis) und der Nebenhoden (Epididy-mitis),

2 Bakterien22

bei der Frau eine Entzündung der Eileiter (Salpingitis), der Eierstöcke (isoliert: Oopho-ritis, erweitert: Adnexitis) oder sogar der Bauchhöhle (Peritonitis).

Bei beiden Geschlechtern kann in einem sol-chen Fall häufig eine Sterilität entstehen.

Diagnostik Der Nachweis erfolgt mikrosko-pisch, kulturell oder mittels PCR.

Therapie Leider haben die Gonokokken seit 2 bis 3 Jahrzehnten in zunehmenden Maße Re­sistenzen gegenüber den früher gut wirksamen Penicillinen entwickelt. Die Ursache wird pro-phylaktischen Antibiotikagaben bei Prostitu-ierten oder Urlaubsfernreisenden zugeschrie-ben. Daher muss man auf andere Antibiotika-klassen wie Cephalosporine zurückgreifen. Aber auch hier werden zunehmend Resistenzen bekannt, sodass eine sichere Therapie zuneh-mend schwierig wird.

Abb. 2-9 Gonorrhoe. Typisches Bild der akuten Entzündung beim Mann mit eitrigem Ausfluss (aus: Bork K, Bräuninger W. Hautkrankheiten in der Praxis. Diagnostik und Therapie. 3. Aufl. Stuttgart: Schattauer 2005)

Übersicht GonorrhoeErreger: Neisseria gonorrhoeae (gramnegative Doppelkokken)

Epidemiologie: weltweit verbreitet

Übertragung: durch Sexualkontakt

Inkubationszeit und Ansteckung: wenige Tage (2–4)

Krankheitsbild: Befall der Urogenitalschleimhaut → Urethritis; Schmerzen beim Wasserlassen, eitriger Ausfluss; bei Nichtbehandlung aufsteigender Infekt mit Sterilität möglich

Diagnostik: typische Symptome, Erregernachweis im Abstrichsekret (neben Anzuchtversuch) heute vorzugsweise über den Labortest PCR

Behandlung: Antibiotikatherapie zunehmend aufwendiger wegen weltweit sich stark entwickelnden Resistenzen!

Prophylaxe: Kondome; im Falle einer Infektion den Sexualpartner mitbehandeln; Impfung nicht bekannt

Gesetzliche Bestimmungen: seit 2003 nur noch in Sachsen meldepflichtig

2.6 Die humanmedizinisch wichtigsten Bakterienarten 23

Zu beachten ist, dass zu einer vernünftigen Therapie auch immer eine Mitbehandlung

des jeweiligen Geschlechtspartners gehören soll-te. Da Doppelinfektionen mit dem Syphi lis erreger Treponema pallidum möglich sind, sollte eine Dia-gnostik die Treponemen immer einschließen.

Prophylaxe Bei Sexualkontakten bieten Kon-dome einen relativ guten, wenn auch nicht 100%igen Schutz vor Neuinfektionen.

Während der Geburt kann die Mutter Gono-kokken auf das Neugeborene übertragen.

Eine eitrige Bindehautentzündung kann die Folge sein. Die Neugeborenenblennorrhoe (Blennor-rhoea gonorrhoica neonatorum) war früher eine der häufigsten Ursachen für Blindheit im Kindesalter. Seit der Einführung der Credé-Prophylaxe besteht ein sicherer Schutz vor der Neugeborenenblennor-rhoe. Hierbei wird in jedes Auge ein Tropfen einer 1%igen Silbernitratlösung geträufelt. Heute ist diese Prophylaxe nicht mehr gesetzlich vorgeschrieben, wird aber in einigen Entbindungskliniken noch an-gewendet. Nach dem IfSG besteht eine Meldepflicht seit 2000 nicht mehr.

Gesetzliche Bestimmungen In Sachsen – dem einzigen Bundesland in Deutschland mit Mel-depflicht der Gonorrhoe nach dem IfSG – haben sich die Krankheitszahlen von 2003 bis ein-schließlich 2013 mit 297 auf 735 mehr als ver-doppelt, auch bedingt durch verbesserte Labor-diagnostik (nach Epidemiologisches Bulletin 37/2014, S. 365–369)!

Meningokokken (Neisseria meningitidis)

Meningokokken sind, wie auch die Gonokok-ken, gramnegative, paarweise angeordnete Doppelkokken. Sie gehören bei einem Teil der Bevölkerung zur physiologischen Flora der obe-ren Atemwege. Als Möglichkeiten, warum bei einigen Bakterienträgern dann die Hirnhäute befallen werden und eine eitrige Hirnhautent-zündung, die man auch Meningitis epidemica

nennt, entsteht, wird neben der unterschied-lichen Virulenz der jeweiligen Bakterienstäm-me auch die Dis position (Anfälligkeit) des Wir-tes angeführt (Resistenz minderung, Stress, Umweltfaktoren, Eisenmangel, aktives und passives Rauchen).

Epidemiologie und Übertragung Bevorzug-tes Erkrankungsalter ist die frühe Kindheit. Mehr als die Hälfte der durch Meningokokken verursachten Meningitisfälle ereignen sich in Deutschland in den ersten 2 Lebensjahren. Epi-demien können dort auftreten, wo Menschen auf engem Raum zusammenleben (Flüchtlings-lager, Kinderheime, Kasernen, überfüllte Ver-kehrsmittel usw.).Die Übertragung findet durch Tröpfcheninfek-tion statt.

Inkubationszeit und Krankheitsbild Das Krankheitsbild beginnt nach einer kurzen In-kubationszeit (2–5 Tage) meist schlagartig mit starkem Krankheitsgefühl und typischen Me-ningitiszeichen ( S. 24).Eine besonders gefährliche Verlaufsform der Meningokkeninfektion ist das Waterhouse­Friderichsen­Syndrom, eine Sepsis mit Neben-nierenrinden- und Hautblutung, die binnen weniger Stunden zum Tod führen kann.

Diagnostik Die Verdachtsdiagnose wird an-hand eines Liquor-Grampräparats gestellt.

Therapie Findet man gramnegative Diplo-kokken, muss – wenn noch nicht geschehen – schnell eine hoch dosierte intravenöse Antibio-tikatherapie mit Penicillin G oder bestimmten Cephalosporinen eingeleitet werden.

Prophylaxe Eine Impfung gegen Meningo-kokken (Serotyp C) empfiehlt die STIKO allen Kindern im 2. Lebensjahr. Eine weitere Impfin-dikation besteht bei Reisen in Endemiegebiete, für medizinisches Personal mit Kontakt zu betroff enen Patienten, für Laborpersonal, fer-

2 Bakterien24

ner für in Kasernen lebende Personen. Impfun-gen gegen weitere Serotypen (wie Serotyp B) sind in der Prüfung und werden von der STIKO voraussichtlich ab 2017 empfohlen werden ( Kap. 8 »Infektionsschutz durch Impfungen«, S. 164 f.).

