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Im Zeichen des Bösen

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Atlan - Minizyklus 05 ­Dunkelstern

Nr. 03

Im Zeichen des Bösen

von Horst Hoffmann

Wir schreiben das Jahr 1335 NGZ. Atlan ist gemeinsam mit der geheimnisvollen Varganin Kythara auf die Fährte der »Lordrichter von Garb« gestoßen, die mit riesi­gen Armeen und geraubter varganischer Technologie verdeckt in der Southside der Milchstraße agieren; ihr Hauptaugenmerk gilt allerdings der Galaxis Gruelfin, der Hei­mat der Cappins.

Atlan und Kythara haben – gemeinsam mit dem Daorghor Gorgh-12 und dem Saq­surmaa Emion – einen »Kardenmogher« als Raumfahrzeug und mächtige Waffe in ihre Hände gebracht. Damit schafften sie es, die Psi-Quelle Murloth auszuschalten. Anschließend rettet Kythara ihren schlafenden Geliebten Kalarthras von Vassantor. Bei einem Überfall der Lordrichter-Truppen wird die AMENSOON beinahe vernichtet. Völlig unverhofft taucht ein Cappin-Raumer auf und wendet das Blatt. Die beiden Schiffe stoßen sodann per Pedotransmitterverbindung in die Galaxis Dwingeloo vor, doch für die ERYSGAN kommt jede Hilfe zu spät. Kurz darauf erwacht Kytharas Ge­liebter und erzählt seine ganz eigene Geschichte …

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Die Hautpersonen des Romans:Atlan - Dem Arkoniden wird in Dwingeloo ein heißer Empfang bereitet.Kythara - Die Varganin sorgt sich um ihren Freund aus alten Tagen.Kalarthras - Der Vargane berichtet aus der Vergangenheit.Garbgursha - Der Erzherzog wird vom Lordrichter ermahnt.

1. Kalarthras

Er trieb in einem Meer aus Schwärze. Dunkle Schwaden wallten um ihn herum, finsterer als die Nacht, die ihn umgab. Sie ballten sich zusammen, wirbelten auf ihn zu, drangen durch sämtliche Körperöffnungen, durch die Haut, füllten jede einzelne Zelle aus.

Er wollte schreien, doch er konnte es nicht. Er wollte in rasender Verzweiflung mit seinen Fäusten wild um sich schlagen, die Schwärze zerteilen, aber er konnte es nicht. Er wollte den Mund weit aufreißen, um Luft in seine brennenden Lungen zu sau­gen – aber er konnte es nicht.

Er spürte, dass er einen Körper hatte, doch er vermochte kein Glied zu rühren. Er war gefangen in der tobenden, mahlenden Dunkelheit, die ihn zu ersticken drohte. Aber er musste es schaffen. Er musste sich aus diesem Gefängnis befreien und sie war­nen. Sie hatte ja keine Ahnung, in welcher Gefahr sie sich befand!

Sie … ihr Name … Eben noch hatte er ihn gewusst. Er hatte

sie gespürt, zuerst nur vage, dann deutlicher. Sie war in der Nähe, und er kannte sie … seit vielen tausend Jahren, wie aus einem früheren Leben. Er hatte ihr Gesicht deutlich vor sich gesehen und ihren Namen gewusst, aber nun …

Es war verblasst, eine flüchtige Erinne­rung an etwas, das einmal wichtig für ihn gewesen war. Er hatte es vergessen wie so vieles; wie die Gefahr, die auf sie lauerte. Er wusste nur noch, dass sie da war und so real wie damals.

Was war damals geschehen? Er kämpfte um die Erinnerung. Etwas war da. Etwas

würde erwachen und sie verschlingen! Sie! Wenn ihm doch wenigstens ihr Name wie­der einfallen würde, so dass er sich an ihn klammern konnte. Der Name und das Ge­sicht. Er brauchte etwas, an dem er sich fest­halten konnte in diesem Wirbel aus Schwär­ze, die ihn fortzuspülen drohte, hinein in den Ozean des absoluten Vergessens, der Auslö­schung auch des letzten Gedankens. Sie wa­ren da, sie und andere. Ihre Freunde? Er musste sie warnen. Er musste es schaffen, sich bemerkbar zu machen, ihr zeigen, dass er lebte. Er musste aus seinem Gefängnis ausbrechen, sonst war es zu spät.

Er würde elend zugrunde gehen – der Funke, der noch von ihm übrig war und ge­gen die Schwärze kämpfte. Er musste es schaffen, durfte nicht aufgeben, musste wach bleiben. Denn wenn er nur einen Au­genblick zu kämpfen aufhörte, war alles vor­bei. Er würde qualvoll in der Schwärze er­sticken – und sie hätte keine Chance.

Schlimmer als damals, als er sie verloren hatte …

Es war wie ein Blitz in der Düsternis – nein, eher ein schwaches Wetterleuchten. Der Schatten einer Erinnerung, der schneller wieder verblasste, als er sich aus den Wir­beln der Finsternis geschält hatte.

Sie hatte ihn aus dem Reich des Nicht­seins geholt, nach all den vielen Jahren. Mehr konnte sie nicht tun. Was nun gesch­ah, lag ganz allein an ihm.

Gib mir deinen Namen! Zeige dich mir noch einmal!

Er zwang sich zum Warten, konzentrierte alles, was an Kraft noch in ihm war, darauf, gegen die Schwärze zu kämpfen. Wenn es ihm nicht gelang, würden sie untergehen, er und alle, die gekommen waren und nun in …

Er wusste es nicht mehr. Ganz kurz schob

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sich ein Begriff in sein gemartertes Bewusst­sein, ein Name: Gantatryn! Er verblasste gleich wieder, aber es hatte genügt, um ihn wieder in Angst und Entsetzen zu stürzen.

Er sah eine Galaxis und spürte das na­menlose Grauen, das in ihr zu Hause war. Dann war auch das vorbei, und die Dunkel­heit griff mit aller Gewalt an. Sie zerrte an ihm und kroch tiefer und tiefer in ihn hinein, wollte zum Mittelpunkt seines Seins. Und wenn sie das geschafft hatte, war es tatsäch­lich und endgültig aus.

Er wollte um Hilfe schreien. Er besaß einen Mund dazu. Aber dieser Mund rea­gierte nicht. Er gehörte ihm nicht mehr …

Nichts gehörte ihm mehr …

2. Atlan

2. Juni 1225 NGZ

Feuer, Blitze, die schnell verblassenden Glutbälle von explodierten Schiffen; die halsbrecherische Flucht vor den das Weltall in Brand setzenden Energiesalven der Ver­folger – bis endlich die Eintrittsgeschwin­digkeit erreicht war und die AMENSOON in den Hyperraum eintauchen konnte.

Immer wieder sah ich die Bilder vor mir, während das Schiff mit vielfacher Überlicht­geschwindigkeit durch das übergeordnete Kontinuum jagte. Wir hatten kein bestimm­tes Ziel. Zwar hatten wir mit der MORYR vorsichtshalber die Koordinaten einiger mar­kanter Leuchtfeuersonnen ausgetauscht in der Absicht, uns dort später zu treffen, aber das war noch Zukunftsmusik. Im Augen­blick ging es einfach nur darum, in dieser fremden Galaxis, sechzehn Millionen Licht­jahre von der Milchstraße entfernt, die er­sten paar Stunden zu überleben und, wenn irgendwie möglich, die Verfolger abzuschüt­teln.

Danach erst durften wir daran denken, uns in Dwingeloo, wie die Sterneninsel von den Terranern genannt wurde, genauer umzu­schauen.

Was wir bisher von ihr gesehen hatten,

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ließ uns nicht gerade das Beste hoffen. Es war ein im wahrsten Sinn feuriger Empfang gewesen, nachdem wir durch die Pedotrans­mitterverbindung in Nullzeit über diese rie­sige Entfernung hinweg hierher geschleudert worden waren.

Der ganjasische Pedopeiler ERYSGAN war nicht mehr zu retten. Kommandant To-ragasch hatte die Selbstvernichtung vorge­nommen, als er erkennen musste, dass der Peiler nicht mehr zu halten war. Bei der Ex­plosion waren zwar sämtliche Feinde mit in den Untergang gerissen worden, aber ich gab mich keinen falschen Hoffnungen hin. Wenn die Garbyor hier in Dwingeloo ebenso aktiv waren wie in der Milchstraße, hatten die Lordrichter längst Verstärkung in Mar­sch gesetzt, und bald würde es in diesem Raumsektor nur so von Schiffen wimmeln.

Ich war auf das Schlimmste gefasst, und ein Blick auf Kythara zeigte mir, dass ich damit nicht allein stand. Sie war zwar äußer­lich ruhig, aber mir machte sie nichts vor. Die Varganin war voll konzentriert, ihre Blicke huschten von einem Holo zum ande­ren. Ihre Hände fuhren über die Kontrollen. Ich sah, dass Kythara mit den Gedanken schon ein Stück weiter war als ihr Schiff – bei dem Moment, in dem wir zum Orientie­rungsstopp in den Normalraum zurückfallen mussten. Wir konnten nicht ewig im Hyper­raum bleiben.

Als sie bemerkte, dass ich sie ansah, dreh­te sie kurz den Kopf. Eine Strähne ihres lan­gen goldenen Haars hing ihr ins Gesicht. Sie blies sie weg und versuchte ein Lächeln, was ziemlich kläglich ausfiel.

Gorgh dagegen wirkte kühl und be­herrscht wie immer. Der ehemalige Chef­wissenschaftler von Maran'Thor aus dem In­sektenvolk der Daorghor brauchte nicht viel zu tun, um Kythara beim Manövrieren der AMENSOON zu unterstützen. Ich fragte mich, was in seinen Gedanken vorging. In seinem Gesicht mit den beiden starren Fa­cettenaugen war kaum etwas zu lesen. Die anderthalb Meter große »Riesenameise« schien ebenfalls in Konzentration versunken

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zu sein. Sie würde es uns sagen, wenn sie zu einem Ergebnis gekommen war – zu wel­chem auch immer.

»Zwanzig Lichtjahre«, sagte Kythara. »Das musste reichen. Wir sehen uns um.«

Ich widersprach nicht, obwohl ich meine Zweifel hatte. Zwanzig Lichtjahre waren ei­ne ansehnliche Distanz, aber ich bezweifel­te, dass es wirklich genug war; die Explosi­on des Pedopeilers, das Aufreißen des Hyperraums und die Strukturerschütterun­gen mussten in ganz Dwingeloo und viel­leicht darüber hinaus registriert worden sein.

Ich schwieg und dachte mir mein Teil. Denn ich glaubte, dass der Grund für Kytha­ras Anspannung nicht nur in den Garbyor begründet lag. Da war noch etwas anderes, was ihr keine Ruhe ließ. Sie wollte so schnell wie möglich in die Medo-Station und nach Kalarthras sehen, der nach wie vor ohne Bewusstsein war.

»Rücksturz in den Normalraum in zwan­zig Sekunden«, verkündete sie. »Wir versu­chen, so viele Daten wie möglich zu sam­meln.«

»Solange die Garbyor uns lassen«, sagte ich.

Sie sah mich verwundert an. »Das Schiff ist auf sofortigen Wiedereintritt in den Hyperraum programmiert, sobald Feind­ortungen erfolgen.«

»Natürlich«, sagte ich. »Ich wollte dich nicht kritisieren.«

»Du wolltest nicht …?« Sie schüttelte den Kopf, dass ihr Haar flog, und lachte rau. »Was ist mit dir los? Wozu auf einmal diese Feinfühligkeiten? Ich bin nicht aus Porzel­lan, das weißt du genau.«

Bevor ich etwas erwidern konnte, erschie­nen die Sterne wieder in den Holos.

Vor der Überlichtetappe hatten wir nicht viel Zeit gehabt, uns »umzusehen«. Wenn wir nun große Überraschungen erwartet hat­ten, wurden wir enttäuscht. Es war auf den ersten Blick das gleiche Bild wie immer nach einer Transition über sehr weite Strecken. Unzählige Sonnen, deren hellste unbekannte, neue Konstellationen bildeten,

Dunkelwolken und Nebel. Es ließ sich noch nicht viel über die Größe und Ausprägung dieser Galaxis sagen – außer dem, was wir schon gewusst hatten: Dwingeloo war eine Balkenspirale vom Typ SBc und mit einem Durchmesser von rund 35.000 Lichtjahren wesentlich kleiner als die Milchstraße. Sie besaß etwa zehn Milliarden Sterne und war 16,28 Millionen Lichtjahre von der Milch­straße entfernt. Von der Erde aus betrachtet, befand sie sich wie Andromeda im Sternbild Kassiopeia.

Beim genaueren Hinsehen fielen mir die ungewöhnlich vielen farbenprächtigen Ne­bel auf, aber das war auch schon alles, denn bevor wir noch ein weiteres Wort wechsel­ten, gellte der Alarm auf.

»Sie verlieren keine Zeit«, stellte Kythara fest. »Aber beim nächsten Mal hängen wir sie ab!«

Die AMENSOON beschleunigte schon wieder, und nach weniger als dreißig Sekun­den war sie erneut aus dem Normalraum verschwunden.

»Die Garbyor haben uns geortet«, sagte Gorgh. »Aber sie werden uns nicht durch den Hyperraum verfolgen. Ihre Raumer kön­nen ein Feindschiff nur in einem Bereich von drei bis fünf Lichtjahren im Hyperraum anpeilen. Wir sind schneller als sie. Sie wer­den uns bald verloren haben.«

»Je schneller, desto besser«, sagte Kytha­ra. »Ich habe diesmal hundert Lichtjahre programmiert«, sagte sie. »Das sollte rei­chen.«

Sie sprach schnell, als ob ihr die Worte lä­stig wären. Kythara war nur halb bei der Sa­che und gereizt. Wir kannten beide den Grund, und es hatte keinen Sinn, sie darauf anzusprechen. Sie würde von sich aus zu re­den beginnen. Was immer sie quälte, sie musste da durch.

Als sie sich von den Kontrollen abwandte und mich wieder ansah, nickte ich nur.

»Komm«, sagte sie. »Lass uns gehen und nach ihm sehen. Gorgh?«

»Ich bleibe hier in der Zentrale«, versi­cherte der Insektoide. »Bis zum Rücksturz

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dauert es noch mindestens dreißig Minuten. Inzwischen sehe ich mir die Daten an, die die AMENSOON während des Stopps ge­sammelt hat.«

Kythara wandte sich zum Gehen. Ich folgte ihr. Vor dem Ausgang blieb sie noch einmal stehen und fuhr sich mit den ge­spreizten Fingern der rechten Hand durch das volle, lange Haar. »Ja, ich weiß, dass du's weißt. Mir geht Kalarthras nicht aus dem Kopf. Ich muss immer an ihn denken, verstehst du das?«

»Natürlich«, sagte ich. Er war ihr Gelieb­ter gewesen, bis sich vor fünfzigtausend Jah­ren ihre Wege getrennt hatten. Auf Vassan­tor hatte sie ihn wiedergefunden und aus dem Tiefschlaf geholt. Aber er war bis heute nicht zu sich gekommen.

»Wirklich? Du brauchst nicht den gedul­digen Partner zu spielen und solltest mich nicht für eine sentimentale Närrin halten. Was zwischen uns war, ist lange vorbei. Das ist es also nicht.«

»Was ist es dann?«, fragte ich. »Er ist ohne Bewusstsein, Atlan. Aber ich

spüre, dass er …« Sie suchte nach den rich­tigen Worten. »Er schläft nicht. Tief in sei­nem Innern ist er wach, und er kämpft! Ich weiß es, und ich weiß auch, dass es wichtig für uns ist, ihn aus diesem Zustand zu be­freien.«

*

Kalarthras lag in einem Lebenserhaltungs­tank in der Medo-Station des Schiffs und wurde von der Medo-Automatik des Tanks betreut. Natürlich wurden alle gemessenen Werte direkt in die Zentrale übertragen. Ky­thara war also über seinen Zustand jederzeit im Bilde – aber das war nicht dasselbe wie ihre Präsenz hier vor Ort. Wenn sie sagte, dass sie etwas »spürte«, dann hatte dies nichts mit der berühmten weiblichen Intuiti­on zu tun, sondern mit der besonderen Bega­bung der Varganen, die sich gedanklich ein­ander mitteilen und gedankliche Vor-Formulierungen eines andern erfassen konn-

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ten. Das reichte nah an Telepathie heran, war aber nicht das Gleiche: Sie waren nicht wie einige Mitglieder des legendären Mu­tantenkorps fähig, »Gedanken zu lesen«. Manchmal war ich ganz froh darüber.

Kalarthras hatte sich äußerlich nicht ver­ändert. Seine Augen waren wieder geschlos­sen, nachdem er sie nach der Wiederer­weckung geöffnet und uns einen ersten Schrecken eingejagt hatte – denn sie waren wie tiefe schwarze Seen gewesen, ohne Pu­pillen und Regenbogenhaut, nur schwarz. Die in der Mitte gescheitelten Haare wiesen eine für Varganen ganz und gar untypische weiße Farbe auf, und die Haut wirkte merk­würdig graustichig, nachdem sie nach dem Erweckungsvorgang ebenfalls weiß gewesen war. Das war aber nicht alles.

Sein Körper selbst hatte sich verändert. Die Temperatur lag um 2,1 Grad über der normalen Körpertemperatur der Varganen von vierzig Grad Celsius, und sein Gewicht war um fast zehn Prozent höher, als es ange­sichts der Proportionen anzunehmen wäre. Rätsel gab uns auch sein Blut auf. Die Me­do-Automatik analysierte noch, teilte aber auf Kytharas erste Frage mit, dass er nicht in Lebensgefahr schwebe. Wann er aus seiner scheintodähnlichen Starre erwachen würde, vermochte sie allerdings nicht sagen.

Ich las die auf mehreren Schirmen ausge­wiesenen Werte ab und konnte nur bestäti­gen, dass sie sich seit unserem letzten Be­such nicht verändert hatten. Ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war, wusste ich nicht. Mir genügte der Blick auf sein einge­fallenes Gesicht und den grauen Körper, um mir ernste Sorgen zu machen. Viel Hoff­nung, dass er in den nächsten Stunden erwa­chen würde, hatte ich nicht. Aber ich hütete mich, das Kythara gegenüber laut auszuspre­chen.

Sie betonte zwar immer wieder, dass das, was zwischen ihnen gewesen war, lange vorbei sei, aber das musste nicht viel heißen.

Schon wieder die Eifersucht?, fragte mein Extrasinn vorlaut. Du müsstest doch an Dreierbeziehungen gewöhnt sein, denke zu­

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rück an Ischtar und Ra. Ich überhörte die geistreiche Anspielung.

Natürlich war ich nicht eifersüchtig. Auf wen, auf einen Halbtoten? Wenn mich etwas störte, dann war es die Tatsache, dass ich im Grunde immer noch nichts über diesen Mann wusste, außer dass er ein bedeutender Wissenschaftler seines Volks gewesen war; ein »außergewöhnlicher Mann«, wie Kytha­ra gesagt hatte. Für mich war das kein Wun­der – ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass die varganische Schönheit sich je mit einem gewöhnlichen Mann zusammengetan hätte.

Hör auf, dir selbst Komplimente zu ma­chen, lautete prompt der schnippische Kom­mentar des Logiksektors, was erstens nicht stimmte, ihn zweitens nichts anging und mich drittens wieder einmal zu der Frage brachte, ob mir nicht irgendwer sagen konn­te, wie man ihn ganz einfach desaktivierte.

»Er kämpft«, sagte Kythara leise. Ihre Hände lagen auf der transparenten Haube des Tanks. Ihr Blick wechselte von dem Varganen zu den Anzeigen der Lebensfunk­tionen und zurück. »Ich spüre es ganz deut­lich. Er muss schreckliche Qualen leiden.«

Ich legte ihr eine Hand auf die Schulter und drückte sie leicht. »Ich nehme an, du hast schon versucht, ihn zu erreichen?«

»Natürlich habe ich das. Und ich glaube, dass er es auch gemerkt hat. Aber er …« Sie wischte sich über die Augen. »Er kämpft, Atlan. Ich kann nicht mehr sagen, außer …«

»Ja?« »Außer dass er verzweifelt ist und

schreckliche Angst hat«, flüsterte sie. »Das spürst du? Deutlich?« »Deutlich genug.« Ich nickte. »Willst du bei ihm bleiben?

Ich kann allein in die Zentrale zurück und dich rufen, wenn sich etwas tut.«

»Was tut?« Sie lachte bitter und schüttelte den Kopf. »Was soll sich denn tun? Wir werden gejagt werden und wieder fliehen; und wieder gejagt werden – wie überall, At­lan! Wir sind auf der Flucht, seitdem du mich aus der Obsidian-Kluft befreit hast,

und es wird immer schlimmer.« Sie wirkte niedergeschlagen. Sie, die tap­

fere Frau, die trotz ihrer – biologischen – Ju­gend schon so viel erlebt und durchgestan­den hatte.

»Kalarthras kämpft«, sagte ich und ver­suchte meiner Stimme einen sanften Klang zu geben. »Was, glaubst du, würde er von dir erwarten?«

Sie atmete tief ein. Dann nickte sie. Ein Ruck ging durch ihren schlanken Körper.

»Schon verstanden«, sagte sie. »Wir ge­hen beide.«

*

Die Überlichtetappe würde noch zwölf Minuten dauern, als wir in die Zentrale zu­rückkehrten. Das war Zeit genug für eine Lagebesprechung. Und wie ich gehofft hat­te, wartete Gorgh mit ersten Ergebnissen der Positronikauswertung über Dwingeloo auf.

»Wir waren nicht lange im Normalraum«, sagte der Hyperphysiker, »aber für die AMENSOON hat es gereicht, um erste über­raschende Informationen über Dwingeloo zu gewinnen.«

»Spuck sie aus«, forderte ich ihn auf. Er drehte die Fühler in meine Richtung,

als richtete er Sensoren auf mich. »Diese Galaxis, die die Varganen Gantatryn und die Cappins Gantrain nennen, weist zwei mar­kante Besonderheiten auf. Die erste sind die auch optisch zu erkennenden vielen farben­prächtigen Nebel planetarer Art. In ihren Zentren, so die Analyse, befinden sich je­weils rotierende Neutronenstern-Pulsare, und zwar alle mit der übereinstimmenden Pulsperiode von 1,3753 Sekunden. Die Strahlung liegt vorwiegend im Radiofre­quenzbereich. Die Supernovae ihrer Entste­hung scheinen allesamt nur wenige hundert­tausend Jahre zurückzuliegen.«

Ich stieß einen leisen Pfiff aus. »Wenige hunderttausend Jahre – allesamt. Du meinst, ihre Zündung erfolgte gleichzeitig?«

»Für solche Schlüsse dürfte es noch zu früh sein«, sagte der Insektoide. »Natürlich

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liegt die Annahme nahe.« »Und die zweite Besonderheit?«, fragte

Kythara. »Das ist noch auffälliger! Die betroffenen

Sonnen beziehungsweise Pulsare sind ganz offenbar so angeordnet, dass sie als Kugel­schalen Raumsektoren umschließen, die bis zu einigen hundert Lichtjahren Durchmesser erreichen.«

Ich setzte mich neben ihn und ließ mir die Positronik-Auswertung auf einen Schirm ge­ben. Gorgh hatte nicht übertrieben. Aller­dings lagen noch keine Interpretationen die­ser überraschenden Ergebnisse vor. Außer­dem hatte ich das Gefühl, dass das noch nicht alles war, und fragte mich, was wir nach dem nächsten Normalraumaufenthalt wissen würden, der hoffentlich etwas länger dauern würde.

»Übereinstimmende Pulsperioden«, sagte Kythara. »Zu Kugelschalen angeordnete Pulsare – das ist nichts Natürliches, oder?«

»Du weißt aber nichts darüber«, nahm ich an.

»Nein. Ich kenne diese Galaxis aus alten Berichten, aber ich war noch nie selbst hier. Das war vielleicht ein Fehler.«

»Was vermutest du?«, fragte ich sie. »Falls dir die Lordrichter wieder im Kopf herumspuken, das kannst du vergessen. Die Supernovae wurden vor einigen Jahrhun­derttausenden gezündet, also scheiden sie als Verursacher aus. So lange sind sie hier noch nicht aktiv.«

»Warum bist du dir so sicher? Was wis­sen wir denn über sie? Dass sie in Gruelfin Unruhe stiften und sowohl in der Milchstra­ße als auch hier Fuß gefasst haben, wobei sie sich wahrscheinlich auch in Dwingeloo varganischer Hinterlassenschaften bedienen. Natürlich sind wir da nur auf Vermutungen angewiesen. Wir kennen weder ihre Trup­penstärke in Dwingeloo noch ihre Basen.«

»Über Dwingeloo wissen wir überhaupt nichts«, sagte ich. »Die Informationen, die wir besitzen, sind zwar erstaunlich, sagen aber noch nichts aus, was für uns von kon­kretem Nutzen sein könnte.«

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»Das stimmt«, warf Gorgh ein. »Wir ha­ben noch keine Sternkarten, wir kennen die hier heimischen Völker nicht, wir wissen gar nichts. Also sollten wir zuerst hier weiterfor­schen und uns nicht in Spekulationen erge­hen.«

»Natürlich«, sagte Kythara. »Aber etwas wissen wir doch. Kalarthras hat bei unserer letzten Begegnung vor 50.000 Jahren von Gantatryn gesprochen und dabei erwähnt, dass hier etliche Varganenrebellen gelebt hätten.«

»Wir wissen sogar noch etwas«, sagte ich, »und zwar von Heroshan Offshanor.«

»Was vielleicht noch wichtiger ist, mögli­cherweise aber auch vollkommen überholt. Die Cappins …«

»Offshanor sprach nur für das Volk der Ganjasen«, unterbrach ich.

