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/I- Schriften der Monumenta Germaniae Historica Band 29 Anton Hiersemann Stuttgart 1983

I- Schriften der Monumenta Germaniae Historica · Kern eine Genossenschaft der Magister ist4. Beides, die genossenschaftliche Verfassung der Schule wie ihre an keine Gren- zen des

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/I- Schriften der

Monumenta Germaniae Historica

Band 29

Anton Hiersemann Stuttgart

1983

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Peter Classen

Studium und Gesellschaft im Mittelalter

Herausgegeben von Johannes Fried

Anton Hiersemann Stuttgart

1983

g4 1AG

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I.

DIE HOHEN SCHULEN UND DIE GESELLSCHAFT IM 12. JAHRHUNDERT'

Jede höhere Kultur bringt die ihr gemäßen Formen höherer Bildung und höherer Schulen hervor. Die spezifisch europäische Form der hohen Schule, die Universität, ist eine Schöpfung des Hochmittelalters, genauer gesagt des 12. Jahr- hunderts. In Bologna und Paris ist damals die Universität entstanden, und noch vor 1200 formt sich Oxford nach dem Vorbild von Paris. Kreuzzüge und Ritter-

tum, höfische Kultur und Aufstieg der städtischen Bürgerfreiheit, Ausbreitung der volkssprachlichen Poesien, hochromanische und frühgotische Kunst sind die bekannten Kennzeichen dieses so unglaublich schöpferischen Zeitalters. Zugleich

entsteht eine lateinische wissenschaftliche und theologische Literatur von solcher Vielfalt, daß kaum ein Gedanke der folgenden Jahrhunderte nicht schon hier in nuce vorweggenommen wurde, und von solchen Ausmaßen, daß bis heute ein wesentlicher Teil ungedruckt ist, obwohl die Erforschung dieser sogenannten Frühscholastik heute eine Spezialwissenschaft bildet.

Universitas und studium generale heißen die Namen, die die hohen Schulen in ihrer ausgebildeten Form seit dem 13. Jahrhundert führen. Beide Ausdrücke bezeichnen dieselbe Sache unter verschiedenen Aspekten - und der Historiker

muß daran erinnern, daß sie nichts mit dem zu tun haben, was man heute oft in

sie hineinlegt. Studium heißt zunächst jede wissenschaftliche Lehre, und so ver- schiedene Nuancen zu dem Begriff des Generalstudiums gehören, es bleibt doch dabei, daß es nicht nur neben den Elementarfächern der artes wenigstens einen Teil der «höheren» Fakultäten umfaßt, sondern auch eine überregionale, Gren-

zen des Standes und der Herkunft sprengende Einrichtung ist, an der man schließlich die licentia ubique docendi erwirbt. Dem Gegenbegriff des studium particulare haftet nicht nur die Vorstellung des wissenschaftlich subalternen, sondern auch des provinziellen Lernens für die Jünglinge einer einzelnen Stadt

Erstdruck: Archiv für Kulturgeschichte 48 (1966) S. 155-180. 1 Leicht erweiterte und mit Anmerkungen versehene Fassung meiner in den «Nachrich-

ten der Gießener Hochschulgesellschaft», Band 33,1964, S. 145-157 gedruckten Antritts-

vorlesung vor der Justus-Liebig-Universität (4.2.1964). Der Verfasser hat seinen Ver-

such 1964 vor einem Kreis französischer und deutscher Historiker in Regensburg sowie vor dem Historischen Colloquium in Göttingen vorgetragen. Für förderliche Diskussions- beiträge dankt er vor allem den Herren H. Grundmann, P. E. Schramm, W. v. d. Steinen

und F. Wieacker.

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2 Die hohen Schulen und die Gesellschaft

oder Diözese an2. Universitas nennt man die Körperschaft, die das Studium

trägt - universitates, d. h. Körperschaften oder Genossenschaften, heißen im kirchlichen und weltlichen Recht des Mittelalters Personenverbände der ver- schiedensten Art, von der Gesamtkirche, als Personenverband verstanden, über den Klerus einer Diözese bis zu den Bürgern einer Stadt, den Bauern eines Dor- fes oder den Meistern einer Zunft3. An den Schulen bilden sich die zwei bekann-

ten Typen: Bologna und die nach Bologneser Art verfaßten Hochschulen wer- den von einer universitas scholarium gebildet, in der allein die Studenten Glie- der der Körperschaft sind. Die zu einem Collegium vereinten Doctores schwören dem studentischen Rektor einen Gehorsamseid, und dieser übt über sie eine äußerst scharfe Disziplinargewalt mit Hilfe der denunciatores doctorum, einer Art studentischer Polizei. Paris dagegen und die nach Pariser Muster verfaßten Hochschulen werden von der universitas magistrorum et sdholarium getragen, der Genossenschaft der Lehrenden und Studierenden, die in ihrem Ursprung und Kern eine Genossenschaft der Magister ist4.

Beides, die genossenschaftliche Verfassung der Schule wie ihre an keine Gren-

zen des Landes, des Standes, der Diözese oder des Ordens gebundene Wirksam- keit, ist dem früheren Mittelalter durchaus fremd. Bis ins späte 11. Jahrhundert hatte es in Europa nur Kloster- und Domschulen gegeben, die in der Regel rein interne Schulen für die Glieder des eigenen Konventes waren, und selbst wenn sie, wie einzelne Domschulen, auch auswärtige Kleriker ausbildeten, so jeden- falls unter der unmittelbaren Aufsicht und Disziplin des dem Domkapitel ange- hörenden Domsdholasters, der in Frankreich oft mit dem bischöflichen Kanzler

Die zuerst von DENIFLE, Universitäten S. 1-29 und 776, in polemischer Zuspitzung

vorgetragene These von der Bedeutung des Ausdrucks studium generale fand weitgehend Zustimmung, vgl. zuletzt R. MEISTER, Beiträge zur Gründungsgeschichte der mittelalter- lichen Universität, Anzeiger der österreichischen Akademie der Wissenschaften, Phil. -hist. Klasse 94 (1957) Nr. 4 S. 27-50, bes. S. 40 ff. Nicht ohne Grund sind Bedenken vor- getragen, vgl. etwa MEIJERS, Etudes S. 27 Anm. 92 und zuletzt S. STELLING-MICHAUD, L'histoire des universitas au moyen Age et it la renaissance au tours des vingt-cinq der-

nieres annees, XIe Congres International des Sciences Historiques. Stockholm 1960, Rapports I S. 97-143, hier S. 99 f. Die dort zitierte Arbeit von G. ERMINI, II concetto di «studium generale», Archivio giuridico ser. V7 (1942) S. 3-24, war mir nicht zu- gänglich. Für studium particulare vgl. etwa BF 4680.

3 Grundlegend nach wie vor 0. GIER E, Das deutsche Genossenschaftsrecht 3 (Leipzig 1881); für die universitas der Hochschule weiterführend G. Pos-r, Parisian masters as a corporation, 1200-1246, Speculum 9 (1934) S. 421-445 = PosT, Studies in Medieval Legal Thought (Princeton N. J. 1964) S. 27-60.

4 Vgl. die zusammenfassende Darstellung von RASHDALL, PO'WICKE, EMDEN über Paris

und Bologna vol. 1. Zu Paris zuletzt McKEON, Speculum 39 (1964) S. 651-675.

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Die hohen Schulen und die Gesellschaft 3

identisch warn. Seit dem Ausgang des 11. Jahrhunderts blühen plötzlich an zahlreichen Orten Frankreichs in großer Zahl Schulen neu auf, und die alten bei Domen und Klöstern entfalten eine große Regsamkeit. Dabei ist oft genug unklar, wer die der Autorität des kirchlichen Lehramtes zukommende Legiti-

mation für die Lehrtätigkeit gibt und sie überwacht. Die aus aller Herren Länder

zusammenströmenden und wieder auseinander laufenden Scholaren scheinen sich in keine überlieferte und rechtlich geformte Ordnung kirchlicher Gemeinschaft

zu fügen. Nennen wir nur das bekannteste Beispiel, die Lebensgeschichte Peter Abaelards6. Dieser hört an verschiedenen Orten Frankreichs Vorlesungen über Dialektik, bis er zu dem berühmtesten Meister der Zeit gelangt, dem Pariser Archidiakon Wilhelm von Champeaux. Nach kurzer Zeit entläuft er dem Leh-

rer, um diesem selbst Konkurrenz zu machen, und wo immer Abaelard nun auf- taucht, da schart sich eine Menge von Scholaren um ihn. Zuerst in Melun, dann in Corbeil - dann, nach neuen Studien bei Wilhelm von Champeaux, in Paris

selbst, von dort vertrieben wieder in Melun, zurück zum Genoveva-Berg vor den Toren von Paris (nahe dem heutigen Pantheon), von wo aus seine Schule, wie er selbst sagt, die des Domschulmeisters auf der Ile de la Cite «belagert»7, während Wilhelm von Champeaux im Kloster Sankt Viktor, keine Viertelstunde Wegs

von den beiden andern entfernt, eine öffentliche Schule als Konkurrenz unter- hält. Abaelard gibt diese Schule auf, um in Laon Theologie zu studieren, und schließlich kann er auf der Ile de la Cite in Paris selbst lehren. Hier, auf dem

ersten Höhepunkt seines Ruhmes, stürzt ihn der Privatunterricht, den er dem jungen Mädchen Heloise erteilt - so unvoreingenommen ist man schon, daß

auch eine Frau den höchsten Unterricht genießen soll -, in die Katastrophe. Mönch geworden, lehrt Abaelard in Saint-Denis - und plötzlich ist die alte Königsabtei von Scholarenhaufen übersät. Nach der Verurteilung zu Soissons und dem Konflikt mit den Mönchen baut er an einsamer Stätte in der Champagne bei Troyes sein Parakletstift, um das herum alsbald eine Studentenstadt auf-

Das reichste Material über Schulen vor dem 12. Jahrhundert bietet LESNE, Histoire. Historia calamitatum, ed. MONFRIN S. 63 ff. Zu den Schulen des 12. Jhs. vgl. DEL-

HAYE, Traditio 5 (1947); J. R. WILLIAMS, The Cathedral School of Reims in the Time

of Master Alberic, 1118-36, Traditio 20 (1964) S. 93-114. Zu den früher bekannten Studienberichten tritt jetzt der, den Wilhelm von Tyrus über seine zwanzigjährigen Stu- dien in Paris und Bologna (ca. 1144-64) erstattet und dem Kapitel XIX 12 seiner Hi-

storia eingefügt hat; entdeckt, herausgegeben und reich kommentiert von R. B. HUYGENS, Guillaume de Tyr Etudiant, Latomus 21 (1962) S. 811-829.

7 Historia calamitatum S. 66 f. Das hier angewandte Bild der Schule als «Burg» oder «Lager» findet sich im 12. Jh. öfter, vgl. z. B. unten Anm. 66.

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4 Die hohen Schulen und die Gesellschaft

wächst; und als er nach vielen Jahren nach Paris zurückkehrt, erleben die Stu- dien dort einen neuen Auftrieb.