Postexpositionsprophylaxe Jede Kontakt-person (Transport, Ambulanz, Station) sollte nach der (mikrobiologischen) Diagnosestellung »Verdacht auf Meningokokken« diese im eige-nen Nasen-Rachen-Raum durch Einnahme spe-zieller Antibiotika (Ciprofloxacin, Rifampicin) eliminieren. Die i. d. R. einmalige Gabe ist meist schon innerhalb einer halben Stunde wirksam und unterbindet eine weitere Ansteckung (z. B. von Familienmitgliedern nach Dienstschluss)!

Gesetzliche Bestimmungen Die Meningo-kokkenmeningitis ist bei Krankheitsverdacht, Erkrankung und Tod nach dem IfSG melde-pflichtig.

Krankheitsbild: Infektiöse Meningitis

Zu einer Entzündung der Hirn- und Rücken-markhäute ist prinzipiell jeder Infektions-erreger – also Bakterien, Viren, Pilze und Para-siten – in der Lage.Häufige bakterielle Erreger sind im Neugebo­renenalter Streptokokken der Gruppe  B, im Kindesalter Meningokokken sowie (nach Ein-führung der Impfung selten) Haemophilus in-fluenzae und im Erwachsenenalter Pneumo-kokken, seltener Meningokokken und auch Borrelien. Weniger häufig werden Staphylokok-ken, andere Streptokokken oder Escherichia coli gefunden.

Übertragung Eine Infektion findet entweder über den Blut- oder Lymphweg oder durch Ein-wanderung aus benachbarten Entzündungs-herden, z. B. der Ohren oder des knöchernen Schädels sowie nach offenen Hirnverletzungen statt.

Krankheitsbild Unabhängig vom Erreger ist das Krankheitsbild mehr oder weniger einheit-lich:

Fieber und Schüttelfrost Kopfschmerzen Koordinationsstörungen Schielen Übelkeit und Erbrechen Nackensteifigkeit Opisthotonus ( unten) evtl. Bewusstseinsstörungen bis hin zum

Koma evtl. Krampfanfälle gespannte Fontanelle bei Säuglingen

Jeder Zug an den entzündeten Hirn- und Rücken mark häuten führt zu starken Schmer-zen. Daher nimmt der Patient eine Schon-haltung ein. Infolge schmerzbedingter Muskel-kontraktionen im Hals- und Rückenbereich bohrt der Patient den Hinterkopf in das Kissen, die Wirbelsäule wird in Lordosestellung gehal-ten (»Kissenbohrer«, Opisthotonus). Versucht man passiv den Kopf nach vorn zu beugen, wer-den die Knie angezogen (Brudzinski­Zeichen).

Diagnostik Um einen Erreger nachzuweisen, ist eine Gewinnung von Hirnflüssigkeit (Li-quor) mittels Lumbalpunktion ( Abb. 2-10)

Abb. 2-10 Durchführung einer Lumbalpunktion

L1L2

L3L4

L5

2.6 Die humanmedizinisch wichtigsten Bakterienarten 25

unerlässlich. Der gewonnene Liquor wird auf Aussehen geprüft. Trüber Liquor kann auf eine eitrige, bakterielle Infektion hinweisen. Bei einer Meningitis/Enzephalitis durch Viren bleibt der Liquor meist klar. Weiterhin wird die Flüssigkeit nach Gram gefärbt und auf Zell-zahl,  Zuckergehalt und Proteine untersucht ( Tab.  2-5). Zum Ausschluss anderer Sym-ptom ursachen sollten zudem eine Elektroenze-phalografie (EEG) und eine Computer tomo-grafie (CT) bzw. eine Magnetresonanz tomo-grafie (MRT) durchgeführt werden.

Therapie Ein möglichst schneller Behand-lungsbeginn ist bei einer bakteriellen Menin-gitis von entscheidender Bedeutung. Zunächst muss kalkuliert (»blind«) anbehandelt werden. Nach Erregerdifferenzierung wird anschließend die bisherige Therapie überprüft und ggf. um-gestellt.

Prophylaxe Die vorbeugenden Maßnahmen sind erregerabhängig.

Gesetzliche Bestimmungen Ob eine Melde-pflicht nach dem IfSG besteht, ist vom Erreger und von den gesetzlichen Bestimmungen des Bundeslandes abhängig.

2.6.3 Grampositive Stäbchen-bakterien

Eine grobe Einteilung der taxonomisch ver-schiedenen Bakterienstämme lässt sich anhand ihrer Fähigkeiten, unter aeroben oder nur unter an aeroben (sauerstofffreien) Verhältnissen zu wachsen sowie Dauerformen (Sporen) zu bil-den, vornehmen.Unter den aeroben, nicht sporenbildenden Fa-milien finden sich coryneforme (keulenförmi-ge) grampositive Stäbchen (u. a. Diphtherie-Erreger), die mikroskopisch recht kurzen, fein-stäbchenförmigen Listerien und auch die aeroben Aktinomyceten (u. a. mit dem Genus Nocardia, einem Erreger der Nocardiose, meist einer Lungenerkrankung).Bei den aerob sporenbildenden Stämmen tritt hauptsächlich die Familie der Bacillaceae mit den wichtigsten Vertretern Bacillus anthracis (Milzbrand) und Bacillus cereus klinisch in Er-scheinung.Unter den anaeroben, grampositiven Stäbchen finden sich u. a. die nicht sporenbildenden Pro-pionibakterien, die meist an Hauterkrankungen beteiligt sind, und die humanpathogen sehr wichtige, grampositive, anaerob wachsende, sporenbildende Familie der »Clostridiaceae«. Hier ist insbesondere die Gattung »Clostri dium« als Auslöser von Tetanus, Gasbrand, Botu-lismus und der pseudomembranösen Colitis bekannt.

Tab. 2-5 Liquorbefunde bei Meningitis

Kriterium Bakterielle Meningitis Virale Meningitis

Aussehen trüb klar

Zellzahl meist über 1 000/µl i. d. R. bis 500/µl

Zelltyp Granulozyten Lymphozyten

Glukosegehalt stark erniedrigt normal

Proteingehalt stark erhöht kaum erhöht

2 Bakterien26

Die Mykobakterien zählen auch zu den gram-positiven Stäbchen mit den wichtigen Krank-heitsbildern Tuberkulose und Lepra, obwohl sie aufgrund einer dicken Wachsschicht mit der Gramfärbung nicht gut darstellbar sind.

Corynebakterien

Das Corynebacterium diphtheriae ist ein gram-positives Stäbchen. Pathogene Bedeutung be-sitzt vor allem das Diphtherietoxin.

Epidemiologie und Übertragung Die Diph­therie, meist durch Tröpfchen übertragen, ist aufgrund der Schutzimpfung in der Bundesre-publik sehr selten geworden. Dennoch kommt es immer wieder zu kleineren Ausbrüchen mit To-desfällen. Betroffen sind durch diese klassische »Kinderkrankheit« weniger die Kinder selbst, als vielmehr junge Erwachsene, deren Immuni-tätslage sich nach einer Grundimmunisierung im frühen Kindesalter langsam abschwächt.