»Macht das einen Unterschied? Warum reitest du auf Kleinigkeiten herum?«

»Es ist keine Kleinigkeit.« Ich lachte hu­morlos. »Du kennst die Cappins nicht, ich schon.«

Sie seufzte. »Wenn du meinst. Also die Ganjasen haben seit etwa einem Jahr in Dwingeloo, genau wie in der Milchstraße, per Pedotransferierung eine Art fünfte Ko­lonne unterhalten und Informationen gesam­melt. Natürlich über eventuelle Aktivitäten der Lordrichter. Ist das korrekt?«

Ich nickte. Sie brauchte es gar nicht so zu betonen. Ich hatte die Cappins kennen ge­lernt. Nur wer den Terror der Takerer nicht am eigenen Leib erlebt hatte, würde sie alle in einen Topf werfen.

»Gut. Aber das nützt uns wahrscheinlich nichts mehr, denn nach der Explosion des Pedopeilers können wir davon ausgehen, dass diese Undercoveragenten nun entweder alle tot sind, weil ihre von den Bewusstsei­nen verlassenen Körper mit der ERYSGAN vernichtet wurden, oder abgeschnitten. Also jene, die eventuell die Vernichtung ihrer Körper doch überlebt oder ihre Pedotransfe­rierung von anderer Stelle aus gestartet ha­ben. Auf sie als eventuelle Verbündete kön­nen wir nur hoffen.«

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»Wahrscheinlich«, gab ich ihr Recht. »Wir müssen davon ausgehen, auf uns allein gestellt zu sein – wir und Offshanor mit sei­nen Leuten in der MORYR. Womit unser weiteres Vorgehen klar sein dürfte: erstens den Garbyor nicht in die Hände zu fallen, und zweitens …«

»Weitere Informationen zu sammeln und trotz allem zu versuchen, sowohl mit der MORYR als auch den eventuell noch ver­deckt lebenden Ganjasen Kontakt aufzuneh­men. Und dabei natürlich die Pläne der Lor­drichter zu durchkreuzen, wie immer diese auch aussehen mögen.«

»Ich fürchte, das werden wir früh genug erfahren – vielleicht schneller, als uns lieb ist.« Ich stand auf. »Und jetzt haben wir ge­nug geredet. Wir sollten uns auf den Stopp vorbereiten.«

»Wir werden 120 Lichtjahre vom Schau­platz der Explosion entfernt sein«, meinte Kythara. »Sehr unwahrscheinlich, dass die Garbyor uns sofort wiederfinden werden.«

Ich entgegnete nichts, aber ich hatte mei­ne Zweifel. Und sie auch. Warum sonst stand sie so steif mit vor ihrer Brust ver­schränkten Armen an den Kontrollen?

*

Meine Vorahnungen hatten mich selten getrogen, vor allem dann nicht, wenn es um kommendes Unheil ging.

Wir befanden uns gerade erst vier Minu­ten im Normalraum, als es begann.

Zuerst erfasste die Tastung einige kleinere Objekte unbekannter, aber anscheinend künstlicher Natur in einer Entfernung von wenigen Lichtminuten. Das nächste Sonnen­system war 1,2 Lichtjahre entfernt. Es war unwahrscheinlich, dass wir es mit Kometen oder anderen kosmischen Irrläufern zu tun hatten. An eine andere Möglichkeit, nämlich Raumschiffswracks, glaubte ich ebenfalls nicht. Es wäre mehr als ein Zufall gewesen, wären wir ausgerechnet am Ort einer Raum­schlacht herausgekommen, die vielleicht vor tausend oder zehntausend Jahren getobt hat­

te. Kythara tat diesen Gedanken ebenfalls

mit einem Kopfschütteln ab. Wir waren bei­de lange genug im Universum unterwegs ge­wesen, um die unendlichen Weiten zwischen der Sternen zu ermessen.

»Sonden«, sagte sie. »Ich tippe auf Beob­achtungssonden.«

»Der Garbyor?«, fragte ich zweifelnd. »Über ganz Dwingeloo verstreut?« Das war ebenso unwahrscheinlich wie Wracks.

Aber manchmal spielte die Wahrschein­lichkeitsrechnung auch Streiche, denn plötz­lich fingen die Instrumente der AMEN­SOON Signale auf, die zweifellos von den georteten Objekten ausgingen.

»Das gefällt mir nicht«, sagte Kythara. »Wir verschwinden lieber. Die AMEN­SOON hatte genug Zeit, Informationen zu sammeln.«

»Einverstanden«, sagte ich. Aber es war bereits zu spät. Die Schiffe

materialisierten in schneller Folge und so nahe, dass an ein rasches Entkommen in den Hyperraum nicht mehr zu denken war. Wir beschleunigten zwar schon wieder, aber oh­ne Feuergefecht würde es diesmal nicht ab­gehen.

Wie an einer Perlenschnur aufgereiht fie­len die Garbyor aus dem übergeordneten Kontinuum. Immer mehr Reflexe erschienen auf den Orterschirmen und in den Holos. Es waren Tropfenschiffe, und sie verloren keine Zeit, sondern gingen sofort auf Angriffskurs. Wer immer sie befehligte, hatte genau ge­wusst, was er vorfinden würde.

»Also doch Sonden!«, rief Kythara. »Aber wie konnten sie uns orten? Das An­tiortungsfeld war die ganze Zeit aktiviert! Und die Schiffe … so viele!«

»Nicht schlecht für den Anfang«, musste ich zugeben. »Schnell, aber keine wirkliche Überraschung, oder? Denke jetzt nicht über Ortungsschutz nach. Sie können die Struk­turerschütterung beim Rücksturz anmessen. Damit müssen wir uns abfinden.«

»Wir werden auch so mit ihnen fertig«, knurrte sie.

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Bei dreißig hörte die Automatik auf zu zählen. Dreißig Tropfenschiffe der Torghan oder Ur'ogh gegen einen Doppelpyramiden­raumer der Varganen. Ein nettes Empfangs­komitee! Ich hoffte, sie würden sich ihre Zähne an uns ausbeißen.

Die ersten Strahlen zückten heran und schlugen in unseren sofort hochgefahrenen, dreifach gestaffelten Kombi-Schutzschirm ein, der die tödlichen Energien mühelos in den Hyperraum ableitete. Noch hatte ich die Hoffnung, dass wir doch noch entkommen konnten, ohne ein Blutbad unter den Geg­nern anrichten zu müssen. Ich durfte nie ver­gessen, dass die Torghan und anderen Hilfs­völker der Lordrichter von Garb mit diesen netten kleinen Implantaten ausgestattet wa­ren, die ihnen den Todesimpuls gaben, wenn sie nicht so funktionierten wie von ihren Herren gewünscht. Wir hatten es nicht mit seelenlosen Robotern zu tun, sondern mit le­benden Wesen, die vielleicht nicht einmal wussten, wofür sie kämpften.

Narr!, regte sich mein Extrasinn. Senti­mentaler alter Narr! Deine Skrupel sind wie ein Klotz an deinem Bein! Es sind kalt be­rechnende Krieger, die nur ein Ziel haben: deine Vernichtung!

Er hatte ja Recht, das war das Schlimme daran. Und die Garbyor machten uns das mehr als deutlich klar.

Sie ließen sich von unseren Schirmen nicht beeindrucken und begannen jetzt erst richtig zu feuern. Innerhalb weniger Sekun­den stand das Weltall um uns herum in Flammen. Strahlschüsse zuckten von allen Seiten heran, eine Salve nach der anderen. Es war unmöglich, sie noch auseinander zu halten. Es war eine Feuerwand, die uns von drei Seiten entgegenschlug, und wir mussten mitten hindurch!

Noch hielten die Schirme, aber die Bela­stungsanzeige näherte sich bereits kritischen Werten. Über uns riss der Weltraum auf. Die abgeleiteten Energien suchten sich ihren Weg in den Hyperraum und schufen rot flammende Schlünde.

»Durch!«, rief ich Kythara zu. »Wir feu-

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ern noch nicht!« Bist du noch zu retten? Ich hoffte es. Wir konnten es schaffen. Die AMENSOON stieß durch die voraus

liegende Feuerwand. Sie verwandelte sich in eine flammende Sphäre von achttausend Metern Durchmesser, ein feuriges Phantom, das weiter beschleunigte. In Gedanken zähl­te ich die Sekunden bis zum Hyperraumein­tritt.

»Überlastung!«, rief Kythara. »Jetzt reicht es!«

Im nächsten Moment fuhren die ersten Thermostrahlen aus den Projektoren der AMENSOON in die Reihen der wie beses­sen feuernden Feinde. Unsere Schirme flackerten, im Schiff gellte der Alarm auf. Wir flogen direkt in die Hölle des von den Torghan vor uns gelegten Sperrfeuers, be­schleunigten aber immer noch.

Doch die Garbyor standen uns in puncto Schnelligkeit in nichts nach. Sie heizten uns mächtig ein. Plötzlich schlugen die ersten Strahlen durch.

Das Oktaeder-Schiff wurde schwer er­schüttert. Für einen Moment flackerte die Beleuchtung in der Zentrale, und die künstli­che Schwerkraft setzte aus. Wir wurden hart durchgerüttelt. Ich hatte Mühe, mich auf den Beinen zu halten. Wie lange denn noch bis zum erlösenden Augenblick?

Der Alarm hallte grausam in meinen Oh­ren. Die Beleuchtung kehrte zurück. Die Ho-los waren ausgefallen, aber die Schirme zeigten weiterhin ein aus rotem und grell­weißem Energiefeuer erfülltes All. Es war ein Flug durch die Hölle, und die Überla­stung der Schirme wurde nun wirklich be­denklich.

»Die Gravo-Zyklon-Projektoren, Kytha­ra!«, schrie ich in den Tumult. Es war über­flüssig. Die Varganin hatte bereits reagiert.

Die AMENSOON strahlte gezielt über­lichtschnelle »Gravitations-Zyklone« ab. Zyklonähnliche gravomechanische Feldwir­bel, die theoretisch selbst einen Planeten vernichten konnten, schossen auf die in der Erfassung befindlichen Feindschiffe zu und

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pulverisierten sie innerhalb von Sekunden­bruchteilen. Was von ihnen übrig blieb, wur­de ebenfalls in den Hyperraum abgestrahlt.

Der Einsatz unserer stärksten Waffe schi­en den Garbyor einen Schock zu versetzen, aber nur für einen Augenblick. Immerhin ei­ne Atempause.

Gorgh starrte uns aus seinen unergründli­chen Facettenaugen an. Er wedelte nervös mit dem oberen Armpaar über seinem Kopf, und seine Mandibeln klackten in einem schnelleren Takt, als er rief: »Noch dreißig Sekunden müssen wir aushalten!«

Das waren dreißig sehr lange Sekunden, denn kaum hatte er ausgesprochen, als die AMENSOON neue Schiffe ortete, die aus dem Hyperraum fielen. Diesmal mussten es noch mehr sein, und die Verstärkung gab den Torghan ihren Mut zurück. Sie feuerten noch wilder als bisher schon und durch­schlugen zum zweiten Mal unsere Schirme.

Aus allen acht Projektoren schickten wir ihnen die Gravo-Zyklone und fegten weg, was von den Automatiken erfasst werden konnte. Um uns herum tobte endgültig das Chaos, und ich zählte wieder die Sekunden. Die AMENSOON wurde schwer erschüttert. Verstrebungen ächzten, die Schiffszelle bäumte sich auf, wieder flackerte die Be­leuchtung, und Kythara wurde plötzlich von den Beinen geschleudert und stürzte mir mit einem Aufschrei genau in die Arme.

Der Boden schwankte. Ich musste mich abstützen. Gorgh schrie etwas. Ich konnte ihn nicht verstehen. Wir rasten in den Feuer­orkan und hielten den Atem an. Noch fünf Sekunden vielleicht, vielleicht weniger. Eine lächerlich kurze Zeitspanne, aber für uns wurde sie zu einer Ewigkeit.

Wir waren noch nicht durch. Der nächste und letzte Feuerschlag des mit der Verstär­kung wütender denn je angreifenden Geg­ners konnte uns noch den Garaus machen. Der verdammte Alarm stach in meine Oh­ren. Ich fluchte und drückte Kythara fest an mich – und sie mich an sich. Wir gaben uns gegenseitig Halt.

»Durchhalten!«, sagte ich, ohne zu wis­

sen, ob mich in dem Lärm überhaupt jemand hörte. »Nur noch einen Moment. Es muss gleich …«

Ein infernalisches Krachen riss mir die Worte von den Lippen.

Zwischenspiel

Erzherzog Garbgursha wartete darauf, dass der Lordrichter zu sprechen begann. Er spürte deutlich die Ausstrahlung der Macht, die Yagul Mahuur umfloss wie ein dunkler Schatten – aber Projektionen konnten keinen Schatten werfen.

Im hellen Licht des Besprechungszim­mers an Bord seines Raumschiffs sah Garb­gursha eine eisglitzernde Nebelwolke aus hauchdünnen Fäden und von zylindrischer Form, zwei Meter im Durchmesser und drei­einhalb Meter hoch. In dieser »Wolke« zeichnete sich grob eine Silhouette ab, mit ständig wechselnden Konturen. Das war al­les, was der Lordrichter seinem Untertanen zu sehen erlaubte – doch Garbgursha genüg­te es. Mehr wollte er gar nicht sehen. Das »Eishaarfeld«, in dessen Tarnung die Herren sich ihren Untergebenen zeigten, reichte aus, um das Blut im Kopf rauschen zu lassen. Er wartete auf den Moment, in dem alles vorbei war und er wieder alleiniger Herr war. Er hasste diese Art von Besprechungen. Und er hasste es, warten und das Gefühl haben zu müssen, dass mit seiner Ungeduld gespielt wurde.

»Ich muss dir nicht sagen, dass die Lage ernst ist«, begann Yagul Mahuur endlich. »Die aus der Milchstraße erwartete Psi-Energie ist nicht eingetroffen und wird auch nicht mehr eintreffen. Du weißt, was das für uns bedeutet.«

»Ja«, sagte Garbgursha. »Ich weiß es.« Mahuur ließ ihn zappeln. Der Anblick des flirrenden Nebelfeldes

war selbst für Garbgursha manchmal schwer zu ertragen. Er drehte den Kopf und sah auf das Holofenster, das eine ganze Wand des großen Raumes ausmachte. Er sah die flam­mende blauweiße Riesensonne, den Dunkel­

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stern, und es fröstelte ihn. Die an vielen Stellen merkwürdig »abgedunkelte« Sonne füllte das Holofeld aus. Durch die Filterung der Darstellung konnte sie nicht blenden. Der Blickwinkel auf sie entsprach einem Standort von oberhalb der ausgedehnten, das Gestirn wie eine Akkretionsscheibe umge­benden Staub- und Gasscheibe, die der eines Protoplanetensystems ähnelte. Vereinzelt waren Schlieren, kräftiges Wogen und Ver­dickungen darin zu erkennen. Ab und zu wurde sie von einer Art Wetterleuchten durchzogen, als würden in ihr starke energe­tische oder hyperenergetische Entladungen toben.

Garbgursha ertrug diesen Anblick nie lan­ge. Etwas Drohendes schien von dem Bild auszugehen, ähnlich wie von seinem Gegen­über, vielleicht noch stärker, falls dies über­haupt möglich war. Er drehte den Kopf zu­rück.

Der Erzherzog aus dem Volk der Zaqoor, ein über zweieinhalb Meter großer, breit­schultriger Humanoide und ursprünglich Mitglied der Leibgarde des Lordrichters, war kein Feigling – ganz im Gegenteil. Hät­te er sich nicht in vielen Schlachten und als harter und skrupelloser Feldherr bewährt, dann säße er jetzt nicht hier. Aber einem Feind aus Fleisch und Blut gegenüberzuste­hen oder einem wie ihm, einem unendlich überlegenen Wesen, von dem er nicht ein­mal wusste, ob es tatsächlich ebenfalls aus Fleisch und Blut war, das waren zweierlei Dinge.

»Durch das Ausbleiben der Psi-Energie«, fuhr der Lordrichter endlich fort, »ist das kurz vor seiner Vollendung stehende Projekt Durchbruch plötzlich wieder gefährdet. Au­ßerdem gelang es den Cappins, den Pedopei­ler zu vernichten, bevor meine Truppen ihn einnehmen und für unsere Zwecke nutzen konnten.« Die Stimme verriet keine Regung. Sie war monoton wie die eines Roboters – und repräsentierte doch gottgleiche Macht.

»Das sind schlechte Nachrichten«, sagte der Erzherzog mühsam beherrscht. Er war es gewohnt zu handeln. Und wehe dem, der

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seinem Befehl nicht folgte oder einen Fehler zu viel machte. Der Zorn der Lordrichter, der auf ihn fiel, würde sich in Zorn auf seine Untergebenen verwandeln. »Was also kön­nen wir tun?«

Wieder sah er auf das riesige Holofenster, als könne von dort die Antwort kommen. Wieder stachen ihm die vielen »abgedunkelten« Stellen ins Auge. Er wus­ste, dass es sich nicht um Sonnenflecken handelte. Vielmehr schossen immer wieder gewaltige Protuberanzen, zweifellos viele Millionen Meter hoch, in den Weltraum hin­aus, mit denen pechschwarze und dunkel­graue Substanz ausgeschleudert wurde. Die­se dunkle Substanz schien es zu sein, aus der die »Akkretionsscheibe« entstanden war, und noch immer fügte sich die ausgeschleu­derte Materie dort ein und ordnete sich an, um das Gestirn zu umkreisen.

Garbgursha wurde noch ungeduldiger. Sein Blick saugte sich an einer der markan­ten Verdickungen in der scheibenförmigen Staub- und Dunstzone fest, die von einer ringförmigen Einblendung umgeben war. Daneben befanden sich erklärende Text­blöcke, und lange Parameterkolonnen scroll­ten ab.

Der Erzherzog straffte seine Gestalt. Der Lordrichter sollte nicht sehen, wie sehr ihn der Anblick des Dunkelsterns aus dem Gleichgewicht brachte. Es ist nur eine Son­ne!, versuchte er sich einzureden, aber er wusste es besser.

»Du fragst, was du tun kannst«, riss ihn die Stimme des Lordrichters in die Wirklich­keit zurück. »Dabei träumst du und starrst in die Sonne! Wo bist du mit deinen Gedan­ken?«

»Bei den Cappins und bei dem Pedopei­ler«, knurrte er.

»Vergiss den Pedopeiler und die Cap­pins«, sagte die dunkle Stimme. »Im Augen­blick spielen sie eine untergeordnete Rolle.«

»Aber du …!« »Es gibt weitere schlechte Nachrichten«,

schnitt Mahuur ihm das Wort ab. »Die bei­den Schiffe aus der Milchstraße, die unmit­

13 Im Zeichen des Bösen

telbar vor der Explosion materialisierten, sind entkommen! Wir vermuten, dass sich an Bord des einen, eines Oktaeder-Raumers der Varganen, der Arkonide Atlan von Go­nozal aufhält. Kannst du dir vorstellen, wie das Schwert der Ordnung auf diese Neuig­keit reagieren wird?«

Verdammt gut!, dachte Garbgursha, doch laut sagte er: »Es wird nicht begeistert sein, aber …«

»Aber?« Natürlich war Atlan dem Zaqoor ein Be­

griff. In der fernen Galaxis Milchstraße hatte er maßgeblichen Anteil am Scheitern der Pläne der Lordrichter gehabt. Wenn er sich nun hier befand, war die Lage noch ernster und zwang zu entschlossenem Handeln.

Garbgursha schätzte die Situation richtig ein: Der Pedopeiler war nicht mehr zu ret­ten, die Cappins waren entweder alle tot oder so geschwächt, dass man sie im Mo­ment tatsächlich vernachlässigen konnte. Die Gefahr – das, was die Lordrichter zu fürchten schienen – ging von dem Arkoni­den aus, von ihm und seinen Gefährten. Und wenn es so war …

»Aber?«, fragte der Lordrichter mit Nach­druck. »Rede, Erzherzog!«

»Natürlich!«, sagte Garbgursha. Er konnte den Lordrichter beruhigen, was die beiden Schiffe betraf – er hoffte es wenigstens.

Er hatte noch einen Trumpf in der Hand und legte dem Herrn die Optionen dar. At­lan sollte in dieser Galaxis nicht triumphie­ren. Im Gegenteil, wenn alles so abliefe, wie er es vor sich sah und dem Lordrichter aus­breitete, wenn das Kriegsglück mit ihm war, würde der Arkonide keine Gelegenheit ha­ben, weiteren Schaden anzurichten.

»Atlan war sehr schlecht beraten, hierher zu kommen«, beendete er seine Ausführun­gen. »Lass ihn den Verfolgern entkommen, einmal, zweimal – er wird sich nicht lange der Freiheit erfreuen können. Atlan ist so gut wie in unserer Hand.«

Er schwieg und lehnte sich zurück. »Wenn es so ist«, dröhnte Yagul Mahuurs

Stimme, »dann spiele diesen Trumpf aus

und setze das Projekt Durchbruch fort, Erz­herzog. Du bist mir persönlich dafür verant­wortlich, dass der Arkonide uns nicht wei­terhin belästigen wird.«

»Ja, Herr!«, sagte Garbgursha grimmig. »Du wirst mit mir zufrieden sein!«

»Ich hoffe es für dich«, sagte Mahuur. Dann löste sich das Eishaarfeld auf und er

mit ihm. Garbgursha starrte auf einen leeren Ses­

sel. Er stand auf und warf einen letzten Blick auf das Holofenster mit dem Dunkel­stern, den Eruptionen und der Scheibe mit ihren dunklen Wirbeln und Verdickungen.

Garbgursha verließ den Besprechungs­raum in bitterer Entschlossenheit.

Es gab genug Arbeit für ihn.

3. Kalarthras

Er rannte gegen die Barrikaden an. Er musste die Mauer durchbrechen, musste! Er hatte sie gespürt. Sie war da, und ihr Geist hatte nach dem seinen getastet. Er hatte plötzlich ihr Gesicht wieder vor sich gehabt – so wie unmittelbar nach seinem ersten Er­wachen, als er die Augen geöffnet hatte und sie sah.

Nach all den Jahren! Doch diesmal würde er es nicht wieder

vergessen, weder ihr Gesicht noch ihren Na­men: Kythara! Wie konnte er ihm entglitten sein! Der Name, der einzige, der für ihn die Verheißung von Glück, Liebe, Leidenschaft bedeutete – und Hoffnung. Er war der Halt, an dem er sich aus dem schwarzen Sumpf ziehen konnte, heraus aus dem Dunkel, fort von den Klauen, die ihn in ihrem Griff hat­ten, und durch die Mauern, die ihn umfin­gen! Er wusste, dass er es konnte, wenn er es nur fest genug wollte. Kythara war der Speer aus Licht, den er nur fassen, ganz fest, und nicht mehr loslassen musste, bis er frei war, um sie zu warnen! Ihr durfte nicht das Gleiche wie ihm geschehen!

Gantatryn! Er wusste nicht, woher er es wusste. Er

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versuchte, sich zu erinnern. Da war nichts, doch er konnte sich nicht irren. Sie waren hier – nicht auf Vassantor, nicht einmal in der Milchstraße.

Kythara musste es ihm verraten haben, ohne dass sie es merkte. Ihre Gedanken … Er konnte sie nicht empfangen, geschweige denn klar in ihnen lesen, aber irgendwie musste sie zu ihm gelangt sein: Kythara!

Sie waren hier, sie und ihre neuen Freun­de. Aber sie wussten nicht, worauf sie sich eingelassen hatten. Er wusste es, und er musste es ihnen sagen!

Er kämpfte. Ihr Name leuchtete groß vor ihm wie ein flammendes Schwert. Kythara! Immer wieder Kythara!

Er spürte sie nicht mehr so stark wie eben, aber sie war noch da, noch in der Nähe. Na­türlich mussten sie sich auf einem Raum­schiff befinden. Sie konnte nicht fort sein. Sie wartete. Sicher musste sie warten. Sie war bei ihm gewesen und hatte ihn gerufen.

Jetzt musste er sie rufen! Aber dazu brauchte er wieder einen Mund, den er be­wegen konnte. Und Augen, um sie zu sehen; in denen sie all das Grauen sehen konnte, das er erlebt hatte – hier, in Gantatryn, vor langer, langer Zeit …

Wie lange hatte er geschlafen? Jahrhun­derte? Jahrtausende? Oder noch mehr? Es musste eine lange Zeit gewesen sein – und nun kämpfte er um jede Sekunde.

Er schrie stumm ihren Namen. Er stemm­te sich gegen die Mauern, durchschlug die Schwärze, die dunkel wallenden Nebel. Und er sah Licht. Es war nur ein vager Schein, aber er wurde heller. Er spürte, dass er es schaffen konnte. Kythara!

Er fühlte den Schmerz, und er sah das Licht. Er schrie und er hörte sich schreien!

Es war keine Einbildung. Er schaffte es. Er sah das Licht, es tat weh, aber seine Au­gen waren offen. Er hatte wieder ein Gefühl für seinen Körper.

Wilder Triumph explodierte in ihm. Er jagte ihn hoch, trieb ihn zu einer letzten, wü­tenden Anstrengung. Er schrie pausenlos.

Kythara! Wo blieb sie? Entsetzt musste er

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erkennen, dass er sich zu viel zugemutet hat­te. Aber lieber wollte er sterben, als den Kampf jetzt aufzugeben. Die Schwärze lau­erte nur darauf, dass er für einen Augenblick nachließ. Nein, er musste wach bleiben und sie warnen, wenn es nicht schon zu spät war.

Zu … spät … Er konnte nicht mehr denken. Es war vor­

bei. Die Dämonen kehrten zurück, und ihre Klauenhände wuchsen aus den schwarzen Schleiern, die um ihn herum aufwallten, um ihn endgültig zu verschlingen.

