Informationskompetenz 2.0 und das Verschwinden des „Nutzers“

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    1 Der Nutzer in einer sich stndig vernderndenWelt der Information

    Das Thema Frderung von Informationskompetenz alsAufgabenfeld von Bibliotheken hat sich auch in Deutsch-land fest etabliert. Davon zeugen hufig erscheinendeAufstze zum Thema1 sowie regelmig stattfindendeVortrge auf Konferenzen. Aber die Welt der Informationverndert sich rasant weiter und das Aufkommen des sogenannten Web 2.0 bringt auch fr Bibliotheken weitereneue Herausforderungen2. Was bedeutet nun das Web2.0 fr die Frderung von Informationskompetenz durchBibliotheken in der Zukunft? Wie verndert sich das, wasals Informationskompetenz aufgefasst wird in einer sichstndig ndernden elektronischen Umwelt? Welche Aus-wirkungen hat das Web 2.0. auf das Informationsverhaltender Nutzenden? Wie knnen Komponenten des Web 2.0zur Frderung von zeitgemer Informationskompetenzgenutzt werden? Ausgehend von der sich vernderndenRolle des Nutzers im Web 2.0 werden in diesem Aufsatzfnf Thesen als Ausgangspunkt fr eine sich vernderndeSicht auf Informationskompetenz vorgeschlagen und durchAnregungen fr weiterfhrende Lektre ergnzt.Informationssysteme beobachten und erfassen heute viel-fltige Nutzeraktivitten und lernen somit von den Nut-zenden. Gleichzeitig werden Informationssys teme auch zuLern- und Kommunikationssystemen, wenn man die sichimmer weiter verbreitenden Lernmanagementsysteme desE-Learnings betrachtet. Hier lernt dann der Nutzer vom

    und mit dem System. Aber mehr noch, der Tod des Nut-zers so einige amerikanische Autoren3 in Anlehnungan Roland Barthes ist absehbar: Der Nutzer im Zeital-ter des Web 2.0 wird immer mehr zum Mit-Produzenteneines Systems, das Gleichgesinnte in Denk-, Lern- undPraxisgemeinschaften vereinigt. Der Nutzer wird damitTeil von Informationssys temen, die sich immer mehr zuKommunikationssystemen entwickeln.

    Thomas Hapke

    Informationskompetenz 2.0 und das Verschwindendes Nutzers*

    Ausgehend von einer sich wandelnden Rolle des Nutzers von Informationssystemen im Web 2.0 wird das KonzeptInformationskompetenz kritisch hinterfragt. Fnf Thesen zur Informationskompetenz 2.0, verbunden mit Anregungenauf weiterfhrende Literatur, schlagen einen Perspektivwechsel der in deutschen Bib liotheken vorherrschenden Sichtauf Informationskompetenz hin zu einem ganzheitlicheren Verstndnis von Informations- und Lernprozessen vor.

    Information literacy 2.0 and the disappearance of the user

    Starting from the changing role of the user in information systems in the Web 2.0 this paper critically questions theconcept of information literacy. Five theses on information literacy 2.0 as well as suggestions for further reading offerthe possibility to change the perspective of the view on information literacy predominating in German libraries in thedirection of a more holistic view of information and learning processes.

    Matrise de linformation 2.0 et la disparition de lusager

    En partant du rle se modifiant de lusager des systmes dinformation dans le Rseau 2.0, le projet de la ma-trise de linformation est remis en question critiquement. Lie avec des suggestions sur la littrature, cinq ths-es sur la matrise de linformation proposent une perspective alternative de la vue sur la matrise de linformation

    prdominante aux bibliothques allemandes, une perspective une comprhension des procds dinformationet dapprentissage plus intgrante.

    * Dieser Artikel ist lizensiert unter der Creative CommonsAttribution 2.0 Germany License .

    1 Siehe einen aktuellen berblick bei Htte, Mario: Zur Vermitt-lung von Informationskompetenz an Hochschulbibliotheken Entwicklung, Status quo und Perspektiven. In: Bib liothek30 (2006) S. 137-167.

    2 Im Aufsatz von Danowski, Patrick und Lambert Heller: Bib-liothek 2.0 Die Zukunft der Bib liothek? In: Bibliotheksdienst40 (2006) S. 1 259-1 271 (Preprint , besucht am 2.4.2007) wird hinsichtlichder Zukunft der in Bibliotheken arbeitenden Menschen undderen zuknftigen Funktionen imp lizit auch der Bereich In-

    formationskompetenz gestreift!3 Rosenbaum, Howard; Davenport, Elisabeth; Lievrouw, LeahA. und Ronald E. Day: The death of the user. In: 2003 An-nual Meeting Humanizing Information Technology: FromIdeas to Bits and Back Proceedings of the American So-ciety for Information Science and Technology 40 (2003)S. 429-430.

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    138 Bibliothek 31.2007 Nr. 2 Hapke Informationskompetenz 2.0 und das Verschwinden des Nutzers

    1.1 Die klassische Sicht auf Nutzer und Informa-tionssystem

    Das Verhltnis des Nutzers zu den von ihm genutztenInformationssystemen hat sich in den letzten Jahren ge-wandelt, seien diese Informationssys teme Datenbanken,

    andere Angebote im Netz oder auch eine Institution wieeine Bibliothek. Im klassischen Information-Retrieval-Mo-dell standen sich Nutzer und System noch auf zwei Seitenwie Subjekt und Objekt gegenber: Der Recherchierendedrckte seinen Informationsbedarf in seiner Anfrage mitHilfe von Suchbegriffen aus, die dann in Form eines Ab-gleichs (Matching) mit den in der Datenbank enthaltenenBegriffen aus den Beschreibungen der Texte (Metadaten)oder den Texten selbst das Suchergebnis produzierten. Da-bei konnten die Produzenten des Informationssys tems dieMetadaten oder Volltexte ihrerseits noch mit zustzlichemVokabular anreichern. Nutzer und Informationssystem in-teragierten aber weitgehend nur ber die Suchanfrage unddas Rechercheergebnis. Der Nutzer als selbstbestimmteund autonome Person mit bewusstem oder auch unbe-wusstem Informationsbedrfnis und individuellen Zielenbe-nutzt das Informationssystem, um sein Ziele zu errei-chen. Das Informationssystem selbst wird durch die Re-cherchen des Nutzers nicht beeinflusst. Oft tritt zwischenNutzer und System ein Vermittler, z. B. eine Person, eineOberf lche oder eine andere Form von personalem odermaschinellem Informationsassis tenten4.Die klassische Sicht auf den Nutzer in Bibliotheken istdabei die Sicht des Experten und Informationsspezialis-ten. Der Nutzer als monologisches Subjekt5 mit seinen

    physischen, kognitiven und affektiven Eigenschaften istunabhngig von anderen Individuen um ihn herum. DerInformationsspezialist steht aus dieser Sicht in einem Ver-hltnis zum Nutzer, die dem Verhltnis von Arzt/Patientbzw. Erwachsener/Kind nahe kommt: der sichere, rati-onale, neutrale, bewusste, reflektierende Experte undder oft unsichere, frus trierte, ngstliche und desorien-tierte Nutzer.

    1.2 Wandlung des Verhltnisses zwischen Infor-mationssystem und Nutzer

    Die aktuellen Entwicklungen im Internet verndern heu-te das Verhltnis von Nutzer und Informationssys tem im-mer mehr. Nutzer und System verhalten sich nicht mehrnur wie Subjekt und Objekt, wobei das Subjekt das Ob-jekt nutzt, ohne dieses zu verndern oder ohne dass esvon diesem sichtbar verndert wird. Viel strker als frherbeeinflusst, verndert und erweitert der Nutzer heute dasbenutzte Recherchesystem. Nicht nur durch Nutzermodel-lierung bzw. Adaptierung dessen Verhaltens rcken dieSphren des Nutzers und des jeweiligen Informationssys-tems enger zusammen. Nutzer und Informationssystemagieren als Lernende.Einerseits gibt es heute Informationssysteme, die vomNutzer lernen. Systeme wie zum Beispiel BibTutor ler-nen vom Nutzer, indem der persnliche Informationsbe-darf durch Nutzereingabe abgebildet wird, und indem dieRechercheschritte und vom Nutzer abgerufenen Support-Komponenten erfasst und ausgewertet werden6. Das Sys-tem lernt aus den Nutzereingaben, der Nutzer wiederumlernt durch spezifische Rckmeldungen des Systems.

    So kann die individuelle Nutzung eines Informationssys-tems sogar individuelle Recherchen anderer Nutzer be-einflussen. Zum Beispiel ist in einem Recherchesystemwie Amazon ein Recommender-System integriert, dasdie konkrete Suche mit Empfehlungen aus Recherche-Ergebnissen bzw. Nutzungsdaten anderer Nutzer beglei-tet. Andererseits stellen die inzwischen weit verbreitetenLernmanagementsys teme des E-Learning nichts anderesals digitale Bibliotheken von Lernobjekten dar, mit denender Nutzer selbst etwas lernen kann.

    1.3 Das Verschwinden des Nutzers

    Heute wird der Nutzer verstrkt als Kunde, Verbraucheroder Konsument gesehen. Informationskompetenz ist dannz. B. die Fhigkeit, aufgeklrte und informierte, d. h. be-wusste Konsumentscheidungen zu treffen7. Das Informati-onsverhalten in Alltag und Freizeit prgt auch die Kunden

    von professionellen Informationssys temen. In einer vonAmazoogle8 geprgten Welt sind Konsumenten heutenicht mehr nur passiv, sondern aktiv. Der Informations-suchende agiert als Spieler9 und Lernender10.Die Nutzung von Informationssystemen, die mit Kom-ponenten des Web 2.0, mit sozialer Software wie Web-logs und Wikis, realisiert werden, umfasst normalerweisegleichzeitig die Mglichkeit, selbst zu agieren, sein eige-nes Wissen und seine eigenen Fhigkeiten anderen zurVerfgung zu stellen bzw. diese mit anderen zu teilen. Da-mit wird der Nutzer selbst Teil des Informationssystems,tritt als Informationsvermittler auf bzw. wandelt sich zumMitproduzenten des Systems. Der konkrete Nutzer selbstist nicht mehr nur als ein autonomes Individuum sichtbar,sondern Teil einer Gemeinschaft, in der er agiert, oder in

    4 Kuhlen, Rainer: Die Konsequenzen von Informationsassis-tenten: was bedeutet informationelle Autonomie oder wiekann Vertrauen in elektronische Dienste in offenen Infor-mationsmrkten gesichert werden? Frankfurt a. M. 1999.

