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18 Schweizer Gemeinde 2/09 Der Gemeinderat als Pilot im Gemeindecockpit Die Führung einer Gemeinde ist eine komplexe Aufgabe. Im Rahmen eines Forschungsprojekts wird nun zusammen mit der Praxis ein so genanntes Gemeindecockpit entwickelt. Damit können der Exekutive und dem Kader der Gemeindeverwaltung Führungsinformationen in konzentrierter Form bereitgestellt werden. Die Anforderungen an die Gemeinde- führung nehmen laufend zu. Die Um- welt verändert sich immer rascher und teilweise sprunghaft. Die Ansprüche der Bürgerinnen und Bürger steigen. Gleichzeitig sinkt ihr Vertrauen gegen- über Behörden und Verwaltung. Die nachhaltigkeitsorientierte Gemeindefüh- rung erfordert eine umfassende, res- sortübergreifende Lagebeurteilung, die Entwicklung eines ausgewogenen Ziel- systems und eine entsprechende Stra- tegie. Um all diesen Ansprüchen ge- recht zu werden, sind die Verantwort- lichen einer Gemeinde auf Führungs- instrumente angewiesen, die sie bei ihrer Führungstätigkeit unterstützen. Im Cockpit eines Flugzeugs stehen den Piloten alle zur Führung des Flugzeugs relevanten Informationen und Kommu- nikationssysteme zur Verfügung. Mit ei- nem Gemeindecockpit wird angestrebt, der Exekutive und dem Kader der Ge- meindeverwaltung Führungsinforma- tionen in konzentrierter Form bereitzu- stellen. Dies kann auf unterschiedliche Weise realisiert werden (schriftlicher Be- richt, Zusammenstellung von Tabellen und Graphiken im Sitzungszimmer der Exekutive, einfache Webseiten, an- spruchsvolle Lösungen mit Data-Ware- house- und Business-Intelligence-Instru- menten). Oft ist eine Kombination die- ser Hilfsmittel zweckmässig. Ziele und Strategie als Voraussetzung Um Führungsinstrumente erfolgreich einzusetzen, muss sich die Gemeinde- führung über ihre Strategie und die zu erreichenden Ziele einig sein. Im Ge- meindecockpit werden diese Ziele in Form von messbaren Indikatoren fest- gehalten (z. B. Finanzkennzahlen, Vor- gaben zur sozialen Struktur der Bevöl- kerung, Zielsetzungen betreffend Um- gang mit natürlichen Ressourcen, wich- tige Meilensteine mit Terminvorgabe). Mithilfe der entsprechenden Ist-Werte wird der Zielerreichungsgrad ermittelt. Die Gemeindeführung überprüft in der Regel einmal pro Jahr ihre Strategie und deren Umsetzung. Die erforderlichen Daten stammen aus verschiedenen Datenquellen. Wichtige Quelle bilden die Applikationen für die Verwaltung der Einwohnerregister und für die Führung der Gemeindefinanzen, der Gemeindebetriebe, des Sozialdiens- tes usw. Wichtig sind auch Daten aus dem Umfeld (andere Gemeinden, Re- gionen, Kantone, Bund usw.). Bei ein- facheren Cockpitlösungen müssen die Daten manuell aus den Datenquellen zusammengetragen werden. Bei an- spruchsvolleren Lösungen werden sie über definierte Schnittstellen in ein so ge- nanntes Data Warehouse im- portiert und dort in eine für die Entschei- dungsunterstüt- zung geeig- nete Form ge- bracht. Danach werden sie mit vielfältigen Me- thoden analy- siert und ta- bellarisch und graphisch auf- bereitet. Die bereitgestellten Daten und In- strumente kön- nen den Benut- zern stufenge- recht auf Web- seiten (z. B. im Intranet der Ge- meinde) zur Ver- fügung gestellt werden. INFORMATIK Ausschnitt aus dem Gemeindecockpit der Gemeinde Wohlen bei Bern. (Abbildung: zvg)

INFORMATIK Der Gemeinderat als Pilot im Gemeindecockpit€¦ · 18 Schweizer Gemeinde 2/09 Der Gemeinderat als Pilot im Gemeindecockpit Die Führung einer Gemeinde ist eine komplexe

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18 Schweizer Gemeinde 2/09

Der Gemeinderat als Pilot im GemeindecockpitDie Führung einer Gemeinde ist eine komplexe Aufgabe. Im Rahmen eines Forschungsprojektswird nun zusammen mit der Praxis ein so genanntes Gemeindecockpit entwickelt. Damit könnender Exekutive und dem Kader der Gemeindeverwaltung Führungsinformationen in konzentrierterForm bereitgestellt werden.

