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Aufnahmen J. H. Froytag Diese prachtvolle Maske soll Obalufon II., einen Oni (König) von Ifc, darstellen. Sie besteht aus fast reinem Kupfer. Die Löcher dienten vermutlich zum Einfügen von Haaren. Die Obalufon-ilaske wurde als einsige seit jeher im Palast von Ife aufbewahrt, kam aber erst 1919 an die Ocffentlichkeit. Als Verqlcieh zu den Ifc-Plastikcn ein Tironzelcopf aus Benin. Er stellt einen Oba (Häuptling) aus dem 17. Jahrhundert dar. Die Technik des Mctallgielicns wurde nach der Ucbcrlieferung einst von Ife über- nommen, aber der Stü ist ein völlig anderer geworden. DAS RÄTSSL VON IFE nu Mitten aus dem afrikanischen Tropenwald ragt eine Sphinx, ein kunsthistorisches Rätsel, eine Hoch- kultur ohne Anfang und Ende. Im Süden von Nigeria, in der Nähe der Guinea- kfiste und der Nigermündung, liegt die Stadt Ife, heute eine Siedlung von 100 000 schwarzen Ein- wohnern. Sie war von jeher der geistige Mittel- punkt des Stammes der Joruba, eines Volkes von vier Millionen Menschen, und gilt in der einhei- mischen Mythologie als Zentrum, von dem aus die Welt erschaffen wurde. Die heute weltberühmte Ife-Kiinst jedoch war bis vor nicht allzu langer Zeit verschollen und vergessen. Als die Engländer 1897 in die Stadt Benin ein- drangen, die damals wegen massenweiser Menschen- opfer berüchtigt war, fanden sie zu ihrem Erstaunen eine alte Tradition des Bronze- und Messinggießens vor und glaubten zunächst, die Leute von Benin müßten die Kunst von den Portugiesen gelernt haben, die dort Jahrhunderte hindurch häufige Gäste gewesen waren. Das war jedoch eine Täu- schung; schon die ersten Portugiesen, die im Jahr 1485 nach Benin gekommen waren, hatten dort einige Bronzeplastiken gefunden. Und nun taucht der Name Ife zum erstenmal auf: nach der Ueber- lieferung hatte man nämlich in Benin die Kunst des Bronzegießens von Ife gelernt und übernommen. Von dieser Ife-Kunst hatte niemand eine Ahnung, bis im Jahr 1910 der deutsche Archäologe Leo Frobenius die Stadt besuchte und dort das Vorhan- densein mehrerer sehr schöner Terrakottaköpfe und des erstaunlichen Messingporträts der Olokun ent- deckte. Olokun war nach der Ife-Mythologie die Gemahlin des Odudua, der vom Himmel nieder- stieg, um die Joruba-Welt zu erschaffen. Aber dieses einzige Beispiel vermochte noch nicht, die allge- meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Es dauerte nochmals fast dreißig Jahre, bis es möglich wurde, die Bedeutung dieser Kunst zu würdigen: im Jahre 1938 wurden beim Königspalast von Ife durch Zufall unter einer dünnen Erdschicht weitere 18 Messingköpfe gefunden. Der zurückhaltende Naturalismus dieser Porträts, die Reinheit und Würde ihres Ausdrucks und die technische Voll- endung der Arbeit sicherten ihnen rasch einen Platz unter den Meisterwerken der Welt. Ende des letzten Jahres sind bei Bauarbeiten einige weitere Figuren zum Vorschein gekommen, so daß man bis jetzt etwas über zwanzig Beispiele kennt. Sie sind sozusagen vollzählig im Museum von Ife vereinigt. Wann sind diese herrlichen Köpfe entstanden, wer hat sie geschaffen? Die gebräuchlichste Hypo- these bringt die Kunst von Ife in Zusammenhang mit der Einwanderung einer Volksgruppe aus dem Nordosten, die frühestens im 