    5 Zum Folgenden siehe Tuominen, Kimmo: User-centred dis-course: an analysis of the subject positions of the user and thelibrarian. In: The Library Quarterly 67 (1997) S. 350-371.

    6 Hapke, Thomas; Memmel, Martin und Sand ra Zilles:Benutzerzentrierte Modellierung des Rechercheprozessesin BibTutor. In: Content: 28. Online-Tagung der DGI, 58. Jah-restagung der DGI, Proceedings hrsg. v. Marlies Ockenfeld.Frankfurt a. M.: Deutsche Gesellschaft fr Informationswis-senschaft und -praxis, 2006. Hier: S. 123-133. Siehe auchdie Website des Projektes unter ,besucht am 2.4.2007.

    7 Pawley, Christine: Information literacy: a contradictory coup-ling. In: The Library Quarterly 73 (2003) S. 422-452.

    8 Dempsey, Lorcan: The (Digital) Library Environment: TenYears After. In: Ariadne, Issue 46, February 2006, , besucht am 2.4.2007.

    9 Nicholas, David und Tom, Dobrowolski: The informationplayer: a new and timely term for the digital information

    user. In: Handbook of information management. Ed. by Ali-son Scammell, Association for Information Management. 8.Ed. London 2001. Hier S. 513-522.

    10 Hepworth, Mark: Information literacy from the learners per-spective. In: Information and IT literacy: enabling learningin the 21st century. Ed. by Allan Martin and Hannelore Ra-der. London 2003. Hier S. 217-233.

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    Bibliothek 31.2007 Nr. 2 Hapke Informationskompetenz 2.0 und das Verschwinden des Nutzers 139

    die er integriert ist. Gerade in Untersuchungen zur Nut-zung digitaler Bibliotheken ist dies immer mehr Gegen-stand der Forschung11. Der Nutzer ist als organizationalindividual12 eingebunden in ein sozio-technologischesNetzwerk mit kulturellen, politischen und wirtschaftlichenElementen. Er trgt als sozialer Akteur13 mit zur Kons-titution und zum Design von Informationssystemen derZukunft bei. So gehrt auch das so genannte Tagging,die gemeinschaftliche Erschlieung von Webseiten, B-chern u.a., zu diesen Phnomenen, in denen die Nutzeraktiv in Informationssystemen wie del.icio.us, Library-Thing oder Flickr die Inhalte mit selbst gewhlten Stich-wrtern versehen14.Die Rollen zwischen Schreibendem und Lesendem, zwi-schen dem Produzenten und dem Konsumenten von Infor-mation gleichen sich immer mehr an. So wie Walter Ben-jamin schon 1934 die Wandlung des Lesers zum Autorbeschrieben hat15, eine Wandlung, die durch die viel-

    fltigen Mglichkeiten des Internets in den letzten Jahrenfast schon Alltag geworden ist so wird der Nutzer einesInformationssystems immer mehr zu einem Akteur inner-halb des Sys tems und macht sein Wissen und seine F-higkeiten ffentlich, d. h. er publiziert und kommuniziert.

    2 Informationskompetenz 2.0

    Macht es berhaupt Sinn, so etwas wie Informationskom-petenz 2.0 beschreiben zu wollen? Gibt es Informations-kompetenz 2.0 berhaupt? Die Bezeichnung ist zuerst vonEdlef Stabenau eingefhrt worden. Sie stand als eher iro-nisch gemeinte berschrift im Weblog Netbib ber einigenAnmerkungen zum Design der Website 16. Die folgenden Thesen dieses Aufsatzes zuInformationskompetenz 2.0 charakterisieren fnf durch-aus aufei nander bezogene Komponenten eines modernenVerstndnisses von Informationskompetenz im Zeitalterdes Web 2.0. Sie beziehen sich auf eine besonders in derinternationalen Literatur anzutreffende kritisch-konstrukti-ve Auffassung zur Informationskompetenz, die angesichtsder Verbreitung sozialer Software verstrkt Beachtungfinden sollte. Innerhalb der bib liothekarischen Diskussi-on sind besonders in Deutschland mehr kritische Stim-men ntig, die ja hufig auch neue Einsichten und Ideengeben17. Die Thesen dieses Aufsatzes (vgl. Tabelle 1) ent-halten einen Vorschlag fr einen Perspektivwechsel derin Deutschland bisher vorherrschenden Sicht auf Infor-mationskompetenz.

    1. Informationskompetenz 2.0 umfasst ein ganz-heitliches Verstndnis von Informations- undLernprozessen.

    2. Informationskompetenz 2.0 ist eine von vielenSchlsselkompetenzen.

    3. Informationskompetenz 2.0 ist eine Lernerfah-rung.

    4. Informationskompetenz 2.0 ist im Web 2.0 einProzess, umfasst nicht nur Lernen mit und durch

    Information, sondern verstrkt Lernen ber In-formation und Wissen.

    5. Informationskompetenz-2.0-Frderung nutztHilfsmittel des Web 2.0.

    Tabelle 1: Thesen zur Informationskompetenz 2.0

    Thematisiert wird damit auch die Frage nach der Vern-derung des Verstndnisses von Informationskompetenzin einer sich stndig ndernden elektronischen Umwelt.So betraf dies in der nahen Vergangenheit z. B. die Fra-ge, welche Auswirkungen die pa rallele Suche in mehre-ren Datenbanken, wie sie Portale bieten, auf die Kom-petenzen ihrer Nutzer hat. Es war bisher fr Nutzendewichtig zu wissen, welcher Unterschied zwischen einerselbstndigen Verffentlichung, also einem Buch odereiner Zeitschrift, und einer bibliographisch unselbstndi-gen Verffentlichung, also z. B. einem Zeitschriftenauf-satz, besteht. Je nachdem, wonach er suchte, musste derEndnutzer eine andere Datenbank auswhlen: fr die Re-cherche nach einem Buch z. B. den Bibliothekskatalog,der in der Regel keine Aufstze enthlt, fr die Recher-che nach einem Aufsatz eine fachspezifische Aufsatz-Da-tenbank. Bleibt diese Unterscheidung in Zukunft weiterhinwichtig, wenn wir einheitliche Benutzer-Oberflchen ha-ben, in denen Aufsatzdatenbanken, Bibliothekskataloge

    u.a. integriert sind?Welche Auswirkungen hat heutzutage speziell das Web2.0. auf das Informationsverhalten der Nutzenden? WelcheForm von Informationskompetenz wird in der Welt sozialerSoftware vom Informationssuchenden bentigt? Gibt esin Zukunft berhaupt noch so etwas wie einen Informa-tionssuchenden, wie wir ihn uns aus bibliothekarischerSicht vorstellen? Die im ersten Teil dieses Aufsatzes be-schriebene Entwicklung lsst gerade die letzte Frage alsdurchaus gerechtfertigt erscheinen.

    11 So werden in Bishop, Ann Peterson; Van House, Nancy A.und Barbara P. Butterfield (Eds.): Digital library use: socialpractice in design and evaluation. Cambridge, Mass. 2003,digitale Bibliotheken unter anderem als kosys teme be-schrieben, und der Nutzer wird als Teil von Gemeinschaftenangesehen, deren Wissensarbeit gemeinsame Erkennt-nisse konstruiert.

    12 Siehe Rosenbaum et al. (Anm. 3).13 Lamb, Roberta und Rob Kling: Reconceptualizing users

    as social actors in information systems research. In: MISQuarterly 27 (2003) 2, June. Online: , besucht am 2.4.2007.

    14 Macgregor, George und Emma McCulloch: Collaborativetagging as a knowledge organisation and resource disco-very tool. In: Library review 55 (2006) 5, S. 291-300.

    15 So schrieb Benjamin, Walter: Die Zeitung (1934). In: Benja-min, Walter: Gesammelte Schriften. 2. Band, 2. Teil. Frankfurta. M. 1977, hier S. 628-629: Indem nmlich das Schrifttuman Breite gewinnt, was es an Tiefe verliert, beginnt die Un-terscheidung zwischen Autor und Publikum ... zu verschwin-den. Der Lesende ist jederzeit bereit, ein Schreibender, nm-lich ein Beschreibender oder auch ein Vorschreibender zuwerden. Als Sachverstndiger und sei es auch nicht frein Fach, vielmehr nur fr den Posten, den er versieht ge-winnt er einen Zugang zur Autorenschaft...

    16 Am 31.8.2006 unter , besucht am 2.4.2007.17 Eine in Deutschland singulre kritische Sicht auf Informati-onskompetenz bietet, verbunden mit einer Auswertung inter-nationaler Literatur: Ingold, Marianne: Das bibliothekarischeKonzept der Informationskompetenz: ein berblick. Ber-lin 2005. Online: , besucht am 2.4.2007.

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    140 Bibliothek 31.2007 Nr. 2 Hapke Informationskompetenz 2.0 und das Verschwinden des Nutzers

    2.1 These 1: Informationskompetenz 2.0 umfasstein ganzheitliches Verstndnis von Informa-tions- und Lernprozessen

    ber effiziente Recherche- und Navigationsstrategien hi-naus umfasst Informationskompetenz vor allem die Kreati-

    vitt, den eigenen Informations- und Lernprozess bewusstund bedarfsgerecht zu gestalten. Informationskompetenz2.0 ist nicht nur ein durch Standards beschreibbares Kom-petenzfeld, sondern umfasst die gesamte Vielfalt bzw.Multidimensionalitt des mglichen Begriffsverstndnis-ses von Informationskompetenz. Informationskompetenzwird nach Christine Bruce definiert als die Summe der ver-schiedenen Formen, in der sie erfahren wird18. Pdago-gisch-didaktische Aktivitten zu ihrer Frderung und alsUntersttzung fr Lernende ermglichen es, so Ola Pi-lerot, das Repertoire an Erfahrungen beim Suchen, Findenund Nutzen von Information auszuweiten und zu vern-dern. In einem Aufsatz von Bruce mit zwei aus tralischen