Die Anforderungen an die Gemeinde-

führung nehmen laufend zu. Die Um-

welt verändert sich immer rascher und

teilweise sprunghaft. Die Ansprüche

der Bürgerinnen und Bürger steigen.

Gleichzeitig sinkt ihr Vertrauen gegen-

über Behörden und Verwaltung. Die

nachhaltigkeitsorientierte Gemeindefüh -

rung erfordert eine umfassende, res-

sortübergreifende Lagebeurteilung, die

Entwicklung eines ausgewogenen Ziel-

systems und eine entsprechende Stra-

tegie. Um all diesen Ansprüchen ge-

recht zu werden, sind die Verantwort -

lichen einer Gemeinde auf Führungs -

instrumente angewiesen, die sie bei

ihrer Führungstätigkeit unterstützen.

Im Cockpit eines Flugzeugs stehen den

Piloten alle zur Führung des Flugzeugs

relevanten Informationen und Kommu-

nikationssysteme zur Verfügung. Mit ei-

nem Gemeindecockpit wird angestrebt,

der Exekutive und dem Kader der Ge-

meindeverwaltung Führungsinforma-

tionen in konzentrierter Form bereitzu-

stellen. Dies kann auf unterschiedliche

Weise realisiert werden (schriftlicher Be-

richt, Zusammenstellung von Tabellen

und Graphiken im Sitzungszimmer

der Exekutive, einfache Webseiten, an-

spruchsvolle Lösungen mit Data-Ware-

house- und Business-Intelligence-Instru -

menten). Oft ist eine Kombination die-

ser Hilfsmittel zweckmässig.

Ziele und Strategie

als Voraussetzung

Um Führungsinstrumente erfolgreich

einzusetzen, muss sich die Gemeinde-

führung über ihre Strategie und die zu

erreichenden Ziele einig sein. Im Ge-

meindecockpit werden diese Ziele in

Form von messbaren Indikatoren fest-

gehalten (z. B. Finanzkennzahlen, Vor-

gaben zur sozialen Struktur der Bevöl-

kerung, Zielsetzungen betreffend Um-

gang mit natürlichen Ressourcen, wich-

tige Meilensteine mit Terminvorgabe).

Mithilfe der entsprechenden Ist-Werte

wird der Zielerreichungsgrad ermittelt.

Die Gemeindeführung überprüft in der

Regel einmal pro Jahr ihre Strategie

und deren Umsetzung.

Die erforderlichen Daten stammen aus

verschiedenen Datenquellen. Wichtige

Quelle bilden die Applikationen für die

Verwaltung der Einwohnerregister und

für die Führung der Gemeindefinanzen,

der Gemeindebetriebe, des Sozialdiens-

tes usw. Wichtig sind auch Daten aus

dem Umfeld (andere Gemeinden, Re-

gionen, Kantone, Bund usw.). Bei ein -

facheren Cockpitlösungen müssen die

Daten manuell aus den Datenquellen

zusammengetragen werden. Bei an-

spruchsvolleren Lösungen werden sie

über definierte

Schnittstellen

in ein so ge-

nanntes Data

Warehouse im-

portiert und

dort in eine für

die Entschei-

dungsunterstüt-

zung geeig-

nete Form ge-

bracht. Danach

werden sie mit

vielfältigen Me-

thoden analy-

siert und ta -

bellarisch und

graphisch auf-

bereitet. Die

bereitgestellten

Daten und In-

strumente kön-

nen den Benut-

zern stufenge-

recht auf Web-

seiten (z. B. im

Intranet der Ge-

meinde) zur Ver -

fügung gestellt

werden.