8. Jahrhundert statt- gefunden haben kann. Wahrscheinlicher ist es, daß die Entstehung nicht allzulange vor der Entdeckung von Benin durch die Portugiesen im Jahr 1485 an- Höflinge in der Empfangshalle des Palastes von Ife. zusetzen ist; denn die kleine Zahl von Werken, die damals dort vorhanden waren, läßt vermuten, daß die Kunst des Metallgießens noch neu war; und in Ife, von wo deren Kenntnis gekommen war, gibt es wiederum so wenige Kunstwerke, daß man anneh- men muß, sie seien von einer kleinen Gruppe von Künstlern in einem kurzen Zeitraum geschaffen worden. Bestimmte Details, zum Beispiel die gleich- artige Behandlung von Augen und Ohren, weisen sogar auf einen einzigen Künstler hin. Man weiß, daß die Karawanenrouten vom Mittel- meer durch die Sahara schon vor der christlichen Aera benützt wurden. Wahrscheinlich gelangte das Metall und Hie Kenntnis seiner Bearbeitung auf diesem Wege ins Innere Afrikas; aber die Be- arbeitung des Kupfers und seiner Legierungen wurde dort wahrscheinlich erst nach dem Eindrin- gen der Araber in Nordafrika bekannt. Im Jahr 1477 staunte ein Italiener über die Menge von Kupfer, die von Nordafrika aus durch die Wüste transpor- tiert wurde. Andere Vermutungen leiten die Kunst von Ife her von der ctruskischen Kunst in Italien um 1500 vor Christus, von der altägyptischen Zivilisation, aus persischer oder indischer Quelle, vom oberen Nil oder von Nubien, und manche halten sie für das Werk eines wandernden klassisch-griechischen, römi- schen oder Renaissancebildhauers. Ueber die angewendete Technik weiß man Be- scheid. Es handelt sich um das sogenannte «cire- perdue»-Vcrfahren, das Verfahren des «verlorenen Wachses». Ueber einer rohen Form aus Lehm wird die Plastik aus Wachs modelliert und darüber wie- der eine Schicht Lehm gelegt. Wenn dieser trocken ist, wird das Wachs herausgeschmolzen und durch das flüssige Metall ersetzt. Von jeder Form kann nur ein einziger Abguß gemacht werden, und jeder Feh- ler macht die ganze Arbeit zunichte. Metallanalysen haben ergeben, daß eher Messing (Kupfer mit Zink) als Bronze (Kupfer mit Zinn) verwendet wurde. Wer aber mag vor 500 oder mehr Jahren diese Kunst in Ife ausgeübt haben? Es ist undenkbar, daß solche Vollendung isoliert und aus dem Nichts ent- stand; vielmehr erscheint sie als der Gipfel einer langen Entwicklung. Von dieser Entwicklung ist aber bis jetzt keine Spur zum Vorschein gekommen, genau wie diese Kunst nach ihrem Höhepunkt ebenso jäh wieder abzubrechen scheint. Ihr Realismus weicht so stark von der traditionellen westafrikanischen Plastik ab, die sich in der Formgebung in keiner Weise an die natürlichen Vorbilder hält, daß man zweifelt, ob ein Einheimischer ihr Urheber gewesen sei. Wer aber der Meister .von Ife in Wirklichkeit Halbfigur aus Messing, vermutlich einen Oni (Kö- nig) von Ife darstellend. Sio gehört eum Schals von 18 Plastiken, die 1938 su fällig außerhalb des Königspalastcs gefunden wurden v/nd 'die die Kunst von Ife auf einen Sehlag weltberühmt machten. war, bleibt vorläufig eines der großen ungelösten Rätsel der Kunstgeschichte. Vielleicht werden wei- tere Entdeckungen in Ife selbst, vielleicht aber ver- wandte Funde an einem ganz anderen Ort die Lösung bringen' UunsmUer Neue Zürcher Zeitung vom 19.10.1957

