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1 Kakao wird aufgrund seiner besonderen Wachstums- voraussetzungen nur in wenigen Ländern entlang des Äquators angebaut. Mit 70 Prozent stammt der Großteil des weltweit angebauten Kakaos aus den vier westafrika- nischen Ländern Côte d‘Ivoire, Ghana, Nigeria und Kame- run. Dort liegt der Kakaoanbau zu 90 Prozent in den Hän- den von Familienbetrieben mit 2-5 Hektar Anbaufläche. 2 Der Kakaoanbau ist sehr arbeitsintensiv und erfolgt zum Großteil in Handarbeit. Die Kakaoschoten reifen nicht alle zur selben Zeit, wodurch eine kontinuierliche Pflege und Ernte notwendig ist. Darüber hinaus sind Kakaobäu- me sehr anfällig für Krankheiten und Schädlinge, die sich in dichten Baumreihen schnell ausbreiten und massive Ernteausfälle zur Folge haben können. Schokolade ist eine der beliebtesten Süßigkeiten weltweit. Längst sind Schokoladenprodukte vom Luxus- zum Massenkonsumartikel geworden. Vor allem in Europa: Der Absatz von Schokolade ist hier mit 50 Prozent Weltmarktanteil am höchsten, gefolgt von den USA mit 22 Prozent. 1 Deutsche haben dabei einen besonders ausgeprägten Appetit: Sie essen jährlich ca. zehn Kilogramm pro Kopf und gehören damit zu den europäischen Spitzenreitern. Der süße Genuss hat jedoch einen bitteren Beigeschmack: Millionen von Kleinbäuerinnen und -bauern produzieren den Kakao für unsere Scho- kolade unter menschenunwürdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen. Infoblatt 1 Die bittere Wahrheit über Schokolade F o to : Tereza Hron ov F o to : M artin M üller/pixelio

Infoblatt 1 Die bittere Wahrheit - Make Chocolate Fair ... · 1 Kakao wird aufgrund seiner besonderen Wachstums-voraussetzungen nur in wenigen Ländern entlang des Äquators angebaut

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Page 1: Infoblatt 1 Die bittere Wahrheit - Make Chocolate Fair ... · 1 Kakao wird aufgrund seiner besonderen Wachstums-voraussetzungen nur in wenigen Ländern entlang des Äquators angebaut

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Kakao wird aufgrund seiner besonderen Wachstums-voraussetzungen nur in wenigen Ländern entlang des Äquators angebaut. Mit 70 Prozent stammt der Großteil des weltweit angebauten Kakaos aus den vier westafrika-nischen Ländern Côte d‘Ivoire, Ghana, Nigeria und Kame-run. Dort liegt der Kakaoanbau zu 90 Prozent in den Hän-den von Familienbetrieben mit 2-5 Hektar Anbaufläche.2

Der Kakaoanbau ist sehr arbeitsintensiv und erfolgt zum Großteil in Handarbeit. Die Kakaoschoten reifen nicht alle zur selben Zeit, wodurch eine kontinuierliche Pflege und Ernte notwendig ist. Darüber hinaus sind Kakaobäu-me sehr anfällig für Krankheiten und Schädlinge, die sich in dichten Baumreihen schnell ausbreiten und massive Ernteausfälle zur Folge haben können.

Schokolade ist eine der beliebtesten Süßigkeiten weltweit. Längst sind Schokoladenprodukte vom Luxus- zum Massenkonsumartikel geworden. Vor allem in Europa: Der Absatz von Schokolade ist hier mit 50 Prozent Weltmarktanteil am höchsten, gefolgt von den USA mit 22 Prozent.1 Deutsche haben dabei einen besonders ausgeprägten Appetit: Sie essen jährlich ca. zehn Kilogramm pro Kopf und gehören damit zu den europäischen Spitzenreitern. Der süße Genuss hat jedoch einen bitteren Beigeschmack: Millionen von Kleinbäuerinnen und -bauern produzieren den Kakao für unsere Scho-kolade unter menschenunwürdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen.