Kythara … Sie musste … es wissen … Sie … musste …

4. Atlan

Der Weltraum stand in Flammen. Die AMENSOON ächzte, jaulte, schrie und raste wie ein tobender Dinosaurier durch das Cha­os, das die Garbyor und sie selbst entfesselt hatten. Die Überlastung der Schirme hatte astronomische Werte erreicht. Es war ein Wunder, dass sie immer noch standen. Wa­rum hörte es nicht auf?

Ich hatte den furchtbaren Verdacht, dass etwas katastrophal falsch war. Dass das Ky­ri-Überlichttriebwerk nicht »ansprang« und uns in Sicherheit katapultierte. Ich spürte, wie Finger sich in meinen Arm verkrampf­ten. Mein Herz tat einen letzten Sprung, und …

… dann war es vorbei. Das Inferno löste sich von einem Augen­

blick auf den anderen auf. Ich begriff, dass wir es geschafft hatten.

»Den Sternengöttern sei Dank«, sagte ich leise in das plötzliche Schweigen hinein. »Das war verdammt knapp.«

Kythara löste sich von mir. Ich wischte mir die Tränen der Erregung aus den Augen. Gorgh saß vor seinen Kontrollen und starrte vor sich hin. Nur seine Fühler zuckten scheinbar unkontrolliert und verrieten etwas über seine innere Erregung. Die Beleuch­tung stabilisierte sich. Die ersten Holos bau­ten sich wieder auf.

15 Im Zeichen des Bösen

»Statusabfrage«, sagte Kythara. Die Var­ganin wischte sich die goldenen Haare aus dem Gesicht und atmete tief durch. Sie stand hoch aufgerichtet neben ihrem Sitz und war­tete auf die ersten Nachrichten aus dem Schiff. Noch wussten wir nicht, wie die AMENSOON das Chaos des Kampfes über­standen hatte. Das Einzige, was im Moment gewiss war, war, dass wir uns im Hyper­raum befanden.

Und das war nicht viel. Ich lauschte auf die Geräusche des Schif­

fes und suchte nach einer Unregelmäßigkeit. Alles schien normal zu sein. Mir fielen keine verräterischen Vibrationen auf, die von ei­nem ernsten Schaden kündeten. Auch der nervtötende Alarm hatte aufgehört. Nach dem, was wir hinter uns hatten, kam es mir fast zu ruhig vor.

Gorgh erwachte nun ebenfalls zu neuem Leben. Er drehte sich mit dem Kontursessel zu uns um und sagte, scheinbar vollkommen ungerührt: »Wir müssen den Kurs ändern, wenn uns das Gleiche beim nächsten Mal nicht wieder passieren soll.«

»Du meinst, die Garbyor hätten aus unse­rem Kursvektor vor dem Eintauchen in den Hyperraum unsere Wiedereintrittsstelle er­rechnet?«, fragte ich.

Natürlich haben sie das! Ihr wart leicht­sinnig! So dumm ist kein Kadett!, kommen­tierte der Extrasinn.

»Aber sie konnten nur die Richtung ken­nen, nicht die Länge unserer Etappe.«

»Das ist richtig«, antwortete der Insektoi­de. »Dass sie dennoch so schnell vor Ort waren, zeigt, wie stark sie in Dwingeloo prä­sent sind. Dass wir von Beobachtungsson­den verraten worden sind, ist unwahrschein­lich.«

»Aber sie haben Signale abgegeben. Sie haben uns geortet und die Garbyor gerufen.«

»Das sagt überhaupt nichts. Es beweist nur die Stärke ihrer Präsenz in dieser Gala­xis. Sonst hätten sie nicht so schnell bei uns sein können.«

Ich sah das anders, aber ich wollte keine langen Diskussionen führen. Stattdessen be­

obachtete ich Kythara, die Meldungen aus den verschiedenen Schiffssektoren entge­gennahm.

Ich hörte die Stimme der Bordpositronik, und was sie sagte, gab mir Hoffnung, dass wir besser weggekommen waren, als ich nach den erhaltenen Treffern befürchtet hat­te.

Kythara bestätigte das nach einigen Minu­ten. »Es gibt Beschädigungen an der Außen­hülle«, verkündete die Varganin. »Allerdings nichts, weswegen wir uns große Sorgen zu machen brauchten. Die Repara­turroutinen sind bereits in Aktion.«

»Schön«, sagte ich. »Nicht so schön«, meinte sie. »In der

AMENSOON ist auch einiges zu Bruch ge­gangen – zum Glück keine im Moment un­verzichtbaren Systeme, aber die Schäden müssen behoben werden. Es wird einige Zeit dauern, vielleicht Tage.« Sie lächelte matt, aber nicht so, dass es mich überzeugen konnte. Etwas bedrückte sie immer noch. »Aber wenigstens werden wir nicht wieder einen Planeten anfliegen müssen, um das Schiff instand zu setzen.«

»Was stimmt nicht?«, fragte ich sie. »Du verschweigst doch etwas.«

»Ja.« Sie nickte und sah zu den Kontrol­len hin. »Ich bekomme zu einigen Abteilun­gen keine Verbindung.«

»Die Medo-Station?«, riet ich. »Ja, Atlan. Aber die Störung wird bald

behoben sein. Hoffen wir, dass Kalarthras keinen Schaden erlitten hat oder …«, sie zuckte die Achseln, »… sich sein Zustand gerade jetzt verändert hat.«

»Ich könnte nachsehen«, bot ich mich an. »Oder du gehst, und ich bleibe hier bei Gor­gh und halte die Augen auf.«

»Das brauchst du nicht, ich muss hier auf dem Posten bleiben. Wahrscheinlich mache ich mich wieder selbst verrückt. Gorgh hat Recht. Wir werden den Kurs ändern. Wir werden kurz in den Normalraum zurückkeh­ren und nach dem Manöver sofort wieder verschwinden. Viel zu schnell, um noch ein­mal überrascht zu werden.«

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»Dann wäre es allerdings gut, wenn wir wüssten, wohin wir uns zu wenden haben«, sagte ich. »Ein Ziel. Flucht allein bringt uns nicht weiter. Wir brauchen endlich einen Anhaltspunkt. – Gorgh?«

Der Hyperphysiker drehte sich zu seinem Pult zurück und berührte einige Tasten. Ho-los bauten sich auf. Ich sah Abbildungen von Sternen und die eingeblendete Schrift.

»Wir haben weitere Ergebnisse«, begann der Insektoide. »Die Positronik hat die wäh­rend des Stopps gesammelten Daten bereits ausgewertet.

Die Kugelschalen aus Sonnen und Pulsa­ren umschließen, wie wir schon wissen, Raumsektoren von bis zu einigen hundert Lichtjahren Durchmesser. Neu ist nun, dass sie insgesamt rund ein Drittel von Dwinge­loo ausmachen und …«

Ich pfiff durch die Zähne. »Ein Drittel der Sternmasse einer Galaxis!«

»Das ist noch nicht alles«, sagte Gorgh. »In den betreffenden Sektoren kommt es zu Störungen des Raum-Zeit-Gefüges, für die wir noch keine Erklärung haben – Verände­rungen, Instabilitäten, Schwankungen der Raum-Zeit-Struktur. Und weiter. Etliche der zu den Kugelschalen gehörenden Sonnen er­weisen sich als überaus starke Hyperstrahler. Die AMENSOON hat von dort wiederholt heftige Strukturerschütterungen angemes­sen, so als … würden ganze Flotten oder vergleichbar große Massen permanent auf der Stelle transistieren.«

Kythara blickte von ihrer Arbeit auf. Wir sahen uns an.

»Bist du sicher?«, fragte sie Gorgh. »Die Positronikauswertung lässt keinen Zweifel daran.«

»Dwingeloo hat uns nicht nur überaus heiß empfangen«, sagte ich beeindruckt, »hier scheint auch wirklich der Teufel los zu sein. Wir sollten uns auf einen heftigen Tanz einstellen, wie meine terranischen Freunde sagen würden.« Ich fuhr mir über die Au­gen. »Nur wo? Natürlich sehen wir uns diese Kugelschalen genauer an, oder? Gibt es ei­ne, die besonders hervorsticht?«

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»Ich kann dir sogar eine Sonne anbieten«, sagte Gorgh. »Einen Einzelstern, der sich am Rand der lang gezogenen Sternenver­dickung des Zentralbereichs von Dwingeloo befindet, nach unseren Messungen 8181 Lichtjahre von den Koordinaten des explo­dierten Pedopeilers entfernt.«

»Kein Grund zu pfeifen«, sagte Kythara mit einem hämischen Seitenblick.

»Dann ziehe ich ganz still meinen Hut vor der varganischen Technik«, versuchte ich zu kontern. Und wandte mich an Gorgh: »Hat die Positronik auch schon eine Interpretation all dieser ungewöhnlichen Beobachtungen anzubieten?«

Er deutete auf eines der Hologramme. »Hat sie in genau diesem Augenblick. Vor einer Sekunde gekommen. Die Bordpositro­nik hat auf der Grundlage der gesammelten Daten erste Hochrechnungen angestellt, die ergeben, dass die Strukturerschütterungen auf eine noch nicht näher zu bestimmende Weise zusammenzuhängen scheinen. Dafür weist sie eine Wahrscheinlichkeit von 77,9 Prozent aus.«

»Das ist viel«, sagte ich. Es war fast Si­cherheit. »Ich nehme an, dass dieser Einzel­stern, von dem du sprachst, ebenfalls ein Hyperstrahler ist. Sonst hättest du ihn nicht erwähnt.«

»Er ist der stärkste Hyperstrahler von al­len und weist auch die stärksten Strukturer­schütterungen auf. Viele dieser Erschütte­rungen finden bei ihm und in den Kugel­schalen-Sonnen gleichzeitig statt, ohne dass wir einen Massetransport von einem Ort zum anderen anmessen könnten.«

»Ich hatte es nicht anders erwartet«, sagte Kythara gepresst.

»Ich denke, dass dieser Stern für uns noch einige Überraschungen bereit hat«, meinte der Hyperphysiker aus dem Volk der Daorg­hor. »Aber ich will nicht spekulieren. Dage­gen können wir annehmen, dass es in ande­ren Fällen tatsächlich zu einer Transition von beachtlichen Substanzmengen kommt.«

»Wir können es annehmen?«, fragte ich. »Das klingt mir zu vage.«

17 Im Zeichen des Bösen

»Die Bordpositronik legt sich noch nicht fest«, antwortete Gorgh. »Auch was die transportierte Substanz angeht, denn auf die Distanz kann selbst für die hochwertigen Varganengeräte über deren Art und Natur nichts Genaueres ausgesagt werden.«

»Du kannst den Hut also anbehalten«, sagte Kythara.

»Wie schade.« Gorgh sah uns für einen Moment irritiert

an – jedenfalls hatte ich den Eindruck. Den Blick der starren Facettenaugen konnte wohl nicht einmal ein Daorghor selbst deuten. Aber sein rechter Fühler zuckte.

»Noch zwei Dinge«, sagte er ernst. »Erstens: Bei der unbekannten Substanz handelt es sich laut Positronik nicht um nor­male Materie.«

»Sondern?«, fragte Kythara. »Das kann ich noch nicht sagen. Das

Zweite ist, dass aus dem Sektor des Einzel­sterns viele der Garbyor-Raumer gekommen zu sein scheinen, die uns bei der ERYSGAN und dann beim letzten Orientierungsstopp angegriffen haben.«

»Wie kommt die Positronik darauf?«, wunderte ich mich.

»Vergleiche der Kursvektoren«, antworte­te Gorgh. Es klang allerdings nicht sehr überzeugt, und ich hatte gehörige Zweifel an dieser Erklärung.

Aber wenn es stimmte, dann hatten wir unser Ziel.

»Wir sollten uns diesen rätselhaften Stern einmal genauer ansehen«, sagte ich also. »Wenn es so ist und die Garbyor in diesem Sektor stark präsent sind, können wir dort einen Stützpunkt der Lordrichter vermuten. Vielleicht stehen die Garbyor sogar ursäch­lich mit den georteten Phänomenen in Ver­bindung, vielleicht sind sie nur als Beobach­ter vor Ort. Klarheit bekommen wir nur, wenn wir hinfliegen.«

Kythara machte keinen sehr begeisterten Eindruck.

»Bist du anderer Meinung?«, fragte ich sie.

Sie schien aus Gedanken aufzuschrecken.

»Wie? Nein, nein. Es kommt mir nur alles ein wenig zu schnell. Wir werden geradezu mit der Nase auf etwas gestoßen – zugege­ben etwas Ungeheuerliches. Aber genau das stört mich.«

»Du denkst an eine Falle?« Sie lachte trocken. »Eine Falle von diesen Dimensio­nen? Nein, Atlan. Natürlich müssen die Gar­byor, falls sich bei diesem Stern eine Basis oder ein wichtiger Stützpunkt befindet, da­von ausgehen, dass wir aufgrund unserer Or­tungen darauf stoßen und angelockt werden. Sie sind also vorbereitet – aber das wissen wir. Was mich wirklich stört, ist, dass wir gerade erst in diese Galaxis gekommen sind und schon glauben, auf große Geheimnisse gestoßen zu sein. So einfach kann es doch wohl nicht sein.«

»Ich weiß es nicht. Aber wie gesagt: Wenn wir mehr wissen wollen, müssen wir hinfliegen.«

»Natürlich«, sagte sie. »Du hast Recht. Wir …«

»Was ist?«, fragte ich, als sie mitten im Satz verstummte.

»Da.« Sie ging zu einem Pult, über dem sich ein Holo aufgebaut hatte. Ihre Augen wurden noch größer. »Das ist die Medo-Station, und …!«

Sie brauchte nicht mehr zu sagen. Ich sah den Tank und hörte die Stimme, die ihren Namen schrie.

»Es ist eine Aufzeichnung!«, rief die Var­ganin aus. »Kalarthras ist zu sich gekom­men, und ich war nicht da!«

Sie rannte aus der Zentrale. Ich sah unsi­cher zu Gorgh hinüber und rief ihm zu, dass er die Stellung halten solle. Bis zum Ende der Überlichtetappe hatten wir noch Zeit. Es gab in der Zentrale jetzt mehr als genug zu tun, aber etwas sagte mir, dass ich bei Ky­thara sein sollte, wenn sie Kalarthras gegen­übertrat.

Schon wieder schlimme Vorahnungen?, fragte mein Quälgeist.

»Schlimm« war die Untertreibung des Jahres.

18

*

Wir standen mit äußerst gemischten Ge­fühlen vor dem Tank. Ich ahnte, dass Kalar­thras uns wichtige Dinge mitteilen wollte, machte mir jedoch keine Vorstellung, wie wichtig sie für uns sein sollten. Ich vermute­te, dass er uns eher etwas über die alten Var­ganen als über Dwingeloo mitteilen wollte.

Kythara dagegen bangte um den Mann, der ein Teil ihres Lebens gewesen war. Ihre Motive waren persönlicher. Sie hatte mir nicht viel über sich und Kalarthras erzählt, und ich hütete mich, zu fragen. Es ging mich nichts an. Wenn es etwas gab, was ich wis­sen sollte, würde sie es zur rechten Zeit sa­gen.

Beide hatten wir große Sorgen. Der Zu­stand des Varganen war noch immer Be­sorgnis erregend. Dass er von der Automatik als »stabil« bezeichnet wurde, hatte gar nichts zu bedeuten. Er hatte laut nach Kytha­ra geschrien. Er war wach gewesen, die Au­gen weit offen. Wir wussten nicht, wie lange das schon so gewesen war, während wir ge­gen die Garbyor kämpften. Es war kein Pro­blem, sich darüber Informationen zu ver­schaffen. Im Augenblick ging es darum, wie es jetzt um Kalarthras stand.

»Er ist wach«, sagte Kythara leise. »Sein Herz schlägt viel zu heftig. Sieh dir die Kur­ven an. Er ist hellwach, aber er kann sich nicht rühren. Er muss sich vollkommen ver­ausgabt haben.«

»Vorhin sagtest du, dass er kämpft …« »Das tut er immer noch. Was ich von ihm

spüre, sind Verzweiflung und Angst; wahn­sinnige Angst.« Sie hatte sich über den Tank gebeugt gehabt. Jetzt drehte sie den Kopf und sah zu mir auf. »Er hat nach mir geru­fen, Atlan. Er wollte mir etwas sagen. Es muss wichtig gewesen sein.«

»Ich gäbe etwas dafür, es zu wissen«, sag­te ich.

»Er ist verzweifelt, weil er mich nicht er­reichte. Was immer ihn auch quält – es muss mit mir zu tun haben, vielleicht sogar mit

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uns. Als wollte er uns warnen.« »Ich weiß es nicht. Aber falls ja, wovor

sollte …?« »Warte!« Sie beugte sich erneut vor – und sah in

Kalarthras' offene Augen. »Kalarthras!«, rief sie. »Bei den Göttern,

kannst du mich hören? Erkennst du mich?« »Kythara …«, kam es leise aus einem

Akustikfeld. Dabei wurde seine Stimme be­reits verstärkt. Sie schien mitten im Raum zu stehen. Es war eher ein Röcheln.

Ich sah, wie sich die Lippen des Varganen bewegten und die Augen suchten, bis sie Kythara gefunden hatten. Es war nicht leicht zu erkennen, eher nur zu vermuten, denn sie waren immer noch schwarz in schwarz und erinnerten mich an alte Horrorbilder von »Untoten«.

Mit einem Auge blickte ich immer wieder zu den Anzeigen am Kopfteil des Tanks. So­weit ich daraus schlau wurde, befand sich Kalarthras in einem Zustand hochgradiger Erregung. Die Medo-Automatik führte ihm zwar beruhigende Mittel zu, doch die Wir­kung schien fast gleich null zu sein.

Die Automatik tat alles, um den körper­lich veränderten Varganen »stabil« zu hal­ten. Natürlich reichten ihre begrenzten Mög­lichkeiten nicht aus, um festzustellen, ob auch sein Geist von der Veränderung betrof­fen war – vielleicht von einer gezielten Ma­nipulation. Das konnte nur eine spezielle Untersuchung erweisen.

»Ich höre dich, Kalarthras!«, sagte Kytha­ra. »Du brauchst keine Angst zu haben. Al­les wird gut.«

Er schloss die Augen. Ich befürchtete, dass er wieder in seinen ohnmachtähnlichen Zustand abgleiten würde. Kythara warf mir einen verzweifelten Blick zu. Sie fuhr mit den Handflächen über die transparente Hau­be des Tanks.

»Lass ihm Zeit, Kythara.« »Zeit!«, rief sie aus. »Wir haben keine

Zeit, Atlan!« Er schlug wieder die Augen auf. Sein Zustand verbesserte sich, wenn ich

19 Im Zeichen des Bösen

den Anzeigen glauben durfte. Sein Herz­schlag verlangsamte sich, die Atmung wurde flacher.

»Kythara«, sagten seine farblosen Lippen. »Ich … Du musst …«

»Sprich langsam, Kalarthras!«, rief sie. »Du bist noch schwach.«

»Du musst … wissen …« »Was, Kalarthras?« Wieder sah sie mich

verzweifelt an. »Was muss ich wissen?« »Wo … sind wir?«, röchelte seine Stim­

me. »In Dwingeloo, meinst du das?« »Dwingeloo?« »Gantatryn!« Seine eingefallenen Wangen zuckten.

Wieder schloss er kurz die Augen. Als er sie dann öffnete, schien ein unheimliches Feuer in ihnen zu glühen.

»Wir müssen ihn untersuchen«, sagte ich. Sie winkte ab, und der Vargane sprach

weiter. »Gantatryn.« Die Stimme klang fe­ster. Zum ersten Mal bewegten sich seine Hände, die Arme. »Dann … ist es wahr.«

»Was, Kalarthras?« »Du musst … mich anhören. Du und dein

Freund.« Ich spürte, dass er mich ansah. »Ihr seid in großer Gefahr. Aber dazu musst ihr wissen, wie alles begann.«

Er sprach flüssiger und eindringlicher. Dennoch hatte ich den Eindruck, dass er nicht nur sprachlich gehandicapt war, son­dern umständlich nach den Worten suchen musste.

Kythara nickte. Ich sah ihr an, wie gern sie ihn berührt hätte, seine inzwischen unru­hig gestikulierenden Hände. Es war sinnlos, an ihre Vernunft zu appellieren.

»Ja, Kalarthras«, sagte sie. »Ich höre. Aber du darfst dich nicht anstrengen. Es wird alles gut. Wir haben viel Zeit.«

Der Vargane brachte es fertig, den Kopf leicht zu schütteln. »Nein, Kythara. Die habt ihr nicht. Wir … Hör zu, solange ich noch reden kann … solange ich mich erinnern kann …«

Und dann begann er zu erzählen; stockend zunächst, dann immer flüssiger, als seien tief

in ihm Dämme gebrochen, hinter denen sich eine gewaltige Flutwelle aufgestaut hatte.

Wir hörten zu, und eine längst vergessene Vergangenheit wurde für uns – vor allem für Kythara, denn sie kannte sie, sie spielte dar­in bereits eine Rolle – lebendig, faszinierend zunächst, aber das sollte sich sehr schnell ändern.

Ahnte, wusste Kythara etwas? Sie hatte sich merkwürdig versteift. Ich kannte diese Haltung und die Miene, die sie aufgesetzt hatte. Sie hatte sich einen schützenden Pan­zer übergestreift, und etwas sagte mir, dass sie das, was sie vielleicht hören würde, nicht unbedingt hören wollte …

5. Kalarthras

Sechstausend Jahre waren vergangen, seitdem sein Volk aus dem Universum, das es als »Mikrokosmos« bezeichnet hatte, ins Standarduniversum und in die Milchstraße übergewechselt war. Sechstausend Jahre, in denen es sein Reich in der Galaxis errichtete und einen kulturellen und technologischen Höhepunkt erreichte. Es war die dominie­rende Spezies in der Sterneninsel. Viele tau­send Planeten waren kolonisiert und zu tech­nischen Paradiesen geformt worden, auf de­nen stolze Raumschiffe starteten und lande­ten. Viele von ihnen brachen zu immer neu-en Ufern auf, um den Samen des Volks zu noch ferneren Sternen zu tragen. Es war eine Zeit der Blüte – aber das war die Sonnensei­te.

Es gab auch die andere, die dunkle Seite. Und sie warf überall ihre düsteren Schatten.

Kalarthras war einer der Leiter des groß angelegten »Projekts Kyrlan«, mit dem im intergalaktischen Leerraum rings um die Milchstraße einmal in großem Maßstab die Kosmischen Kräfte angezapft werden soll­ten, um den Varganen eine neue, schier un­erschöpfliche Energiequelle zu erschließen.

Fünf gewaltige Psi-Stationen befanden sich bereits im Bau, in denen die gewonnene Energie gespeichert und aufbereitet werden

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sollte; ein in der Geschichte beispielloses Projekt, um den Bestand des Reiches für alle Ewigkeit zu gewährleisten.

Damals ahnten nur wenige, dass diese »Ewigkeit«, wie das Sternenreich selbst, be­reits den Keim ihres Endes in sich trug. Es war wie ein letztes Aufbäumen vor dem Zu­sammenbruch, aber das wollte die Mehrheit der Varganen nicht verstehen – obwohl sie hätten gewarnt sein sollen, denn sie hatten schon einmal einen hohen Preis bezahlt.

Bei dem Wechsel aus dem Mikrokosmos in die Milchstraße hatten sie zwar die Un­sterblichkeit erlangt, waren dafür allerdings untereinander nicht mehr fortpflanzungsfä­hig. Die darin liegende Gefahr sahen sie in ihrem Hochgefühl nicht. Doch schon damals hatte ihr prächtiges Reich von innen heraus zu faulen begonnen – schleichend, unsicht­bar, aber stetig und gnadenlos.

Und nun, auf dem vermeintlichen Weg zu neuen Höhepunkten, zeigten sich die ersten Risse. Doch auch sie konnte nur sehen, wer sehen wollte.

Kalarthras gehörte nicht dazu. Es war im dritten Jahr nach dem Beginn

von Projekt Kyrlan, als der Vargane, ein stolzer, kräftiger und überall umschwärmter, bewunderter Wissenschaftler, aus dem Leer­raum in die Galaxis heimkehrte, zu dem Pla­neten Vahasonn, in die Sternenstadt SAGA­DAAR, zu einem Anwesen, um das er in höchsten Kreisen beneidet wurde – und zu einer Gefährtin von atemberaubender Schönheit, die er liebte und vergötterte wie noch nie eine Frau zuvor.

Er fand Sharaya tot im riesigen, luxuriö­sen Pool ihrer Villa. Ihre Leiche trieb auf der Wasseroberfläche, aufgedunsen und fleckig.

Neben dem Pool fand er ihren Abschieds­brief. Ihre letzten Worte waren mit der Hand auf Folie geschrieben und an ihn gerichtet.

Erschüttert und noch weit davon entfernt zu begreifen, was eigentlich geschehen war, las er mit zitternden Fingern:

»Geliebter, wenn du diese Zeilen liest, habe ich diese Welt verlassen, die für mich

Horst Hoffmann

schon längst jeden Reiz verloren hat. Das liegt nicht an dir, du darfst dir keine Vor­würfe machen. Du hast mir alles gegeben, was ein Mann einer Frau geben kann – aber das war nicht genug.

Was du mir nicht geben konntest, war Le­ben. Wir sehen uns als die Krone der Schöp­fung, aber wir haben vergessen, was das ist. Es ist der Überfluss, der uns krank macht. Siehst du es nicht? Schau dich um. Oder bist du etwa glücklich?

Ein Kind, Liebster, hätte mich vielleicht retten können, aber es gibt keine Kinder mehr für uns. Es ist die Einsamkeit, die ich nicht mehr ertrage.

