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18 GEO BIS ZUR BERGUNG DER JAGDBEUTE sind es noch 150 Metallsprossen, angebracht im 25-Zentimeter-Abstand an der Innenwand eines hölzernen Turms im Pfälzerwald. Das Bergungsteam – Yasmin Schefsky, Madeleine Köhler, Kevin Bähner und Michael Lakatos – hat die Klettergurte angelegt und die Siche- rungen eingehängt, die bei einem Fehltritt in der 36 Meter hohen Turmwand den Absturz verhindern. Aus der Ferne ist leises Grollen zu hören. Michael Lakatos, Biologe an der TU Kaisers- lautern, sieht besorgt nach oben – der Wetter- bericht hat Gewitter angekündigt. Nun ist fast Abend, es dunkelt bereits; die Bergung duldet keinen Aufschub. Normalerweise dient der Biosphärenturm den Biologen zur Erforschung von mikro- biellem Leben in den Kronen alter Buchen und Eichen. Anders als etwa in den Tropen ist die Baumkronenforschung in Europa noch wenig verbreitet. „Aber 40 Prozent aller Arten auf der Erde leben in Baumwipfeln“, sagt Lakatos, „allein in einer Eichenkrone kommen rund 80 verschiedene Käfer- und Fliegenarten vor. Und viele Zusammenhänge in diesem Lebens- raum, den sich Bakterien, Moose, Algen, Pilze und Flechten mit den Tieren teilen, sind uns noch völlig unbekannt.“ Allerdings dreht sich das Geschehen um den Biosphärenturm beim GEO-Tag ausnahms- weise nicht um Kleinstlebewesen – sondern um Arthropoden, vulgo Gliederfüßer, zu denen auch die Insekten gehören. Schülerinnen und Schüler der zwölften Klassen an der Integrier- ten Gesamtschule Thaleischweiler-Fröschen untersuchen in einem Biologieprojekt die Ar- thropodenvielfalt in verschiedenen Umgebun- gen und zu verschiedenen Zeiten: auf einer Lichtung, im Unterholz und eben auf Höhe der Baumkronen – und zwar tagsüber wie nachts. Wissenschaftliche Arbeit auf Baumwipfelhöhe ermöglicht der Biosphären- turm der TU Kaiserslautern im Pfälzerwald FALTER, FLIEGEN, FLEDERMäUSE Reges Nachtleben Der Wald schläft nie. In der Pfalz und in Baden-Württemberg avancieren nachtaktive Flieger zum Forschungsgegenstand beim GEO-Tag der Artenvielfalt

im Pfälzerwald reges nachtleben - Biologie in Kaiserslautern · Lakatos drängt auf Abstieg, bevor die Blitze kommen. DIE scHülEr AM bIosPHärENtUrM sind nicht die Einzigen, die

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bIs ZUr bErGUNG DEr JAGDbEUtE sind es noch 150 Metallsprossen, angebracht im 25-Zentimeter-Abstand an der Innenwand eines hölzernen Turms im Pfälzerwald. Das Bergungsteam – Yasmin Schefsky, Madeleine Köhler, Kevin Bähner und Michael Lakatos – hat die Klettergurte angelegt und die Siche-rungen eingehängt, die bei einem Fehltritt in der 36 Meter hohen Turmwand den Absturz verhindern.

Aus der Ferne ist leises Grollen zu hören. Michael Lakatos, Biologe an der TU Kaisers-lautern, sieht besorgt nach oben – der Wetter-bericht hat Gewitter angekündigt. Nun ist fast Abend, es dunkelt bereits; die Bergung duldet keinen Aufschub.

Normalerweise dient der Biosphärenturm den Biologen zur Erforschung von mikro-biellem Leben in den Kronen alter Buchen und Eichen. Anders als etwa in den Tropen ist die Baumkronenforschung in Europa noch wenig verbreitet. „Aber 40 Prozent aller Arten auf der Erde leben in Baumwipfeln“, sagt Lakatos, „allein in einer Eichenkrone kommen rund 80 verschiedene Käfer- und Fliegenarten vor. Und viele Zusammenhänge in diesem Lebens-raum, den sich Bakterien, Moose, Algen, Pilze und Flechten mit den Tieren teilen, sind uns noch völlig unbekannt.“

Allerdings dreht sich das Geschehen um den Biosphärenturm beim GEO-Tag ausnahms-weise nicht um Kleinstlebewesen – sondern um Arthropoden, vulgo Gliederfüßer, zu denen auch die Insekten gehören. Schülerinnen und Schüler der zwölften Klassen an der Integrier-ten Gesamtschule Thaleischweiler-Fröschen untersuchen in einem Biologieprojekt die Ar-thropodenvielfalt in verschiedenen Umgebun-gen und zu verschiedenen Zeiten: auf einer Lichtung, im Unterholz und eben auf Höhe der Baumkronen – und zwar tagsüber wie nachts.