Infoblatt 1

Die bittere Wahrheit über Schokolade

Foto: Tereza Hronov

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Page 2: Infoblatt 1 Die bittere Wahrheit - Make Chocolate Fair ... · 1 Kakao wird aufgrund seiner besonderen Wachstums-voraussetzungen nur in wenigen Ländern entlang des Äquators angebaut

Reife Schoten werden mit der Hand geerntet und mit Mache-ten aufgeschlagen, um die Bohnen freizulegen. Danach werden die Bohnen über mehrere Tage fermentiert (vergoren), wodurch der Kakao sein typisches Aroma erhält. Anschließend erfolgt die Trocknung der Kakaobohnen. Über Zwischenhändler gelangt der Kakao zu den Exporteuren, welche die Ware zur Weiterver-arbeitung in den globalen Norden bringen. Große Konzerne rösten, pressen und vermahlen den Kakao zu Kakaopulver und -butter, aus denen schließlich Schokolade und andere kakaohal-tige Produkte hergestellt werden. Die Ernte eines Kakaobaumes in einem Jahr ergibt bis zu 40 Schokoladentafeln zu 100 Gramm, je nach Kakaoanteil.

Marktmacht der SchokoladenindustrieDrei Großkonzerne (Barry Callebaut, Cargill, Blommer) dominie-ren die Vermahlung und den Handel mit Kakao. Zusammen hal-ten sie einen Anteil von über der Hälfte des weltweiten Kakao-marktes. In der Schokoladenproduktion beherrschen sieben Un-ternehmen über zwei Drittel des Weltmarktes. Der geschätzte Nettoumsatz der Schokoladenindustrie liegt bei 100 Milliarden US-Dollar im Jahr.

Demgegenüber stehen 5,5 Millionen Bäuerinnen und Bauern, die Kakao anbauen. Insgesamt ist für 40-50 Millionen Menschen Kakao die Haupteinnahmequelle.3 Jedoch ist der Anbau von Kakao kein rentables Geschäft. Das Einkommen der meisten Kakaobauernfamilien liegt deutlich unter der Armutsgrenze. In Ghana liegt das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen bei 0,76 Euro am Tag, in der Côte d‘Ivoire beträgt es sogar nur 0,45 Euro.4

Unfaire Preise für KakaobohnenNur etwa sechs Prozent des Verkaufspreises für eine Tafel Scho-kolade kommt den Bäuerinnen und Bauern zugute. Der Anteil der Schokoladenunternehmen am Verkaufspreis liegt bei 35 Pro-zent.5 In den letzten 40 Jahren ist der Preis für Rohkakao deutlich gesunken und liegt heute inflationsbereinigt rund 40 Prozent unter dem Niveau von 1980. Die Bauern und Bäuerinnen erhal-ten zudem nicht den vollen Weltmarktpreis: Durch hohe Margen der Zwischenhändler, nationale Handels- und Abgabestrukturen oder Qualitätsverluste aufgrund fehlender Lagerkapazitäten bü-ßen sie nochmal einen Teil ihres Einkommens ein. Das Einkom-men vieler Kakaobauernfamilien basiert fast ausschließlich auf

Hauptanbaugebiete für Kakao im Jahr 2014-1510

(Angaben in Prozent)

1. Ernten 2. Öffnen 4. Trocknen3. Fermentieren 5. Verpacken

2

Côte d’Ivoire

BrasilienEcuador

GhanaNigeria

Kamerun

Indonesien

7,6

5,5

4,517,6

42,7

5,55,9

Fotos: (v.l.n.r.) Simon Rawles, Frank Eichinger, Südwind Agentur, Tereza Hronov, Divine Chocolate

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dem Anbau von Kakao, was ihre ökonomische Verwundbarkeit aufgrund von Preisschwankungen erhöht.

