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Einführung in die Rechtstheorie und das Öffentliche Recht I. GRUNDLAGEN UND GRUNDBEGRIFFE DES RECHTS

I. GRUNDLAGEN UND GRUNDBEGRIFFE DES RECHTS · Die Funktionen des Rechts Neben den allgemeinen Funktionen, die soziale Normen erfüllen, hat das Recht noch eine Reihe weiterer spezifischer

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I.

GRUNDLAGEN UND GRUNDBEGRIFFE DES RECHTS

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1. Das Recht als eine Form sozialer Normen Das menschliche Zusammenleben wird durch eine Vielzahl von sozialen Normen geprägt und gestaltet, deren Bedeutung und Gewicht unterschiedlich sind. Soziale Normen sind „Leitbilder“ des Handelns. Sie enthalten regelmäßig „Sollensanordnungen“, sagen dem Menschen also, wie er sich sozialkonform in einer bestimmten Situation zu verhalten hat . Arten von Sozialen Normen sind etwa

o Brauch

o Mode

o Sitte

o Konvention

o Etikette

o Anstand

o Religion

o Moral

o Recht

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2. Die Funktionen sozialer Normen

o Entlastung von Entscheidungsdruck Soziale Normen bieten erprobte, bewährte Verhaltensmuster an und entlasten so so von der Notwendigkeit eines Übermaßes an Entscheidungen. Der Mensch wird dadurch erst innerhalb seines sozialen Umfeldes handlungsfähig.

o Herstellung von Erwartungssicherheit Die Mitglieder einer Gemeinschaft müssen sich aufeinander einstellen und verlassen können. Voraussetzung dafür ist, dass deren Verhalten vorhersehbar und kalkulierbar ist. Der Bereich der Willkür soll möglichst klein gehalten werden. Soziale Normen bewirken, dass ein Verhältnis von wechselseitigen, einander entsprechenden und sich ergänzenden Verhaltenserwartungen entsteht (z.B. der Verkäufer händigt die gewünschte Ware aus, der Käufer übergibt im Gegenzug den dafür geschuldeten Betrag).

o Verhaltenskoordination Soziale Normen ermöglichen ein friedliches Nebeneinander und bilden zugleich die Voraussetzung für ein effektives Miteinander, also für die gemeinsame Verwirklichung eines bestimmten Zieles (z.B. Regelung des Straßenverkehrs, Nutzung natürlicher Ressourcen, alle Formen der Arbeitsteilung).

o Integration Soziale Normen sind die konkrete Ausformung von Werten, Interessen und Leitbildern. Als solche sind sie ein wichtiges Mittel zur Integration sozialer Gruppen. Die Integration durch einen gemeinsamen Normenkodex ist auf allen Ebenen gesellschaftlicher Gruppierungen (also nicht nur auf einer politisch-ideologischen Ebene) zu finden (z.B. die Angler, die Jäger, die Kegler, aber auch die Rocker, die Piraten, die Revolutionäre u.s.w.).

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3. Die Durchsetzung sozialer Normen Die Durchsetzung sozialer Normen erfolgt im Wege der „sozialen Kontrolle“ (= soziale bzw. gesellschaftliche Steuerung). Gegen denjenigen, der gegen eine soziale Norm verstößt, werden Sanktionen verhängt.

1. Verstöße gegen informelle Normen (z.B. Gebote der Höflichkeit, der Moral, des Anstandes) führen zu informellen Sanktionen (z.B. verbale Missbilligung, moralische Verurteilung durch die Öffentlichkeit, Preisgabe zur Lächerlichkeit, Prestigeverlust, Versagen sozialer Anerkennung, Ausschluss aus einer sozialen Gruppe u.s.w.).

2. Verstöße gegen formelle Normen (z.B. Gesetze, Verordnungen, Urteile) führen zu formellen (= rechtlichen) Sanktionen.

Im Gegensatz zu anderen sozialen Normen ist die Einhaltung des Rechts durch organisierten Zwang abgesichert. Entscheidendes Charakteristikum des Rechts = Technik seiner Durchsetzung

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Befolgung des Rechts ist erzwingbar:

1. Absicherung der Befolgung durch Zwangsmöglichkeiten (z.B. Geldstrafen, Haftstrafen, Ersatzvornahme, Beugestrafen u.s.w.)

2. Durchsetzung erfolgt in einem eigenen, rechtlich geregelten Verfahren (z.B. Exektionsverfahren nach der Exekutionsordnung; Konkursverfahren nach der Konkursordnung; verwaltungsrechtliches Vollstreckungsverfahren nach dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz u.s.w.)

3. Faktisch wird das Recht von eigens hierfür eingesetzten Organen durchgesetzt (z.B. Exekutionsrichter und gerichtlicher Vollstreckungsbeamter u.s.w.)

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4. Die Funktionen des Rechts Neben den allgemeinen Funktionen, die soziale Normen erfüllen, hat das Recht noch eine Reihe weiterer spezifischer Funktionen:

A) Sicherung des inneren Friedens

Konfliktlösung

Monopolisierung der Rechtsdurchsetzung beim Staat (Sicherung objektiver Entscheidungen) bei gleichzeitigem grundsätzlichem Verbot der Selbsthilfe (Gesetz kennt nur wenige Ausnahmen, z.B. Notwehr, Nothilfe, strafrechtliche Nacheile und Anhalterecht) und der Gewaltanwendung.

Konfliktvorbeugung

Das materielle Recht nimmt bereits eine Vielzahl von möglichen Konfliktsituationen vorweg. Indem es für jedermann sichtbar klarlegt, welche Rechte und Pflichten sich aus Rechtsbeziehungen ergeben, verhindert es prinzipiell von vornherein Auseinandersetzungen. Konflikte entstehen:

- bei Rechtsunkenntnis - bei zweifelhafter rechtlicher Regelung - bei bewußter Hinwegsetzung über das Recht.

B) Freiheitssicherung

o Das Recht schützt uns vor Übergriffen anderer in unsere Freiheitssphäre (z.B. durch das Strafrecht, das Verwaltungsrecht, aber auch das Zivilrecht)

o Das Recht sichert uns vor ungerechtfertigten Eingriffen des Staates

in unsere Freiheit (z.B. durch grundrechtliche Garantien, durch Rechtsschutzeinrichtungen, durch die Verwirklichung des Prinzips

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der Gewaltenteilung, durch das Legalitätsprinzip, durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit)

o Das Recht stellt uns rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten zur

Bestätigung unserer Freiheit zur Verfügung (z.B. durch Anerkennung und Absicherung der Privatautonomie)

C) Gewährleistung rechtlicher Gleichheit

Formelle Gleichheit

Gleiche Anwendung der Gesetze auf alle Rechtsunterworfenen

Materielle Gleichheit

Herstellung derselben sozialen Verhältnisse und Chancen

D) Sozialer Ausgleich und soziale Sicherung Entwicklung des Staates vom liberalen „Nachtwächterstaat“ zum modernen „Sozial- und Leistungsstaat“.

E) Steuerung gesellschaftlicher Prozesse Der Staat darf sich nicht damit begnügen, lediglich den Raum für eine ungestörte Entfaltung der gesellschaftlichen Kräfte zu sichern. Er muss vielmehr aktiv tätig werden, um z.B. sozial Schwache zu schützen und zu fördern, die Gefahren neuer Technologien hintan zu halten, eine sinnvolle Ressourcennutzung zu garantieren, den vorhandenen Lebensraum sinnvoll zu nutzen und zu gestalten etc. etc.

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5. Die Entstehung von Recht

Recht = System von Anordnungen für menschliches Verhalten

A) Gewohnheitsrecht In früheren Zeiten galt ausschließlich Gewohnheitsrecht. Dabei handelt es sich um Rechtsregeln, die durch

- lang dauernde, gleichförmige Übung und - in der Überzeugung, dass durch dieses Verhalten

Recht geschaffen wird („opinio iuris“), entstehen. Gewohnheitsrecht war auch dem Herrscher vorgegeben. Seine Aufgabe bestand nicht in der Schaffung neuen Rechts, sondern in der Bewahrung und Durchsetzung des vorgegebenen Rechts. Problem: Eine aus Gewohnheitsrecht bestehende Rechtsordnung setzt vergleichsweise statische Verhältnisse voraus. – Stete Wiederkehr gleichartiger Probleme. Gesellschaftspolitischer Wandel (Aufstreben der Städte, Entwicklung des Waren- und Geldverkehrs, Entdeckungen, Fernhandel, Umwälzung der Kriegstechnik etc.) machte Umdenken erforderlich. Ausschlaggebendes Ereignis: Glaubensspaltung im 16. Jhdt. – Bis dahin hatte die Sozialordnung und damit auch das Recht als Teil derselben ein religiöses Fundament. Nunmehr geriet der Inhalt des göttlichen Willens in Streit. Ende des Streites bedurfte einer Instanz, die sich über die Bürgerkriegsparteien erhob und sie – trotz religiöser Meinungsverschiedenheiten – mit Machtvollkommenheit zum friedlichen Zusammenleben zwang

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B) Gesatztes Recht („Positives Recht“) Recht ist heute im Wesentlichen nur noch ein Produkt staatlicher Entscheidung. Voraussetzung der Entwicklung: Ausbildung der besonderen Machtposition der Landesfürsten im Gefolge der Religionskriege Der „Staat“ ist in rechtlicher Hinsicht eine Gebietskörperschaft (= juristische Person) mit oberster, unabgeleiteter Anordnungsgewalt, die zugleich Gebietsherrschaft und Personenherrschaft ausübt. Nach Hans Kelsen besteht eine Identität von Staat und Recht (Staat = Rechtsordnung). Positives Recht =

- von der zuständigen Rechtsetzungsautorität (von Menschen für Menschen) gesetzte („positivierte“) Regelungen

- die regelmäßig wirksam („effektiv“) sind (also von den Rechtsunterworfenen befolgt werden) und

- die im Falle der Nichtbefolgung zwangsweise durchgesetzt werden können (Androhung und Durchführung organisierten Zwanges)

Arten von Rechtsnormen

o Gebotsnormen Verpflichten zu einem Tun oder Unterlassen

o Verbotsnormen Untersagen ein bestimmtes Verhalten

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o Ermächtigungsnormen Räumen Personen oder Personengruppen (= Organisationsrecht) unter Einhaltung einer bestimmten Vorgangsweise (= Verfahrensrecht) die Befugnis zur Setzung von Rechtsnormen oder von sonstigen Rechtsakten sowie zur Durchführung von Vollzugshandlungen ein

o Erlaubnisnormen Erlauben ein bestimmtes menschliches Verhalten C) Naturrecht Dahinter steht die Auffassung, dass es (gleich den physikalischen Naturgesetzen) unverrrückbare nicht gesatzte, außerstaatliche Rechtsnormen gibt, die entweder der menschlichen Vernunft vorgegeben (= rationalistische Naturrechtslehre) oder kraft göttlicher Anordnung (= christliche Naturrechtslehre) festgelegt sind. Grundlegendes Problem: Ein aus der Natur (des Menschen) ableitbares Recht („ius naturae“), das zu jeder Zeit und an jedem Ort und in jeder Gesellschaft und im Detail gilt, gibt es nicht. Anerkannt sind in zivilisierten Kulturbereichen indessen einige wenige oberste Naturrechtssätze, wie etwa

- das Verbot der willkürlichen Tötung - das Verbot der Sklaverei - das Verbot des Menschlichkeitsverbrechens - das Verbot des Angriffskrieges - der Grundsatz „pacta sunt servanda“. § 16 ABGB: „Jeder Mensch hat angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte und ist daher als Person zu betrachten.“

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6. Gerechtigkeit und Recht

A) Allgemeines

Gerechtigkeitsgefühl = Wertung

Gerechtigkeitsbegriff bezieht sich auf Normen und Normenordnungen

sowie auf Menschen (= Handlungssubjekte) und menschliche

Handlungen

Nicht jede vernünftige Handlung ist gleichzeitig auch gerecht zu

nennen

z.B. ein Spaziergang an der frischen Luft, ein gutes Buch zu

lesen oder eine gesunde

Mahlzeit zu sich zu nehmen

Nicht jede unzweckmäßige Norm ist bereits per se ungerecht

z.B. eine verfehlte Verkehrsregelung

Handlungen und Handlungssubjekte sowie Normen und

Normenordnungen sind nur insofern Gegenstände des

Gerechtigkeitsurteils, als sie sich auf ein Geben oder Nehmen, ein

Fordern oder Verweigern, auf die Verteilung und den Ausgleich

von Gütern und Lasten beziehen.

