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 Illustrierte Jugenderinnerungen des Freiherrn P. PH. von Drachenfels (1795—1813) Zum Verständnis der Altlivländischen Gesellschaft wollte ich eine vorhandene Beschreibung mit Fotos und Kommentaren meiner eigenen Reise aus 2015 komponieren mit dem Ziel Antiquitäten mit schriftlich festgehaltenen Jugenderinnerunge n zu Ve rknüpfen um Details zu schärfen und einen Mehrgewinn aus den einzeln vielleicht weniger aussagekräftigen Bildern und Texten zu gewinnen. Es ist ein Experiment, das ich riskiere und dafür vielleicht beschimpft werde, weil der fotografierte Ofen vielleicht nicht genau zur Ofenbeschreibung passt. Mir allerdings gefällt die Geschichte und die Begleitung des T extes in der Form von Bildern. Die Geschichte stammt aus zwei Quellen, die sicherlich an einigen Stellen gekürzt worden sind. Die Originalreihenfolge der  Jugenderinnerungen wurde eingehalten. Die Weblinks sind als Hilfsmittel eingebaut. Der Text wurde noch nicht generell auf Korrekturen überprüft. Ins be sondere die Bed eut ung des Joh ann isf est hast sich gewan delt. Die Feierlich kei ten und V erzierungen sind geblieben, aber die Zahlungs- und Abrechnungsterminlage hat sich im Laufe der Zeit stark verändert. Dies alles kann nur aus der Zusammenführung von Besuch, Erfahrung vor Ort  – im V ergleich zu den historischen Quellen wahrgenommen werden. Die Foto's sind bis auf den explizit erwähnten externen Quellen eigene Aufnahmen aus dem Jahr 2015. Di e Au fz eichnu ng en des Fr ei he rrn Peter Phi lip p von Drache nfe ls 1  umfa ssen seine Jugendjahre 1795—1813 und wurden zusammengesetzt aus  Altlivländtsche Erinnerungen  v. Fr. Bienemann 2  und Altlivländtsche Erinnerungen  – Baltische Monatszeitschrift - XXXIV. Band. Reval 1888. Über die Persönlichkeit des Autors seien hier die notwendigsten Daten angegeben. Aus dem Auslande heimgekehrt trat Drachenfels sein väterliches Gut Grausden an; 1827 wurde er Mitauscher Kreismarschall, 1833 und 1836 war er auf den Landtagen Landbotenmarsch all. Von 1840—66 ist er dann residierender Kreismarschall gewesen. Daneben war er in den Jahren 1846—76 Bankrat des Kurländischen Kreditvereins. Besondere Verdienste hat er sich neben dem Landesbevollmächtigten Baron Hahn-Postenden um die Errichtung des lettischen Schullehrersemi na rs in Jr ml au erwo rben, das 18 40 eröffnet wu rde; als Pr äses de s Kuratoriums hat er diesem Institut bis in sein hohes Alter sein immer reges Interesse gewidmet und diese Stellung erst 1876 niedergelegt. Er starb am 10. Juli 1879 und mit ihm schied eine der markantesten Persönlichkeiten des alten Kurland aus dem Leben. 1 Peter Philipp Baron von Drachenfels (* 9. Februar  1795 in Schlampen in Kurland; † 10. Juli 1879 in Grausden in Kurland) war ein kurländischer  Kreismarschall. 2 „Ein Jug endleb en aus A lt-Kur lands T agen" - Gesammelt von Fr . Bienema nn, Reval 191 1, Verlag von Franz Kluge

Illustrierte Jugenderinnerungen Des Freiherrn P. PH. Von Drachenfels

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Zum Verständnis der Altlivländischen Gesellschaft wollte ich eine vorhandene Beschreibung mit Fotos und Kommentaren meiner eigenen Reise aus 2015 komponieren mit dem Ziel Antiquitäten mit schriftlich festgehaltenen Jugenderinnerungen zu Verknüpfen um Details zu schärfen und einen Mehrgewinn aus den einzeln vielleicht weniger aussagekräftigen Bildern und Texten zu gewinnen. Es ist ein Experiment, das ich riskiere und dafür vielleicht beschimpft werde, weil der fotografierte Ofen vielleicht nicht genau zur Ofenbeschreibung passt. Mir allerdings gefällt die Geschichte und die Begleitung des Textes in der Form von Bildern.Die Geschichte stammt aus zwei Quellen, die sicherlich an einigen Stellen gekürzt worden sind. Die Originalreihenfolge der Jugenderinnerungen wurde eingehalten. Die Weblinks sind als Hilfsmittel eingebaut. Der Text wurde noch nicht generell auf Korrekturen überprüft. Insbesondere die Bedeutung des Johannisfest hast sich gewandelt. Die Feierlichkeiten und Verzierungen sind geblieben, aber die Zahlungs- und Abrechnungsterminlage hat sich im Laufe der Zeit stark verändert. Dies alles kann nur aus der Zusammenführung von Besuch, Erfahrung vor Ort – im Vergleich zu den historischen Quellen wahrgenommen werden.

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  • Illustrierte Jugenderinnerungen des Freiherrn P. PH. von Drachenfels(17951813)

    Zum Verstndnis der Altlivlndischen Gesellschaft wollte ich eine vorhandene Beschreibung mitFotos und Kommentaren meiner eigenen Reise aus 2015 komponieren mit dem Ziel Antiquittenmit schriftlich festgehaltenen Jugenderinnerungen zu Verknpfen um Details zu schrfen und einenMehrgewinn aus den einzeln vielleicht weniger aussagekrftigen Bildern und Texten zu gewinnen.Es ist ein Experiment, das ich riskiere und dafr vielleicht beschimpft werde, weil der fotografierteOfen vielleicht nicht genau zur Ofenbeschreibung passt. Mir allerdings gefllt die Geschichte unddie Begleitung des Textes in der Form von Bildern.

    Die Geschichte stammt aus zwei Quellen, die sicherlich an einigen Stellen gekrzt worden sind. DieOriginalreihenfolge der Jugenderinnerungen wurde eingehalten. Die Weblinks sind als Hilfsmitteleingebaut. Der Text wurde noch nicht generell auf Korrekturen berprft.

    Insbesondere die Bedeutung des Johannisfest hast sich gewandelt. Die Feierlichkeiten undVerzierungen sind geblieben, aber die Zahlungs- und Abrechnungsterminlage hat sich im Laufe derZeit stark verndert. Dies alles kann nur aus der Zusammenfhrung von Besuch, Erfahrung vor Ort im Vergleich zu den historischen Quellen wahrgenommen werden.

    Die Foto's sind bis auf den explizit erwhnten externen Quellen eigene Aufnahmen aus dem Jahr2015.

    Die Aufzeichnungen des Freiherrn Peter Philipp von Drachenfels1 umfassen seineJugendjahre 17951813 und wurden zusammengesetzt aus Altlivlndtsche Erinnerungen v.Fr. Bienemann2 und Altlivlndtsche Erinnerungen Baltische Monatszeitschrift - XXXIV.Band. Reval 1888.

    ber die Persnlichkeit des Autors seien hier die notwendigsten Daten angegeben. Aus demAuslande heimgekehrt trat Drachenfels sein vterliches Gut Grausden an; 1827 wurde erMitauscher Kreismarschall, 1833 und 1836 war er auf den Landtagen Landbotenmarschall.

    Von 184066 ist er dann residierender Kreismarschall gewesen. Daneben war er in denJahren 184676 Bankrat des Kurlndischen Kreditvereins. Besondere Verdienste hat er sichneben dem Landesbevollmchtigten Baron Hahn-Postenden um die Errichtung des lettischenSchullehrerseminars in Jrmlau erworben, das 1840 erffnet wurde; als Prses desKuratoriums hat er diesem Institut bis in sein hohes Alter sein immer reges Interessegewidmet und diese Stellung erst 1876 niedergelegt. Er starb am 10. Juli 1879 und mit ihmschied eine der markantesten Persnlichkeiten des alten Kurland aus dem Leben.

    1 Peter Philipp Baron von Drachenfels (* 9. Februar 1795 in Schlampen in Kurland; 10. Juli 1879 in Grausden in Kurland) war ein kurlndischer Kreismarschall.

    2 Ein Jugendleben aus Alt-Kurlands Tagen" - Gesammelt von Fr. Bienemann, Reval 1911, Verlag von Franz Kluge

  • Jugenderinnerungen des Freiherrn P. PH. von Drachenfels

    (17951813)

    Der elterliche GutshofIch bin am 9. Febmar 1795 geboren. Meine Eltern lebten damals nicht auf unserem ErbguteGrausden, sondern auf dem Kronsgute Schlampen, welches sie in Arrende hatten. Die Landstrae,welche von Mitau nach Tuckum fhrt, ging frher etwa eine Werst an Schlampen vorber. DieseStrae lie mein Vater, der ein sehr gastfreier Mann war, auf seine Kosten durch den Gutshof selbstfhren, welchen sie noch jetzt durchschneidet. Am Pferdestall war nun ein Schlagbaum und eineWache, die jede vorberfahrende herrschaftliche Equipage anhalten und wenn es Bekanntemeiner Eltern waren nicht ohne die zuvor eingeholte Erlaubnis meines Vaters passieren lassendurfte. Daher war natrlich immer sehr viel Besuch in Schlampen, wo gewhnlich, wenn wir vieleGste hatten, zwei groe Zimmer sr dieselben abgegeben wurden. Das eine Zimmer war fr dieDamen, das andere fr Herren bestimmt, welche dort einfach auf Heu schlafen muten.

    So wie unser Haus waren in damaliger Zeit fast alle herrschaftlichen Wohnhuser erbaut. Ein jedes,auf dem Lande wie in der Stadt, hatte einen beraus groen Flur. So war der in Schlampen, sovielich mich erinnere, wenigstens vier Faden lang und zwei und einhalb Faden breit. An der uerenWand befand sich die Eingangstr, auf jeder Seite derselben waren zwei groe Fenster. An denanderen Wnden standen mchtig groe und auch kleinere Bettzeugkasten, mit welchen ein groerLuxus getrieben wurde. Einige derselben waren so hoch, da ein Mensch von mittlerer Gre kaumranreichen konnte, um den Deckel aufzuschlieen. Diese waren in der Regel mit roter lfarbeangestrichen und stark mit Eisen beschlagen; die kleineren Kasten, etwa 34 Fu hoch und imVerhltnis lang und breit, waren von Eichen- oder Eschenholz und sehr reich und bunt mitMessingbeschlgen versehen. Auf der groen Platte des Schlosses, welches mit vielen Zickzackenverziert war, prangte die Jahreszahl. Alles Messing wurde jeden Sonnabend geputzt und allesHolzwerk mit Wachs gebohnt. Diese Kasten waren mit Leinewand, die groen mit Bettzeug geflltund machten den Stolz der Hausfrau aus.

    Die KcheDie lange Wand war eine der vier Wnde, welche der Kchenschornstein bildete. Dieser war ca.vier Faden lang und ca. drei Faden breit, und verengte sich sehr allmhlich, bis er als gewhnlicherSchornstein zum Dach hinauskam. In diesem groen Raum war die Kche; in der Mitte desselbenstand ein groer, aus Ziegeln aufgefhrter Herd, auf diesem, in der ganzen Lnge desselben, einRost, d. h. zwei gerade laufende eiserne Stangen auf acht oder mehr Fen, auf welchem alleKochgeschirre aufgestellt waren und unter welchem das Feuer angemacht wurde. Nie ist ein Bratendamals anders als am Spiee bereitet worden.

    Dieser Spie wurde durch das zu bratende Stck der Lnge nach durchgesteckt und der Lnge nachan die eine Seite des Rostes auf zwei dazu gemachten Gestellen aufgestellt. An dem einen Endedrehte ein Mensch fortwhrend diesen Spie, whrend ein anderer den Braten mit der Saucebegieen mute, damit er durch das groe Feuer, welches nur von einer Seite flammte, nichtverbrenne. Unter dem Braten stand eine lange eiserne Pfanne, in welcher die Sauce befindlich war.

  • Palmse manor house - kitchen -Pudelek (Marcin Szala) This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.

    Es existierten damals keine anderen Ofen als solche, die von der Kche aus wie man sie jetztnoch in den Bauergesinden findet oder von einem eigens dazu erbauten Rume zu heizen waren.Ein solcher sieben oder auch mehr Fu langer Ofen bestand, ganz ohne Zge, aus einem leerenRaum, welcher mit Holz von einem Faden Lnge gefllt und so geheizt wurde. War der Ofenausgeheizt, so wurde, damit die Wrme nicht entweiche, eine Tr oder, wenn sie vorrtig war, einealte eiserne Platte vorgestellt und der Spalt mit einem Ziegel verstopft. Waren alle Kohlen indemselben verlscht, so wurde der ganze Ofen mit Holz vollgesteckt, um zum anderen Tage besonders zum Backen trockenes Holz zu haben. Holzschuppen auer einzelnen in der Stadt existierten ebensowenig wie vorrtiges trockenes Holz. Kein Ofen heizte mehr als ein Zimmer,obgleich er so frchterlich gro war.

    Palmse (estnisch: Palmse mis) ist ein ehemals deutsch-baltisches Landgut in Estland. Es liegt etwa 80 km stlich der Hauptstadt Tallinn im Nationalpark Lahemaa.