Abaelards Laufbahn ist das anschaulichste, aber gewiß nicht einzige Zeugnis dafür, daß in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts Lehrer und Schüler sich den Platz ihrer Wirksamkeit suchen, daß Schulen mit dem Auftreten eines gefeierten Meisters aufblühen und vergehen. Wie aber sind die beständigen Universitäten

entstanden? In einer bedeutenden, an Material und Gedanken gleich reichen Studie ist

Herbert Grundmann vor einigen Jahren zu dem Ergebnis gekommen, «primär und konstitutiv

... für Ursprung und Wesen der Universitäten als ganz neu-

artiger Gemeinschaftsbildungen» seien «weder die Bedürfnisse der Berufsausbil- dung noch staatliche, kirchliche oder sozialökonomische Impulse oder Motive,

sondern kurz gesagt das gelehrte, wissenschaftliche Interesse, das Wissen- und Erkennenwollen» gewesen. Einer seiner Kritiker, Wolfram von den Steinen, hat dazu bemerkt, dies «klinge recht ideologisch», und er hat gegenüber der Fest-

stellung, die Universitäten seien um 1200 «ohne bewußtes Vorbild spontan aus Wissensdrang entstanden», auf die enge Wechselbeziehung von wissenschaftlichem und praktisch-beruflichem Interesse, insbesondere bei den Juristen, aber auch bei den Theologen, hingewiesen.

Mich dünkt, hier sind zwei Dinge zu unterscheiden: Ohne den von Grundmann

charakterisierten reinen Wissensdrang wäre gewiß keine Universität entstanden, und auch von den Steinen wird der letzte sein, der dies bestreitet. Aber der Geist allein vermag sich den Leib nicht zu schaffen. Nur unter ganz bestimmten

sozialen Bedingungen, in einer nicht mehr fast ausschließlich agrarisch bestimmten Welt, kann die neue soziale Form entstehen.

Der christlichen Ethik war die curiositas, die Wißbegierde, stets suspekt er- schienen, und die Autorität Augustins hatte dem Nachdruck verliehene. Nun aber lehrte selbst Hugo von St. Viktor, der größte streng klösterliche Meister des Jahrhunderts, der wie kein anderer reines Leben, echte Forschung und gottes- fürchtige Mystik so zu vereinen wußte, daß nicht einmal die Kollegen ihn zu

8 GRUNDMANN, Ursprung. Der Ort des Vortrags hat den Verfasser vielleicht dazu ver- anlaßt, seine These zugespitzt zu formulieren. Rezension von W. v. d. STEINEN, HZ 186 (1958) S. 116-118. Dazu neuerdings H. SCH1IIDINGER, Zur Entstehung der Uni- versität im Mittelalter, in: Forschung und Bildung, Aufgaben einer katholischen Uni- versität, hrsg. v. N. Luyten (Freiburg i. Ü. 1965) S. 127-141.

e Zu Augustins curiositas-Begriff vgl. H. BLUMENBERG, Augustins Anteil an der Ge- schichte des Begriffs der theoretischen Neugierde, Revue des Etudes Augustiniennes 7 (1961) S. 35-70

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schmähen wagten - Hugo lehrte: «Lerne alles, später wirst Du sehen, daß

nichts überflüssig ist. Beschränkte Wissenschaft ist nicht erfreulich»10. Anlaß für dies Wort gab die Verteidigung der von vielen Theologen und Philosophen ge- ring geachteten Geschichte, insbesondere der biblischen Geschichte. Hugo will ge- wiß keinen autonomen Wissenschaftsbegriff propagieren; auch für ihn dient die Wissenschaft letztlich der Gotteserkenntnis. Aber er ist von einem tiefen Ver-

trauen getragen, daß jede Wissenschaft, echt und rein betrieben, von selbst auf dies Ziel führt; er teilt weder die Verachtung scheinbar überflüssiger Disziplinen

noch das prinzipielle Mißtrauen gegen die profanen Wissenschaften. Von hier bedarf es nur noch eines kleinen Schrittes, um den Wissenschaften einen völlig unabhängigen Eigenwert zuzuerkennen, - und diesen Schritt vollziehen jetzt

viele, wenn nicht in der Theorie, so doch in der Praxis. Der geistige Wandel, der darin liegt, läßt sich nicht auf soziale, politische oder kirchliche Motive reduzie- ren; in ihm lebt wie in der Kreuzzugsbewegung und im Aufblühen der gotischen Kunst etwas von jener Spontaneität menschlicher Schöpfungen, die der Histo-

riker wohl zu beschreiben und zu analysieren, aber nicht in ihren tiefsten Grün- den zu erklären versuchen kann. Daß dieser geistige Wandel eine erste Voraus-

setzung für das Werden der Universität ist, wird auch der nicht bestreiten kön-

nen, der daran erinnert, daß der spontane Drang nach umfassendem Wissen sich auch in früheren Jahrhunderten gezeigt hat, wie etwa bei Eriugena, Gerbert

von Reims oder auch den Dialektikern des 11. Jahrhunderts. Aber nur in Bologna und Paris kam es zu den neuen Gemeinschaftsbildungen,

während doch das Streben zur Wissenschaft allgemein verbreitet war. Wäre Grundmanns These ganz richtig, so müßte man staunen, daß es am Ende des 12. Jahrhunderts nur zwei oder drei Universitäten gibt, während doch an so vielen Plätzen Schulen entstanden waren. Bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts und zum Teil darüber hinaus sind erst Laon, dann Reims, aber auch Tours, Orleans,

selbst das kleine Melun, vor allem aber Chartres - alle nur 4-5 Tagereisen von Paris entfernt in der Francia gelegen - Plätze, die sich neben Paris durchaus

sehen lassen können. Die Leistungen der Schule von Chartres, die den Platonis-

mus belebt, aber auch bei der Rezeption des Aristoteles an der Spitze steht, die

vor allem wie keine Schule sonst die auctores des Altertums liest und deren Sprache pflegt - sie stehen an geistigem Rang bis um 1150 gewiß nicht hinter dem zurück, was Paris hervorbringt. Hier in Chartres, wo wir noch heute mit Staunen am eben um 1150 geschaffenen Königsportal der Kathedrale Cicero und

11 Hugo von St. Viktor, Didascalion VI 3, cd. BurrutER S. 115 = Migne PL 176, 800O/801A.

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6 Die hohen Schulen und die Gesellschaft

Aristoteles, Euklid und Pythagoras als Patrone der freien Künste einen Kranz

um die Gottesmutter bilden sehen, hier, wenn überhaupt irgendwo, war der

reine Wissensdrang zu Hause. Warum ist nur Paris, nicht auch Chartres, Univer-

sität geworden? Bernhard, der Kanzler von Chartres zwischen 1119 und 1124, hat in schönen

Versen den Schlüssel zur Weisheit beschrieben: mens humilis, studium quaerendi, vita quieta, scrutinium taciturn, paupertas, terra aliena: haec reserare solent multis obscura legendohl.

(Demut im Sinn und eifriges Forschen und ruhiges Leben, Schweigsam und zäh untersuchen und arm sein,

weit in der Fremde, Vielen pflegt dies zu erschließen, was unbekannt war,

durch Studieren. ) Hier sind die sittlichen Forderungen ihrem Wesen nach verbunden mit den

- gleichfalls sittlich gewerteten - sozialen Gegebenheiten: paupertas terra

alienal2. In der Fremde sucht der Student die Quelle der Wissenschaft, so wie der Ritter der Kreuzzugszeit sich in der Fremde bewährt; die frühere Bindung

an die Diözese oder das Kloster wird nicht mehr nur von einzelnen, sondern ganz allgemein aufgegeben: sie soll aufgegeben werden, um den Studenten frei für die Wissenschaft zu machen. Armut ist, so will es scheinen, zugleich Folge des Lebens in der Fremde und Voraussetzung für die Freiheit zur Wissenschaft. Aber

schon Hugo von Sankt Viktor schrieb um 1135 in seinem Kommentar zu diesen Versen: «\Vas werden die Studenten unserer Zeit - man muß hinzufügen: in Paris - dazu sagen können, die bei ihrem Studium nicht nur Entbehrung ver- achten, sondern sogar bemüht sind, noch reicher zu erscheinen, als sie sind? Man

prahlt nicht mit dem, was man gelernt, sondern mit dem, was man ausgegeben hat! Aber vielleicht wollen sie damit nur ihren Lehrern nacheifern - was ich über die Angemessenes sagen soll, weiß ich nicht» 3. Und Bernhards Nachfolger

II Bernhard von Chartres bei Hugo, Didascalion 111 13, cd. BUTTIMER S. 61 = Migne PL 176,773B, dazu der Kommentar in den folgenden Kapiteln; ferner bei Johannes Saresberiensis, Policraticus VII 13, cd. WEBE 2 S. 145, dessen Lesung legendo der Hugos (legendi) vorzuziehen sein dürfte.

12 Die terra aliena wird von Hugo, Didascalion 111 19, cd. BuTrnaER S. 69 = Migne PL 176,778B metaphorisch gesteigert: per%ectus vero, cri mundus Lotus exilium est. Dabei begegnen sich biblische und platonische Traditionen.

13 Hugo, Didascalion 111 18, cd. Burro ER S. 68 f. = Migne PL 176,777A: Sed quid ad haec scholares nostri temporis respondere poterunt, qui non solum in studiis suis

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Die hohen Schulen und die Gesellschaft 7

in Chartres, Gilbert Porreta, sah sich um dieselbe Zeit veranlaßt, diejenigen, die

nicht Weisheit, sondern rasch erlernbare Wissensrezepte für den Erfolg im Leben

suchten, auf die Vorzüge des Bäckerhandwerkes hinzuweisen14. Es scheint, daß neben den rein geistigen auch ganz andere Kräfte und Motive

mitgewirkt haben, die erst die Universität als neue soziale Form möglich mach- ten. Abaelard selbst gesteht in seiner Autobiographie, er habe bis zu der großen Katastrophe seines Lebens nur um Ruhmes und Geldes willen gelehrt15. Das ist

gewiß nicht naives Eingeständnis, sondern bewußte Selbststilisierung in dem literarischen Kunstwerk der bistoria calamitatum. Aber die Zeugnisse von ihm

selbst und vielen kritischen Zeitgenossen bestätigen es: er wurde reich und be-

rühmtl6. Dem entspricht es, daß er wie andere das Verhältnis unter Kollegen

mit der Vokabel invidia zu charakterisieren pflegt. Das alles setzt aber voraus, daß man in einer Gesellschaft lebte, die bereit war, einem Lehrer der Logik laus

et petunia zu erteilen. Und diese Bereitschaft ist offenbar in einem geradezu ver- blüffenden Maße vorhanden gewesen.

Die Kritik der Mönche, an ihrer Spitze Bernhard von Clairvaux, entzündet

frugalitatem sequi contemnunt, sed etiant supra id, quod stint, divites videri laborant? Nec iam quid didicerit quisque iactitat, sed quid expenderit. Sed fortassis quia magistros suos imitari volunt, dc quibus quid salis digne dicam non invenio. Die Interpretation des letzten Satzes hängt davon ab, ob man die Lesung volunt oder nolunt (so Buttimer) bevorzugt. Die Datierung des Didascalion ist kontrovers, vgl. zuletzt R. BARON, Revue d'hist. eccl. 57 (1962) S. 109 ff.