Nur 20 bis 30 % der Erwachsenen haben einen ausreichenden Antitoxintiter, da die

Auffrischimpfung versäumt wird!

Inkubationszeit und Krankheitsbild Nach einer Inkubationszeit von 2 bis 6 Tagen kann es zum Ausbruch der Erkrankung kommen. Zwei Ausprägungen werden unterschieden:

Lokalinfektion: Die Bakterien werden ein-geatmet und setzen sich im Nasen-Rachen-Raum fest. Dort entsteht unter Einwirkung des Toxins zunächst im Tonsillenbereich ein weißlicher, nicht abstreifbarer Belag, die Pseudomembran. Charakteristisch ist der süßlich-faulige Mundgeruch.Begleitend kann eine diphtherische Kehl-kopfentzündung auftreten (echte Krupp­Erkrankung). Entweder bleibt die Erkran-kung lokalisiert oder sie weitet sich zur toxi-schen Allgemeinkrankheit aus.

toxische Allgemeinkrankheit: Nach einigen Krankheitstagen, manchmal aber auch erst

nach Wochen, können Herz, Leber, Niere und Nervensystem geschädigt werden. Ge-fürchtet ist eine Myokarditis mit mög licher Todesfolge.

Diagnostik Der schnelle Nachweis erfolgt mi-kroskopisch. Eine Anzüchtung des Bakteriums auf blut- oder serumhaltigen Nährmedien ist möglich. Das Bakterium kann auch mit dem Immundiffusionstest differenziert nachgewie-sen werden.

Therapie Nach Abnahme von Rachenabstri-chen unter den Pseudomembranen (durch den Diphtherieerreger gebildete Häutchen) muss eine antibiotische Therapie schon bei Verdacht auf Diphtherie unverzüglich eingeleitet werden. Weiterhin wird eine sofortige Gabe von Diph-therieantitoxin (»Heilserum«) empfohlen, um die noch im Blut zirkulierenden Toxine zu neu-tralisieren.

Prophylaxe Es existiert eine aktive Diphthe­rieimpfung. Die Schutzimpfung wird i. d. R. gemeinsam mit der Tetanusimpfung (DT) und Pertussisimpfung (DPT) durchgeführt. Die Grundimmunisierung ist nach drei bis vier Ga-ben eines Toxoids abgeschlossen ( Kap. 8 »In-fektionsschutz durch Impfungen«, S.  156 ff.). Eine Auffrischimpfung sollte nach Empfehlun-gen der STIKO später erfolgen.

Tritt in einer Lebensgemeinschaft Diphthe-rie auf, so sollte die sofortige Isolierung

des Patienten und die simultane Schutzimpfung der noch nicht geimpften Personen erfolgen.

Gesetzliche Bestimmungen Bei Krankheits-verdacht besteht ein Zugangsverbot von Schu-len, Kindergärten und ähnlichen Einrichtun-gen. Wiederzulassung ist erst nach drei negati-ven Rachenabstrichen möglich.Die Diphtherie ist bei Krankheitsverdacht, Er-krankung und Tod nach dem IfSG meldepflich-tig.

2.6 Die humanmedizinisch wichtigsten Bakterienarten 27

Listerien

Listeria monocytogenes ist der wichtigste Er-reger der Listeriose. Dieser grampositive Er-reger ist mikroskopisch recht kurz und feinstäb-chenförmig.

Epidemiologie und Übertragung Die gram-positiven Stäbchenbakterien kommen überall vor. Häufig sind sie in Nahrungsmitteln (z. B. Weichkäse, Wurst, Salate) zu finden. Zur Über-tragung kommt es entweder durch Lebens-mittel verzehr, durch Schmutz- und Schmier-infektion oder gar durch kontaminierte Salben.

Inkubationszeit und Krankheitsbild In der Regel kann bei gastrointestinaler Symptomatik von einer Inkubationszeit von wenigen Stun-den bis zu 6 Tagen, bei septikämischen Verläu-fen von einer durchschnittlichen Inkubations-zeit von 1 bis 12 Tagen (Median 2 Tage) und bei neuro invasiven Manifestationen von 1 bis 14 Tagen (Median 9 Tage) ausgegangen werden. Bei schwangerschaftsassoziierten Fällen sind Inkubationszeiten von bis zu 2  Monaten be-kannt.Die Infektion verläuft i. d. R. asymptomatisch, evtl. treten grippeähnliche Symptome auf. Ein großer Prozentsatz der Erwachsenen besitzt spezi fisch stimulierte T-Lymphozyten als Hin-weis auf eine bestehende Immunität. Anti-körper spielen bei der Listeriose eine unterge-ordnete Rolle.Zu einer Manifestation einer ernst zu nehmen-den Erkrankung kommt es meist nur bei ab­wehrgeschwächten Menschen. Hier äußert sich die Listeriose als Sepsis, Meningitis oder Enze-phalitis mit hoher Todesrate.Die Listeriose hat eine besondere Bedeutung in der Geburtshilfe, da eine neuinfizierte, schwan­gere Frau die Erreger über die Plazenta an den Fetus weitergeben kann. Fehl- und Frühgebur-ten sowie Missbildungen können die Folge sein.

Diagnostik Der Erregernachweis erfolgt i. d. R. kulturell. Indirekt geben aber auch spezifische Antikörper mit hohen Titern Hinweise auf eine Listeriose.

Therapie Zur Therapie werden bestimmte Antibiotika (u. a. Ampicillin) empfohlen.

Prophylaxe Eine Impfung ist nicht möglich. Käse aus nicht pasteurisierter Milch sollte – v. a. in der Schwangerschaft – nicht verzehrt werden.

Gesetzliche Bestimmungen Nach dem IfSG besteht Meldepflicht bei Erregernachweis aus Blut und Liquor, nicht jedoch – außer bei Neu-geborenen – aus Abstrichmaterialien (z. B. von der Haut.

Sporenbildner: Bacillus und Clostridium

Zu den Sporenbildnern gehören die stäbchen-förmigen Bakterien der Gattungen Bacillus und Clostridium.

Bakteriensporen sind Überdauerungsfor-men, die bei ungünstigen Umweltbedingun-

gen das Überleben der Art sichern.

Bei der Sporenbildung bildet sich eine Kapsel um das genetische Material. Das Zellwasser wird dem Bakterium entzogen, es wird prak-tisch abgepumpt. So kann die Bakterienspore über Jahre, sogar Jahrzehnte überdauern. Für den Milzbranderreger Bacillus anthracis erwie-sen sich die Sporen noch nach mehr als 70 Jah-ren lebens fähig. Trockenheit, Kälte, Hitze und sogar Desinfektionsmittel können ihnen nicht gefährlich werden.Sensoren an der Oberfläche der Sporen bemer-ken Wärme und Feuchtigkeit. Wenn die Le-bensbedingungen wieder erträglich werden, z. B. durch eine Infektion des Menschen, wird die Sporenkapsel gesprengt, und es entsteht wieder ein vermehrungsfähiges, pathogenes Bakterium.

