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Hintergrund: Indien Nr. 31 / Mai 2015 | 1 Indiens neue Stärke – Eine Bilanz der einjährigen Amtszeit Narendra Modis Dr. Ronald Meinardus Ministerpräsident Modi war es vor einem Jahr wie keinem anderen gelungen, Indiens Wählermassen zu mobilisieren und sich als der politische Heilsbringer zu präsentieren, der den Subkontinent nach Jahren der Stagnation in eine bessere Zukunft für alle führen würde. Für Indien war der 26. Mai 2014 eine politische Zäsur. An diesem Tag trat Narendra Modi das Amt des Ministerpräsidenten an. Vorangegangen war ein erbitterter Wahlkampf. Die größte politische Veran- staltung in der Geschichte der Menschheit, wie die indischen Parlamentswahlen auch genannt wur- den, fand aus logistischen Gründen über neun Wochen verteilt in nicht weniger als neun Wahlgängen statt. Dem Wahlrecht ist es zuzuschreiben, dass Narendra Modi und seine Indische Volkspartei (BJP) mit knapp einem Drittel der Wählerstimmen als die strahlenden Sieger – und einer absoluten Mehrheit im Unterhaus des Parlamentes – aus dem politischen Marathon hervorgingen. Hohe Erwartungen an die Wirtschaftspolitik Ein Jahr später ziehen die Inder eine erste Zwischenbilanz. Kein Thema beschäftigt in diesen Tagen die Medien mehr als die Frage, ob Modi und die Seinen Wort gehalten haben oder alles mehr oder weni- ger beim Alten geblieben ist. Die höchsten Erwartungen an den neuen Mann gibt es in Bezug auf die Wirtschaftspolitik. Hunderte Millionen Inder leben in bitterer Armut, wollen dem Elend entkommen und den Sprung schaffen von ganz unten am Boden der Gesellschaft in die rasant wachsende Mittelschicht. Modernität und Mittel- alter liegen in Indien Seite an Seite. In seinem Wahlkampf hat Modi allen eine bessere Zukunft ver- sprochen. „Entwicklung“ lautete der alles beherrschende Wahlkampfslogan. Zugute gekommen ist dem Wahlkämpfer Modi seine Biographie: Drei erfolgreiche Amtszeiten als Chief Minister, vergleichbar einem Ministerpräsidenten eines Bundeslandes in Deutschland, von Gujarat prägen das Image eines Politikers, der als „Macher“ gilt. Hintergrund: Indien Nr. 31 / 21. Mai 2015

Indiens neue Stärke

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Ministerpräsident Modi war es vor einem Jahr wie keinem anderen gelungen, Indiens Wählermassen zu mobilisieren und sich als der politische Heilsbringer zu präsentieren, der den Subkontinent nach Jahren der Stagnation in eine bessere Zukunft für alle führen würde.

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  • Hintergrund: Indien Nr. 31 / Mai 2015 | 1

    Indiens neue Strke Eine Bilanz der einjhrigen

    Amtszeit Narendra Modis

    Dr. Ronald Meinardus

    Ministerprsident Modi war es vor einem Jahr wie keinem anderen gelungen, Indiens Whlermassen zu

    mobilisieren und sich als der politische Heilsbringer zu prsentieren, der den Subkontinent nach Jahren

    der Stagnation in eine bessere Zukunft fr alle fhren wrde.

    Fr Indien war der 26. Mai 2014 eine politische Zsur. An diesem Tag trat Narendra Modi das Amt des

    Ministerprsidenten an. Vorangegangen war ein erbitterter Wahlkampf. Die grte politische Veran-

    staltung in der Geschichte der Menschheit, wie die indischen Parlamentswahlen auch genannt wur-

    den, fand aus logistischen Grnden ber neun Wochen verteilt in nicht weniger als neun Wahlgngen

    statt. Dem Wahlrecht ist es zuzuschreiben, dass Narendra Modi und seine Indische Volkspartei (BJP)

    mit knapp einem Drittel der Whlerstimmen als die strahlenden Sieger und einer absoluten Mehrheit

    im Unterhaus des Parlamentes aus dem politischen Marathon hervorgingen.