Ich bin nicht so stark wie du, Kalarthras. Ich weiß nicht, wohin ich gehe, aber ich werde dich auch dort lieben.

Bitte vergib mir. Sharaya.« Für Stunden wanderte Kalarthras benom­

men durch sein Haus und die Parkanlagen. Er konnte es einfach nicht glauben. Er hatte Sharaya als lebenslustige junge Frau in Erin­nerung. Jeden Gedanken an Selbstmord hät­te er als lächerlich abgetan. Und doch war es geschehen.

Der Wissenschaftler stand tagelang unter Schock. Er sprach mit niemandem, empfing niemanden und nahm auch keine Anrufe entgegen. Er war wie paralysiert und suchte vergeblich nach einem Hinweis darauf, dass Sharaya wenigstens die Droge benutzt hatte – das Kyrachtyl, das ihr einen sanften Tod gewährleistet hätte; die gezielte Loslösung des Bewusstseins von der Hülle, die Freiset­zung ins Kyriliane, das Ganze, das Alles-was-ist.

Hätte sie das getan, so wie in letzter Zeit alarmierend viele andere Varganen, dann wäre sie ihm noch nicht ganz verloren gewe­sen. Sie hätten sich wieder begegnen kön­nen, später, irgendwann wenn auch sein Le­ben beendet wäre.

Aber sie hatte die Droge nicht genommen. Nichts sprach dafür. Sharaya musste so ver­zweifelt gewesen sein, dass sie ein endgülti­ges Ende gesucht hatte. Ihre letzten Worte waren eine gnädige Lüge, die ihn trösten

21 Im Zeichen des Bösen

sollte. Nein, sie würden sich nicht wieder begegnen, in keinem Kyriliane, nirgendwo.

Als der Schock überwunden war, verstän­digte Kalarthras die Behörden und ließ ihren aufgequollenen Leichnam abholen. Er wur­de nicht konserviert wie die Körper der an­deren Toten, die freiwillig ins Ganze einge­gangen waren, sondern auf seinen Wunsch hin verbrannt. Er glaubte, sie hätte es so ge­wollt.

Kalarthras litt sehr unter dem Verlust. Er hatte sie sehr geliebt und sich eine Zukunft ohne sie nicht vorstellen können. Er ver­mochte es auch jetzt nicht. Er machte sich Vorwürfe und lebte weitere Wochen wie ein Eremit auf seinem Anwesen, aß kaum und nahm keinen Anteil an dem, was um ihn herum vorging. Es gab Stunden, in denen er selbst erwog, seinem sinnlos gewordenen Dasein ein Ende zu setzen.

Es gab viele Dinge, die er nicht mehr ver­stand. In dieser Zeit nahmen viele Varganen die Droge, weil sie glaubten, das Leben hät­te ihnen nichts mehr zu bieten. Sie hatten al­les erreicht, was ein unsterbliches Wesen nur erreichen konnte. Sie glaubten an einem Punkt angelangt zu sein, an dem keine Stei­gerung mehr möglich war. Es gab keine Herausforderungen mehr, die das Leben le­benswert machten. Tausende Varganen ver­fielen in extreme Zustände der Lethargie und Depression, und ein Ende zeichnete sich nicht ab. Ausgerechnet die Besten wählten den Weg ins Kyriliane in der Hoffnung, die Zukunft möge eine Erlösung bringen. Es war eine Entwicklung, die mit größter Sorge beobachtet wurde, denn im Endeffekt konnte sie das Ende des varganischen Reiches, so­gar der gesamten Spezies bedeuten.

Doch Kalarthras wollte davon nichts wis­sen. Er bäumte sich auf. Was geschehen war, war furchtbar und tragisch, aber Shara­ya hätte sich alles gewünscht – nur nicht, dass er jetzt auch aufgab. Er redete sich ein, dass er es ihr schuldig war, weiterzumachen, und stürzte sich wieder in seine Arbeit am Projekt Kyrlan. Ihn erfüllte seine Aufgabe. Sie würde ihm Trost schenken – und viel­

leicht gnädiges Vergessen. Kalarthras kehrte in den Leerraum zurück,

zu seiner Station, und übernahm wieder die Leitung der Arbeiten. Einer seiner fähigsten Mitarbeiter war Kythara, eine junge, hoff­nungsvolle und attraktive Varganin, die ihm bereits mehrfach aufgefallen war – nur nie­mals als Frau.

Das sollte sich schon bald grundlegend ändern.

*

Drei Jahre nach seiner Rückkehr und dem tragischen Verlust waren Kalarthras und Ky­thara ein Paar. Sie hatten nicht leicht zuein­ander gefunden. Kalarthras machte sich lan­ge Zeit Vorwürfe wegen Sharaya. Er hatte sich nach ihrem Tod geschworen, sich keine andere Frau mehr zu nehmen, und glaubte, er würde ihr Andenken beschmutzen, wenn er es täte. Doch auch nun siegte der Mut zum Weitermachen in diesem Widerstreit seiner Gefühle. Kythara drängte ihn nicht. Sie erwiderte seine Zuneigung, wartete aber, bis er von sich aus zu ihr kam.

Nun konnte er sich ein Leben ohne sie nicht mehr vorstellen. Sie versprühte Opti­mismus und Tatkraft. Sie war seine Muse, sein Licht und der Ansporn zu immer neuen Leistungen.

Die Jahrzehnte vergingen und wurden zu Jahrhunderten. Die Psi-Station näherte sich ihrer Vollendung, aber es gab immer noch viel Arbeit. Die ersten Probeläufe verliefen ohne größere Probleme oder Rückschläge. Erst als sich gleich zwei seiner Mitarbeiter gleichzeitig das Leben nahmen, verfiel Ka­larthras kurzzeitig wieder ins Grübeln. Nur Kythara war es zu verdanken, dass er schnell wieder zu sich fand und sich noch tiefer in die Arbeit kniete.

Doch wieder waren es zwei der Besten gewesen, die von ihm gegangen waren. Zwei, von denen er es am wenigsten erwar­tet hätte – genau wie bei Sharaya.

Und aus der Milchstraße kamen schon lange keine guten Nachrichten mehr.

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Es war, als hätte eine kollektive Krankheit das Volk der Varganen befallen, eine Seu­che, die sie einen nach dem andern hinweg­raffte. Und für jeden, der ins Kyriliane ging, rückte kein neues Wesen nach, denn es gab keine Geburten mehr.

Kalarthras und Kythara verschanzten sich in ihrer Station. Sie war nun ihre Festung, doch deren stählerne Mauern hielten die Pest nicht ab, wie die beiden Selbstmorde gezeigt hatten.

Kalarthras nahm nur noch wenig Anteil an den Geschehnissen in der Galaxis. Doch er war keine Insel. Er bekam zwangsläufig mit, dass sich bald eine Mehrheit der Varga­nen dafür stark machte, in den Mikrokosmos zurückzukehren. Als sie diese Absicht dann tatsächlich verwirklichten, blieben nur eini­ge tausend Varganen im Makrokosmos, wo sie, mehr noch als zuvor, ihre eigenen Wege gingen. Das große Volk zerstreute sich zuse­hends. Das Reich war nur noch eine Fiktion. Kalarthras und seine Geliebte Kythara mus­sten tatenlos mit ansehen, wie die Rebellen sich zwischen den Sternen verstreuten. Sie waren an einem Fortbestand des Reiches nicht mehr interessiert, und es kam, wie es kommen musste. Der jahrhundertelange Niedergang endete damit, dass das Sternen­reich der Varganen in der Milchstraße voll­ständig verschwand. Die prächtigen Sternen­städte verwaisten, und vormalige Stützpunk­te wurden zu Versunkenen Welten.

Für Kalarthras war die Arbeit wie eine Droge. Er lebte wie in einem Rausch und merkte dabei nicht, wie er sich allmählich von Kythara entfernte. Beide entfremdeten sich gegenseitig. Es kam immer häufiger zu Differenzen zwischen dem Projektleiter und der jungen Wissenschaftlerin über die Rich­tung, in der das Projekt vorangetrieben wer­den sollte, die schließlich dazu führten, dass Kythara mehr oder weniger freiwillig ihren Abschied nahm. Sie ging ohne ein böses Wort.

Zurück blieb eine Leere, eine Lücke, die ihm selbst die Arbeit nicht stopfen konnte. Kalarthras war nahe an der Grenze zur Be-

Horst Hoffmann

sessenheit, nahe daran, seinen Verstand zu verlieren. Er wagte nicht daran zu denken, was werden würde, wenn das Projekt Kyrlan vollendet war – und bis dahin konnte es nicht mehr lange dauern.

Also begann er, von neuen Herausforde­rungen zu träumen. Er sah sich in fremden Galaxien, wo es Neues zu erforschen und Neuland zu erobern galt. Er träumte in den Tag hinein und verschloss sich zunehmend, während in der Milchstraße einige der weni­gen ebenfalls noch aktiven Varganen damit begannen, die prächtige Sternenstadt VAR­XODON für die Zukunft auszubauen. Sie ergänzten sie im Lauf der Jahre um den Ring und schufen ein politisches und kulturelles, wirtschaftliches und wissenschaftliches Zen­trum für die Unverzagten, die aktiv, neugie­rig und tatendurstig genug geblieben waren.

Doch weil deren Zahl begrenzt war und mit der Zeit durch freiwilligen oder durch Fremdeinwirkung herbeigeführten Tod ebenfalls nur abnahm, übten diese letzten der Varganen eher eine Herrschaft aus dem Hintergrund aus. Viele von ihnen verließen VARXODON und die Milchstraße und taten das, wovon Kalarthras ebenfalls träumte: Sie begaben sich auf ausgedehnte Reisen hinaus ins Universum oder forschten mehr oder we­niger eigenbrötlerisch. Dennoch kam es im Lauf der Jahre auch unter ihnen zu weiteren Selbstmorden. Die, für die das Universum seine Herausforderungen verloren hatte, nahmen die Droge und ließen ihre Körper nach den traditionellen Methoden konservie­ren.

Und je mehr die Varganen sich zurückzo­gen, desto stärker traten die von ihnen nach ihrem Vorbild geschaffenen Androiden in den Vordergrund. Ihre große Zeit begann, sie schienen die Nachfolge des einst so großen und stolzen Volkes antreten zu wol­len. Zeitweise wurde allein VARXODON von vielen hundert Millionen der Kunstge­schöpfe bewohnt, die den wenigen noch ver­bliebenen Unsterblichen als Diener, Helfer und Sklaven dienten. Es war jedoch schon abzusehen, dass auch ihre Zeit nur begrenzt

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war. Sie würden in den kommenden Jahr­zehntausenden, lange bevor ein neues Ster­nenvolk, die Lemurer, seinen Aufstieg be­gann, nach und nach aussterben, weil sie, ohne jemandem nützlich zu sein, ein sinnlo­ses Dasein fristeten.

Etliche der letzten Varganen würden sich ebenfalls, wie schon so viele vor ihnen, in den Tiefschlaf begeben, um so die Jahrtau­sende zu überbrücken. Andere begannen be­reits jetzt, mit sich selbst zu experimentie­ren, und versuchten, hinter das Geheimnis der Unsterblichkeit in Verbindung mit der Unfruchtbarkeit zu kommen. Genetische Versuche hatten ebenso stattgefunden wie solche, die mit der Trennung von Körper und Bewusstsein zusammenhingen. Manche Varganen verschmolzen freiwillig zu abstru­sen Gemeinschaftswesen, andere konzen­trierten sich auf die Produktion von neuen Androiden, die nur zum Teil noch humanoi­de Form erhielten.

Kalarthras verfolgte all dies aus der Di­stanz, während er weitere Jahrhunderte in seiner Station arbeitete und sich Märchen­schlösser aufbaute, die in fremden Welt­raumtiefen lagen. Immer mehr wuchs in ihm der Drang, ins unendliche All hinauszuzie­hen und neue Wunder, neue Herausforde­rungen zu erleben. Er wollte fort – nur fort von dem, was er in der Milchstraße beob­achten musste und was ihm so vollkommen falsch erschien.

Voller Faszination verfolgte er dagegen, wie der Vargane Wothanasor mit dreißig Raumschiffen ins Unbekannte startete. Er bewunderte ihn und seine Männer und Frau-en, die den gleichen Traum wie er träumten, und fiel in ein tiefes Loch, als die Expediti­on fort war.

Er konnte es nicht erwarten, ihnen zu fol­gen. Er wusste auch bereits, wohin. Doch noch war er an seine Arbeit gefesselt. Plötz­lich wünschte er, dass sie, die ihn all die Jahrhunderte aufrechterhalten hatte, endlich vollendet war, und begann die Jahre, dann die Tage zu zählen, bis er endlich frei war.

Als der Tag kam, an dem die Psi-Station

ihre Arbeit aufnahm und ihn nicht mehr brauchte, hatte er seine Pläne geschmiedet. Er hatte Kontakt mit Männern und Frauen aufgenommen, die er für geeignet hielt, ihn auf seiner langen Reise zu begleiten. Er wusste genau, wie viel und welche Schiffe er benötigte, und er kannte sein Ziel.

Zwei Jahre brauchte er dazu, seine Expe­dition zusammenzustellen. Dann waren – wie bei seinem großen Vorbild Wothanasor – dreißig Oktaederschiffe bereit, die Milch­straße zu verlassen und zur über sechzehn Millionen Lichtjahre entfernten Galaxis Gantatryn zu fliegen. Dort wollte er ein neu-es Reich errichten, während andere Varga­nen, die noch so dachten und fühlten wie er, zu neuen Sterneninseln aufbrachen. Ja, es gab sie noch. Und ihnen allen gemein war der Traum, den Glanz und die Glorie des großen Sternenreichs der Varganen ins Uni­versum hinauszutragen und dort, in fernen Galaxien, neu aufleben zu lassen.

Mit Kythara war er in dieser Zeit noch zweimal zusammengetroffen. Sie waren als Freunde voneinander geschieden, und Freunde blieben sie. Sie verlebten nochmals herrliche Stunden der Leidenschaft, doch daran dachte er nicht, als der Augenblick des Aufbruchs gekommen war.

In seinem Kopf war nur Platz für Fragen, was er in Gantatryn finden würde. Welche Hindernisse sich ihm in den Weg stellten, welche neuen Völker er antreffen würde.

Obwohl er nächtelang über alle mögli­chen und unmöglichen Gefahren grübelte, besaß er nicht den Hauch einer Vorstellung, was auf ihn und seine Leute lauerte.

Vielleicht hätte er seinen Entschluss sonst noch rückgängig gemacht und sich ebenfalls zu den Tiefschläfern gelegt, um auf eine neue, bessere Zukunft zu warten …

6. Atlan

»Bitte«, sagte Kythara mit erstickter Stim­me, »bitte hör auf zu sprechen, Kalarthras. Du brauchst Ruhe.«

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»Aber es gibt noch so viel zu sagen!« Der graue Körper des Varganen bäumte sich wie unter einem Stromschlag auf. »Was ich be­richtet habe, war erst der Anfang! Du … Ihr wisst es noch nicht! Ihr wisst noch gar nichts! Das Böse … das unglaublich Böse …«

»Später, Kalarthras«, sagte Kythara. »Du sagst es uns später! Oder willst du dich un­bedingt umbringen?«

»Nein«, flüsterte die Stimme aus dem Akustikfeld, die zuletzt immer wieder ge­stockt hatte und teilweise unverständlich ge­worden war. Kalarthras musste sich scho­nen. Ich wusste nicht, was noch alles aus ihm herausdrängte. Aber wenn er sich weiter quälte, würde er uns gar nichts mehr sagen können.

»Nein«, gurgelte der Vargane. »Aber es … Ihr müsst wissen, was …«

Seine Stimme versagte endgültig. Kythara fuhr sich über die Augen. Dann sah sie mich an. Sie hatte mit ihrem einstigen Gefährten gelitten. Auch sie war erschöpft.

»Kalarthras muss ein paar Stunden ausru­hen!«, befahl ich daher mit fester Stimme. »Hast du mich verstanden?«

Die Medo-Automatik bestätigte. Kalar­thras sah mich an – ich konnte es nur fühlen, nicht sehen –, und schien noch einmal prote­stieren zu wollen. Sein geschwächter und veränderter Körper bäumte sich ein letztes Mal auf.

Dann lag er still. Die Automatik hatte meinen Befehl unverzüglich befolgt. Der Vargane schlief.

Ich sah, dass Kythara zitterte. Kalarthras' Bericht, auch wenn er am Ende nur noch Wortfetzen hervorbringen konnte, war in meinen Augen nicht so dramatisch gewesen, um sie dermaßen zu erschüttern – bei allem, was möglicherweise noch folgen würde. Es musste also noch etwas mehr dahinter stecken. – Was?

Ich trat zu ihr, griff nach ihrer Hand und führte sie zu einer Sitzgruppe. Dann besorg­te ich zwei große Gläser Wasser. Erst als ich ihr gegenübersaß, hob sie den Kopf und sah

Horst Hoffmann

mich an. Ihre Augen schimmerten geheim­nisvoll.

Ich wartete. Sie sollte sich nicht gedrängt fühlen, mir ihre verborgenen Gedanken an­zuvertrauen. Doch sie war eine starke Frau. Wenn etwas sie so aus der Fassung brachte, musste es etwas sein, was uns alle betraf.

Wusste sie, wovon Kalarthras noch nicht gesprochen hatte – aber das er uns unbedingt mitteilen wollte? Was in dieser unfreundli­chen Galaxis auf uns lauerte, von den Lord­richtern und ihren Truppen einmal abgese­hen?

»Atlan«, sagte sie endlich. Sie atmete tief. »Es ist … Wir haben uns geliebt, Kalarthras und ich. Unser Verhältnis war immer …«

»Du musst es mir nicht erklären«, sagte ich.

»Ich will es aber! Wir waren Freunde, manchmal wie Bruder und Schwester, und plötzlich fielen wir in einem Beiboothangar übereinander her wie ein frisch verliebtes Paar. Wir haben nichts ausgelassen, alle Ex­treme ausgelebt. Verstehst du das? Trotzdem sind wir immer Freunde geblieben, bei allen Meinungsverschiedenheiten. Das war uns das Wichtigste.«

»In jeder Beziehung gibt es dann und wann Differenzen«, sagte ich lahm, nur um überhaupt etwas zu sagen.

Sie lachte unsicher und wischte sich er­neut über die Augen. »Atlan, ich habe ihn im Stich gelassen, als ich fortging. Du hast es selbst gehört.«

»Er hat kein schlechtes Wort über dich gesagt. Kein einziges.«

»Weil er mich nicht verletzen will – aber ich habe ihn verletzt. Wenn ich nicht gegan­gen wäre, wäre er vielleicht in der Milch­straße geblieben und wäre nicht … dem Grauen begegnet.«

»Du weißt also etwas darüber?«, fragte ich.

Sie schüttelte langsam den Kopf und wich meinem Blick aus. »Nichts Genaues, Atlan. Unsere Wege kreuzten sich im Laufe der Zeit … der Jahrzehntausende … immer wie­der, bevor ich ihn vor 50.000 Jahren das

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letzte Mal sah. Schon damals war er nicht mehr der Mann, den ich einmal gekannt hat­te. Er sprach nie darüber, doch er musste Furchtbares erlebt haben.« Sie sah mir wie­der in die Augen. »Hier, Atlan, hier in Dwingeloo. Etwas ist hier, vor dem er un­glaubliche Angst hat. Etwas so Schreckli­ches, dass er nicht mit mir darüber sprechen konnte. – Damals nicht, und heute …«, sie blickte zu dem Tank hinüber, »… heute, da es für uns wichtig ist, kommt er vielleicht nicht mehr dazu.«

»Er wird es uns sagen, Kythara. Wenn er Zeit gehabt hat, wieder Kräfte zu sammeln.«

Sehr überzeugend musste das wohl nicht geklungen haben. Ich merkte es, und sie merkte es. Sie verdrehte die Augen und stieß eine Verwünschung aus.

»Es ist wegen der Lücken in seinem Be­richt«, meinte ich. »Die langen Pausen, sind sie dir nicht auch aufgefallen?«

»Natürlich.« »Es war, als ob er vorübergehend die Er­

innerung verlöre und erst wieder mühsam danach suchen musste. Etwas hat ihn kör­perlich verändert, Kythara. Wer sagt uns, dass nicht auch sein Geist manipuliert wur­de? Seine Erinnerungen?«

Sie antwortete nicht. Ich seufzte und zuckte die Achseln. »Was

ist, wenn seine Erinnerungen falsch sind? Ganz oder nur teilweise? Wenn er uns vor einer Gefahr warnen will, die es so gar nicht gibt? Die entweder gar nicht vorhanden ist oder – anders?«

»Es gibt sie«, sagte sie düster. »Er hat mir davon erzählt, nur eben nie etwas Konkretes. Ich weiß nur, dass es in Dwingeloo etwas gibt, was wir wahrscheinlich mehr fürchten müssen als die Lordrichter und alle Garbyor zusammen. Ein furchtbares, dunkles Ge­heimnis.«

Ich stand auf und nickte. »Dann müssen wir dieses Geheimnis ergründen. Ich hoffe auf Kalarthras, aber zur Vorsicht sollten wir ihn dennoch untersuchen lassen.«

»Das hat die Automatik getan.« »Seinen Körper, ja. Aber ich rede vom

Geist.« »Du glaubst wirklich, er ist verrückt?« »Das würde ich niemals behaupten. Alles,

was ich will, ist Gewissheit, was wir von seiner Geschichte zu halten haben.«

»Also gut«, sagte sie. »Ich stimme zu. Wir haben zwar keinen Psychologen an Bord, aber dafür ein Programm, mit dem die Medo-Automatik arbeiten kann. Ich werde ihr sagen, worauf es uns ankommt.«

»Fein«, sagte ich. Aber ich wünschte mir, es hätte überzeugter geklungen.

»Ich mache das«, erklärte sie. »Für die nächste Stunde werde ich noch hier sein. Geh allein zu Gorgh in die Zentrale zurück, er wird schon warten. Und vielleicht gibt es Neuigkeiten.« Sie lachte trocken. »Obwohl ich es nicht hoffe.«

»Natürlich, Kythara. Ich warte, bis du in der Zentrale bist. Dann setzen wir Kurs auf den rätselhaften Stern.« Ich zögerte. »Der Wechsel der Varganen aus dem Mikro- in unseren Makrokosmos erfolgte vor rund 810.000 Jahren. Das ist also der Zeitrahmen, in dem wir rechnen müssen. Vor 750.000 Jahren flog Kalarthras mit seiner Flotte nach Dwingeloo.«

»Wieso ist das wichtig?« »Ich überlege nur, wie viel in dieser lan­

gen Zeit wohl geschehen sein mochte.« Und, dachte ich, wie lange du bereits ge­

lebt hast, Kythara. Was waren meine zwölftausend Jahre da­

gegen? Im Vergleich zu ihr war ich ein Jüngling, ein Kind. Dennoch war sie jünger als ich – rein biologisch gesehen.

*

Nach etwas mehr als einer Stunde kam Kythara in die Zentrale. Ich hatte mir in der Zwischenzeit meine Gedanken über das ge­macht, was Kalarthras von sich gegeben hat­te – vor allem das, was die alten Varganen anging. Einiges konnte ich aus eigener Er­fahrung bestätigen. Die genetischen Versu­che, die er erwähnt hatte, aber auch andere waren mir zum Beispiel nicht fremd. Ich

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hatte in meiner Jugend mehrere bemerkens­werte solcher Versuche erlebt, die die Var­ganen quasi mit sich selbst angestellt hatten.

Mein fotografisches Gedächtnis lieferte Bilder und Daten: Auf einer Welt des Drei­ßig-Planeten-Walls bezeichnete sich der Zeitwächter Ngulh als »Verschmelzung von Varganenbewusstsein mit einem elektroni­schen Trägerkörper«. Er sollte später als Neg Gulucch auf Miracle noch eine wichtige Rolle spielen. Oder das Zentralorgan des so genannten Quaddin-Körpers, entstanden aus varganischen Wissenschaftlern, die vor lan­ger Zeit eine Symbiose mit Tieren und ganz speziellen Pflanzen eingegangen waren, um ihr Bewusstsein zu erweitern und noch un­glaublichere Dinge zu erschaffen, als sie oh­nehin schon zuwege gebracht hatten.

Mir fielen noch weitere Beispiele ein, die Kalarthras' Schilderungen stützten. Insofern gab es noch keinen Grund, an der Echtheit seiner Erinnerungen zu zweifeln.

Dennoch wartete ich mit Spannung auf das, was Kythara uns sagen würde.

Auf meinen fragenden Blick hin schüttel­te sie den Kopf.

»Nichts, was wir nicht schon gewusst oder vermutet hätten, Atlan. Die Automatik hat alles aufgezeichnet, was Kalarthras von sich gegeben hat, seitdem er zum ersten Mal meinen Namen schrie. Sie kann auch nur be­stätigen, dass er gewisse Probleme mit sei­nem Erinnerungsvermögen hat. Aber das rührte vermutlich von seiner allgemeinen Schwächung her. Außerdem hatte er sich lange im Tiefschlaf befunden. Keiner von uns weiß, wie lange.«

»Kein Manipulationsverdacht?« »Vielleicht doch«, wand sie sich. »Es gibt

eine Wahrscheinlichkeit von 37 Prozent da­für, aber das ist mir erstens zu wenig, und zweitens hat die Automatik nur ein Pro­gramm befolgt. Sie kann weder einen Men­schen noch einen Varganen analysieren. Da­zu bräuchtest du wirklich einen Psycholo­gen.«

Ich nickte und verzichtete auf weitere Fra­gen. Kythara stemmte sich einfach gegen die

Horst Hoffmann

Vorstellung, Kalarthras könne nicht mehr ganz er selbst sein. Es hatte keinen Sinn, da weiter zu bohren – vorerst.