    2: Kche in Gutshof Palmse

    1: Kche in Gutshof Palmse

  • Das alte Herrenhaus in GrausdenDas alte Herrenhaus in Grausden hatte zwei Stockwerke, das untere von Feldstein, das obere vonHolz. In der ganzen unteren Etage war an jedem Ende, in der Ecke nach der vorderen Seite, nur einWohnzimmer. Alles andere war nur Kche, vorderes und hinteres Vorhaus, ein paar kleineHandkammern und ein Raum mit einer steinernen Treppe, die hinauf in einen groen gewlbtenRaum fhrte, welcher mehr als den vierten Teil eines oberen Wohnzimmers einnahm und auswelchem die drei fen der drei anstoenden Zimmer geheizt wurden.

    FeuerzeugIch komme auf den frheren groen alten Feuerherd zurck. Wenn das Kochen und Braten aufhrte,so mute das Feuer doch bis spt abends erhalten werden, bis endlich wenn alles schlafen ging,die Hausmagd das Feuer auf einen Haufen zusammenschrte und sorgfltig mit Asche behufte, umes auf diese Art bis zum anderen Morgen zu bewahren. Wenn dennoch alle Kohlen erloschen, soholte sich die Hausmagd in einem eisernen Grapen die Kohlen aus der Herberge, derBranntweinskche oder wo sie dieselben sonst bekommen konnte, um wieder Feuer anmachen zuknnen. Oder wenn nirgends glhende Kohlen zu haben waren, so mute mit Stahl und Stein einHaufen Zunder angezndet, dieser alsdann in ein Bund Langstroh eingestellt und mitGeschwindigkeit hin und her geschwungen werden, bis er sich in Flammen entzndete und man soinstand gesetzt war, ordentliches Feuer auf dem Herde anmachen zu knnen. Es gab nmlich sonstgar keine andere Art von Feuerzeug, als Stahl, Stein und Schwamm oder zu Zunder gebrannteLeinewand. Das war eine Not, wenn man nachts nach Hause kam, bis man ein Licht angezndetbekam!

    Fenster, Sand, Mbel

    Doppelfenster oder mit lfarbe gestrichene Dielen gab es damals in ganz Kurland nicht. Man fandberall nur weie Dielen, die jeden Sonnabend rein gewaschen und gescheuert und darauf tglichmit weiem Sande bestreut wurden. Das Ausstreuen dieses Sandes war eine groe Kunst desStubenmdchens, denn wenn das Zimmer nicht ganz gleichmig ausgestreut war, so mute dasMdchen denselben sogleich wieder auffegen und aufs neue ausstreuen, oder bekam hrtere Strafeund wurde ins Gesinde zurckgegeben, weil sie zum Stubenmdchen kein Talent habe. AmSonntage wurde die Diele auer mit diesem Sande auch noch mit Grnenzweigen (Skuijen) odermit durchaus ganz gleich lang geschnittenen Kalmusblttern bestreut.

    3: Fenster im Gutshof Palmse

  • MbelAlle Mbel waren entweder mit lfarbe gestrichen oder es war das natrliche ungefrbte Holz. Woes irgend mglich war, waren messingene Beschlge und Verzierungen angebracht. Die Mbelwaren alle dauerhaft gemacht; gepolsterte und solche mit Stahlfedern kannte man nicht. Dieberzge auf Sthlen und Sophas waren rundherum mit dicht neben einander stehenden Ngeln mitrunden messingenen Knpfen angenagelt. Auch alle diese Ngel muten jeden Sonnabend geputztwerden, sowie auch alle Leuchter und die Lffel fr die sogenannten deutschen Leute.

    DienstbotenUm alle diese Arbeiten gebhrend zu verrichten, bedurfte es vieler Dienstboten. Soviel ich micherinnere, hatte meine Mutter ein sogenanntes Handmdchen und fr diese eine Gehilfin undauerdem noch vier Stubenmdchen und eine oder zwei Sknkken, d. h. Mdchen von 1214Jahren, die zu Stubenmdchen herangebildet wurden. Auer diesen waren hier auf allen GternSpinnmdchen, die jeder Wirt, je nach seinem Gehorch, mit seinem Brot stellen mute.

    DienerDiener hatte mein Vater vier. Der eine war der Jger, welcher immer in grnem berrock mitkleinen hellgrnen Schnren auf den Schultern ging; mute er in besonderer Gala erscheinen, solegte er seine hell und dunkelgrn gemischten Achselbnder an und schnallte sich seinen grnenGurt um, welcher vorn mit einer bedeutend groen silbernen Schnalle, auf welcher dasDrachenfelssche Wappen sich befand, festgehalten wurde. An der Seite trug er einen Hirschfnger.Der zweite war meines Vaters Kammerdiener, putzte seine Kleider und bediente nur ihn. Der drittewar der Tafeldecker, der alles zum Tisch besorgte und das, was zu putzen war, von einem vierten(Jungen) machen lie. Alle Dienstleute waren Leibeigene bis zum Jahre 1818.

    GesindeMan nahm einen Jungen oder ein Mdchen in sehr jugendlichem Alter aus dem Gesinde in den Hof,lie sie von der lteren Dienerschaft unterrichten und, wenn sie gut waren, bei eintretender Vakanzimmer hher avanzieren, zum Jger oder Kammerdiener des Herrn, oder zum Handmdchen derFrau. Taugten sie nichts, so wurden sie ins Gesinde zurckgeschickt. Der Jger bediente nur demScheine nach bei Tisch und hatte das Privilegium, an der Tischkonversation teilzunehmen, sogarauch einen Tischgast, wenn er auf der Jagd ein Versehen begangen hatte, zu necken. Nurausnahmsweise wurden freie Leute als Diener oder Dienerinnen gehalten, die, wenn es auch Polenwaren, Deutsche genannt wurden und an einem besonderen Tische aen; unter keiner Bedingunghtte einer oder eine von diesen mit einem Erbmenschen" an einem Tische gegessen.

    TrachtDie Hofesleute waren nach Art der Deutschen gekleidet, aber durchaus nur in Zeugen, die auf demGute selbst fabriziert und gemacht wurden. Daher standen in der Spinnstube, wo die Mdchenspannen, auch immer ein Webstuhl oder mehrere, auf welchen Leinwand von der grbsten bis zurfeinsten Gattung, Halbwand und Wand von allen Qualitten gewebt wurde. Die Gutsbauern hattenfast auf jedem Gute, in jeder Hauptmannschaft gewi, eine besondere Tracht.

    Die in der Siuxtschen Gegend hat mir am besten gefallen, besonders die der Mdchen. Sie trugenPasteln, weie Strmpfe, einen dunkelbraunen Rock, welcher sehr breit und in vielen, vielenkleinen, sehr regelmig zusammengelegten Falten ber die Hften angelegt wurde. Nach untenreichte er bis zum Fuknchel und war mit fingerbreitem, hellblauem Bande in 810 Reihen biszur Hlfte hinauf besetzt. ber dem Hemde trugen sie noch ein kleines Hemdchen von feinsterLeinwand, welches nur bis etwas ber die Hfte reichte und ganz lose um den Rand des hierbefestigten Rockes flatterte.

  • Die rmel waren wie am Mannshemd, ebenso auch ein solcher Kragen, welcher mit einer ganzeinfachen kleinen silbernen Schnalle zusammengehalten wurde.

    Alles Haar, zusammengeflochten mit eben solchem Bande, wie der Rock besetzt war, hing in zweiZpfen herunter; auf dem Kopfe ein neuer runder schwarzer Mnnersilzhut, in der Hand eineHarke, so sah man sie im Sommer beim Heumachen, oder auch bei der Dngerfuhr, welches eingroes Fest bei den Bauern war und Suhdu-kahsas genannt wurde. Bei kaltem Wetter zogen dieMdchen ein kleines Kamisol von demselben Zeuge wie der Rock ber, welches sehr eng mitlangen rmeln gemacht war, und knpften dieses, welches von oben bis unten dicht mit kleinenkugelrunden silbernen Knpfen besetzt war, entweder ganz fest, oder trugen es auch, je nach derWitterung, ganz offen.

    Die Weiber kleideten sich ebenso, nur trugen sie das Haar nicht in hinunterhngenden Flechten,sondern aufgebunden. Dieselben trugen auch zuweilen ein Kamisol ganz ohne rmel; warum? Daswei ich nicht, vielleicht um die feine weie Leinwand ihres Oberhemdes zu zeigen.

    Die Mnner trugen Pasteln, hellblaue wollene Strmpfe, kurze dunkelblaue Hosen bis ber dasKnie; dieselben wurden hier aber nicht zugeknpft, sondern ganz lose getragen, obgleich sie hierdrei kugelrunde silberne Knpfe hatten; ein Kamisol3 von demselben Zeuge, von oben bis untendicht (aber nicht so dicht wie bei den Frauen) mit silbernen Knpfen besetzt und einen rundenFilzhut.

    Mit der Freiheit der Bauern, als diese von einem Gebiete zum anderen zu wandern anfingen, hrtenauch die Nationaltrachten auf und wurden im ganzen Lande gleichfrmiger. Nationaltracht ist wohlkeine richtige Bezeichnung, da in dem kleinen Kurland wenigstens zwanzig verschiedene Trachtenexistierten, von welchen sich die in der windauschen und goldingenschen Gegend zum Teil bis jetztnoch erhalten haben.

    3 eng anliegende Jacke [bei Trachten]; Unterjacke; Mieder (2)

    4: Bekleidung im Gutshof Palmse

  • Familiennamen und Erzeugnisse Familiennamen hatten die Bauern nicht, erst im Jahre 1826 mussten sie auf hheren Befehl sichNamen whlen.

    Die Haupttendenz aller Gutsherren war, aus ihren Gtern alle ihre Bedrfnisse selbst zu erzeugen;aus den Erzeugnissen Geld zu machen, war weniger Zweck. Auf jedem Gute war daherBranntweinbrand, aber nicht grer, als um den eigenen Bedarf fr Hof und Krge zu decken.Ebenso war es mit den Bierbrauereien, die auch ganz ohne Ausnahme auf jedem Gute waren,bestellt.

    KrgeAlle Krge waren auf Hofesware gesetzt, d. h. Bier und Branntwein, in manchen Krgen auchandere Dinge, wie Tabak, Salz, Heringe usw., durfte der Krger nicht fr eigene Rechnung sichverschaffen, sondern er erhielt dieses alles vom Hofe geliefert, mute es fr einen gewissen Preisverkaufen und erhielt als Lohn fr seine Mhe den sogenannten zehnten Groschen. Natrlich trugendie Krge unverhltnismig weniger ein als jetzt. Frher mute man sich auf die Ehrlichkeit desKrgers verlassen, daher setzte man in der Regel alte anerkannte Diener als Krger ein, und weildiese wuten, da sie fr die geringste Veruntreuung ohne weiteres wieder als Knechte ins Gesindegegeben werden konnten, waren sie auch ehrlich und treu.

    Die Hofesleute bekamen tglich zu Mittag und zum Abendessen jeder ein Sto Bier. Ich glaube, esexistiert jetzt im ganzen Lande kein solches Sto mehr, wie sie damals zum Biertrinken ganzallgemein gebruchlich waren, sowohl in den Husern wie in den Krgen. Dieselben waren ausHolz vom Bttcher gemachte Krge mit Henkel und Deckel, enthielten ca. V Sto unseres jetzigengesetzlichen Maes.

    PiepkanneAuch viele Herren tranken Bier aus solchen Gefen, welche natrlich hbscher und sauberer ausverschiedenfarbigem Holz gearbeitet waren. Eine ebenso gearbeitete Riesenkanne, Piepkannegenannt, diente zum Heraustragen des Bieres aus dem Keller. Diese war einer Gartengiekannehnlich, hatte ungefhr dieselbe Gre und von unten an ein Rohr zum bequemen Aus- undEingieen des Bieres.

    KellerDer Eingang in den Keller war in allen Husern, die ich gesehen habe, aus der Ecke der Stube (jetztSaal genannt) oder aus der Kammer, was jedoch seltener vorkam. Die Tr, die in den Kellerhinabfhrte, war mit einem ca. vier Fu hohen Kasten von Brettern mit einer Eingangstr berbautund mit lfarbe angestrichen. Wenn die Hausfrau in der Stube sa, konnte sie jeden, der in denKeller ging oder aus demselben kam, kontrollieren. Die mit Bier fr die Leute heraufgebrachtegefllte Piepkanne wurde oben auf diesen berbau hingestellt und so oft ein Sto oder eine KanneBier fr die Leute ntig war, durfte das Handmdchen der gndigen Frau dieselbe aus derPiepkanne fllen.

    Talglichte und FormlichteAuer Talglichten, und nur in den reichsten Husern, und auch da nur bei auerordentlichenGelegenheiten, Wachslichten, existierten in der ganzen Welt keine anderen Lichte. Und zwarwurden die Talglichte auf jedem Gute selbst gezogen oder gegossen. Die gezogenen Lichte warenfr die Leute bestimmt. Fr die Herrschaften wurden Formlichte in eigens dazu gemachten Formenvon Blech gegossen.

  • Seife und HerrschaftskleidungAuch alle im Hause ntige Seife wurde dortselbst gekocht. Nur fr Kolonialwaren und fr dieKleidung der Herrschaften mute Geld ausgegeben werden. Das erste Anschaffen der Kleider magteuer gewesen sein, dafr waren aber die Stoffe besser und die Moden wechselten nicht so rasch.Ich erinnere mich sehr wohl, wie meine Mutter meiner Schwester antwortete: Mein Kind, wie oftsoll ichs dir wiederholen? zu einem Kleide brauchst du 7, und zu einem Schlafrock 9 rigascheEllen".