Auf dem Kakaomarkt kommt es immer wieder zu starken und abrupten Preisschwankungen. Der Grund dafür können zum Beispiel Ernteeinbußen aufgrund ungünstiger Witterungsver-hältnisse oder durch Krankheits- und Schädlingsbefall sein. Auch die Preisspekulation an den Rohstoffbörsen trägt zum schwankenden Kakaopreis bei. Für die Kakaobäuerinnen und -bauern bedeutet diese sogenannte volatile Preisentwicklung, dass sie keinerlei Planungssicherheit haben. Deshalb ist es ein Schritt in die richtige Richtung, dass den Kakaobäuerinnen und -bauern in der Côte d‘Ivoire und Ghana seit einigen Jahren ein staatlich garantierter Mindestpreis gezahlt wird – bisher liegt dieser allerdings zu niedrig, um den Bäuerinnen und Bauern ein existenzsicherndes Einkommen zu garantieren.

Niedrige und unsichere Einkommen führen dazu, dass Ka-kaobäuerinnen und -bauern ihre Produktions- und Lebenshal-

tungskosten kaum decken können. Wichtige Investitionen in die Plantagen – wie z.B. Maßnahmen zum Pflanzenschutz und der Ersatz kranker und alter Bäume – bleiben dadurch aus. Dies lässt die Erträge weiter sinken – ein Teufelskreis entsteht.

Missbräuchliche Kinderarbeit Aufgrund der niedrigen Einkommen können sich die meisten Kakaobäuerinnen und -bauern die Einstellung regulärer Arbeits-kräfte nicht leisten. Sie greifen in der Folge häufig auf die eigenen Kinder als unbezahlte Erntehelfer zurück. Allein in der Côte d‘Ivoi-

0 $

1000 $

2000 $

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4000 $

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Preise je Tonne in US-Dollar, inflationsbereinigt*

Preise je Tonne in US-Dollar

2012

20152010

20052000

19951990

1985

1980

* berechnet auf Basis der Inflation des US-Dollars Quelle: International Cocoa Organisation (ICCO), 2016

Preisentwicklung bei Kakao 1980-201513

-40%

Nettoumsatz der größten Schokoladenhersteller 201511

(Angaben in Mrd. US-Dollar)

18,4 11 7,59,816,7 4,2 1,9

Kostenanteile des Rohkakaos in einer Tafel Schokolade12

Kakaobauern und -bäuerinnen

Zwischenhandel & Transport Staatliche Behörden

(im Anbauland)

Supermärkte (inkl. 7% MwSt)

Verarbeiter & Vermahler

Schokoladen- hersteller

4,2%

35,2%44,2%

6,6%

7,6%2,1%

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re und in Ghana arbeiten etwa zwei Millionen Kinder auf Kakao-plantagen. 90 Prozent der Kinder arbeiten unter Bedingungen, die nach den Kriterien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verboten sind (ILO-Richtlinien 182 und 138). Diese Kinder sind durch starke körperliche Belastungen sowie den Umgang mit gefährlichen Werkzeugen und Chemikalien massiven Gesund-heitsrisiken ausgesetzt.6 Für viele von ihnen wird ein Schulbesuch unmöglich. Die Kinderarbeit hat seit 2008 zugenommen – obwohl die größten Schokoladenunternehmen bereits 2001 versprochen hatten, „die schlimmsten Formen von Kinderarbeit in Ghana und der Côte d’Ivoire zu eliminieren“ (Harkin-Engel-Protokoll).

Neben der Mitarbeit von jungen Familienmitgliedern ist Kinder-handel eine weitere Facette des Problems: Insbesondere in der Côte d‘Ivoire werden Kinder, die aus den Nachbarländern Mali und Burkina Faso verschleppt wurden, für wenig Geld von Händ-lern gekauft und als billige Arbeitskräfte ausgebeutet.

Umweltprobleme und Auswirkungen des Klima-wandelsIm Kakaoanbau kommt es in vielen Regionen zu einer starken und unsachgemäßen Verwendung von Pestiziden und chemi-schen Düngemitteln. Dadurch werden Böden ausgelaugt und Trinkwasser in der Region verunreinigt. Die sinkenden Erträge zwingen die Kakaobäuerinnen und -bauern außerdem dazu, ihre Anbauflächen auszuweiten, was die Verdrängung anderer Kulturen und Waldrodungen zur Folge hat.