    Kolleginnen werden sechs verschiedene Sichten auf In-formationskompetenz unterschieden, eine Sicht auf denInhalt, eine andere auf Kompetenzen, auf das Lernenzu Lernen, auf die persnliche Relevanz, auf die sozialeBedeutung sowie eine die gerade erwhnten fnf Bedeu-tungsnuancen zusammen- und umfassende relationaleSicht auf Informationskompetenz19. Limberg und Sundindifferenzieren eine quellen-, verhaltens-, prozess- undkommunikationsorientierte Betrachtungsweise von Infor-mationskompetenz20. Hier erwhnt ist auch ein Ansatz,Informationskompetenz als eine Form von sociotechni-cal practice zu sehen. Gemeint ist hier eine Praxis, inder es darauf ankommt, soziale, ideologische und mate-

    riell-technische Kontexte zu kennen und zu verstehen, indenen Information, Wissen und deren Medien bzw. tech-nischen Werkzeuge produziert bzw. genutzt werden21. In-formationskompetenz ist dann eher ein durch individuelleund gemeinschaftliche sowie formelle und informelle Er-fahrungen gewonnenes Verstndnis fr das Funktionie-ren von Informations-, Publikations- und Lernprozessen.In einem gerade erschienenen Buch zum Engagementvon Studierenden und Informationskompetenz wird letz-tere als way of thinking, als dispositional habit, also alsder Neigung entsprechenden Lebensgewohnheit, aberauch als set of cultural practices gesehen22.Diese in den obigen Anstzen sichtbare, eher holistische

    Sicht auf Informationskompetenz relativiert die Rolle vonStandards zur Informationskompetenz, wie z. B. die ausden bersetzten ACRL-Standards entwickelten aus Ba-den-Wrttemberg23. Standards bilden eine gute Hilfe undBasis fr die eigene Reflexion und mgen aus politischenund Marketing-Gesichtspunkten wichtig erscheinen, aberInformationskompetenz ist mehr, als sich in Standardsabbilden lsst. Trotzdem knnen Standards dazu die-nen, die Reflexion darber zu strukturieren, welche Be-deutung das Web 2.0 auf den Begriff und die Praxis vonInformationskompetenz hat24.Informationskompetenz 2.0 variiert die Sichtweisen undPerspektiven auf Informationskompetenz, Annemaree Lloydspricht sogar von information literacy landscapes25.DieSicht von Bibliotheken reicht nicht aus, um alle Facettensichtbar zu machen. So kann z. B. eine betriebliche, un-ternehmensorientierte Sicht auf Informationskompetenz26zeigen, dass im Unternehmen die Suche nach Informationganz klar weniger wichtig ist als die Informations nutzungund -produktion, sowie weniger wichtig als das Prob lem

    der Bewltigung der Informationsflut. Auch unklare, kom-plexe und manchmal wenig transparente Informationspro-zesse im Unternehmen und beschrnkter Zugang zu Infor-mationsquellen sind oft problematischer als die Nutzung

    18 So bei Pilerot, Ola: Information literacy at a distance col-laboration between a university library and two public lib-raries. In: Second International Conference on Informationand IT Literacy. Glasgow Caledonian University 2003. On-line: , besucht am 2.4.2007. Hier S. 5.

    19 Bruce, Christine; Edwards, Sylvia und Mandy Lupton: Sixframes for Information literacy education. In: ITALICS (In-novations in Teaching and Learning in Information andComputer Sciences) 5 (2006) 1. Online: , besucht am 2.4.2007.

    20 Limberg, Louise und Olaf Sundin: Teaching information

    seeking: relating information literacy education to theo-ries of information behaviour. In: Information Research 12(2006) 1, paper 280. Online: , besucht am 2.4.2007.

    21 Siehe S. 340 in Tuominen, Kimmo; Savolainen, Reijo undSanna Talja: Information literacy as a sociotechnical practi-ce. In: Library Quarterly 75 (2005) S. 329-345.

    22 Student engagement and information literacy. Ed. by CraigGibson. Chicago 2006. Hier S. VIII ff.

    23 Standards der Informationskompetenz fr Studierende.Hrsg. Netzwerk Informationskompetenz Baden-Wrttem-berg (NIK-BW) , besucht am 2.4.2007. Zur Situation der Frderung

    von Informationskompetenz in Baden-Wrttemberger Bib-liotheken vergleiche Shl-Strohmenger, Wilfried: Das Netz-werk Informationskompetenz der baden-wrttembergischenHochschul- und Landesbibliotheken. In: B.I.T.online 9 (2006)S. 205-212.

    24 So nutzen Deitering, Anne-Marie und Rachel Bridgewa-ter (Research instruction in a Web 2.0 world: an ACRL/Ins-truction Section Current Issue Discussion Forum. ALA Con-ference, New Orleans, 25 June 2006, Online: ALA | InstructionSection Current Issues Discussion Forum Annual 2006, besucht am 2.4.2007) die Standardsder Association of College and Research Libraries (ACRL)und Peter Godwin (Keeping up with the Google generation:the challenge for information literacy teachers; in: Informati-on literacy: recognising the need. Ed. Geoff Walton and Ali-son Pope. Oxford 2006, S. 30-36) die sieben Sulen vonSCONUL (Society of College, National and University Lib-raries), um die Vernderungen in Folge des Web 2.0 in Be-zug auf Informationskompetenz zu beschreiben.

    25 Lloyd, Annemaree: Information literacy landscapes: anemerging picture. In: Journal of Documentation 62 (2006)S. 570-583. Lloyd hat speziell den Umgang mit Informationam Arbeitsplatz z. B. bei Feuerwehrleuten untersucht, wo-bei sie neben textbezogener Information auch Formen dersozialen und physikalischen Information unterscheidet unddamit den Begriff von Informationskompetenz erweitert.

    26

    Ingold, Marianne: Informationskompetenz: ein (neues) Leit-bild fr betriebliche Informationsstellen? In: Leitbild Informa-tionskompetenz: Positionen, Praxis, Pers pektiven im euro-pischen Wissensmarkt; 27. Online-Tagung der DGI, 57.Jahrestagung der DGI, Frankfurt am Main, 23. bis 25. Mai2005; proceedings. Hrsg. von Marlies Ockenfeld. Frankfurta. M. 2005. Hier S. 15-26.

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    KritischeInformationskompetenz (2.0)

    Informationskompetenz(klassisch)

    Selbstverstndnis und Betonungliegt auf

    Verstndnis fr das gesamte System wis-senschaftlicher Information (Produktion,Verteilung, ...)

    Standards und Qualifikationen zum Umgangmit Information

    Auffassung von Bildung und Er-ziehung Als Prozess, um Reflexionsfhigkeit undkritisches Bewusstsein zu schaffen Als Transfer von Information und richtigemWissen vom wissenden Lehrenden

    Auffassung von Wissen Als Ergebnis eines sozial verhandelten, er-kenntnistheoretischen Prozesses

    Als kulturelles und konomisches Kapital, dasunabhngig vom Wissenden existiert

    Auffassung vom Informations-prozess

    Als nicht-linearer, komplexer Prozess Als linearer Prozess mit aufeinander folgendenSchritten

    Auffassung zur Frderung vonInformationskompetenz

    Steigerung von Erkenntnis und Bewusst-heit (Wie wird Information produziert undverteilt?)

    Lernen von Recherche- und Navigationsstrate-gien (Wie wird Information gefunden?)

    Sicht des Nutzenden bzw. Stu-dierenden

    Als Mitproduzenten Als Kunden, als Hilfsbedrftigen

    Blick auf die Bibliothek Als Raum fr individuellen oder gemein-schaftlichen Erfahrungs- und Lernraum

    Als Warenhaus fr Wissen und Information, alsInformations-Bank

    Rolle des Bibliothekars Als Lernberater und Moderator von Infor-mations- und Lernprozessen

    Als Lehrender

    vorhandener individueller Informationskompetenz. Damitist Informationskompetenz auch thematisch nah beim in-dividuellen Wissensmanagement27. Bibliotheken knnendurch ihre Serviceangebote auch diesen Bereich berck-sichtigen, z. B. durch Beratung zur Nutzung bzw. durchdas Angebot von Literaturverwaltungs-Systemen.Insgesamt erscheint mir eine Sicht auf Informationskom-

    petenz bedeutsam, die in einer Reihe von Verffentli-chungen als critical information literacy beschriebenwird. Zu nennen sind hier vor allem Autoren wie JamesElmborg28, Barbara Fister29 und Cushla Kapitzke30. Tabel-le 2 stellt diese kritische der klassischen Sicht auf Infor-mationskompetenz gegenber. Diese kritische Informati-onskompetenz betont Aspekte, die zum Tragen kommen,wenn man darber reflektiert, wie ein dem Web 2.0 an-gemessenes Verstndnis von Informationskompetenzerreicht werden kann. Relevanter werden aber auch ge-sellschaftliche Aspekte des Umgangs und der Produktionvon Information und Wissen in einer so genannten Infor-mationsgesellschaft, in der der Zugang zu den Informa-

    tionsquellen und das geistige Eigentum von wachsendergesellschaftlicher Bedeutung sind. Diese Gesellschaftentwickelt sich aber fr Scott Lash auch in Richtung ei-ner disinformation society angesichts der wachsendenFlut und Vielfalt an Informationsmglichkeiten sowie oftkritiklosem Konsumentenverhaltens31.

    2.2 These 2: Informationskompetenz 2.0 ist einevon vielen Schlsselkompetenzen

    Informationskompetenz 2.0 ist im universitren Umfeldimmer Teil einer Vielzahl weiterer, oft verwandter Schls-selkompetenzen im Bereich wissenschaftlichen Arbeitens

    und effektiver Studientechniken sowie berufsbezogenerAnforderungen. Informationskompetenz wird auch als Me-ta-Kompetenz bezeichnet33, die das Erlernen neuer F-higkeiten und neuen Wissens erst ermglicht. Sie umfasstalso nicht nur Informationssuche und kann nicht isoliertvom Lernen gesehen werden. Fr Mandy Lupton ist gar

    Tabelle 2: Unterscheidung von kritischer und klassischer Informationskompetenz32

    27 Reinmann-Rothmeier, Gabi und Heinz Mandl: IndividuellesWissensmanagement: Strategien fr den persnlichen Um-gang mit Information und Wissen am Arbeitsplatz. Bern2000.

    28 Elmborg, James: Critical information literacy: implicationsfor instructional practice. In: Journal of Academic Librarian-ship 32 (2006) S. 192-199. Siehe auch Elmborgs persn-liche Homepage: Elmborg Home , besucht am 2.4.2007.

    29 Fister, Barbara: Smoke and mirrors: finding order in a cha-otic world. In: Research Strategies 20 (2006) S. 99-107.Siehe auch Fisters persnliche Homepage: Barbara Fister, besucht am 2.4.2007.