    HerrenbekleidungDie Herren trugen nur eng anschlieende Hosen in hohen Stiefeln; die Schchte des Stiefelsreichten hinten bis drei Viertel ber die Wade; vorn waren sie etwas hher, aber in Herzformausgeschnitten, mit schwarzseidener Rundschnur besetzt und vorn hing eine bis 2 Zoll langeTroddel von schwarzer Seidenrund Schnr. Nach der Farbe der Hose richtete sich der Frack; beiblauer Hose mute der ebenfalls blaue Frack durchaus blanke Knpfe haben; nur so durfte man beiallen freudigen Begebenheiten, wie Hochzeiten, Taufen usw., erscheinen.

    Zu gewhnlichen Diners und dergleichen trug man einen braunen Frack und Hose. Auf Bllendurfte man nie anders als in Schuhen erscheinen und mute kurze Hose und weie oderschwarzseidene Strmpfe haben. Man trug die Hose von verschiedener Farbe; bei hellfarbenenHosen immer weie Strmpfe, schwarze Hose bei schwarzen Strmpfen, aber auch bei weien. DieHose mute durchaus eng, wie aufgegossen ans Bein schlieen. Nur die ganz alten Mnnererschienen in Samtstiefeln und legten ihren runden Filzhut nur aus der Hand, wenn sie sich zurPartie setzten.

    5: Trachten im Gutshof Palmse

  • Handschuhe wurden von allen Farben getragen, jedoch nicht lederne, sondern seidene. Die Damentrugen eng anschlieende Kleider mit sehr kurzen Taillen. Der Rock war so kurz, da immer derFu zu sehen war.

    Vergngungen der HerrenDie Vergngungen der Herren auf dem Lande bestanden in meiner Jugend in gegenseitigenBesuchen, Kartenspiel, Jagd und Brenhetzen. Zur Jagdzeit versammelte sich alles auf eine bis zweiWochen bei einem guten Freunde und zog von diesem wieder zu einem anderen guten Freunde undso fort die ganze Jagdzeit hindurch. Die Aufnahme war berall sehr einfach. Frhmorgens ritt manzur Jagd; wenn mittags die Hunde aufgekoppelt wurden, a jeder sein mitgenommenes Butterbrotund jagte darauf weiter bis zur einbrechenden Dunkelheit. Nach Hause zurckgekehrt, wurdeKaffee gereicht und um halb acht, sptestens acht Uhr zu Abend gegessen. Bei Tische machte derJger seine Bemerkungen ber den von dem einen oder anderen Herrn auf der Jagd begangenenFehler und nach dem Essen trat der Piqueur herein und klagte den einen oder anderen an, nachdemer zuvor sein Herrwat" geblasen, worauf die Beklagten zu einer Geldstrafe zum Besten desPiqueurs verurteilt wurden, wobei es viel Scherz und Spa gab.

    PrgelstrafenSo ungefhr sah es in meiner Jugend in Kurland aus, so etwa lebte man bei uns berall auf demLande. Manche Erinnerung an Erlebnisse und so manche Eindrcke aus meiner ersten Jugendzeitsind mir noch immer sehr lebhaft gegenwrtig. So wei ich noch ganz genau, da, da ich ein Knabevon etwa vier Jahren war, der eine unserer Diener (der sogenannte Junge) mich in der Schiebladeeines Tisches herumziehen mute und nicht im Galopp laufen wollte, was ich durchaus verlangte.Ich rgerte mich darber und klagte bei meinem Vater, da der Junge mich geschlagen habe, wofrer von meinem Vater zwei bis drei Ohrfeigen bekam, was mir mehr wehe tat als ihm. Daher gestandich meine Lge meiner Mutter ein und bat sie, es auf irgendeine Art gut zu machen, schenkte ihmalle Augenblicke etwas von meinen Spielsachen und bat ihn, er solle es mir vergeben; nachher warer Barbier und Haarschneider in Mitau, wo er von mir, da ich noch immer seiner unschuldigerweiseerhaltenen Ohrfeigen gedachte, auch ferner Geschenke erhielt.

    Ein anderes Mal, ich wei nicht mehr, was ich getan, sollte ich von meinem Vater Prgelbekommen; ich sagte aber, da ich weglaufen wrde und lief auch wirklich fort, pleine carri re4ber den Hof, ging langsamer, als ich auf die groe Strae gelangte und immer langsamer, je weiterich kam, zugleich mich immer umsehend, ob mir nicht jemand nachkomme mich zurckzurufen,denn mir wurde bange.

    So war ich ungefhr eine halbe Werst gegangen, als Bauern gefahren kamen und einer von ihnenmich mitnehmen wollte. Da wurde mir erst recht bange, ich sprang in den Graben, blieb da sitzenund weinte bittere Trnen. Darauf wurde ich des Jgers Fritz auf der Strae gewahr, der mirwahrscheinlich nachkam; da wurde ich trotzig und dachte bei mir: ich werde auf keinen Fallmitgehen, und je nher er kam, desto trotziger wurde ich. Er ging hart am Graben nahe an mirvorbei, ohne mich bemerken zu wollen; doch je mehr er sich von mir entfernte, ging mir der Trotzaus und ich htte wohl gewnscht, da er mich angeredet und zurckgebracht htte. Ich rief ihn undrief immer lauter, schrie endlich aus vollem Halse, aber er stellte sich, als ob er es nicht hrte; ichlief ihm nach, weinte und schrie, bis ich ihn festbekam und ihn bat, mich nach Hausezurckzubringen. Nein, Kundsinsch das darf ich nicht, das hat Papachen mir streng verboten, Siehaben selbst weglaufen wollen, zurck darf ich Sie nicht bringen. Er hat mir nur befohlen, da,wenn ich Sie finde und Sie den Weg nicht wissen, ich Sie bis zum Walde begleiten solle, da abersolle ich Sie allein lassen, umkehren und ganz schnell wieder nach Hause kommen!"

    4 in gestrecktem Galopp

  • Ich weinte und bat nun jmmerlich, wollte ihm Hnde und Fe kssen; er blieb aber streng dabei:er drfe mich nicht nach Hause bringen, er wrde sonst selbst von Papachen Prgel kriegen!Endlich, endlich lie er sich doch erbitten, fhrte und trug mich nach Hause, wo mein Vater micherwartete und mir das Versprochene aufzhlte!

    Wieder einmal waren Knaben aus Wiexeln5 und Erwachsene zum Besuch und uns war verboten, inden Garten zu gehen. Mein Vater sagte, da er dem Jurre, dem Gartenwchter, anbefohlen, da,wenn er einen von uns dort festkriegte, er ihn tchtig auspeitschte. Nachdem er uns das in sehrbarschem Tone gesagt, wandte er sich noch an die anderen Gste und sagte absichtlich halblaut zuihnen, so da wir es aber hren konnten, da am Ende des Stalles im Zaun ein Loch sei, durch dasdie Kinder der Hofmutter immer in den Garten schlichen; aber, fgte er hinzu, sie sind sehr klug, siekriechen nicht eher hinein, als bis es anfngt dunkel zu werden, wenn die Schlafmtze, der Jurre,schon eingeschlafen ist. Das hatten wir Knaben gehrt und uns gemerkt; nach dem Abendessenwiederholte mein Vater halblaut meiner Mutter und den Gsten gegenber, da der Jurre jetzt gewischon eingeschlafen sei. Ein Weilchen daraus machten wir drei uns auf den Weg zum Loch im Zaunund als wir eben durchkrochen, wurden wir empfangen aber nicht von Jurre, sondern vonmeinem Vater und von drei oder vier der Gste, die uns mit groem Gelchter an den Kragen fatenund uns wohl tchtig durchgeprgelt htten, wenn meine Mutter nicht herzugekommen wre undfr uns gebeten htte.

    StreicheEinmal, das ist mir noch sehr erinnerlich, war meine Mutter mit mir ins Pastorat Sinxt gefahren undals wir spt abends zurckkamen, fanden wir das ganze Haus erleuchtet, hrten Musik und sahendurch das Fenster tanzen! Die vier Diener waren nmlich alle auch Musikanten; der Jger blies dasWaldhorn, der Kammerdiener spielte das Violincello und die anderen beiden Klarinette und Violine!Als wir in das Vorhaus traten, kam mein Vater uns entgegen und erzhlte meiner Mutter, da einepolnische Grfin mit ihren Tchtern und ihrem Gefolge angekommen und er auch noch anderenBesuch erhalten htte, da namentlich auch junge Herren da wren, und nannte mehrerer Namen,die nun da mit den jungen Damen tanzen sollten. Die polnische Grfin spreche aber kein Wortdeutsch, verstehe jedoch lettisch meine Mutter mte sich mit ihr lettisch unterhalten.

    Meine Mutter wollte erst eine andere Toilette machen, das lie mein Vater aber nicht zu sondernfhrte sie zur Grfin, die auf dem Sopha sa, stellte meine Mutter vor, die nun neben ihr Platznahm, mit ihr zu sprechen anfing, aber keine Antwort erhielt. Meine Mutter fragte wieder etwas bekam aber wieder keine Antwort, bis endlich mein Vater der Grfin lettisch zurief: Nu, du dummePerson, antworte, wie ich dir gesagt habe das ist eine dumme Trine!" Was war nur berhauptgeschehen? Mein Vater hatte alle Kleiderschrnke und Kommoden, weil meine Mutter die Schlsselmitzunehmen vergessen hatte, geplndert und mit ihren Kleidern alle Viehmdchen und dieHofmutter verkleidet und sie da tanzen lassen, um so meine Mutter dafr zu bestrafen, da sie dieSchlssel nicht mitgenommen; es waren wirklich auch noch andere Fremde da und wurde bis tief indie Nacht hinein getanzt. Spe dieser und anderer Art hat mein Vater sich oft erlaubt, bei welchenmeine Schwester, wenn sie nicht die Hauptrolle dabei spielte, doch niemals fehlte.

    SchuleSechs oder sieben Jahre alt, ich erinnere mich nicht mehr genau, vielleicht war ich auch lter, wurdeich ins Pastorat Siuxt in die Schule gegeben, nachdem ich vorher vom Schreiber Kieser lesen undschreiben gelernt hatte, welcher dafr alle Jahre ein Paar neue Stiefel und alle zwei Jahre einenneuen Pelz bekommen hatte. Aus dem Pastorate erinnere ich mich eigentlich sehr wenig.

    5 Gut Wiexeln, Kurland, Lettland - Philipp Friedrich von der Brggen (1670 - 1703) - Genealogy

  • Ich wei nur, da ich sehr stark werden wollte und meine Krfte, was ich in Schlampen auch schongetan hatte, mit Steineheben u. dgl. bte. Ich wollte ein Spartaner werden, schlief daher auch eineoder zwei Nchte in der Woche ohne Kopfkissen oder irgend welche Unterlage auf der bloenDiele, einmal habe ich sogar den Unsinn begangen, wozu ich von den anderen Jungen aufgehetztwurde, da ich eines Abends, es war im Februar bei Tauwetter, nur im Hemde mit bloen Fenhinauslief und mich in den Schnee legte, um die Nacht so zu verbringen. Als aber nach einigenMinuten mein Hemd ganz na geworden war und ich etwas stark zu frieren anfing, hielt ich es dochfr geratener, wieder ins Haus hineinzulaufen.

    HundeEin Hauptvergngen machte es mir, mit einem eigens dazu gemachten Knttel mich gegen bseHunde, die ich in den Gesinden aufsuchte, zu verteidigen. Dadurch wurde meine Kraft auch sehrgestrkt, die mir auch, sowie mein Umgang mit Hunden, sehr zu statten kam. Die groe Dogge imPastorate war toll geworden und war, um sich ihrer zu versichern, im Stalle eingesperrt; es warWinter, ich hatte meinen Pelz an und ging vom groen Hause nach der Herberge, wo wir wohnten.Die Dogge, die losgekommen war, rannte wie eine Furie auf mich zu, ich fuhr ihr mit dem linkenArme entgegen und fasste mit der rechten Hand, nachdem ich meine Schulbcher, die ich berhauptnicht leiden konnte, weggeworfen, sie hinten am Kragen und fhrte sie so halb tragend, halbschleppend bis zur Haustr, in welche ich mich rckwrts hineinzog und sie so von mir abstreifenwollte. Unterdessen waren aber Leute herangekommen und erschlugen sie auf meinem Arme.Ungeachtet ich einen Pelz anhatte, waren doch blaue Flecken auf meinem Arme sichtbar. Einanderes Mal machte ich einen groen bsen Hund, der an der Kette lag, so wtend, da er auf michlosstrzen wollte; ich fuhr fort, ihn noch mehr zu reizen, bis die Kette ri und er mir am Halsegesessen htte, wenn ich nicht geschickter gewesen wre und ihn unter dem Kopfe so krftig an dieGurgel gepackt htte, da ich ihn erwrgt haben wrde, wenn nicht der Kutscher und andere Leutehinzugekommenwren, die nicht mich, sondern ihn retteten.

    SchuleVon der Schule wei ich wenig zu erzhlen, ich kann mich kaum einer Stunde, die ich gehabt,erinnern. Mamsell P. war unsere Lehrerin ich sage Mamsell", denn zu damaliger Zeit wurde eingroer Unterschied zwischen Mamsell und Mademoiselle gemacht; Mademoiselle wurden nur dieTchter von Predigern oder berhaupt aus dem Literatenstande, die aus dem HandwerkerstandeMamsell" tituliert. Ich erinnere mich, da diese Mamsell P. Uns in der Schule erklrte: da einGegenstand, wenn er schnell durch die Luft geschleudert wird, sich erhitzt. Ich wollte das nichtzugeben und sie suchte es mir zu beweisen, indem sie behauptete, da, wenn das nicht so wre, manja keine Hasen oder ein anderes Tier schieen knnte, denn die Schrote erhitzten sich durch dieSchnelligkeit, mit der sie durch die Luft flgen, so stark, da, wenn sie den Hasen treffen, sie ihnverbrennen! Ach, wie ist die Mamsell dumm!" rief ich aus, als ich hinter mir rufen hrte:Peter, Peter! wie unterstehst du dich das?!" Ich hatte keine Courage mich umzusehen, ichglaube, es war der alte Pastor, und war sehr froh, da ich nicht weiter darber sprechen hrte.