2 Bakterien28

Bacillus anthracis

Bacillus anthracis kommt vorwiegend bei pflan-zenfressenden Haustieren als Erreger akuter Entzündungen vor. Der Name Anthrax (griech.: Kohle) leitet sich von der schwärzlichen Farbe der Eiterbeulen ab, die beim Hautmilzbrand auftreten.

Epidemiologie und Übertragung In Deutsch-land tritt nur in Ausnahmefällen die Milz­brand erkrankung auf. Es handelt sich insge-samt um sehr seltene Krankheitsbilder. Die Milzbrand erkrankung wurde bei obduzierten Rindern entdeckt.

Aktualität besitzen die Milzbranderreger auch aus militärischen Gründen. Verschie-

dene Staatsoberhäupter haben mit dem Einsatz von Bakterienbomben (»Biowaffen«) im Kriegsfall ge-droht. Beispiel ist der Einsatz durch den ehemaligen irakischen Diktator Saddam Hussein während der Golfkriege 1991 und 2003. Aber auch Nato-Mitglieds-staaten haben deren Auswirkung schon erprobt.

Zu einer Infektion des Menschen kommt es fast immer durch Kontakt mit infizierten Tieren oder Tierprodukten (Felle, Wolle, Borsten, Fleisch). Die Übertragung erfolgt über kleine Hautverletzungen, durch Inhalation des Er-regers oder über die Nahrungsaufnahme ( un-ten).

Inkubationszeit und Krankheitsbild Je nach Eintrittspforte der Sporen werden drei Krank-heitsbilder unterschieden:

Hautmilzbrand (ca. 90 % der menschlichen Infektionen): Über kleine Hautverletzungen kann nach wenigen Tagen ein kleiner, schwar-zer, nicht schmerzhafter, nekrotischer Defekt (= Brand) entstehen (Pustula maligna). Die-ser kann entweder ausheilen oder zu einer Sepsis führen. Letzteres sollte unter allen Umständen vermieden werden, daher ist eine chirurgische Therapie kontraindiziert.

Lungenmilzbrand: Nach Inhalation des Er-regers, z. B. nach dem Ausschlagen von mit-gebrachten Fellen aus dem Afrikaurlaub, kann nach Tagen bis Wochen eine schwere, meist tödlich verlaufende Lungenentzün-dung entstehen. Der Auswurf beim Husten ist hochkontagiös!

Darmmilzbrand: Durch Aufnahme ver-unreinigter Nahrungsmittel oder durch blo-ßes Verschlucken der Sporen entsteht nach wenigen Stunden bis spätenstens nach 3 Ta-gen eine schwere hämorrhagische Enteritis.

Therapie Ohne frühzeitig eingeleitete Anti-biotikatherapie verlaufen Darmmilzbrand und Lungenmilzbrand häufig tödlich.

Prophylaxe Eine Impfung ist für gefährdete Berufsgruppen möglich.

Gesetzliche Bestimmungen Nach dem IfSG besteht Meldepflicht schon im Krankheitsver-dacht. Für Landwirte, Gerber, Tiermediziner, Bürstenmacher und Schäfer ist der Milzbrand als Berufserkrankung anerkannt.

Clostridium

Clostridien sind sporenbildende, grampositive, stäbchenförmige, nur anaerob (unter Abwesen-heit von Sauerstoff) wachsende Bakterien. Sie gehören zu den normalen Darmbewohnern, können aber unter bestimmten Bedingungen schwere Krankheitsbilder hervorrufen.Vier Formen und die verursachten Erkran-kungen sollen in diesem Kapitel Erwähnung finden:

Clostridium perfringens (Gasbrand) Clostridium tetani (Tetanus) Clostridium botulinum (Botulismus) Clostridium difficile (u. a. pseudomembra-

nöse Colitis)

2.6 Die humanmedizinisch wichtigsten Bakterienarten 29

Krankheitsbild: Gasbrand (Clostridium perfringens)

Die schwerste Form des Gasbrands wird haupt-sächlich durch C. perfringens verursacht. Na-mensgebend war das Erscheinungsbild der Erkrankung ( unten).

Epidemiologie und Übertragung Clostridien sind ubiquitär (also überall) vorhanden. Eine Infektion ist heutzutage vor allem bei Verkehrs-unfällen mit Quetschungen der Muskulatur (Motorradfahrer!) zu erwarten, insbesondere wenn eine rechtzeitige chirurgische Bereini-gung der Wundverhältnisse nicht möglich ist. Bei tiefen Wunden finden die Bakterien ideale Vermehrungsvoraussetzungen.Da Gasbranderreger auch zur physiologischen Darmflora gehören, kann es z. B. nach Dickdarm-operationen zu einer Erkrankung kommen.

Inkubationszeit und Krankheitsbild Nicht immer kommt es zum klinischen Bild eines Gasbrandes, daher müssen mikrobiologische Befunde klinisch auf Therapiebedürftigkeit ge-prüft werden.Im Krankheitsfall penetrieren und vernichten die Clostridien mithilfe ihrer Toxine und Enzy-me (u. a. Lecithinase) irreversibel nach wenigen Stunden, aber auch erst nach bis zu 10 Tagen gesundes Muskelgewebe, um sich anaerobe Ver-hältnisse zu schaffen. Unterhalb des Haut-niveaus schreitet die Erkrankung in aller Regel in Richtung Körperstamm fort. An der betrof-fenen Körperstelle kommt es zu einer sehr schmerzhaften, gräulich wie gekochtes Fleisch aussehenden Infektion (= Brand).

Diagnostik Eine Gasbildung kann man beim Überstreifen der Hautpartie durch ein leises Knistern nachweisen. Der Verdacht auf Gas-brand gehört zur absoluten mikrobiologischen Notfalldiagnostik. Typische mikroskopische Bilder aus dem Muskelgewebe liefern Hinweise für die weitere Therapie.

Therapie Die Therapie wird in erster Linie durch chirurgische Maßnahmen bestimmt. Ziel ist es, aerobe Verhältnisse zu schaffen. Nekro-sen müssen abgetragen, die Wunde breitflächig eröffnet werden. In einigen Fällen ist eine Am-putation nicht zu umgehen. Unterstützend wird antibiotisch mitbehandelt. Zur Verbesserung der lokalen Sauerstoffversorgung ist eine Sauer-stoff über druck therapie (3 bar) in einer Druck-kammer Erfolg versprechend. Trotz dieser Maßnahmen liegt die Sterblichkeitsrate bei Er-krankung (= Letalität) bei ca. 50 %.

Prophylaxe Eine Impfung ist nicht möglich.

Gesetzliche Bestimmungen Nach dem IfSG besteht Meldepflicht nur in Sachsen bei Erkran-kung und Tod, in Thüringen nicht namentlich an das Gesundheitsamt.