Insbesondere in Westafrika ist der Kakaoanbau zunehmend durch die Folgen des Klimawandels gefährdet. Dessen Auswir-kungen, wie zum Beispiel steigende Temperaturen, zunehmen-de Trockenheit und unberechenbare Niederschläge, sind in den Kakaoanbaugebieten schon heute spürbar und werden sich in den kommenden Jahren noch verstärken. ForscherInnen gehen davon aus, dass in den nächsten Jahrzehnten signifikante Teile der bisherigen Anbauflächen für den Kakaoanbau unbrauchbar werden.7 Den Kakaobäuerinnen und -bauern droht damit ihre wichtigste Einkommensquelle verloren zu gehen – wenn sie nicht rechtzeitig dabei unterstützt werden, die nötigen Maßnah-men zur Klimaanpassung zu ergreifen, beziehungsweise dort, wo der Kakaoanbau nicht mehr möglich sein wird, auf andere Kulturpflanzen umzusteigen.

Schokoladenunternehmen in der Verantwortung Laut den UN-Leitlinien über Wirtschaft und Menschenrechte sind Unternehmen für die Auswirkungen, die ihre Aktivitäten auf die Gesellschaft haben, verantwortlich. Schokoladenunter-

„Kakaobauern in Ghana sind im Durchschnitt über 50 Jahre alt. Junge Menschen in Ghana wollen keine Kakaobauern wer-den. Arbeitsbedingungen und Bezahlung sind zu schlecht. In der Hoffnung auf ein besseres Leben ziehen sie lieber in die

Städte. Der Schokoladenindustrie könnte somit schon bald die wichtigste Zutat für Schokolade ausgehen: der Kakao.“

Afia Owusu (African Cocoa Coalition/Ghana)

Kind erntet mit Machete eine Kakaoschote. Missbräuchliche Kinderarbeit gehört in der Côte d‘Ivoire noch immer zum Alltag.

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Gefährliche Arbeiten, die Kinder im Kakaoanbau in der Côte d‘Ivoire verrichten14

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71,2 %

57,2 %

44,0 %

13,0 %

3,1 %

2,3 %

Verwendung scharferWerkzeuge

Tragen schwererLasten

Waldrodung

Umgang mit Pestiziden und Chemikalien

Lange Arbeitszeiten

Nachtarbeit

Anteil derarbeitenden

Kinder

Gefährliche Arbeiten, die Kinder im Kakao-anbau in der Côte d´Ivoire verrichten

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nehmen müssen deshalb die Einhaltung der Menschenrechte entlang der gesamten Kakaolieferkette gewährleisten und zur Beseitigung der gegenwärtigen sozialen und ökologischen Pro-bleme beitragen. Außerdem möchten VerbraucherInnen wis-sen, woher die Rohstoffe in der Schokolade kommen und un-ter welchen Bedingungen die Menschen am anderen Ende der Lieferkette leben. Niemand möchte Schokolade essen, für die in anderen Ländern Kinder arbeiten mussten. Schokoladenunter-nehmen müssen deshalb Maßnahmen ergreifen, die dazu bei-tragen, dass Kakaobauernfamilien nicht länger in Armut leben müssen. Sie dürfen ihre Verantwortung nicht länger der Profit-maximierung unterordnen.

Die menschenunwürdigen Bedingungen im Kakaoanbau las-sen sich nur beenden, wenn sich die Einkommenssituation von Kakaobäuerinnen und -bauern signifikant verbessert – denn schlechte Arbeitsbedingungen und ausbeuterische Kinderarbeit sind direkte Folgen von deren Armut. Doch trotz vieler Nach-haltigkeitsinitiativen der Schokoladenunternehmen sind die Einkommen der Kakaobauernfamilien bislang kaum gestiegen. Mittlerweile erklären selbst Vertreter der Schokoladenunter-nehmen, dass Kakaobäuerinnen und –bauern in Westafrika ihre Einkommen etwa verdrei- oder vervierfachen müssten, bevor von einer „nachhaltigen Kakaoproduktion“ gesprochen werden könne – wie Barry Parkin, Verantwortlicher für den weltweiten Einkauf bei Mars.8