II., Ife RÄTSSL IFE - static.nzz.chRätsel+von+Ife_1.18161060.pdf · Olokun war nach der Ife-Mythologie die Gemahlin des Odudua, der vom Himmel nieder-stieg, um die Joruba-Welt zu

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Page 1: II., Ife RÄTSSL IFE - static.nzz.chRätsel+von+Ife_1.18161060.pdf · Olokun war nach der Ife-Mythologie die Gemahlin des Odudua, der vom Himmel nieder-stieg, um die Joruba-Welt zu

Aufnahmen J. H. Froytag

Diese prachtvolle Maske soll Obalufon II., einen Oni (König) von Ifc, darstellen. Sie besteht aus fastreinem Kupfer. Die Löcher dienten vermutlich zum Einfügen von Haaren. Die Obalufon-ilaske wurdeals einsige seit jeher im Palast von Ife aufbewahrt, kam aber erst 1919 an die Ocffentlichkeit.

Als Verqlcieh zu den Ifc-Plastikcn ein Tironzelcopf aus Benin. Er stellt einen Oba (Häuptling) aus dem17. Jahrhundert dar. Die Technik des Mctallgielicns wurde nach der Ucbcrlieferung einst von Ife über-

nommen, aber der Stü ist ein völlig anderer geworden.

DAS RÄTSSL VON IFEnu

Mitten aus dem afrikanischen Tropenwald ragt

eine Sphinx, ein kunsthistorisches Rätsel, eine Hoch-

kultur ohne Anfang und Ende.

Im Süden von Nigeria, in der Nähe der Guinea-

kfiste und der Nigermündung, liegt die Stadt Ife,

heute eine Siedlung von 100 000 schwarzen Ein-wohnern. Sie war von jeher der geistige Mittel-punkt des Stammes der Joruba, eines Volkes von

vier Millionen Menschen, und gilt in der einhei-

mischen Mythologie als Zentrum, von dem aus dieWelt erschaffen wurde. Die heute weltberühmteIfe-Kiinst jedoch war bis vor nicht allzu langer Zeitverschollen und vergessen.

Als die Engländer 1897 in die Stadt Benin ein-drangen, die damals wegen massenweiser Menschen-opfer berüchtigt war, fanden sie zu ihrem Erstaunen

eine alte Tradition des Bronze- und Messinggießens

vor und glaubten zunächst, die Leute von Beninmüßten die Kunst von den Portugiesen gelernt

haben, die dort Jahrhunderte hindurch häufige

Gäste gewesen waren. Das war jedoch eine Täu-schung; schon die ersten Portugiesen, die im Jahr1485 nach Benin gekommen waren, hatten dorteinige Bronzeplastiken gefunden. Und nun taucht

der Name Ife zum erstenmal auf: nach der Ueber-lieferung hatte man nämlich in Benin die Kunst desBronzegießens von Ife gelernt und übernommen.

Von dieser Ife-Kunst hatte niemand eine Ahnung,

bis im Jahr 1910 der deutsche Archäologe Leo

Frobenius die Stadt besuchte und dort das Vorhan-

densein mehrerer sehr schöner Terrakottaköpfe und

des erstaunlichen Messingporträts der Olokun ent-

deckte. Olokun war nach der Ife-Mythologie die

Gemahlin des Odudua, der vom Himmel nieder-stieg, um die Joruba-Welt zu erschaffen. Aber dieseseinzige Beispiel vermochte noch nicht, die allge-

meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Es

dauerte nochmals fast dreißig Jahre, bis es möglich

wurde, die Bedeutung dieser Kunst zu würdigen:

im Jahre 1938 wurden beim Königspalast von Ifedurch Zufall unter einer dünnen Erdschicht weitere

18 Messingköpfe gefunden. Der zurückhaltendeNaturalismus dieser Porträts, die Reinheit und

Würde ihres Ausdrucks und die technische Voll-endung der Arbeit sicherten ihnen rasch einen

Platz unter den Meisterwerken der Welt. Ende des

letzten Jahres sind bei Bauarbeiten einige weitereFiguren zum Vorschein gekommen, so daß man bisjetzt etwas über zwanzig Beispiele kennt. Sie sindsozusagen vollzählig im Museum von Ife vereinigt.