Krankheitsbild: Tetanus (Clostridium tetani)

Epidemiologie und Übertragung In unserem Arbeitsfeld Gesundheitswesen werden wir – vor allem in chirurgischen Ambulanzen – mit die-ser Clostridienart am häufigsten konfrontiert. Zum Glück nicht wegen der Erkrankung, die in Deutschland sehr selten ist, sondern hauptsäch-lich aufgrund der in vielen Fällen notwendigen Tetanusschutzimpfung.Der Tetanus (= Wundstarrkrampf) stellt je-doch  für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) noch heute eines der größten Proble-me dar. Jährlich rechnet man weltweit mit ca. 500 000 Todesfällen durch Neugeborenenteta­nus als eine der häufigsten Todesursachen in der dritten Welt (schlechte Nabelschnurhygie-ne). Clostridium tetani kommt überall vor.Zur Übertragung kommt es, wenn Sporen im Rahmen einer Bagatellverletzung eindringen. Typisch sind Verletzungen durch Holzsplitter, rostige Nägel, Rosendornen, Wund konta mina-tio nen mit Pferdekot nach Reitersturz, aber auch Kratz-, Schürf- und Bisswunden.

2 Bakterien30

Pathogenese Häufig unbemerkt – die Erreger verursachen kaum lokale Entzündungszeichen – können sich die Bakterien im Wundbereich vermehren. Sie verbleiben immer im Bereich der Eintrittspforte und beginnen mit der Toxin-produktion. Das Tetanospasmin gelangt über die Nervenbahnen zum Zielorgan Rücken-mark. Hier besetzt es die sogenannten hem­menden Zwischenneurone (Renshaw-Zellen). Deren Aufgabe ist u. a., die sanfte Koordination zwischen Agonisten und Antagonisten der Muskulatur zu steuern. Wird dies behindert, sind un koordinierte Krämpfe die Folge (daher Wundstarrkrampf).

Inkubationszeit und Krankheitsbild Die In-kubationszeit schwankt zwischen 2 Tagen und 2 Wochen. Als Faustregel gilt: Je größer die pro-duzierte Toxinmenge, desto kürzer die Inkuba-tionszeit und desto höher die Letalität.Frühsymptome sind allgemeine Mattigkeit und schnelles Ermüden der Muskulatur beim Kauen. Die charakteristischen Krampferscheinungen befallen die Muskulatur des gesamten Kör-pers. Der Beginn ist klassischerweise immer im Kopfbereich mit Krämpfen der Gesichts mus-kulatur. Dies führt zu behinderter Mundöff-nung  (Kieferklemme) und eingeschränkter Kaufähigkeit beim Patienten. Typisch ist der grinsende Gesichtsausdruck (Risus sardonicus, Teufelslächeln). Ein unwillkürlicher Opistho­tonus (  auch S.  24) entsteht bei Befall der Rumpfmuskulatur, da die Rückenmuskulatur kräftiger ist als die Bauchmuskulatur. Durch die Lähmung (Verkrampfung) der Atemmuskula-tur besteht Erstickungsgefahr.

Therapie Da Tetanuserreger in der Wunde verbleiben, ist eine großzügige Wundexzision unerlässlich. Ist man erkrankt, so lassen sich mit einem sofort injizierten Tetanusantitoxin die noch nicht an Nervengewebe gebundenen Toxine neutralisieren.Ist das Toxin bereits in die Nervenzellen einge-drungen, so hat das Antitoxin keine Wirkung

mehr. In diesem Falle sind nur noch intensiv-medizinische Maßnahmen von Nutzen:

Vermeidung der schmerzhaften Krämpfe durch eine Dauerrelaxation (z. B. mit Cura-reabkömmlingen oder Succinylcholin)

Unterdrückung der Erregungsbildung durch eine Dauernarkose mit künstlicher Beat-mung

ausreichende parenterale Ernährung

Alle pflegerischen Maßnahmen müssen um-sichtig und vorsichtig erfolgen, da durch

äußere Reize die Krampfbereitschaft erhöht wird. Die Letalität beträgt bei moderner Intensivthera-pie zwischen 10 und 20 % (Quelle: Robert Koch-Institut).

Der Patient wird in einem abgedunkelten Ein-zelzimmer untergebracht.

Prophylaxe Aufgrund der schlechten thera-peutischen Möglichkeiten wird immer wieder auf die unverzichtbare vorbeugende Grund-immuni sierung gedrängt. Leider besteht in Deutschland zurzeit eine Impfmüdigkeit, die fast vergessenen Krankheiten einen neuen Nähr boden bietet.Die Grundimmunisierung (aktive Impfung) wird mit einem künstlich abgeschwächtem Te-tanustoxin (= Toxoid, z. B. Tetanol® ) durchge-führt. Sie erfolgt durch viermalige intramusku-läre Injektionen zu den Zeitpunkten 2., 3. und 4. Monat sowie nach 1 Jahr ( auch Kap. 8.6 »Impfpläne«, S. 158 ff.). Nach Abschwächung des Impfschutzes (im 5.–6. Lebensjahr) wird ca. alle 10 Jahre eine Auffrischimpfung durch eine einmalige Gabe des Toxoids notwendig.Bei Verletzungen ist ein ausreichender Schutz anzunehmen, falls die letzte Grundimmunisie-rung bzw. Auffrischimpfung nicht länger als 5 Jahre zurückliegt. Ist die Impfung jedoch län-ger her oder kann der Patient keine ausreichen-den Angaben über seinen Impfstatus machen, ist eine Simultanimpfung erforderlich:

2.6 Die humanmedizinisch wichtigsten Bakterienarten 31

Unter einer Simultanimpfung versteht man eine gleichzeitige passive und aktive

Immunisierung mit dem Ziel eines sofort einsetzen-den und zugleich lang anhaltenden Impfschutzes.

Beispiel Tetanus: gleichzeitige Gabe von Teta-nus antitoxin (Antikörper, sofort für ca. 2–3 Mo-nate wirksam, passive Impfung, z. B. Tetagam® ) und Tetanustoxoid (Antigen, das die Bildung eigener Antikörper mit Wirkung ab etwa dem 2.  Monat anregt, aktive Impfung, z. B. Teta-nol® ). Beide Injektionen erfolgen intramuskulär in gegenüberliegende Körperhälften, da bei Kontakt beider Impfstoffe eine Neutralisie-rungsreaktion durch eine Antigen-Antikörper-Reaktion eintreten würde.Trotz des Ziels, einen ausreichenden Impf-schutz zu erreichen, sollten unnötige und zu häufige Auffrischimpfungen unterbleiben, da die Allergisierungsrate gegenüber den Sub-stanzen, die dem Impfstoff beigemengt sind, mit jeder Impfung steigt.

Gesetzliche Bestimmungen Nach dem IfSG besteht keine bundesweite Meldepflicht (Aus-nahmen: in Sachsen, Mecklenburg-Vorpom-mern und Thüringen).