    Das KlavierspielenKlavier spielen mute ich auch lernen, hatte alle Vormittage eine Stunde, fnf Jahre hindurch, undmute am Nachmittage gleich unmittelbar nach dem Essen eine Stunde mich ben. Das Zimmer,wo das Klavier zum ben stand, war zum Glck so weit abgelegen, da man nicht hren konnte, obich bte oder nicht. Nachdem ich erst alle Ritzen zwischen den Tasten vollgespuckt, schlief ichsanft ein und schlief, bis ich zufllig gerufen wurde.

  • Mein Klavierlehrer war der Organist, der bei meiner Fingersetzung gar nicht darauf Rcksichtnehmen wollte, da ich Frostbeulen hatte; und als er mir auch wieder einmal den vierten Fingerber den ersten setzen wollte und dieselben dabei so stark anfate, da ich vor Schmerz und Bosheitnach seiner Hand griff und ihm wirklich dabei seinen vierten Finger ausrenkte, da schrie er nunauch auf und jammerte, da er nun ein Krppel geworden sein, nicht mehr wrde die Orgel spielenknnen, was aus ihm werden solle und wovon Frau und Kinder leben wrden, und weinte bitterlichdabei! Ich weinte mit ihm und versprach ihm, wenn er seinen Posten verlieren und wirklich Krppelbleiben sollte, ich ihm Philippshof" schenken wrde! Der Arzt aus Doblen, zu dem er gleichgeschickt wurde, hat ihm den Finger glcklich wieder eingerenkt. So behielt er seinen viertenFinger und ich mein Philippshof!

    All mein Bitten und Flehen, da man mir das Klavierspielen erlassen sollte half nichts, bis es mirdoch einmal glckte, durch einen schlechten Witz davon loszukommen. Der alte Pastor erzhlte beiTisch, da die Leute, die den Diebstahl in Pnau ausgefhrt, dieselben seien, die auch schon imvorigen Jahre gestohlen htten und bestraft seien und ihm auf seine Ermahnungen das Versprechengegeben, nicht mehr zu stehlen. Fr solche Leute", sagte er, sind die bestehenden gesetzlichenStrafen viel zu gering, es mte eine besondere Strafe fr sie erdacht werden!" Kann man sie nichtlassen Klavier spielen lernen?" fiel ich ein. Unter dem Gelchter der ganzen Tischgesellschaft sagtemir der alte Pastor: Nun, Peter,ist dir denn das Klavierspielen wirklich so sehr unangenehm?" Ja,sehr!" erwiderte ich. Nun, dann wollen wir es sein lassen!" antwortete mir der Pastor und ich warglcklich vom Spielen frei, machte den Pastor jedoch darauf aufmerksam, da die Tasten desKlaviers sich gar nicht recht bewegen lieen, so, als ob sie wei Gott wovon verquollen wren undwohl repariert werden mten; da das von meinem Spucken hergekommen, sagte ich natrlichnicht. . . .

    BeerdigungMeine Mutter starb im Jahre 1806 in Mitau. Ich wurde dahin abgeholt, kann mich aber durchausnicht erinnern, ob ich sie noch am Leben fand oder nicht, so wie ich mich ihrer Beerdigung auchnicht erinnere. Auch von der wirklichen Beerdigung meines Vaters, der im Jahre 1807 starb und wiemeine Mutter in Grausden bestattet ist, habe ich ebenfalls keine Erinnerung. Von seiner Beerdigungaber, die mein Vater noch lebend selbst ausrichtete (neun Tage vor seinem wirklichen Tode),erinnere ich mich sehr genau. Er hatte eine Menge von Trauergsten eingeladen, sa selbstaltersschwach und krank auf einem Schaukelstuhle in einer Ecke des Zimmers und bat seineFreunde und Gste, die an zwei groen Tischen speisten, berzeugt sein zu wollen, da er schon totsei; auch sollten sie recht viel ber ihn sprechen, da er gern hren wolle, was man nach seinem Todevon ihm sagen werde.

    Seine Beerdigung hatte er zuvor selbst genau angeordnet und den Kostenanschlag dazu selbstdiktiert. Man solle ihm nicht, wie damals Sitte war, eine neue Adelsuniform anlegen, einen neuenHut und Degen, neue Handschuhe und Stiefel usw. anziehen. Auch sollte der Sarg nicht, wie es sichfr einen alten Edelmann gebhre, von Eichenholz mit schwarzem Sammet beschlagen, mitsilbernen Fen und Klammern versehen werden, denn das mache in Summa so und so viel Taleraus! Statt dessen wolle er nur einen ganz einfachen, aus Brettern zusammengeschlagenen Sarghaben, solle nur in ein weies Laken gewickelt in den Sarg gelegt, nach Grausden gebracht und dabegraben werden. Fr das hierdurch ersparte Geld solle aber den Bauern in Grausden ein Ballgegeben werden, auf dem sie lustig tanzen und sich mit ihm freuensollten, da er in ein besseres Leben bergegangen sei!

  • Der VormundZu meinen Vormndern hatte er ernannt seinen Schwager, den Bruder meiner Mutter, Strombergaus Wirben und den Advokaten Bienemann6). Stromberg hatte bei sich einen Hauslehrer gehabt, derzu dieser Zeit Notarius in Hasenpot war. Zu diesem gab er mich in die Schule, nachdem er mich vonSiuxt fortgenommen.

    SchulstundenUm drei Uhr morgens kam ich in Hasenpot bei F. an und fand ihn schon auf, worauf er mir auchsofort Schulstunden gab. Ich erschrak darber sehr und dachte, wenn das so fortgeht, werde ich dasnicht lange aushalten! Meine Befrchtung war aber unntz, denn am anderen Tage und spter hatteich gar keinen Unterricht mehr. Ich bin ein Jahr und neun Monate bei ihm im Hause gewesen undhabe in dieser ganzen Zeit buchstblich nicht mehr als drei Tage Schule gehabt.

    ZeitvertreibIch vertrieb mir die Zeit mit meinen Tauben. Weikopf- Mtterchen und Braunscheck-Vterchenwaren davon die besten Werfer in ganz Hasenpot. Prgeleien mit Gassenbuben, bei welchen letztereimmer den krzeren zogen, blieben nicht aus. F. war wirklich ein ganz berspannter Mensch.Manchmal schlo er sich auf mehrere Tage auf seinem Zimmer ein, ohne das geringste zu genieen.Die Frau konnte es ihm. nie nach dem Sinn machen. Zweimal habe ich es erlebt, da er, weil dieSuppe ihm nicht schmeckte, die vier Ecken des Tischtuchs zusammennahm und es mit allem, wasdarauf war, Schsseln, Glsern usw. durch die Scheiben hinaus auf die Strae warf! Mir erlaubteer, mit seiner Bchse und seinem Pulver!) und Blei die Krhen zu schieen, die merkwrdigerweisesehr viel auf den paar Bumen im Garten saen. Scho ich eine mit der Kugel, so war es gut;Pudelte ich aber, was natrlich, da ich nur mit der Kugel schieen durfte, sehr oft vorkam, so muteich einen Sechser fr jeden Schu bezahlen, wodurch ich mein Taschengeld das in zwei Talernmonatlich bestand und das er in seiner Verwahrung hatte, in einigen Wochen verschossen hatte.

    Das eine Zimmer auf dem Boden seines Hauses hatte ich inne und es war angefllt mit Vgeln, frdie ich eine groe Passion hatte. Eines Tages aber fuhr F. wtend auf mich los und befahl mir mitgroben Worten, allen Vgeln sofort die Freiheit zu schenken, weil sie soviel Muse ins Hausbrchten. Ich antwortete ihm ebenso grob, da ich es nicht tun wrde. Da gab es eine sehr heftigeSzene. Hernach ging er selbst auf mein Zimmer und lie doch alle meine Vgel hinaus. Nun nahmich meine leeren Vogelbauer und ging auf ein benachbartes Gut, wo gerade Getreidekujeneingefhrt wurden, fing da so viel Muse als nur irgend mglich, steckte damit die Bauer voll,brachte sie nach Hause und lie sie alle unten in seiner Wohnung los.

    Die Schule des Hofrats DllenJetzt war ich vierzehn Jahre alt und mir selbst bewut geworden, da es so nicht weiter gehenknne, packte meine Siebensachen und lief in der Nacht fort, nach der Schlo-Hasenpotschen Rije,wo ich Bauern aus Degahlen fand, die Roggen in Hasenpot verkauft hatten, und fuhr nun mit denennach Degahlen, welches Gut mein Schwager Oelsen damals in Arrende hatte. Mein Schwagerbrachte mich in die Schule zum Hofrat Dllen nach Mitau. Er erzhlte diesem, wie sehr verwahrlostich sei, wie wenig ich gelernt, und da er, um berhaupt noch etwas aus mir zu machen, sehr strenggegen mich sein msse. Nein", sagte ich zum Hofrat, das tun Sie nicht! In Gte knnen Sie mitmir machen, was Sie wollen; mit Strenge aber werden Sie nichts bei mir ausrichten, das versichereich Sie!"

    6 Oberhofgerichtsadvokat Peter Bienemann v. Bienenstamm. Geb. 1749 gest. 1820.

  • Der Hofrat reichte mir die Hand und sagte: Braver junger Mann, ich halte Sie beim Wort undversichere Sie meinerseits, da, wenn Sie immer offen und wahr gegen mich sind, ich keinen Grundzur Unzufriedenheit geben werde". Mein Schwager sagte ihm lachend: Das ist ein infamer Junge,wie untersteht er sich, so etwas zu sagen!" Dllen aber antwortete: Nein, das gefllt mir geradevon ihm", und sich zu mir wendend, sagte er: Bleiben Sie nur dabei: immer die Wahrheit reinheraus!"

    Vier Jahre bin ich bei Dllen und whrend dieser Zeit wirklich sehr fleiig gewesen, so da, was ichberhaupt wei und geworden bin, ich einzig und allein dem alten Hofrat und seiner Schule zuverdanken habe. Dllen hatte eine vortreffliche Art, mit seinen Schlern umzugehen. Allefrchteten, aber liebten ihn auch. Wir wohnten damals an der Groen Strae", im Hause desBcker Feierabend. Auf dem Boden, an einem Ende, war ein Zimmer, das mir und unter meinerspeziellen Aufsicht Ernst S. abgegeben war; die anderen sechs Pensionre, von denen jeder 300Taler = 400 Rbl. Schul- und Pensionsgeld zahlte, wohnten in den unteren Rumen.

    S. war ein sehr wenig begabter Knabe und wurde von seiner Mutter sehr verwhnt. Bei jederGelegenheit schickte sie ihm Naschereien, gelben Kringel, Sfte, Obst usw. Er war aber entsetzlichgeizig, hielt alles fest verschlossen und gab niemals etwas ab. Ich konnte den Jungen berhauptnicht leiden und litt ihn jetzt noch desto weniger. Zum Glck war er sehr furchtsam, besonders vorGespenstern und ging ber den Boden, wenigstens im Dunkeln, unter keiner Bedingung allein. Aufeinem Streckbalken dieses Bodens hatte ich ein groes schwarzes Kreuz hingemalt.

    Nun kaufte ich Rosinen oder Schmantkuchen7, stieg auf einen Stuhl und legte die Hlfte davon berdas Kreuz auf den Balken, alles in seiner Gegenwart. Warum tun Sie das?" fragte er. Ich sagte:Um in der Nacht Ruhe zu haben, denn da, wo das Kreuz ist, da hat ein ungeheuer geiziger KerlHarpax sich aufgehngt und der macht, wenn ich ihm nichts von meinen Nschereien abgebe,immer in der Nacht einen furchtbaren Lrm!" Es hatte nmlich einige Nchte vorher ein andererPensionr heraufkommen und auf dem Boden Lrm machen mssen, um ihn gehrigeinzungstigen. Das half aber doch wenig. Da bernahm es ein Schler, Emst P., am Abendhinzukommen, kletterte auf die Bretter, die ber dem obersten Querbalken lagen und lie, wenn ichmit S. zur bestimmten Stunde hinaufkam, durch eine Ritze zwischen zwei Brettern ein weiesBettlaken heruntergleiten und zog dasselbe schnell wieder hinauf, so da S. dasselbe durchaus freinen Geist hielt. Hiernach gab er mir jedesmal etwas von seinem Obst oder anderem Naschwerkund bat mich, das fr Harpax da hinaufzulegen, er htte Angst, selbst hinaufzusteigen. Natrlich tatich es. Aber ich kann nicht behaupten, immer die ganze Hlfte hinaufgelegt zu haben. Es war jaauch dunkel!

    Dieses Kunststck mute aber oft wiederholt werden, um S. etwas freigebiger zu machen, denn erfing an, allmhlich kleinere Portionen zu geben. Eines Tages, als ich dort nichts fand, mute in derNacht wieder ein Pensionr auf den Boden hinauf und Lrm machen. S. war auer sich undversicherte hoch und teuer, schon am Tage, als er hinuntergegangen, mehreres hingelegt zu haben,er habe also seine Pflicht getan, aber Harpax rumore dennoch. Wahrheitsliebend war er, daherglaubte ich ihm und kam auf die Vermutung, da ein anderer Pensionr das Hingelegte aufgegessenhtte, und ich entdeckte auch bald, da es unser B. gewesen war.