14 Johannes Saresberiensis, Metalogicon I 5, cd. WEBB S. 16: Solebat magister Gile- bertus

... cam cos videbat ad studia que predicta sent evolare, eis artem pistoriam pol- liceri; quoniam illa est, zit aiebat, in genre sua que sola accipere consuevit omnes aliis operibus atzt artificio destitutos; ars enim facillime exercetur et subsidiaria est aliarum, presertim apud cos qui panem potius quam artificium querunt.

is Historia calamitatum, ed. I110NFRIN S. 81:.... quatintts quod hucusque pecunie vel laudis cupiditate egeram, nunc amore Dei operam studio darem. Damit ist der Eintritt ins Kloster Saint-Denis gemeint. Zur Tätigkeit bei seinem Paraklet-Stift bemerkt Abae- lard umgekehrt: Tune artem preciptte ad scolarum regimen intolerabilis me compulit paupertas, cum lodere non valerem et mendicare erubescerem (Luc. 16,3). Ad artem itaque quam noveram recurrens, pro labore manrutm ad officium lingue compulsus sum. Zu dem hier auftretenden Selbstbewußtsein der geistigen Arbeit vgl. J. LE GOFP, Quelle

conscience l'universite medievale a-t-elle eu d'elle meine? in: Beiträge zum Berufsbe-

wußtsein des mittelalterlichen Menschen (Miscellanea Mediaevalia 3, hg. V. P. WILPERT 1964) S. 15-29, bes. S. 18.

lc Vgl. z. B. Historia ealatnitatum, cd. MONFRIN S. 70: Unde tttriusque lectionis studio stole nostre vehementer multiplicate quanta uribi de petunia lucra, quantam gloriam compararent, ex lama to quoque latere non potuit. Es erübrigt sich, die zahlreichen Zeugnisse über Abaelards Ruhm zusammenzustellen.

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8 Die hoben Schulen und die Gesellschaft

sich eben an diesem Punkt: Reichtum, regelloses Leben und die Entstehung fal-

scher Lehren aus «zuchtlosen Fragen» (2. Tim. 2,23) werden in ursächliche Be-

ziehung gesetzt17. Und aus Abaelards Schule selbst hören wir die Bemerkung, die Christen ließen nur diejenigen ihrer Kinder ausbilden, die Kleriker werden, Gewinn davon haben und diesen der Familie mitteilen, schließlich vererben soll- ten - nur der Jude lasse alle Söhne und selbst die Töchter lesen lernen, damit

sie Gottes Gesetz verstehen18. Ähnliches wie für die Philosophen und Theologen der Francia scheint für die

Juristen von Bologna zu gelten. «Zwei Dinge sind's, die die Menschen heftig zur Rechtswissenschaft treiben: Jagd nach Amtern und eitle Ruhmsucht (ambitio dignitatis et inanis gloriae appetitus)»19. Peter von Blois, der diesen Satz in den

17 Diese Kritik setzt schon bei Rupert von Deutz (etwa Migne PL 170,480 ff. ) ein und wird von Bernhard von Clairvaux, Wilhelm von Saint-Thierry u. a. fortgeführt, vgl. auch die oben Anm. 13 zitierten Worte Hugos von St. Viktor. Die polemischen Schriften Gerhochs von Reichersberg sind voll davon; irreguläres Leben in den Schulen und falsche Lehren gehören für ihn untrennbar zusammen, vgl. CLASSEN, Gerhoch S. 24,51,118,169, 287 u. ö. In diesen Zusammenhang gehört auch das Verbot des Medizin- und weltlichen Rechtsstudiums für Mönche und Regularkanoniker (gratia lucri temporalis), ausgespro- chen zuerst auf der Papstsynode von Clermont 1130, wiederholt in Reims 1131, Lateran 1139, in der Fassung Alexanders III. in die Dekretalen Gregors IX. aufgenommen (3,50, 3, ed. FRIEDBERG 2,658), auch von einer Pariser Synode 1213 wiederholt, s. CUP 1 Nr. 19 S. 77 f.

18 SMALLEY, Study of the Bible S. 78 weist auf die Stelle hin, die ausführlich zitiert zu werden verdient: Commentarius Cantabrigiensis in epistolas S. Pauli e schola Petri Abae- lardi, ed A. LANDGRAF vol. 2 (Publications in Mediaeval Studies 2, Notre Dame, Ind., 1939) S. 434 (zu Eph. 6,4): Hinc est, quod Iudei nos multum possunt arguere, sicut beatus Ieronimus dicit super ilium locum, ubi de Susanna dicitur: Et parentes eiirr cum essent iusti, erudierunt filiam suam secundum legem Moysi (vgl. Hieronymus zu Daniel 13,3: Migne PL 25,580); quia Christian si Eilios suos erudiunt, non faciunt propter Deum, sed propter lucrum, ut videlicet frater si clericus fuerit, iuvet patrem et matrein ei alias fratres. Dicunt enim, quia clericus sine berede erit et quicquid habebit, nostrum Brit et aliorum fratrum. Ei autem salis erit et nigra capa in qua eat ad ecclesiam et suum super- pellicium. Iudei vero zelo Dei et amore legis, quotquot habent Eilios ad litteras ponunt, ut legem Dei unusquisque intelligat ... Iudeus enim quantumcumque pauper, etiamsi decem haberet filios, omnes ad litteras mitteret non propter lucrum sicut Christiani, sed propter legem Dei intelligendam, et non solum Eilios, sed et filias. Das nach dem Herausgeber vor 1147 entstandene Werk entstammt unmittelbar der Schule Abaelards und beruft sich ge- rade bei den nicht seltenen Anspielungen auf die Juden auf ihn, den philosophus. Ob auch unserer Stelle Bemerkungen Abaelards zugrunde liegen, ist nicht mit Sicherheit zu sagen.

19 Ep. 140, Migne PL 207,416D: Duo sane cunt quae hominem ad legem scientiam vehementer impellunt: ambitio dignitatis et inanis gloriae appetites.

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Die hohen Schulen und die Gesellschaft 9

1180er Jahren schrieb, sprach aus Erfahrung; denn er hatte nicht nur in Paris Philosophie, in Tours Rhetorik, sondern auch in Bologna Jurisprudenz studiert, aber dies Studium abgebrochen, um zu den Pariser Theologen zurückzukehren. Seine Karriere aber war die eines Höflings geworden: Prinzenerzieher am Nor-

mannenhof in Palermo, dann Sekretär König Heinrichs II. von England und der

Königin Eleonore (jener Dame, die nicht nur durch ihre zwei Ehen das aquita- nische Erbe zuerst dem König von Frankreich und dann dem von England zu- brachte, sondern auch, wie keine andere, die Troubadours in Aufregung ver- setzte), zuletzt Kanzler des Erzbischofs von Canterbury - das waren die Sta-

tionen in Peters Leben, das hier als Beispiel für manche ähnliche Karriere, vor allem im anglo-angevinischen Großreich, genannt sei=0. Und aus den Kreisen

von Bologneser Studenten der Rhetorik und des Rechts um 1120 stammen die

ältesten Studentenbriefe, die zum Ausdruck bringen, daß eine bürgerliche Fa-

milie vom Studium des Sohnes nicht nur Ehre, sondern auch handgreifliche Vor-

teile erhofft21. Die Wissenschaft öffnet den Weg zu Erwerbsquellen. Johann von Salisbury

bemerkt, wie ein kurzes und oberflächliches Artistenstudium auf vier Wegen äußeren Erfolg vermitteln kann: man kann im Kloster als Mönch, an den Höfen in verschiedenen Stellungen, nach einem zusätzlichen Medizinstudium als Arzt

- und schließlich, die Wissenschaft unmittelbar zum Geschäft machend, als Lehrer der artes sein Brot verdienen2. Wissensdrang und das Streben nach sozialem Aufstieg verbinden sich, höfische, bürgerliche und gelehrte Kultur durchdringen

sich in einer Weise, die zuerst die Schulen füllt und dann zur Bildung der Uni-

versitäten beiträgt.

Verlassen wir einen Augenblick die Schulen und sehen auf das höfische Leben der Zeit. Schon um die Mitte des 12. Jahrhunderts finden wir an den größten Höfen die gelehrten Kanzler. Papst Lucius II. berief 1144 den Engländer Ro- bertus Pullus, den Verfasser eines beachtlichen Sentenzenwerkes, der einst in

20 Vgl. M. MANrrius, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters 3 (München 1931) S. 293 ff.

21 Vgl. etwa die Briefe bei Hugo von Bologna, Rationes dictandi, ed. L. ROCKINGER, Die Briefsteller und Formelbücher des 11. bis 14. Jhs., 1 (Quellen und Erörterungen zur bayerischen und deutschen Geschichte, 9,1, München 1863) S. 80 f.; Henricus Francigena,

cd. B. ODEBRECHT, AUF 14 (1936) S. 250 f. Nr. 17,18; Ch. H. HASKINS, The Life of Mediaeval Students as Illustrated by Their Letters, in: HASKINS, Studies in Mediaeval Culture (Oxford 1929) S. 1-35; SCHMALE, Röm. Quartalschrift 58 (1963) S. 149-161.

22 Johannes Saresberiensis, Metalogicon I 4, cd. WEBB S. 12 ff. Der hier gegen die

«Cornificianer» erhobene Vorwurf, an den sich die oben Anm. 14 zitierte Bemerkung

anschließt, charakterisiert eine große Gruppe Studierender.

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10 Die hohen Schulen und die Gesellschaft

Oxford Vorlesungen über die Bibel gehalten und dann in Paris gelehrt hatte,

zum Kardinal und Kanzler der Römischen Kirche=". 1153 übernahm dies Amt Roland Bandinelli aus Siena, der einerseits ein theologisches Sentenzenbuch im Sinne der Abaelardschule, anderseits eine Summa zu Gratians Kirchenrechts-

sammlung geschrieben und in Bologna Theologie mit Einschluß des kanonischen

Rechts gelehrt hatte. Aber auch der große politische Antipode Rolands, des spä- teren Papstes Alexander III., auch Rainald von Dassel, Kanzler des Kaisers Friedrich Barbarossa seit 1156, war durch die Schulen von Paris gegangen24,

etwa zur gleichen Zeit wie der dritte der großen Kanzler jener Jahre, Thomas

Becket, der dem englischen König Heinrich II. von 1154-1163 diente und dann

als Erzbischof von Canterbury dessen hartnäckiger Gegenspieler wurde25. Sie

alle finden den Weg von den hohen Schulen zu dem höchsten Hofamt, und nur einer von ihnen, bezeichnenderweise der Deutsche, ist zu solchem Amt schon durch hochadlige Geburt prädestiniert. Rainald ist auch gewiß der am wenig- sten gelehrte unter ihnen; dennoch verbindet ihn mit den anderen Kanzlern ein bestimmtes weltmännisches Auftreten, ein akademisch-höfischer Stil in der Politik.

Zumindest eine Wissenschaft wurde an jedem Hof täglich praktisch gebraucht: die Rechtswissenschaft, insbesondere die Wissenschaft vom kanonischen Recht. Hatten noch unter dem Zisterzienserpapst Eugen III. (1145-1153) Theologen

`a Ober ihn zuletzt F. COURTNEY, Cardinal Robert Pullen. An English Theologian of the Twelfth Century (Analecta Gregoriana 64,1954), zur Vita S. 1-19.