»Also gut«, sagte ich also. »Dann schlage ich vor, wir beenden die Überlichtetappe und ändern unseren Kurs. Wenn wir den Garbyor jetzt nicht entkommen sind, dann nie mehr.«

»Wir müssten dann schon in die kleine Nachbargalaxis Dwingeloo 2 fliegen«, meinte Gorgh. »Sie ist nur wenige zehntau­send Lichtjahre entfernt.« Ich wertete das als Zustimmung.

Wenige Minuten später erfolgte der Rück­sturz in den Normalraum. Die Sterne der Balkenspirale erschienen wieder in den Ho-los. Ich wartete gespannt auf Ortungen. Erst nachdem fünfzehn Minuten vergangen war, ohne dass etwas geschah, wagte ich zu glau­ben, dass wir die Garbyor tatsächlich abge­schüttelt hatten. Sie konnten schließlich nicht ganz Dwingeloo überwachen.

Wir änderten den Kurs, warteten aber noch mit der nächsten Hyperetappe, die uns bis auf halbe Distanz an den Hyperstrahler heranbringen sollte, immerhin eine Strecke von rund viereinhalbtausend Lichtjahren. Allerdings erfüllte sich die Hoffnung nicht, dass wir neue, relevante Daten sammeln konnten, die vielleicht etwas Licht in das Dunkel dieser Galaxis bringen würden. Die Informationen rein astronomischer Natur wanderten in die Speicher der Positronik und wurden ausgewertet. So erhielten wir wenigstens ein erstes, genaueres Bild unse­rer stellaren Umgebung.

Nach fast vier Stunden nahm die AMEN­SOON wieder Fahrt auf. Die meisten Schä­den aus der Schlacht waren inzwischen be­hoben, und von der Medo-Station kam die Meldung, dass Kalarthras aus seinem Heil­schlaf geweckt worden sei. Die Automatik war wenigstens gewissenhaft.

Kythara und ich machten uns auf den Weg, um den nächsten Teil seiner Geschich­te zu hören.

7.

27 Im Zeichen des Bösen

Kalarthras

Die Tragödie nahm ihren Anfang, als Ma­rangortas, der Erste Offizier, am zweiten Flugtag tot in seiner Kabine aufgefunden wurde. Da es keinerlei Anzeichen für Ge­walteinwirkung gab, kam man zu dem Schluss, dass er sich selbst getötet hatte. Es sprach vieles dagegen: Marangortas war wie alle anderen, die sich Kalarthras angeschlos­sen hatten, ein ungebrochener, tatkräftiger Vargane gewesen. In seinem Blut konnte kein Rückstand der Droge nachgewiesen werden, und er hinterließ keinen Abschieds­brief. Kalarthras war erschüttert, fand jedoch keine andere Erklärung als Selbstmord und veranlasste eine Weltraumbestattung des Kameraden mit allen Ehren, die einem Offi­zier gebühren.

Die nächsten Tage verliefen ereignislos, was die Hoffnung aufrechterhielt, man habe es mit einem tragischen Einzelfall zu tun.

Kalarthras' Flotte bestand aus fünf Groß­raumern mit Kantenlängen von rund 1300 Metern und einer Höhe von 1840 Metern. Sein Flaggschiff war die TARVAN.

Ebenfalls fünf Schlachtschiffe besaßen 890 Meter Kantenlänge und 1260 Meter Hö­he. Die restlichen zwanzig Einheiten waren Standardraumer von 600 Metern Kantenlän­ge und 848 Metern Höhe.

Insgesamt nahmen – ursprünglich – 74 Varganen an der Expedition teil. Natürlich war Kalarthras der Expeditionsleiter. Der Flottenkommandeur hieß Veschnaron, der Chefwissenschaftler Haitogallakin. Ihn kannte Kalarthras von allen am längsten, seit mehreren hundert Jahren, und ihm gehörte sein ganzes Vertrauen. Haitogallakin war seine rechte Hand, zwischen ihnen gab es keine Geheimnisse.

Weitere Stützen der Flotte waren Mantro­nianex, Pertrog, Monaidro und die Frauen Haischar, Jertara und Naikodar. Marangortas hatte ebenfalls dazugehört.

Nach fünf Monaten erreichten sie Ganta­tryn. In dieser Zeit starben zwei Männer und eine Frau auf ebenso rätselhafte Weise wie

der Erste Offizier. Also waren es noch sieb­zig Varganen, die erlebten, wie die Flotte in die Ausläufer der Balkenspirale hineinflog. Sie sammelten die ersten Daten, nahmen Analysen vor und stellten Spekulationen an.

Die Ersten von ihnen begannen von einem Fluch zu reden, der auf der Expedition laste­te – hinter vorgehaltener Hand, denn Kalar­thras wollte von negativen Stimmungen nichts wissen. Er verschloss die Augen vor allem, was dazu angetan sein könnte, ihn am Erreichen seines hoch gesteckten Ziels zu hindern.

Bis sie ins Sternenmeer der kleinen Gala­xis eintauchten.

Plötzlich empfand er ein beklemmendes Gefühl, dass in Gantatryn etwas unglaublich Böses auf sie lauerte, ein schreckliches Ge­heimnis.

Fortan war er von dem Gedanken beses­sen, dieses Geheimnis zu lüften. Es sollte ihn nicht daran hindern, seine Absichten wahr zu machen und sich den Traum vom neuen Reich der Varganen zu erfüllen, die Vision von der Neugeburt seines Volkes, ei­nes stärkeren Volkes, durch die neuen Her­ausforderungen gestählt.

Welche Gefahr ihnen auch immer drohte, sie musste erkannt und ausgeschaltet wer­den. Bevor das nicht gelang, gab es keine Si­cherheit für die Varganen in Gantatryn.

Die kleine Flotte drang tiefer in die Gala­xis ein. Man ortete, lauschte, suchte nach Spuren von Leben. Erste Funksprüche wur­den aufgefangen und ausgewertet. Nach ei­nigen Wochen stand fest, dass offenbar nur wenige Völker die interstellare Raumfahrt beherrschten. Aber keines von ihnen war so bedeutend, dass es eine ernsthafte Konkur­renz für die Expansionsbestrebungen der Varganen darstellte.

In dieser Zeit starben drei weitere Expedi­tionsteilnehmer. Zum ersten Mal wurde von einer »Seuche« gesprochen. Garantomal, der Chefmediker, arbeitete rund um die Uhr, fand aber weder einen Erreger, noch war er im Stande, eine andere Erklärung für die mysteriösen Todesfälle zu liefern. An

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Selbstmord glaubte niemand mehr. Kalarthras überkam das deprimierende

Gefühl, dass ihm die Felle davonschwam­men. Dass es irgendetwas gab, was seine hochfliegenden Pläne und seinen Traum zer­stören wollte. Was sich ihm hier, fern der Heimat, entgegenstellte und ihn persönlich angriff; etwas, das nicht greifbar und nicht zu benennen war. Er spürte es umso mehr, je tiefer sie in Gantatryn eindrangen.

In diesen Tagen suchte er zunehmend das Gespräch mit Haischar, einer der 35 Varga­ninen der Expedition. Haischar war jung, schön und intelligent und sprühte vor Taten­drang. Manchmal glaubte Kalarthras, sich in ihr zu spiegeln. Und sie erinnerte ihn in vie­lerlei Hinsicht an Kythara, an die er immer noch denken musste. Sie war der Maßstab, den er an alle anderen Frauen anlegte.

Sie verbrachten immer mehr Zeit mitein­ander. Noch war der Expeditionsführer nicht so weit, sich wieder zu binden, aber die Paarbildung erfolgte schon überall auf den Schiffen, und es war nur eine Frage der Zeit, bis Haischar seine Gefährtin werden würde.

Nach weiteren Wochen glaubte Kalar­thras, die Quelle dessen, was ihn mit dunkler Angst erfüllte, erstmals eingrenzen zu kön­nen. Das, was an Bord seiner Schiffe von al­len nur als das »unglaublich Böse« empfun­den und bezeichnet wurde, hatte seinen Sitz im Zentrumssektor der Balkenspirale. Je nä­her sie kamen, desto sicherer wurde er. Es konnte keine Zukunft für ihn geben, bevor dieses »Böse« nicht eliminiert war.

Er fühlte sich persönlich herausgefordert. Es war eine Besessenheit, die mehr und mehr von ihm Besitz ergriff, als wäre sie selbst ein grässliches, tödliches Ungeheuer, das langsam und unsichtbar seine Klauen nach ihm ausstreckte. Er war bereit zu kämpfen.

*

Langsam, vorsichtig pirschten sich die Varganenschiffe an den Feind heran. Zwei weitere Frauen starben, und Garantomal ent-

Horst Hoffmann

wickelte eine Theorie. Ein Krankheitserre­ger war nicht zu ermitteln. Also sprach er plötzlich von einer Hyperpest, die jederzeit jeden treffen könne; und vom plötzlichen Tod.

Er war jedoch nicht in der Lage, diesen diffusen Verdacht zu konkretisieren.

Trotz der Todesfälle und parallel zu seiner Suche begann Kalarthras die Mission zu er­füllen, indem er Tausende von Aktivierungs­kapseln ausstreuen ließ.

Aktivierungskapseln waren aus vargani­scher Sicht unantastbar, heilig und durften vor ihrer endgültigen Bestimmung nicht be­rührt werden. In der Glanzzeit varganischer Expansion waren mit ihrer Hilfe ganze Son­nensysteme befruchtet worden. Sie enthiel­ten Konzentrate des Lebendigen, entweder in biochemisch reiner Form oder aber in der Gestalt von konservierten Embryonen. Bei­de Möglichkeiten standen Kalarthras zur Verfügung. Auf geeignete Planeten abgereg­net, analysierte der Programmteil der Kap­seln die genauen Bedingungen der Umwelt und passte das keimende Leben an diese op­timal an. Auf diese Weise würde Welt um Welt kolonisiert werden, ohne dass ein ein­ziges Raumschiff landen und Siedler abset­zen musste, die sich womöglich erst jahre­lang gegen eine feindliche Natur durchzuset­zen hatten.

Kalarthras spürte, dass er dem Bösen – der Macht, die sich hinter diesem finsteren Begriff verbarg – näher kam. Seine Beses­senheit wurde zur Manie, und er wehrte sich mit seiner ganzen Willenskraft gegen die all­mählich aufkommende Erkenntnis, dass er dem Geheimnis dieser Galaxis noch keinen Schritt näher gekommen war.

Die Stimmen unter seinen Leuten häuften sich, die eine Landung auf einer Welt ver­langten, die sie zu ihrer Basis in Gantatryn ausbauen wollten. Auch Haischar gehörte zu ihnen, doch mit keinem noch so überzeugen­den Argument kam sie zu Kalarthras durch. Der Expeditionsleiter war in seinem Wahn gefangen und längst von den anderen Varga­nen, die noch am Leben waren, isoliert.

29 Im Zeichen des Bösen

Und so kam es, wie es kommen musste. Die Meuterei überraschte ihn vollkom­

men. Veschnaron übernahm als Flottenkom­mandeur die Leitung der Expedition und ließ die dreißig Schiffe auf einem Planeten lan­den, den er Sagora getauft hatte; eine Sauer­stoffwelt mit großen Ozeanen, wenigen Kontinenten und urzeitlicher Flora und Fau­na. Sagora sollte der Ausgangspunkt der varganischen Ausbreitung über Gantatryn werden.

Während Kalarthras sich seinem Trotz und wuchernden Rachegelüsten hingab und ihm, was die Suche nach dem Bösen anging, die Hände gebunden waren, entstanden die ersten Städte. Er, der die Expedition initiiert hatte, war dazu verurteilt, zuzusehen, wie andere den Grundstein für die künftige Zivi­lisation in Gantatryn legten – während das Unheimliche irgendwo zwischen den Zen­trumssternen lauerte. Er spürte es, auch hier, und es war böse. Es lauerte im Dunkeln wie ein Raubtier, das auf den richtigen Augen­blick wartete, um seine Opfer anzuspringen.

»Es ist da!«, sagte er eines Tages zu Haischar, als sie ihn wieder in dem Haus be­suchte, das die Meuterer unter Veschnaron ihm zugewiesen hatten. Er war kein Gefan­gener. Er konnte tun und lassen, was er wollte – nur galt sein Wort nichts mehr. Er war zum Zaungast degradiert worden und litt darunter mehr, als ihm eine Gefangen­schaft hätte zusetzen können.

Allein Haischar kam regelmäßig und sprach mit ihm. »Es ist da, ich weiß es, und du weißt es. Die anderen wissen es auch, doch sie verschließen die Augen davor. Sie sind Narren! Ich hielt sie für die Elite unse­res Volks, für Kämpfer, Haischar! Und was tun sie? Sie verraten unseren Traum! Sie se­hen …«

Sie legte ihm sanft die Hand auf den Arm. »So darfst du nicht reden, Kalarthras. Sie se­hen die Gefahr sehr wohl, aber was nützt es, sich vor Angst aufzureiben? Der Unter­schied zwischen euch ist, dass Veschnaron diese Gefahr akzeptiert, sie als etwas hin­nimmt, was wir hier angetroffen haben, wie

widrige Bedingungen, gegen die wir uns durchzusetzen haben. Er wartet ab und ver­sucht, etwas aufzubauen, um sich ihr stellen zu können, wenn sie denn einmal akut wer­den wird. Du dagegen …«

»Wenn sie akut werden wird?«, schnappte er. »Haischar, sie ist akut! Ich kann keine Nacht schlafen! Denn wenn ich träume, träume ich von einer Schwärze noch tiefer als die des Alls, in die ich falle, die um mich herum wallt, die nach mir greift und mich ersticken will! Wenn sie akut wird!« Er lach­te trotzig. »Sie ist akut, weil sie da ist! Das Böse ist da, Haischar! Wie kann jemand ein Haus bauen, wenn eine Bombe über seinem Kopf hängt, die jeden Augenblick herabzu­fallen droht?«

»Du würdest sie vorher entschärfen«, ver­mutete sie.

»Natürlich!« »Veschnaron und die anderen haben be­

schlossen, das Böse zu ignorieren, solange es nicht gegen uns aktiv wird, und sich bis dahin so weit wie möglich zu rüsten. Du da­gegen willst es herausfordern. Du willst zu­erst angreifen und dann anfangen, deine Welt zu bauen.«

»Ja, sicher!«, rief er aus. »Alles andere ist wie Selbstmord!«

»Veschnaron sagt, was du willst, ist Selbstmord. Du willst eine schlummernde Bestie wecken, ohne sie zu kennen, ohne zu wissen, ob sie überhaupt einen wunden Punkt besitzt? Sie wird dich fressen, Kalar­thras. Sie hat bereits angefangen, dich zu verzehren, weil du dich selber verzehrst in deiner Besessenheit! Sie ist in dir, Kalar­thras, und davor haben die anderen Angst. Deshalb folgen sie dir nicht mehr. Denk mal darüber nach.«

»Wozu?«, fragte er mit einer wegwerfen-den Geste. »Welchen Sinn hätte es? Diese Narren rennen in ihr Verderben. Das Böse wird über sie kommen und sie hinwegfegen. Es muss ausgelöscht werden, Haischar! Erst dann können wir unsere Zukunft hier in Gantatryn bauen! Das ist die Reihenfolge, nicht was Veschnaron tut!«

30

»Ich versuche, dich zu verstehen, Kalar­thras …«

»Nein, das versuchst du nicht. Sonst wür­dest du …«

Sie verschloss ihm die Lippen mit der Handfläche. Lange sahen sie sich an. Dann sagte sie: »Ich versuche, dich zu verstehen, weil ich dich liebe, Kalarthras. Und weil ich will, dass du wieder unsere Führung über­nimmst. Aber dazu musst du wenigstens be­reit sein, Kompromisse einzugehen. Überle­ge es dir – bitte. Es ist noch nicht zu spät. Die Varganen haben nicht vergessen, wem sie die Treue geschworen haben.« Sie nahm die Hand weg und küsste ihn. »Bitte überle­ge es dir …«

Sie blieb lange bei ihm. Sie liebten sich, tranken Wein und diskutierten viele Stun­den.

Bevor sie ihn verließ, kam Haischar noch auf die mysteriöse Krankheit zu sprechen, die etliche von ihnen hinweggerafft hatte. Garantomal, wusste sie zu berichten, hatte endlich einen Erfolg gehabt. Der Wissen­schaftler hatte festgestellt, dass es eine uner­klärliche Veränderung in den Zellkernen der Expeditionsteilnehmer gab, minimal zwar, aber diese Abweichung könnte, seiner An­sicht nach, die Ursache für den plötzlichen Tod sein. Wann, wie und wodurch es zu die­ser Veränderung gekommen sein könnte, das wusste aber auch er nicht zu sagen. Er äu­ßerte die Vermutung, dass die Varganen nach dem Verlassen der Milchstraße einem Einfluss unterlegen seien, der sie herbeige­führt habe. Eine kosmische Strahlung viel­leicht oder ein Phänomen des Hyperraums.

»Aber seit fast einem Jahr ist niemand mehr gestorben«, sagte Haischar. »Es kann sein, dass es aufgehört hat.«

»Was?«, fragte er. »Wenn ich es richtig verstehe, sind wir alle zu lebenden Bomben gemacht worden, die nur im richtigen Mo­ment gezündet werden müssen.«

»So könnte man es wohl – sehr unwissen­schaftlich – sagen, ja.« Sie zuckte die Ach­seln. »Dann gibt es vielleicht keine Zündun­gen mehr.«

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Er antwortete nicht und war sehr nach­denklich, als sie ihn verlassen hatte.

8. Atlan

Er schwieg. Zuletzt hatte er wieder lang­samer geredet, manchmal gebrochen und mit zum Teil längeren Pausen, als ob er um jede Erinnerung kämpfen musste. Aber er hatte den Faden jedes Mal wiedergefunden und wirkte jetzt allgemein kräftiger, obwohl ihm die Anstrengung des Redens wieder deutlich ins Gesicht geschrieben stand. Seine Augen waren müde, doch der Blick klar – soweit man das bei seinen schwarzen Augen sagen konnte. Die Anzeigen am Kopfende des Tanks bestätigten seine Erholung. Er hatte einen langen inneren Kampf ausgetragen, aber nun schien er über das Schlimmste hin­weg zu sein. Vielleicht durften wir ihn be­reits in ein oder zwei Tagen aus dem Tank nehmen.

Dennoch brauchte er eine weitere Pause. Und wir mussten zurück in die Zentrale. Ka­larthras' Bericht hatte fast sieben Stunden gedauert, mit Unterbrechungen, in denen wir Fragen gestellt hatten oder er auf die Erinne­rung gewartet hatte. Die Überlichtetappe musste jeden Moment zu Ende sein. Sosehr Kalarthras' Geschichte mich faszinierte – ich vermutete, dass sie noch längst nicht zu En­de war –, war ich ebenso gespannt auf das, was wir sehen würden, wenn wir in den Normalraum zurückkehrten.

Die Veränderungen an seinem Körper wa­ren allerdings geblieben. Das Haar war und blieb weiß wie bei einem Albino, und die Haut …

Täuschte ich mich, oder war sie nochmals um eine Spur, kaum wahrnehmbar, dunkler geworden?

»War es so?«, fragte Kythara gefasst. Auch sie schien ihre Krise überwunden zu haben – für meine Begriffe etwas zu schnell. Ich blieb skeptisch, in mancherlei Hinsicht. Kalarthras hatte furchtbar viel mitgemacht, und ich spürte tief in mir, dass auch dies

31 Im Zeichen des Bösen

noch nicht vorbei sein konnte. »Kamen dann keine Zündungen mehr vor?«

Kalarthras' Kopf drehte sich leicht in ihre Richtung. Er atmete ruhiger, sein Kreislauf war stabil, der Herzschlag fast normal. Er wirkte erschöpft, aber zum ersten Mal wach. All das hätte mich vielleicht beruhigen sol­len, tat es aber nicht.

»Etwas unglaublich Böses …« Eine inne­re Stimme, nicht die meines Extrasinns, sag­te mir, dass dies nicht das Produkt eines überspannten Gehirns war, kein Aberglaube und keine irrationale Angst. Es war fast, als könne ich es selbst spüren: Etwas streckte die Klauen nach uns aus, unsichtbar, unhör­bar, sogar ein blinder Fleck für die Orterin­strumente der AMENSOON …

»Keine Zündungen mehr?«, wiederholte der Vargane mit fester Stimme. »Du meinst … keine Toten?« Er wollte lachen, gab aber nur ein knarrendes Geräusch von sich, wie von einer alten Ziege. »Oh nein, Kythara, oh nein … Diesen Gefallen tat uns das Schick­sal nicht. Haischar war voller Zuversicht.

Sie hoffte immer. Aber sie irrte sich furchtbar. Denn das nächste Opfer …«

»Wurde sie?«, fragte Kythara leise. »Sie starb nur wenige Wochen später«,

antwortete der Vargane. »Sie wurde mir ge­nommen, das Einzige, was ich hatte. Als ich sie am nötigsten brauchte.«

Die Erinnerung schien ihn zu überwälti­gen. Ich hatte es aufgegeben, den Blick die­ser dunklen Augen deuten zu wollen, aber die Gesichtszüge des Varganen verrieten es deutlich: Angst, Verzweiflung, aber auch ei­ne tiefe Trauer.

»Alle wurden mir genommen«, krächzte es aus dem Akustikfeld.

Ich sah Kythara zusammenzucken, ganz leicht, aber genauso unübersehbar wie die Bestürzung in ihrem Blick. Nur für einen Moment hatte sie sich nicht unter Kontrolle. Ganz kurz sah sie mich an, doch das genüg­te.

Auch sie hatte Angst. Vielleicht war es wieder der Selbstvorwurf, weil auch sie zu denen gehörte, die Kalarthras im Stich ge­

lassen hatten. Vielleicht war es aber auch etwas anderes. Warum denkst du nicht weiter?, fragte der

Extrasinn. Na los, zieh den Schluss! Sie glaubte, wenn alle anderen Gefährtin­

nen dieses Mannes von ihm gegangen wa­ren, wenn er ihnen allen Unglück gebracht hatte, dass sie die Nächste sein müsse.

Lag mehr als ein Fluch auf diesem Mann aus tiefer Vergangenheit? Brachte er den Menschen, die ihn liebten, nur Unglück und Tod?

Ich war froh, als sich die Zentrale meldete und Gorgh mitteilte, dass der Rücksturz un­mittelbar bevorstehe.

»Geh du«, bat mich Kythara. »Geh allein zur Zentrale. Ich möchte jetzt bei ihm blei­ben.«

Ich verstand.

*

Als ich die Sterne sah, ertappte ich mich dabei, wie ich nach etwas suchte, was finster und bedrohlich war – unglaublich böse.

Der Extrasinn konnte sich den Rüffel er­sparen. Dies war nun wirklich lächerlich. Er­stens war ich kein Vargane und besaß nicht deren besondere Sinne, und zweitens sollte jetzt gerade ich mit meiner langen Erfahrung derjenige sein, der seinen klaren Kopf be­hielt. Vieles mochte hier auf uns warten, aber mit Sicherheit keine Gespenster und Dämonen.

Nur Pulsare mit auf die Nanosekunde übereinstimmender Pulsperiode und ein ganz besonderer Hyperstrahler …

»Nun?«, fragte ich Gorgh schließlich. »Ich vermute, es gibt nichts Neues, sonst würdest du mich nicht auf die Folter span­nen.«

Der Insektoide rührte sich nicht. Seine großen Netzaugen blickten starr auf seine Instrumente und Anzeigen.

»Es hat sich nichts verändert«, sagte er. »Nur dass die Ortungen stärker werden, was natürlich daran liegt, dass wir über viertau­send Lichtjahre näher heran sind.«

32

Besaßen Daorghor einen Sinn für Humor? Oder war die Auskunft auch nur das Ergeb­nis eigener Ratlosigkeit? Denn natürlich hat­te die Exaktheit und Intensität von Hyperor­tungen nichts mit Entfernungen in diesem Maßstab zu tun.

Ich ließ mich im nächsten Sessel nieder und drückte für Sekunden die Handflächen gegen den Kopf. Dann atmete ich tief durch und setzte Gorgh über die wesentlichen Punkte aus Kalarthras' bisherigem Bericht in Kenntnis – wie ich mir eingestand, eher um vor mir selbst noch einmal zu rekapitulieren.

Wenn die Ortungen also »stärker wur­den«, was bedeutete es dann? Was wollte er mir wirklich sagen, wenn schon kein Scherz?

Du bist wirklich ein Narr. Es gibt nur ei­ne Möglichkeit, und du kennst sie.

Also gab es mehr zu orten. Die Immissio­nen waren stärker geworden, weil ihre Quel­le zugenommen hatte.

Stärkere Hyperaktivitäten oder – was, Arkonide?

Mehr Strukturerschütterungen. Mehr Ma­terialisationen. Vielleicht mehr Raumschif­fe, wenn es Raumschiffe waren. Genau vor­aus in Flugrichtung.

Ich wagte kaum daran zu denken, was das bedeuten würde. Um uns herum war das All ruhig – zu ruhig! Kein Verband der Garbyor fiel aus dem Hyperraum, keine Aufklärungs­schiffe.

Aber voraus, im Sektor des Zielsterns, musste der Teufel los sein!

Gorgh bestätigte diese Einschätzung. Wir erhielten weitere astronomische Da­

ten, die von der Positronik zu ersten brauch­baren Sternkarten verarbeitet wurden. Ich wartete auf das Ende des Orientierungs­stopps, wobei meine Gedanken immer wie­der zu Kythara und Kalarthras abschweiften.

Was hatten sie zu bereden, jetzt, da sie al­lein waren? Wärmten sie alte Zeiten wieder auf? Entdeckten sie ihre Gefühle füreinander wieder neu?