Make Chocolate Fair! fordert von Schokoladenunternehmen:

die Zahlung eines fairen Kakaopreises, der ein existenzsicherndes Einkommen für Kakaobau-ernfamilien und ErntehelferInnen ermöglicht

die Einhaltung der Menschen- und Arbeitsrechte sowie den Ausschluss von missbräuchlicher Kin-derarbeit

Schulungsprogramme für eine nachhaltige, di-versifizierte und umweltschonende Landwirt-schaft

die Anwendung eines unabhängigen Zertifizie-rungs- und Kontrollsystems

„Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf ge-rechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschli-chen Würde entsprechende Existenz sichert.“

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Art. 23 (3))

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Kakaobauer aus der Côte d‘Ivoire sammelt Kakaoschoten bei der Ernte ein.

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Was ist ein existenzsicherndes Einkommen?Ein existenzsicherndes Einkommen muss die Grundbedürfnisse der Kakaobäuerinnen und -bauern und ihrer Familien abdecken – von Wohnraum über Kleidung, ausreichende und gesunde Ernährung, Trinkwasser und sanitäre Versorgung bis hin zu Bil-dung, Gesundheitsversorgung, Transportkosten und Ersparnis-sen für Notfälle. Zusätzlich müssen die Bäuerinnen und Bauern in der Lage sein, die Kosten des Kakaoanbaus zu decken. Dazu gehören z.B. Kosten für Werkzeuge, Setzlinge, Dünge- und Pflan-zenschutzmittel sowie Pachtlizenzen, Zertifizierungsgebühren und ein angemessener Lohn für die ArbeiterInnen.

Wie viel müsste eine Kakaobauernfamilie mit dem Kakaoanbau verdienen, damit sie über ein exis-tenzsicherndes Einkommen verfügt?Wie hoch ein existenzsicherndes Einkommen sein müsste, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, wie z.B. der Anzahl der Familienmitglieder, der Größe der Anbauflächen oder dem Grad der Abhängigkeit vom Kakaoanbau. Diese Faktoren kön-nen sowohl zwischen Ländern als auch innerhalb eines Landes variieren. Eine größere Anzahl von Familienmitgliedern führt zu einem niedrigeren Pro-Kopf-Einkommen. Eine unrealistisch niedrige Annahme der Familiengröße oder der Abhängigkeit vom Einkommen aus Kakao würde in Einkommensschätzungen resultieren, die die Realität der Armut in vielen Kakaoanbauregi-onen nicht widerspiegeln. Seit 2016 werden in mehreren Studi-en erste Daten über die verschiedenen Faktoren erhoben. Es ist dringend notwendig, dass darauf auch Berechnungen zur Höhe eines existenzsichernden Einkommens folgen.

Wie kann ein existenzsicherndes Einkommen für Kakaobauernfamilien erreicht werden?VertreterInnen der Kakao- und Schokoladenindustrie sind der Ansicht, dass die Einkommen der Kakaobauernfamilien am schnellsten durch eine Erhöhung der Produktivität je Hektar gesteigert werden können. Der Anbau von mehr Kakao auf der gleichen Fläche soll zu höheren Einkommen führen. Dies soll insbesondere durch Schulungen und Weiterbildungen in ver-besserten Anbaumethoden erreicht werden. Eine intensivere Bewirtschaftung und der damit verbundene verstärkte Einsatz von Dünger und Pestiziden birgt allerdings erhebliche ökologi-sche Risiken. Zudem haben viele Projekte gezeigt, dass die Bäu-erinnen und Bauern das Gelernte nicht umsetzen. Ihnen fehlen schlichtweg die finanziellen Mittel, um in eine Verjüngung des