INFORMATIK

Ausschnitt aus dem Gemeindecockpit der Gemeinde Wohlen bei Bern. (Abbildung: zvg)

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KTI-Projekt

«Strategische Führungsplattform»

Das Amt für Gemeinden und Raumord-

nung des Kantons Bern (AGR) fördert

seit mehreren Jahren die Entwicklung

und den Einsatz von Gemeindecockpits.

Es stellte den Gemeinden ein Excel-

Sheet für ein einfaches Cockpit zur Ver-

fügung. Die Gemeinde Wohlen bei Bern

ist eine der wenigen Gemeinden, die

darauf aufbauend ihr Gemeindecockpit

konsequent weiterentwickelt und in den

jährlichen Führungsrhythmus integriert

hat. 2006 entwickelten zwei Studie-

rende der Berner Fachhochschule Tech-

nik und Informatik in Biel (BFH-TI) einen

ersten Prototypen für das Wohlener Ge-

meindecockpit auf der Basis von Daten-

bank- und Webtechnologien. Damit

konnte das Interesse weiterer Partner

(Gemeinden, Wirtschafts- und Hoch-

schulpartner) geweckt werden. Im No-

vember 2007 bewilligte die Förderagen-

tur für Innovation KTI des Bundesamts

für Berufsbildung und Technologie

(BBT) einen namhaften Beitrag für das

Projekt «Strategische Führungsplatt-

form für kleine und mittlere Gemein-

den».

Die KTI finanziert das Projekt während

drei Jahren. In dieser Zeit wird ein um-

fangreiches Führungsinstrumentarium

entwickelt und in sieben Pilotgemein-

den praktisch erprobt. Um die Gemein-

den möglichst rasch einzubeziehen,

wurden 2008 für alle Gemeinden einfa-

che Gemeindecockpits bereitgestellt. In

diesem Jahr liegt der Schwerpunkt

beim Import von Daten aus verschiede-

nen Gemeindeapplikationen (Finanzen,

Einwohner usw.) in das Data Warehouse

des Cockpits. Im letzten Projektjahr ste-

hen die Integration von Massnahmen-

und Projektplanungen sowie die Unter-

stützung der interkommunalen Zusam-

menarbeit im Vordergrund.

Orientierung mit

Symbolen auf Dashboards

Technisch realisiert werden die Cockpits

mit Business Intelligence Software von

Microsoft. Die Daten werden in einer

MS SQL Datenbank gesammelt und für

die weitere Verwendung bereitgestellt.

Tools des Performance Point Servers

dienen der Aufbereitung der Daten zu

Entscheidungsunterlagen. Für die Publi-

kation im Web dienen Sharepoint Ser-

vices.

Die im vergangenen Jahr eingeführten

Cockpits weisen eine einheitliche Struk-

tur des Data Warehouse auf. Die Prä-

sentation der Daten orientiert sich

jedoch an den Strategiebereichen der

jeweiligen Gemeinde. Pro Strategiebe-

reich werden von den Gemeinden fest-

gelegte Indikatoren mit Soll- und Ist-

Werten ausgewiesen. In so genannten

Dashboards (englisch für Armaturen-

brett) werden mithilfe von Symbolen

(z. B. grünen, gelben oder roten Am-

peln) Zielabweichungen optisch hervor-

gehoben. Um die Interpretation relati-

ver Kennzahlen (z. B. Selbstfinanzie-

rungsgrad) zu erleichtern, werden auch

die einzelnen Elemente (Selbstfinanzie-

rung, Nettoinvestitionen) angezeigt. Zu-

dem können Interpretationen der Ist-

Zahlen in Form von Kommentaren er-

fasst werden (siehe Abbildung vorhe-

rige Seite).

Das KTI-Projekt hat schon im ersten Pro-

jektjahr bei verschiedenen Stellen (Ver-

waltung, Wirtschaft, Hochschulen) Inte-

resse geweckt. Die Wirtschaftspartner

werden die ersten Ergebnisse vom

9. bis 12. Juni an der Suisse Public 2009

in Bern präsentieren.