    DiebstahlB. war eine ganz eigene Persnlichkeit; er lernte eifrig und hatte viel Kenntnisse, aber fr dasgewhnliche Leben war er sehr dumm; man konnte ihm die unwahrscheinlichsten Geschichteneinbilden. Gleich wurde wegen dieses von ihm begangenen Diebstahls ber ihn von uns anderensieben Pensionren Gericht gehalten und einstimmig beschlossen, da ein solcher Fall dieKompetenz dieses Gerichts bersteige, B. msse auf die Polizei gefhrt und dort bestraft werden.

    7 Schmantkuchen [zu mittelniederdtsch. smand weich, glatt], saftiger Blechkuchen aus Hefeteig mit zweischichtigem Belag, verschiedentlich auch Brei- oder Schmierkuchen genannt;

  • Um das Aufsehen in der Stadt zu vermeiden, solle das in der Dunkelheit sieben Uhr abendsgeschehen. Um sieben Uhr wurde er nun ergriffen und scheinbar abgefhrt.

    Er bat jetzt himmelhoch, ihm diese Schande nicht anzutun, er werde nie mehr stehlen! Da wurdeihm proponiert, ein hheres Gericht, aus anderen Schlern bestehend, zusammenzusetzen, an das ernun appellieren knne. Er msse aber durch sein Wort sich verpflichten, blindlings ohne Widerredesich dem Urteil dieses Obergerichts zu fgen; nur unter dieser Bedingung wurde er von der Polizeifreigegeben. Er ging auf alles ein. Als er nun nach einigen Tagen vor das Obergericht, das sichunterdessen konstituiert hatte, vorgeladen ward, wurde ihm das Urteil desselben publiziert: amnchsten Sonntage wenn gutes Wetter sei, solle er in Ledding erschossen werden!

    Vom Wetter sehr begnstigt, gingen wir, eine Menge Dllianer, am Sonntag mit ihm nach Leddinghinaus. Mit einem Handtuch ber die Brust und unter die Arme genommen, wurde er an einenBaum gebunden, die Augen ihm mit einem weien Tuch verbunden und in dem Augenblicke, wo P.die Flinte neben ihm in die Luft abscho, warf ein anderer ihm eine Handvoll Strickbeersaft mitaller Kraft ins Gesicht. Welch ein Schreck aber fr uns alle, als er pltzlich den Kopf sinken lieund selbst zusammensank, so weit das Handtuch es ermglichte! Wir strzten auf ihn zu, um ihnloszubinden, der Knoten war aber durch sein eigenes Gewicht so festgezogen, da es uns gar nichtso schnell gelingen wollte, ihn zu lsen. Als es endlich gelang und wir auch die Binde entfernten,sahen wir eine Leiche wobei wir natrlich auch mehr Leichen als lebenden Menschen hnlichwaren. Wir glaubten nmlich, was doch auch nicht unmglich war, da er vor Schreck gestorbensei. Nachdem er nun mit kaltem Wasser (mit mehr, als ntig war), bespritzt und begossen wordenund endlich zu sich gekommen war, erkannten wir doch alle, wenn auch nicht alle es aussprachen,da das ein sehr dummer Scherz gewesen war.

    StraenWie waren damals die Verhltnisse so ganz anders! Und wie anders sah es in jenen Zeiten auch indem alten Mitau8 aus! Die Straen waren nur zum Teil und mit den grten Steinen gepflastert. DasFahren war geradezu eine Strafe. Die meisten Huser waren aus Holz und hatten vor der Haustrnach der Strae zu eine gerumige Treppe, welche zu beiden Seiten von Bumen beschattet wurde.Hier auf der Treppe waren Bnke angebracht und dort fanden sich in den Erholungs- undAbendstunden oftmals die Hausbewohner und lieben Nachbarn zu einer Tasse Kaffee oder zugemtlicher Besprechung der neuesten Begebenheiten zusammen.

    Zwar nahmen diese Treppen viel Raum in Anspruch, sie beeintrchtigten jedoch weder dieFahrenden, noch die Fugnger, denn in der Mitte der Strae war die Grenze jedes Grundstckesvon dem gegenberliegenden durch besonders groe Feldsteine markiert, welche die Fahrenden zuvermeiden suchten, die von den Fugngern aber gerade bevorzugt wurden, ja es galt fr unhflich,wenn jemand auf der Seite der Strae, unter den Fenstern, ging. Brgersteige resp. Trottoirs gab esnoch nicht.

    WasserspeierEs wre bei Regenwetter ja auch nicht mglich gewesen, an der Seite der Huser zu gehen, denn dieDachrinnen liefen nicht bis nach unten, sondern spritzten das Regenwasser von hoch oben herab.Die kurze Abzugsrhre pflegte in einen sehr bunt gearbeiteten Drachenkopf zu enden, welcher dasWasser aus seinem Rachen weit hinausspie.

    8 Jelgava (deutsch: Mitau) ist eine Stadt in Lettland im Gebiet Semgallen 44 km sdwestlich von Riga. Bis 1919 war Mitau die Hauptstadt von Kurland und im Gegensatz zum hanseatischen Riga adelig geprgt. Heute ist Jelgava eine der neun Republik-Stdte des Landes

  • Zum Gehen waren die Straen damals oft trockener als heute, weil das Wasser von den groenSteinen rascher ablief, und wenn es sich auch in den Zwischenrumen etwas sammelte, so konnteman doch immer von einem groen Stein zum anderen springen.

    WasserspeicherEine Wasserleitung aus dem Kanal existierte nicht, jedes Haus mute sich das Wasser fr Geld ausder Drixe oder der Aa holen lassen. Daher war angeordnet, da jedes Haus unter seiner Dachrinneein groes Holzgef hatte, um in dieses das Regenwasser aufzufangen, damit bei etwaausbrechendem Feuer Wasser vorhanden sei. Alsdann wurden dieselben auf Schleifen, die sowohlvorn als hinten eiserne Haken hatten, angeschmiedet. Brach Feuer aus, so wurde an diese Haken einPferd gespannt und das Wasser auf solche Weise zum Brandplatze geschafft.

    Laternenlichtber jeder Haustr war ein Fenster und in diesem eine zur Hlfte ins Vorhaus, zur Hlfte in dieStrae hervorragende Laterne angebracht, in welcher mit Beginn der Dunkelheit jeder Hausbesitzerverpflichtet war, ein Licht brennen zu lassen. Dieses Licht war gewhnlich nur eine sogenannteWasserkerze, welche schon an und fr sich dunkel brannte, durch das Prasseln aber die Scheibenmit Talg bespritzte und dadurch noch weniger leuchtete.

    6: Wasserspeier in Tartu (Dorpat)

  • Das war die ganze Straenbeleuchtung, die auch nur bis zehn Uhr abends dauern durfte, denn dannschnarrte der Nachtwchter einmal und sang darauf:

    Hrt, ihr Herren, lat euch sagen, unsre Glock' hat zehn geschlagen, bewahret euer Feuer und Licht, auf da euerm Nachbar und euch kein Schade geschieht!"

    und schnarrte nun zehnmal. Bei jedem Stundenschlage sang er ein anderes Lied. Um eineFeuersbrunst anzuzeigen, schnarrte er ununterbrochen.

    GaloschenGaloschen existierten nicht, und Fuhrleute waren, wenn ich nicht sehr irre, zwei oder drei in ganzMitau, mit ganz abscheulichen Droschken, mit denen kein anstndiger Mensch zu fahren wagte. Soging ich denn auch stets selbst zum Balle, in kurzen Hosen, seidenen Strmpfen und Schuhen,deren Sohlen von smischem Leder waren, weil in solchen sich leichter tanzen lt, zum Klub, oderwo es gerade zu tanzen gab,' auch zum Kasino, und kam stets rein an! Wie ich das angefangen,begreife und erinnere ich mich nicht. Nur einmal entsinne ich mich, unterwegs der Dunkelheitwegen so verunglckt zu sein, da ich zum Umkleiden nach Hause eilen mute.

    Man tanzte damals, beilufig bemerkt, sehr viel und sehr gern. Vor sieben Uhr abends begann derBall und dauerte bis sptestens um Mitternacht. Ein wie groer Unterschied zwischen sonst undjetzt vorhanden ist, sieht man am deutlichsten daraus, da damals sich die jungen Herren auf jedenin Aussicht stehenden Ball freuten. Man machte damals auch weit geringere Ansprche und wartrotzdem viel frhlicher. War abends Gesellschaft, so wurde selbst in den reichsten Husern denGsten nie etwas anderes gereicht als auf zwei Teebrettern Butterbrote, mit Kalbsbraten und mitSalzfleisch belegt. Ein dritter Diener brachte noch eine Platte mit schon gefllten Weinglsern. Mantrank stets Pontac9. Alles war also sehr einfach, aber das Haus dennoch voll von Gsten undjedermann frhlich und guter Dinge.

    Die Hauptstrae vom Ausland ber Mitau nach Petersburgber Mitau fhrte in jenen Zeiten die Hauptstrae vom Auslande nach Petersburg, aber trotzdemwar es besonders im Herbst und Frhling wie eine Insel fast gnzlich ohne Verbindung," weil dieWege in Kurland und besonders in der Nhe Mitaus ganz auerordentlich schlecht waren. An vielenStellen waren die Wege durch nichts markiert. Jeder fuhr links oder rechts, wo er glaubte besserfahren zu knnen.

    StraenIch erinnere mich, da, als ich im Pastorat Siuxt10 in der Schule war, der Pastor seine Gemeinde vonder Kanzel herab bat, aus Rcksichten fr ihn, da er so oft nach Mitau fahren msse, doch diegroen Steine von der groen Landstrae wegzurumen.Bei Klein-Buschhof11 unweit Mitaus war tiefer Sand und eine Masse groer Steine; da der Wegnicht durch Grben begrenzt war, so waren dort in einer Breite von gewiss ber 100 Faden mehrereWege zu sehen. So war es auch an mehreren anderen Stellen, ganz besonders zwischen Mitau unddem Griwenschen Kruge. Da waren wirklich unzhlige Wege in dem schrecklich tiefen Sande zusehen.

    9 Pontac: Historische Rebsorte in Sdafrika, die heute in kleinen Mengen recht strenge Weine hervorbringt. 10 Siuxt / Dzukste. (Latvia - Tukuma novads - Dzukste) 11 Meschamuischa Klein-Buschhof; Grenzhof Baltisches historisches Ortslexikon: Lettland (Sdlivland)

  • Auf der ganzen Flche zwischen den beiden Wldern waren durch Sturm und Windzusammengewehte Sandhgel, zwischen welchen die vielen Wege nebeneinander fhrten.

    bersetzflo ber die GriweIm Frhjahr war bei Mitau nach der Tuckumschen Seite bis zu dem von dort aus rechts an derStrae gelegenen Gesinde alles berschwemmt. Kam man von Tuckum12 aus, so mute man, jenachdem das Wasser tief war, durch das Gesinde selbst oder ber dessen Felder bis auf dieDoblensche Strae hinausfahren. Es war dies die Hauptstrae, die ins Ausland fhrte, auf welcherman sich so durchmanvrieren mute. Grte Schwierigkeit bot hier das bersetzflo ber dieGriwe. Da dieses nur zum Gebrauch fr den Herbst und das Frhjahr ntig war, so war es auch ganzohne besondere Sorgfalt gebaut und sehr klein. Ich habe es nie anders getroffen, als da, wenn ichbis zu dieser Stelle gekommen war, schon viele Equipagen und Fuhren warteten und also auchfrher als ich expediert wurden. Oder das Flo stand beim Griwenkmge, die Leute waren im Kruge,und nun mute man auf eine Entfernung von ca. Werst schreien und rufen, bis die Leute uns endlichabholten.

    Dann begab man sich auf das wirklich in vieler Beziehung gefahrvolle Flo, welches mit langenStangen bis auf die Griwebrcke gefahren wurde. Es ist fter vorgekommen, da durch Sturm unddie starke Strmung des Wassers das Flo mit allem, was darauf war, der Brcke vorbei den Fluhinuntergetrieben wurde. Auf der Mitte der Brcke, welche aus dem Wasser hervorragte, wurdeman abgesetzt und mute hier warten, bis die Leute vom Ratskruge aus den Reisenden mit einemebenso jmmerlichen Flo abholten und beim Ratskruge absetzten. Von hier suchte man nun vonden vielen schon erwhnten Wegen sich den besseren aus bis zu den Monumenten von Tetsch undSchwander bei Mitau.

    Wie der Weg hier und zwischen den Husern der Vorstadt bis zur Stadt beschaffen war, ist wirklichnicht zu beschreiben. Man denke sich den ganzen Weg, welcher ca. sechs Fu niedriger war als diean beiden Seiten gelegenen Heuschlge, von einem Ende bis zum anderen wie dnne Dickegrtze,und wenn die Frhjahrssonne ihn schon trocknete, wie dicke Dickegrtze. Im Frhjahr war er daheram schlechtesten. Groe Wagen, d. h. Wagen mit sehr hohen Rdern, sanken bis zur Achse hinein,Bauernwagen aber noch weit tiefer.