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Grundlegende Frage lautet: Welches ist der Wertmaßstab, der in

einem Gerechtigkeitsurteil angelegt wird?

B) Gerechtigkeitsformeln

• Jedem das Seine

• Jedem das Gleiche

• Jedem nach seiner Natur

• Jedem gemäß seinem Rang

• Jedem gemäß seiner Leistung

• Jedem nach seinem Bedürfnis

• Jedem ein Höchstmaß an Freiheit

• Jedem gemäß dem ihm vom Gesetz Zugeteilten

Hans Kelsen:

Alle bekannten Gerechtigkeitsformeln sind entweder inhaltsleer oder

führen zu verschiedenen Ergebnissen. Rational oder wissenschaftlich

ist nicht zu entscheiden, welcher Formel der Vorzug gebührt. Es gibt

daher nicht nur einen, sondern viele Gerechtigkeitsbegriffe, und

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die Entscheidung zwischen ihnen ist eine Sache subjektiver

Wertung (= Standpunkt des Wertrelativismus).

Ältester, am meisten verwendeter, inhaltsärmster und am meisten

missbrauchter Gerechtigkeitsbegriff: Jedem das Seine.

Das darin enthaltene Gebot richtet sich sowohl an den einfachen

Rechtsgenossen als an den Richter und den Gesetzgeber

• Handlung ist gerecht, wenn sie dem Gebot, jedem das Seine zu

geben oder zu belassen, entspricht

• Mensch ist gerecht, wenn er den beständigen und festen Willen

hat, diesem Gebot zu entsprechen

• Norm ist gerecht, wenn sie gebietet, erlaubt oder ermächtigt,

jedem das Seine zu geben oder zu belassen, oder verbietet,

jemandem das Seine zu nehmen

• Rechtsordnung ist gerecht, wenn sie so eingerichtet ist, dass in

ihr jedem das Seine gegeben oder belassen wird

Was aber bedeutet „Jedem das Seine“? Maßstab dessen, was einem

zusteht, ist das Recht.

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C) Arten der Gerechtigkeit

a. Austeilende oder Verteilungsgerechtigkeit (iustitia distributiva)

obliegt jedem, der etwas zu verteilen hat

z.B. Eltern an Kind, Reicher gegenüber Armem, Staat im Verhältnis

zum Bürger

b. Ausgleichende oder Tauschgerechtigkeit, einschließlich

Wiedergutmachungs- und Strafgerechtigkeit (iustitia commutativa,

restitutiva, vindicativa)

Hat ihren Ort im Verhältnis der Bürger untereinander

Jeder Bürger hat dem anderen zu geben oder zu belassen, was ihm

zukommt (verlangt nach Tauschgerechtigkeit – Gleichwertigkeit

vertraglich ausgetauschter Güter und Leistungen)

Strafgerechtigkeit „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ (Frühzeit des

Rechts – Blutrache)

Aristoteles, Thomas von Aquin:

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Unterscheidung zwischen

• allgemeiner Gerechtigkeit (iustitia universalis) und

• besonderer Gerechtigkeit (iustitia particularis)

Allgemeine Gerechtigkeit: Der Bürger hat dem Staat zu geben, was

des Staates ist – Ausrichtung der Handlungen auf das Gemeinwohl

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Staat

(Ganzes, Gemeinwesen, Gemeinschaft)

Allgemeine Gerechtigkeit Besondere Gerechtigkeit

(iustitia universalis) als austeilende Gerechtigk.

(iustitia paricularis distribu-

tiva)

Bürger Bürger

(Teil, Einzelwesen, Individuum)

besondere Gerechtigkeit als ausgleichende Gerechtigkeit

(iustitia particularis commutativa/restitutiva/vindicativa)

D) Gerechtigkeitstheorien

a. Analytische Gerechtigkeitstheorien

Theorien über logische Strukturen und sprachliche Gehalte des

Gerechtigkeitsbegriffs und seine Verwendung in

Gerechtigkeitsurteilen

b. Empirische Gerechtigkeitstheorien

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Theorien darüber, welche Gerechtigkeitsvorstellungen in einer

Gesellschaft tatsächlich vertreten wurden oder werden, wie sie

psychologisch oder ökonomisch zu erklären sind und welche Rolle sie

in welcher Hinsicht tatsächlich gespielt haben oder spielen.

c. Normative Gerechtigkeitstheorien

Theorien darüber, welche Gerechtigkeitsvorstellungen und –urteile

ethisch gerechtfertigt sind bzw. auf welche Weise sie sich ethisch

rechtfertigen lassen.

(a). Materiale Gerechtigkeitstheorien

Theorien darüber, was gerecht und ungerecht ist

- vom Naturrechtstypus

- vom Vernunftrechtstypus

(b). Prozedurale Gerechtigkeitstheorien

Normative Theorien über Methoden der Erzeugung gerechten

Rechts oder der

Rechtfertigung von Gerechtigkeitsurteilen

(1) Gerechtigkeitserzeugungstheorien

- Theorien staatlicher Rechtserzeugung

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- Theorien privatautonomer Rechtserzeugung

(2) Gerechtigkeitsbegründungstheorien

- Argumentationstheorien der Gerechtigkeit

- Entscheidungstheorien der Gerechtigkeit

Problem:

• Vielfalt der einschlägigen Gerechtigkeitstheorien

• Schwierigkeit der Einlösung der von den

Argumentationstheorien formulierten Rationalitäts-

bedingungen

Folgerung:

Juristischer Positivismus: Es besteht kein notwendiger

Zusammenhang zwischen Moral und Recht. Dem gemäß kann jeder

beliebige Inhalt, mag er auch moralisch verwerflich sein, positives

Recht sein.

Vgl. dazu etwa Hans Kelsen:

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„Dass Gerechtigkeit kein das Recht von anderen Zwangsordnungen

unterscheidendes Merkmal sein kann, ergibt sich aus dem relativen Charakter

des Werturteils, demzufolge eine Gesellschaftsordnung gerecht ist. [….] Wird

Gerechtigkeit als Kriterium der als Recht zu bezeichnenden normativen

Ordnung angenommen, dann sind die kapitalistischen Zwangsordnungen der

westlichen Welt, vom Standpunkt des kommunistischen Gerechtigkeitsideals,

und die kommunistische Zwangsordnung der Sowjetunion, vom Standpunkt des

kapitalistischen Gerechtigkeitsideals, kein Recht. Ein zu solcher Konsequenz

führender Begriff des Rechts kann von einer positivistischen Rechtswissenschaft

nicht akzeptiert werden. Eine Rechtsordnung mag vom Standpunkt einer

bestimmten Gerechtigkeitsnorm aus als ungerecht beurteilt werden. Aber die

Tatsache, dass der Inhalt einer wirksamen Zwangsordnung als ungerecht

beurteilt werden kann, ist jedenfalls kein Grund, diese Zwangsordnung nicht als

Rechtsordnung gelten zu lassen.“

In diesem Sinne auch Gustav Radbruch:

„Für den Richter ist es Berufspflicht, den Geltungswillen des Gesetzes zur

Geltung zu bringen, das eigene Rechtsgefühl dem autoritativen Gesetzesbefehl

zu opfern, nur zu fragen, was Rechtens ist, und niemals, ob es auch gerecht sei.

Man möchte freilich fragen, ob diese Richterpflicht selbst, dieses sacrificium

intellectus, diese Blankohingabe der eigenen Persönlichkeit an eine

Rechtsordnung, deren künftige Wandlungen man nicht einmal ahnen kann,

sittlich möglich sei. Aber wie ungerecht immer das Recht seinem Inhalt nach

sich gestalten möge – es hat sich gezeigt, dass es einen Zweck stets, schon durch

sein Dasein, erfüllt, den der Rechtssicherheit. Der Richter, indem er sich dem

Gesetze ohne Rücksicht auf seine Gerechtigkeit dienstbar macht, wird also

trotzdem nicht bloß zufälligen Zwecken der Willkür dienstbar. Auch wenn er,

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weil das Gesetz es so will, aufhört, Diener der Gerechtigkeit zu sein, bleibt er

noch immer Diener der Rechtssicherheit. Wir verachten den Pfarrer, der gegen

seine Überzeugung predigt, aber wir verehren den Richter, der sich durch sein

widerstrebendes Rechtsgefühl in seiner Gesetzestreue nicht beirren lässt.“

Radbruch’sche Formel: Im Konflikt zwischen staatlichem Recht und Gerechtigkeit gebührt dem staatlichen Recht aus Gründen der Rechtssicherheit grundsätzlich der Vorzug, es sei denn, dass der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht hat, dass das Gesetz als „ein unrichtiges Recht“ der Gerechtigkeit zu weichen hat. Zur Frage der Gültigkeit des Widerstandsrechts im modernen demokratischen Rechtsstaat westlicher Prägung: Für ein legitimes Widerstandsrecht bleibt de facto kein Raum Bürger kann sich in den demokratischen Willensbildungsprozess einbringen:

• Teilnahme an freien Wahlen • Beteiligung an direkt-demokratischen

Mitwirkungsmöglichkeiten (Volksbegehren) • Mitarbeit in einer politischen Partei • Beteiligung an legalen Demonstrationen • Gründung einer eigenen politischen Partei

Schutz des Bürgers vor dem Missbrauch staatlicher Gewalt durch lückenloses Rechtsschutzsystem

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Verwirklichung materieller Gerechtigkeit durch Grundrechtskataloge (in Österreich: StGG 1867; EMRK; Bundesverfassungsgesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit; UN-Pakte über wirtschaftliche, kulturelle und soziale Rechte bzw. über bürgerliche und politische Rechte usw.) Bindung des Gesetzgebers und der hoheitlichen Verwaltung an die Grundrechte Überwachung der Einhaltung der Grundrechte durch allgemeine oder spezielle Gerichte (in Österreich: Verfassungsgerichtshof) Beschwerdemöglichkeiten des Bürgers vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts Aufhebung verfassungswidriger Gesetze und Verordnungen (Art. 139 und 140 B-VG) bzw. verfassungswidriger Bescheide (Art. 144 B-VG) durch den Verfassungsgerichtshof Ergebnis: In Österreich, aber auch in den anderen Staaten der westlichen Demokratien, braucht sich kein Bürger auf überpositives Recht (Widerstandsrecht) zu berufen, wenn er ein Gesetz oder einen gesetzlich geregelten Zustand für ungerecht hält. Allerdings garantieren die vorhandenen Rechtsschutz- und Kontrolleinrichtungen nicht automatisch, dass der Bürger mit seinen Gerechtigkeitsvorstellungen als solchen auch durchdringt! Offen bleibt freilich, wer die Richtigkeit der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes überprüft; hier gibt es keine weitere Kontrollinstanz („Der Wächter überwacht sich selbst“)