Hofften sie, dass sie gemeinsam einem Ungewissen, schlimmen Schicksal entgehen

Horst Hoffmann

könnten? Würde er versuchen, sie als Ge­fährtin zurückzugewinnen, wenn er wieder ganz bei Kräften war?

Das war lächerlich. Ich wusste es selbst. Kindische Eifersucht passte nicht zu einem Unsterblichen.

Da gebe ich dir ausnahmsweise mal Recht, meldete sich mein Extrasinn.

Aber es tickte in meinem Kopf und krib­belte in meinen Fingern …

Ich versuchte es nicht zu zeigen, als ich zwei Stunden später wieder bei den Varga­nen war und die AMENSOON mit hohem Überlichtfaktor dem endgültigen Ziel entge­genflog. Beim nächsten Austritt würden wir mehr Klarheit haben – so oder so.

Kalarthras machte einen stabilen Ein­druck. Er war bereit, weiterzureden. Wie es aussah, hatten Kythara und er nur auf mich gewartet.

9. Kalarthras

Vielleicht war Haischars Tod nötig gewe­sen. Vielleicht hatte er den Schock ge­braucht, um das zu werden, was die anderen »vernünftig« nannten. Vielleicht hatte er auch nur geglaubt, es ihr schuldig zu sein.

Jedenfalls überwand sich Kalarthras nach langem inneren Kampf und ging auf seine Männer und Frauen zu. Er gab seine ableh­nende Haltung auf und bot ihnen an, mit ih­nen gemeinsam diese neue Welt zu bauen und ihr Reich zu errichten, ohne weiter dar­an festzuhalten, vorher das Geheimnis dieser Galaxis zu erforschen. Er schwenkte auf Ve­schnarons Kurs ein und erlebte zu seiner großen Überraschung, dass Veschnaron ihm, ohne zu zögern, die Leitung der Expedition zurückübertrug. Kalarthras musste beschämt erkennen, dass nicht nur der Flottenkom­mandeur, sondern auch alle anderen, die den heimtückischen »plötzlichen Tod« bisher überlebt hatten, auf seine Besinnung gehofft und gewartet hatten.

Von diesem Tag an arbeitete er mit ihnen an ihrer Zukunft. Er betrauerte Haischar und

33 Im Zeichen des Bösen

weihte ihr jeden neuen Tag, an dem er er­wachte, ohne dass ihm Hiobsbotschaften überbracht wurden.

Er konnte die Angst zwar zurückdrängen und sich durch die Arbeit ablenken, so, wie er es jahrhundertelang getan hatte, aber sie löste sich nicht etwa auf. Sie blieb, sie ver­folgte ihn in seine Träume. Die Schwärze, der Albdruck war wie ein Teil seiner selbst – als ob sich das Böse bereits in ihm manife­stiert hätte.

Die Jahre vergingen, und als die ersten drei Städte auf Sagora fertig gestellt waren, hatte es insgesamt vier weitere Todesfälle gegeben. Die Pest schlug weiterhin wie aus dem Nichts zu. Jemand oder etwas saß am Zünder und brachte die Varganen um, wann immer es ihm gerade passte. Sie konnten nichts dagegen tun, und das Schlimmste dar­an war, dass sie aussterben würden, bevor sie auch nur ein kleines Sternenreich errich­tet hatten: unsterblich, aber verwundbar und vor allem – unfähig, Nachwuchs zu zeugen.

So beschlossen die Überlebenden – noch 48 Männer und Frauen –, vor dem geplanten Aufbruch in die neue Galaxis sich dadurch zu schützen, indem sie eine große Zeitspan­ne verstreichen ließen. Dazu legten sie sich in die mitgeführten Konservierungstanks und vertrauten sich dem Tiefschlaf an, um zehntausend Jahre später wieder zu erwa­chen – in der Hoffnung, dass es dann keine Zünder in ihren Körpern mehr gab und viel­leicht auch nicht das Böse im Zentrum von Gantatryn.

Das Erste, was sie fühlten, nachdem die Automatik sie wiedererweckt hatte, war, dass der Albtraum nicht vorüber war. Was auch immer im Zentrumsbereich lauerte, es war noch dort, vielleicht sogar stärker als vorher.

Kalarthras überwand die Ernüchterung er­staunlich schnell, denn er hatte es nicht an­ders erwartet. Schlimmer noch: Er gestand sich ein, dass er enttäuscht gewesen wäre, wenn es nicht so gewesen wäre. Und bange fragte er sich, ob dies tatsächlich schon ma­nische Besessenheit wäre.

Er tat, was er immer getan hatte, wenn die Probleme ihm zu schaffen machten: Kalar­thras stürzte sich in die Arbeit – und das be­deutete: die erste Phase der Kolonisierung Gantatryns.

Von Sagora stiegen die ersten vargani­schen Schiffe auf und nahmen Kurs auf zehn vorher bereits festgelegte Sonnensysteme. Der Rest blieb vorerst zurück, immer zum Eingreifen bereit, sollten die Pioniere auf unerwartete Schwierigkeiten stoßen.

Nachdem alle 48 Männer und Frauen ge­sund aus dem Tiefschlaf erwacht waren, ging man mit neuem Mut an die Arbeit und begann mit der Errichtung einer großen Werft, um neue, den Bedürfnissen angepas­ste Raumfahrzeuge zu bauen. Der »plötzliche Tod« hatte nicht mehr zuge­schlagen. Kalarthras' Befürchtung, nach zehntausend Jahren nur noch wenige – oder gar keine! – Gefährten lebend anzutreffen, hatte sich zu seiner Erleichterung nicht er­füllt.

Dennoch ging er keine neue Partnerschaft mehr ein, obwohl Jertara ihm immer wieder ihre Zuneigung und Bereitschaft signalisier­te. Die Angst, auch sie zu verlieren, war zu groß. Er brauchte wohl einfach Zeit.

Sie verstand das und sagte ihm, dass sie warten würde. Bis dahin aber blieben sie Freunde. Sie sahen sich oft und arbeiteten eng zusammen.

Die Varganen warteten voller Spannung auf neue Nachrichten von den Sternen. Über Hyperfunk standen sie in Verbindung mit den Pionieren und verfolgten mit, wie die zehn neuen Kolonien allmählich wuchsen. Sie formten ihre Welten nach ihren Wün­schen und bauten Städte, was überraschen­derweise nicht auf ungeteilte Zustimmung stieß.

Ausgerechnet Jertara war eine Vertreterin des so genannten neuen Denkens, einer Phi­losophie, die fast alles umkehrte, woran Var­ganen geglaubt und wofür sie gearbeitet hat­ten. Immer häufiger kam es zu heftigen Wortgefechten zwischen ihr und Kalarthras, in denen es um nicht weniger als den Sinn

34

eines neuen Reichs ging. »Ich glaube, ich werde euch nie verste­

hen«, sagte der Expeditionsleiter an dem Tag zu ihr, als das erste Schiff, die ONTRA, von den Kolonien zurückkehrte. »Was ist falsch daran, die Sterne zu erobern? Unsere Ahnen haben es getan, wir haben es getan, andere Völker haben es getan. Also was soll daran nicht richtig gewesen sein?«

»Wir zerstören die Ökologie fremder Pla­neten, nur um sie so zu formen, wie wir sie haben wollen«, entgegnete sie hitzig. Von allen Frauen, die er gehabt hatte, war sie die mit Abstand temperamentvollste – allerdings war sie noch nicht seine Partnerin. »Was ist mit der Natur dieser Welten? Indem wir kommen, verdrängen wir sie. Wir töten und verstümmeln Leben, Kalarthras, nur weil es nicht in unser Bild des Kosmos passt.«

»Was soll das?«, fragte er sie. »So war es immer. Wir brauchen diese neuen Welten, um das Reich …«

»Wir brauchen sie?«, unterbrach sie ihn. »Tatsächlich? Sag mir, wofür, wenn wir kei­ne Nachkommen zeugen können. Wo ist das Volk, das Platz braucht, um sich auszubrei­ten? Es existiert nicht, Kalarthras! Es wird nie existieren! Wir sind 48 Varganen! Wie viele Planeten willst du für uns opfern? Einen für jeden? Sind 48 Welten dir genug für dein … Reich, deine abstruse Idee? Wenn jeder von uns ein Kaiser ist, ein Pla­netenkaiser ohne Volk, reicht das dann? Oder braucht er mehr? Noch mehr Welten, die wir in unserem Streben nach Expansion zerstören?«

»Du redest Unsinn!«, wehrte sich Kalar­thras. »Ich verstehe diese ganze Diskussion nicht. Was ist denn plötzlich in euch gefah­ren? Du und Pertrog, Nahdar, Vantor und sogar Haitogallakin, unser oberster Wissen­schaftler und mein engster Freund – ihr stellt alles in Frage, was wir und die Vorfahren glaubten. Wart ihr denn nicht alle besessen von der Idee, der Lethargie in der Milchstra­ße zu entfliehen und tief im Kosmos neue Reiche zu gründen?«

»Natürlich waren wir das«, gab sie zu.

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»Aber wir hatten viel Zeit zum Nachdenken, Kalarthras. Sieh doch, wir glaubten, ein neu-es Reich erschaffen zu müssen, weil es im­mer so war. Wir mussten expandieren und das All nach unseren Wünschen formen. Aber hat das All uns gefragt? Hat es uns ge­rufen? Haben die Eingeborenenvölker, die wir durch die Umformung ihrer Ökologien ihrer Lebensgrundlage beraubten, uns um Hilfe und Einmischung gebeten? Denke dar­über nach, Kalarthras. Welchen Sinn hat ein neues Reich noch, wenn es keine Varganen gibt, die es in Besitz nehmen? Denk darüber nach.«

Es war zehntausend Jahre her, dass eine andere Varganin ihn gebeten hatte, seine Po­sition zu überdenken. Damals hatte er es ge­tan und eine Kehrtwendung vollzogen, weil er Haischars Argumentation einsah. Aber was Jertara von ihm verlangte, war etwas ganz anderes. Es stellte alles in Frage, woran er glaubte und was ihm erstrebenswert er­schien.

»Jertara«, sagte er. »Ist es denn nicht un­sere Bestimmung zu herrschen? Wir nehmen niemandem etwas weg. Wir führen doch keine Kriege! Wir bringen Frieden und Fort­schritt. Wir geben Primitiven die Zivilisation und machen aus Wildnis Parks. Was kann daran denn falsch sein?«

»Du verstehst es nicht«, sagte sie. »Es ist alles falsch, solange wir uns für den Nabel des Universums halten, Kalarthras. Das ha­ben Haitogallakin und wir anderen verstan­den.« Sie lachte bitter. »Oh ja, wir sind die Krone der Schöpfung, Kalarthras – aber kei­ner will uns haben! Siehst du das nicht? Nie­mand hat uns gerufen. Was wir tun, ist egoi­stisch und … imperialistisch, ja! Und für nichts, für 48 Varganen, die vom Glanz alter und neuer Reiche träumen.«

»Du sagst also, dass wir unsere Zeit über­lebt haben«, stellte er verbittert fest. »Dass wir ein lebender Anachronismus sind.«

»Das sagst du jetzt«, antwortete sie. »Ich … Wir wollen doch auch eine leuchtende Zukunft, Kalarthras, aber unser Weg ist nicht der richtige. Wir haben keine Kinder,

35 Im Zeichen des Bösen

Kalarthras! Wir werden nie Kinder haben!« Sie verließ ihn. Er war nachdenklich ge­

worden. Er versuchte, sie zu verstehen, aber das, was sie und ihre Freunde da propagier­ten, war nicht seine Welt. Sie würde es nie sein können. Und dennoch …

Er versuchte sich abzulenken, indem er sich ganz den Kolonien widmete. Er lausch­te hinaus in die Galaxis in der Hoffnung, Si­gnale von Intelligenzen aufzufangen, die auf einer Stufe mit seinem Volk standen. Ande­re, die ihm die Einsamkeit nahmen, die er plötzlich fühlte. Er konnte sich nicht dage­gen wehren. Die Parolen der Anhänger des neuen Denkens waren wie ein Virus. Wenn sie aber andere in Gantatryn fanden, die wie sie waren, dann konnte er sie vielleicht wi­derlegen. In einer Vision sah er stolze, hu­manoide Völker, die ihnen so ähnlich waren, dass die Varganen sich mit ihnen paaren und Nachwuchs zeugen konnten.

Aber das Weltall schwieg. Alles, was er empfing, waren keine plötzlichen Signale von fremden Sternen, Produkte seines Wunschdenkens, sondern das, was er ge­spürt hatte, seitdem er in diese Galaxis ein­geflogen war.

Es war das Böse, das Dunkel, die Schwär­ze. Es war da und wartete, lauerte.

Es war nicht tot und nicht schwächer ge­worden. Er hatte es geschafft, es zu verdrän­gen, aber tief im Innern wusste er, dass es zuschlagen würde, irgendwie, irgendwann. Und wenn sie dann nicht gewappnet waren …

Kalarthras schickte weitere Schiffe zu weiteren Systemen. Sie kolonisierten Plane­ten, aber sie fanden nichts außer tumben Eingeborenen und Leben, das manchmal so fremdartig war, dass er sich weigerte, es als Leben anzuerkennen – ganz im Gegensatz zu Jertara und ihren Gesinnungsgenossen.

Und irgendwann musste er sich eingeste­hen, dass er sich selbst betrog. Es gab keine anderen Intelligenzen in Gantatryn, mit de­nen die Varganen sich vermischen konnten.

Als sein Weltbild zu wackeln begann, als auch die Arbeit ihn nicht mehr befriedigen

und ablenken konnte, tat er das, was ihm als zweiter Ausweg blieb.

Er begab sich wieder in den Tiefschlaf. Seine Flucht würde dieses Mal hunderttau­send Jahre dauern.

Vielleicht hielt die Zukunft die Antworten bereit.

*

Als er erwachte, hatte sich vieles verän­dert – leider nicht nur zum Guten.

Das kleine Häuflein Varganen auf Sagora wechselte sich ab, was den Tiefschlaf betraf. Es war immer mindestens einer von ihnen wach, um die Geschicke des im Aufbau be­findlichen Reichs zu lenken und Kontakt mit den Kolonien zu halten. Veschnaron vertrat den schlafenden Kalarthras. Wenn er sich in den Tank legte, übernahm ein anderer seine Aufgaben und so weiter.

So war es jedenfalls geplant gewesen. Al­lerdings hatte sich ihr Lager weiter polari­siert. Die Gegner der Expansion bekämpften deren Befürworter erbitterter denn je.

In den hunderttausend Jahren seiner Ab­wesenheit hatte sich immer noch kein Kon­takt zu einem Volk ergeben, das würdig ge­nug gewesen wäre, mit den Varganen Nach­wuchs zu zeugen, neue Generationen von Sternenfahrern, die die Idee des Reichs mit Leben hätten erfüllen können. Was dies be­traf, blieben die Varganen allein. Und damit wurde der Sinn ihrer Expansion mehr und mehr in Frage gestellt.

Es hatte immerhin keine Todesfälle mehr gegeben. Der »plötzliche Tod« schien durch die Zeit tatsächlich besiegt worden zu sein. Wenigstens diese Hoffnung schien sich er­füllt zu haben.

Dafür war das unglaublich Böse präsenter denn je. Kalarthras spürte es sofort nach sei­nem Erwachen. Die Varganen hatten dieser Galaxis ihr Geheimnis nicht entreißen kön­nen. Das, was im Zentrumssektor lauerte, beobachtete sie und wartete auf seine Chan­ce. Kalarthras fühlte es nicht nur, er glaubte es zu wissen.

36

Jertara war wenige tausend Jahre nach ihm in den Tiefschlaf gegangen. Allerdings hatte sie darauf bestanden, nach seinem Er­wachen ebenfalls geweckt zu werden. Sie hatte auf ihn gewartet, und ihre Wege führ­ten wieder zueinander.

Sie waren Gegner, was ihre Weltanschau­ung betraf, aber gefühlsmäßig kamen sie sich immer näher. Und so dauerte es nicht lange, bis Kalarthras seine Vorsätze über Bord warf und eine neue Partnerschaft ein­ging. Jertara wurde zu seiner Frau – und sei­nem ewigen moralischen Widerpart.

Natürlich war sie keine zweite Kythara. Jene Kythara war schon längst keine Varga­nin aus Fleisch und Blut mehr, sondern das mit der Zeit verklärte Bild einer perfekten Frau, der Inbegriff all seiner Sehnsucht, eine Illusion.

Inzwischen waren fast hundert Planeten besiedelt. Da die Zahl der Varganen bei wei­tem nicht ausreichte, wurden die meisten da­von von Robotern verwaltet und geformt, die neben neuen Schiffen in den inzwischen vier Werften der Varganen gebaut wurden. Kalarthras fragte nicht, für wen. Aber Jertara tat es für ihn. Sie war der Stachel in seinem Fleisch, doch diesmal gab er nicht nach. Er beharrte auf seiner Idee, hielt an seinem Traum von einem neuen Varganenreich fest. Er hatte Angst, dass sein Leben sonst seinen letzten Sinn verlieren würde.

Dabei wusste er, dass es die Zukunft, die ihm vorschwebte, niemals geben konnte.

Die Jahre vergingen, und es kam zur er­sten politischen Krise. Gleich fünfzehn Ko­lonien sagten sich von Sagora los, allesamt regiert von einem Varganen, einem »Kaiser«, wie Jertara ihn vorhergesagt hatte.

Veschnaron plädierte dafür, die Kolonien notfalls mit Waffengewalt heimzuholen. Jer­tara war seine stärkste Kritikerin und sagte, dass frei sein sollte, wer frei sein wollte. Und diesmal gab Kalarthras ihr Recht. Der Bürgerkrieg blieb aus, doch dafür waren es nur noch 33 Varganen, die auf Sagora wach­ten oder schliefen.

Nach weiteren fünfzig Jahren waren es

Horst Hoffmann

noch ganze zwanzig. Der Zeitpunkt war ab­zusehen, an dem die Varganen sich über Gantatryn verstreut haben würden, verloren zwischen den Sternen. Eine zentrale Macht, die auch dem Bösen im Zentrum Paroli bie­ten könnte, schien nicht mehr zu realisieren zu sein. Dieser Traum war ausgeträumt.

Kalarthras wurde nachdenklicher und zeigte die ersten Anzeichen von Schwermut. Hatten Jertara, Haitogallakin und die ande­ren Abweichler vielleicht doch Recht? War die Idee eines großen, mächtigen Reichs von vornherein ein Hirngespinst gewesen?

Es dauerte noch einmal zwanzig Jahre, bis ein Erkundungsschiff aus Gantatryn zurück­kehrte und die Nachricht überbrachte, dass auf einem der Planeten, die auf dem Einflug in diese Galaxis passiert worden waren und über denen man Aktivierungskapseln ausge­setzt hatte, varganoides Leben entdeckt wor­den sei. Die Eingeborenen, die sich dort aus varganischen Embryonen entwickelt hatten, waren noch vergleichsweise primitiv, aber sie lernten schnell. Hochrechnungen erga­ben, dass in weiteren hunderttausend Jahren eine Zivilisation entstanden sein würde, die varganischem Standard entsprach – und be­reit für die Sterne war.

Und es blieb nicht bei diesem einen Fall. Die Scoutflotte wurde vergrößert, und bald konnten drei weitere Schiffe die Entdeckung von varganoidem Leben vermelden.

Als Kalarthras sich diesmal in den Tief­schlaf legte, tat er es voller Hoffnung.

Jertara schloss sich ihm an, und gemein­sam wollten sie aufwachen in einer neuen Zeit – in der Jertaras Bedenken gegen eine varganische Besiedlung inhaltslos geworden waren und sie gemeinsam an dieser neuen Zeit würden teilhaben können.

*

Kalarthras wachte in einer neuen Welt auf.

Es gab außer ihm, Jertara und Veschnaron keine Varganen mit ständigem Aufenthalt mehr auf Sagora. Veschnaron hielt eisern

37 Im Zeichen des Bösen

die Stellung und hatte der Versuchung wi­derstanden, ebenfalls zu den Sternen hinaus­zuziehen wie die anderen.

Mittlerweile gab es an die fünfhundert Kolonien, die nicht mehr nur von einigen wenigen Kaisern ohne Volk regiert oder von Robotern kontrolliert wurden. Es gab Leben, varganisches Leben, auf den neuen Welten.

Die Spezies, die sich aus varganischem Samen entwickelt hatten, beherrschten in­zwischen die Raumfahrt. Die Pioniere aus der fernen Milchstraße hatten sie gefördert, gelehrt und geschult. Sie hatten sie zu Raumfahrern gemacht und ihnen das Wissen und das Gedankengut der Ahnen vermittelt. Aber das war lange nicht alles.

Denn das mit Abstand Wichtigste war, dass die Pioniere begonnen hatten, sich mit diesen neuen Völkern zu vermischen. Was unmöglich schien, war wahr geworden: Sie konnten sich zwar untereinander nicht fort­pflanzen, aber dafür mit Angehörigen der neuen Völker. Sie waren nicht mehr allein, ihre Art nicht länger zum Aussterben verur­teilt.

Die Unsterblichen waren keine Anachro­nismen mehr in einer Zeit, die an ihnen vor­beigelaufen war – indem sie sich mit den neuen, jungen und vor Vitalität strotzenden Völkern vermischten, behielten sie ihre Un­sterblichkeit und wurden gleichzeitig aber doch Teil der neuen Zivilisation, die bald ganz Gantatryn umspannen sollte.

Kalarthras geriet in eine Hochstimmung hinein, die ihn vieles vergessen ließ. Er war in eine Welt zurückgekehrt, in der seine kühnen Träume wahr wurden. Alle Schwer­mut war vergessen. Die Zeit hatte wieder für ihn gearbeitet. In seiner Euphorie vergaß er sogar vorübergehend das, was im Zentrum lauerte, von dem er sich beobachtet fühlte; das, wie er glaubte, auf den richtigen Mo­ment des Zuschlagens wartete.

Die Varganen waren wieder ein Volk. Sie würden ihr Reich errichten, und es würde prächtiger sein als alle bisherigen Reiche. Er und Jertara, die nun nichts mehr trennte, würden daran teilhaben. Auch die Tatsache,

dass die neuen Varganen, ihre Nachkom­men, nicht unsterblich waren wie sie, konnte daran nichts ändern. Ihre Kinder und Kin­deskinder würden später einmal voller An­dacht die Namen ihrer Ahnen flüstern – und Kalarthras wollte zu ihnen gehören, zu den Vätern, die nun auch noch auf andere Art Unsterblichkeit erlangen konnten, als Le­genden, als Mythen in einer fernen Zukunft.

Also brachen er und Jertara auf und be­suchten die neuen Welten mit ihren neuen Stämmen. Beide paarten sich mit den neuen Varganen. Kalarthras zeugte Dutzende von Kindern, Jertara empfing sie von kräftigen Männern der neuen Spezies. Wenn sie es schon nicht miteinander konnten – getrennt gaben sie ihren Samen und ihren Leib für die Neue Zeit.

Sie sahen ihre Nachkommen heranwach­sen, aufblühen, schließlich altern und ster­ben. Aber wo ein Vargane starb, hinterließ er zehn Nachkommen. Kalarthras erlebte das Gedeihen und Hinscheiden seiner Kinder mit, seiner Enkel und Urenkel. Er lehrte sie, gab ihnen sein Wissen mit auf den Weg und begleitete sie hinaus in die Galaxis.

Einige hundert Jahre lang ging das so weiter, bis er schließlich nach Sagora zu­rückkehrte und sich für weitere hunderttau­send Jahre in den Tiefschlaf legte – gemein­sam mit Jertara, die ihm zur nicht mehr er­hofften Gefährtin geworden und länger mit ihm zusammen war als all ihre Vorgängerin­nen zusammen.

Und doch konnte er sich nicht dagegen wehren, immer öfter Kythara in ihren Augen zu sehen.

*

Gantatryn erlebte eine zivilisatorische Blüte, vielleicht zum ersten Mal in seiner Geschichte. Kalarthras hatte seine Zweifel daran, denn mit der Ausbreitung hatten die Varganennachkommen Zeugnisse einer viel älteren Zivilisation gefunden: Artefakte, Ruinenstädte und Stationen im tiefen Raum. Das Alter der stummen Zeugen wurde zu­

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nächst mit rund 800.000 Jahren angegeben, und alles sprach dafür, dass diese Zivilisati­on seit mehreren hunderttausend Jahren aus der Galaxis verschwunden war, in der sie einst führend gewesen war.

Ihre Hinterlassenschaften wurden weiter erforscht, und schon bald konnte rekonstru­iert werden, dass es sich um ein Volk von Vogelwesen gehandelt hatte, eine avenoide Spezies, die vorerst noch anonym blieb. Erst nachdem es gelang, uralte Datenspeicher zu öffnen und zu entschlüsseln, erfuhr man den Namen der Unbekannten: Rhoarxi.

Auf immer mehr Welten fanden die Kolo­nisten die Ruinen noch gewaltigerer Städte, Tempel- und Arenaanlagen und faszinieren-de Kunstwerke, die für die Ewigkeit konser­viert zu sein schienen. Die Rhoarxi waren begnadete Baumeister und Ingenieure gewe­sen. Ihre über ganz Gantatryn verteilten Welten waren durch ein gigantisches Trans­mitternetz miteinander verbunden gewesen. Die Entdeckungen rissen nicht ab. Planeten und sogar Sonnensysteme waren von den Avenoiden umgestaltet worden. Sie hatten großartige Leistungen vollbracht, die sich mit den Taten der Varganen durchaus mes­sen konnten, bevor sie eines Tages von der kosmischen Bildfläche verschwunden wa­ren. Dies musste sehr plötzlich geschehen sein. Die Varganennachkommen gingen schließlich nicht mehr von einem Exodus aus, sondern aufgrund der gefundenen Zeug­nisse von einem rätselhaften Aussterben der Rhoarxi.