    Hohe Erwartungen an die Wirtschaftspolitik

    Ein Jahr spter ziehen die Inder eine erste Zwischenbilanz. Kein Thema beschftigt in diesen Tagen die

    Medien mehr als die Frage, ob Modi und die Seinen Wort gehalten haben oder alles mehr oder weni-

    ger beim Alten geblieben ist.

    Die hchsten Erwartungen an den neuen Mann gibt es in Bezug auf die Wirtschaftspolitik. Hunderte

    Millionen Inder leben in bitterer Armut, wollen dem Elend entkommen und den Sprung schaffen von

    ganz unten am Boden der Gesellschaft in die rasant wachsende Mittelschicht. Modernitt und Mittel-

    alter liegen in Indien Seite an Seite. In seinem Wahlkampf hat Modi allen eine bessere Zukunft ver-

    sprochen. Entwicklung lautete der alles beherrschende Wahlkampfslogan.

    Zugute gekommen ist dem Wahlkmpfer Modi seine Biographie: Drei erfolgreiche Amtszeiten als Chief

    Minister, vergleichbar einem Ministerprsidenten eines Bundeslandes in Deutschland, von Gujarat

    prgen das Image eines Politikers, der als Macher gilt.

    Hintergrund:

    Indien

    Nr. 31 / 21. Mai 2015

  • Hintergrund: Indien Nr. 31 / Mai 2015 | 2

    Wirtschaftspolitisch ist Gujarat eine, ja seine, Erfolgsstory. Nicht nur liberale Inder sagen, der Schls-

    sel zum Erfolg von Modis Politik waren konsequente Liberalisierung und Deregulierung der Wirtschaft

    Gujarats.

    In der Amtszeit Modis ist der Teilstaat in einer Studie, die die wirtschaftliche Freiheit in den indischen

    Bundesstaaten vergleicht (und von der Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit gefrdert wird)

    von Rang 5 im Jahre 2005 auf Platz eins 2012 gestiegen. Gleichzeitig ist das damals von der Kon-

    gress-Partei regierte Indien laut Erhebungen des renommierten Fraser-Instituts in Bezug auf die wirt-

    schaftliche Freiheit in der Welt von Rang 75 im Jahre 2005 auf Platz 111 ab-gestrzt.

    Diese Zahlen erklren die Erwartungen, Narendra Modi werde, einmal im Amt in Neu Delhi, auch auf

    nationaler Ebene die liberale Rezeptur verabreichen, um Indiens Volkswirtschaft fit zu machen. Doch

    ein Jahr nach Amtsantritt bleiben die Meinungen ber den mit so viel Vorschusslorbeeren Gefeierten

    gespalten.

    Auf dem internationalen Parkett kann Modi bislang fast ausnahmslos auf hohen Zuspruch setzen. Aufsehen erregte Anfang des Jahres die Prognose der Weltbank und des Internationalen Whrungs-

    fonds (IWF), wonach Indien demnchst China beim Wirtschaftswachstum berholen werde. In Neu

    Delhi liegen die Wachstumsprognosen fr das kommende Jahr hier hat auch eine Anpassung der

    Berechnungsmethoden beigetragen bei bis zu stattlichen 8,5 Prozent.

    Lokomotive der Weltwirtschaft?

    Indien hat das Zeug, eine der dynamischsten konomien der Welt zu werden, sagte Christine Lagar-

    de, die Chefin des IWF bei einem Besuch in Indien zum Entzcken ihrer Gastgeber.

    Die Erwartung, Indien knne gleichsam die Lokomotive sein, die die ins Stocken geratene Welt-

    wirtschaft auf neue Hhen zieht, ist im besten aller Flle verfrht. Indien ist nicht China das hat

    schon mit den Grenordnungen zu tun. Zwar liegen die beiden asiatischen Riesen in Bezug auf die

    Bevlkerung Kopf an Kopf. Doch bei der Wirtschaftsleistung ist der Abstand gewaltig: das BIP pro

    Einwohner war 2013 in China viereinhalb Mal so hoch wie in Indien.