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7. Rechtstheoretische Grundbegriffe A) Objektives Recht – Subjektives Recht

o Objektives Recht = Summe der geltenden Rechtsnormen

o Subjektives Recht = Individueller Anspruch des Rechtsunterworfenen auf Einhaltung von objektiven Rechtsvorschriften. Subjektive Rechte vermitteln dem Einzelnen die Rechtsmacht, vom Staat zur Verfolgung seiner (ganz persönlichen) Interessen ein bestimmtes Verhalten zu verlangen B) Materielles Recht – formelles Recht

o Materielles Recht = Regelt, unter welchen Voraussetzungen ein bestimmtes Tun oder Unterlassen rechtlich erlaubt, geboten oder verboten ist (dient also der Verhaltenssteuerung der Rechtsunterworfenen)

o Formelles Recht = Regelt,

- wer zur Vollziehung materieller Rechtsvorschriften berufen ist (= Organisationsrecht) und

- wie dabei vorzugehen ist (= Verfahrensrecht im engeren Sinne)

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C) Zwingendes Recht – nachgiebiges Recht

o Zwingendes Recht („ius cogens“) = Kann durch Parteienvereinbarung nicht ab bedungen oder abgeändert werden (z.B. nahezu sämtliche Normen des öffentlichen Rechts, aber auch Vorschriften betreffend den Schutz von Arbeitnehmern, Mietern, Konsumenten etc.)

o Nachgiebiges Recht („dispositives Recht“) = Kann durch Parteienvereinbarung abgeändert oder gar gänzlich abbedungen werden (z.B. gilt etwa im Bereich des Schuldrechtes des ABGB der Grundsatz der Privatautonomie. Die Regeln des ABGB greifen nur „ergänzend“ ein, wenn dies angezeigt erscheint)

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8. Stufenbau der Rechtsordnung Bei Betrachtung der Rechtsordnung zeigt sich, dass es „höhere“ und „niedrigere“ Arten von Rechtsvorschriften gibt. Die Rechtsordnung stellt sich als ein System von Regeln dar, die einander hierarchisch über- und untergeordnet sind. Das rechtstheoretische Modell vom Stufenbau der Rechtsordnung dient der Beschreibung der Beziehungen bzw. des wechselseitigen Zusammenhanges zwischen den Normen der höheren und der niedrigeren Stufe. Stufenbau der Rechtserzeugung (= Entstehungszusammenhang) - die höherrangige Norm gibt die Erzeugungsbedingungen für die niederrangige Norm vor - das Recht setzende Organ ist bei der Erzeugung der Norm an die höherrangige Norm gebunden (heteronome Determinante), hat zumeist aber auch einen ihm verbleibenden Bereich rechtlicher Gestaltungsfreiheit (autonome Determinante) Stufenbau nach der inhaltlichen Bedingung (= Bedingungs- bzw. Inhaltszusammenhang - die höherrangige Norm ist inhaltliche Bedingung für die rangniedrigere Norm; sie gestaltet die rangniedrigere Norm inhaltlich (= „materiell“) aus Stufenbau nach der derogatorischen Kraft - die niederrangige Norm muss mit der höherrangigen Norm in Einklang stehen - die niederrangige Norm kann die höherrangige Norm grundsätzlich nicht außer Kraft setzen oder ändern

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Stufenbau des nationalen Rechts (unter Berücksichtigung des Gemeinschaftsrechts)

Grundprinzipien (Baugesetze) der Bundesverfassung

Gemeinschaftsrecht (primäres Gemeinschaftsrecht

sekundäres Gemeinschaftsrecht)

Bundesverfassungsrecht

Landesverfassungsrecht

Bundesgesetze Landesgesetze

Verordnungen

Individuelle Vollzugsnormen (Urteile, Bescheide, Maßnahmen)

Vollstreckungsakte

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Öffentliches Recht – Privatrecht Die Unterscheidung wurde bereits im Römischen Recht entwickelt: „publicum ius est, quod ad statum rei Romanae spectat, privatum, quod ad singulorum utilitatem“. Unterscheidungstheorien:

- Interessenstheorie Differenzierung nach dem Bereich des Staates und nach dem Bereich der Privatpersonen (heute kaum mehr vertreten)

- Subjektstheorie Um öffentliches Recht handelt es sich dort, wo der Staat am Rechtsverhältnis beteiligt ist, um Privatrecht dort, wo nur Privatrechtssubjekte am Rechtsverhältnis beteiligt sind

- Subjektionstheorie Um öffentliches Recht handelt es sich dort, wo Rechtsbeziehungen zwischen übergeordneten Rechtssubjekten und untergeordneten Rechtssubjekten bestehen, um Privatrecht, wo Beziehungen zwischen gleichrangigen Rechtssubjekten bestehen Folgen der Unterscheidung: Die wichtigste Folge besteht in der Rechtsdurchsetzung: Öffentliches Recht wird vor den Verwaltungsbehörden im Verwaltungsrechtszug durchgesetzt Im Privatrecht gründende Ansprüche sind vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen (vgl. § 1 JN)

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II.

VERFASSUNG UND VERFASSUNGSORDNUNG

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1. Verfassungsbegriff Verfassung = rechtliche Grundordnung des Staatsverbandes; „Spielregel“, nach der politische Entscheidungsprozesse im Staat ablaufen Jede Verfassungen enthält Aussagen über

- Staatsform (z.B. Monarchie, Republik) - Struktur des Staatsverbandes (Gliederung des

Staates, z.B. Bundesstaat, zentralistischer Einheitsstaat)

- Staatszwecke - Außenbeziehungen des Staates - Staatsorganisation (Einrichtung, Bestellung,

Aufgaben und Verantwortlichkeit der Staatsorgane) - Staatsfunktionen (Gesetzgebung, Gerichtsbarkeit,

Verwaltung) - Kontrolle der Staatstätigkeit - Rechtsstellung des Bürgers zum Staat (z.B.

Grundrechtskatalog, demokratische Mitwirkungsrechte etc.)

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2. Verfassungsrecht – einfache Gesetze Der Unterschied ist nach der österreichischen Verfassungsordnung kein inhaltlicher, sondern lediglich ein formaler. Der Unterschied liegt in den parlamentarischen Beschlusserfordernissen und in der Bezeichnungspflicht Verfassungsgesetze (Art. 44 Abs. 1 B-VG) - bedürfen der Anwesenheit von wenigstens der Hälfte der NR-Mitglieder (= Präsensquorum von mind. 50 %) und der Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen (= Konsensquorum von 2/3) - sind ausdrücklich als „Verfassungsgesetz“ oder „Verfassungsbestimmung“ zu bezeichnen (Bezeichnungspflicht) Einfache Gesetze (Art. 31 B-VG) - bedürfen der Anwesenheit von einem Drittel der NR-Mitglieder (= Präsensquorum von 33,3 %) und die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen (= Konsensquorum von mind. 50 % + 1) Baugesetze der Bundesverfassung (Art 44 Abs. 3 B-VG) können nur mit den für die Erlassung von Verfassungsrecht geltenden Mehrheiten beseitigt oder wesentlich geändert werden und bedürfen überdies einer Volksabstimmung

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3. Quellen des Verfassungsrechts Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) (vom 1.10.1920 i.d.F. von 1929 Bundesverfassungsgesetze außerhalb des B-VG (z.B. StGG über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, RGBl. Nr. 142/1867 sowie weitere in Art. 149 B-VG genannte Gesetze; BVG über die Neutralität Österreichs; BVG Rundfunk; BVG Umweltschutz; BVG Schutz der persönlichen Freiheit; Finanz-Verfassungsgesetz u.s.w.) Verfassungsbestimmungen in einfachen Bundesgesetzen Verfassungsrangige Staatsverträge (z.B. Europäische Menschenrechtskonvention) Verfassungsrangige Bestimmungen in gesetzesrangigen Staatsverträgen

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4. Interpretation von Rechtsvorschriften Interpretation = Ermittlung des Sinnes einer Norm

Interpretations-Methoden: vgl. §§ 6 ff ABGB

a) Objektive Interpretationsmethoden = Ermittlung des

problemrelevanten Gehaltes des Gesetzes ausschließlich am Gesetzestext

selbst

• Wortinterpretation (grammatikalische Interpretation): Auslegung von

Begriffen nach dem allgemeinen Sprachverständnis (Gesetzgeber kann

aber auch Legaldefinitionen vorgeben)

• Systematisch-logische Interpretation: Betrachtung einer Norm muss

stets im Zusammenhang mit der Gesamtregelung erfolgen

• Teleologische Interpretation: Orientierung am objektiven Zweck der

Regelung (welchen Sinn hat eine Regelung?)

b) Subjektive Interpretationsmethoden = Orientierung der Auslegung an

der Absicht des historischen Gesetzgebers

• Historische Auslegung: Wille oder Absicht des „historischen“

Gesetzgebers maßgeblich (ergibt sich etwa aus den Gesetzesmaterialien,

wie etwa der Regierungsvorlage etc.)

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Besonderheit der Verfassungsinterpretation:

„Versteinerungstheorie“ = Verfassungsbegriffe sind so zu verstehen, wie sie

von der RO zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens verstanden worden sind

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III.

DIE BAUGESETZE DER

BUNDESVERFASSUNG

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A. Begriff der Baugesetze

Baugesetze = leitende Grundsätze der Bundesverfassung; tragende

Prinzipien der Verfassung, die das System der Verfassung

maßgebend bestimmen und tragen

Besonderheit:

Änderung stellt Gesamtänderung der Verfassung i.S.v. Art. 44 Abs.