Die Varganen errichteten Stützpunkte auf früheren Rhoarxi-Planeten. Wo es möglich war, übernahmen sie Relikte ihrer Zivilisati­on und nutzten die verwaisten Hinterlassen­schaften der ehemaligen Beherrscher Ganta­tryns. Die Forscher stürzten sich in Scharen auf die gefundenen Artefakte und Datenbe­stände, doch es gelang ihnen in hundert Jah­ren nicht, deren Sinn und die Geheimnisse der untergegangenen Zivilisation zu ermit­teln.

In den untersuchten gewaltigen Ruinen wurden zwar immer wieder Hinweise und

Horst Hoffmann

Anspielungen auf eine mystische Kathedrale von Rhoarx entdeckt, doch diese selbst ent­zog sich dem Zugriff und wurde nie gefun­den oder gar betreten, weder von den Varga­nennachkommen noch von den echten un­sterblichen Varganen selbst.

Jedenfalls nicht, solange Kalarthras in Gantatryn lebte.

Er hatte den Aufstieg der neuen Zivilisati­on mitverfolgt und miterlebt. Er hatte sie ge­fördert, wo er nur konnte, und Anstöße ge­geben und versucht, die Entwicklung in jene Bahnen zu lenken, die er für richtig erachte­te. Jertara war dabei fast immer an seiner Seite gewesen und hatte auf ihre Weise Ein­fluss zu nehmen versucht. Ihre beiden Welt­sichten hatten sich am Ende vereint, und sie waren zufrieden mit dem, was sie erreicht hatten.

Aber dann kam der Tag, an dem Kalar­thras beschloss, dass er in Gantatryn und für das neue Reich genug getan hatte. Die neue Zivilisation war nun in der Lage, sich selbst zu entwickeln. Es war keine echte Heraus­forderung mehr für ihn, und er brauchte die Herausforderung. In der Hinsicht hatte er sich nicht geändert.

Er wollte wieder zu neuen Ufern aufbre­chen; weiter ins Universum vorstoßen, wo er vielleicht auf andere von Varganen und de­ren Nachkommen geschaffene Reiche stieß – oder auch, eines Tages, zur Milchstraße zurückkehren. Doch das lag vorerst noch in weiter Ferne.

Jertara war bei ihm, als er von Sagora auf­brach. Sie nahmen Abschied von den letzten Unsterblichen und flogen mit der zigmal überholten und modernisierten TARVAN. Vierhunderttausend Jahre nachdem sie Gan­tatryn erreicht hatten, verließen sie die Bal­kengalaxis wieder, ohne deren düsteres Ge­heimnis gelüftet zu haben.

Es war das Einzige, was Kalarthras' Auf­bruchsstimmung zu trüben vermochte.

Das Schwarze, das »unglaublich Böse« war da. Es war nicht tot. Es hatte sich in der ganzen Zeit, die er in Gantatryn verbracht hatte, nicht gezeigt, war nicht aus seiner

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Höhle herausgekommen. Es lauerte weiter. Seine Nachkommen würden immer in sei­nem Schatten leben.

Er hatte gelernt, mit der Bedrohung zu le­ben, deren Natur zu enträtseln ihm nicht ver­gönnt gewesen war. Er hatte sich dazu zwin­gen müssen, sich mit ihr zu arrangieren – doch nun, als er Gantatryn und diesen Alb­druck hinter sich ließ, sprang es ihn wieder an, das Dunkle, das Finstere. In seinen Träu­men schlich es sich heran und streckte die Klauen nach ihm aus; drohte ihm die Luft zum Atmen zu nehmen, ihn mit seiner Schwärze zu ersticken. Und wenn er wach war wartete er darauf, es wieder zu spüren, wie es ihm folgte.

Jertara vermochte ihm nicht zu helfen. Sie konnten über alles miteinander reden, hatten es bei allen Meinungsunterschieden immer gekonnt, aber in diesem Punkt umgab sich Kalarthras mit einem Panzer, einer Rüstung aus Trotz und aus Angst.

Und je weiter er sich von Gantatryn und seinen Gefährten und Nachkommen entfern­te, desto schlimmer wurde es. Die alte Be­sessenheit kehrte zurück, und der Wahnsinn drohte von ihm Besitz zu ergreifen.

»Du wirst nie und nirgendwo sicher sein, wenn du dir nicht helfen lässt«, sagte Jertara zu ihm, als er vor Angst fast starb. »Denn das Böse ist nicht nur in Gantatryn, Kalar­thras – es ist auch in dir, vor allem in dir.«

Aber sie redete gegen eine Wand. Tief in ihm wusste er, dass sie Recht hatte, aber das gelangte nicht wirklich an sein Bewusstsein. Die Angst und die Besessenheit waren zu stark und wurden noch stärker, wuchsen mit jedem Lichtjahr, das er zwischen sich und das Böse legte.

Kalarthras begriff, dass er diesen Kampf nicht ohne Hilfe gewinnen konnte. Die Angst, lange beiseite geschoben und be­täubt, war zu stark. Sie wuchs aus ihm her­aus und würde ihn umbringen, wenn er es zuließ.

Aber wer sollte ihm helfen, wenn nicht Jertara?

10. Atlan

»Was hältst du davon?«, fragte Kythara. Wir saßen zusammen und warteten darauf, dass Kalarthras sich wieder erholte. Dieser Teil seines Berichts war mit Abstand der längste gewesen und hatte ihn wieder viel Kraft gekostet – gerade am Ende, als es um seine Manie ging. Er hatte aber protestiert, als wir ihm eine weitere längere Ruhepause verordnen wollten, und darauf bestanden, seinen Bericht nach nur einer kurzen Pause zu Ende zu bringen. »Glaubst du, dass er …?«

Sie sprach es nicht aus, aber ich wusste, was sie meinte. Es ging nicht um meinen wiederholt geäußerten Verdacht hinsichtlich einer möglichen Manipulation.

»Du meinst, ob er tatsächlich besessen ist – oder sogar wahnsinnig?« Ich wusste, dass sie dieses Wort nicht mochte. »Nein, das weniger. Aber besessen ist er. Er hat sich in etwas hineingesteigert, was ihn verfolgt wie ein dunkler Schatten.«

Ich sah sie ernst an. »Aber ich zweifle nicht daran, dass er und die anderen irgen­detwas gespürt haben, als sie nach Gantatryn kamen. Spürst du es auch, Kythara?«

Sie zuckte ganz leicht zusammen. »Da ist etwas. Ich glaube, es spüren zu

können, wenn wir im Normalraum sind. Aber vielleicht bilde ich es mir auch nur ein, weil ich nun danach suche. Auf jeden Fall glaubt er an eine schreckliche Gefahr und will uns davor warnen.«

»Aber er kann uns nicht sagen, um was es sich dabei genau handelt.«

»Nein. Vielleicht kann ich dir mehr sagen, wenn wir am Ziel und wieder im Normal­raum sind.«

Ich nickte. Da war noch etwas, das sie be­schäftigte. Ich wartete wieder, bis sie von sich aus davon sprach.

»Diese Jertara muss eine außergewöhnli­che Varganin gewesen sein. Ich habe sie kennen gelernt, zwar nur flüchtig, und das

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ist auch noch lange her. Damals ist es mir nicht aufgefallen, aber trotz ihrer vielleicht etwas wirren Ideen hat sie einen starken Ein­fluss auf Kalarthras ausgeübt.«

Ich fand ihren kritischen Standpunkt, wenn es um die Anpassung von Planeten­ökologien an die Bedürfnisse der Kolonisten ging, gar nicht so wirr. In dieser Hinsicht war schon unglaublich viel Schaden ange­richtet worden und großes Unrecht gesche­hen, auch von meinen Vorfahren. Was mich nur wunderte, war, dass Jertara diese Positi­on so schnell aufgegeben hatte.

Aber Kythara wollte auf etwas anderes hinaus.

»Du fragst dich, was aus ihr geworden ist«, sagte ich. »Ob auch sie einem Fluch er­legen ist, der auf Kalarthras lastet?«

»So muss es doch wohl sein, oder? Hätten wir sie sonst nicht mit ihm zusammen auf Vassantor gefunden?«

»Seit ihrem Aufbruch sind rund 350.000 Jahre vergangen«, wich ich aus. »Das ist viel Zeit, Kythara. Und du sagst selbst, du hast sie getroffen. Wann war das?«

»Zweimal, Atlan. Das letzte Mal vor 50.000 Jahren – als ich auch Kalarthras zu­letzt sah.«

»Dann hat sie zumindest sehr lange ge­lebt«, sagte ich. »Für eine Verfluchte, nicht wahr?«

Sie schien den feinen Spott nicht zu be­merken, nickte und sah wieder nachdenklich zum Heiltank hinüber.

Bis zum Ende der Überlichtetappe hatten wir noch etwa eine Stunde Zeit. Das war nicht viel, wenn Kalarthras seinen Bericht genauso ausführlich beenden wollte, wie er ihn begonnen hatte.

Doch der Vargane überraschte uns mit ei­nem Wunsch, der meine Bedenken auf uner­wartete Weise zerstreute.

Kalarthras meldete sich und bat darum, den Tank verlassen zu dürfen. Er wollte die Ankunft am Zielstern mit uns in der Zentrale erleben.

Ich versuchte, es ihm auszureden, denn er brauchte meiner Ansicht nach immer noch

Horst Hoffmann

Schonung. Er war stabilisiert, aber durch die Veränderungen seines Körpers noch zu ge­schwächt. Doch er bestand auf seinem Wunsch. Aus Gründen, über die ich nur spe­kulieren konnte, war er erst bereit, seinen Bericht zu beenden, nachdem er den Stern gesehen hatte, von dem Kythara ihm wäh­rend meiner Abwesenheit erzählt haben musste.

Schließlich blieb mir nichts anderes übrig, als einzuwilligen. Kythara schien weniger große Bedenken zu haben. Sie gab sich da­von überzeugt, dass ihr ehemaliger Gefährte gekräftigt genug sei, den Tank zu verlassen.

Sie machte mir nichts vor. Sie hatte Angst; Angst vor dem, was Jer­

tara möglicherweise widerfahren sein konnte und was dann als Fluch auch sie treffen könnte; und Angst vor dem, was sie mit ih­ren Para-Sinnen vielleicht würde erspüren können, wenn wir am Ziel waren.

Und du?, fragte mein Extrasinn. Ich ver­suchte mir einzureden, dass ein Zusammen­hang möglich war, aber nicht zwingend be­stehen musste.

Auch wenn es noch so nahe liegend er­schien.

*

Es gab noch einen anderen Grund, wes­halb Kalarthras seinen Bericht noch nicht fortsetzen wollte.

Wir standen in der Zentrale, der Vargane und ich. Nur Kythara und Gorgh saßen an ihren Plätzen. Kalarthras hatte es abgelehnt, ebenfalls Platz zu nehmen, wie um zu de­monstrieren, dass er stark genug war.

Und tatsächlich hatte die Untersuchung durch die Medo-Automatik, bevor wir es wagten, ihm seinen Wunsch zu erfüllen und ihn aus dem Tank zu nehmen, erstaunliche Werte ergeben. Trotz seiner körperlichen Veränderungen war sein Zustand besser, als wir hätten erwarten dürfen. Kreislauf, Meta­bolismus – alles bis auf die Temperatur war »im grünen Bereich«.

Natürlich fragte ich mich, wieso er sich so

41 Im Zeichen des Bösen

schnell regeneriert hatte – es wäre doch eher zu erwarten gewesen, dass diese anstrengen­de Erinnerungsprozedur ihn noch weiter ge­schwächt hätte.

Und sie tat es immer noch. Er konnte es nicht verbergen. Sein unsteter Blick sagte mehr als Worte: das plötzliche Zittern seiner Lippen, jedes zu schnelle Atemholen.

Aber irgendetwas in ihm war stärker; et­was putschte ihn regelrecht auf, so dass ich Angst vor dem Augenblick hatte, wenn er aus seinem Hoch in ein übles Tief fallen würde. Vielleicht lag er schneller wieder im Tank, als uns allen lieb sein konnte.

Noch wusste ich nicht, wie seine Ge­schichte endete. Auf jeden Fall aber hatte er Nachkommen in Dwingeloo hinterlassen, als er diese Galaxis verließ. Was lag näher, als dass er sich den Kopf zerbrach, was aus ih­nen geworden war? Im Zeichen des un­glaublich Bösen, an das er felsenfest glaub­te?

Die Minuten bis zum Rücksturz nutzte Gorgh, um noch einmal zu rekapitulieren, was wir bisher über Dwingeloo herausge­funden hatten. Ich beobachtete Kalarthras aus den Augenwinkeln heraus. Er zeigte nicht, ob es ihn beeindruckte; ob es mit sei­nen Erinnerungen übereinstimmte oder ob sich in der langen Zeit, in der er nicht hier gewesen war, etwas verändert hatte.

Er stand neben mir und kämpfte – so, wie er immer hatte kämpfen müssen. Es schien sein Schicksal zu sein. Aber der Kampf, den er jetzt ausfocht, war vielleicht der härteste in seinem langen Leben.

Dann war es so weit. Die AMENSOON fiel in den Normal­

raum zurück. Wie hingezaubert erschienen die Sterne in den Holos – um ein Vielfaches dichter und heller als bei unseren bisherigen Stopps.

Was empfand Kalarthras? Sein Gesicht war eine Maske. Was spürte Kythara? Fühl­ten beide die Nähe des »Bösen«, hier im Zentrumssektor von Dwingeloo, wo es zu Hause sein sollte?

Der Gedanke war nur flüchtig, eher ein

Nachhall, weil ich die ganzen letzten Minu­ten darauf gewartet hatte, wie er reagieren würde. Doch meine Aufmerksamkeit wurde im gleichen Moment von dem gefesselt, was die Orter und Optiken uns an Informationen lieferten.

Es war so schockierend, dass keiner von uns einen Ton herausbrachte.

Wir waren in einem Lichtjahr Entfernung vom Zielstern aus dem Hyperraum gekom­men – eine ausreichende Distanz, wie wir hofften, um von den Garbyor nicht sofort entdeckt zu werden, zumal wir natürlich mit Ortungsschutz flogen. Aber der konnte eben nicht verhindern, dass die Strukturerschütte­rung angemessen wurde. Dass wir hier auf große Flottenverbände des Gegners stoßen würden, schien nach allem, was wir wus­sten, festzustehen.

Wir sollten Recht behalten, doch das war plötzlich fast nebensächlich. Wir starrten wortlos auf den Stern, den Hyperstrahler, das markanteste Objekt in ganz Dwingeloo.

Es war eine blauweiße Riesensonne vom AI-Typ mit einer Oberflächentemperatur von 8700 Grad Kelvin und einem Durch­messer von 43,2 Millionen Kilometern – was etwa der dreißigfachen Größe von Sol entsprach. Sie besaß kein Planetensystem. Das war noch nichts Besonderes.

Was uns die Sprache verschlug, waren vielmehr die fremdartigen schwarzen und dunkelgrauen Riesenprotuberanzen, die sie unaufhörlich ausstieß; eine rätselhafte, nicht eindeutig einzuschätzende Substanz, die weit ins All vordrang und sich in mehreren Millionen Kilometern Distanz zu einer dif­fusen Akkretionsscheibe formte, welche an mehreren Stellen planetengroße Verklum­pungen aufwies.

»Schwarze Substanz«, sagte ich. Damit hatte das Kind einen Namen.

Von Kalarthras kam ein schwaches Stöh­nen.

Ich streckte den Arm aus, um ihn zu stüt­zen. Er schüttelte ihn ab und starrte gebannt auf die Schirme. Unwillkürlich wartete ich darauf, dass er zu schreien begann, so ver­

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zerrt war sein Gesicht. Was sah er? Er musste es kennen! »Diese

Scheibe«, sagte Kythara gebannt. »Erinnert sie euch nicht an ein entstehendes Planeten­system? Werden sich aus den Verdickungen einmal Welten formen?«

Sie sah Kalarthras an, aber der konnte oder wollte keine Antwort geben.

»Garbyor«, sagte Gorgh, scheinbar die Ruhe selbst, »Tausende von Schiffen.«

»Und Strukturerschütterungen«, fügte Ky­thara hinzu. »Die Schwarze Substanz wird ständig von hyperenergetischen Entladungen durcheilt – wie von der AMENSOON schon in über 8000 Lichtjahren Entfernung geortet. Transitionsähnliche Erschütterungen und Entmaterialisationen.«

Ich las die eingeblendeten Daten ab. Demnach musste diese blauweiße Sonne, dieser Dunkelstern, nicht nur einer von meh­reren, sondern der Hauptstützpunkt der Gar­byor in Dwingeloo sein. Hier hatten sie, ähnlich wie bei der Sternenstadt VARX­ODON in der Milchstraße, offenbar einen Großteil ihrer Truppen stationiert.

Einzelheiten wurden zwar von den Erup­tionen und Entladungen überdeckt, doch es mussten insgesamt mindestens 15.000 Raumschiffe sein, die sich bei dem Dunkel­stern ballten. Die Ortung verriet, dass allein fünftausend davon dem 1350 Meter durch­messenden Golfballtyp der Zaqoor entspra­chen.

»Das ist es!«, sagte Kalarthras plötzlich. »Was?«, fragten Kythara und ich wie aus

einem Mund. »Das ist es«, wiederholte er heftig. »Bei

den Göttern …« »Ich wusste es die ganze Zeit«, sagte ich

zu Kythara. »Das war der wirkliche Grund, warum er in der Zentrale sein wollte.«

»Ich verstehe nicht.« »Dabei ist es so einfach. Kalarthras hat

nicht weiter berichtet, weil er es gar nicht konnte. Um jede Erinnerung musste er kämpfen. Doch dann kam der Punkt, an dem das nicht mehr half. Sein Gehirn war leer, Kythara, regelrecht blockiert. Er brauchte et-

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was, das diese Blockade wieder aufhob.« »Du meinst …«, sie drehte sich zu den

Schirmen um, »… diese Sonne? Den Dun­kelstern, wie du sie nennst?«

»Genau das«, sagte ich überzeugt. Und Kalarthras bestätigte es, indem er

wieder zu reden begann. Wir hörten zu, voller gespannter Erwar­

tung, während draußen die Protuberanzen tobten und die Schwarze Substanz ins All geschleudert wurde. Theoretisch waren wir vor einer Entdeckung sicher.

Aber ich war nie ein sehr großer Freund bloßer Theorie gewesen. Mein Gefühl sollte mich auch diesmal nicht täuschen.

Doch ich ging dieses Risiko ein, weil ich hoffte, von Kalarthras mehr über diese rät­selhafte Sonne zu erfahren.

Und vielleicht über das unglaublich Böse …

11. Kalarthras

Kalarthras und Jertara hatten Dutzende von Galaxien gesehen, Milliarden ferner Sterne. Sie hatten auf ihrer Reise durchs Universum immer wieder Station gemacht oder Jahrzehntausende im Tiefschlaf ver­bracht. Sie hatten fremde Völker kennen ge­lernt und sich hier und dort ein wenig »eingemischt«, wobei Jertara strikt darauf achtete, keine negativen Spuren zu hinterlas­sen, wie sie es nannte. Wenn jemand ihren Rat ersuchte oder um Freundschaft warb, verweigerten sie sich nicht. Aber sie dräng­ten sie niemandem auf.

Sie sammelten Erfahrungen und gewan­nen an Wissen und Weisheit. Sie durch­streiften das All und stellten sich den Her­ausforderungen der Sterne, bis Kalarthras' Unrast endlich gestillt war.

Dazu hatte es nicht weniger als 300.000 Jahre gebraucht.

Als sie nach all dieser Zeit schließlich in die Milchstraße zurückkehrten, wo alles sei­nen Anfang genommen hatte, schien sich der Kreis zu schließen. Kalarthras wollte

43 Im Zeichen des Bösen

hier Frieden finden; sehen, was aus seinem Volk geworden war, und helfen, wo es nötig war.

Natürlich hoffte er, dass in der Heimat in­zwischen eine Lösung des großen Problems gefunden worden war und es noch Varga­nen, vor allem neue Varganen, gab.

Jertara war schon lange des Umherzie­hens müde. Ein anderes Varganenreich hat­ten sie nicht gefunden, und sie sehnte sich nach ihrem Frieden. Dennoch war sie Kalar­thras, ohne zu widersprechen, immer wieder und immer weiter gefolgt, solange es ihn in die Unendlichkeit trieb.

Sie würde ihn auch auf dem letzten Weg begleiten. Sie hatten viel Zeit gehabt, um of­fen darüber zu sprechen. Beide waren nun länger zusammen als jeder von ihnen jemals mit einem anderen Partner. Die Wunder, die sie gesehen hatten, hatten sie ebenso zusam­mengeschweißt wie die erlebten Frustratio­nen.

Die größte Enttäuschung erlebten sie aber bei der Rückkehr in die Milchstraße.

Sie fanden keine Varganen mehr. Die Planeten, die sie einmal gekannt hat­

ten – vor 700.000 Jahren! –, waren nicht mehr bewohnt. Sie waren zu »Versunkenen Welten« geworden. Ihre Funksprüche blie­ben unbeantwortet. Vielleicht lagen die Un­sterblichen in Tiefkühltanks und warteten auf eine bessere Zukunft.

Die Milchstraße, in die sie zurückgekehrt waren, gehörte ihnen nicht mehr. Andere Völker hatten die kosmische Bühne betreten. Die aktuellen Herrscher nannten sich Lemu­rer, aber der Höhepunkt ihrer Entwicklung lag bereits hinter ihnen. Sie befanden sich in einem Vernichtungskrieg gegen die furcht­baren Haluter.

Ein Krieg, den sie nicht gewinnen konn­ten.

»Das ist nicht mehr unsere Heimat«, sagte Kalarthras eines Tages zu seiner Gefährtin. »Wir sind Fremde. Selbst die Sternenstädte schweigen.«

»Also?«, fragte Jertara. »Was willst du mir damit sagen? Nein, antworte nicht. Ich

bin eine Närrin, so zu fragen. Natürlich weiß ich es. Es geht weiter, nicht wahr? Was schwebt dir vor? Eine weitere Odyssee oder …?«

Er schüttelte den Kopf. »Keine neue Odyssee, Jertara. Wenn es

noch so etwas wie Heimat für uns geben kann, dann liegt sie in sechzehn Millionen Lichtjahren Entfernung.«

»Gantatryn«, stellte sie fest. »Willst du zurück und sehen, was aus unseren Nach­kommen geworden ist?«

»Hast du einen besseren Vorschlag? Hier in der Milchstraße hält uns doch nichts. Das ist nicht mehr unsere Welt, und der Krieg, der hier geführt wird, ist nicht unser Krieg. Er geht uns nichts an.«

»Und wenn es dein Krieg wäre?«, fragte sie.

Er gab keine Antwort. »Dein Krieg findet woanders statt«, seufz­

te sie. »Du kannst nicht ohne ihn leben, den ewigen Kampf. Du hast Angst vor dem, was aus unseren Nachkommen in Gantatryn ge­worden sein könnte – gib es zu. Du musst nachsehen und dich wieder einmischen. Wa­rum fällt dir das erst jetzt ein und nicht vor hunderttausend Jahren?«

»Du brauchst nicht mitzukommen, wenn du nicht willst, Jertara«, sagte er. »Du kannst eine ganze Sternenstadt für dich in Besitz nehmen oder eine Versunkene Welt. Es gibt bestimmt noch Androiden, oder du wirst sie dir in einer Fabrik neu erschaffen.«

»Ich werde nichts dergleichen tun«, sagte sie bitter. »Nicht ohne dich, das weißt du ge­nau.«

Er nahm sie in die Arme und drückte sie fest an sich. »Danke«, flüsterte er.

Drei Wochen blieben sie noch in der Milchstraße, fern den von Lemurern be­wohnten Systemen, fern den Schauplätzen des Krieges. Sie besuchten VARXODON und nahmen Abschied – endgültigen Ab­schied von ihrer Vergangenheit, jedenfalls glaubten sie das.

Kurz vor dem Aufbruch erlebten sie noch eine Überraschung. Ein varganisches Schiff

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erschien und funkte sie an. An Bord war Kythara. Einige Male hatten

sich ihre Wege in der Unendlichkeit ge­kreuzt, gerade so, als sei es Bestimmung. Sie trafen sich und tauschten ihre Erfahrungen aus. Nur über Gantatryn sprach Kalarthras nicht. Vielleicht aus Angst, sie würde sich ihm anschließen und in der »neuen Heimat« eine Enttäuschung erleben – er wusste es nicht.

Sie trennten sich als Freunde. Wäre er al­lein gewesen, hätte ihre Begegnung viel­leicht einen anderen Ausgang genommen. Aber er war nicht allein, und er wusste, zu wem er gehörte.

Wenigstens redete er sich das ein. Kalarthras und Jertara waren enger ver­

bunden als jemals zuvor, als sie abermals Kurs auf die 16 Millionen Lichtjahre ent­fernte Galaxis nahmen. Der Schatten Kytha­ras hatte immer zwischen ihnen gestanden, unsichtbar, unausgesprochen. Doch das schi­en nun vorbei zu sein. Kalarthras' große Lie­be war zwar nicht erloschen, das konnte sie nicht, aber sie ruhte, solange er Jertara hatte.

Er sah wieder nach vorne – und hatte Angst. Vielleicht schlief es noch, das Dunkle, das Böse. Vielleicht aber …

Die alte Angst, der alte Wahn wuchs wie­der in ihm, nachdem er sie schon besiegt zu haben glaubte.

*

Es war stärker denn je. Dass Jertara die Dinge anders sah, war nichts Neues. Des­halb nahm er ihren Einwand auch nicht ernst, als sie ihm sagte, dass sie keine Ver­änderung wahrnahm.