    30 Kapitzke, Cushla: Information literacy: a review and post-structural critique. In: Australian Journal of Language andLiteracy 26 (2003) S. 53-66. Siehe auch Kapitzkes Home-page: Staff pofil ,besucht am 2.4.2007.

    31 Lash, Scott: Critique of information. London 2002.

    32 Inhaltlich teilweise nach Elmborg (Anm. 28).33 Lloyd, Annemaree: Information literacy: the meta-compe-tency of the knowledge economy? An exploratory paper. In:Journal of Librarianship and Information Science 35 (2003)2, S. 87-92.

    34 Lupton, Mandy: The learning connection: information literacyand the student experience. Adelaide 2004. Hier S. 89.

    der Wert von allgemeinen, isolierten Kursen zur Informa-tionskompetenz zweifelhaft: The value of generic, stan-dalone, parallel and foundation courses for IL [informationliteracy] education is dubios34. Trotzdem sollen natrlichdiesbezgliche Aktivitten von Bibliotheken nicht aufge-geben werden, sie drfen nur nicht berbewertet werden.Andererseits kann die Frderung von Informationskom-petenz nicht nur eine Aufgabe der Bib liotheken sein. Die-se ist auch Aufgabe der Hochschulen, von deren Absol-venten Schlsselkompetenzen fr lebenslang notwendigesLernen erwartet werden. Je mehr Universitten erkennenund dies dann auch vermarkten, dass ihre Absolventenbestimmte Kompetenzen haben mssen, um lebenslanglernen und im Arbeitsmarkt bestehen zu knnen, um so

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    grer ist die Chance von Bibliotheken, in diesem The-menfeld Teil der Hochschulaktivitten zu sein.Die These dieses Abschnittes impliziert den Vorschlag, bib-liothekarisch gesehene Informationskompetenz nicht alsden Nabel der Welt zu betrachten. Auf Informationskom-petenz gibt es nicht nur vielfltige Sichten (siehe These 1),zustzlich ist Informationskompetenz nur eine von vielenneuartigen und verwandten Kompetenzen oder Quasi-Sy-nonymen, die im Rahmen der elekt ronischen Globalisie-rung eine Rolle spielen: Medienkompetenz, digitale Kom-petenz, e-literacy und vieles weitere mehr. Man kann sichsicher lange streiten, welche Begriffe umfassender sind.Vielleicht vernachlssigt Medienkompetenz eher Fragendes Zugangs zu Information und Medien, whrend im The-menfeld Informationskompetenz vor allem im Rahmenvon Bibliotheken oft Bereiche der Nutzung, Evaluationund Produktion von Information unterreprsentiert sind,die in anderen Definitionen strkeres Gewicht haben35.

    Ist heute vielleicht visuelle Kompetenz36

    fast wichtiger alsInformationskompetenz? Man spricht sogar schon vonmultiliteracies, die notwendig sind, um in der modernenInformationsgesellschaft zu bestehen37.Auf die Prob lematik der Verknpfung der Begriffe Infor-mation und Kompetenz bzw. im Englischen literacy so-wie auch auf die diskussionswrdige bertragung desenglischen literacy ins deutsche Kompetenz kann hiernur verwiesen werden38. Das englische information liter-acy impliziert schon vom Begriff her ein Defizit-Modelldes Kunden, das nicht damit zusammenpasst, dass Bib-liotheken Aufmerksamkeit und Reflexionsfhigkeit we ckenund eine Dienstleis tung anbieten wollen.

    Auf der Ebene von Universitten ist das Thema Informa-tionskompetenz eingebettet und in Konkurrenz zum ge-samten Bereich der Schlsselkompetenzen und derenDiskussion im Bereich der Einfhrung der Bachelor- undMaster-Studiengnge im Rahmen des Bolog na-Prozesses.Informationskompetenz ist dort nur ein, wenn auch ausmeiner Sicht sehr wichtiger Teil des Spektrums an Schls-selkompetenzen. Der Begriff wird dort allerdings seltenexplizit verwendet. Ein holistisches Verstndnis von In-formationskompetenz ist bei den Softs Skills nicht nur Teilder Methodenkompetenz (Lern- und Arbeitstechniken),sondern gehrt auch zur Sozialkompetenz (Kommuni-kations- und Kooperationsformen) und Selbstkompetenz

    (ethisches, eigenverantwortliches Verhalten)39.An vorderster Front der Entwicklung zur Frderung vonSchlsselkompetenzen stehen Universitten, die ihr gan-zes Curriculum nach diesem Ziel ausrichten. So durch-laufen Studierende an der Universitt St. Gallen in derSchweiz am Anfang ein einjhriges wissenschaftlichesPropdeutikum, Assessment-Stufe genannt. Auch spterwerden zustzlich zum Fachstudium im Rahmen eines sogenannten Kontextstudiums Handlungskompetenz, Refle-xionskompetenz und Kulturelle Kompetenz gefrdert40. Im-plizit ist Informationskompetenz hier Teil der Handlungs-kompetenz (im Bereich der Methoden wissenschaftlichenArbeitens und Lernens). Zur Reflexions- und kulturellen

    Kompetenz gehren aber auch Fragen zur Kultur und Na-tur wissenschaftlichen Arbeitens, ja zu Fragen der Wis-senschaftstheorie, -geschichte und -soziologie41. Kul-turelle Kompetenz umfasst nicht nur das Kennenlernenfremder (Landes-)Kulturen und Sprachen, sondern auchein vernetztes, interdiszip linr orientiertes Verstehen der

    Kulturen fremder Fcher. So hat Informationskompetenzsicherlich auch eine groe Bedeutung fr so etwas wieinterdisziplinre Kompetenz42. Studierende begreifen sichso als Teil einer fachlichen Diskussions- und Diskurs-Ge-meinschaft mit eigenen kulturellen und sozialen Struktu-ren, die ein gemeinsames Vokabular und eine typischeInformationspraxis teilt. Eine solche von Birger Hjoerlandim Bereich der Informationswissenschaft so bezeichne-

    35 Einen guten berblick ber die Vielfalt dieser Kompetenzenbietet das Buch Digital literacies for learning. Ed. by AllanMartin and Dan Madigan. London 2006.

    36 Marcum, James W.: Beyond Visual Culture: The Challen-ge of Visual Ecology. In: portal: libraries and the academy2 (2002) 2, S. 189-206.

    37 Multiliteracies: literacy learning and the design of social fu-

    tures; [New London Meeting in September 1994]. Ed. byBill Cope ... for the New London Group. London 2000.

    38 Siehe den Aufsatz von Pawley (Anm. 7). Nicht trivial ist auchdie Frage nach der wechselseitigen Definition der BegriffeInformation und Wissen, siehe dazu z. B. Hapke, Thomas:Zur Diskussion um den Informationsbegriff eine Rezen-sion (zu Sascha Ott: Information: zur Genese und Anwen-dung eines Begriffs. Konstanz 2004, auch in: Auskunft 25[2005] S. 266-271). Preprint: , besucht am 2.4.2007.

    39 Zur Unterscheidung der Schlsselkompetenzen siehedas Positionspapier: Schlsselkompetenzen in den Cur-ricula der Hochschulen / ZEvA Zentrale Evaluations- undAkkreditierungsagentur Hannover. Online: , besuchtam 2.4.2007. Mehr zum Thema Kompetenzen siehe z. B. Er-penbeck, John und Lutz von Rosenstiel: Einfhrung, S. IX-XL.In: Handbuch Kompetenzmessung: erkennen, verstehenund bewerten von Kompetenzen in der betrieblichen, p-dagogischen und psychologischen Praxis. Stuttgart 2003,und Schaeper, Hildegard und Kolja Briedis: Kompetenzenvon Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen,berufliche Anforderungen und Folgerungen fr die Hoch-schulreform. Kurzinformation HIS A6. Hannover 2004.

    40 Siehe Spoun, Sascha: Die neukonzipierte Lehre der Uni-versitt St. Gallen und ihr Kontextstudium als ein Weg zunachhaltiger Bildung. In: Nachhaltige Bildung: Hochschuleund Wissenschaft im Zeitalter der konomisierung. PeterHnermann, ... (Hg.). Bielefeld 2005, S. 107-125. Online in:Spoun, Sascha: Bologna Reform: Chance auf Kompetenz-entwicklung? In: Frderung von Schlsselkompetenzenan Hochschulen Integration von Wissenschaft und Em-ployability? / SKIBA-Projekt (Schlsselkompetenzen imBachelor) der Universitt Hannover. Dokumentation desExpertenworkshops vom 2. November 2005, S. 25-48. On-line: , besucht am 2.4.2007.

    41 Siehe zur Wissenschaftssoziologie z. B. Weingart, Peter:Wissenschaftssoziologie. Bielefeld 2003, der auch Fragenzur Wissenschaftskommunikation, zur sozialen Konstruk-tion des Wissens und Wissensproduktion behandelt, alles

    Themen, die zu den thematischen Dimensionen von Infor-mationskompetenz gehren knnen.42 Siehe dazu Defila, Rico und Antonietta Di Giulio: Vorbe-

    reitung auf interdisziplinres Arbeiten Anspruch, Erfah-rungen, Konsequenzen. In: Neues Handbuch Hochschul-lehre. Ergnzungslieferung Nummer 9, September 2003.Berlin 2002-2005. E 1.3., S. 1-26.

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    te sozio-kognitive Sicht43 ist ganz nah bei einem holis-tischen Verstndnis von Informationskompetenz und be-tont die Bedeutung der historischen Entwicklung dieserGemeinschaften und ihrer Kommunikationsprozesse so-wie die Bedeutung ihrer Strukturen, Dokumenttypen undInstitutionen im Rahmen wissenschaftlicher Kommunika-tion und Information.So sollten z. B. gerade in den Natur- und Ingenieurwis-senschaften Veranstaltungen zur Wissenschaftstheoriesowie Wissenschafts- und Technikgeschichte verpflicht-ender Teil eines jeden Studiums sein. Hier knnen unteranderem Arbeits- und Studientechniken bzw. Technikenoder Methoden wissenschaftlichen Arbeitens (Informa-tions- und Literatursuche, Lesemethoden, Exzerpieren,wissenschaftliches Schreiben und Zitieren sowie Prsen-tation) reflektiert und praktisch gebt werden. Aber aucheine Veranstaltung Wandel der Wissenschaftskommu-nikation mit den Themen Publikation, Wissenschaftssys-tem, Zitation und wissenschaftliche Reputation, Digitali-

    sierung, Open Access und Urheberrecht, wie sie einmalan der Universitt Gttingen stattfand, wre ein wichtigesLehrangebot. Im Idealfall knnten dann solche Veranstal-tungen von Bibliotheken zusammen mit den Lehrendengenutzt werden, um Elemente der Informationskompe-tenz und die kulturelle Bedeutung der berlieferung vonWissen und damit auch die Funktion von Bibliotheken be-wusst zu machen44.