3 B-VG dar

Erfordert:

• Qualifizierte Mehrheit im NR (Verfassungsquorum)

• Obligatorische Volksabstimmung

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B. Baugesetze der Bundesverfassung

1. Demokratie = Volksherrschaft („Identität von Herrschern und Beherrschten“)

(nach Aristoteles gibt es zahlreiche gute und schlechte Herrschaftsformen, die

einander im Verlaufe der Zeit abwechseln; an guten Formen nennt er

Demokratie-Aristokratie-Monarchie, an schlechten Formen Ochlokratie-

Oligarchie-Tyrannis)

Funktionsweise:

• Direkte (unmittelbare) Demokratie = Von der Entscheidung Betroffene

Bevölkerung fällt diese selbst (z.T. noch in der Schweiz üblich)

• Indirekte (mittelbare, repräsentative) Demokratie: Mitwirkung des

Volkes am politischen Willensbildungsprozess beschränkt sich auf Wahl

der Volksvertreter

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Österreich = Indirekte (repräsentative) Demokratie mit direkt-

demokratischen Elementen:

Repräsentative Grundstruktur:

• Bestimmungen betreffend Wahl des NR (Art. 26 B-VG; NRWO)

Direkt-demokratische Elemente:

• Volksbefragung (Art. 49b B-VG)

• Volksbegehren (Art. 41 Abs. 2 B-VG)

• Volksabstimmung (Art. 43, 44 Abs. 3 B-VG)

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2. Republik Republik = jede Staatsform, die keine Monarchie ist

Entscheidend ist die rechtliche Stellung des Staatsoberhauptes:

• Monarchie = Staatsoberhaupt auf Grund einer dynastischen Erbfolge auf

Lebenszeit bestellt

• Republik = Staatsoberhaupt ist ein vom Volk (unmittelbar oder mittelbar)

gewähltes, rechtlich und politisch verantwortliches Staatsorgan mit

zeitlich begrenzter Amtsdauer

Österreich = Republik

• Programmatische Bestimmung in Art. 1 B-VG („Österreich ist eine

demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“)

• Bestimmungen betreffend Wahl und Aufgaben des Bundespräsidenten

(Art 60 ff B-VG; BPräsWG)

• Gesetz betreffend die Landesverweisung und die Übernahme des

Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen, StGBl. Nr. 209/1919

3. Bundesstaat

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Bundesstaat = Verbindung von mehreren (nichtsouveränen) (Teil-

)Staaten zu einem (souveränen) Gesamtstaat. Die Regelung des

Rechtsverhältnisses zwischen Gesamtstaat und Teilstaaten erfolgt

durch innerstaatliches Recht (Verfassungsrecht)

Österreich = kooperativer Bundesstaat mit zentralistischen

Tendenzen:

Bundesstaat ist historisch aus Kronländern gewachsen. Hinsichtlich der

Entstehung gibt es mehrere Theorien, z.B.:

• Föderalistische Bundesstaatstheorie: Bundesstaat ist „von unten“ durch

freiwilligen Zusammenschluss der Länder entstanden

• Zentralistische Bundesstaatstheorie: Bundesstaat ist nach dem

Zusammenbruch der Monarchie „von oben her“ begründet worden (StGG

vom 14.11.1918 betreffend die Übernahme der Staatsgewalt in den

Ländern)

Bundesstaat ist relativ schwach ausgebildet; Bund hat Übergewicht an

Kompetenzen; Einfluss der Länderkammer (BR) auf Gesetzgebung ist gering

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Elemente der Bundesstaatlichkeit:

• Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung durch den BR (Art. 42 B-

VG)

• Relativ autonome Landesgesetzgebung (Art. 95 ff B-VG)

• Relativ autonome Landesverwaltung (Art. 101 ff B-VG)

• Mitwirkung der Länder an der Vollziehung des Bundes im Rahmen der

mittelbaren Bundesverwaltung (Art. 102 ff B-VG)

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4. Rechtsstaat

Rechtsstaat = kann sowohl formell als auch materiell verstanden

werden; wesentlich ist der mit dem Rechtsstaat verbundene Gedanke

der Berechenbarkeit staatlichen Handelns und die damit

einhergehende Rechtssicherheit

• Formeller Rechtsstaat = Staat, dessen Rechtsordnung inhaltlich relativ

bestimmt ist und der entsprechende Einrichtungen zur Sicherung der

Einhaltung der Rechtsvorschriften vorsieht

• Materieller Rechtsstaat = setzt Werterfüllung der Rechtsvorschriften als

wesentliche Bedingung voraus (Verwirklichung von Gerechtigkeit mit

den Mitteln des Rechts)

Österreich = formeller Rechtsstaat mit materiell-rechtlichen

Ansätzen:

Formelle Elemente:

• Stufenbau der Rechtsordnung

• Legalitätsprinzip (Art. 18 Abs. 1 B-VG)

• Vorhandensein einer unabhängigen (ordentlichen) Gerichtsbarkeit

• Vorhandensein von Rechtsschutzeinrichtungen (VfGH; VwGH)

• Vorhandensein von Kontrolleinrichtungen (RH; VA)

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Materielle Elemente:

• Grundrechte (StGG; EMRK)

• Staatszielbestimmungen

Gesetzesbindung und Rechtsschutz stehen nach der österreichischen

Bundesverfassung im Vordergrund des Rechtsstaatsgedankens

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5. Gewaltenteilung

Gedanke geht zurück auf Antike (Aristoteles); wurde erst durch John

Locke („Two Treatises of Government“) und vor allem Charles des

Secondat, Baron de Montesquieu („De L’esprit des Loix“) wieder

belebt

Grundgedanke = Möglichkeiten politischer Machtausübung sollen

nicht in einer einzigen Hand vereint, sondern auf verschiedene

Funktionsträger verteilt sein – Schutz des Einzelnen vor Willkür und

Übergriffen politischer Macht

• Formelle Gewaltentrennung = Aufteilung der Staatsfunktionen auf

organisatorisch unterschiedliche Funktionsträger [Gesetzgebung

(Legislative) – Vollziehung in Form von Gerichtsbarkeit (Judikative)

und Verwaltung (Exekutive)]

• Materielle Gewaltentrennung = inhaltliche Trennung der

Staatsfunktionen – Funktionsträger hat nur bestimmte Aufgaben zu

erfüllen

Österreich = überwiegend formelle Gewaltentrennung verwirklicht mit

gewaltverbindenden materiellen Elementen

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Gewaltentrennung von Verfassungs wegen nur explizit im Verhältnis zwischen

Gericht und Verwaltung angesprochen:

Trennung der Gerichtsbarkeit von der Verwaltung (Art. 94 B-VG)

• Keine organisatorischen Mischformen Gericht/Verwaltung

• Keine Instanzenzüge zwischen Gericht und Verwaltung

• Keine Weisungsbeziehungen zwischen Gericht und Verwaltung Gewaltentrennung im Verhältnis Gesetzgebung und Vollziehung

(Gerichtsbarkeit und Verwaltung) wird vom Gesamtkonzept der Verfassung mit

umfasst, ohne eigens angesprochen zu werden

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C. Staatszielbestimmungen

Verfassung enthält neben den Baugesetzen auch positive Zielvorgaben für die

Gestaltung der Gesetzgebung und Vollziehung (= Staatszielbestimmungen)

Inhalt der Staatszielbestimmungen ist zumeist relativ unbestimmt (Problem

ihrer Verbindlichkeit); im Gegensatz zu den Grundrechten gewährleisten sie

keine subjektiven Rechte

Staatszielbestimmungen im Rang eines Bundesverfassungsgesetzes:

• Verbot nazistischer Tätigkeit

• Dauernde Neutralität

• Umfassende Landesverteidigung

• Umweltschutz

• Gleichbehandlung von Behinderten

• Gleichstellung von Mann und Frau

• Schutz der Volksgruppen

• Rundfunk als öffentliche Aufgabe

• Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht

Daneben gibt es auch eine Reihe von Staatszielbestimmungen in

Landesverfassungen

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IV. ALLGEMEINES VERWALTUNGSRECHT

UND VERWALTUNGSVERFAHRENSRECHT

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Verwaltung und Verwaltungsrecht

1. Kapitel: Grundlagen I. Verwaltungsbegriff A. Materieller (inhaltsbezogener) Verwaltungsbegriff Die Verwaltung ist ein Mittel des Staates zur Erhaltung und Gestaltung der Sozialordnung. Die im Staat auftretenden divergierenden Gruppen und Interessen sollen im Sinne der Kompromissbildung zusammengehalten werden. Eine inhaltliche Begriffsbestimmung ist zufolge der Vielfalt der Verwaltungstätigkeit und -aufgaben schwierig. Das zeigt sich schon an Hand der verselbständigten Bereiche des Verwaltungsrechtes, innerhalb derer es wiederum eine Vielzahl von Untergliederungsmöglichkeiten gibt. Verselbständigte Bereiche sind etwa - Wirtschaftsverwaltungsrecht (Sonderrecht der wirtschaftlichen Unternehmungen, wie etwa Gewerberecht, Wettbewerbsrecht etc.; Gesamtheit der Rechtsnormen, die ausschließlich oder vorwiegend im Dienste staatlicher Wirtschaftspolitik stehen, z.B. Vorschriften zur Beschränkung des privaten Konsums zur Schonung wirtschaftlicher Ressourcen); eine weitergehende Einteilung ist möglich in Wirtschaftspolizeirecht; Wirtschaftsaufsichtsrecht; Wirtschaftslenkungsrecht (direkte und indirekte Lenkung [diese wieder als Globalsteuerung oder partikuläre Lenkung]); Recht der öffentlichen Unternehmen; B. Formeller (organisatorischer) Verwaltungsbegriff 1. Definition Die Verwaltung im juristischen Sinn ist eine Staatsfunktion. Als solche ist sie von den beiden anderen Staatsfunktionen Gesetzgebung (Legislative) und Gerichtsbarkeit (Justiz) abzutrennen. Nach der österreichischen Verwaltungsrechtslehre ist Verwaltung die Summe aller staatlichen Vollzugstätigkeiten, die von Verwaltungsorganen erledigt werden. Unter Vollzug ist die Anwendung von Rechtsvorschriften durch Erlassung von individuellen

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Rechtsakten zu verstehen. Für Verwaltungsorgane typisch ist die Weisungsbindung untergeordneter Organe an Weisungen der ihnen vorgesetzten Organe. 2. Abgrenzung gegenüber der Gesetzgebung Tätigkeit des NR und des BR; parlamentarische Hilfsdienste; Rechnungshof; Volksanwaltschaft. 3. Abgrenzung gegenüber der Gerichtsbarkeit Richter: Unabhängigkeit (Weisungsungebundenheit); Unabsetzbarkeit; Unversetzbarkeit. Problematisch sind hier die Angelegenheiten der Justizverwaltung. Sie zählen nur dann zur Gerichtsbarkeit, wenn sie von Kollegialorganen (Senaten, Kommissionen) erledigt werden. II. Gliederungen des Verwaltungsrechts A) Materielles Recht Regelt das „Was“: Verhaltenspflichten in Form von Ge- und Verboten, Ermächtigungen und Erlaubnissen (inhaltliche Vorherbestimmung des Handelns der Verwaltung; klare Festlegung von Rechten und Pflichten der Rechtsunterworfenen). B) Organisationsrecht Regelt das „Wer“: Organe und deren Zuständigkeiten. C) Verfahrensrecht Regelt das „Wie“: Vorgangsweise bei der Rechtsanwendung. Es handelt sich um Regeln, die festlegen, wie bei der Konkretisierung des materiellen Rechts (bei der Konkretisierung des materiellen Rechts im Einzelfall) vorzugehen ist. D) Allgemeines Verwaltungsrecht

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Im Gegensatz zum Zivilrecht oder zum Strafrecht ist das „allgemeine Verwaltungsrecht“ nicht in einem einheitlichen Gesetz zusammengefasst (kodifiziert). Es ist vielmehr auf einen inhomogenen und komplexen Kreis von Einzelgesetzen und Einzelvorschriften verstreut. Die Aufgabe des allgemeinen Verwaltungsrechts besteht darin, im Wege der Abstraktion und Verallgemeinerung aus der Fülle von Einzelvorschriften generelle Organisations- und Systemprinzipien herauszufiltern, um so das Funktionieren der Verwaltung zu erklären. III. Hoheitliche und nichthoheitliche Verwaltung A) Allgemeines Grundsätzlich kann der Staat nicht nur als Träger von Staatsgewalt (imperium) sondern auch als Träger von Privatrechten in Erscheinung treten (vgl. Art 17 B-VG), um seine Verwaltungsaufgaben zu erfüllen. Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit sind stets hoheitliche Funktionen. Maßgebliches Unterscheidungskriterium ist das rechtstechnische Mittel, dessen sich der Staat bedient. Entscheidend ist sohin die Form des staatlichen Handelns. Bedient sich der Staat hoheitlicher Gestaltungsmittel, so liegt Hoheitsverwaltung vor. Bedient er sich derselben Mittel, die auch Privaten zur Verfügung stehen (z.B. Vertrag), so liegt nichthoheitliche Verwaltung oder „Privatwirtschaftsverwaltung“ vor.