24 Über Rainald vgl. W. FÖHL, Studien zu Rainald von Dassel, Jahrb. des Köln. Geschichtsvereins 17 (1935) S. 234 259, hier S. 237 ff. und A. HOFMEISTER, NA 37 (1912) S. 146 ff. Unmittelbare Quelle ist der Brief Ekberts von Schönau bei F. \V. E. RorH, Die Visionen der hl. Elisabeth (Brünn 1884) S. 311 f. und Elisabeths Liber visionum 11 20, ebenda S. 50. L. MINto-P. LUELto in der unten Anm. 48 genannten Arbeit S. 167 bezweifelt, daß hier Adam von der kleinen Brücke gemeint ist. Auch wenn er Recht haben

sollte, scheint der Briefwechsel mit Wibald bei Ph. JAFFL, Bibliotheca rerum Germani-

carum 1 (Berlin 1864) S. 326 if. Nr. 207 f. (nach dem Reimser Konzil 1148) für Studien Rainalds in Paris oder jedenfalls in Frankreich zu sprechen; hinzu kommt das Zeugnis über französische Sprachkenntnisse bei Saxo Grammaticus, Gesta Danorum XIV 28,18, ed. J. OLRIK - H. RAEDER (Kopenhagen 1931) vol. 1 S. 443. Vgl. auch J. SPÖRL, HJb 60 (1940) S. 250 f.

25 Vgl. Materials for the History of Thomas Becket (cd. J. C. ROBERTSON, RS 67, 1877) 3 S. 14,17,260: Robert von Melun war sein Lehrer. Johann von Salisbury, Ma- terials 2 S. 303 f., spricht von Studium der arses, canones und des ius civile, ohne den Ort zu nennen. Die Thomas-Saga (cd. E. MAGNÜSSON, 2 Bde, RS 65,1875-83) malt die Tu-

genden des Studenten breit aus: offenbar befremdete den Verfasser, daß ein Heiliger Student gewesen sei.

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Die hohen Schulen und die Gesellschaft 11

über die Juristen an der römischen Kurie geklagt, deren Spitzfindigkeiten nicht einmal der Papst selbst durchschaue=6, so wurde dies bald anders; aber nicht weil die Spitzfindigkeiten verschwanden, sondern weil nun der Stuhl Petri selbst von gelehrten Juristen besetzt wurde. Zur Zeit Hadrians IV. und Roland- Alexanders tritt eine deutliche Zäsur in der Papstgeschichte ein: den Mönchs-

und Regularkanonikerpäpsten folgen die gelehrten, insbesondere juristisch ge- lehrten Päpste-. Und jeder bischöfliche oder weltliche Hof, der sich mit den

römischen Juristen messen wollte, bedurfte seinerseits der gelehrten Kanonisten. Nicht so unmittelbar praktisch anwendbar war die Wissenschaft vom römischen Recht, die Guarnerius um die Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert in Bologna belebt hatte. Und dennoch fand auch sie Eingang an den Höfen wie an den Schu- len nicht nur in Italien, sondern auch in England und am Kaiserhofes.

Fragt man allein nach der praktischen Bedeutung der Wissenschaften, so wird man ihre Rolle für das höfische Leben wohl nicht voll ermessen können. Ein sehr wesentlicher Teil der gelehrten Literatur des 12. Jahrhunderts ist nicht an den Schulen, sondern an den Höfen, vor allem der sizilischen Normannen und der Anjou-Plantagenet, entstanden; «höfisch» wird aber das Leben nicht allein an den Residenzen, Burgen und Pfalzen der Könige und Fürsten, sondern ebenso an der

«Kurie» des Papstes und den Sitzen der großen Bischöfe. Die Übersetzer am Hofe der normannischen Könige, die arabische und griechische Philosophie und Naturwissenschaften der lateinischen Welt zugänglich machten29, Bischof Hein-

rich von Winchester, der römische Antiquitäten sammelte30, der Erzpoet, der

geistvolle Vaganten-Verse für Rainald von Dassel schmiedete, der kaiserliche Pfalzdiakon Hugo von Honau, dessen theologische und philosophische Traktate

eben erst im Druck erschienen sind31 - sie alle legen, jeder in seiner Weise,

26 Gerhodt von Reidiersberg, De novitatibus huius temporis, ed. O. J. THATCHER, The Decennial Publications of the University of Chicago, First Series vol. 4 (1903) S. 86 f.

= MGH Lib. de lite 3,301 f., dazu CLASSEN, Gerhode S. 180 f. 27 Juristen waren Alexander III. [wirklich? Vgl. unten S. 131 f. mitAnm. 16-20a J. F. ].

Urban III., Gregor VIII. (dieser zugleide Regularkanoniker); als Abaelard-Schüler dia- lektisde gebildet Coclestin III., auf den dann der große Jurist Innozenz III. folgt.

23 KuTrNEa, RATHSONE, Anglo-Norman Canonists, bes. S. 286 if. 29 HASKINS, Studies; J. DE GHELLINCE, L'essor de la litterature latine au douzieme

siecle (Brüssel 19552) S. 258 if. 30 Johann von Salisbury, Historia pontificalis 40, cd. CHIIINALL S. 79; D. KNOWLES,

The Monastic Order in England (Cambridge 19632) S. 281-297. 31 Vgl. HARING, Mediacval Studies 24 (Toronto 1962) S. 1-34; DERS., ebd. S. 181-209;

DERS., Hugh of Honau and the «Liber de ignorantia», ebd. 25 (1963) S. 209-230; DERS., The Liber de diversitate naturae et personae by Hugh of Honau, Archives d'histoire doctrinale et litteraire du Mayen Age, Annee 1962 (1963) S. 103-216.

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12 Die hohen Schulen und die Gesellschaft

Zeugnis dafür ab, daß das höfische Leben geistreiche Männer anzog, daß Witz, Esprit und Courtoisie ebenso wie echte Wissenschaft und Weisheit ihre Gönner

an den geistlichen und weltlichen Höfen fanden. Die allgemein bekannte höfi-

sche Dichtung in den Volkssprachen gehört ebenso dazu wie die Werke der Gelehrten und die Verse vieler Vaganten. Der Hof bedarf der literati nicht nur als Fachleute, sie sind notwendiger Bestandteil seiner Selbstverwirklichung. Die

neue Vokabel curialitas meint jene weltgewandte Bildung, die den curialis, den Höfling, auszeichnet32.

Einklang und Spannung zwischen gelehrter und höfischer Welt zeigt uns am deutlichsten Johannes von Salisbury33. Zwölf Jahre hatte er in Paris und Char- tres studiert, zwölf weitere Jahre in England und in Rom das Leben eines Höf- lings geführt, als er 1159 dem Kanzler Thomas Becket sein großes Werk Policra- ticus sive de nugis curialium et vestigiis philosophorum widmete. Mit Ironie und scharfer Kritik verfolgt er die höfischen Vergnügungen, Jagd und Würfelspiel, Zauberei und Wahrsagerei, Traumdeutung und was dergleichen geistreich-höfi- schen Vergnügens mehr ist. Er hat es bis zum Überdruß und Ekel kennengelernt

und setzt nun seine christlich-humanistisch begründete Sozial- und Fürstenethik,

eine der bedeutendsten des Mittelalters überhaupt, dem entgegen. Dabei zielt

32 Zur curialitas nur einige Belege: Gerhoch von Reichersberg, MGH Libelli de lite 3, 428, (besser: Gerhohi opera inedita, cd. D. ac 0. VAN DEN EYNDE et A. RIIMERSDAEL,

vol 11 1, Rom 1956, S. 63) schildert Herzog Friedrich II. von Schwaben (t 1147): quem scimus esse hominem curialem totumque urbanitati, ne dicamus vanitati deditum. Ger- hochs Bruder Rüdiger gegen den Dialektiker Petrus von Wien, bei H. WEISWEILER, Scholastik 14 (1939) S. 41 (im Jahre 1156): de loco clamoso vel clatnore iocoso dixisti,

qualis est disputantium curialitas vel potius, ut apostolus ait, scurilitas (Eph. 5,4), quc ad rem non pertinet, qui non tam ecclesiastice quam scolastice agunt. Später in Positiver Wertung Buoncompagno über Wilhelm Gosia, den Sohn des Bologneser Doktors Mar- tinus Gosia, Muratoriz VI 3 (1937) S. 4, Codex C: propter legum scientiam et alia curialitatis insignia clarissimus. Salimbene über Friedrich II. (AMGH SS 30,348): Valens homo fuit interdum quando voluit bonitates et curialitates seas ostendere, solatiosuas, iocundus, delitiosus. Das Propagandaschreiben des Johannes von Garlandia für die Uni-

versität Toulouse von 1229 rühmt u. a. de curialitate populi non est practermittendum: videtur enim hic facetia curialis cum militia simul et cum clero federa pepigisse (CUP 1 Nr. 72 S. 131).

31 H. LIEBESCHÜTZ, Mediaeval Humanism in the Life and Writings of John of Salis- bury (London 1950); zur Biographie vgl. jetzt C. N. L. BROOKE in: The Letters of John

of Salisbury, 1 S. XII-XXIV. Bezeichnend etwa Policraticus I prol., cd. WEBB S. 14: Iam enim annis fere duodecium nugatum esse taedet ei paenitet me longe aliter insti- tutum; Metalogicon prol., ed. WEBB S. 1: non possum concurialium dentes evadere. Zur

politischen Theorie des Policraticus W. BERGES, Die Fürstenspiegel des hohen und späten Mittelalters (Schriften der MGH 2,1938) S. 131-143.

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Die hohen Schulen und die Gesellschaft 13

seine Kritik nicht so sehr auf die ritterlichen illiterati, sondern vielmehr gerade auf die Gebildeten unter den Höflingen, die literati, die die Spuren der Philo-

sophie verlassen haben, um ihren nugae zu folgen. Aber Johann will nicht hö- fische und gelehrte Welt trennen, sondern vielmehr dem höfischen Leben eine tiefere geistige Basis geben. Der Anspruch geht noch weiter: auch Johann von Sa- lisbury zitiert das jetzt öfter genannte \1'ort: Rex illiteratus quasi asinus corona- tusD$3. Auch der König soll literatus sein - und Heinrich II. von England, der Schüler Wilhelms von Conches, ist es in gewisser Weise wirklich3S.

Die literati waren aber nicht nur ein fester Bestandteil des höfischen Lebens;

auch die Städte bedurften ihrer jetzt. Ihr Anteil, insbesondere der Anteil der Juristen, am Werden der europäischen Stadtkultur und am Aufstieg der städti- schen Freiheit ist noch sehr wenig erforscht; aber mit Recht hat man darauf hin-

gewiesen, daß insbesondere in Italien und Südfrankreich - anders als an der Maas und am Rhein - die Kommunen schon im 12. Jahrhundert ganz wesentlich von den Juristen mitgetragen wurden36. Wenn Friedrich Barbarossa zum ron- kalischen Reichstag von 1155, der die Kaiserrechte in den Städten definieren

sollte, die berühmten vier Bologneser Doktoren heranzog, so waren diese nicht nur Experten des alten, justinianischen Kaiserrechtes, sondern auch von den Bür-

gern anerkannte Rechtsautoritäten. In der Bologneser Quästionenliteratur wer- den schon damals Fragen des städtischen Statutenrechtes mit Hilfe romanistischer Quellen und Methoden gelöst37; und schon ein Schiedsgericht zwischen Mai- land und Como um die Grenzen in der Grafschaft Seprio im Jahre 1170 arbeitet mit Digestenzitaten36. Unentbehrlich für den immer komplizierter werdenden

33 Policraticus IV 6, ed WEBB S. 254, vgl. H. GRUNDMANN, Litteratus - illitteratus, AKG 40 (1958) S. 1-65, bes. S. 50 f.

35 Vgl. GRUNDMANN a. a. O. S. 50,53; über Wilhelm von Candies und Heinrich II. vgl. R. L. PooLE, Illustrations of the History of Mediaeval Thought and Learning 2(1920) S. 299; Ch. H. HASKINS, Norman Institutions (Cambridge Mass. 1918) S. 131; DERS., Studies S. 29; über Heinrichs Hof als geistiges Zentrum W. F. SCHIRMER und U. BROICH, Studien zum literarischen Patronat im England des 12. Jahrhunderts (1962); D. LEGGE, Anglo-Norman Literature and its Background (Oxford 1963) S. 44-107.