    Whrend diese Relation das Entwicklungsgeflle

    belegt, beflgelt sie auch die Phantasien der Indi-

    en-Optimisten, die mit leuchtenden Augen das

    konomische Potential des sdasiatischen Subkon-

    tinents beschwren. Modi hat angekndigt, er wol-

    le dieses entfesseln: In ihren PR-Kampagnen er-

    setzte die indische Regierung den eher mde ein-

    herschreitenden Elefanten mit einem Strke und

    Dynamik ausstrahlenden Lwen. Die groe Raub-

    katze ist das Maskottchen der Make in India-

    Kampagne, bei der es darum geht, Investoren und

    Investitionen ins Land zu locken. Eine Galavorstel-

    lung erlebte auch Deutschland anlsslich der dies-

    jhrigen Hannover Messe, auf der Indien das Partnerland war und auf der Narendra Modi hchstper-

    snlich den Kontakt zur internationalen Wirtschaft suchte.

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    Die Qualitten des Investitionsstandortes Indien lassen

    sich selbst beim besten politischen Willen nicht in

    einem Jahr auf den Kopf stellen. Die Bedingungen vor

    Ort sind alles andere als verlockend. In der Ease of

    Doing Business-Tabelle der Weltbank, die Anleger vor Investitionsentscheidungen gerne konsultieren, rangiert

    Indien auf einem miserablen Platz 142 - von insgesamt

    189 Nationen. Modi steht im Wort, sein Land in dieser

    Tabelle auf Rang 50 zu hieven. Damit dieses geschieht,

    sind tiefgreifende strukturelle Reformen in Richtung

    Liberalisierung und Deregulierung angezeigt. Ein Jahr

    nach dem Amtsantritt sind mehrere Projekte auf den Weg gebracht. Von einer wirtschaftsliberalen

    Revolution ist weit und breit indes nichts zu sehen.

    Pragmatischer Gradualismus

    Auf den Meinungsseiten der

    Zeitungen vergieen die

    Kommentatoren viel Tinte

    fr die Beantwortung der

    Frage, woran es denn liegen

    mag, dass Modis Regierung

    nicht den erwarteten Elan

    an den Tag legt und eher zu

    einem pragmatischen Kurs

    neigt als zu einem radikalen

    Durchgreifen. Fr die einen

    ist die Opposition schuld,

    die eine Mehrheit im Ober-

    haus kontrolliert und Modis

    Gesetzesvorhaben ver-

    schiedentlich blockiert. An-

    dere Kommentatoren wie-

    derum meinen, Modi selber habe seinen Kurs noch nicht gefunden, sei sich seiner Sache nicht sicher

    und laviere auf der Suche nach der geeigneten Strategie: Modi ist hin und hergerissen zwischen ei-nem Reformer der freien Marktwirtschaft und einem Anhnger einer staatlich gefhrten Industrialisie-

    rungspolitik der chinesischen Variante, schreibt die fhrende Wirtschaftszeitung MINT zum ersten Dienstjubilum.

    Wie es mit Indiens Volkswirtschaft weitergeht, hat nicht nur konjunkturelle Auswirkungen fr den

    Rest der Welt, sondern dieser Punkt rckt im Vorfeld der Pariser Konferenz Ende des Jahres immer strker ins Bewusstsein auch klimapolitische Implikationen. Fr westliche Regierungen, das gilt in

    besonderem Mae fr Europa und Deutschland, ist die Klimapolitik lngst ins Zentrum der Beziehun-

    gen mit Indien gerckt. Die Aufforderungen an die Adresse Neu Delhis, sich am Klimaschutz zu betei-

    ligen, sind nicht zu berhren. Anders als China, das sich verpflichtet hat seine CO2-Emmissionen ab

    2030 zu senken, ist eine derartige indische Zusage nicht erfolgt. Die Inder argumentieren, ihre Emissi-

    onen liegen pro Kopf der Bevlkerung deutlich unter dem Schnitt der Industrielnder und damit

    haben sie Recht. Sie wollen ihr Land entwickeln, und weite Teile des Subkontinents sind nicht elektri-

    fiziert. Die Regierung setzt dabei vor allem auch auf die Kernenergie und die ppig vorhandene Kohle.