Zukünftige Entwicklungen

und Herausforderungen

Die Entwicklergruppe der BFH-TI nimmt

mit verschiedenen Partnern neue Pro-

jekte in Angriff. Im Vordergrund stehen

zwei neue Problembereiche: erstens die

Verknüpfung der Cockpits mit geogra -

fischen Informationssystemen (GIS-Da-

ten, digitale Karten, Satellitenbilder)

und zweitens die Vernetzung zwischen

Cockpits im föderalen Staat.

Im GIS-Bereich bereitet die BFH-TI ge-

meinsam mit Forschungsteams der Zür-

cher Hochschule für Angewandte Wis-

senschaften, der Fachhochschule Nord-

westschweiz und der Hochschule St.

Gallen ein KTI-Projekt vor. Ziel des Pro-

jekts ist die Entwicklung von Führungs-

instrumenten, mit deren Hilfe räumliche

Prozesse sichtbar gemacht und simu-

liert werden können. Die Suche nach

Projektpartnern aus Wirtschaft und Ver-

waltung ist noch nicht abgeschlossen.

Für Gespräche mit Interessenten steht

der Autor gerne zur Verfügung.

Ein Masterstudent der BFH-TI entwi-

ckelte in Zusammenarbeit mit der Be-

dag und dem Kantonalen Amt für Infor-

matik und Organisation des Kantons

Bern einen Cockpit-Prototyp für das Ge-

res-Projekt (GemeindeRegisterSysteme

der Bedag, siehe www.be.ch/geres).

Darin werden «geres-relevante» Füh-

rungsinformationen für die beteiligten

Verwaltungsstellen des Kantons Bern

und der knapp 400 Berner Gemeinden

bereitgestellt. Dadurch sollen die Über-

sicht erhöht, der Kommunikationsauf-

wand (manuell erzeugte Mails, Telefo-

nate) reduziert und die Datenqualität in

den betroffenen Systemen nachhaltig

verbessert werden. Der Entscheid, ob

der Kanton Bern eine produktive Ver-

sion des Geres-Cockpits realisieren

wird, ist noch ausstehend.

Während im Bereich behördenüber -

greifender Verwaltungsprozesse grosse

Anstrengungen unternommen werden

(z. B. Registerharmonisierung, eCH-

Standardisierungen), werden behörden -

übergreifende Führungsprozesse noch

kaum mit eGovernment-Lösungen un-

terstützt. Der elektronische Austausch

von Führungsinformationen beschränkt

sich bisher weitgehend auf den Versand

von Dokumenten per Mail. Die BFH-TI

sieht in der Vernetzung von Führungs -

cockpits ein grosses Potenzial, die Zu-

sammenarbeit zwischen Bund, Kanto-

nen und Gemeinden zu verbessern. Als

Bindeglied zwischen Bund und Gemein-

den sind die Kantone hier besonders

gefordert, aktiv an Lösungen mitzuar-

beiten.

Dr. Urs Sauter, Dozent für Betriebswirt-

schaftslehre, Leiter des Forschungsfel-

des «ICT-based Management» an der

Berner Fachhochschule Technik und

Informatik (BFH-TI), Biel, und Leiter des

KTI-Projektes «Strategische Führungs-

plattform für kleine und mittlere Ge-

meinden», [email protected]

INFORMATIK

19Schweizer Gemeinde 2/09

Die Partner des KTI-Projektes «Strategische Führungsplattform für kleine und mitt-

lere Gemeinden». (Tabelle: zvg)

Hochschulen – Berner Fachhochschule -TI)

– Westschweizer Fachhochschule Tourismus, Siders

Politik / Verwaltung

– sieben Pilotgemeinden: Brügg BE, Roggwil BE, Stettlen BE, Wohlen bei Bern BE, Brig-Glis VS, Naters VS, Visp VS

– Amt für Gemeinden und Raumordnung des Kantons Bern – Förderagentur für Innovation KTI des Bundesamts für

Berufsbildung und Technologie – Schweizerischer Gemeindeverband

Wirtschaft – Microsoft (Schweiz) GmbH, Public Sector – Ruf Informatik AG – Talus Informatik AG

Technik und Informatik, Biel (BFH

Institut Wirtschaft &