30 Vgl. den Hinweis von E. ENNEN, Frühgeschichte der europäischen Stadt (Bonn 1953) S. 272 f. Eine breitere Untersuchung scheint zu fehlen, im Einzelnen vgl. etwa HESSEL, Bologna S. 300 ff.; E. BACH, La cite des Genes au XII° siZcle (Kopenhagen 1955), bes. die Einleitung; viel Material auch in der verfassungsgeschichtlichen Einleitung von MANARESI, Atti.

37 Ein Beispiel ist erörtert bei P. CLASSEN, Mailands Treueid für Byzanz, Akten des XI. Internat. Byzantinistenkongresscs 1955 (1960) S. 79-55.

38 MANARESI Nr. 73 S. 104 ff. (mit z. T. falscher Auflösung der Redhtsquellenzitate). [Die Digest= werden in Rom und an der päpstlichen Kurie schon früher (spätestens seit

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14 Die hohen Schulen und die Gesellschaft

Handel, insbesondere mit dem Orient, wurden die Notare, die in den Städten

einen bedeutenden Stand ausmachten und durch ihre Dienste für das tägliche Le- ben der Handelsherren, die vor ihnen Handels- und Eheverträge abschlossen, zu Ansehen und Geld gelangten39; und diese Notare hatten in stets wachsendem Maße in Bologna studiert oder zumindest durch die Schriften der Bologneser

Meister gelernt. Denn schon Guarnerius, der Gelehrter und Richter war, hat

neben gelehrten Glossen zu den Digesten auch praktische Lehrbücher und For-

mulare für Notare verfaßt, und die Doktoren der nächsten Generationen folgten darin seinem Beispiel; °. War das römische Recht auch nirgends schlechthin gel- tendes Recht, so gab es doch seinen Adepten eine Methode an die Hand, die ihnen Überlegenheit und Autorität in allen verwickelten Fragen verlieh, die das bürgerliche Leben mit den überlieferten Normen nicht mehr zu lösen vermochtest. So wächst, zunächst in Italien, ein literarisch gebildeter Laienstand. Der Genueser Konsul Cafaro, [der Annalist und «provisor» Bernardo Maragone aus Pisa, ] der

Pfalzrichter Otto Morena aus Lodi und der anonyme Mailänder Annalist sind seit Jahrhunderten die ersten Verfasser großer historischer Werke, die aus dem

Laienstand kommen; und sie alle bekleiden Stellen von hohem Rang in ihren Kommunen42. An wissenschaftlicher Bedeutung wurden sie übertroffen durch die

1107) zitiert, vgl. Th. HIRSCHFELD, Das Gerichtswesen der Stadt Rom vom B. bis 12. Jahr- hundert wesentlich nach stadtrömischen Urkunden, AUF 4 (1912) S. 419-562 hier S. 508- 11, J. F. ].

39 Vgl. E. BACH a. a. O. S. 12 ff. 40 Das von PAUIIERI publizierte Formularium Tabellionum ist nicht von Guarnerius,

aber doch wohl in der Bologneser Schule verfaßt, vgl. KANTOROWICZ, Studies S. 36 f.; doch dürfte die Tradition des Accursius und Odofredus, daß Guarnerius ein Formularium

verfaßt hat, richtig sein, vgl. F. CAI. Asso, Medio Evo del diritto, vol. 1 (Mailand 1954) S. 538 f. mit Anm. 63 und A. SORBELLI, Storia della Universitä di Bologna (Bologna 1944) S. 39 f. So sicher die Zusammenhänge zwischen der Schule der ars dictandi und der ent- stehenden Juristenuniversität sind, so schwer sind sie im Einzelnen zu durchschauen; vgl. SORBELLI S. 24 ff., 31 ff.; F. J. Scm. tALE, Die Bologneser Schule der ars dictandi, DA 13 (1957) S. 16-34, bes. S. 30; DERS., Röm. Quartalschrift 58 (1963) S. 160 f.

41 Vgl. neben der oben Anm. 8 genannten Rezension von W. v. d. STEINEN etwa MEIJERS, Etudes S. 21 ff. Was F. WIEACKER über die sog. Rezeption des römischen Rechts in Deutschland sagt, gilt mutatis mutandis auch für Italien im 12. /13. Jahrhundert: Pri-

vatrechtsgeschichte der Neuzeit (1952) S. 66: «Wir verstehen daher die Rezeption` besser

unter dem Bilde nicht der Aufnahme eines stofflichen Fremdkörpers, sondern eines Ent-

wicklungsprozesses, nämlich als Verwissenschaft1ichung des deutschen Rechtswesens und seiner Träger. » Auf diese Weise bekommt das Studium auch dort

eminente Bedeutung für die Praxis, wo das römische Recht materiell nicht gilt. Vgl. die

methodisch wertvollen Studien von TRUSEN, Anfänge. 42 Über Cafaro s. E. BACH a. a. O. S. 27 f. u. ö., [über Maragone s. unten S. 701, über

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Die hohen Schulen und die Gesellschaft 15

drei Pisaner Hugo Etherianus, Leo Tuscus43 und Burgundio44, die alle große theologische und philosophische Werke aus dem Griechischen ins Lateinische über- trugen und zum Teil selbst verfaßten. Unter ihnen haben Hugo und Leo lange im Dienst des Kaisers Manuel von Byzanz gestanden, zugleich aber auch poli- tisch für ihre Heimatstadt und deren Kolonie in Konstantinopel gewirkt, wäh- rend Burgundio als Richter und Diplomat seiner Vaterstadt hervortrat, durch die Dedikation einer seiner Übersetzungen an Friedrich Barbarossa45 aber auch den Bogen zu den höfischen Kreisen spannte. Überschaut man die Lebensläufe und die erst jüngst veröffentlichte Korrespondenz dieses Kreises, so sieht man, wie Konstantinopel und Pisa, die Höfe der Babenberger und der Staufer, die Schulen von Bologna und Paris durch ein Netz vielfältiger persönlicher Bezie- hungen miteinander verknüpft werden. Und von Generation zu Generation steigt das Ansehen und die praktische Bedeutung der Juristen in den Städten. Schon um 1240 wirken selbst in norddeutschen Städten gelehrte Ratsschreiber, und es ist methodisch richtig, wenn man sich fragt, ob sie in Bologna oder Paris studiert haben - als drittes kommt allenfalls Padua in Frage46.

Der Aufstieg und die weite Ausbreitung des Städtewesens im 12. Jahrhundert können aber auch nicht ohne Rückwirkung auf den Klerus bleiben. Kirchenver- waltung und Seelsorge in den Städten stellen Kleriker und Pfarrer vor Aufgaben, die ein höheres geistiges Rüstzeug verlangen als in der agrarischen Welt, die zu- gleich aber auch dem städtischen Klerus ein neues soziales Gepräge geben.

Nicht zuletzt werden kirchliche Würden und Pfründen in zunehmendem Maße

Morena F. GUTERnocK in der Einleitung der Ausgabe SS rer. Germ. Nova Series 7 (1930); Mailänder Annalist: Gesta Federici imperatoris in Lombardia, ed. 0. HOLDER-EGGER, SS rer. Germ. (1892), über den Verfasser S. 5 f.

43 DONDAINE, Archives d'histoire doctrinale et litt6raire du moyen age 19 (1952) S. 67- 134; CLASSEN, Byzant. Zs 48 (1955) S. 339-368; M. V. ANASTOS, Some Aspects of Byzan- tine Influence on Latin Thought, in: Twelfth Century Europe and the Foundation of Modern Society, ed. M. CLAGETT, G. PosT, R. REYNOLDS (Madison Wisc. 1961) S. 137-187; bester Abdruck der Quellen jetzt bei HARING, Mediaeval Studies 24 (1962).

44 Über ihn die Einleitung von E. M. BUYTAERT, John Damascene, De fide orthodoxa, Versions of Burgundio and Cerbanus (Franciscan Institute Publications, Text Series 8, 1955).

45 Gregorii Nysseni (Nemesii Emeseni) SEMI q cites; ävöOwnou liber a Burgundione in Latinum translatus, ed. C. I. BURKHARD (5 Teile, Programme Wien 1891-1902), Wid- mung Teil 1 S. 11 f.; vgl. Hugo von Honau, Liber dc ignorantia X 30, ed. HARING, Mediaeval Studies 25 (1963) S. 220, dazu Haring ebenda S. 211.

4, Vgl. etwa über den Hamburger Ratsdtreiber Jordan von Boizenburg H. REINCKE in Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 72 (1955) S. 106 if., weiteres bei TRUSEN, Anfänge S. 22 if.

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den gelehrten oder doch zumindest akademisch ausgebildeten Bewerbern zuteil, auch wenn diese weder dem Adel entstammen noch spezielle kirchliche oder aske- tische Verdienste geltend machen können. Noch Wilhelm von Champeaux hatte den Weg vom Lehrer der Philosophie zum Bischof auf dem Umweg über das Chorherrenstift Sankt-Viktor gemacht, dessen erster Abt er wurde; in der bos- haften Interpretation Abaelards hieß das: er gerierte sich fromm und asketisch, um Karriere machen zu können;. Für die folgende Generation wurde solcher Umweg entbehrlich. Unabhängig von Herkunft, Geburtsstand und Orden wird dem Gelehrten der Bischofsstuhl erreichbar. Magister Alberich von Reims wird 1137 Erzbischof von Bourges; die um 1150 in Paris lehrenden Magister erreichen großenteils Bisdhofsstühle: Gilbert Porreta in Poitiers, der Lombarde Petrus in Paris selbst. Robert von Melun in Hereford (England); diese Beispiele ließen sich leicht vermehren4s. Freilich war auch der Hof des Erzbischofs Theobald von Canterbury ein Bildungszentrum von solchem Niveau, daß er hochgelehrte Bi-

schöfe liefern konnte, die Frankreich nie besucht hatten49. Aber im anglo-fran- zösischen Kulturkreis kann man jetzt fast nur noch auf Grund hoher Bildung Bischof werden. Auch aus Deutschland zieht mancher Adlige in die Francia - Otto von Freising ist der bekannteste -, aber noch um 1140 vermerkt man es als unerhört rühmenswert, daß ein Saarbrücker Grafensohn und Neffe des Erz- bischofs von Mainz, der doch allein auf Grund seiner Herkunft leicht Karriere

machen konnte, sich doch - auf Rat seines Oheims - den Strapazen eines Stu- diums in Reims unterzieht, die sonst nur Arme auf sich zu nehmen pflegenso. Friedrich Barbarossa bemüht sich persönlich, einem jungen Verwandten des Herrscherhauses das Studium im Ausland - Paris oder Bologna - zu ermög- lichen, «auf daß er der Salzburger Kirche, und wenn wir es wollen, dem Kaiser-

47 Historia calamitatum, cd. MONFRIN S. 65: ad regularium clericorum ordinem se convertit ea tit referebant intentione, zit quo religiosior crederetur ad maioris prelationis gradum promoveretur, sicut in proximo contingit.