Krankheitsbild: Botulismus (Clostridium botulinum)

Clostridium botulinum ist ein anaerob wach-sendes, sporenbildendes, grampositives Stäb-chenbakterium. Sein Stoffwechselprodukt, das Botulinumtoxin, ist ein Neurotoxin und gehört zu den giftigsten der bakteriell produzierten Substanzen, die wir kennen. Es ist für den Botulismus (Lebensmittelvergiftung) verant-wortlich.

Epidemiologie und Übertragung Der Botu-lismus wird meist durch selbst eingemachte Speisen verursacht. Früher galt der Botulismus als reine Wurst- oder Fleischvergiftung (botulus = Wurst). Heute weiß man, dass auch andere Speisen (z. B. Fischpasten) betroffen sind.

Vorsicht bei »bombierten« Konservendosen (Dosen, die sich aufgrund des großen Gas-

innen drucks nach außen wölben) oder gelösten Gummiringen bei Glaskonserven: Vergiftungsge-fahr!

Die Übertragung erfolgt oral über die Nahrung.

Übersicht TetanusErreger: Clostridium tetani, grampositives, sporenbildendes Stäbchen

Epidemiologie: ubiquitär verbreitet

Übertragung: Bagatellverletzungen, Sporen dringen in Wunde ein

Inkubationszeit und Ansteckung: 2–14 Tage, größere Schwankungen möglich

Krankheitsbild: Wundstarrkrampf, im Gesicht beginnend, häufig Tod durch Atemlähmung

Diagnostik: typische Symptomatik, Toxinbestimmung (evtl. Tierversuch mit Patientenblut)

Behandlung: Antitoxin, evtl. Antibiotika

Prophylaxe: aktive Grundimmunisierung und Auffrischimpfung

Gesetzliche Bestimmungen: keine bundesweite Meldepflicht (Ausnahmen: unten)

2 Bakterien32

Inkubationszeit und Krankheitsbild Nach einer Inkubationszeit von wenigen Stunden bis Tagen (je nach Giftmenge) kommt es durch Ver-hinderung der Acetylcholinfreisetzung im Be-reich von Synapsen zu den typischen Läh­mungserscheinungen:

Sehstörungen (Doppelbilder) Mundtrockenheit Schluck- und Sprechschwierigkeiten schließlich Tod durch Atemlähmung

Therapie Die Behandlung muss unverzüglich eingeleitet werden. Wie beim Tetanus muss auch hier das Neurotoxin bereits im Blut vor Erreichen des Zielorgans »neuromuskuläre Sy-napse« durch Gabe eines Antitoxins abgefan-gen werden.Eine Magenspülung ist nur sinnvoll, wenn der Verzehr der vergifteten Speisen noch nicht zu lange zurückliegt.

Im Notfall kann man sich an die über ganz Deutschland verteilten Vergiftungs zen-

tra len wenden (www.vergiftungszentrale.de).

Prophylaxe Die von C. botulinum gebildeten Sporen sind hitzebeständig und werden bei ca. 80  °C, zum Teil aber auch erst oberhalb von 100 °C abgetötet. Die Widerstandsfähigkeit von Sporen gegenüber Hitze ist vom pH-Wert und Salzgehalt abhängig. Sie nimmt mit steigendem pH-Wert und sinkenden Salzgehalt der Lebens-mittel zu.Hohe Temperaturen, Ansäuerung, Wasserent-zug mittels Salze oder Konservierungsmittel (z. B. Nitrite, Ascorbate, Polyphosphate) sowie konkurrierende Bakterien wie Lactobacillus spp. hemmen auch das Wachstum von C. botu-linum. Nitrite und Nitrate sind jedoch proble-matisch, weil sie im Verdacht stehen, Krebs beim Menschen auszulösen.Das Erhitzen auf 80 °C inaktiviert auch das hitze labile Toxin von C. botulinum, das für den nahrungsbedingten Botulismus verantwortlich ist.

Honig sollte als Quelle des Säuglingsbotulismus von Säuglingen bis zu einem Alter von einem Jahr nicht verzehrt werden.

Gesetzliche Bestimmungen Nach dem IfSG besteht eine Meldepflicht schon bei Intoxika-tions verdacht wie auch bei Erkrankung und Tod sowie bei Erreger- und Toxinnachweis!

Therapeutische Anwendung Die »muskelläh-mende« Wirkung des Botulinumtoxins macht man sich in der Medizin zur Behandlung von Gesichtsspasmen zunutze. Ferner wird Botuli-numtoxin (BOTOX® ) immer häufiger in der Schönheitschirurgie zur Unterspritzung von Falten und zur Hautstraffung angewendet. Da jedoch die Giftdosis eine entscheidende Rolle spielt, gehört der Umgang mit diesem Toxin nur in ganz erfahrene Hände.

Krankheitsbild: Pseudomembranöse Colitis (Clostridium difficile)

Clostridium difficile ist ein grampositives, spo-renbildendes Stäbchen und Bestandteil der phy-siologischen Darmflora.

Pathogenese Nach oder während einer Anti-biotikatherapie aus anderen Gründen kann C.  difficile für eine »Antibiotika-assoziierte Diar rhoe« oder schlimmer für eine pseudo­membranöse Colitis verantwortlich sein. Prin-zipiell ist jedes Antibiotikum als Auslöser denk-bar. Weiter sind auch Magenmedikamente wie Pantoprazol (= PPI = Protonenpumpeninhibi-tor) als Wegbereiter für C. difficile bekannt ge-worden. Pathogenetisch geht man davon aus, dass überwiegend gramnegative Darmkeime durch das Antibiotikum abgetötet werden, die Clostridien somit selektioniert werden und mit einer Toxinproduktion beginnen.

Inkubationszeit und Krankheitsbild Die An-gabe einer Inkubationszeit ist aufgrund einer evtl. vorausgehenden Kolonisation nicht mög-

2.6 Die humanmedizinisch wichtigsten Bakterienarten 33

lich. Mit Beginn einer Antibiotikatherapie ver-gehen bis zum Auftreten von Symptomen meist nur wenige Tage. Die Erkrankung kann aber auch nach mehreren Wochen nach einer Anti-biotikatherapie und in seltenen Fällen auch nach Monaten noch ausbrechen.Das Spektrum der Krankheitserscheinungen reicht von einigen wässerigen, kurz dauernden Durchfallstühlen bis zu einer sehr schweren, mit starken Bauchkrämpfen einhergehenden, blutigen Durchfallerkrankung, die – z. B. bei Darmperforation und Peritonitis – auch tödlich verlaufen kann.