Wann sind diese herrlichen Köpfe entstanden,

wer hat sie geschaffen? Die gebräuchlichste Hypo-

these bringt die Kunst von Ife in Zusammenhang

mit der Einwanderung einer Volksgruppe aus demNordosten, die frühestens im 8. Jahrhundert statt-gefunden haben kann. Wahrscheinlicher ist es, daß

die Entstehung nicht allzulange vor der Entdeckung

von Benin durch die Portugiesen im Jahr 1485 an-

Höflinge in der Empfangshalle des Palastes von Ife.

zusetzen ist; denn die kleine Zahl von Werken, diedamals dort vorhanden waren, läßt vermuten, daß

die Kunst des Metallgießens noch neu war; und inIfe, von wo deren Kenntnis gekommen war, gibt es

wiederum so wenige Kunstwerke, daß man anneh-

men muß, sie seien von einer kleinen Gruppe von

Künstlern in einem kurzen Zeitraum geschaffen

worden. Bestimmte Details, zum Beispiel die gleich-

artige Behandlung von Augen und Ohren, weisensogar auf einen einzigen Künstler hin.

Man weiß, daß die Karawanenrouten vom Mittel-meer durch die Sahara schon vor der christlichenAera benützt wurden. Wahrscheinlich gelangte das

Metall und Hie Kenntnis seiner Bearbeitung aufdiesem Wege ins Innere Afrikas; aber die Be-arbeitung des Kupfers und seiner Legierungen

wurde dort wahrscheinlich erst nach dem Eindrin-gen der Araber in Nordafrika bekannt. Im Jahr 1477

staunte ein Italiener über die Menge von Kupfer,

die von Nordafrika aus durch die Wüste transpor-

tiert wurde.

Andere Vermutungen leiten die Kunst von Ifeher von der ctruskischen Kunst in Italien um 1500

vor Christus, von der altägyptischen Zivilisation,

aus persischer oder indischer Quelle, vom oberen

Nil oder von Nubien, und manche halten sie für das

Werk eines wandernden klassisch-griechischen, römi-schen oder Renaissancebildhauers.

Ueber die angewendete Technik weiß man Be-

scheid. Es handelt sich um das sogenannte «cire-perdue»-Vcrfahren, das Verfahren des «verlorenenWachses». Ueber einer rohen Form aus Lehm wirddie Plastik aus Wachs modelliert und darüber wie-der eine Schicht Lehm gelegt. Wenn dieser trockenist, wird das Wachs herausgeschmolzen und durchdas flüssige Metall ersetzt. Von jeder Form kann nurein einziger Abguß gemacht werden, und jeder Feh-

ler macht die ganze Arbeit zunichte. Metallanalysen

haben ergeben, daß eher Messing (Kupfer mit Zink)

als Bronze (Kupfer mit Zinn) verwendet wurde.

Wer aber mag vor 500 oder mehr Jahren diese

Kunst in Ife ausgeübt haben? Es ist undenkbar, daß

solche Vollendung isoliert und aus dem Nichts ent-stand; vielmehr erscheint sie als der Gipfel einerlangen Entwicklung. Von dieser Entwicklung ist aber

bis jetzt keine Spur zum Vorschein gekommen, genau

wie diese Kunst nach ihrem Höhepunkt ebenso jäh

wieder abzubrechen scheint. Ihr Realismus weichtso stark von der traditionellen westafrikanischenPlastik ab, die sich in der Formgebung in keinerWeise an die natürlichen Vorbilder hält, daß manzweifelt, ob ein Einheimischer ihr Urheber gewesen

sei. Wer aber der Meister .von Ife in Wirklichkeit

Halbfigur aus Messing, vermutlich einen Oni (Kö-nig) von Ife darstellend. Sio gehört eum Schalsvon 18 Plastiken, die 1938 sufällig außerhalb desKönigspalastcs gefunden wurden v/nd 'die die Kunst

von Ife auf einen Sehlag weltberühmt machten.

war, bleibt vorläufig eines der großen ungelösten

Rätsel der Kunstgeschichte. Vielleicht werden wei-tere Entdeckungen in Ife selbst, vielleicht aber ver-wandte Funde an einem ganz anderen Ort die Lösungbringen'

UunsmUer

Neue Zürcher Zeitung vom 19.10.1957