48 Adam Parvipontanus ist aber anscheinend nicht, wie die ältere Literatur meint, mit dem Bischof von Saint-Asaph (Wales) identisch, vgl. L. MINIO-PALUELLO, The «Ars dis-

serendi» of Adam of Balsham «Parvipontanus», Mediaeval and Renaissance Studies 3 (1954) S. 116-169, bes. S. 165 f.

49 Viel Material bei D. KNOGZES, The Episcopal Colleagues of Archbishop Thomas Becket (Cambridge 1951); vgl. auch die Anm. 35 genannte Literatur.

51 Vita Adalberti bei Ph. JAFFE, Bibliotheca rerum Germanicarum 3 (1866) S. 579 f. besonders Vers 362 ff.: Ut sum prefatus, fuit ergo stupor geminatus; / nmque viro claro solet hoc contingere rarol ingenuoque nimis florenti rebus opimis: / ut totam mentem, studio rum lucra sequentem, / a mundo vertat: cum plus hic paupere certat/ artes excolere, tim eat quasi dives egere. / Namque solent mentes adhibere frequenter egentes, 1 rat capiant artes, patrias et linquere partes etc.

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hofe umso ehrbarer dienen könne»51. Die Bistümer bleiben in Deutschland dem Adel vorbehalten, ob gebildet oder nicht, aber manch andere Pfründe öffnet sich auch hier dem Bürgerlichen durch das Studium. Keine Diözese kann mehr ohne akademisch gebildete Geistliche verwaltet werden.

Wir haben gesehen, daß an den königlichen und bischöflichen-Höfen ebenso wie in den Städten im Laufe des 12. Jahrhunderts eine Art neuer Stand der Akademiker - kein abgesdhlosseneife htsstand, aber einBerufsstand - auftritt. Das spiegelt sich auch in dem Aufkommen neuer Bedeutungen für alte Standes- bezeichnungen. Die alte, durch Tonsur und Weihen bestimmte Scheidung zwi- schen Klerikern und Laien verwischt sich, wenn immer mehr Scholaren zwar die Tonsur nehmen und damit rechtlich Kleriker werden, aber die sakramentalen Weihen nicht folgen lassen. Schon um 1115 bemerkt der Mönch Rupert von Deutz

mit Mißfallen, es sei neuerdings üblich geworden, einen jeden sehr gebildeten Mann, welches Standes oder habitus er auch sei, als clericus zu benennen52. Die Bildung macht den Stand aus. Französische Königsurkunden unterscheiden im 15. Jahrhundert zwischen Scholaren und Laien53. Damit setzt eine Entwicklung

ein, die schließlich dazu führt, daß der laicus identisch mit dem illiteratus ist,

während der Schreiber im Französischen le clerc heißt. In Sizilien zitiert das

Gesetzeswerk Rogers II. 1140 das Wort, die Juristen seien Priester des Rechtes54,

und um die gleiche Zeit beginnt man in der Lombardei diejenigen Richter, die

nicht iuris periti sind, d. h. keine juristische Ausbildung haben, als laici zu be-

zeichnen55. Das Recht geht aus der Hand der durch Geburtsstand und über-

-II Friedrich I. an Erzbischof Eberhard I. von Salzburg bei H. SUDENDORF, Registrum 2 (Berlin 1851) S. 130 Nr. 153 (von 1155-59): ut maiore scientia imbutus ecciesie tue (sc. Salzburgensi) honestius militare et curie nostre quando voluerimus valeat servire. Vgl. dazu P. CLASSEN in MJOG 67 (1959) S. 251.

52 Rupert, Widmungsbrief zum Johanneskommentar an Kuno von Siegburg, Migne PL 169,203/204: clericum quo nomine designari mos est cuiuscumque ordinis vel habitus

valenter literatum. Vgl. auch Johannes von Salisbury, Metalogicon I 5, ed. WEBB S. 18: sequaces eorum non modo philosophos negant, immo nec clericos patiuntur, nix homines

sinunt esse, sed bones Abrahae vel asinos Balaamitos ... Auch hier meint clericus offen- bar einen Begriff der Bildung, nicht des Kirchenrechtes.

53 So schon das Privileg Philipps II. für Paris von 1200, CUP 1 S. 59 Nr. 1: si alicui scolari ab aliquo laico iniuriam Cheri aliquis viderit. Papsturkunden pflegen korrekter den scbolares die burgenses oder tines gegenüberzustellen, z. B. ebenda Nr. 81,88 S. 140, 144 u. ö.

5+ Prolog der Assisen von Ariano, zitiert bei E. H. KANroRowscz, The King's Two Bodies (Princeton N. J. 1957) S. 118, mit Anspielung auf Digesten 1,1,1 §1 (Ulpian).

55 Vgl. FICKER, Forschungen 3 S. 27 mit Anm. 5 (älteste Belege aus Mailand und Brescia 1147), S. 456,471.

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18 Die hohen Schulen und die Gesellschaft

lieferung als weise geltenden Männer in die der Fachleute über, und im 13. Jahr- hundert behalten städtische Statuten ebenso wie Gesetze und Verordnungen

Friedrichs II. für Sizilien es diesen ausdrücklich vorsa - der Unausgebildete, der laicus, wird vom Richteramt ausgeschlossen. Das ständische Selbstbewußtsein der Bologneser Scholaren findet schon um 1180 seinen Ausdruck darin, daß diese

nicht nur als «Herren» - domini oder signori - angeredet sein wollen, sondern auch ritterliche Standesrechte beanspruchen57. Der akademisch Gebildete tritt in den Wettbewerb mit dem durch Geburtsstand hervorgehobenen Ritter. Einzel- beispiele dafür, etwa anläßlich der Vergebung königlicher oder kirchlicher Am-

ter, ließen sich in Menge anführen - bis hin zu jenen lateinischen Streitgedichten, in denen die Mädchen darum zanken, ob der Ritter oder der Clericus besser zur Liebe geeignet sei, und aus diesem Anlaß die Vorzüge und Nachteile beider

Stände ausführlich schildern-18. Zur Geschichte der hohen Schulen und Universitäten gehört als notwendiges

Korrelat die Sozialgeschichte der akademisch Gebildeten, und hier stehen wir noch ganz am Anfang der Forschung. Das gilt auch für die Entstehungszeit der

ersten Universitäten. Während man die Zeugnisse über diese selbst, ihre Institu-

tionen und ihre Lehrer verhältnismäßig sorgfältig gesammelt hat, bedarf es noch mühsamer Kleinarbeit, um die weit verstreuten Zeugnisse über Leben und Wir- ken derer zu sammeln, die die hohen Schulen in deren erster Zeit besucht haben,

um dann an den weltlichen oder geistlichen Höfen und in den Städten zu wir- ken59. Erst wenn dies geschehen ist, wird man genauer verfolgen können, was

56 Ebd. 3 S. 28 mit Nachweisen aus Verona 1228 und aus den Konstitutionen von Melfi. Weitere Belege in zahlreichen Statuten. Das vor 1234 auf den Namen des Kaisers Theodosius gefälschte Privileg für die Universität Bologna erklärt Urteile für ungültig, wenn der index oder causidicus nicht wenigstens 5 Jahre in Bologna selbst studiert hat;

vgl. G. FASOLI - G. B. PtcHI, Il privilegio Teodosiano, Studi c Memorie per la Storia dell'Universitä di Bologna, Nuova Serie 2 (1961) S. 55-94, bes. S. 62 (Text) und S. 83 f. (Kommentar).

57 DENIFLE, Entstehung 1 S. 152; E. H. KANronowlcz, Selected Studies (Locust Valley N. Y. 1965) S. 153 f.

58 Am bekanntesten die Dichtungen de Phyllide et Flora, cd. J. A. SCHMELLER, Car-

mina Burana (Breslau 19044) S. 155-165, und das Liebeskonzil von Remiremont, cd. Wil- helm MEYER, Nachrichten Göttingen 1914 S. 1-19; zu beiden und ähnlichen Dichtungen H. WALTHER, Das Streitgedicht in der lateinischen Literatur des Mittelalters (1920) S. 145 if. und F. J. E. RAaY, A History of Secular Latin Poetry in the Middle Ages 2(Oxford 1957) S. 290 if.

59 Methodisch richtungweisend die Untersuchungen über Orleans im 13. Jahrhundert

von MEIJERS, Etudes S. 3-148 und besonders S. STELLING-MICHAUD, L'universite de Bo- logne et la penetration des droits romain et canonique en Suisse au XIII° et XIV°

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ich hier an einigen markanten und z. T. bekannten Beispielen zu belegen ver- suchte, die Verflechtung der akademischen Gesellschaft mit der höfischen und der bürgerlichen und das Entstehen eines Akademiker-Standes.

Auch Rittertum und Bürgertum sind eben erst im 11. und 12. Jahrhundert da- hin gelangt, eigene Stände zu bilden. Beide überbrücken mannigfache alte Un-

terschiede rechtlich freier und unfreier Abkunft durch soziale und berufliche Ge-

meinsamkeiten, und sie gelangen durch genossenschaftliche Einung zur Bildung

neuer sozialer Formen. Auf solcher Einung beruht auch der Schritt von der Viel-

zahl unsteter Schulen im frühen zu den wenigen Universitäten im späten 12. Jahrhundert.

Das wesentliche Neue an den Schulen im frühen 12. Jahrhundert war die Frei-

zügigkeit, sowohl der Lehrer als auch der Scholaren, gewesen. Aber in einer Zeit, da es kein allgemeines Bürgerrecht gab, sondern ein jeder in den Rechtskreis ge- bunden war, dem er durch Stand und Geburt zugehörte, da jeder nur dort Recht finden konnte, bedurfte die Freizügigkeit des Schutzes, der in doppelter Weise begründet werden konnte: von den Scholaren und Magistern selbst durch genos- senschaftliche Einung, die einen neuen, eigenen Rechtskreis schuf, und von den

geistlichen und weltlichen Obrigkeiten durch Anerkennung und Privilegierung dieses Rechtskreises. Schon in den 1130er Jahren finden wir die Reimser Studen-

ten in landsmannschaftlichen Gruppen beisammen; neben Franzosen und Eng- ländern bilden die Deutschen eine eigene Gruppes0: in ihrer Gesamtheit sind die Scholaren bei den üblichen Schlägereien den Bürgern überlegen. 1158 erläßt Friedrich Barbarossa, beraten von den Bologneser Doktoren, das erste Scholaren-

privileg, nicht für eine abgegrenzte Gruppe, sondern als ein dem Codex Justi-

nians einzufügendes allgemeines Gesetz, die berühmte Authentica Habitaah. Sie

verbietet insbesondere, Scholaren in der Fremde für die Schulden ihrer Lands- leute haftbar zu machen, und gesteht den Studenten den Gerichtsstand unter ihrem Lehrer oder dem Bischof der Hochschulstadt zu. Rechtsschutz in der Fremde, das ist das erste, dessen die Scholaren bedürfen; das Streben nach Rechtssicherheit muß dort, wo Scholaren in großer Zahl zusammenströmen, die Konstituierung von Gruppen fördern, die als Korporationen rechtlich anerkannt zu werden suchen. So ist denn die Bologneser Studentenuniversität aus den zu-

siecles (Genf 1955) und S. et S. STELLING-MicHAUD, Les juristes Suisses. Die Eigenart der Quellen des 12. Jh. erfordert freilich andere Wege im Einzelnen.