Diagnostik Klinisch sieht man endoskopisch in schweren Fällen eine entzündete Dickdarm-schleimhaut mit membranartigen Auflagerun-gen.Labordiagnostisch hat sich als 2-Stunden-Screening-Schnelltest der Nachweis der Glut-amatdehydrogenase (GDH) aus einer (dünn-flüssigen) Stuhlprobe bewährt. Etwa 70 % aller eingesandten Proben, die auf C. difficile unter-sucht werden, sind üblicherweise negativ und somit eine C.-difficile-Infektion (CDI) mit gro-ßer Sicherheit ausgeschlossen. Da GDH auch nicht toxinbildende C.-difficile-Stämme nachweist, ist im Positivfall ein weite-rer 2-Stunden-Antigentest auf Toxin A und Toxin B notwendig. Hier sind i. d. R. weitere 20 % aller eingesandten Proben positiv und da-mit die klinische Verdachtsdiagnose einer CDI bestätigt. Da das C.-difficile-Toxin sehr transportlabil ist und schon 6 Stunden nach Stuhlentnahme zer-fallen sein kann, sollten die restlichen 10 % der Proben in einer PCR molekulargenetisch auf Toxin-Gen A und B untersucht werden, also auf Genmaterial, das die Bildung von Toxinen ver-muten lässt. Hier sind die zu ca. 8 % aller ein-gesandten Stuhlproben zwar positiv, das Er-gebnis darf aber nur im Zusammenhang mit klinischen C.-difficile-Symptomen interpretiert werden, da ja dieser Gennachweis auch »totes« C.-difficile-Material positiv nachweist und auch

nach erfolgreicher Therapie noch wochenlang positiv bleiben kann.

Therapie Nach Absetzen der krank heits aus-lösenden antibiotischen Therapie wie auch ggf. Protonenpumpeninhibitoren (PPI) wird eine Substitution von Wasser und Elektrolyten not-wendig. Zur Therapie dieses Krankheitsbildes können neben Standardantibiotika (z. B. Metro-nidazol, Vancomycin oral) neuerdings auch das neuere Antibiotikum Fidaxomicin, das »spe-zifisch« gegen C. difficile wirkt, eingesetzt wer-den.Daneben hat sich bei erfolglosen Antibiotika-therapieversuchen wegen mehrfacher Rückfäl-le ein Mikrobiomtransfer (Fremdstuhltrans-plantation) gastronasal oder kolorektal als sehr erfolgreich erwiesen.

Prophylaxe Es gibt keine allgemein aner-kannte prophylaktische Maßnahme.

Gesetzliche Bestimmungen Nach dem IfSG besteht Meldepflicht für schwer verlaufende Fälle wie

Patienten mit pseudomembranöser Colitis, Patienten mit Durchfall oder Patienten mit toxischem Megakolon,

bei denen jeweils das C.-difficile-Toxin (A und/oder B) oder toxinbildende C. difficile mit einer anderen Methode nachgewiesen wurden.Für einen schweren Verlauf müssen mindestens eines der vier Kriterien erfüllt sein:

Notwendigkeit einer Aufnahme in eine medizi nische Einrichtung zur Behandlung einer CDI

Verlegung auf eine Intensivstation zur Be-handlung der CDI oder ihrer Komplikationen

chirurgischer Eingriff (Kolektomie) auf-grund eines Megakolons, einer Perforation oder einer refraktären Colitis

Tod < 30 Tage nach Diagnosestellung und CDI als Ursache oder zum Tode beitragende Erkrankung

2 Bakterien34

Schwer verlaufende Infektionen durch C. dif-ficile werden somit gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 5 a als bedrohliche Krankheit mit Hinweis auf eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit gewertet. Davon unberührt bleiben weiterhin die namentliche Meldepflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 b IfSG (gehäuftes Auftreten von akuter infektiöser Gastroenteritis) und die nicht na-mentliche Meldepflicht nach § 6 Abs. 3 IfSG (gehäuftes Auftreten von nosokomialen Er-krankungen).

Mykobakterien

Mykobakterien sind mit der Gram-Färbung schlecht anfärbbare grampositive Stäbchenbak-terien. Folgende charakteristische Merkmale unterscheiden sie von allen anderen Bakterien:

Säurefestigkeit hoher Fettgehalt langsames Wachstum

Sie können bei Menschen und vielen Tieren Erkran kungen verursachen. Wichtig sind vor allem die Krankheitsbilder Tuberkulose und Lepra.

Mycobacterium tuberculosis

Krankheitsbild: Tuberkulose

Nach dem Entdecker Robert Koch (1882) wird die Tuberkulose auch Koch­Krankheit ge-nannt.Mycobacterium tuberculosis und Myco bacte-rium bovis sind die Erreger der Tuberkulose im klassischen Sinn.

Epidemiologie und Übertragung Weltweit ist nach Angaben der WHO (2014) jeder Dritte mit M. tuberculosis infiziert. Eine von zehn infizier-ten Personen wird im Laufe ihres Lebens an aktiver Tuberkulose (gängige Abkürzungen

sind Tb oder Tbc) erkranken. Auch in 2014 er-krankten 9 bis 10 Millionen Menschen neu an Tuberkulose; für fast 2 Millionen endete sie töd-lich. 2015 wurden in Deutschland 5 865 Neu-erkrankungen gemeldet ( auch S. 6).

Die Tuberkulose ist auch heute noch – mit Ausnahme der infektiösen Durchfallerkran-

kungen – die Infektionskrankheit mit den meisten Todesfällen.

In Deutschland und anderen Industriestaaten war die Tuberkulose auf dem besten Weg, eine seltene Erkrankung zu werden. Bedingt durch die zunehmende Einwanderung aus Osteuropa (vor allem aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjet union), durch AIDS und den häufig schlechten hygienischen Bedingungen in Ge-meinschaftsunterkünften wird man jedoch in spezialisierten Krankenhausabteilungen, wie z. B. einer Infek tions station oder einer Lungen-fachklinik, immer wieder mit dem Problem konfrontiert. Hinzu kommt eine Zunahme von komplett resistenten Stämmen (sog. XDR-Stämme), die auch in Deutschland zunehmend große therapeutische Probleme bereiten. 2015 lag die Inzidenz etwa bei 7,2 Neuerkrankungen pro 100 000 der bundesdeutschen Einwohner. Die Inzidenz bei den im Bundesgebiet lebenden Ausländern ist deutlich höher.Wenn man von Tuberkulose spricht, meint man in aller Regel die Lungentuberkulose (85 %). Nur ca. 15 % aller Erkrankungsmanifestationen betreffen andere Organe (u. a. Nieren, Lymph-knoten, Prostata, Knochen, Hirn, Darm).Ein an offener Tuberkulose erkrankter Mensch gibt beim Sprechen, Husten und Niesen die Er-reger mit seinem Ausatemstrom an die Umge-bung ab ( Abb. 2-11b). Diese Aerosole schwe-ben eine Zeit lang im Raum und können dabei von einem anderen Menschen eingeatmet wer-den (Tröpfcheninfektion).