Hoheitsverwaltung Privatwirtschaftsverwaltung Über- und Unterordnung Gleichordnung Staat Staat Einzelner Einzelner B) Bereiche der Privatwirtschaftsverwaltung 1. Öffentliche Auftragsvergabe

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Hier geht es vor allem um die Abdeckung des Bedarfes an Personal- (Vertragsbedienstete) und Sachmitteln (Geräte; Werkzeuge; Gebäude usw.), die der Staat für seine Tätigkeit benötigt. 2. Subventionsverwaltung Eine Subvention ist die Gewährung öffentlicher Mittel an Private, die im Gegenzug ein subventionsgerechtes Verhalten zusagen. Die vergebenen Mittel sind sohin zweckgebunden. Häufigste Subventionsmittel sind Kreditvergaben und Zuschüsse. Möglich sind aber auch Haftungsübernahmen und Personalleistungen. 3. Staatliche Unternehmenstätigkeit Hier wird der Staat als privater Unternehmer tätig und beabsichtigt, Einnahmen und Gewinne zu erzielen (erwerbswirtschaftliche Tätigkeit des Staates). Entfaltet wird die wirtschaftliche Tätigkeit in aller Regel durch „ausgegliederte“ Rechtsträger (zumeist juristische Personen des Privatrechts wie AG und GmbH), die vom Staat organisatorisch (Staat als alleiniger oder mehrheitlicher Anteilseigner) beherrscht werden (vgl. Abb. 2). C) Schlichte Hoheitsverwaltung Darunter wird ein hoheitliches Handeln geringerer Intensität (es fehlt vor allem an der Eingriffswirkung) verstanden. Die Verwaltungsorgane werden hier nicht in den Rechtsformen hoheitlichen Handelns tätig, obwohl sie mit „imperium“ ausgestattet sind. Schlichte Hoheitsverwaltung liegt etwa beim Streifen- und Überwachungsdienst von Exekutivorganen, bei der Ausstellung von Urkunden durch die Behörde, die Erteilung von Auskünften aus einem öffentlichen Register etc. vor. D) Haftung Der hoheitlich handelnde Staat haftet Dritten gegenüber für Schäden, die diesen durch rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten seiner Organe in Vollziehung der Gesetze zugefügt werden, im Rahmen der Amtshaftung (AHG). Auf den Bereich der nichthoheitlichen Verwaltung finden die allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen der Schadenshaftung (§§ 1293 ff ABGB) Anwendung. IV. Verwaltungsakte A) Allgemeines

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Die Verwaltung hat im modernen Sozial- und Leistungsstaat eine Vielzahl von Aufgaben zu erfüllen. Die Verfassung stellt den Verwaltungsbehörden allerdings nur eine begrenzte Anzahl von Handlungsformen zur Verfügung, deren sich die Verwaltungsorgane bei der Erfüllung ihrer Aufgaben bedienen müssen (es herrscht sohin ein gewisser „Typenzwang“). Die Einhaltung dieser Typen ist unter anderem deshalb von besonderer Bedeutung, da das verfassungsrechtliche Rechtsschutzsystem (UVS, VfGH, VwGH) an das Vorliegen der entsprechenden Typen anknüpft. Handlungen, die nicht den Typen entsprechen, können auch nicht auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüft werden. Die Verwaltungsbehörden sind von Verfassungs wegen sowohl zur Erlassung genereller (an die Allgemeinheit adressierter) als auch zur Erlassung individueller (an einzelne Personen adressierter) Verwaltungsakte ermächtigt. B) Verordnung Bei der Verordnung handelt es sich um eine generelle Rechtsnorm, die von Verwaltungsorganen Kraft der verfassungsrechtlichen Ermächtigung des Art 18 Abs 2 B-VG (Durchbrechung des gewaltenteilenden Prinzips) innerhalb ihres Wirkungsbereiches erlassen werden kann. Es handelt sich um einen nach außen gerichteten, an die Allgemeinheit adressierten hoheitlichen Verwaltungsakt einer Verwaltungsbehörde. Verordnungen bedürfen stets einer gesetzlichen Grundlage. Der Hauptanwendungsfall ist die Erlassung von Durchführungsverordnungen. Durch diese wird Gesetzesrecht noch näher präzisiert. Der Sinn dieser Einrichtung liegt darin, dass im Wege der Verordnungserlassung rascher auf sich ändernde technische, soziale oder sonstige Gegebenheiten reagiert werden kann als durch Erlassung eines Gesetzes. Die Verfassung ermächtigt bestimmte Organe unter besonderen Voraussetzungen zur Erlassung selbständiger (verfassungsunmittelbarer) Verordnungen. Solche Verordnungen sind etwa die Notverordnungen des Bundespräsidenten gemäß Art 18 Abs 3 – 5 B-VG bzw. der Landesregierungen gemäß Art 97 Abs 3 - 4 B-VG) oder ortspolizeiliche Verordnungen der Gemeinden nach Art 118 Abs 6 B-VG. Das Besondere dieser Verordnungen ist, dass diese nicht auf der Grundlage eines einfachen Gesetzes, sondern auf der Grundlage der Verfassung erlassen werden. C) Bescheid Unter Bescheid ist ein individueller, im Außenverhältnis ergehender, hoheitlicher Verwaltungsakt einer Verwaltungsbehörde zu verstehen, durch den in förmlicher Weise Rechte begründet, aufgehoben oder abgeändert werden bzw Rechtsverhältnisse oder Tatsachen verbindlich festgestellt werden.

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D) Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt Bei Maßnahmen handelt es sich um Akte von Verwaltungsbehörden, die gegenüber individuell betroffenen Personen Kraft einseitiger Anordnungsbefugnis unmittelbar auf Grund gesetzlicher Ermächtigung ergehen und die keine oder nur eine relative Förmlichkeit aufweisen. Maßnahmen werden regelmäßig dort gesetzt, wo die Erlassung eines förmlichen Bescheides nicht möglich ist, etwa weil der unmittelbare Eintritt einer Gefahr bevorsteht oder eine solche bereits eingetreten ist, aber auch zur Einleitung und Durchführung von Strafverfahren sowie für Überwachungs- und Informationsmaßnahmen. E) Weisung Die Weisung ist ein von einem übergeordneten Verwaltungsorgan an ein untergeordnetes Verwaltungsorgan adressierter verbindlicher Befehl, mit der die amtliche Tätigkeit des angewiesenen Organes geregelt wird (vgl Art 20 Abs 1 B-VG). Im Gegensatz zum Bescheid und zur Maßnahme tritt die Weisung nicht nach Außen hin in Erscheinung (sie entfaltet sohin keine unmittelbare Außenwirkung), sondern ergeht lediglich im Innenverhältnis der Verwaltung. Verwaltungsorgane können die Befolgung einer rechtswidrigen Weisung nur dann ablehnen, wenn diese von einem unzuständigen Organ stammt oder die Befolgung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstoßen würde. Ansonsten sind (auch rechtswidrige) Weisungen grundsätzlich zu befolgen. Allerdings steht in diesen Fällen den Verwaltungsorganen das Remonstrationsrecht offen.

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2. Kapitel: Verwaltungsverfahren I. Allgemeines A. Gegenstand des Verfahrensrechts Das Verwaltungsverfahrensrecht regelt, wer zur Vollziehung materieller Rechtsvorschriften berufen ist (Organisationsrecht) und wie dabei vorzugehen (zu „verfahren“) ist (Verfahrensrecht im engeren Sinne). B. Das österreichische Verwaltungsverfahrensrecht Für weite (nicht jedoch für alle) Bereiche der Verwaltung gilt ein Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG). Daneben bestehen für verschiedene Bereiche eigene Verfahrensgesetze, die an das AVG anknüpfen, wie etwa das Agrarverfahrensgesetz (AgrVG) oder das Dienstrechtsverfahrensgesetz (DVG). Eigene, ausgebaute verfahrensrechtliche Kodifikationen bestehen für den Bereich der Finanzverwaltung, wie insbesondere die Bundesabgabenordnung (BAO), die Abgabenexekutionsordnung (AbgEO), das Finanzstrafgesetz (FinStrG) oder die Landesabgabenordnungen. Das Verwaltungsstrafverfahrensrecht ist im Wesentlichen im Verwaltungsstrafgesetz (VStG) geregelt. Ausgenommen ist der Finanzbereich. Die Verwaltungsvollstreckung ist in ihren Grundzügen (auch hier ist der Finanzbereich ausgenommen) im Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VVG) geregelt. II. Grundzüge des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes A. Einleitung des Verfahrens Die Einleitung des Verfahrens erfolgt entweder • auf Antrag oder • von Amts wegen. Sobald das Verfahren eingeleitet ist, hat die Behörde die weiteren Verfahrensschritte von sich aus zu setzen. Im antragsgebundenen Verfahren wird der Gegenstand des Verfahrens durch den Inhalt des Antrages bestimmt. Der Behörde kommt Entscheidungspflicht nur im Rahmen

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des Antrages zu (was nicht beantragt worden ist, darüber darf nicht abgesprochen werden). Ebenso besitzt die Partei einen Anspruch auf Erledigung nur gemäß dem von ihr gestellten Antrag. B. Ermittlungsverfahren 1. Zweck des Ermittlungsverfahrens Die Behörde hat in der Folge ein Ermittlungsverfahren durchzuführen, das einerseits der Feststellung des maßgeblichen (entscheidungsrelevanten) Sachverhaltes und andererseits der Geltendmachung der rechtlichen Interessen und Rechte der Parteien dient. Partei im Verwaltungsverfahren ist grundsätzlich diejenige Person, die durch den Gegenstand des Verfahrens in ihrer subjektiven Rechtssphäre unmittelbar berührt ist. Solche subjektiven Rechte können sowohl durch das materielle Recht als auch durch das Verfahrensrecht begründet werden. 2. Grundsätze des Ermittlungsverfahrens Das Ermittlungsverfahren ist durch einige zentrale Grundsätze gekennzeichnet, deren Verletzung unter Umständen eine behördliche Entscheidung im Instanzenzug vernichtbar machen. Im einzelnen handelt es sich um folgende Grundsätze: a) Offizialmaxime (Amtswegigkeit) Die Behörde hat von Amts wegen (d.h. von sich aus) vorzugehen und unter Beachtung der Vorschriften des AVG den Gang des Ermittlungsverfahrens zu bestimmen (vgl. § 39 Abs 2 AVG). b) Materielle Wahrheit Die Behörde hat die „objektive Wahrheit“, also den wirklichen, entscheidungsrelevanten Sachverhalt festzustellen (vgl. § 37 AVG). Zugeständnisse der Beteiligten oder ein „Außerstreitstellen“ von Tatsachen machen eine Beweisaufnahme nicht überflüssig. c) freie Beweiswürdigung Die Behörde hat unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist (vgl. § 45 Abs 2 AVG). d) Unbeschränktheit der Beweismittel Als Beweismittel kommt alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist (vgl. § 46