CO Vita Adalberti (wie Anm. 50) S. 583 Vers 486 ff. 61 Zur cHabita» vgl. die von GRUNDMANN, Ursprung S. 31 Anm. 2 genannte Litera-

tur, ferner KtnRE, Scholarly Privileges S. 10 ff., [STELZER, Authentica «Habita», mit wei- terer Literatur].

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nächst vier, dann zwei landsmannschaftlich unterschiedenen universitates, d. h. Genossenschaften, der Fremden in Bologna hervorgegangen; weder die in Bo- logna beheimateten Studenten noch die dort Bürgerrecht genießenden Doktoren hatten einen Anlaß, Glieder einer solchen Genossenschaft zu werden62.

In Paris schlossen sich zunächst die Magister zusammen; Reibungen mit dem Kanzler mögen dabei mitgewirkt haben - in jedem Fall war die invidia der Abaelardzeit auf die Dauer keine Grundlage für die Existenz vieler Lehrer an einem Ort; gemeinsame Interessen zwangen sie zur rechtlichen Einung. Dem Kanzler des Bischofs stand das Recht zu, die licentia docendi zu erteilen, aber erst die Aufnahne in die Genossenschaft der Magister ergab die Möglichkeit, von dieser Lizenz Gebrauch zu machen. Im Jahre 1212 erzwingen die Magister mit päpstlicher Hilfe die Lizenzierung eines jeden von ihnen selbst für geeignet Er- klärten durch den Kanzler. Der Abschluß einer Gemeinschaft nach außen und die Einführung feierlicher Aufnahmeriten korrespondieren miteinander; die öffentliche inceptio - eine Art Antrittsvorlesung oder Antrittsdisputation - ist geradezu als der Ursprung der universitas selbst bezeichnet worden6S. Sie hat ihre Parallelen in Ritterweihe und Ritterschlag, in Bürgereid und feierlicher Auf- nahme unter die Meister einer Zunft.

Warum aber erreichte dies Ziel des genossenschaftlichen Zusammenschlusses, das Ziel der universitas, nur Paris - nicht Chartres, Reims oder Laon? Paris hat

auf dem Gebiet der Theologie und Philosophie bis gegen die Mitte des 12. Jahr- hunderts nicht jene einzigartige Stellung, wie sie Bologna in den Rechtswissen-

schaften seit Guarnerius auszeichnet. Der Sieg der Pariser Schulen über alle an- deren der Francia läßt sich, wenn überhaupt, nur sozialgeschichtlich erklären. Ge- rade der Vergleich zwischen Paris und Chartres mag einige Hinweise geben. Eben um die Zeit, da Paris allen anderen Schulen den Rang abläuft, fällt Char- tres deutlich zurück: was man in der Philosophie- und Theologiegeschichte nach etwa 1150 noch der «Schule von Chartres» zuzuschreiben pflegt, steht zwar in der geistigen Tradition Bernhards von Chartres, aber lokal und institutionell hat es mit Chartres nichts mehr zu tun6ý.

02 Über Bologna neben den von GRUNDM KNN, Ursprung S. 39 Anm. 2 zitierten Ar- beiten weitere Aufsätze in den Studi e Memorie per la Storia dell'Universitä di Bologna, Nuova Serie vol. 1 und 2 (Bologna 1954 und 1961).

63 DENIFLE, Entstehung S. 70; RAst-IWA. L I S. 283 ff. Schon die Statuten Robert Cour- gons von 1215 verbieten Gelage aus diesem Anlaß - offenbar eine bestehende Gewohn- heit: CUP 1 S. 79 Nr. 20.

64 Der letzte große Lehrer von Chartres, Thierry, resignierte um 1150/55, vgl. zu- letzt HAZING, Clarembald of Arras, S. 26. Clarembald scheint nach Harings Ausführun- gen nie - auch als Student nicht - in Chartres gewesen zu sein; als Schüler Thierrys

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Chartres sträubte sich gegen den Ansturm der Masse und das Streben nach rascher Ausbildung. «Als die Meinung mehr galt denn die Wahrheit», so berich-

tet Johann von Salisbury, «als die Menschen lieber Philosophen scheinen als sein wollten und Professoren der Artes versprachen, ihren Hörern die gesamte Philo-

sophie in weniger als zwei oder drei Jahren einzutrichtern, da gaben sie - näm- lich Wilhelm von Conches und Richard Episcopus, die Schüler des Bernhard von Chartres -, besiegt vom Ansturm der ungebildeten Masse, ihre Lehrtätigkeit

auf. Seitdem wurde weniger Zeit und Sorgfalt auf das Grammatikstudium ge- wandt. Daher kommt es, daß, wer alle freien und technischen Künste lehrt, doch die erste Kunst, die Grundlage, nicht kennt, ohne die man vergebens zu den an- deren fortschreitet«t

. Ahnlich resigniert äußert sich Thierry, der sich 1141 von

Paris nach Chartres begab, um Gilbert als Kanzler abzulösen, der damals von Chartres nach Paris ging66. In einem Dialog spricht später ein Schüler Gilberts

in dessen Pariser Zeit gehört er zur «Schule von Chartres» in der weiteren Bedeutung des Begriffs. Das Verhältnis dieser geistigen Strömung, die durchaus zu Recht «Schule von Chartres» genannt zu werden pflegt, zu den Schul-Institutionen in Chartres selbst ver- diente neue Untersuchung. [Vgl. unten S. 30 f. Anm. 3 J. F. ]

65 Metalogicon I, 24, cd. WEBB S. 57 f.: Ad buius magistri (sc. Bernardi Carnotensis) formam preceptores mei in gramatica, Willelmus de Condhis et Ricardus cognomento Episcopus, ... suos discipulos aliquandiu infonnaverunt. Sed postmodum, ex quo opinio veritati preiudicium fecit ei homines videri quam esse philosophi, maluerunt profes- soresque artium se totam philosophiam brevius quarr triennio auf biennio transfusuros auditoribus pollicebantur, impetu multitudinis imperite victi cesserunt. Exinde autem minus temporis ei diligentie in gramatice studio i: npensutn est. Ex quo contingit ut qui omnes arses tam liberales quam mecanicas profitentur, nec primam noverint, sine qua frustra quis progredietur ad reliquas. - Man pflegt die hier beschriebenen Ereignisse in Chartres zu lokalisieren, vgl. POOLE, Illustrations (wie Anm. 35) S. 180 ff. Ganz sicher ist das nicht, wie auch die Frage, ob Johannes von Salisbury in Chartres studiert hat,

nicht endgültig geklärt ist; vgl. etwa die Zweifel von DELHAYE Traditio 5 (1947) S. 262 Anm. 41. - Ähnlich die Polemik Metalogicon I, 3, cd. WEBB S. 11 f.

66 Thierry, Kommentar zu Cicero, De inventione, bei P. THOMAS, Un commentaire du

moyen Age sur la rhetorique de Ciceron, Melanges Graus (Paris 1884) S. 41-45; S. 42: Nam medius fidius paucorum gratia multis mea prostitui. Sic tamen consilium meum contraxi, ut vulgus profanum ei farraginem scolae petulcam excluderem. Nam simula- tores ingenii execrando studium ei professores domestici studii dissimulando magistrum, tum etiam scolasticae disputationis bistriones inaniu)n verborum pugnis armati, tales quidem mea castra secuntur; sed extra palatium, quos sola nominis detulit aura mei, ut in partibus suis studio pellaciae Theodericum mentiantur. Vgl. N. M. HARING, Thierry of Chartres and Dominicus Gundissalinus, Mediaeval Studies 26 (1964) S. 271-286, bes. 277 f., der die Stelle sicher mit Recht auf Thierrys Spätzeit - wohl noch in Paris - bezieht; anders B. WIDMER, Thierry von Chartres, ein Gelehrtenschicksal des 12. Jahr- hunderts, HZ 200 (1965) S. 552-571, hier S. 567 f.

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davon, daß man bei Gilbert in Chartres zu vieren, in Paris aber zu 300 in der bischöflichen Halle hörte67.

Seit den späten Jahren Abaelards, seit etwa 1136, weist Paris eine ständig

wachsende Zahl von Magistern auf. Wie es scheint, fühlen sich die Studenten von den Magistern angezogen, die nicht - wie in Chartres - unter der Kontrolle

selbst hochgelehrter Kanzler stehen, und die den Studenten versprechen, schnell

«fertig» zu werden. Der Zustrom von Studenten und von Lehrern, die an den

Studenten verdienen, bedingen sich gegenseitig. Als Johann von Salisbury 1164

auf der Flucht vor seinem König nach Paris zurückkommt, da bricht er in Ent-

zücken über die Stadt seiner einstigen Studien aus. Die Fülle an Lebensmitteln, die Fröhlichkeit des Volkes, die Würde des Klerus, der Ruhm und die Geschäftig- keit der Gelehrten veranlassen ihn, die Stadt mit Jakobs Himmelsleiter zu ver- gleichen, auf der die Engel auf- und niedersteigen, und mit den Worten des

alttestamentlichen Patriarchen ruft er aus: «Wahrlich, der Herr ist an diesem

Orte, und ich wußte es nicht! » Und er zitiert das Dichterwort: «Felix exilirsrn, c: si locus iste datur»GB. Aber sein Freund Peter von Celle warnt ihn: «0 Paris,

wie bist du fähig, die Seelen zu fangen und zu betrügen. Du hast Netze des

Lasters, Fallstricke des Bösen, in dir trifft der Höllenpfeil die Herzen der To-

ren«69; und für Johannes selbst kam die Ernüchterung rasch: nach langer Suche

erst fand er ein Quartier in der überfüllten Studentenstadt, das er erst beziehen durfte, nachdem er 12 Pfund für die Miete eines ganzen Jahres im voraus erlegt hatte - nicht nur seine ganze Barschaft, auch seine Pferde hatte der Verbannte

opfern müssen70. Seit den 1170er Jahren werden dann die Weinberge der Ab-

teien Saint-Germain-des-Pres und Sainte-Genevieve auf dem linken Seine-Ufer

von geschäftstüchtigen Unternehmern Stück für Stück gerodet, um Mietshäusern Platz zu machen - sicherlich schon damals auch - freilich nicht nur - für Ma-

gister und Scholaren71.

87 Eberhard von Ypern bei HARING, Mediaeval Studies 15 (1953) S. 252: Ad qucm (sc. Gillebertum), audiendum mater mea, cuius nomen Ratio Atheniensis, consilio So- phiae, meae sororis, me in Franciam misfit. Cui Carnoti quartus in lectionem, Parisius in aula episcopi fere trecentesimus assedi. Daß der Sprecher eine metaphorische Figur ist, berührt unsere Frage nicht. Ober die Quelle vgl. N. M. HARING, The Cistercian Everard of Ypres and His Appraisal of the Conflict between St. Bernard and Gilbert of Poitiers, Mediaeval Studies 17 (1955) S. 143-172.