    2.3 These 3: Informationskompetenz 2.0 ist eineLernerfahrung45

    Informationskompetenz ist nur kontext- und fachspezi-fisch als Teil der Erfahrungen, die beim Lernen gemachtwerden, vermittelbar. Nur die Lehrenden knnen die In-formationskompetenz ihrer Studierenden wirklich beein-flussen. Entscheidend sind nicht Extra-Kurse zur Vermitt-lung von Informationskompetenz, sondern der subtileZwang, sich in projekt-hnlichen Studienteilen Informa-tionskompetenz erarbeiten zu mssen. Zeit und Ort derVermittlung von Informationskompetenz mssen so in dasCurriculum integriert werden, dass die Studierenden ausihrer Eigenverantwortung und aus ihrer Studienaufgabeheraus die Kompetenz des Umganges mit elektronischerFachinformation selbst gesteuert erlernen. Der Zusam-menhang zwischen einem Prob lem und dem Einsatz vonInformationskompetenz als Teil der Lsung schafft Moti-vation, sich diese anzueignen.Aus einer ganzheitlichen, konstruktivistischen Sicht istideales Lernen aktiv, selbst geleitet, situativ und kontext-spezifisch, umfasst individuellen Hintergrund und eigeneInterpretation. Als sozialer Prozess schafft es Gemein-schaften. Lernziele entstehen oft erst whrend des Lern-prozesses. Problem- und projektorientiertes Lernen imRahmen der Neuorientierung der Lehre und des Lernensan den Universitten umfasst vielfltige Kontexte und Pers-pektiven und ermglicht eigene forschende Entwicklung.Es ist dabei zu helfen, seinen eigenen Lern- und damitauch Informationsstil zu entwickeln. Relevant sind Bera-tung (Consulting) zur selbst gesteuerten Optimierung derInformationskompetenz, verbunden mit der Anregung zurReflexion ber den eigenen Lern- und Informationspro-zess und dessen Fortschritte. Jedes Lehren sollte Lernenermglichen und damit Raum schaffen fr die Lernenden,so dass diese diejenigen neuen Einsichten, Fhigkeiten

    und Potentiale entwickeln knnen, die von ihnen erwar-tet werden46. Studierende und Lernende sollten nicht alsKunden, sondern als Mitproduzenten angesehen werden,wie es der aus St. Gallen kommende Prsident der Uni-versitt Lneburg in einem Vortrag ausdrckte47.Besonders wichtig ist aber das Lernen und der Austauschder Studierenden untereinander, z. B. im Rahmen einesProjektes. Dieses Lernen entspricht am ehesten dem Ler-nen in Alltag und Beruf, das eher einem Lernen gleicht,das durch moderne Computerterminologie als Peer-to-peer (P2P) beschrieben werden kann. Wie bei modernenNetzgemeinschaften, die Software, Musik und hnlichesaustauschen, stellt jeder Teilnehmende der Gemeinschafteinen Teil seiner eigenen Ressourcen (Wissen, Fertig-keiten) im Netzwerk zur Verfgung und partizipiert fr sei-ne eigenen (Lern-)Ziele von den Angeboten der Partnerder Gemeinschaft. Das E im E-Learning und damitwird auch die Nutzung sozialer Software im Web 2.0 the-matisiert, die man auch als E-Learning bezeichnen kann,

    bedeutet nicht nur electronic, sondern kann auch alseasy, effective oder entertaining gelesen werden. Inallgemeinster Weise kann es mit enhanced verbundenwerden48. Erweitertes Lernen umfasst heutzutage mehrals formelle Lernszenarien in Schule, Ausbildung oder Uni-versitt. Informelles Lernen, over-the-shoulder-learning49und die Kooperation in Gruppen werden immer wichtiger.Gerade Elemente sozialer Software knnen zum aktiven,gemeinschaftsorientierten Lernen beitragen, so dass letzt-lich Lernen wirklich Teil des Lebens wird.Eine Verknpfung von sowohl gemeinschaftlichem alsauch individuellem Lernen bieten persnliche Lernum-gebungen, z. B. in Form von Weblogs, Wikis und elek-

    tronischen Portfolios. Zurzeit an den Universitten ge-nutzte Lernmanagementsysteme sind stark orientiert anden angebotenen Lehrveranstaltungen und wenig orien-tiert am Lernenden (siehe Tabelle 3). Die massiv wach-sende Nutzung der Komponenten des Web 2.0 fhrtaber immer mehr dazu, dass diese Komponenten auchTeil gngiger Lernplattformen werden. So bietet z. B. dieLernplattform der TU Hamburg-Harburg Stud.IP veranstal-

    43 Vgl. Hjoerland, Birger: Domain analysis. A socio-cognitiveorientation for information science research. In: Bulletin ofthe American Society for Information Science and Techno-

    logy 30 (2004) 3. S. 17-21.44 Vergleiche Hapke, Thomas: Studierende, Google, die Welt

    der Bibliotheken und deren kulturelle Bedeutung: Ein Essayzu einem Aufsatz von Amy Bruckman. In: Libreas, Ausgabe5, online: , besucht am 2.4.2007.

    45 Nach Lupton (Anm. 34).46 Nach Limburg und Sundin (Anm. 20).47 Siehe auch Anm. 40.48 Hapke, Thomas: Perspektive E-Learning Die Rolle von

    Universittsbibliotheken in neuen Lernumgebungen. In: Tea-ching Library eine Kernaufgabe fr Bibliothekare. Frank-furt a. M. 2007. Hier S. 41-80. Folien des Vortrages unter, besuchtam 2.4.2007.

    49 Twidale, Michael B. und Karen Ruhleder: Over-the-shoul-der-learning in a distance education environment. In: Lear-ning, culture, and community in online education: researchand practice. Eds. Caroline Haythornthwaite und MichelleM. Kazmer. New York 2004. Hier S. 177-194.

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    tungsbezogene Wikis an. Sinnvoll wre also eine Ergn-zung der vorhandenen Lernmanagementsys teme durcheine auf den Lernenden bezogene Lernumgebung, wiesie z. B. das System Elgg50 bieten wrde. Hier haben Ler-nende die Mglichkeit, eigene Weblogs zu betreiben, ih-re RSS-Feeds und Links mit anderen Lernenden zu tei-len, aber auch ein Wiki zu nutzen. Darber hi naus kanndie Plattform auch als persnliches elektronisches Port-folio genutzt werden.

    Lernplattformen Persnliche Lernumge-bungen

    Orientie-rung an

    Lehrveranstaltungen Lernenden

    Inhalte berwiegend Lern-und Lehrmaterialiender Lehrenden

    berwiegend Lernmate-rialien der Lernenden

    Kommu-nikation

    berwiegend zwi-schen Lernenden

    und Lehrenden

    berwiegend zwischenLernenden

    Beispiele Stud.IP, Ilias,WebCT/Blackboard,Clixx

    Weblogs, Wikis, Elgg,elektronische Portfolios

    Tabelle 3: Inhalts- und personenbezogene Lernumge-bungen

    Persnliche Lernumgebungen in Form elektronischer Port-folios51 erlauben es z. B. jedem Lernenden aber auchjedem Lehrenden fr sich oder fr die eigene Lehrver-anstaltung einen Weblog oder ein Wiki zu erstellen undzu nutzen. E-Portfolios bieten Nutzenden die Mglichkeit,

    die Ergebnisse ihres eigenen Lernens und Lehrens sichund anderen zu prsentieren. Die Nutzenden haben je-derzeit die Mglichkeit zu bestimmen, welche Teile desjeweiligen Portfolios nur fr einen selbst bzw. fr Bekann-te oder fr alle einsehbar sind.Gerade elektronische Portfolios stellen ein gutes Instru-ment dar, um nachhaltige und qualitativ hochwertige, aufReflexion beruhende Lern- und Informationsprozesse zufrdern. Sie knnen durchaus auch dazu dienen, Anforde-rungen der Bologna-Studienreform zu bercksichtigen52.Der enge Zusammenhang zwischen ihnen und dem The-ma Informationskompetenz zeigt folgendes Zitat: In thecontext of a knowledge society, where being information

    literate is critical, the portfolio can provide an opportuni-ty to demonstrate ones ability to collect, organise, inter-pret and reflect on documents and sources of information.It is also a tool for continuing professional development,encouraging individuals to take responsibility for and de-monstrate the results of their own learning. Furthermore, aportfolio can serve as a tool for knowledge management,and is used as such by some institutions.53

    Der konstruktivistisch orientierte Ansatz des Arbeitensmit Weblogs und Wikis kommt modernen Auffassungenvom Lernen entgegen. Rolf Schulmeister fhrt das Auf-kommen der Weblogs auch auf die hufig recht persn-lich motivierte narrative Komponente zurck54. Die das

    Erzhlerische betonende, personenbezogene Komponen-te eines Weblogs frdert Erinnerung und Reflexion undkorreliert mit Empfehlungen aus der wissenschaftlichenSchreibforschung zur Fhrung von Lern-Tagebchernund Forschung-Logbchern55. Aber auch ganz allgemeinist das Storytelling schon als Instrument des Lernens in

    der Hochschulausbildung empfohlen worden56. Im Web-log oder elektronischen Portfolio als Instrument reflek-tierenden Lernens erzhlen Schreibende die Geschich-te ihres eigenen Lernens und Suchens bzw. Verarbeitensvon Informationen, nehmen Gedanken, Ideen und Inhalteauf und sammeln Materialien, Ausarbeitungen und ande-res. Sie dienen quasi als eine Dokumentation der eige-nen Lernentwicklung, die primr fr sich selbst erfolgt, dieaber durchaus auch nach auen gegeben werden kann.Narrative Methoden haben in der Form des Story-Tellingsogar schon Eingang in das moderne Management ge-funden57. Im Bereich der qualitativen Forschungsmetho-den der Sozialwissenschaften finden sie sich unter demschnen Begriff Autoethnography, also Selbst-Beschrei-bung der eigenen (Lern-)Kultur58. Selbst im Bereich derAusbildung in den Ingenieurwissenschaften scheint dasThema E-Portfolios ein wichtiger Diskussions- und For-schungsgegenstand zu sein, wie aktuelle Aufstze auf

    50 Elgg: the open source social networking platform , besucht am 2.4.2007, und EduSpaces, besucht am 2.4.2007.

    51 Mehr zu E-Portfolios siehe z. B. unter E-Portfolios, besucht am 2.4.2007 so-wie erwachsenenbildung.at Neue Lernformen Links, besucht am 2.4.2007 oder auf

    der Homepage von Helen Barrett unter Dr. Helen BarrettsElectronic Portfolios , be-sucht am 2.4.2007.