Wissenschaftliche Arbeit auf Baumwipfelhöhe ermöglicht der Biosphären-turm der TU Kaiserslautern im Pfälzerwald

FAlTER, FlIEGEN, FlEDERMäUsE

reges nachtlebenDer Wald schläft nie. In der Pfalz und in baden-Württemberg avancieren nachtaktive Flieger zum Forschungsgegenstand beim GEo-tag der Artenvielfalt

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Denn der Wechsel von Tag und Nacht, von hell und dunkel beeinflusst das Verhalten fast aller Lebewesen, insbesondere aber der Insek-ten. Allein der elektrischen Straßenbeleuch-tung fallen in Deutschland pro Nacht mehrere Milliarden der kleinen Flieger zum Opfer. Es bedarf also eines sehr dunklen Ökosystems wie des Pfälzerwaldes, um überhaupt Vergleiche ziehen zu können: Welche Insekten sind nur am Tag, welche nur nachts unterwegs? Und welche kümmern sich nicht darum, ob es gera-de hell oder dunkel ist?

Die jungen Forscher betreten dabei durch-aus Neuland. „Es gab in dieser Region noch kei-ne Arthropodenerhebung“, sagt die Biologie-lehrerin Stephanie Dojani, die das Schulprojekt leitet. „Wir betreiben also ergebnisoffene, wis-senschaftliche Arbeit.“

Unter Anleitung von Michael Lakatos und ihrer Lehrerin haben die Schüler Insektenfal-len aufgestellt: Schalen in Weiß oder Gelb, die Blüten simulieren und Florfliegen oder Bienen anlocken. Und hängende Prellfallen, die ausse-hen wie übergroße Gartenlampen. Sie bestehen im Kern aus zwei großen, senkrechten Plexi-glasplatten, für die Tiere unsichtbar wie Fens-terscheiben. Prallen sie dagegen, fallen sie be-täubt in einen Trichter – und von dort in eine Flasche mit Ethanol. In einem kurzen, heftigen Alkoholrausch beenden sie ihr Leben.

Insektenpech. Denn Arthropoden lassen sich nun einmal nicht im Detail untersuchen, solange sie umherfliegen.

Der Aufstieg auf den Turm ist beschwer- lich – 36 Meter sind hoch wie ein zehngeschos-siges Haus. Bis zum Horizont dehnt sich dann aber das satte Grün des Pfälzerwaldes, aus den Lichtungen steigt der Abendnebel. Darüber dramatische Gewitterwolken und zuckende Blitze. Leider auch eine nahende Regenwand.

Schnell sind die Fallen des Tages geleert (in denen Fliegen, Wanzen und Käfer im Dienst der Wissenschaft ihr Leben ließen) und gegen jene für die Nacht getauscht. Als die Ethanol-Fla-schen beschriftet sind, ist schon der Regen da, oben, über den Wipfeln, hat er die Kraft eines Sturzbaches. Lakatos drängt auf Abstieg, bevor die Blitze kommen.

DIE scHülEr AM bIosPHärENtUrM sind nicht die Einzigen, die am GEO-Tag noch abends

unterwegs sind. Denn an der Grenze zwischen Licht und Dunkelheit verändert sich die aktive Fauna über den Wiesen und in den Wäldern, sind andere Arten zu finden als im hellen Ta-geslicht. Während viele Tiere sich während der Nacht in Höhlen und Nester zurückziehen, rüsten sich andere gerade jetzt für die Jagd.

Fledermäuse zum Beispiel: Unter dem Mot-to „Lautlos in der Nacht“ machen sich deshalb im Hardtwald beim Hockenheimring 30 Hobby-forscher auf die Suche nach den Flugsäugern, geführt von Andreas Arnold aus Mannheim. Zu der Aktion geladen hatte die Projektgruppe „Tag der Artenvielfalt“ der Hockenheimer Agenda 21. Drei Wasserfledermäuse gehen ins Netz (und werden nach Begutachtung wieder freigelassen), und ein Abendsegler kann zu-mindest akustisch bestimmt werden.

Ralf Hartmann und Madeleine Köhler, Ober- stufenschüler aus der Pfalz, leeren eine Ethanolflasche, in der Insekten ihr Leben ließen. Gefangen wurden die Tiere mit speziellen Fallen (l.), unter anderem in 36 Meter Höhe am Biosphärenturm

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sich die jungen Forscher über Mikroskope und Petrischalen und vertiefen sich in wissen-schaftliche Bestimmungsbücher.