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AVG). Die wichtigsten Beweismittel sind Urkunden (§ 47 AVG), Zeugen (§§ 48 ff AVG), Beteiligte (§ 51 AVG), Sachverständige (§§ 52 ff AVG) und Augenschein (§ 54 AVG). e) Mittelbarkeit des Verfahrens Die Beweisaufnahme muss nicht unbedingt unmittelbar vor der erkennenden Behörde erfolgen. Die Behörde kann die Beweisaufnahme unter anderem auch durch ersuchte oder beauftragte Verwaltungsbehörden vornehmen lassen (vgl. § 55 Abs 1 AVG). f) Recht auf Gehör Den Parteien ist Gelegenheit zu geben, vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu nehmen und dazu innerhalb angemessener Frist Stellung zu nehmen (vgl. § 45 Abs 3 AVG). Alle tatsächlichen Feststellungen, die im Rahmen des Beweisverfahrens getroffen wurden, sind den Parteien von Amts wegen zur Kenntnis zu bringen. Darüber hinaus muss die Partei die Möglichkeit haben, sich zu den Ergebnissen des Beweisverfahrens zu äußern. g) Rasche, effiziente Entscheidungsfindung Die Behörde hat bei der Gestaltung des Ermittlungsverfahrens auch auf möglichste Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis Rücksicht zu nehmen (vgl. § 39 Abs 2 AVG). Dadurch soll vermieden werden, dass den Parteien unnötige Kosten aufgebürdet werden. C. Abschluss des Verfahrens 1. Allgemeines Das Verwaltungsverfahren wird in aller Regel durch Erlassung eines Bescheides abgeschlossen. Daneben besteht auch die Möglichkeit, das Verfahren einzustellen. Wo die Erlassung eines Bescheides nicht vorgesehen ist (z.B. Führerscheinausstellung) endet das Verfahren mit der Aushändigung der entsprechenden Urkunde (z.B. Führerschein, Reisepass). Ein Bescheid ist der Sache nach die normative (also verbindliche) Regelung einer Verwaltungssache. Es handelt sich sohin um eine an den Einzelnen adressierte Rechtsnorm. Es wird zwischen Leistungsbescheiden, Rechtsgestaltungsbescheiden und Feststellungsbescheiden unterschieden. • Leistungsbescheide schreiben einer Person die Erbringung einer bestimmten Leistung

(z.B. Bezahlung eines Geldbetrages) vor. • Rechtsgestaltungsbescheide begründen, ändern oder heben ein Rechtsverhältnis auf,

sodass in der Folge auf die betroffenen Parteien andere Normen Anwendung zu finden haben (z.B. Erteilung einer gewerbebehördlichen Bewilligung).

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• Feststellungsbescheide treffen Feststellungen über das Vorliegen oder über den Umfang und/oder über den Inhalt eines Rechtsverhältnisses (z.B. Feststellung, ob eine bestimmte Angelegenheit zuden Dienstpflichten eines Beamten zählt).

2. Merkmale eines Bescheides Das AVG enthält eine Reihe von Merkmalen, die vorhanden sein müssen, damit vom Vorliegen eines Bescheides gesprochen werden kann. Das Fehlen einzelner Merkmale schließt nicht von vornherein das zustandekommen eines rechtsgültigen Bescheides aus. Das Gesetz (vgl. §§ 58 - 62 AVG) nennt folgende Merkmale eines Bescheides: ⇒ Bezeichnung als Bescheid ⇒ Bezeichnung der bescheiderlassenden Behörde ⇒ Datum ⇒ Spruch ⇒ Begründung ⇒ Rechtsmittelbelehrung ⇒ Unterschrift des genehmigenden Organwalters Schreib- und Rechenfehler, andere offenbar auf einem Versehen oder ausschließlich auf technisch mangelhaftem Betrieb einer EDV-Anlage beruhende Unrichtigkeiten sind berichtigungsfähig. Nichtigkeit eines Bescheides bewirken etwa mangelnde Behördenqualität, Fehlen eines normativen Gehaltes (Spruch), Fehlen eines Adressaten oder unzulässige Verwendung einer anderen als der deutschen Sprache. Dem Spruch des Bescheides kommt insofern wesentliche Bedeutung zu, als erdie für den Bescheidadressaten verbindliche Anordnung der Verwaltungsbehörde enthält. Er hat unter Anführung der angewendeten Gesetzesbestimmungen die in Verhandlung stehende Angelegenheit und alle die Hauptfrage betreffenden Parteianträge, ferner die allfällige Kostenfrage, in der Regel zur Gänze zu erledigen (§ 59 Abs. 1 AVG). Zum Spruch des Bescheides gehören auch eventuell beigefügte Bedingungen, Befristungen, Auflagen oder Widerrufsvorbehalte. Bei diesen handelt es sich um Nebenbestimmungen eines an sich begünstigenden Bescheides. Sofern dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen oder über Einwendungen oder Anträge von Beteiligten abgesprochen wurde, sind Bescheide zu begründen (§ 58 Abs. 2 AVG). Berufungsentscheidungen sind stets zu begründen (§ 67 AVG). In der Rechtsmittelbelehrung ist anzugeben, ob ein Rechtsmittel gegen den Bescheid zulässig ist und gegebenenfalls, innerhalb welcher Frist und bei welcher Behörde dieses einzubringen ist (§ 61 Abs. 1 AVG). Letztinstanzliche Bescheide haben auf die Möglichkeit einer Bescheidbeschwerde an den VfGH bzw. an den VwGH hinzuweisen (§ 61a AVG).

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3. Bescheiderlassung a. Allgemeines Ein Bescheid wird erst mit seiner Erlassung gegenüber der(n) Partei(en) verbindlich. Als „erlassen“ gilt ein Bescheid erst dann, wenn er den Parteien gegenüber ordnungsgemäß (also in der gesetzlich vorgesehenen Form) mitgeteilt worden ist. Ein mündlicher Bescheid gilt mit der Verkündung als erlassen. Schriftliche Bescheide werden mit der Zustellung gegenüber den Parteien erlassen. Seit der Verwaltungsverfahrensgesetznovelle 2004, BGBl. I Nr. 10/2004, ist auch die elektronische Zustellung durch spezielle elektronische Zustelldienste möglich und zulässig. Wird ein Bescheid einer Person gegenüber nicht erlassen, entfaltet er keine Rechtswirkungen für sie. b. Zustellung Ob eine rechtswirksame Zustellung vorliegt hängt davon ab, ob die einschlägigen Vorschriften des Zustellgesetzes eingehalten worden sind. Die Zustellung besteht aus zwei Schritten, und zwar zum einen aus der Zustellverfügung durch die Behörde, die festlegt, an wen die Zustellung erfolgen soll, und zum anderen aus dem eigentlichen Zustellvorgang. Grundsätzlich ist dem Empfänger persönlich zuzustellen. Unter bestimmten Voraussetzungen sieht das Zustellgesetz jedoch auch die Zustellung an einen Ersatzempfänger vor. Kann die Sendung weder an den Empfänger noch an einen Ersatzempfänger zugestellt werden, ist die Hinterlegung beim zuständigen Postamt (bzw. beim Gemeindeamt oder bei der Behörde) zulässig. Der Empfänger ist von der Hinterlegung der Sendung schriftlich zu verständigen (§§ 13 ff ZustG). Ist von der Behörde die Zustellung zu eigenen Handen angeordnet, so ist eine Ersatzzustellung unzulässig. Allerdings ist auch hier die Hinterlegung der Sendung nach Vornahme eines zweiten Zustellversuches möglich (§ 21 ZustG). Eine mangelhafte Zustellung löst grundsätzlich keine Rechtswirkungen aus. Ein fehlerhaft zugestellter Bescheid gilt daher prinzipiell als nicht erlassen, sodass auch keine Fristen zu laufen beginnen. Allerdings sieht § 7 ZustG vor, dass Zustellmängel ganz allgemein in dem Zeitpunkt heilen, in dem das Dokument dem von der Behörde angegebenen Empfänger tatsächlich zugekommen ist. An Personen, deren Abgabestelle unbekannt ist sowie an eine der Behörde unbekannte Mehrheit von Personen kann unter Umständen auch durch öffentliche Bekanntmachung zugestellt werden (vgl. § 25 ZustG). Mit der Erlassung des E-Government-Gesetzes, BGBl I 2004/10, wurde auch das ZustG in wesentlichen Bereichen novelliert. Nunmehr ist auch die elektronische Zustellung zulässig. Diese kann grundsätzlich jedoch nur im Wege eines behördlichen Zustelldienstes erfolgen.

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Die direkte Übermittlung einer Erledigung durch e-mail oder Fax hat grundsätzlich nicht die Wirkung einer Zustellung iS des ZustG (vgl. Abschnitt III [§§ 28 ff] ZustG). 4. Rechtswirkungen a. Allgemeines An das Vorliegen eines Bescheides knüpfen sich regelmäßig bestimmte Rechtswirkungen, die üblicherweise mit „Rechtskraft“, „Vollstreckbarkeit“ und „Tatbestandswirkung“ umschrieben werden. b. Rechtskraft Hinsichtlich der Rechtskraft wird zwischen formeller und materieller Rechtskraft unterschieden. Formelle Rechtskraft liegt vor, wenn der Bescheid von den Parteien durch ordentliche Rechtsmittel (Berufung; Vorstellung im Mandatsverfahren) nicht mehr bekämpft werden kann. Materielle Rechtskraft bedeutet Unwiderrufbarkeit (keine Möglichkeit der amtswegigen Abänderung oder Aufhebung des Bescheides durch die Behörde, soweit nicht § 68 AVG [Näheres dazu unten im Text] zum Tragen kommt), Unwiederholbarkeit (keine neuerliche Entscheidung in derselben Sache - „ne bis in idem“) und Verbindlichkeit (Bindungswirkung gegenüber Parteien und Behörde) des Bescheides. c. Vollstreckbarkeit Grundsätzlich sind nur Leistungsbescheide vollstreckbar. Vollstreckbarkeit bedeutet, dass die bescheidmäßig aufgetragene Leistung mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden kann. d. Tatbestandswirkung In manchen Fällen macht das Gesetz die Erlassung eines Bescheides vom Vorliegen bzw. Nichtvorliegen eines (anderen) Bescheides abhängig. Hierbei handelt es sich um die Tatbestandswirkung der betreffenden Entscheidung, weil ihr Vorliegen ein Tatbestandsmerkmal für einen anderen Verwaltungsakt ist. e. Geltungsbereich von Bescheiden Es gilt stets zu bedenken, dass ein Bescheid eine auf den individuellen Fall „zurechtgeschnittene“ Rechtsnorm darstellt, die besagt was unter den konkreten Umständen rechtens („gesollt“) ist. Der Bescheid wirkt insofern nicht anders wie auch ein Gesetz. Grundsätzlich gilt ein Bescheid nur für die Parteien, denen gegenüber er erlassen wurde (subjektive Grenzen der Rechtskraft). Die Verwaltungssache, über die bescheidmäßig