    Mit den krftigsten Pferden konnte man nicht, ohne mehrere Male anzuhalten und sie sich erholenzu lassen, in einem Zuge von dem einen Ende bis zum anderen fahren. Ehe man sich in diese Grtzebegab, hielt jeder schon gewitzigte Kutscher, ohne da man es ihm befahl, an, bersah seinenAnspann, ob auch alles fest und gut gebunden war, um diese Passage aushalten zu knnen. Jederrussische Kutscher bekreuzigte sich zuvor dreimal. Dessen ungeachtet sah man jedesmal mehrereEquipagen, denen ein Unglck passiert war. Man kann sich denken, wie viel Zeit man brauchte, bisman diese ganze Strecke mit dem zweimaligen bersetzen usw. zurcklegte. Und alles dieses istnichts im Vergleich zur Passage im Sptherbst.

    Unter ein paar Stunden konnte ein Bauer mit seinem schwachen Pferde die Strecke von der Stadtbis zu den Monumenten, ca. 2 Werst, nicht zurcklegen, der Kot fror in dieser Zeit an seine Rderfest, und er htte nicht weiter fahren knnen, wenn er fr solchen Fall nicht schon ein Beilmitgenommen htte! Mit groen Equipagen war es wirklich halsbrechend, indem an manchenStellen die Kruste so festgefroren war, da der Wagen darber hinwegging, pltzlich aber die Rderder einen Seite durchbrachen und nun der Wagen umfallen mute.

    Der Weg von Mitau nach Riga sah diesem eben geschilderten sehr hnlich. Im Sommer tiefer Sand,im Herbst und Frhjahr frchterlicher Kot. Man fuhr nach Riga nie, ohne wenigstens einmal seinePferde zu fttern, in der Regel aber nchtigte man. Wer diese Wege von damals nicht gekannt hat,wird sich kaum eine Vorstellung von der Beschaffenheit derselben machen knnen und meineBeschreibung fr bertrieben halten.

    12 Tukums ( Aussprache ?/i) (deutsch: Tuckum) ist eine Stadt in Lettland 66 km westlich von Riga

  • MnzsortenEs ist vielleicht nicht berflssig, auch an die vielen Mnzsorten zu erinnern, die in meiner Jugendbei uns smtlich im Gange waren. Ich will versuchen, sie herzuzhlen. In Gold gab es Dublonen,Louis- und Friedrichsd'ors, hollndische, Kremmnitz- und italienische Dukaten, auch spanischeGoldmnzen, alle von verschiedenem Wert.

    In Silber und sog. Silber: neue rndige hollndische Taler (gerade so wurden sie zum Unterschiedevon den anderen Talern benannt) 1 Rbl. 331/3 Kop. S., alte Taler 1 Rbl. 20 Kop., Ort oderGuldenstcke = 30 Kop., Fnfer (die schsischen 2 gute Groschenstcke und diesen hnlicheGeldstcke anderer Staaten) = 7 Kop.;

    Fnfmarkstcke sahen ganz wie ein Fnfer aus, nur waren sie etwas grer und dicker, warenkrumm gebogen und galten 2 Fnfer.

    Der Sechser war eigentlich eine polnische Mnze, mit dem Bilde des Knigs von Polen; jederFnfer aber, der kahl geworden, an dem das Geprge nicht mehr sichtbar war, galt auch nur einenSechser = 6 Kop.; ein Dtchen oder Mark = 3 Kop. oder 2 Ferding, denn 1 Ferding galt 1 Kop.

    Eine Mnze, die in Wirklichkeit gar nicht existierte, aber beim Handeln mit Bauern und Judengebruchlich war, hie Timpf und galt 3 Sechser oder 18 Kop., und ebenso war Flor eine ganzimaginre Mnze, galt 4413 Kop.; 3 Flor = 1 Taler neu Albertus = 1 Rbl. 331/3 Kop. und war inObligation und Schuldverschreibungen gebruchlicher als Taler.

    Auer den genannten gab es auch verschiedene Kupfermnzen und russische Bank-Assignationenvon verschiedener Gre, 50, 100, 1000 Rbl. Ursprnglich sollte jeder Bancorubel einen Silberrubelgelten, variierte aber sehr bald im Kurse. So lange ich zurckdenken kann, wechselte der Kurstglich zwischen 350 und 375 Rbl. Banco = 100 Rbl. S.

    Banconoten und WechselbankenDa alle Kronsabgaben nach dem Kurse, den der Staat fr die Zeit festsetzte, mit Banconoten bezahltwerden muten und diese im gewhnlichen Geschftsleben nicht gebruchlich waren, man sie alsoimmer, wenn man ihrer bedurfte, einwechseln mute, so gab es eine Menge jdischer Wechsler, diesich hierdurch groen Vorteil machten.

    Zwischen je zwei Pfeilern der ganzen Budenreihe und auerdem an den Ecken der HauptstraenMitaus standen Wechselbanken. Das waren groe Tische, auf der Mitte derselben ein vonEisendraht geflochtener ca. vier Quadrat-Fu groer und etwa sechs Zoll hoher Kasten, welcher anden Tisch angeschlossen stand, wenn hier im Augenblick nicht Geld gewechselt wurde. In odervielmehr unter diesem durchsichtigen Kasten standen die verschiedenen Mnzsorten, die man hiereinwechseln konnte. Natrlich mute man, was man auch wechselte, dem Wechsler immer Agio(oder, wie es damals hie, Lage) zahlen.

    13 unlesbar

  • Die Johanniszeit

    Whrend der Johanniszeit14 hatten diese einen unglaublichen Gewinn. Mute z. B. jemand Talerempfangen, hatte aber seinen ausgestellten Schuldschein mit einer anderen Mnzsorte einzulsen,so war er gentigt, diese einzuwechseln. Diese Wechseltische waren daher den ganzen Tag so starkbesetzt, da man kaum ankommen konnte, dem Juden seine Wechselprozente zukommen zu lassen.Auch deshalb war immer viel Geld zu wechseln, weil jeder Mensch seine jhrliche Einnahme in denGeldsorten, wie sie eingekommen waren, bis zum Johannisgeschft bar bei sich in der Schatulleaufbewahrte.

    14 Der Tag der Sommersonnenwende fllt auf den 21.Juni es ist der lngste Tag und die krzeste Nacht. Die Sonne steht auf ihrem Hhepunkt

    7: Blumenkranz zum Johannisfest

    (fotografiert in Tartu am 24.6.2015)

    8: Blumenschmuck zum Johannisfest (Aufnahme aus Tartu)

  • Kamen die Gutsbesitzer zu Johannis nach Mitau eingefahren, so folgte ihrer Equipage auf einembesonderen Wagen der Geldkasten, den zwei oder vier mit Flinten und Hirschfngern bewaffneteLeute zu Pferde begleiteten. Diesem folgten ein paar Fuder Heu und Hafer, dann wieder eine Fuhremit allerlei Viktualien fr Herrschaften und Leute fr die Johanniszeit; denn jede Familie lie zuHause kochen. Wer in der Stadt kein eigenes Haus oder kein Quartier fr die Winterzeit hatte,schleppte auch alles Kchengert, Bettstellen und Bettzeug fr die Zeit seines Aufenthalts mit.

    Zu Johannis kam alles nach Mitau, denn alle Geldzahlungen, Kontrakte, Dienstvertrge usw.wurden immer nur zu Johannis gemacht. Und zu sehen und zu hren gab es hier wie in der grtenStadt. Denn alles, was von Berlin usw. nach Petersburg und Moskau reiste, mute ber Memel undMitau dahin.

    Alle berhmten Schauspieler, Virtuosen, Seiltnzer, Jongleurs und was dergleichen richtete sichimmer so ein, da sie auf ihrer Durchreise die Johannissaison hier mitnahmen. Das war frKurlands Shne und Tchter von groer Wichtigkeit; sie bekamen die ausgezeichnetsten Knstlerhier alle zu sehen und zu hren, ohne deshalb mit groen Kosten Reisen ins Ausland machen zumssen.

    Das TheaterDas Theater war stets ausverkauft. Hierzu waren mehrere Grnde. Es war mit guten Schauspielernbesetzt, welche die vom Lande eingekommenen Eltern selbst sehen und ihren Kindern zeigenwollten. Und sehr viele andere, die gar nicht in der Absicht, ins Theater zu gehen, bis dahingegangen waren, gingen auch hinein, wenn da noch so viel Platz war. Es war nmlich hier auch einegroe Liebhaberei fr schne Pferde und Equipagen, um mit diesen zum Theater zu fahren und siedort bewundern zu lassen.

    Alles fuhr mit vier Pferden lang gespannt und einem Vorreiter. Der Kutscher auf dem Bock mutedurchaus einen schnen langen Bart haben, der Vorreiter auf dem rechten Vorderpferde einmglichst kleiner Junge sein und wenn die Equipage fuhr, sehr laut schreien: Pagi, Pagi! Hee!"

    9: Aushngeschild der Theaterschule in Tartu

  • Dieses Hee!" mute er mglichst lang dehnen, je lnger er das ausdehnte, desto schner war es.Mit solchen Equipagen fuhr man die Damen zum Theater; wenn diese auch nicht htten hin wollen,so muten sie, denn man wollte seine Pferde zeigen. Am Theater stieg man aus, die Damen gingenhinein, die Herren aber blieben drauen stehen, um die anderen Equipagen zu sehen, sie zubewundern oder zu tadeln und erst wenn alles angekommen und hineingegangen war, gingen sie,weil sie nicht wuten, wo sonst hinzugehen, auch hinein. Zum Wegfahren versammelten sichwieder die nachkommenden Wagen, die nach der Zeit, wie sie angekommen waren, einer hinterdem anderen halten muten.

    Sehr oft habe ich gesehen, da auf diese Art der erste Wagen an der Theatertr hielt und der letzteWagen auf dem Markte ganz in der Nhe der Mhle stand. Die Reihe, in der sie standen, gingnmlich vom Theater lngs der Manege zur Strae an der Drixe und diese entlang bis zurSchlostrae, dann rechts durch die ganze Schlostrae ber den Markt bis zur Mhle, oder wiederbis zum Theater! Es dauerte immer Stunden, bis alle weggefahren waren; denn wenn ein Wagenvorgefahren war und die Polizei die Herrschaften dreimal abgerufen hatte, so mute er wieder fortund der folgende vorfahren.

    Vom Theater fuhr alles zum einzigen ffentlichen Garten, dem Offenbergschen in derSchreiberstrae. Der Garten war recht gro, aber nur der einzige groe Gang wurde von denanstndigen Leuten besucht, daher war dieser so gedrngt voll, da zwei Menschen nicht Arm inArm, sondern nur einer hinter dem anderen sich von einem Ende bis zum anderen durchdrngenkonnten, und wenn sie dieses einmal hin und zurck getan hatten, so war es unterdessen sinkendeNacht geworden, und alles fuhr nach Hause.

    Geschfte an den 3 JohannistagenIm Laufe der drei Johannistage machte alles seine Geschfte, d. h. Geldzahlungen usw. Am erstenTage weniger, weil niemand sich zu sehr von Geld entblen wollte, daher nicht eher auszahlte, alsbis er das, was er zu bekommen, eingenommen hatte. Deshalb entstanden so lange ich denkenkann immer Stockungen im Geschft; immer hrte man darber klagen, da der und der nochnicht zahle! Hatte jemand eine Kapitalkndigung bekommen, so suchte er bei dem oder jenem Geldaufzunehmen; entweder wurde es ihm ganz abgeschlagen, oder er bekam zur Antwort: Wenn ichmein Geld einbekomme, so werde ich es Ihnen geben". Der die Aufsage bekommen, zahlte ausrger, wenn er das Geld auch flssig hatte, gewi nicht vor dem letzten Termin, d. h. am drittenJohannistage vor Sonnenuntergang; und hatte er es nicht, so konnte er es natrlich gar nicht zahlen was jeden Johannis mit einzelnen Personen geschah; dann zedierte er bonis. Wenn nun solcheStockungen im Geschft eintraten, so war es ein allgemeiner Jubel, wenn man hrte, da N. N. zuzahlen angefangen habe! Von dem Moment an sah man die Leute mit Geldscken die Straen hinund her laufen; auch Fuhrleute auf Fuhrwagen Geld in Scken, auch in kleinen Fchen von Hauszu Haus fhren.

    KonkurseAm dritten Johannistage, also am 14. (26.) Juni vor Sonnenuntergang, muten alle Zahlungen bisauf Budenrechnungen, die erst am vierten Tage bezahlt wurden gemacht sein, oder der sumigeZahler wurde sofort ausgeklagt, und ber sein Vermgen wurde der Konkurs verhngt. Solche Fllekamen jeden Johannis vor. Wirklich reiche Leute kamen ohne ihr Verschulden in Konkurs. Das gingsehr natrlich zu. Bekam jemand Aufsage, d. h. Wurde ihm ein Kapital, gro oder klein, gekndigt,und es war bei aller Sicherheit, die er bieten konnte, ihm nicht mglich, die ihm gekndigte Summedargeliehen zu erhalten, so mute er fallieren. Und sehr oft fallierte deshalb auch sein Glubiger,weil er dadurch auer Stande gesetzt wurde, seinen Zahlungsverbindlichkeiten nachzukommen. DieAdvokaten wurden dadurch wohlhabend!

  • Der Geburtstag des Hofrats DllenDoch ich kehre nach diesen Exkursen zu den Erlebnissen meiner Jugend, zur weiteren Schilderungmeiner Schuljahre zurck. Da erinnere ich mich besonders lebhaft eines Geburtstages des HofratsDllen. Als derselbe heranrckte, traten die Schler zusammen und berieten, was man ihm diesmalschenken sollte, da er in frheren Jahren schon Tisch- und Teeservice, und was man sonst nurerdenken konnte, erhalten hatte. Im hohen Rate wurde beschlossen, ihm ein Reitpferd zu schenkenmit Sattel und Zeug, und mir wurde der Auftrag, das alles zu kaufen, was ich natrlich denn auchgetan. An dem Geburtstage war nach anhaltendem Regen schnes Wetter. Die ganze Schule zog inProzession an Dllen heran, gratulierte ihm und bat ihn, das Pferd mit Sattel und Zeug als Geschenkder Schler entgegenzunehmen und gleich bei diesem schnen Wetter mit uns und den Lehrernzusammen einen Spazierritt nach Ledding zu machen.