2.6 Die humanmedizinisch wichtigsten Bakterienarten 35

Pathogenese Das Eindringen der Bakterien verursacht eine Reaktion im Gewebe, die nach ganz bestimmten, für die Tuberkulose spezifi-schen Gesetzmäßigkeiten abläuft (daher auch »spezifische Entzündung«).Abwehrzellen versuchen sofort, die Keime mit einem dichten Wall zu umgeben. So entstehen kleinste bis stecknadelkopfgroße Knötchen, die Tuberkel. In der Lunge bildet sich ein klei-ner Infektionsherd. Die regionalen Lymphkno-ten in der Lungenwurzel (Hilus) schwellen an. Es  entsteht der sogenannte Primärkomplex ( Abb. 2-11a). Der Primärkomplex kann ver-kalken und im Röntgenbild sichtbar werden.Dieses erste Stadium der Infektion machen alle Infizierten – unabhängig von der Immuni-tätslage – durch. Eine Infektion erkennt man u. a. an einem positiven Tuberkulin-Hauttest ( S. 37 f.), wie er aktuell bei nach Europa kom-menden Flüchtlingen eingesetzt wird. Eine gute Abwehrlage vorausgesetzt, bleiben die infizier-ten Menschen gesund (95  %). Bei schlechter

Abwehr situa tion entwickelt sich die Erkran-kung weiter. Über die Blutbahn können die Tu-berkelbakterien andere Organe erreichen. Am häufigsten betroffen sind Hirnhaut, Lymphkno-ten, Rippenfell, Nebennieren, Nieren, Knochen, Eierstöcke, Nebenhoden und andere Lungen-gebiete. Entweder entsteht eine Organtuberku­lose mit wenigen größeren Entzündungsherden, oder es kann sich bei sehr schlechter Abwehr-lage eine diffuse Infiltration auch mehrerer Or-gane entwickeln. Im letzten Fall spricht man von einer Miliartuberkulose, einem lebensbe-drohenden Krankheitsbild ( Abb. 2-11d).Die Erkrankung kann in jedem Stadium wieder ausheilen. Entweder ist man dann für immer befreit oder die Bakterien »schlummern« in einem abgedichteten Herd so lange, bis sich die Immunitätslage des Menschen wieder ver-schlechtert. Flackert die Erkrankung aus einem solchen Herd wieder auf, spricht man von Re­aktivierung der Tuberkulose.

Abb. 2-11 Verlaufsformen der Lungentuberkulose.

a Tuberkulöser Primär komplex: Lungenherd und reaktiv entzündeter hilärer Lymphknoten.

b Offene Lungentuberkulose: Aus der Kaverne (Hohlraum) kann infektiöses Material abgehustet werden.

c Tuberkulöse Pleuritis mit Erguss: Liegt ein Tuberkuloseherd sehr pleuranah, kann ein »spezifischer« Begleit erguss die Folge sein.

d Miliartuberkulose: durch septische Streuung entstandenes, schweres Krankheitsbild.

a b

c d

a b

c d

a b

c da b

c d

2 Bakterien36

Seuchenhygienisch sind die offenen Tuber-kulosefälle von Bedeutung. Unter einer of-

fenen Lungentuberkulose versteht man einen tuberkulösen Lungenherd, der Zugang zum Bron-chial system hat. Abgehustetes Gewebe enthält Tu-berkelbakterien. Der erkrankte Patient ist infektiös und muss isoliert werden.

Es kommt vor, dass das entzündlich veränderte Lungengewebe zerfällt, sich verflüssigt und der tuberkulöse Herd Anschluss an einen Bronchus bekommt. Das zerfallende Gewebe kann dann abgehustet werden. In der Lunge entsteht an dieser Stelle ein Hohlraum. Diese sogenann-te Kaverne ist häufig im Röntgenbild sichtbar ( Abb. 2-11b, S. 35).

Inkubationszeit und Krankheitsbild Die In-kubationszeit beträgt i. d. R. 6 bis 8  Wochen, kann aber auch noch nach Jahren erstmalig durch Reaktivierung in Erscheinung treten.Die Symptome sind vielgestaltig und kommen in dieser Form auch bei anderen Erkrankungen vor. Vordringlich berichten die Patienten über Husten mit oder ohne Auswurf (manchmal blu-tig), Nachtschweiß, Müdigkeit und Gewichts-abnahme (bis zur Schwindsucht [Synonym für Tuberkulose]!). Leichtes Fieber und thorakale Schmerzen können den Patienten begleiten.

Diagnostik Bei Tuberkuloseverdacht sind fol-gende Maßnahmen durchzuführen:

Röntgenaufnahme des Thorax mikrobiologische Erregerdiagnostik (Spu-

tum, bronchoskopisch gewonnenes Material, Magensaft, Urin usw.)

bei bestimmten Fragestellungen (wie bei dem klinischen Verdacht einer latenten In-fektion ohne typische Symptome) der Nach-weis einer Interferon-γ-(IFN-γ-)Produktion sensibilisierter T-Lymphozyten

Tuberkulin-Hauttest ( S. 37 f.)

Eine offene Tuberkulose kann man durch Spu­tumuntersuchungen nachweisen.

Wie bei allen Sputumproben ist es sehr bedeutsam, dass man den Patienten da-

rauf aufmerksam macht, dass Sputum nicht gleich-bedeutend mit Speichel ist. Sputum muss aus der Tiefe des Bronchialsystems ausgehustet werden.

Der Mikrobiologe im Untersuchungslabor kann durch spezielle Färbemethoden (klassisch: Ziehl-Neelsen-Färbung, fluoreszenztechnisch: z. B. Auramin-Färbung) mit einem Salzsäure-entfärbeschritt die Säure(farb)festigkeit der Bakterien im Sputum prüfen. Werden keine säurefesten Stäbchen gefunden, bestehen fol-gende Möglichkeiten:

Es handelt sich nicht um eine Tuberkulose. Es handelt sich um eine geschlossene Tuber-

kulose (Erreger werden nicht im Sputum ausgeschieden).

Die Keimmenge/ml Sputum ist für den mi-kroskopischen Nachweis zu gering.

Für die Resistenztestung (hier: Antimyko-gramm) wird zunächst eine kulturelle Anzüch­tung der Erreger notwendig. Dies dauert aller-dings aufgrund der langen Generationszeit ca. 4 bis 8 Wochen. Ein schnelleres Verfahren (z. B. BACTEC™) liefert schon nach 3 Wochen zufriedenstellende Ergebnisse.Konnte die Tuberkulose nur kulturell nachge-wiesen werden, kann man annehmen, dass der Patient nur eine geringe Keimzahl ausscheidet, wobei die Ansteckungsgefahr deutlich gemin-dert ist.Molekularbiologische Methoden haben vor ca. 15 Jahren die bislang klassische Diagnostik der Tuberkulose revolutioniert. Mithilfe der PCR­Technik ist die schnelle Identifizierung von Tuber kulose-Patienten weltweit möglich. Die kosten- und zeitaufwendigen Methoden des kulturellen Nachweises mit entsprechender La-borausstattung und geschultem Personal wer-den zwar nicht ganz zu ersetzen sein, immerhin ist es jedoch auf Basis einer Real-Time-PCR möglich, Mycobacterium-tuberculosis-DNA nachzuweisen und gleichzeitig zu bestimmen,