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abgesprochen worden ist, bestimmt sich durch den konkreten Sachverhalt, den die Behörde ermittelt hat, und die von ihr angewendeten Rechtsvorschriften (objektive Grenzen der Rechtskraft). Nachträglich eintretende, wesentliche Änderungen des Sachverhaltes oder der Rechtslage ermöglichen eine neue Entscheidung. In zeitlicher Hinsicht vermag ein Bescheid prinzipiell nur für die Zukunft Rechtswirkungen zu entfalten, es sei denn, dass das Gesetz die Erlassung eines rückwirkenden Bescheides ausdrücklich für zulässig erklärt. In örtlicher Hinsicht ist festzuhalten, dass die Rechtswirkungen des Bescheides in aller Regel mit dem Geltungsbereich jener Norm ident sind, auf die er sich stützt. Das bedeutet bei Bescheiden, die in Vollziehung von Bundesrecht ergehen, das Bundesgebiet, und bei Bescheiden, die in Vollziehung von Landesrecht ergehen, das jeweilige Landesgebiet. D. Rechtsschutz 1. Allgemeines Durch Installierung eines Rechtsschutzsystems wird die Überprüfung von Verwaltungsentscheidungen auf ihre Gesetzmäßigkeit hin ermöglicht. Zweck des Rechtsmittelverfahrens ist die Überprüfung des Bescheides einer Behörde unterer Instanz durch die im Instanzenzug übergeordnete Behörde auf Parteiantrag hin. Der Rechtsschutz dient sohin der Einhaltung des objektiven Rechts und damit zugleich auch der Einhaltung der (sich daraus ergebenden subjektiven) Rechte der Parteien. 2. Ordentliche Rechtsmittel Ordentliche Rechtsmittel sind jene Rechtsbehelfe, die den Parteien unter bestimmten Voraussetzungen gegen jeden Bescheid im regelmäßigen Gang des Verfahrens zur Verfügung stehen. Das Gesetz kennt folgende ordentliche Rechtsmittel: • Berufung (§§ 63 - 67g AVG) • Vorlageantrag (§ 64a Abs 2 AVG) • Vorstellung gegen Mandatsbescheide (§ 57 Abs 2 AVG). a. Berufung Die Berufung ist das ordentliche Rechtsmittel, das auf die Überprüfung des Bescheides unterer Instanz durch die im Instanzenzug übergeordnete Behörde hin abzielt. Zur Erhebung der Berufung sind ausschließlich die Parteien des Verwaltungsverfahrens berechtigt (Berufungslegitimation). Teilweise werden im Gesetz ausdrücklich weitere Organe zur Berufungserhebung legitimiert (Organparteien). Ob eine Berufung zulässig ist, an wen sie zu richten ist und wie weit der administrative Instanzenzug reicht, bestimmt sich nach den organisatorischen und den besonderen materiellrechtlichen Verwaltungsvorschriften.

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Die Berufungsfrist beträgt gemäß § 63 Abs. 5 AVG zwei Wochen, wobei der Fristenlauf mit der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides zu laufen beginnt. Bei einem mündlich verkündeten Bescheid beginnt der Fristenlauf mit der mündlichen Verkündung. Die Berufung hat gemäß § 63 Abs. 3 AVG den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, und einen begründeten Berufungsantrag (z.B. Aufhebung oder Abänderung des angefochtenen Bescheides) zu enthalten. Die wesentlichen Elemente der Berufung sind sohin Berufungserklärung, Berufungsbegründung und Berufungsantrag. Rechtzeitig eingebrachte (und zulässige) Berufungen haben gemäß § 64 Abs. 1 AVG aufschiebende Wirkung, doch kann diese unter den Voraussetzungen des § 64 Abs. 2 AVG von der Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, ausgeschlossen werden. Aufschiebende Wirkung bedeutet, dass der angefochtene Bescheid noch nicht vollstreckt werden kann. Im Berufungsverfahren besteht gemäß § 65 AVG kein Neuerungsverbot. Es können daher sowohl neue Beweise angeboten als auch neue Tatsachen vorgebracht werden. Die Grundsätze der Amtswegigkeit und der materiellen Wahrheit gelten uneingeschränkt auch im Berufungsverfahren. Die Berufungsbehörde kann den angefochtenen Bescheid, u.U. nach Durchführung eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens in jeder Richtung abändern (§ 66 Abs. 4 AVG). Nach Auffassung des VwGH können jedoch Parteien, die nur einzelne subjektive Rechte haben (z.B. Nachbarn im Bauverfahren), nur die Verletzung dieser Rechte im Berufungsverfahren geltend machen Die Berufungsbehörde hat das Berufungsverfahren stets durch Erlassung eines Berufungsbescheides zu erledigen. Der Spruch hat, je nach Art der Entscheidung, die Zurückweisung, die Abweisung, die Stattgebung der Berufung und die vorgenommene Abänderung des angefochtenen Bescheides, oder die Behebung und die Verweisung der Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die unterinstanzliche Behörde zu enthalten. Jede Berufungsentscheidung, auch die stattgebende, bedarf gemäß § 67 AVG der Begründung. b. Vorlageantrag Die bescheiderlassende Behörde kann gemäß § 64a Abs. 1 AVG die Berufung binnen zwei Monaten nach ihrem Einlangen durch Berufungsvorentscheidung erledigen. Sie kann im Rahmen der Berufungsvorentscheidung die Berufung als unzulässig oder verspätet zurückweisen, den Bescheid aufheben oder nach jeder Richtung abändern. Eine vollinhaltliche Bestätigung des in erster Instanz von ihr erlassenen Bescheides ist hingegen unzulässig. Gegen die Berufungsvorentscheidung ist der Vorlageantrag statthaft: Jede Partei kann binnen zwei Wochen nach Zustellung der

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Berufungsvorentscheidung den Antrag stellen, dass die Berufung der Berufungsbehörde zur Entscheidung vorgelegt wird. Mit dem Einlangen des Vorlageantrages tritt die Berufungsvorentscheidung außer Kraft. c. Vorstellung Die Vorstellung nach dem AVG (die nicht mit der Vorstellung gegen letztinstanzliche Bescheide der Gemeinde in Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches an die Gemeindeaufsichtsbehörde nach Art. 119a Abs. 5 B-VG zu verwechseln ist) ist das ordentliche Rechtsmittel gegen Mandatsbescheide nach § 57 AVG. Sie ist binnen zwei Wochen ab Erlassung des Mandatsbescheides bei der Behörde, die das Mandat erlassen hat, schriftlich einzubringen. Soweit die Vorstellung gegen die Vorschreibung einer Geldleistung gerichtet ist, kommt ihr aufschiebende Wirkung zu. Da über die Vorstellung jene Behörde entscheidet, die den Mandatsbescheid erlassen hat, handelt es sich bei der Vorstellung (im Gegensatz zur Berufung, die aufsteigende Wirkung hat, also ein devolutives Rechtsmittel ist) um ein remonstratives Rechtsmittel. Binnen zwei Wochen nach dem Einlangen der Vorstellung hat die Behörde das (ordentliche) Ermittlungsverfahren einzuleiten. Der dieses Verfahren abschließende Bescheid ersetzt das Mandat. 3. Außerordentliche Rechtsmittel Außerordentliche Rechtsmittel sind nur unter besonderen Bedingungen ausnahmsweise, außerhalb des regelmäßigen Verfahrens, gegeben. Das Gesetz kennt folgende außerordentliche Rechtsmittel: • Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 71 AVG) • Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 69 AVG). a. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Die Wiedereinsetzung ist ein Rechtsbehelf, durch den die Rechtsnachteile einer unverschuldeten Säumnis beseitigt werden

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sollen. Sie ist nur auf Antrag einer Partei zulässig, die eine verfahrensrechtliche Frist (z.B. Berufungsfrist) oder eine mündliche Verhandlung versäumt hat und durch die Versäumung einen Rechtsnachteil (z.B. Ausschluss von Sachvorbringen oder der Erhebung von Einwendungen im Verfahren) erleidet (vgl. § 71 AVG). Die Partei hat glaubhaft zu machen, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und dass sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft. Als Ereignis im Sinne des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist jedes äußere oder innere Geschehen anzusehen. Demnach stellt nicht nur eine alltägliche Erkrankung, eine Naturkatastrophe oder die äußere Anwendung von Gewalt, sondern auch ein psychologischer Vorgang, wie Vergessen, Verschreiben, sich irren, ein die Wiedereinsetzung ermöglichendes Ereignis dar. Was den Grad des Verschuldens anlangt, so schließt grobes Verschulden die Bewilligung der Wiedereinsetzung aus. Ein Verschulden des Vertreters (z.B. Rechtsanwalt) wird einem Verschulden des Vertretenen gleichgestellt. Des Weiteren ist die Wiedereinsetzung zulässig, wenn die Partei eine Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, dass kein Rechtsmittel zulässig ist. Der Antrag auf Wiedereinsetzung ist binnen zwei Wochen ab Wegfall des Hindernisses oder ab Kenntnis von der Zulässigkeit des Rechtsmittels bei der Behörde einzubringen, die über den Wiedereinsetzungsantrag zu entscheiden hat. b. Wiederaufnahme des Verfahrens Unter bestimmten Voraussetzungen kann auch ein durch - im Berufungswege nicht mehr bekämpfbaren - Bescheid abgeschlossenes Verfahren wieder aufgerollt werden. Als Gründe, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens ermöglichen, nennt § 69 Abs. 1 AVG das Erschleichen eines Bescheides, die Herbeiführung des Bescheides durch eine gerichtlich strafbare Handlung, das Hervorkommen neuer Tatsachen und Beweismittel, die ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und voraussichtlich in der Hauptsache zur Erlassung eines anderen Bescheides geführt hätten sowie das Vorliegen eines Vorfragentatbestandes. Der Wiederaufnahmeantrag ist binnen zwei Wochen ab Kenntnis des Wiederaufnahmegrundes, spätestens jedoch binnen drei Jahren nach Erlassung des Bescheides, bei der erstinstanzlichen Behörde zu stellen. Antragslegitimiert ist jede Partei des abgeschlossenen Verfahrens. Die Wiederaufnahme kann auch von Amts wegen verfügt werden, wobei im Falle der Erschleichung eines Bescheides bzw. seiner Herbeiführung durch eine gerichtlich strafbare Handlung die Dreijahresfrist nicht gilt. Zuständig zur Entscheidung ist die Behörde, die den