Baumbestands oder in Pflanzenschutzmittel zu investieren. Verbesserte Anbaumethoden setzen häufig voraus, dass mehr Arbeitszeit aufgebracht werden muss. Da sich viele Kakaobäu-erinnen und -bauern bezahlte Erntehelfer nicht leisten können, besteht die Gefahr, dass dadurch die Kinderarbeit zunimmt. Zudem besteht die Gefahr, dass mit höheren Ernteerträgen die Preise für Kakao fallen, wenn das Angebot die Nachfrage über-steigt. Höhere Ernteerträge allein reichen also nicht aus, damit Kakaobauernfamilien über ein existenzsicherndes Einkommen verfügen. Das Kernproblem, nämlich der zu niedrige Kakaopreis, wird dadurch nicht berührt: Die Industrie muss sich daher end-lich der Debatte um einen gerechten Kakaopreis stellen. Wichtig ist zudem, dass Kakaobäuerinnen und –bauern sich durch den Anbau anderer Nahrungsmittel unabhängiger vom Kakaopreis machen und ihre Einkommensquellen diversifizieren.

Welchen Einfluss können Schokoladenunterneh-men auf den Kakaopreis nehmen?Schokoladenunternehmen argumentieren, dass sie keinen Einfluss auf den Weltmarktpreis für Kakao haben und aus kar-tellrechtlichen Gründen nicht pauschal höhere Kakaopreise beschließen können. Es gibt aber Ansätze, mit denen Preise di-rekt oder indirekt erhöht werden können. Zum Beispiel können Prämien für Kakao, bei dessen Anbau ökologische und soziale Standards eingehalten wurden, zu einer Erhöhung der Einkom-men führen. Solche Prämien kommen im Fairen Handel als Ins-trument schon heute zur Anwendung, sind aber viel zu niedrig angesetzt, um tatsächlich zur Armutsreduzierung beizutragen.

Garantiert Fairtrade ein existenzsicherndes Ein-kommen für Kakaobäuerinnen und -bauern?Die verbreitete Annahme, der Fairtrade-Mindestpreis und die Prämien garantierten Fairtrade-Bauern ein existenzsichern-des Einkommen, lässt sich im Fall von Kakao nicht bestätigen. Obwohl der Weltmarktpreis seit 2011 über dem garantierten Fairtrade-Mindestpreis von 2.000 US-Dollar je Tonne liegt, kom-men die Menschen nicht aus der Armut. Der Mindestpreis ist zu niedrig angesetzt, um extreme Armut unter Kakaobauernfami-lien abzufedern. Fairtrade-Prämien tragen mit jährlich etwa 36 US-Dollar im Jahr nur sehr wenig zum Einkommen der Bauernfa-milien bei und garantieren damit keinesfalls ein existenzsichern-des Einkommen.9 Fairtrade hat angekündigt, 2017 den Fair- trade-Mindestpreis und die Prämien für Kakao zu überarbeiten.

Was fordert die Kampagne Make Chocolate Fair!?• Die Schokoladenunternehmen müssen sich an der Berech-

nung eines existenzsichernden Einkommens beteiligen.

• Ein existenzsicherndes Einkommen muss ein zentraler Wir-kungsindikator aller Nachhaltigkeitsprojekte und -initiati-ven sein.

Ein faires Einkommen für ein Leben in Würde

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Schokolade mit Siegel – Die bessere Alternative?Auf den Schokoladenprodukten finden sich verschiedenste Sie-gel, die einen ethisch korrekten Schoko-Genuss versprechen. Anders als beim Bio-Siegel gibt es keine staatlichen Vorgaben, was als fair oder nachhaltig bezeichnet werden darf. Die drei bekanntesten Siegel auf Schokoladenprodukten sind Fairtrade, Rainforest Alliance und UTZ.