    52 Reinmann, Gabi: Bologna und Web 2.0: Wie zusammen-bringen, was nicht zusammenpasst? Vortrag auf der Kon-ferenz eUniversity Update Bologna am 8. / 9. Novem-ber 2006 in Bonn. Online: , besucht am 2.4.2007.

    53 Why do we need an ePortfolio? EIfEL (European Insti-tute for E-Learning): , besucht am 2.4.2007. Siehe auch den Beitragvon Purdue, J.: Stories, Not Information: Transforming In-formation Literacy. In: Portal: Libraries and the Academy 3(2003) 4, S. 653-662.

    54 Schulmeister, Rolf: eLearning: Einsichten und Aussichten.Mnchen 2006. Hier S. 275.

    55 Spoun, Sascha und Dominik Battiste Domnik: Erfolgreichstudieren: ein Handbuch fr Wirtschafts- und Sozialwissen-schaftler. Mnchen 2004. Hier S. 20-22.

    56 McDrury, Janice und Maxine Alterio: Learning through sto-rytelling in higher education: using reflection & experienceto improve learning. London 2003. Vgl. auch: 7 things youshould know about digital storytelling. EDUCAUSE Lear-ning Initiative (2007). Online: , besucht am 2.4.2007.

    57 Thier, Karin: Storytelling: eine narrative Managementmetho-

    de. Heidelberg 2006. Siehe auch als theoretische Fundie-rung: Geiger, Daniel: Wissen und Narration: der Kern desWissensmanagements. Berlin 2006.

    58 Holman Jones, Stacy: Autoethonography: making the per-sonal political. In: The sage handbook of qualitative re-search. Ed. Norman K. Dervin and Yvonna S. Lincoln. 3.ed. Thousand Oaks 2005. Hier S. 763-791.

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    den Konferenzen der American Society for EngineeringEducation zeigen59.Neben der Funktion als Entwicklungs-Portfolio knnenpersnliche Lernumgebungen als so genannte Prsenta-tions-Portfoliosauch als Bewertungsinstrument im Rah-men von Lehrveranstaltungen dienen. So ist es fr ei-

    nen Kurs in Informationskompetenz statt einer Klausuroder mndlichen Prfung sicher sinnvoller, einen bewert-baren Recherche-Portfolio zu verlangen. Andererseitsknnen die ffentlichen Teile von E-Portfolios auch denLernenden durch sein gesamtes Studium begleiten undspter als Alumni lebenslang zur Untersttzung von ei-genen Bewerbungen im spteren Berufsleben im Sinneeines Career Service fungieren. Portfolios stellen danndigitale (Kompetenz-)Profile dar, im Sinne persnlicherWebprsenzen bzw. Vorzeige- oder Bewerbungsportfo-lios. Es kann durchaus sinnvoll sein, im Intranet einer Uni-versitt eine Plattform zum Anlegen von Weblogs, Wikisoder E-Portfolios anzubieten. Ein Angebot von E-Portfo-lios auf einer Plattform von Universitten wirkt sicher se-riser und prestigetrchtiger als eine Nutzung von port-folio-hnlichen Angeboten wie Weblogs und hnlichemauf Plattformen wie bloglines.com, wordpress.com u.a.Es gibt zudem auch auf E-Portfolios speziell zugeschnit-tene Software60.Die Nutzung von Portfolios bzw. deren erzhlerischeKomponente findet sich wieder im konkreten Suchpro-zess nach Informationen, der beeinflusst ist vom be-nutzten Informationssystem, vom individuellen Hinter-grund, Wissen und Fhigkeiten des Nutzers sowie vomthematischen, lokalen und gesellschaftlichen Kontext derkonkreten Suchanfrage. Hier sind nicht der Kontext,der Nutzer oder das System wichtig und real, sondern

    die reale Nutzung eines bestimmten Systems durch ei-nen spezifischen Nutzer zu einem bestimmten Zeitpunktin einem gerade relevanten Kontext. Nicht die Nutzungals solche ist hier entscheidend, sondern das gerade ge-schehene Nutzen als einer Art Mik romoment61 des Su-chens. Nur innerhalb dieses Mikromoments kann in Ab-hngigkeit von Informationssys tem, Nutzer und Kontextwirklich ein Bedrfnis nach Untersttzung und Hilfe beimRecherche- und Informationsprozess notwendig werden.Bis zu diesem Mikromoment hat nun jeder Nutzer schoneine Reise bzw. seine eigene Geschichte (Story) hintersich, die genau zu diesem spezifischen Punkt der Nut-zung fhrt. So kann ein Recherche-Portfolio oder ein In-formations- oder Lern-Tagebuch genau diese Geschichte

    widerspiegeln und reflektierbar machen. Informationskom-petenz kann wie die Forschung selbst als Teil selbst er-zeugter Pfade der Entdeckung gesehen werden62. So nutztein sehr gelungenes Lehrbuch zum wissenschaftlichenArbeiten aus den Vereinigten Staaten fr Studierende,die ein Studium beginnen, die Metapher des Reisens frdas Vertrautwerden mit der wissenschaftlichen Arbeits-weise. Ein Verstndnis von Wissenschaft als Diskurs imLaufe der Zeit wird ausgehend vom eigenen Hintergrundund dessen Bedeutung fr das eigene Lernen dann er-reicht, wenn Studierende selbst zur Forschung beitragen,ihr Wissen mit ihrer Studiengemeinschaft teilen und berihre Lern- und Informationsprozesse reflektieren63.

    2.4 These 4: Informationskompetenz 2.0 umfasstmehr als Lernen mit Information, es ist verstrktLernen ber Information

    Gerade das Web 2.0 verndert die Inhalte von Informa-tionskompetenz selbst bzw. hebt besonders bisher ver-

    nachlssigte Dimensionen von Informationskompetenzhervor. Informationskompetenz wird dann nicht nur ver-standen als Methodenkompetenz zur besseren Nutzungder Vielfalt der Informationswelt im Sinne der Kenntnisvon Recherche- und Navigationsstrategien, sondern auchals Reflexionskompetenz z. B. zu Fragen des geistigenEigentums oder zu Problemen von Datenschutz und Pri-vatsphre (privacy) in der Welt des Web 2.0 und sozi-aler Software64.Gerade Fragen des geistigen Eigentums wachsen in ei-ner Cut-and-paste-Welt. Die Bedeutung und Form desZitierens von Informationsquellen als Prob lem der In-formationsethik (Plagiarismus) werden immer wichtiger.Aber auch ein Bewusstsein ber informationspolitischeAspekte (Urheberrecht, Zugang, Open Access, Daten-schutz) ist Teil von Informationskompetenz. Im Rahmendes Studiums muss ernsthaft ber Information und ihreZuverlssigkeit und Seriositt reflektiert werden65. Ein Be-wusstsein ber die soziale Konstruktion von Wissen und

    Wissenschaft ist genauso notwendig wie eine gezielteUntersttzung zur Vorbereitung knftiger wissenschaft-licher Publikationsttigkeit.Beispielsweise wird im bis Mrz 2007 abgeschlossenenE-Learning-Projekt der Universittsbibliothek der TUHamburg-Harburg mit dem Titel VISION (VIrtual Ser-vices for Information ONline)66 ein Online-Tutorial zumwissenschaftlichen Arbeiten geschaffen, das in Ergn-zung zum vorhandenen, mehr den Bereich der Recher-

    59 Recherche nach Portfolio unter ASEE Conferences

    Conference Proceedings Serach , besucht am 2.4.2007, z. B. Gu-an, Z.; Lappenbusch, S. u. a.: Portfolios in engineering ed-ucation: What do they promise and how can they be used?2006 ASEE Conference (berblicksartikel) ,besucht am 2.4.2007. Ein Beispiel aus der Verfahrenstech-nik ist Broadway, F.S.; Qammar, H.K.; Evans, E.A. und S.Spickard-Prettyman: The use of reflective journals for stu-dent learning and development. In: Frontiers in Education,2005. FIE 05. Proceedings 35th Annual Conference 19-22Oct. 2005 Page(s): F2C 13-19. Online unter Digital ObjectIdentifier: ,besucht am 2.4.2007 bzw. , besucht am 2.4.2007.

    60 Siehe auch: Electronic portfolio. (2007, March 21). In: Wi-kipedia, The Free Encyclopedia, ,besucht am 2.4.2007.

    61 Bruce, Harry: The users view of the Internet. Lanham, Md.2002, S. 60.

    62 Siehe auch Purdue (Anm. 53).63 Watts, Margit Misangyi: College: we make the road by wal-

    king. 2. ed. Upper Saddle River, NJ 2006.64 Siehe auch Abschnitt 2.2 oben, aber auch Barnes, Susan:

    A privacy paradox: social networking in the United States.

    First Monday 11 (2006) 9. Online: , besucht am 2.4.2007.65 Siehe den Aufsatz von Bruckman, Amy S.: Student research

    and the internet. In: Communications of the ACM 48 (2005)12, S. 35-37. Dazu auch Hapke (Anm. 44).