68 CUP 1 S. 17 f. Nr. 19. 60 ebenda S. 24 Nr. 22. 70 ebenda S. 19 Nr. 19. 71 Belege bei L. HALPHEN, Paris sous les premiers Capeticns (Paris 1909) S. 23 if. u. ii.

Die von DENIFLE, Entstehung S. 664 if. und L. HALPHEN, A travers 1'histoirc du moyen

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Wer Weisheit und Wissenschaft nicht in der Einsamkeit eines Klosters, sondern in der Welt suchte, dem bot Paris mehr an Welt als Chartres, Laon oder Reims. Eben seit der Zeit der Könige Ludwig VI. und Ludwig VII. wurde Paris immer

mehr zur Königsstadt, immer mehr zum Sitz des Hofes und zur großen Stadt72. Höchst bezeichnend ist es, daß wir eine ganze Reihe von Empfehlungsbriefen hochgestellter Persönlichkeiten an König Ludwig VII. für studierende Söhne und Neffen besitzen73. Hier gab es mehr Verbindungen zu höfischen und bürger- lichen Kreisen, mit einem Worte, wer mit den Studien auch die große Welt suchte, der fand hier alles, vom König bis zum Freudenmädchen. Zugleich aber mußte auch die Vielzahl der mit- und gegeneinander lehrenden Magister ihren eigenen Reiz auf die ausüben, denen es vor allem um die Wissenschaft selbst ging.

So wird Paris zunächst zur rein zahlenmäßig den anderen überlegenen hohen Schule, sodann aber auch zur geistigen Autorität - und die Genossenschaft der Lehrenden gewinnt damit diejenige äußere Macht, die zur Begründung und An-

erkennung der neuen sozialen Form notwendig ist. Der blutige Konflikt zwischen der universitas einerseits, den Bürgern und dem königlichen pr6v6t anderseits, den eine Wirtshausschlägerei im Jahre 1200 hervorgerufen hatte, endete mit dem

vollen Sieg der Universität durch die Intervention König Philipps II. August und mit der Erteilung des ersten königlichen Privilegs für die Universität74. Dabei hatte bereits die Drohung der Magister, Paris zu verlassen und die Universität

an einen anderen Ort zu verlegen, mitgewirkt - eine Drohung, unter der die Universitäten der folgenden Jahrhunderte immer wieder standen und die, hier

und dort wahrgemacht, zu manchen Neugründungen führte. Man war stark ge- nug, drohen zu können; denn die Universität besaß zugleich geistige Autorität

und bedeutete mit ihren im 13. Jahrhundert wohl 6000-8000 Studenten75 in

age (Paris 1950) S. 290 ff. ausgesprochene Auffassung, vor dem 13. Jh. seien keine Scho- laren auf dem linken Seineufer aufgetreten, bedarf wohl der Modifizierung. Es ist daran zu erinnern, daß gemietete Räume nicht nur der Wohnung von Magistern und Scholaren, sondern auch dem Unterricht dienen mußten; Unterricht in der aula episcopi, wie ihn die Anm. 67 zitierte Quelle nennt, war seltene Ausnahme. Sicher nicht ohne Anlaß wurde den Kanonikern in Paris die Vermietung ihrer dornus claustrales an Scholaren gegen Ende des 12. Jh. verboten: CUP 1 S. 56 Nr. 55.

72 HALPHEN passim. 73 CUP 1 S. 37-39 Nr. 31-35, durchweg aus den 1160er Jahren, größtenteils aus der

Briefsammlung aus St. Viktor, Cod. Vat. Rcg. lat. 179 fol. 214r ff. Absender sind u. a. römische Aristokraten und Landgraf Ludwig H. von Thüringen.

74 CUP 1 S. 59 ff. Nr. 1, dazu RASHDALL 1 S. 294 ff., KIRRE, Scholarly Privileges S. 85 ff.

75 RASHDALL 3 S. 330 f.

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Paris einen wirtschaftlichen Faktor, mit dem nicht nur Städte, sondern auch Kö-

nige rechnen mußten. Freilich, die Konzentration der theologisch-philosophischen Wissenschaften auf

Paris bedeutet nicht nur Gewinn und Vertiefung, sondern auch Verlust. Wenn in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die Schulen von Chartres, Reims

u. a. merklich zurückgehen, heißt das nicht nur, daß Bildungsstätten verloren

gehen. In Paris ist allein das scholastische Distinguieren und die Disputatio die

weiterführende Methode - der Humanismus von Chartres, die Lektüre der Auctores und die Bildung des Menschen an ihnen, wie sie einem Johann von Salisbury als Ziel vorgeschwebt hatte, hat keine Zukunft mehr. Zugleich ver- mögen die Klöster nicht mehr jene schöpferische Theologie fortzuführen, die

Männer wie Hugo von St. Viktor, Bernhard von Clairvaux und Rupert von Deutz gepflegt hatten und die das Bild des 12. Jahrhunderts so reich macht. Diese klösterliche Theologie ist keineswegs so einseitig konservativ, wie die neu- ere Scholastik-Forschung oft gemeint hat; sie hat in Ruperts Biblizismus und in Bernhards Mystik, im Symbolismus Hildegards von Bingen und anderer tiefe

und neue Ideen, die von der Scholastik der Universität beiseite gedrängt werden. Im Streit mit den Theologen von Laon war Rupert der Neuerer, der Augustins

Autorität relativieren und nur die biblische Autorität als absolut anerkennen

wollte, der den Anspruch erhob, proprii ingenii vomere den Brunnen der Hei- ligen Schrift zu graben-, 0; und wenn auch Bernhard die großen Angriffe gegen Abaelard und Gilbert vortrug, so finden wir doch gerade unter Zisterziensern

und Augustinerchorherren eifrige Schüler und Anhänger dieser verketzerten Meister77. Nicht jeder faßte, wie einzelne Eiferer, sddola und ecclesia als Gegen-

sätze auf. Aber die scholastische Wissenschaft lebte, wie ihr Name sagt, von der Schule, und diese fand ihre gültige Form nicht mehr im abgeschiedenen Kloster,

sondern in der neuen universitas, die ihren Ort mitten in der Welt, in der Stadt, hatte. Selbst die Schule des Klosters Sankt Viktor in Paris kann nicht länger als zwei, drei Generationen während des 12. Jahrhunderts fruchtbar bleiben. Das

II So Rupert in der Widmung des Apokalypse-Kommentars an Erzbischof Friedrich

von Köln, Migne PL 169,825 ff., wörtlich übernommen von Gerhoch, Brief an Papst Alexander III., Migne PL 193,572, vgl. CLASSEN, Gerhoch S. 262 und 392; zum Streit Ruperts mit den Theologen Frankreichs ebenda S. 38 f.

77 So z. B. der Zisterzienser Eberhard von Ypern (vgl. oben Anm. 67) und der Re- gularkanoniker Adhemar von Saint-Ruf, über ihn N. M. HARING in den Archives d'histoire doctrinale et litteraire du moyen age, annee 1964 (erschienen 1965) S. 111-118; vgl. auch das Material bei P. CLASSEN, Zur Geschichte der Frühscholastik in Österreich

und Bayern, MIÖG 67 (1959) S. 249-277, bes. S. 270 f.

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Benediktinerrum und das Regularkanonikertum mit ihrer Bindung an die stabili- tas loci vermögen, audi wenn sie immer wieder Ordensleute auf die Schulen

schicken, nicht sich selbst in die neue soziale Gestalt der Schule, in die universitas, hineinzubegeben, und damit verkümmern ihre Schulen und ihre geistigen Tradi-

tionen, nachdem erst einmal die Universität sich durchgesetzt hat und die geistig regsamen Kräfte anzieht. Erst das Bettelmönchtum mit seiner ganz anderen Or- densverfassung ist von vornherein auf das Wirken in den Städten und im Volke

eingestellt und verschafft sich - gegen den hartnäckigen Widerstand der Univer-

sität - Eingang in die Universität selbst und damit einen neuen Wirkungskreis des Mönchtums, ohne doch die im 12. Jahrhundert abgebrochenen geistigen Ober- lieferungen neu beleben zu können.

Versuchen wir unsere Skizze zusammenzufassen. Geistige Impulse lassen seit der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert Schulen aufblühen, die in Auseinander-

setzung mit der kirchlichen und weltlichen Gesellschaft schließlich um 1200 ihre

gültige Gestalt in der neuen Universität finden. Untrennbar verbunden ist dieser Prozeß mit dem Entstehen eines akademischen Standes, der an den Höfen, in der Kirche und in den Städten wirkt und bald durch akademische Grade - Magister, Doktor - eine allgemein und allerorten anerkannte, dem Rittertum und der Meisterschaft im Handwerk vergleichbare Würde erhält. Das Werden der Uni-

versität und des akademischen Standes stehen in einer Wechselbeziehung, die ver- bietet, das eine als Folge des anderen zu deuten. Die Schulen des 12. wie die aus- gebildete Universität des 13. Jahrhunderts haben sich nie das Ziel gesetzt, die Höfe und Städte mit Fachleuten zu versorgen. \Vohl aber ist die neuartige so- ziale Gestalt der Universität durch die Gesellschaft mitgeformt worden; ja, erst das lebhafte Interesse weiter Kreise hat den hohen Schulen die Möglichkeit ge- geben, zu beständigen und unabhängigen Einrichtungen zu werden. Von Anfang

an steht die Lehre in der Spannung zwischen dem ursprünglichen Trieb, die Wahrheit zu suchen, und dem Wunsch vieler, praktische Ausbildung zu finden. Umgekehrt formen die Schulen, ohne dies eigentlich zu wollen, den neuen akade- mischen Stand und verändern das gesamte Gefüge der Gesellschaft wesentlich, machen es reicher und komplizierter.

Staatliche und kirchliche Autorität sind am Entstehen der Universität zunächst allenfalls mittelbar beteiligt; erst nachträglich sind Landesherren, wie Kaiser Friedrich II. in Neapel, auf die später oft imitierte Idee gekommen, Staatsan- stalten zur Erziehung der Landeskinder und zur Versorgung des Reiches mit Beamten zu schaffen, - also Einrichtungen, die weder studium generale noch universitas im echten Sinne waren. Die Auseinandersetzung mit staatlicher und kirchlicher Autorität bildet seit dem 13. Jahrhundert ein wichtiges Kapitel der

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Universitätsgeschichte78, das nicht nur von mancher Unterdrückung zu reden weiß, sondern auch von jener Verführung, da die Pariser Universität auf dem Weg über die Konzilien des 15. Jahrhunderts die Entscheidungen der großen Politik von Staat und Kirche an sich zu ziehen suchte - und dabei mit dem

politischen Ansehen auch ihre geistige Freiheit verlor. Die Aufgabe, zwischen dem Anspruch der Gesellschaft und der politischen Autoritäten einerseits und dem geistigen Imperativ anderseits ihren eigenen Weg zu finden, ist der Uni- versität gestellt, solange sie noch einen Rest der Unabhängigkeit und der genos- senschaftlichen Verfassung ihrer Ursprünge zu bewahren vermag.

78 Vgl. den knappen, aber an Anregungen reichen Bericht von J. Lt: GoFF, Les Uni- versites et les Pouvoirs Publics au Moyen Age et 1 la Renaissance, in: Comite Internatio- nal des Sciences Historiques, Congre's Vienne 1965, Rapports III: Commissions (1965) S. 189-206, mit Bibliographie S. 203-206.