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Bescheid in letzter Instanz erlassen hat, wenn jedoch in der betreffenden Sache ein Unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, dieser. 4. Entscheidungspflicht Dem Rechtsschutz dient auch die von Gesetzes wegen eingeräumte Möglichkeit der Geltendmachung der Entscheidungspflicht, die nach Ablauf von 6 Monaten ab Entstehen der Entscheidungspflicht (Antragstellung etc) besteht (§ 73 AVG). Die Geltendmachung erfolgt durch Devolutionsantrag. Diesfalls geht die Entscheidungspflicht auf die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde (sie fällt in aller Regel, aber nicht immer, mit der im Instanzenzug übergeordneten Behörde zusammen) über. 5. Abänderung und Behebung von Amts wegen Unter den Voraussetzungen des § 68 Abs 2 - 3 AVG können formell und materiell rechtskräftige Bescheide abgeändert oder behoben werden: Danach können Bescheide, aus denen niemandem ein Recht erwachsen ist, jederzeit aufgehoben oder abgeändert werden, andere Bescheide hingegen nur dann, wenn dies zur Beseitigung von das Leben oder die Gesundheit von Menschen gefährdenden Mißständen oder zur Abwehr schwerer volkswirtschaftlicher Schädigungen notwendig und unvermeidlich ist. Unter den Voraussetzungen des § 68 Abs 4 AVG kann auch eine Nichtigerklärung erfolgen. Eine solche Nichtigerklärung ist für den Fall vorgesehen, dass der Bescheid • von einer unzuständigen Behörde oder von einer nicht richtig zusammengesetzten

Kollegialbehörde erlassen wurde (eine Nichtigerklärung aus diesem Grund ist allerdings nur innerhalb von drei Jahren möglich);

• einen strafgesetzwidrigen Erfolg herbeiführen würde; • tatsächlich undurchführbar ist; • an einem durch gesetzliche Vorschrift ausdrücklich mit Nichtigkeit bedrohten Fehler

leidet. Beispiel: Wird eine Baubewilligung erteilt, obwohl das Bauansuchen abzuweisen gewesen wäre, weil

damit ein unzulässiger Freizeitwohnsitz neu geschaffen wird, so leidet dieser

Baubewilligungsbescheid gemäß § 54 lit. b) Tiroler Bauordnung 2001 an einem

ausdrücklich mit Nichtigkeit bedrohten Fehler und kann daher zeitlich unbegrenzt von der

sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde oder von der Gemeindeaufsichtsbehörde

beseitigt werden.

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E. Verfahrenskosten Die im Zuge des Verwaltungsverfahrens entstandenen Kosten sind grundsätzlich von den Beteiligten selbst zu tragen (§ 74 Abs 1 AVG). Auch die Behörde hat die ihr aus ihrer Tätigkeit entstandenen Kosten von wenigen Ausnahmen einmal abgesehen (§§ 76 - 78 AVG; Barauslagen, Kommissionsgebühren, Verwaltungsabgaben) grundsätzlich selbst zu tragen.

V.

RECHTSSCHUTZ

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A. Verwaltungsverfahren

I. Das Administrativverfahren

Erstinstanzliches Verfahren

Einleitung des Verfahrens (auf Antrag hin oder von Amts wegen)

Ermittlungsverfahren

Bescheiderlassung

Berufung

Berufungsvorentscheidung

Vorlageantrag

Berufungsverfahren

Berufungsentscheidung

- Vollstreckungsverfahren

Vollstreckungsverfügung

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Berufung

Berufungsentscheidung

-

Kontrolle durch Höchstgerichte

Verfassungs- und/oder Verwaltungsgerichtshofbeschwerde

II. Verwaltungsstrafverfahren

Straftat

Strafverfügung

Einspruch (nicht bei Anonymverfügung und Organstrafverfügung möglich)

Ermittlungsverfahren

Straferkenntnis

Berufung

Berufungsverfahren

Berufungsentscheidung

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B. Unabhängige Verwaltungssenate

I. Zusammensetzung

Vorsitzender, Stellvertretender Vorsitzender sowie „erforderliche Zahl von

sonstigen Mitgliedern“

Entscheidung durch Einzelmitglied oder in Kammern, die aus drei Mitgliedern

Bestehen

II. Aufgaben

1. Berufungsinstanz in Verfahren wegen Verwaltungsübertretungen

2. Entscheidung über Maßnahmebeschwerden

3. Eingangs- oder Berufungsinstanz in sonstigen ihnen einfachgesetzlich

zugewiesenen Angelegenheiten

4. Säumnisbeschwerdeinstanz

III. Unabhängiger Bundesasylsenat

Spezialinstanz, die über Rechtsmittel gegen Bescheide des Bundesasylamtes zu

entscheiden hat

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C. Verwaltungsgerichtshof

I. Zusammensetzung

Präsident, Vizepräsident, sowie „erforderliche Zahl von sonstigen

Mitgliedern“

Entscheidung erfolgt in „Kausalsenaten“; grundsätzlich Fünfer-Senate

(Verwaltungsstrafsachen Dreier-Senate); verstärkter Senat (9 Mitglieder) bei

bedeutenden Entscheidungen

II. Aufgaben

1. Prüfung von Bescheiden (Bescheidbeschwerde)

2. Schutz vor rechtswidriger Säumnis von Verwaltungsbehörden

(Säumnisbeschwerde)

3. Prüfung von Weisungen an Schulbehörden (Weisungsbeschwerde)

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D. Verfassungsgerichtshof

I. Zusammensetzung

Präsident, Vizepräsident, zwölf weitere Mitglieder und sechs

Ersatzmitglieder; Ernennung durch Bundespräsident; Vorschlagsrechte der

Bundesregierung, des NR und des BR

Entscheidung von Verfassungs wegen im Plenum; in der Praxis Entscheidung

im „kleinen Senat“ (Vorsitzender und vier Stimmführer)

II. Aufgaben

1. Kausalgerichtsbarkeit

2. Kompetenzgerichtsbarkeit

3. Überprüfung von Art. 15a-Vereinbarungen

4. Verordnungsprüfung

5. Wiederverlautbarungsprüfung

6. Gesetzesprüfung

7. Staatsvertragsprüfung

8. Wahlprüfung

9. Staatsgerichtsbarkeit

10. Strafgerichtsbarkeit

11. Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit

12. Völkerrechtsgerichtshof

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E. Volksanwaltschaft

I. Zusammensetzung

Auf Bundesebene: Drei vom NR auf die Dauer von 6 Jahren gewählte

Mitglieder

Einrichtung von Landesvolksanwaltschaften möglich (so etwa in Tirol und

Vorarlberg erfolgt)

II. Aufgaben

Missstandskontrolle der Verwaltung des Bundes (einschließlich

Privatwirtschaftsverwaltung, nicht aber der Gerichtsbarkeit)

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F. Rechnungshof

I. Zusammensetzung

Präsident (auf zwölf Jahre gewählt) sowie die „erforderlichen“ Beamten und

Hilfskräfte

II. Aufgaben

Überprüfung des gesamten wirtschaftlichen Verhaltens der Staatsorgane

(Einnahmen- und Ausgabentätigkeit)

Drei Ebenen der Überprüfung:

1. Gesamte Staatswirtschaft des Bundes

2. Selbständige Stiftungen, Fonds und Anstalten, die vom Bund

organisatorisch beherrscht werden

3. Unternehmungen, an denen der Bund mit mindestens 50% des

Stammkapitals beteiligt ist oder die der Bund alleine oder gemeinsam mit

anderen betreibt

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WIEDERHOLUNGSFRAGEN

1. Was sind „soziale Normen“?

2. Welche soziale Normen bestimmen unser Zusammenleben?

3. Wie erfolgt die Durchsetzung sozialer Normen im Allgemeinen und von Recht im

Speziellen?

4. Welches sind die grundlegenden Funktionen des Rechts?

5. Welche erlaubte Formen der Selbsthilfe gibt es in unserer Rechtsordnung noch?

6. Was bedeutet der Grundsatz der Trennung von „Sein und Sollen“?

7. Worauf bezieht sich der Gerechtigkeitsbegriff?

8. Unter welchen Voraussetzungen sind Handlungen des Menschen Gegenstand eines

Gerechtigkeitsurteils?

9. Worin besteht das grundlegende Problem der bekannten Gerechtigkeitsformeln?

10. Was ist aus dem Grundsatz „Jedem das Seine“ näher abzuleiten?

11. Welche Arten der Gerechtigkeit kennen Sie?

12. Besteht im modernen demokratischen Rechtsstaat westlicher Prägung ein

Widerstandsrecht? Begründen Sie Ihre Antwort ausführlicher.

13. Was versteht man unter „positivem Recht“?

14. Wie wird der Staat in rechtlicher Hinsicht definiert?

15. Was ist unter „materiellem Recht“, was unter „formellem Recht“ zu verstehen?

16. Was ist „zwingendes Recht“, was „nachgiebiges Recht“?

17. Erklären Sie das rechtstheoretische Modell vom Stufenbau der Rechtsordnung unter

Berücksichtigung des Gemeinschaftsrechtes.

18. Wodurch unterscheidet sich öffentliches Recht von Privatrecht und welche

diesbezüglichen Theorien kennen Sie?

19. Welche Rechtsfolgen zieht die Unterscheidung zwischen öffentlichem Recht und

Privatrecht nach sich?

20. Was ist gemeinhin Bestandteil einer Verfassung?

21. Wodurch unterscheidet sich nach österreichischem Recht ein einfaches Bundesgesetz

von einem Bundesverfassungsgesetz?

22. Welche Quellen des Verfassungsrechts kennen Sie?

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23. Welche besondere Interpretationsmethode gelangt im Bereich der

Verfassungsinterpretation zur Anwendung?

24. Erklären Sie den Begriff „Baugesetz der Bundesverfassung“.

25. Welche Baugesetze kennt die österreichische Bundesverfassung?

26. Was bedeutet „Demokratie“ und welche beiden Formen der Demokratie kennen Sie?

27. Erklären Sie den Begriff „Republik“

28. Was ist ein Bundesstaat?

29. Was ist ein Rechtsstaat und welche beiden Seiten weist der Rechtsstaat auf?

30. Was besagt das „Legalitätsprinzip“?

31. Welche „Gewalten“ treten im Staat auf und weshalb sind sie möglichst voneinander zu

trennen?

32. Was ist eine „Staatszielbestimmung“ und welche Staatszielbestimmungen kennen Sie?

33. Was ist die Aufgabe der Verwaltung?

34. Was ist ein Verwaltungsträger, was ein Verwaltungsorgan und was ein Organwalter?

35. Wie gestaltet sich der Ablauf eines erstinstanzlichen Administrativverfahrens?

36. Definieren Sie den Begriff „Bescheid“.

37. Was bedeutet „Präklusion“ im Verwaltungsverfahren?

38. Was ist unter einer „Maßnahme unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt“ zu

verstehen?

39. Was ist eine Verordnung?

40. Schildern Sie den Ablauf eines Verwaltungsstrafverfahrens.

41. Was bedeutet „Rechtskraft“ eines Bescheides?

42. Welche Durchbrechungen der Rechtskraft gibt es im Verwaltungsverfahrensgesetz?

43. Wie setzen sich die Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern (UVS)

zusammen?

44. Welche Aufgaben sind von Verfassung wegen den Unabhängigen Verwaltungssenaten

in den Ländern (UVS) zugewiesen?

45. Wie setzt sich der Verwaltungsgerichtshof zusammen und welches sind seine

Entscheidungsorgane?

46. Welche Aufgaben kommen dem Verwaltungsgerichtshof von Verfassung wegen zu?

47. Wie setzt sich der Verfassungsgerichtshof zusammen?

48. Nennen Sie die fünf bedeutendsten Zuständigkeiten des Verfassungsgerichtshofes.

49. Wie setzt sich die Volksanwaltschaft zusammen?

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50. welche Aufgabe hat die Volksanwaltschaft?

51. Wie setzt sich der Rechnungshof zusammen?

52. Welche Aufgaben hat der Rechnungshof?