    66 Siehe , besucht am2.4.2007.

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    che nach Informationen abdeckenden Tutorial DISCUS67 vor allem die Prob lematik der Produktion von Informa-tion wie Lesen, Schreiben und Publizieren, verbundenmit Aspekten wie Zeitschriftenkrise, Open Access, Geis-tiges Eigentum und Urheberrecht thematisiert. Das Tu-torial demonstriert, dass Visualisierung nicht nur Mittel

    der Gestaltung, sondern auch Mittel zur konstruktivenWissensvermittlung unter Einbeziehung dramaturgisch-emotionaler Elemente sein kann68. Es stellt kein umfas-sendes Tutorial zum wissenschaftlichen Arbeiten dar,sondern soll ein Problembewusstsein in diesem Bereichvermitteln, verbunden mit weiterfhrenden Angeboten,die integriert in Umgebungen des Web 2.0 zustzlicheInformationen bieten, z. B. in einem Wiki, mit Linklis tenin Social-Bookmarking-Diensten, durch Buchvorschl-ge ber librarything.com u.a.Ein gelungenes Beispiel zum Thema Zitieren im Rahmenwissenschaftlichen Arbeitens wird in einem Aufsatz vonBettina Berendt mit einem Einstieg ber Google verknpft.Die Relevanzkriterien von Google zur Darstellung seinerSuchergebnisse beruhen auch auf dem Zitieren, hier demVerlinken, von Webseiten. Es geht nicht nur um das Wiedes Zitierens, sondern vor allem auch um das Wa rum69!Das Thema Plagiate kann durchaus als eines der wichtigs-ten Punkte einer zuknftigen Informationskompetenz ge-sehen werden. Angesprochen werden knnen hier aucheinige tiefgehende Problemstellungen, z. B.: Was ist einAutor? Wie entsteht berhaupt eine neue Idee? Was be-deutet Kreativitt hinsichtlich von Ideen? Im Zeitalter vonOpen Access und Creative Commons sind die Grenzenzwischen Plagiat und originalem Beitrag in einem gewissenSinne flieend. Eigentlich kann man sich heutzutage nichtsicher sein, dass eine Idee wirklich die eigene ist. Knnte

    es nicht sein, dass man bei dem Information Overload,der tglich auf einen einwirkt, manches wahrnimmt, ver-gisst und dieses pltzlich aus dem Unterbewusstsein alseigene Idee wieder auftaucht? Ist die Gestaltung eineseigenen Weblogs, der aus gefilterten Beitrgen der Weltder Information besteht, irgendwann eine eigene geistigeLeistung? Kreativitt kann heute auch heien, aus dervorhandenen Informationsvielfalt bestimmte Aspekte he-rauszupicken, diese neu zusammenzustellen und fertigist ein neues Produkt oder eine neue Idee. Wahrschein-lich gibt es so etwas wie eine alte und eine neue Kreati-vitt bezglich von Ideen!? Es gibt ja auch verschiedeneFormen von Kreativitt. Kann der Begriff Schpfungsh-he aus dem Urheberrecht wirklich definiert werden oder

    ist er nicht eher ein Produkt einer Aushandlung zwischengesellschaftlichen Krften?Das bestehende Urheberrecht, das ja erst im Laufe desBuchdruckes und gesellschaftlicher Entwicklung entstan-den ist, muss kritisch reflektiert werden. Selbst der Begriffdes Autors kann ja als gesellschaftliche Konstruktion an-gesehen werden! Alternative Lizenz-Modelle wie CreativeCommons betonen z. B. gerade das Share, reuse, and re-mix legal70 und die damit mgliche Frderung von Kre-ativitt. Das Entscheidende bei der Plagiatsproblematikim Rahmen wissenschaftlichen Arbeitens ist sicherlichdas korrekte Zitieren bzw. generell die Namensnennung,wenn man Ideen und Werke anderer verwendet. Aber

    was, wenn sich die Welt der Information in Richtung dervon Jorge Luis Borges beschriebenen Bibliothek von Ba-bel entwickelt, die alle Bcher oder elektronischen Werkeenthlt, die aus der Kombination von allen mglichen Zei-chen kombinatorisch konstruiert werden knnen. Dies istdann eine Welt, in der kein Plagiat mglich ist bzw. alleWerke Plagiate sind. Sind wir auf dem Weg dorthin?

    Der Umgang mit dem berfluss an Informationen, ver-bunden mit Untersttzung zu dessen Bewltigung, gehrtebenfalls zum Lernen ber Information71.Das im vorigenAbschnitt erwhnte Storytelling gehrt zusammen mit denWerkzeugen des Web 2.0 zu den wichtigen Mglichkeiten,um dem Information Overload zu begegnen72.Aber auch

    die Problematik des Umgangs mit sozialer Software unddem Web 2.0 erweitert die inhaltlichen Dimensionen vonInformationskompetenz erheblich. Nach Lambert Hellerumfasst Informationskompetenz auch die Fhigkeit, diesozialen Netzwerke des Web 2.0 so zu benutzen, um ei-gene Ideen in Netzwerken zu verbreiten und weiterzuentwi-ckeln73. Schon lange gibt es Konzepte, die die Teilnahmean praxisbezogenen Gemeinschaften von Personen, dieinformell miteinander verbunden sind und hnlichen Auf-gaben gegenber stehen (community of practice)74, alsLernen bezeichnen75.

    67

    Siehe DISCUS , besucht am2.4.2007, und Bieler, Detlev; Hapke, Thomas und Oliver Ma-rahrens: Lernen, Informationskompetenz und Visualisierung Das Online-Tutorial DISCUS (Developing Information Skills& Competence for University Students) der Universittsbib-liothek der TU Hamburg-Harburg. In: ABI-Technik 25 (2005)3, S. 162-181.

    68 Vgl. Detlev Bieler unter , besucht am 2.4.2007.

    69 Berendt, Bettina: Studentische Literaturarbeit in Zeiten desWorld Wide Web. In: Berendt, B.; Voss, H.-P. und J. Wildt(Eds.): Neues Handbuch Hochschullehre (G3.3, pp. 1-30).Berlin 2003. Online: , besucht am 2.4.2007. berar-beitete und aktualisierte Version als Berendt, Bettina: Stu-dentische Literaturarbeit in Zeiten des World Wide Web. In:Berendt, B.; Voss, H.-P. und J. Wildt (Eds.): Neues HandbuchHochschullehre Best Of. Berlin 2006. Siehe auch Weber,Stefan: Das Google-Copy-Paste-Syndrom: wie NetzplagiateAusbildung und Wissen gefhrden. Hannover 2007.

    70 Creative Commons , besuchtam 2.4.2007.

    71 Hilfreich sind hier Arbeiten von Martin J. Eppler, z. B.: Epp-ler, Martin J. und Jeanne Mengis: The concept of informati-on overload: a review of literature from organization science,accounting, marketung, MIS and related disciplines. In: TheInformation Society 20 (2004) S. 325-344. Eppler berck-sichtigt auch Visualisierungen und hat die verschiedenenVisualisierungsmethoden selbst in einem Periodensystem

    visualisiert: Visual Literacy: An E-Learning Tutorial on Vi-sualization for Communication, Engineering and Business, be-sucht am 2.4.2007.

    72 Sax, Boria: Storytelling and the information overload. In:On the Horizon 14 (2006) 4, S. 165-170.

    73 Vgl. den Beitrag Informationskompetenz 2.0: Drei aktuelleberlegungen zum Lernen durch Weblogs im Weblog netbibvom 19.1.2007 unter ,besucht am 2.4.2007.

    74 Artikel Community of Practice. In: Wikipedia, Die freie Enzy-klopdie. Bearbeitungsstand: 19. Mrz 2007, 08:00 UTC., besucht am 2.4.2007.

    75

    Graham Attwell nennt als Beispiel das Konzept der legiti-men periphren Partizipation von Lave, Jean und EtienneWenger: Situated learning: legitimate peripheral participati-on. Cambridge 1991. Zitiert in Attwell, Graham: E-Learningund die soziale Gestaltung der Technik. In: Bittlinger, Uwe H.und Ulrich Bauer (Hrsg.): Die Wissensgesellschaft: Mythos,Ideologie oder Realitt? Wiesbaden 2006. Hier S. 523-550.

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    Bibliothek 31.2007 Nr. 2 Hapke Informationskompetenz 2.0 und das Verschwinden des Nutzers 147

    Zusammenfassend gilt, dass es heutzutage nicht nurwichtig ist, mit und durch Information zu lernen, sondernReflexion und Lernen ber Information und Wissen an-zuregen bzw. zu ermglichen. Ein solcher kritischer An-satz erweitert das Konzept von Informationskompetenz inRichtung einer hyperliteracy, die neben kritischer Kom-petenz beim Umgang mit Texten unter anderem auchden kritischen Umgang mit Bildern bercksichtigt76. Das,was als Informationskompetenz oder auch als net sav-vy bezeichnet werden kann, ndert sich mit der Weiter-entwicklung der Netze77.

    2.5 These 5: Informationskompetenz 2.0 steht frdie Nutzung von Komponenten sozialer Soft-ware durch Bibliotheken als Dienstleistendefr das Lernen ihrer Kunden

    Eine groe Bandbreite von Aktivitten zur Informations-

    kompetenz-Frderung und im Auskunfts-Service ist ntig,um die Kunden in ihrem aufnahmefhigen (teachable)Moment78 zu erreichen. Nur durch ein weites Spektrumwerden diverse Zielgruppen und Lerntypen erreicht. Diesesumfasst z. B. integrierte oder auch auerhalb von Lehr-veranstaltungen stattf indende Prsentationen oder gareigene Lehrveranstaltungen der Bib liothek, Online-Tu-torials, just-in-time-Beratung bei der realen oder virtu-ellen Auskunft im Chat, Newsletter per Email, Plakate,Lesezeichen, Broschren usw. Darber hinaus mssenBibliotheken in Zukunft daran arbeiten, die Komponentensozialer Software fr eigene Dienstleis tungen zu nutzenbzw. den Kunden an den Orten zu begegnen, an denen

    sie sich befinden. Diese Orte sind heute Teil des Web 2.0!Bibliotheken sollten daher Weblogs, Wikis, Podcasts aberauch andere Komponenten des Web 2.0 wie My Space,Second Life usw. nutzen, um ihre Kunden zu erreichen79.Weblogs knnen als Neuigkeiten-Dienst ber Servicean-gebote der Bibliothek dienen und dabei die Kommunika-tion mit den Kunden (Kommentarfunktion) erhhen. DieStaats- und Universittsbibliothek Hamburg nutzt diesesInstrument erfolgreich seit dem Jahre 200680. Wikis die-nen als bequemes Hilfsmittel, um gemeinsam mit NutzernSeiten zur Fachinformation anzubieten81. Podcasts vermit-teln in mglichst erzhlerischer, persnlicher Form Neu-igkeiten und Wissenswertes zu Bib liothek und Informati-on, wie es die Versuche der Universittsbibliothek der TUHamburg-Harburg zeigen82. Die bersicht ber Weblogsund andere Informationsangebote behlt man wenn vor-handen mit RSS-Feeds83. Genauso wie Bibliotheken ih-ren Kunden Carrels als Lese- und Arbeitskabinen zur Ver-fgung stellen, um dort wissenschaftliche Arbeiten, z. B.Dissertationen, ungestrt bearbeiten zu knnen, knntensie persnliche Lernumgebungen in Form von Weblogs,Wikis und E-Portfolios als eine Form von elektronischenCarrels in ihren Hochschulen anbieten.Das im Rahmen eines BMBF-Projektes entwi ckelte Assis-tenzsystem BibTutor84 ist zwar kein Produkt des Web2.0, ist aber ein Serviceangebot, bei dem der Nutzer amPoint of need Beratung abfordert. Hier wird eine Formvon Just-in-time-E-Learning85 geboten. Direkte Linksaus der konkreten Recherchesitu ation heraus fhren berBibTutor unmittelbar zu entsprechenden Seiten mit wei-terfhrenden Informationen als Informationsmodule vonBibTutor oder als externe Lernmodule wie z. B. Online-Tu-torials wie DISCUS oder LOTSE86. Mehrere kleine Lern-

    Sequenzen entsprechen den Nutzerbedrfnissen meistbesser als ein umfangreiches Tutorial. Die Bedeutung desKontextes und der Mik romomente des Recherchierenswerden durch BibTutor, aber auch durch die Werkzeugedes Web 2.0 gefrdert!