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    In dieser zentralen Frage spricht Modi doppelzngig: Einerseits prsentiert er sich als Wachs-

    tumsapostel, der die Mrkte ffnen und Investitionshemmnisse einreien will, sodann verbeugt er sich

    mit radikal-kologischen Aussagen vor den Naturfreunden, die auch in Indien eine Lobby haben: In der indischen Zivilisation gilt die Ausbeutung der Natur als ein Verbrechen, sagte er krzlich in einem

    Interview des Nachrichtenmagazins TIME. Die Brger in den aus den Nhten platzenden Metropolen Neu Delhi hat den zweifelhaften Ruf der Smog-Metropole der Welt leiden derweilen unter den Fol-

    gen des Smogs und der Umweltvergiftung.

    Mit Nachdruck forciert die Regierung den Ausbau von Kraftwerken. In den Langzeitplnen spielen

    auch erneuerbare Energien eine Rolle - vor allem die Sonnenenergie. Hier liegt auch ein Schwerpunkt

    der deutschen Entwicklungszusammenarbeit.

    Der indische Ministerprsident wird auf fnf Jahre gewhlt. Gerade einmal ein Jahr im Amt ist es zu

    frh fr eine Bilanz, das gilt allemal fr die Wirtschaftspolitik, wo angesichts festgefahrener Struktu-

    ren und einer ausgesprochen konfliktgeladenen innenpolitischen Gemengelage erst die kommenden

    Jahre zeigen werden, ob es Modi gelingt, seine visionren Verlautbarungen in Taten umzumnzen, die

    das Leben der Menschen verbessern.

    Strategische Umarmungen mit Obama

    Wesentlich einfacher ist es Modi gefallen, in der

    Auenpolitik Akzente zu setzen. Nicht weniger als

    16 Auslandsreisen hat der indische Ministerprsident

    seit seinem Amtsantritt unternommen. Die traditio-

    nelle Politik der Blockfreiheit Delhis hat Narendra

    Modi hinter sich gelassen. Der strategische Schulter-

    schluss mit den Vereinigten Staaten, die demonstra-

    tiven Umarmungen mit US-Prsident Barack Obama

    waren schwer zu bersehen. Erklrtes Ziel Modis ist

    die Vertiefung der Beziehungen zu den unmittelba-

    ren Nachbarn, wobei das leidgeprfte Verhltnis zum

    Erz-feind Pakistan hier vorerst ausgeklammert bleibt.

    Die Verbesserung der Beziehungen zum ewigen Kon-

    trahenten China ist Element einer neuen Dynamik in

    der Diplomatie Delhis, die eindeutig die Handschrift

    Modis trgt. Ihm ist es gelungen, seinem Land in

    relativ kurzer Zeit einen Platz in der Champions League der Weltpolitik zu erobern. Modi verkrpert die Dynamik und das Potential des Aufstiegs Indiens, schrieb kein geringer als US-Prsident Obama in

    einer Huldigung.

    Ein Jahr nach seinem bislang grten Erfolg ist Narendra Modi der weitgehend unumstrittene Anfh-

    rer der grten Demokratie der Welt. Nicht alle Inder sind auf seiner Seite, und die Opposition wird

    nicht mde, auf den nicht erfllten Versprechen herumzureiten. Das ist ein normaler Vorgang in einer

    Demokratie.

    Umfragen bezeugen dem Jubilar indes, dass eine satte Mehrheit der Inder ihn fr die im Moment bes-

    te aller mglichen Alternativen hlt. Modi selber hat es in der Hand, dieses Vertrauen zu besttigen

    oder es zu verspielen.

  • Hintergrund: Indien Nr. 31 / Mai 2015 | 5

    Dr. Ronald Meinardus (Twitter: @Meinardus) ist Leiter des FNF-Regionalbros Sdasien mit Sitz in

    Neu Delhi, Indien.

    Bildmaterial: FNF-Regionalbro Neu Delhi

    Impressum

    Friedrich-Naumann-Stiftung fr die Freiheit (FNF)

    Bereich Internationale Politik

    Referat fr Querschnittsaufgaben

    Karl-Marx-Strae 2

    D-14482 Potsdam