    Als es nun dazu kam, da Dllen das Pferd besteigen sollte, sagte er sehr verlegen, da er eigentlichnoch nie auf einem Pferde gesessen htte und diese Tour lieber zu Fu machen mchte. Der vr B.wrde statt seiner gewi sehr gern das Pferd versuchen. Das tat nun B. auch. Auerhalb der Stadtaber war vom Tage zuvor eine groe Pftze auf der Landstrae, und als das Pferd in der Mittederselben war, kratzte es erst mit dem einen, dann mit dem anderen Fue und legte sich pltzlichmitten hinein! B., der nicht zur rechten Zeit vom Pferde herabsprang, wurde nun mit dem einenBein vom Pferde angedrckt und zu allgemeinem Bedauern auch stark durchnt. Dllen meinte,dieses Gebaren des Pferdes msse doch eine Untugend desselben sein und bat mich, der ich vierStunden in der Woche in der Manege Unterricht im Reiten nahm, das Pferd mit mir in die Manegezu nehmen, um es da wie gehrig zu dressieren. Der Stallmeister aber meinte, da das Tier krank seiund frisches Gras sehr wohltuend wirken wrde. Worauf Dllen mich aufforderte, da ich zu denPfingstserien nach Wilxaln15 zu meiner Schwester fahren sollte, es mitzunehmen und dortauszukurieren. Pfingsten war da, ich sattelte das Pferd, ritt den ersten Tag bis Gransden zu meinemOnkel, der das Pferd auch fr krank erklrte, und am nchsten Tage bis Wilxaln, wo das Tier durchGras gesund werden sollte: aber schon am anderen Tage hatte es ins Gras gebissen", d. h. es warkrepiert!

    Der Ruber JurreIn dieser Zeit waren mehrere Rekruten in Mitau entsprungen und zogen unter Anfhrung desMaurers Jurre, welcher von meinem Schwager aus Wilxaln zum Soldaten abgegeben worden war,als Ruber von Wald zu Wald im Lande umher. So waren sie auch zum Neumokschen Waldegezogen, von wo aus der Jurre in den Hof Wilxaln gekommen war und einen Faden Holz, der amEnde der Herberge aufgestapelt lag, schon angezndet hatte, als er zum Glck von dreiherankommenden Leuten verjagt und das Feuer noch rechtzeitig gelscht wurde. Unter diesen dreiLeuten war auch der riesengroe und starke Kutscher, der, als mein Schwager ihn am anderenMorgen fragte, warum er den Jurre nicht ergriffen, da sie doch drei waren, antwortete: Wer darfeinen Solchen wohl anfassen?!" Mein Schwager war wtend auf ihn und sagte, indem er sich zu mirwandte: Du, Peter, httest ihn gewi angefat und wrst auch allein mit ihm fertig geworden?!"An demselben Tage wollte ich Fels besuchen (den frheren Jger meines Vaters, dem er bei seinemAbleben den Namen Fels beigelegt und ihm die Freiheit geschenkt hatte), der hatte den an derTuckum-Talsenschen Strae belegenen Wilxalnschen Krug in Arrende. Die beiden Brudersshnemeines Schwagers, Ernst und Karl, ungefhr 10 und 12 Jahre alt, kamen mit mir. Als wir durch denWald, schon ganz nahe am Kruge waren, sprang Jurre, uns freundlich zurufend: Guten Tag,Jungherrchen!" aus dem Walde heraus und fragte nach dem Herrn, nmlich meinem Schwager O.,ob der zu Hause sei. Er, der Jurre, wrde nicht mehr so dumm sein, allein in den Hof zu gehen, erwrde mit seinen Leuten, die er hier im Walde habe, nach Wilxaln gehen und dem alten Herrn dasHaus ber dem Kopf abbrennen!

    15 Vilksale, 12 km. Nw Tuckum - Baltisches historisches Ortslexikon: Lettland (Sdlivland ...

  • Ich, in dem Augenblick der Worte gedenkend, die mein Schwager zu mir sprach, als der Kutscherantwortete: Wer darf einen Solchen anfassen?!" fate im selben Augenblick ihn mit einer Hand,hinter die Halsbinde, warf ihn zu Boden und schnrte ihm den Hals, damit er nicht schreien knne,so fest, da er seine Zunge buchstblich blau aus dem Halse herausstreckte und ich mit demWrgen etwas nachlassen mute, um ihn nicht vollstndig zu erdrosseln. Die beiden Kinderschickte ich eiligst in den Krug, um Hilfe herbeizurufen; aber sie hatten sich fest an meine Kleiderangeklammert, weinten bitterlich, gingen nicht von der Stelle und lieen mich auch nicht los. ZumGlck kam ein Bauer gefahren, der mir helfen wollte; ich aber, mich auf mich selbst verlassend, batihn, rasch zum Kruge zu fahren, um von dort Hilfe zu schaffen. Gleich darauf kam auch Fels mitvier Knechten angefahren, diese packten und hoben den wirklich halbtoten Kerl in den Wagen undbrachten ihn direkt zum Hauptmannsgericht nach Tuckum.

    Zu Hause angekommen, erzhlte ich den ganzen Vorfall meinem Schwager. Er und meineSchwester fuhren sofort nach Tuckum, und ich mute mit, um dort genau den Hergang zu erzhlenund die allseitigen Belobigungen ber meine Heldentat entgegenzunehmen. Ganz Tuckum und dieUmgegend waren darber erfreut, da der berchtigte Jurre endlich festbekommen war.

    Ein geschenkter GaulNach Mitau zurckgekehrt empfing mich mein alter Hofrat, der auch schon von dieser Geschichtegehrt hatte, mit vielen Lobsprchen ber meinen Mut und machte mich dadurch in der Rede, dieich mir ausgedacht hatte, um ihm den Todesfall seines Pferdes beizubringen, ganz konfus. Ich fingan, rusperte mich erst, hustete dazwischen etwas und sagte ihm, da das Pferd offenbar schon hierkrank gewesen sein msse, ich es mit der grten Vorsicht geritten, es aber doch am nchsten Tageschon krepiert sei. Worauf Dllen mit einem sehr erfreuten Gesicht antwortete: Sie konnten mirkeine erfreulichere Nachricht bringen! Der Besitz des Tieres hat mich nur in groe Verlegenheitgesetzt; denn weder habe ich Stallraum noch Futter frs Pferd, noch einen Knecht zur Pflege desTieres. Auch das Reiten ist mir unangenehm, ich wei nicht, ob ich in meinem ganzen Leben zwei-bis dreimal ein Pferd bestiegen. Gottlob, da es tot ist!" So sehr ich mich auch freute, da Dllendie Todesnachricht so freudig aufnahm, so sehr schmte ich mich auch, nicht frher daran gedachtzu haben, ob ein solches Geschenk, wie ein Pferd (welche Idee von mir ausgegangen war), ihmauch angenehm sein wrde.

    Das Gymnasium LibauDie Pfingstferien waren vorber, und die Schule nahm wieder ihren Anfang. In der Schule waren alsLehrer angestellt: Professor und Direktor des Gymnasiums Libau16; Professor Grofchke, ProfessorPerlmann, Professor Bitterling und Professor Trautvetter; auer diesen die beiden GebrderBielenstein, der franzsische Sprachlehrer Toury, der russische Sprachlehrer Wolochotzki, derSinglehrer Konrektor Kahn, der Zeichenlehrer Knebusch und der Tanzlehrer Jwensen. Alle Jahrewar ein vierzehn Tage andauerndes ffentliches Examen, dem immer sehr viele Damen und Herrenbeiwohnten. Toury wollte mit seinem franzsischen Unterricht brillieren und sagte daher schon imvoraus jedem Schler, welchen Akt aus der Maria Stuart er ihn werde bersetzen lassen. So hattesich ein jeder von uns auf den Akt, aber auch nur auf diesen einen Akt, prpariert. Mich konnte ernicht leiden, und als eines Tages recht viel Zuhrer, namentlich Damen da waren, lie er meinenVormann nur den halben Akt bersetzen und rief nun mir zu: Drachenfels, bersetzen Sie weiter!"Ich lie mich nicht decontenencieren, bersetzte nicht weiter von da an, wo mein Vormann stehengeblieben war, sondern fing gleich mit dem fnften Akte an, und als er mir das verwies undverlangte, da ich an der bezeichneten Stelle fortfahren solle, antwortete ich ihm, so schwer es mirauch wurde, mit einem sehr dummen unschuldigen Gesichte:

    16 Liepja ist eine Hafenstadt im Westen Lettlands an der Ostsee. Mit knapp 80.000 Einwohnern ist sie die drittgrte Stadt Lettlands - Libau / Kurland ( Liepaja / Lettland )

  • Sie haben ja, Herr Toury, einem jeden vorher gesagt, zu welchem Akte er sich zumheutigen Tage zu prparieren habe und mir namentlich gesagt, da ich die drei erstenSzenen des fnften Aktes wrde zu bersetzen haben; daher habe ich auch mit demfnften Akte angefangen! Es ist ja heute nicht anders geschehen als wie im vorigenJahre und wie immer."

    Nun wurde er erst recht boshaft auf mich; aber vom Hofrat Dllen hat er dafr zu hren bekommen!

    SchlerstreicheIn der ersten Klasse war eines Tages, als die Uhr schon geschlagen hatte, der Professor Perlmannnoch nicht gekommen; ich spielte mit dem Katheder, bog es von der einen Seite zur anderen undrief nun ganz pltzlich dem Mitschler B. zu: Rasch, rasch. kriechen Sie hier unter!" Warum?"fragte er. Das wird ja sehr komisch sein," antwortete ich, wenn der Professor kommt und Sieunter dem Katheder liegen." In dem Augenblick war B. Untergekrochen. Als ich das Katheder berihm zurechtstellte, fiel mir ein, da er doch so ersticken knnte; es wurde also ein Stck Holzuntergeschoben, damit er mehr Luft habe. In diesem Augenblick kam Perlmann herein, fand dieganze Klasse lachend und fragte, wozu das Holz da untergelegt sei, es solle gleich herausgenommenwerden. Ich sagte ihm: Herr Professor, man kann das Holz nicht herausnehmen." Wie so, warumnicht?" fragte er. Weil der, der da unten liegt, ersticken knnte!" Da unten liegt? Wer liegt dennda unten?" Ich werden Ihnen gleich zeigen, Herr Professor", sagte ich und bog das Katheder zurSeite; da guckte Perlmann hin und rief ganz erstaunt: B. B., was machen Sie da?" Nachdem dernun herausgekrochen war, fragte er ihn nochmals: Wozu waren Sie untergekrochen? Was wolltenSie da?" Da antwortete dieser: Ja, Drachenfels sagte, es wrde sehr komisch sein, wenn Siekommen und ich unterm Katheder liege!" Ja", sagte Perlmann, da hat Drachenfels wohl ganzRecht, ich finde es auch sehr komisch und finde auch, da Ihr Onkel, der Advokat M., wie er mirvor einigen Tagen sagte, sehr recht daran tut, Sie von hier herauszunehmen, weil Sie hier sehrgemopst werden!" Das war derselbe B., welchen wir einige Wochen vorher in Leddingtotgeschossen und durch kalte Waschungen wieder ins Leben zurckgerufen hatten!

    Der KriegsausbruchDer polnische Edelmann Jgnatzki war mit seiner Ruberbande eingefangen und sa in Mitau imGefngnis. Der Krieg war ausgebrochen. Als der Feind sich schon der Stadt genhert, flchtete eineMenge Familien aus Riga und Mitau aufs Land und vom Lande wieder ebensoviel in die Stadt. Alle

    Archive aus den Behrden, sowie die Kronskassen wurden nach Riga geschafft. Als der GouverneurSivers mit dem letzten Train der Garnison und den Gefangenen aus den Gefngnissen aus Mitaunach Riga abzog, wurde er von einer Menge Volks, zu dem auch ich gehrte, bis ber die Brckehinausbegleitet. Einige hundert Schritte hinter der Brcke blieb der Zug pltzlich stehen, man saheine groe Bewegung, mehrere Menschen sprangen von der Strae ber den Graben auf die Wieseund ebenso wieder zurck auf die Strae; pltzlich knallten Schsse aus allen Flinten der Soldaten,und der ganze Zug bewegte sich nun weiter fort nach Riga. Was ist da geschehen?!" Was bedeutetdas?!" so fragte einer den anderen im Volke, bis wir endlich erfuhren, da der Gouverneur denJgnatzki mit seinen fnf Hauptmitschuldigen dort auf der Wiese an sechs dazu eingerammte Pfostenhabe binden und erschieen lassen.

    Da der Gouverneur Sivers, ohne hheren Befehl, sechs berfhrte Mrder und Ruber liebererschieen lie, als sie, als unntze Esser, in die von Feinden belagerte Stadt Riga einzufhren, wirder gewi vor Gott verantworten knnen, wie aber der General Essen, der damaligeKriegsgouverneur von Riga, es vor Gott verantworten wird, da er damals, als der Feind nochentfernt, nicht einmal in Mitau war, ganz ohne Grund die Mitausche Vorstadt abbrennen lie unddadurch tausende von Menschen um ihr Hab und Gut brachte, wei ich nicht!