    3 Bibliotheken im Web 2.0

    Der von Bibliotheken zurzeit gern verwendete BegriffTeaching Library87 deckt nur einen Teilbereich des mg-lichen Dienstleistungsspektrums von Bibliotheken bei

    76 Kapitzke, Cushla: Information literacy: a positivist epistemo-logy and a politics of outformation. In: Educational Theory53 (2003) 1, S. 37-53.

    77 Siehe auch die Net Savvy Series mit den Beitrgen Ensu-ring the Net Generation Is Net Savvy, Getting Past Google:Perspectives on Information Literacy from the Millennial Mindund How Choice, Co-Creation, and Culture Are ChangingWhat It Means to Be Net Savvy aus dem Jahre 2006 aufder Website der Educause Learning Initiative unter ELI Re-sources ,besucht am 2.4.2007.

    78 Block, Marylaine (2003): Teach them while theyre askingfor information: reference as a teachable moment. In: Neteffects: how librarians can manage the unintended conse-quences of the Internet. Medford, NJ 2003, S. 76-79.

    79 Siehe z. B. Deitering und Bridgewater (Anm. 24) sowie God-win, Peter: Information literacy in the age of amateurs: how

    Google and Web 2.0 affect librarians support of Informa-tion Literacy. In: ITALICS 5 (2006) 4. Online: , besuchtam 2.4.2007.

    80 Neues aus Stabi und Fachbibliotheken , besucht am 2.4.2007.

    81 Vgl. Schrter, Marcus: Fnf Jahre nach SteFi oder: Auf derSuche nach Informationskompetenz im Studienalltag. Vonder Ware Information zur wahren Information Erstelleneiner Fachinformationsseite Geschichte von Studierendenfr Studierende. In: Bibliotheksdienst 40 (2006) S. 1 286-1 295.

    82 TUBCast unser 2. Podcast ist online! , besucht am 2.4.2007.

    83 Hier ein Beispiel fr eine Feedsammlung zu Zeitschriften derVerfahrenstechnik, zu Dokumentenservern sowie zu Web-logs von Bib liotheken und zur wissenschaftlichen Kommuni-kation: , besuchtam 2.4.2007. Ein Versuch, Kunden die Mchtigkeit der Hilfs-mittel des Web 2.0 zu demonstrieren, stellt die sehr schnellzusammenstellbare Homepage des Autors beim Dienst Pa-geflakes dar: ,besucht am 2.4.2007.

    84 Vergleiche Anm. 6.85 Back, Andrea; Bendel, Oliver und Daniel Stoller-Schai: E-

    Learning im Unternehmen: Grundlagen Strategien Me-thoden Technologien. Zrich 2001. Hier S. 193 ff.

    86

    Siehe Willkommen bei LOTSE! , besucht am 2.4.2007.87 Siehe auch den Titel des sonst sehr lesenwerten Buches

    von Lux, Claudia und Wilfried Shl-Strohmenger: Teachinglibrary in Deutschland: Vermittlung von Informations- undMedienkompetenz als Kernaufgabe fr ffentliche und Wis-senschaftliche Bibliotheken. Wiesbaden 2004.

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    der Untersttzung des Lernens ab. Wenn mglich undsinnvoll sollen und mssen in Bibliotheken Arbeitendeauch Lehrveranstaltungen und Schulungen durchfhren.Aber das Lernen zu ermglichen und zu untersttzen,ist die wichtigs te Rolle fr Bibliotheken im Universitts-bereich. Besser ist daher der Begriff Learning Facili-tating Library, da er neben der inhaltlichen Dimensionder Informationskompetenz auch eine rumliche (Bib-liothek als physischer Lernort) und organisatorischeDimension (z. B. Zusammenarbeit mit anderen Ser-viceeinheiten, Realisierung eines Single-Sign-On u.a.)umfasst, die Bibliotheken bercksichtigen mssen88.Auch Dienstleistungen von Bibliotheken im BereichE-Learning, das selbst immer mehr von Komponentendes Web 2.0 beeinflusst wird, gehren hier dazu. Die-se knnen z. B. die Zusammenstellung elektronischerSemesterapparate, die neben Link-Tipps auch extra frdie betreffende Lehrveranstaltung digitalisierte Doku-

    mente als elektronische Lernobjekte enthalten knnen(mit Abklrung der Urheberrechte), sowie die Verknp-fung von Bibliotheksdienstleis tungen mit Lernplattformenumfassen.Trotz Tendenzen zu Monopolisierung und Standardisie-rung wird die Komp lexitt und Vielfalt der Welt der In-formation und der Datenbankangebote fr die Kundenvon Bibliotheken immer grer. Unsicherheit ber dieQualitt von Rechercheergebnissen in elektronischenInformationssystemen wird trotzdem nicht von jedemwahrgenommen. Google und zusammenfassende Por-talangebote untersttzen die Orientierung, ohne jemalsaufgrund der vorhandenen Diversitt alle Angebote

    des so genannten Deep Web erfassen zu knnen.Bibliotheken bieten ein Abbild der Mannigfaltigkeit undVerschiedenheit der Welt der Information. Sie frdernmit ihren Aktivitten im Bereich InformationskompetenzReflexion und Bewusstheit beim Umgang mit dem In-formationsdschungel, ohne die eine informationelle Au-

    Abb. 1: Informationskompetenz 2.0

    88 Hapke, Thomas: ,In-formation of Better Learning Environ-ments the Educational Role of the University Library. In: LI-BER Quarterly 15, 3/4, S. 178-199. Preprint: , besucht am 2.4.2007.

    89 Siehe Kuhlen (Anm. 4).90 Lankes, R. David; Silverstein, Joanne und Scott Nicholson:

    Participatory networks: the library as conversation. Ameri-can Library Associations Office for Information TechnologyPolicy, 2007. Online: ,besucht am 2.4.2007.

    tonomie89 lebenslang Lernender und mndiger Brgernicht mglich ist.Eine das Lernen frdernde Bibliothek bietet ihren Kun-den neben dem physischen Lernort auch Beratungsan-gebote und die Mglichkeit fr die Kunden, ihr Repertoirean Erfahrungen beim Suchen und Finden von Informati-

    onen auszuweiten und zu verndern. Bibliotheken ms-sen versuchen, auf das Verschwinden des Nutzers zureagieren und diesen als direkt Beteiligten in ihre In-formationsangebote einbinden. Mehr noch, sie ms-sen in den Umgebungen potentieller Kunden mit ihrenDienstleistungen und Ressourcen sichtbar bleiben imSinne des von der American Library Associations Officefor Information Technology Policy beauftragten Reportsmit dem Titel Participatory Networks90. Dabei betontbesonders der Untertitel The Library as Conversationdie hoffentlich strker werdende teilnehmende Rolle vonBibliotheken am wissenschaftlichen und ffentlichenDiskurs. In der Welt des Web 2.0 werden nicht nur die

    Nutzer mehr als bisher am Bestand der Bibliothek teil-haben und deren Wissensbasis mit aufbauen, sondernauch in Bibliotheken Arbeitende ffnen sich verstrktund pro-aktiv ihrer jeweiligen Umwelt.

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    Vielleicht ist eine beratende Rolle besser als eine leh-rende Rolle bei Informationskompetenz-Aktivitten derBibliotheken? Gerade im Bereich der Problematik desgeistigen Eigentums, der auch in Deutschland wichtigwerdenden Problematik des Plagiarismus oder im Be-

    reich der Bewertung von Forschungspublikationen mitZitat-Datenbanken ist im Alltag immer wieder die bera-tende Rolle der Bibliotheken gefragt91. Dabei wre viel-leicht eine systemisch orientierte Lernberatung ein mg-licher Weg, eine Beratung, die neben der Autonomieder zu beratenden Person immer auch die Autonomieder sozialen Systeme und Kontexte hier der Fachwis-senschaft bzw. der Studierenden-Situ ation in der spe-zifischen Organisation Universitt bercksichtigt92.Informationskompetenz verndert sich mit der sich n-dernden Informations-(Um)welt. Auf jeden Fall gilt: DieBibliothek 2.0 frdert Informationskompetenz 2.0 (vgl.Abb. 1). Die Zukunft gehrt einer Bibliothek, where lib-

    rarians become more critical commentators, mediatorsand mentors perhaps nomadic intellectuals and cul-tural tourists rather than traditional archivists and mo-nitors93.

    Anschrift des Autors:

    Thomas HapkeTechnische Universitt Hamburg-HarburgUniversittsbibliothekD-21071 Hamburg

    E-Mail: [email protected]

    91 Ein aktuelles Werk, das eine ganzheitliche Sicht auf Bib-liotheken und deren Serviceangebote und dabei auch Fra-gen des Ortes bzw. des Raumes Bibliothek sowie Problemeder Wissensproduktion bercksichtigt, ist: Libr@ries: chan-ging information space and practice. Ed. Cushla Kapitzkeund Bertram C. Bruce. Mahwah, NJ 2006.

    92 Knig, Eckard und Gerda Volmer: Systemisch denken undhandeln: personale Systemtheorie in Erwachsenenbildungund Organisationsberatung. Weinheim 2005.

    93 Luke, Allan und Cushla Kapitzke: Literacies and libraries:archives and cybraries. In: Pedagogy, culture and society7 (1999) S. 467-491. Hier S. 476.