»Du hast dich wieder hineingesteigert«, stellte sie fest. »Schon bevor wir Gantatryn überhaupt erreichten. Ich mache mir Sorgen um dich, Kalarthras. Ich fürchte, du bist ernsthaft krank.«

»Was für ein Unsinn!«, fuhr er sie an. »Du redest so, weil du es nicht wahrhaben willst! Spürst du es nicht? Drückt es dir nicht die Luft ab? Es ist da, Jertara, und es

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ist zum Sprung bereit! Es wird unsere Nach­fahren vernichten! Es hat gewartet, bis das Reich groß ist, und nun will es zuschlagen! Ich durchschaue es!«

»Ich verstehe deine Logik nicht. Wäre es nicht einfacher, ein Reich zu zerschlagen, solange es noch klein ist?«, entgegnete sie ohne Vorwurf in ihrer Stimme. »Ich habe auch Angst, Kalarthras – aber ich habe Angst vor dir. Dein Wahn verändert dich, du bist nicht mehr der Mann, der du einmal warst. Mit jedem Tag wirst du mir fremder.«

»Dann geh doch!«, schrie er. »Ich halte dich nicht!«

Sie sahen sich an. Sie hielt dem Blick sei­ner irren Augen stand, obwohl es sie fröstel­te. Dann schüttelte sie traurig den Kopf.

»Ich werde dich nie verlassen, Kalarthras. Ich kann es nicht. Das ist ja das Schlimme. Nur der Tod könnte mich von dir fortrei­ßen.«

»Sprich nicht so!« Er legte die Hand vor seine Augen. Sein Kopf senkte sich fast bis auf die Brust. »Verzeih mir, Jertara. Manch­mal … habe ich ja selbst Angst vor mir.«

»Das weiß ich«, versuchte sie ihn zu trö­sten, doch sie erreichte eher das Gegenteil.

Er hob den Kopf und lachte rau. »Das weißt du? Wie konnte ich verges­

sen, dass du ja alles weißt! Oh ja, du warst immer schon klüger als wir anderen! Aber unsere Nachkommen werden untergehen. Das Böse wird sie verschlingen! Das Reich …«

»Wollen wir nicht erst einmal sehen, ob es überhaupt noch ein Varganenreich gibt, Kalarthras?«, fragte sie. Es klang mitleidig, und das traf ihn härter als jeder Vorwurf. »Nach all den Jahrhunderttausenden?«

»Natürlich gibt es das Reich noch. Es wa­ren Varganen, die es errichteten! Wenn auch keine richtigen Varganen, keine Unsterbli­chen wie wir, aber in ihren Adern fließt doch unser Blut …«

»Ja«, sagte sie. »Deins und meins.« Er gab keine Antwort mehr. Sie nahmen

Fahrt auf und flogen in die Balkengalaxis ein. Nach der zweiten Überlichtetappe

45 Im Zeichen des Bösen

lauschten sie ins All. Doch der Wust an Funksprüchen, den zumindest Kalarthras er­wartet hatte, blieb aus.

Niemand begrüßte sie. Der Raum zwi­schen den Sternen schien leer zu sein, tot und verwaist.

Voller Entsetzen fragte sich Kalarthras, ob Jertara vielleicht doch Recht hatte mit dem Ungeheuerlichen, das sie behauptete. Für ihn war es nicht einmal denkbar.

Also setzte er selbst Funksprüche ab, in alle Richtungen. Doch das Bild blieb das gleiche. Gantatryn schien verlassen und tot zu sein. Er sah schreckliche Bilder vor sei­nem geistigen Auge: schwarze Klauen, die sich nach Planeten ausstreckten und deren Bevölkerungen zerdrückten; die in das All hinausgriffen und die Schiffe packten, ganze Flotten, die zwischen den Sternen unterwegs waren.

Als seine Sprüche dann endlich beantwor­tet wurden, fiel ihm eine Zentnerlast von den Schultern. Er konnte die Verzweiflung ab­schütteln, die ihn erfasst hatte, und geriet ins andere Extrem. Von Euphorie ergriffen, nahm er Kurs auf die Quelle der Signale und landete auf einem Planeten namens Gond­nar, der in den Karten der TARVAN nicht einmal verzeichnet war.

Es war eine in jeder Hinsicht blühende Welt. Große, wunderschöne Städte schmieg­ten sich harmonisch in eine intakte Natur, und der Himmel war voller Gleiter und Schweber, die sich von einer Metropole zur anderen bewegten.

Kalarthras sah große Raumhäfen mit stol­zen Schiffen. Doch in seiner Hochstimmung war er genauso blind wie in der Niederge­schlagenheit. Er bemerkte gar nicht, dass die Schiffe weder starteten noch landeten.

Der Verwalter des Planeten, ein junger Vargane namens Maschkran, empfing ihn und Jertara in seinem Palast mit allen Ehren, die Staatsoberhäuptern würdig gewesen wä­ren. Es wurde ein Festmahl mit illustren Gä­sten bereitet. Kalarthras fühlte sich geehrt und bestätigt. Das Reich lebte! Er sah dessen Glanz und Glorie, doch dass Offiziere oder

berühmte Raumfahrer bei seinem Empfang fehlten, fiel ihm nicht auf.

Dafür wurde sein Name genannt – in ei­nem Atemzug mit anderen, die er nicht ver­gessen hatte. Niemand hatte sie vergessen, die Pioniere, die Unsterblichen, die einst von einer fernen Galaxis gekommen waren und Gantatryn kolonisiert hatten. Sie waren Sa­gengestalten, zu mythologischen Figuren sti­lisiert.

Doch ob sie noch lebten, erfuhr Kalar­thras nicht. Er fragte auch nicht.

Er war blind und taub. Er sah nur, was er sehen wollte: ein Bild von einem blühenden, mächtigen Reich der Varganen.

Wer außer Jertara vermochte ihn in die Wirklichkeit zurückzuholen?

»Es gibt kein Reich mehr, Kalarthras«, sagte sie zu ihm.

Er starrte sie an, wollte es nicht glauben und nannte sie eine Närrin, schalt sie der Lü­ge. Erst als Maschkran das Wort ergriff, musste er seinen furchtbaren Irrtum erken­nen.

Der »Verwalter« sprach lange und ein­dringlich zu ihm. Anfangs weigerte sich Ka­larthras, ihm zuzuhören, doch dann musste er Stück für Stück erfahren, wie sich die Zi­vilisation seiner Nachkommen in Gantatryn wirklich entwickelt hatte.

Vor 300.000 Jahren hatte es wirklich so ausgesehen, als würde sich sein Traum von einem galaxisweiten Imperium erfüllen. Mit dem Bild von großen Kolonisierungsflotten vor Augen hatten er und Jentara den Ster­nennebel verlassen, um anderswo die Her­ausforderung zu suchen, die sie in Gantatryn nicht mehr zu sehen geglaubt hatten. Die er nicht mehr sah. Doch dann hatten sich die Dinge anders entwickelt.

Die Varganennachkommen hatten sich über die Sterne ausgebreitet, doch sie waren nicht die Eroberer, die ihre Erzeuger gewe­sen waren. Sie kolonisierten nur in großem Stil, solange die wenigen verbliebenen Un­sterblichen sie antrieben und zwangen. Sie wagten erst, ihre eigenen Wege zu gehen, ihre eigene Welt zu bauen, als die Alten

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Gantatryn entweder verlassen, sich in den Tiefschlaf gelegt oder sich sonst wie von der Welt zurückgezogen hatten. Manche ver­suchten noch, aus dem Verborgenen heraus die Fäden zu ziehen, doch die meisten von ihnen resignierten mit der Zeit.

Die Nachfahren hatten eigene Vorstellun­gen vom Universum.

Es hatten sich auf den besiedelten Plane­ten zwar zahlreiche humanoide Kulturen entwickelt, doch den Kindern der Varganen fehlte der Expansions- und Eroberungsdrang ihrer Ahnen. Ohne von diesen gelenkt zu werden, begannen sie ihre eigenen Ideale zu verwirklichen, und dies waren nicht die von einem großen, prächtigen Imperium.

Sie begnügten sich mit den Welten, die sie besaßen. Sie hielten ihre Vermehrung in vernünftigen Grenzen und benötigten nicht mehr Raum, als ihnen zur Verfügung stand. Sie lernten, in Harmonie mit der Natur zu le­ben und die Ressourcen zu nutzen, die ihnen von ihrer Umwelt zur Verfügung gestellt wurden. Die Raumfahrt kam mehr und mehr zum Erliegen. Die besiedelten Welten hiel­ten Kontakt untereinander, doch mehr nicht. Jeder Planet war autark und wurde von ei­nem Verwalter regiert, der den Willen des Volks zu erfüllen hatte. Die neuen Varganen entwickelten und pflegten ihre eigenen, friedlichen Werte.

Für Kalarthras war das unfassbar. Seine Nachkommen lebten in den Tag hinein! Kein Reich, weder Glanz noch Glorie! Seine Welt brach zusammen.

Das einzige Reich in Gantatryn, das diese Bezeichnung verdiente, war laut Maschkran das der nur bedingt humanoiden Togronen. Der Verwalter ging nicht näher darauf ein, und Kalarthras interessierte sich nicht wirk­lich dafür, sondern registrierte es beiläufig. Was gingen ihn die Togronen an, wenn ihn sein eigenes Volk verraten hatte!

Maschkran berichtete weiter. Kalarthras hörte mit schwindendem Interesse zu und wollte sich schon zurückziehen, als plötzlich die Rede auf einen Mythos kam – den My­thos des Dunkelsterns. Kalarthras' Interesse

Horst Hoffmann

erwachte neu. Der Dunkelstern … Es hörte sich geheim­

nisvoll an, düster und irgendwie nach dem unglaublich Bösen.

Der Dunkelstern wurde von den Varganen auch Hellin oder Enadas genannt. Er ließ sich von Maschkrans Astronomen die Koor­dinaten geben, und früh am nächsten Tag brachen er und Jertara mit der TARVAN auf, um diese mysteriöse Sonne selbst aus der Nähe in Augenschein zu nehmen.

Kalarthras war aufgeregt. Er fand keinen Schlaf und verzehrte sich fast vor Angst, Be­sessenheit und selbstmörderisch anmutender Tollkühnheit. Er wollte sich dem Bösen stel­len. Wieder einmal und vielleicht zum letz­ten Mal suchte er den großen Kampf.

Jertara hatte große Sorge um ihn, doch in einem war sie zufrieden.

Ihre Nachkommen, sagte sie ihm, waren klüger als ihre Erzeuger. Sie waren keinem größenwahnsinnigen Ideal gefolgt, sondern hatten einen anderen Traum verwirklicht – ihren, Jertaras, Traum von einem harmoni­schen Kosmos, in dem Varganen und Gottes andere Geschöpfe in Frieden miteinander lebten.

Vielleicht war das die bessere Art von Unsterblichkeit.

*

Es handelte sich um einen überaus mar­kanten Hyperstrahler. Kalarthras benötigte drei Überlichtetappen, bis er, zwei Lichtjah­re von seinem Ziel entfernt, in den Normal­raum zurückging.

Was die Orter ihm aus dieser Distanz zeigten, war überwältigend – vor allem, wenn man es mit den Augen eines Besesse­nen sah.

Der Dunkelstern, Hellin, Enadas – der Mythos stand majestätisch am Rand des Zentrumssektors von Gantatryn, dem Ort, wo das Böse wohnte. Die weißblaue Riesen­sonne stach aus allen anderen der näheren Umgebung heraus und schlug den Varganen sofort in ihren Bann.

47 Im Zeichen des Bösen

»Sie ist beeindruckend«, sagte Jertara. »Ich gebe es zu, aber es existieren in Ganta­tryn Tausende solcher Sterne. Ich weiß nicht, was diesen hier zu einem Mythos ma­chen sollte.« Er starrte sie ungläubig an. »Beeindruckend? Ist das alles? Ja spürst du es denn nicht? Es ist da! Es ist stark! Es war­tet auf uns!«

Er lachte irr. Jertara wartete, bis er sich beruhigt hatte. Dann sagte sie: »Wir hätten wirklich auf Gondnar bleiben sollen. Du hät­test dich behandeln lassen sollen. Aber du hattest Angst davor – Angst, die Ärzte könn­ten erkennen, wie es wirklich um dich be­stellt ist. Diese …«

»Ach was!«, schnitt er ihr das Wort ab. »Sieh dir die Werte an! Wenn du schon nicht an das glaubst, was wir spüren, dann vertraue wenigstens den Ortern. Dieser Stern strahlt im Hyperspektrum wie ein Leucht­feuer! Etwas geschieht in, auf oder mit ihm. Wir müssen näher heran!«

»Kalarthras, du weißt nicht, was du tust! Wenn diese Sonne gefährlich ist, dann …«

»Du glaubst es also auch! Du fühlst es auch! Es ist da! Das Böse ist da!«

»Ich fühle nur, dass du den Verstand ver­lierst, Kalarthras! Du wirst uns in den Unter­gang stürzen! Lass uns umkehren. Ich weiß, dass etwas Schlimmes geschehen wird, wenn wir es nicht tun.«

»Ich muss es wissen!«, keuchte er. »Ich muss wissen!«

»Etwas Schreckliches, Kalarthras! Lass uns umkehren, noch ist Zeit dazu!«

»Gerade Zeit haben wir keine!«, schrie er. »Begreife es doch, Jertara! Dort ist das Bö­se! Ich habe es gefunden, nach 700.000 Jah­ren! So lange hat es auf uns gewartet!«

»Selbst wenn es so wäre – willst du dich ihm freiwillig ergeben? Indem du ihm direkt in den Rachen fliegst?«

»Ich muss näher heran!«, rief er, während die TARVAN schon wieder beschleunigte. »Näher heran!«

Sie schwieg. Ihr Gesicht verriet das eisige Entsetzen, das sie erfasst hatte. Aber es war nicht die Angst vor dieser Sonne. Sie glaub­

te nicht an Kalarthras' Fantasien. Vielleicht gab es das »unglaubliche Böse«. Aber es war verrückt, es in dieser Sonne zu sehen, so ungewöhnlich sie auch sein mochte.

Sie fürchtete sich vor ihm und dem, was er zu tun im Begriff war.

Dennoch protestierte sie nicht. Sie wusste, dass ihre Worte ihn nicht mehr erreichten.

Doch sie würde auch jetzt zu ihm stehen, wie sie es immer getan hatte.

Die TARVAN glitt in den Hyperraum, vielleicht zum letzten Mal. Nach nur weni­gen Minuten materialisierte sie dicht vor dem Stern, in nur einem viertel Lichtjahr Entfernung.

Im ersten Moment schien sich nichts ver­ändert zu haben. Die Sonne war eine riesige flammende Kugel geworden. Starke Filter verhinderten eine Blendung durch ihr Licht.

Es kam urplötzlich, gerade als hätte der Dunkelstern nur darauf gewartet, dass ein Raumschiff mit lebender Besatzung nahe genug herankäme, um es mit einem Schlag in den weit geöffneten Rachen zu ziehen.

Ja, dachte Kalarthras. Es ist das Böse! Es zeigt endlich sein Gesicht!

Aus weit aufgerissenen Augen sah er, wie mit einer unvorstellbaren Eruption gewaltige Mengen einer schwarzen Substanz aus der Sonne geschleudert wurden.

Er starrte auf das Bild von erhabener, fin­sterer Schönheit. Grauen und Faszination vermischten sich miteinander. Sein Körper war steif vor Erregung. Sein Herz schlug ra­send, die Hände zitterten. Er wollte schreien und brachte doch kein Wort heraus. An Jer­tara dachte er in diesem Moment nicht mehr. Er war allein, allein mit …

Er sah die Eruption heranschießen, dann verschwinden – wie entmaterialisiert.

Nein, es war nur ein Teil davon, und … Im nächsten Moment explodierte das Uni­

versum. Kalarthras' Schrei gellte in die Un­endlichkeit. Er sah es nicht mit den Augen, fühlte es nicht mit den Sinnen. Aber er wus­ste es, als die Schwärze ihn einhüllte, ihn und sein Schiff. Er bekam keine Luft mehr, sein Herz setzte aus. Es war dunkel gewor­

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den. Er sah nur noch Schwärze, tiefste Schwärze. Er hörte seinen eigenen Schrei, lang gezogen, ein nicht endendes Echo.

Als es abrupt endete, war nichts mehr.

12. Atlan

»Und dann«, wiederholte Kalarthras mit schwacher Stimme, »war nichts mehr.«

Er sah uns an, zuerst Kythara, dann mich. Er war müde, total verausgabt. Nur das, was wie ein dunkles Feuer in ihm brannte, hatte ihn bis jetzt aufrecht gehalten.

»Du hast keine Erinnerung mehr«, stellte Kythara fest, hin und her gerissen zwischen Mitgefühl, Faszination des Gehörten und tiefer Sorge. »Stimmt es?«

»Keine Erinnerung«, bestätigte der Var­gane. Er sprach leise und langsam. Ihm schi­en eine große Last von der Seele gefallen zu sein. Er hatte endlich alles gesagt, was aus ihm herausmusste, und wirkte befreit. Jetzt brauchte er unbedingt Erholung, mehrere Stunden Schlaf und medizinische Betreu­ung. In den Tank wollte er nun nicht mehr zurück. Aber das war auch nicht nötig, denn inzwischen war eine Kabine für ihn vorbe­reitet worden.

»Keine Erinnerung. Aber wartet, da ist doch noch etwas.« Er rieb sich die Augen. Dann sah er auf die Schirme. »Der Dunkel­stern. Ich wusste nichts mehr, doch seit ich ihn jetzt wieder sehe, kommt es wieder hoch, wie glühende Lava aus den Tiefen ei­nes Planeten, versteht ihr? Kythara, Atlan, ich weiß jetzt, dass ich … besessen war. Deshalb braucht ihr euch keine Sorgen mehr zu machen.«

»Wirklich nicht?«, fragte sie. Er schüttelte langsam den Kopf. »Nein, es

ist vorbei. Ich glaube jedenfalls, dass ich es im Griff habe. Ich bin mir dessen bewusst geworden, als ich nach meinen Erinnerun­gen suchte – und Bild für Bild wieder neu entstand.« Er schien wieder nach Worten zu suchen, wie um sich selbst Lügen zu strafen. »Jertara, sie hatte Recht. Ich war verblendet.

Horst Hoffmann

Ich hatte mich in etwas hineingesteigert. Das Böse, es ist da. Aber ich bekam es nicht un­ter Kontrolle. Ich hatte mich nicht mehr un­ter Kontrolle.« Er lachte rau und bezahlte dafür mit einem Schwindelanfall. Ich ging auf ihn zu, aber er winkte ab. »Danke, Atlan, ich bin gleich so weit. Aber bevor die Me­dos mich abholen, muss alles gesagt sein.«

»Das hast du doch schon, oder?«, fragte Kythara. »Was gibt es denn noch?«

Eine Menge, dachte ich. Aber alles zu sei­ner Zeit.

»Etwas ist da«, sagte er leise. »Ich sehe es wieder genau vor mir. In einer dieser Ver­dickungen der Akkretionsscheibe. Ich spürte mentale Impulse. Von Varganen! Hört ihr? Ich bin sicher, es waren Varganen, aber auch noch etwas anderes. Dort existierte etwas, das stärker war und sie überlagerte.«

»Kalarthras, bist du sicher, dass du nicht …?«

»Ich bin gleich fertig, Kythara. Und ich fühle mich so klar im Kopf wie lange nicht mehr.« Er holte tief Luft. »Wie seit 50.000 Jahren nicht, als wir uns das letzte Mal in der Milchstraße trafen.« Wieder eine Pause. »Es war stärker als die Varganen-Impulse. Ein überaus fremdartiges, anscheinend rein instinktgesteuertes Bewusstsein.« Er fixierte uns mit seinen schwarzen, glasigen Augen. »Ja, ein Bewusstsein, versteht ihr?«

»War es das, was du das unglaublich Böse nennst?«, fragte ich.

»Ich weiß es nicht, Atlan. Ich weiß nichts mehr.«

»Du bist erst wieder zu dir gekommen, als wir dich fanden«, sagte Kythara. »Auf Vas­santor.«

Er nickte. »Und du weißt nicht, wie du dorthin ge­

kommen bist? Zurück in die Milchstraße?« »Nein«, hauchte er. »Wie ich sagte: Nach­

dem ich zusammengebrochen war, dort beim Dunkelstern, war nichts mehr. Keine Erinne­rung, gar nichts.«

»Und Jertara?« Ich sah Kythara warnend an. Ich wusste genau, was sie dachte.

»Ich weiß nicht, was aus ihr geworden

49 Im Zeichen des Bösen

ist«, flüsterte der Vargane. »Es kommt mir vor, als sei sie gerade noch bei mir gewe­sen.«

»Wir haben nur dich gefunden«, sagte ich und ging zu ihm. Diesmal ließ er sich von mir helfen. Ich zog ihn vorsichtig in die Hö­he, während Kythara die Medos rief.

Sie hatten bereits vor der Zentrale gewar­tet. Kalarthras fiel ihnen regelrecht in die ausgefahrenen Tentakelarme. Sie hoben ihn sanft auf ein Antigravkissen und brachten ihn hinaus.

»Ich komme gleich nach!«, rief Kythara und wartete, bis sie mit ihm verschwunden waren. Dann sah sie mir in die Augen.

»Was hältst du davon, Atlan?«, fragte sie schließlich.

»Von Kalarthras? Ich glaube, er hat sich gefangen. Er hat Probleme mit der Erinne­rung, und ich bin noch nicht davon über­zeugt, dass nicht auch an seinem Geist mani­puliert worden ist, so wie an seinem …«

»Körper«, sagte sie. »Du hast es bemerkt, nicht wahr? Er ist dunkler geworden.«

»Ja.« Die Hautfarbe des Varganen hatte sich weiter verändert. War ich mir anfangs nicht sicher, so konnte ich es jetzt nicht mehr übersehen. Die anfangs leicht graue Haut war nun in einem dunkleren Grau ge­scheckt.

Gescheckt wie der Dunkelstern, meinst du?, fragte mein Extrasinn. Du denkst in diese Richtung, gib es zu.

Es war mir noch zu spekulativ. Aber im Grunde musste ich ihm Recht geben.

»Du wolltest etwas anderes wissen«, sagte ich zu Kythara. »Du fragst dich, was aus Jer­tara geworden ist.« Ich zuckte die Achseln. »Tut mir Leid, aber ich kann es dir nicht sa­gen.«

»Brauchst du auch nicht«, sagte sie seuf­zend. »Ich weiß es auch so. Er hat sie verlo­ren, oder? Auch sie. Aber …« Sie versuchte zu lachen. »Es ist nicht wichtig, nicht wirk­lich.«

»Du bist in Ordnung? Bist du sicher?« »Natürlich.« Ich drückte ihr die Schulter und sah zu

den Holos, die seit einiger Zeit zeigten, wie stärkere Verbände der Garbyor offenbar ver­suchten, in die Akkretionsscheibe des Dun­kelsterns einzudringen. Wir hatten auch et­was von ihrem Funkverkehr abhören kön­nen. Immer wenn Kalarthras eine Pause ma­chen musste, hatten wir uns auf den neue­sten Stand gebracht.

Daher wussten wir, dass die Garbyor den Dunkelstern Heiast nannten und ihre For­schungen und Untersuchungen, wie es schi­en, auf eine besonders markante Substanz­verdickung konzentrierten, die fast Jupiter­größe erreichte.

Ihre Versuche, in die Akkretionsscheibe und diese Wolke einzudringen, scheiterten, doch sie nahmen immer wieder neuen An­lauf. Wir konnten noch ermitteln, dass die jupitergroße Verdickung in ihrem Kern min­destens einen mondgroßen, festen Körper aufwies, und stellten uns natürlich die Frage, ob dies die gleiche Verdickung sein könne, von der Kalarthras gesprochen hatte.

Falls ja, musste Kythara die mentalen Im­pulse der Varganen feststellen können. Ich fragte mich schon, ob es sich bei dem »festen Kern« vielleicht um ein Projekt der unsterblichen Varganen handelte, vielleicht auch eine Art Versunkene Welt.

Wir registrierten noch, dass es parallel zu den schwarzen Protuberanzen zu hyperener­getischen Überschlägen kam, bei denen ver­gleichbar einer Sonnenanzapfung Energie vom Dunkelstern zu der Verdickung floss und dort entweder gespeichert wurde oder über merkwürdige »Dimensionsdurchbrüche« in unbekannte Gefilde verschwand.

Doch bevor wir unser weiteres Vorgehen diskutieren konnten, bevor Kythara sich auf den Weg zu Kalarthras machen konnte, löste die Ortung den automatischen Alarm aus.

Nur wenige Lichtsekunden von der AMENSOON entfernt waren drei Schiffe der Garbyor materialisiert – so viel zum Thema sichere Entfernung.

»Sie nehmen uns die Entscheidung ab«, sagte ich zu Kythara.

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»Wir werden sie gleich abhängen!«, erwi­derte sie und lief zu ihrem Platz. ENDE

Wir entkamen gerade noch rechtzeitig in den Hyperraum, den Kopf voller Rätsel und Fragen.

E N D E

Kontakt auf Alarna von Joachim Stahl

Kalarthras berichtet trotz seines geschwächten körperlichen Zustandes vom »Projekt Kyr­lan« und den Versunkenen Welten. Der Wissenschaftler kann sich jedoch nur teilweise an Vergangenes erinnern; er weiß weder, wie er in die Milchstraße noch wie er nach Vassantor gelangt ist. Irgendwie hängt jedoch alles mit dem Dunkelstern zusammen, der gewaltige Men­gen an Schwarzer Substanz ausschleudert. Kalarthras glaubt, in einer der Verdickungen der Akkretionsscheibe mentale Impulse von Varganen bemerkt zu haben. Atlan und Kythara neh­men die Suche auf, dabei kommt es zum KONTAKT AUF ALARNA.