„26 verschiedene Taxa konnten mithilfe von Mikroskopen und Literatur näher bestimmt werden“, fasst Stephanie Dojani die Ergebnisse zusammen. „Es zeigte sich, dass die Insekten-Biodiversität auf der Wiese am größten ist. Auf Rang zwei folgte überraschenderweise der Kronenraum, noch vor dem Unterwuchs.“ Und, fügt Michael Lakatos an, die Vielfalt der Arten sei während des Tages deutlich höher als nachts. „Hummeln zum Beispiel flogen nachts überhaupt nicht.“

Aus den Funden in den Prellfallen wie-derum zogen die Projektbeteiligten das Fazit, „dass Käfer und Schnabelkerfen tags im Ver-gleich mit anderen Insektenordnungen häu-figer fliegen als nachts, während Zweiflügler“ – unter anderem Fliegen und Stechmücken – „häufiger nachts unterwegs sind“. Die Unter-schiede zwischen Tag- und Nachtproben seien teilweise „sehr deutlich“, heißt es in der Zusam-menfassung.

Und noch etwas überraschte: „Nachtfalter sind uns nachts überhaupt nicht in die Falle ge-gangen“, berichtet Lakatos. Das widerspreche allerdings nur scheinbar der allgemeinen Er-fahrung: „Nachfalter fliegen zum Licht. Hätten wir die Prellfallen beleuchtet, hätten wir ver-mutlich viele gefangen.“ In völliger Dunkelheit aber „ist offenbar keine genügend große Zahl an Nachtfaltern unterwegs, als dass uns einige da-von zufällig in die Falle hätten gehen können“.

Dafür fand sich am nächsten Morgen in der Farbfalle auf dem Biosphärenturm eine Amei-senkönigin. Sie hatte sich bereits ihre Flügel abgebissen und wollte es sich wohl in der Scha-le zur Eiablage gemütlich machen. Das Ethanol vereitelte dann die Staatengründung.

Den beteiligten Schülern, sagt Stephanie Dojani, habe dieses Projekt zum GEO-Tag aber nicht nur das wissenschaftliche Arbeiten näher gebracht. „Schon bei der Vorbereitung gab es sehr intensive Diskussionen über Sinn und Nutzen der Biodiversität.“ Gerade bei Insekten sei das ja nicht immer sofort einsichtig. „Doch hinterher war dann jedem klar, dass sogar Blattläuse in der Natur ihre Funktion haben – und deshalb schützenswert sind.“

Jürgen Bischoff

Auch im Bitzwald bei Rottweil in Baden-Württemberg machen 26 Nachtaktive Jagd auf die fliegenden Insektenfresser – ausgerüstet mit einer Horchbox und einem Batcorder, Spezial-geräten zum Erkennen und Aufzeichnen der für Menschen meist unhörbaren Fledermausrufe. „Wir hatten optimales Flugwetter erwischt“, sagt Organisator Jochen Baumann vom Verein zur Erhaltung der Natur- und Kulturlandschaft (NAKU e. V.). Sieben der rund 30 in Mitteleuro-pa verbreiteten Fledermausarten werden mit-hilfe der Geräte identifiziert, darunter auch die Wimpernfledermaus, die, sagt Baumann, nicht nur im Bitzwald „extrem selten“ ist.

bEIM ArtHroPoDENProJEKt am Biosphä-renturm im Pfälzerwald beginnt am nächsten Morgen die Feinarbeit: der Vergleich zwischen Tag- und Nachtausbeute der Fallen, die statis-tische Auswertung, die Berechnung des Diver-sitätskoeffizienten. Dieser berücksichtigt die Anzahl der Arten und der pro Art gefundenen Tiere im Verhältnis zur Gesamtzahl der Indivi-duen: Je höher der Index, umso stabiler das Ökosystem.

Rund 20 Schülerinnen haben Arbeitsgrup-pen gebildet, die sich mit jeweils einer In-sektenordnung beschäftigen: mit Zwei-, Netz-, Hautflüglern, Käfern oder Schnabelkerfen – ei-ner Ordnung innerhalb der Arthropoden, zu der unter anderem Wanzen und Pflanzenläuse ge-hören. Während der nächsten Stunden beugen

Zentraler Bestandteil der Arthropodenerhebung war die genaue taxonomische

Bestimmung der im Verlauf des Schulprojekts

gefangenen Insekten

»Am Ende der Aktion war allen

Teilnehmern klar, dass sogar

die Blattläuse im Ökosystem eine wichtige

Funktion haben und geschützt

werden müssen«

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