Diesen Siegeln liegen Kernstandards wie die Wahrung interna-tionaler Menschen- und Arbeitsrechte, das Verbot missbräuch-licher Kinderarbeit, die Verbesserung landwirtschaftlicher An-baupraktiken und Umweltschutzmaßnahmen für einen nach-haltigen Kakaoanbau zugrunde. Sie sind damit zurzeit einer der wichtigsten Hebel, um die Situation der Kakaobauernfamilien zu verbessern. Die Einhaltung der Standards wird durch unabhän-gige Zertifizierungsorganisationen kontrolliert. Keines der drei Siegel garantiert jedoch, dass die Kakaobauernfamilien über ein existenzsicherndes Einkommen verfügen. Dennoch gibt die Mehrheit der Kakaobäuerinnen und -bauern an, dass sich ihre Lebensbedingungen durch die Teilnahme an einem der jeweili-gen Zertifizierungsprogramme verbessert haben. Im Gegensatz zu UTZ und Rainforest Alliance garantiert das Fairtrade-Siegel,

dass die Bauern einen garantierten Mindestpreis erhalten (2016: 2000,00 US-Dollar/Tonne). Diesen Preis erhalten sie auch dann, wenn der Weltmarktpreis darunter liegt. Bei Fairtrade ist zudem eine Prämie von 200 US-Dollar/Tonne garantiert. Bei UTZ und Rainforest Alliance müssen die Bäuerinnen und Bauern die Prä-mie selbst aushandeln. Auch wenn Fairtrade mit der garantier-ten Prämie und dem Mindestpreis wichtige Instrumente zur Ar-mutsbekämpfung vorsieht, zeigen diese bisher im Kakaobereich wenig Wirkung auf die Einkommenssituation der Bäuerinnen und Bauern (siehe auch Seite 6).

Pioniere des Fairen HandelsWeltläden sind Pioniere des Fairen Handels. Sie verkaufen aus-schließlich fair gehandelte Produkte und leisten wichtige Bil-dungs- und Kampagnenarbeit zum Fairen Handel. Sie verkaufen unter anderem Schokoladenprodukte der Importorganisati-onen des Fairen Handels wie zum Beispiel der GEPA. Auch die GEPA lässt den Kakao von Fairtrade International zertifizieren, geht aber in ihren Anforderungen über die Fairtrade-Standards hinaus. Sie verfügt beispielsweise über beständige persönliche Handelsbeziehungen zu den Kakaobäuerinnen und -bauern.

7

Selbstverpflichtungen zur Verwendung von nachhaltigem Kakaoinsgesamt verwendeter Kakao / zertifizierter Kakao / verifizierter Kakao

Mondelēz Nestlé Mars Hersheys Ferrero Lindt & Sprüngli2013

20162021

20132016

20212013

20162021

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20212013

20162021

20132016

2021

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117

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3620

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Angaben in 1.000 Tonnen

Bei den Angaben für 2016 und 2021 handelt es sich um Prognosen.

Zertifizierter Kakao = Zertifiziert durch Fairtrade, UTZ und/oder Rainforest AllianceVerifizierter Kakao = Verifiziert durch unternehmenseigene Projekte

Quelle: Kakao-Barometer 2015

Selbstverpflichtungen zur Verwendung von nachhaltigem Kakao15

Alle Familienmitglieder müssen im Kakaoanbau mitarbeiten, damit das Einkommen zum Leben reicht.

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Page 8: Infoblatt 1 Die bittere Wahrheit - Make Chocolate Fair ... · 1 Kakao wird aufgrund seiner besonderen Wachstums-voraussetzungen nur in wenigen Ländern entlang des Äquators angebaut

Quellen 1 International Cocoa Organization (2012): Quarterly Bulletin of Cocoa Statistics, Volume XXXVIII No. 1, Cocoa Year 2011/12, Tabelle 41.2 World Cocoa Foundation (2012): Cocoa market update, S.13 Hütz-Adams, F./ Fountain, A.C. (2012): Cocoa Barometer 2012, S.3.4 Berechnet auf Basis von Hütz-Adams, F./ Fountain, A.C. (2015): Kakaobarometer 2015, S.48.5 Ibid., S.39.6 Tulane University School of Public Health and Tropical Medicine (2015): 2013/14 Survey Research on Child Labour in West African Cocoa Growing Areas.7 Schroth, G. et al (2016): Vulnerability to climate change of cocoa in West Africa: Patterns, opportunities, and limits to adaptation, in: Science of the Total En-