  • Krieg (1812)Nach Mitau kam nun der Feind: Preuen, Bayern, Franzosen und Italiener. Ein paar Wochen daraufbemerkte man pltzlich eine groe Unruhe in der Stadt, Trommeln wurden gerhrt, Trompetengeblasen, mein Hauswirt und ich standen vor der Tr und sprachen, was das zu bedeuten habe?als in dem Augenblicke ein Kosak, dann ein zweiter und dritter an uns vorbersprengten. Ich eilteauf die Strae, mir den Spektakel nher anzusehen. In der Poststrae holte ein Kosak einenflchtigen preuischen Obristen ein, whrend ein russischer Ulan ihm entgegengeritten kam undmit seiner Lanze dem Obristen so nahe an der Nase herumspielte, da dieser, um ihm zu entgehen,sich so weit auf den Sattel zurckbog, bis er vom Pferde auf die Strae hinabfiel. In demAugenblicke war der Ulan von seinem Pferde gesprungen und hatte dem Obristen seine Uhr aus derTasche gezogen, whrend der Kosak des Obristen Pferd ergriffen hatte und davongeritten war. DerUlan setzte sich nun wieder auf sein Pferd und trieb den gefangenen Obristen mit seiner Lanze vorsich her durch die groe Strae nach dem Hotel Stein, wo ein russischer Obrist abgestiegen war. Vorder Tr war eine Menge Volks, gefangene feindliche Soldaten, Kosaken und Ulanen. Als der Kosakin meiner Gegenwart das dem Obristen abgenommene Pferd mit Sattel und Zeug einem Juden frzwei Taler verkaufte und die empfangenen Taler in die Tasche gesteckt hatte, trat ein russischerOffizier aus der Haustr und befahl, die dem Obristen entrissene Uhr und das Pferd gleich wiederzurckzugeben. Sofort ward das Pferd dem Juden wieder abgenommen, welchem derselbe mitoffenem Munde nachsah, vom umstehenden Publikum gehrig verlacht. Drei Marketenderwagenwaren dort auch vorgefahren. Auf dem einen stand eine offene Tine mit Franzbrden, die dieKosaken, auf ihren Pferden sitzend, mit den Piken sich herausholten, was wirklich amsant war. Am anderen Tage war weder ein Russe noch ein feindlicher Soldat in der Stadt zu sehen. DieRussen, die aus Riga ber Schlock den Ausfall gemacht hatten, waren mit ca. 400 Gefangenenwieder nach Riga zurckgekehrt; die Preuen und die anderen feindlichen Truppen hatten sichdurch die Elenspforte (jetzt Annenpforte) und durch die kleine Pforte zurckgezogen und wagten eserst am dritten Tage, wieder mit Musik in die Stadt einzuziehen. Am 12. Dezember 1812 zog derFeind fr immer ab.

    Gymnasialjahre (1813)Im Januar 1813 verlie ich die Dllensche Schule, bezog das Gymnasium und kam nach derSelekta. Hier aber hatte ich das Unglck, mir schon im folgenden Monat das Konsilium adeunlinfolge eines unbedachten Jugendstreiches zuzuziehen. Ich hatte mit einem meiner Kameradenverabredet, einem sehr anmaenden und bei uns durchaus unbeliebten Professor einen Schabernackzu spielen. Unser Vorhaben gelang zwar vollkommen, trug uns aber schlimme Frchte ein. Wirwurden relegiert und zwar auf 99 Jahre vom Gymnasioplatze". Im Januar 1813 war ichhingekommen und Ende Februar war ich weggejagt!

  • Universittsstudium in Berlin Anreise Mitau-Memel (1813)Wenn ich nicht sehr irre, so war es der 14. Mrz, als ich mit dem festen Vorsatze, dort ernstlich zustudieren, zur Universitt nach Berlin reiste. Meine Freunde, Hauptmannsgerichtsassessor W.Heyking, Peter Medem und ein Herr Badendick, ein wissenschaftlich sehr gebildeter, mit Witz undVerstand begabter Mann, begleiteten mich; zum Diener nahm ich den Jungen Ernst aus Grausdenmit, welcher schon einige Jahre Diener bei meinem Onkel S. Gewesen war; da die Leibeigenenkeine Familiennamen hatten, gab ich ihm den Namen Koch". Dieser wurde vorausgeschickt biszum Baecker- Kruge, um fr uns das Nachtquartier zu bestellen. Wir fuhren am ersten Tage also nurbis dahin 12 Werst von Mitau. Am anderen Tage wurde Ernst Koch nach Doblen (16 Werst vomB.-Kruge) vorausgesandt, da nchtigten wir wieder. Am dritten Tage ging es bis Frauenburg (53Werst). Wir beschlossen gleich, weil wir eine so starke Tour gemacht hatten, zwei Nchte da zuschlafen, was wir denn auch taten. Hier nahmen wir nun zrtlichen Abschied von einander, meinedrei Freunde reisten nach Mitau und ich mit meinem Ernst Koch nach Berlin.

    Die Ankunft in MemelZunchst gelangte ich aber nur bis Memel, denn da angekommen, hatte ich von den 100 Dukaten,die mein Vormund mir zur Reise nach Berlin gegeben hatte, keinen Kopeken mehr brig. Was nunanfangen? Da fiel mir pltzlich ein, bei Bienemann von einem Hofrat Parthey, der in Memel wohne,gehrt zu haben. Im Hotel, wo ich abgestiegen war, versicherte man mich, da kein Mann solchenNamens in Memel wohne; da aber ein Hofrat Parthey ganz in der Nhe der Stadt ein Gut besitze,auf dem er wohne, zuweilen nach Memel komme und in keinem Hotel, aber bei einem oder demanderen guten Freunde absteige. Was sollte ich nun in meiner Geldverlegenheit beginnen? Ich batden Wirt, mir einiges Geld zu leihen, er schlug es mir aber rund ab. Nun schickte ich meinen Ernstmit dem Befehle, nachzuforschen, ob Parthey da sei oder wo er zu finden wre, und nicht eherzurckzukommen, als bis er ihn gefunden. Erst gegen Abend kehrte er jubelnd zurck: er habe ihnzwar gefunden, er werde aber gleich aufs Land zurckfahren; sein Wagen stehe schon vor der Tr.Ich bat aber den Kutscher," sagte Ernst, seinen Herrn, wenn er herauskomme, zu ersuchen, einenAugenblick noch zu warten, es sei hier ein Herr aus Kurland angekommen, der ihn durchaus zusprechen wnsche; er gehe gleich den Herrn benachrichtigen." Goldjunge, der du bist," rief ichaus, fhre mich gleich dahin!"

    Als ich mich Parthey vorgestellt und ihm einen Gru von Bienemann gebracht, begrte er michsehr freundlich, machte aber gleich ein sehr ernstes und bedenkliches Gesicht, als ich ihn um Geldbat, wozu mich Bienemann autorisierte. Ich bin ganz erstaunt," sagte er, da Bienemann mich umGeld bitten lt, ohne mir darber geschrieben zu haben; ich kann Ihnen daher keins geben!" Ichbitte um Entschuldigung," sagte ich, ich habe mich falsch ausgedrckt; ich bin von Bienemannnicht beauftragt worden, Sie um Geld zu bitten, glaubte aber, da ich von ihm und in seinem Hauseso freundlich von Ihnen sprechen gehrt hatte, mich mit einer solchen Bitte an Sie wenden zudrfen, die Sie mir aus Freundschaft fr meinen Vormund nicht abschlagen wrden." Ebensohartnckig, wie er mir das Darlehen abschlug, blieb ich bei meiner Bitte und Darstellung meinerVerlegenheit, bis er mir endlich zehn Louis d'or lieh, nachdem ich zuvor bei ihm selbst einen Briefan Bienemann mit der Bitte geschrieben hatte, die zehn Louis d'or, die ich von Parthey geliehen, zubezahlen.

  • Die Reise mit der roten Tortur" von Memel nach Berlin

    Wer war nun glcklicher als ich und mein Ernst! Nachdem wir noch eine Nacht in Memelgeblieben, bezahlten wir unsere Wohnung im Hotel und fuhren mit einem Schackner ber dieKurische Nehrung nach Knigsberg. Von Knigsberg fuhren wir sieben Tage und sieben Nchtebis Berlin in der Diligence, die dort aber mit dem Namen rote Tortur" richtiger benannt wird. Essind groe Fuhrwagen, die auen und innen rot angestrichen sind. Im Inneren haben sie vier ReihenBnke ohne Lehnen. Die Bank ist ein am federlosen Wagen angebrachtes Brett, welches ebenfallsmit rotem Leder ohne Polster berzogen und durch das Hin- und Herrutschen der Reisenden wiegeglttet war, so da es, selbst wenn der Wagen stillstand, schwer war, sich darauf sitzend zuerhalten. Er wurde von vier Pferden, lang gespannt, gefahren; der Postillon kutschte vom Sattel,setzte sich aber nur dann auf denselben, wenn er vom Gehen mde war, denn meistenteils ging ernebenbei. Die ersten zweimal 24 Stunden waren wirklich kaum zu ertragen, bis die Wagen gegenganz ebensolche, aber mit Lehnen versehene, gewechselt wurden; wofr man jedoch den Platz miteinigen Groschen mehr bezahlen mute.

    Endlich waren wir in Berlin angekommen, wo ich mich durch sieben Tage und sieben NchteSchlaf entschdigte. Die Brder Kleist aus Zehrxten, die einige Tage vor mir angelangt, fand ichhier vor und auch die Brder Kleist aus Leegen und Th. Roenne. Nach drei Wochen reisten wir alleohne besondere Erlebnisse nach Heidelberg ab und placirten uns da alle im Hause von Frau V.Faber, welches am niversittsplatze gelegen war.

    10: Schifferfahnen an der Kurischen Nehrung In derSymbolik ist der genaue Wohnort des Schiffers codiert

  • HeidelbergDer Eingang war durch eine grosse Pforte, die am Ende der Fassade des Hauses sich befand. In derunteren Etage war ein grosser Saal und am Ende ein Zimmer, welche Rume ich fr michgenommen hatte. Im oberen Stock dieselbe Einrichtung, nur dass an jedem Ende des Saales zweiZimmer waren. Die beiden Zimmer des einen Endes hatten die Kleists-Leegen, die des anderen diebeiden Kleist von Zehrxten inne; den Saal aber bewohnte Frau v. Faber selbst.

    Ich war mit dem festen Vorsatze, in dem mich die Kleists noch bestrkten, die selbst fleissig waren,nach Heidelberg gekommen, dort wirklich sehr fleissig zu sein, belegte auch Collegia undbesuchte sie regelmssig, bis eines Tages mir Gideon Stempel und Urban begegneten, als ich ebenins Collegium gehen wollte und mir einen Gelehrten strzten. Natrlich setzte ich mich inAvantage und strzte ihnen einen Doctor, darauf natrlich sie wieder mir und ich ihnen, bis wirzum Papst kamen und den wir nur, weil ich kein Bier trank, mit Schnaps ausmachen mussten.

    (Wenn nmlich ein Student dem anderen zuruft, er sei ein Gelehrter, so muss er mit ihmeinen Schoppen Bier austrinken. Setzt der andere sich in Avantage und nennt ihnDoctor, so muss ein jeder zwei Schoppen trinken &c. bis zum Papst, was derhchste Tusch im Biercomment ist, da muss ein jeder, ich weiss nicht mehr wie vielSchoppen Bier austrinken.)

    Wir setzten uns also an einen kleinen Tisch bei mir im Zimmer. Jeder hatte eine ganze FlascheSchnaps vor sich. Wie viel ein jeder davon ausgetrunken hat, kann ich wenigstens nicht sagen, dennich bekam erst am anderen Tage etwas Besinnung wieder und hatte noch die nchstfolgenden Tageeinen so starken Katzenjammer, dass ich auch nicht mehr daran dachte, Collegia zu besuchen. Ichphilosophirte: Wozu auch? was ntzt einem grosse Gelehrsamkeit, wenn man durchs vieleStudiren und Arbeiten seine Gesundheit einbssen muss ? Wenn man letztere pflegen will, was dochdie erste Pflicht des Menschen ist, so kommt man wirklich gar nicht zum Studiren. ZurGesundheitspflege ist unentbehrlich Motion ! Reitstunden und Spazierenreiten, auf demFechtboden Pariren und Rapierjungen ausmachen, Spazierengehen und Fensterparade machen,Baden und Tanzen; wo soll da zum Studiren noch Zeit brig bleiben, wenn man noch wie ichausserdem Kraftvorstellungen geben musste! Eines Tages war ich mit mehreren Studenten imSchlossgarten, wo wir etwas gekneipt hatten. Zu Aufsehern im Schlossgarten sind ausgediente alteSoldaten, sog. graue Krieger angestellt und haben hin und wieder im Garten Schilderhuser fr sichzum Schutz gegen den Regen.

    Wir spazierten im Garten umher, als mich einer meiner Freunde fragte: Sage mir, was ist dasstrkste Kraftstck, das Du ausfhren kannst? Nun, sagte ich, indem ich mich dabei umsah undwir uns eben in der Nhe eines solchen Schilderhuschens befanden, wenn ich mich in solch einDing hineinstelle und ghne, so muss das Ding platzen! Ich stellte mich sofort mit dem Rckenhinein, ghnte, reckte meine Glieder, das Ding platzte wirklich und fiel rckwrts, mich mit sichziehend.

    Die Burschen, die zusahen, krmmten sich vor Lachen und lachten immer lauter, als ich nichtaufzustehen vermochte, obgleich ich alle meine Krfte zusammennahm und die Entdeckungmachte, dass ich in meinem Rausch nicht bemerkt hatte, wi