vironment 556, S. 231–241.8 http://www.confectionerynews.com/Commodities/Even-doubled-income-for-farmers-won-t-make-cocoa-sustainable-Mars (Download am 19.12.2016)9 Fairtrade (2015): Scope and Benefits of Fairtrade. http://www.fairtrade.net/fileadmin/user_upload/content/2009/resources/2015-Monitoring_and_Impact_Re-

port_web.pdf (Download am 19.12.2016)10 International Cocoa Organization (2015): Quarterly Bulletin of Cocoa Statistics, Vol. XLI, No. 4, Cocoa year 2014/1511 Candy Industry (2016): Top 100 Confectionery Companies in the World. http://www.candyindustry.com/2016-Global-Top-100-Part-4 (Download am 19.12.2016)12 Kakaobarometer 2015, S.39.13 Berechnet auf Basis von ICCO 2016.14 Tulane University (2015): Survey Research on Child Labour in West African Cocoa Growing Areas.15 Kakaobarometer 2015, S.30.

Impressum: Diese Publikation ist Teil der europäischen Make Chocolate Fair!-Kampagne

Herausgeber: INKOTA-netzwerk e.V., Chrysanthemenstraße 1-3, 10407 BerlinRedaktion/Texte: Evelyn Bahn (INKOTA-netzwerk), Johannes Schorling (INKOTA-netzwerk)Layout: Bertram Sturm

Wir haben es satt, dass andere hungern! Deshalb engagieren sich bei INKOTA seit mehr als 40 Jahren Menschen aktiv für eine gerechtere Welt. Wir wollen weltweit den Hunger besiegen, die Armut bekämpfen und Globalisierung gerecht gestalten!

Mit der Kampagne Make Chocolate Fair! setzt sich INKOTA für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen von Kakaobauernfa-

milien sowie für eine nachhaltige und diversifizierte Landwirt-schaft ein und fordert das Ende ausbeuterischer Kinderarbeit. Make Chocolate Fair! ist eine europäische Kampagne mit Partnerorganisationen in 16 europäischen Ländern.

Für den Inhalt der Publikation ist der Herausgeber verantwortlich. Die dargestellten Positionen geben nicht den Standpunkt der Zuwendungsgeber wieder.

„VerbraucherInnen müssen Druck auf die Schokoladen- unternehmen ausüben, sonst wird sich die Situation in den Kakaoanbauländern nicht verbessern. Dafür brauchen wir Kampagnen wie Make Chocolate Fair!“ Marie-Jeanne N‘Zore Kombo, Gewerkschafterin aus der Elfenbeinküste

Aktiv werden für faire Schokolade!KonsumentInnen kommt eine entscheidende Rolle zu, damit sich die Lebensbedingungen von Kakaobau-ernfamilien verbessern: Durch kritisches Konsumver-halten können sie erheblichen Einfluss auf Unterneh-

mensentscheidungen haben. Nur durch entsprechenden Druck werden die Unternehmen ihr gesamtes Schokoladensortiment fair und nachhaltig produzieren!

Weitere Informationen zu Kampagnen-Veranstaltungen, Mit-machmöglichkeiten und aktuellen Entwicklungen im Kakaobe-reich unter

de.makechocolatefair.org Oder schreiben Sie uns: [email protected]

Das können VerbraucherInnen tun:• Beim Einkaufen darauf achten, dass die Schokolade ein

unabhängiges Siegel trägt, oder im Weltladen einkaufen.

• Beim Lieblings-Schokoladenunternehmen nachhaken, ob die Schokolade fair ist.

• Freunde und Verwandte über die Situation der Kakaobau-ernfamilien informieren.

• Make Chocolate Fair! mit einer Spende unterstützen – denn Kampagnenarbeit kostet Geld!

• Die Kampagnen-Webseite de.makechocolatefair.org ver-linken oder bei Facebook teilen.

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: Nad

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Gefördert aus Mitteln des Kirchlichen Entwicklungsdienstes durch Brot für die Welt - Evangelischer Entwicklungsdienst.