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Ingrid Scheurmann Ingrid Scheurmann Denkmalpflege und Denkmalvermittlung - eine Parallelgeschichte quo-vadis-dresden.de media07.kanal8.de/

Ingrid Scheurmann Zur Geschichte der Denkmalvermittlung

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Vortrag im Rahmen der Tagung "Kommunizieren - Partizipieren. Neue Wege der Denkmalvermittlung", Dresden 6.-8.10.2011

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Ingrid Scheurmann

Ingrid ScheurmannDenkmalpflege und Denkmalvermittlung - eine Parallelgeschichte

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Der Beginn des fachlichen Nachdenkens über Denkmalvermittlung im Zuge der Verwissenschaftlichung der Denkmalpflege in der Zeit um 1900▶ Im Zuge der Diskussionen um ein Denkmalschutzgesetz wird Denkmalpflege um 1900 zwar als öffentliches Interesse apostrophiert, den Protagonisten des Faches war die Diskrepanz zum Interesse der Öffentlichkeit allerdings bereits deutlich. Vermittlung wird als wichtige Aufgabe der Denkmalpflege betrachtet; dies zunächst und vornehmlich als Programm zur Denkmalbildung (v.a. Georg Dehio, Adolph von Oechelhäuser u.a.)

▶ In seinem modernen Denkmalkultus von 1903 definiert Alois Riegl das öffentliche Interesse an Denkmalpflege als Interesse eines jeden Einzelnen und begründet den Allen zugänglichen Alterswert als zentralen Denkmalwert des 20. Jh.; Bildungswerten hingegen attestiert er elitären Charakter

▶ Paul Clemen, einer der Protagonisten der Denkmaldebatte um 1900, sucht in den 1920er Jahren an die lebendige und warme, in der Gesellschaft breit verankerte Denkmalpflege des 19. Jh. anzuknüpfen und fokussiert in seinen Überlegungen auf symbolische und mythische Denkmalwerte für Alle

▶ Bereits in der Zeit um 1900 gibt es ein Einverständnis über die Notwendigkeit von Denkmalvermittlung, die vorgeschlagenen Konzepte unterscheiden sich allerdings im Grundsatz: Dem Konzept der Denkmalbildung als Volkserziehung stehen Überlegungen zur Fundierung der Denkmalpflege im Interesse der Öffentlichkeit entgegen

▶ Die Diskrepanz zwischen kognitiven und emotionalen Zugängen zum Denkmal wurzelt im Prozess der Verwissenschaftlichung um 1900

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Die wissenschaftliche Denkmalpflege sucht ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit zu definieren

Wenn es uns nicht gelingt, „unsere Grundsätze und Anschauungen ins Volk hineinzutragen, sie zum Gemeingut […] breiter Schichten des Volkes zu machen, so ist trotz aller Gesetzgebung und Polizeivorschriften, unser Mühen auf Dauer umsonst.“Adolf von Oechelhäuser, in: Gemeinsame Tagung für Denkmalpflege und Heimatschutz, Salzburg 1911.

„Der Unterricht, zumal in den drei Fächern Geschichte, Religion, Deutsch [...], wird durch den fortgesetzten Hinweis auf diese sichtbare Welt überall Stütze und Beflügelung finden. Das wird zugleich die jungen Menschen stärker zur Augensinnlichkeit zu erziehen helfen.“Paul Clemen: Die deutsche Kunst und die Denkmalpflege. Ein Bekenntnis, Berlin 1933, S. 23.

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„Das Landesamt für Denkmalpflege ist dagegen in weiteren Volkskreisen kaum bekannt, die Presse beschäftigt sich selten mit seinem Tun, das sich Angriffen auszusetzen ängstlich vermeidet. Der Vergleich (mit dem Heimatschutz, I.S.) zeigt deutlich, wie viel wirkungsvoller die auf breiter Oeffentlichkeit gestützte Anordnung ist als die innerhalb von Amtsräumen sich vollziehende bureaukratische. Und dies trotz des Umstandes, daß die Denkmalpflege in den Alterthumsvereinen Organe genug besaß, um sich Freunde und weitgehenden Einfluß im Lande zu schaffen.“Gurlitt, Cornelius: Sächsische Denkmalpflege. Erinnerungen und Erfahrungen, Dresden 1919, S. 23.

Die institutionalisierte Denkmalpflege zwischen Amtlichkeit und ÖffentlichkeitUm 1919

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„Alle Kunstwerke gehören als solche der gesamten gebildeten Menschheit an, und der Besitz derselben ist mit der Pflicht verbunden, Sorge für ihre Erhaltung zu tragen. Wer diese Pflicht vernachlässigt, wer mittelbar oder unmittelbar zum Schaden oder zum Ruin derselben beiträgt, ladet den Vorwurf der Barbarei auf sich, und die Verachtung aller gebildeten jetzigen und zukünftigen Zeiten wird seine Strafe sein.“Johann Wolfgang von Goethe, Über Restauration von Kunstwerken, in: Propyläen. Eine periodische Schrift, Bd. 2, Sp. 1, Tübingen 1799, S. 119f.

Rückblick auf die Wurzeln des modernen Denkmaldenkens: Erhaltung als Menschheitsaufgabe

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Denkmalpflege und Volkserziehung

„Mit Polizei- und Zwangsmaßregeln allein ist ja eine gesunde und umfassende Denkmalpflege nie und nirgends durchzuführen. Verständnisvolle Mitarbeit des Volkes, Heimatliebe und Heimatstolz müssen hinzukommen, sonst nützt die beste Gesetzgebung nichts, […] Die Erziehung des Volkes nach dieser Richtung liegt aber zum größten Teil außerhalb des staatlichen Machtbereichs.“Adolf von Oechelhaeuser: Wege, Ziele und Gefahren der Denkmalpflege, Karlsruhe 1909,S. 24.

„Dient somit in erster Linie die Inventarisation den Behörden, so ist sie zweitens bestimmt für die Besitzer der Denkmäler, auf deren Belehrung es ankommt; die Inventarisation hat eine erzieherische Aufgabe.“Cornelius Gurlitt auf dem 1. Tag für Denkmalpflege in Dresden 1900, Stenographische Berichte, Berlin 1900 S. 25.

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Verortung und Entschleunigung:Denkmalfreundschaft und Heimatgefühl

„Unsere ruhelose Zeit hat nichts nötiger, als dass der Jugend ein örtliches Heimatgefühl in klaren, unvergesslichen Bildern ins Leben mitgegeben werde, zumal in den höheren Ständen, deren Leben nichts als ein ewiger Ortswechsel ist. Ich denke endlich an Erziehung zur Denkmalsfreundschaft mit allen Mitteln von Wort, Schrift und Bilddruck, die uns heute in so mannigfaltiger Anwendbarkeit zur Verfügung stehen.“

Georg Dehio: Denkmalschutz und Denkmalpflege im 19. Jahrhundert, In: Wohlleben, Marion (Hg.): Georg Dehio - Alois Riegl. Konservieren, nicht restaurieren. Streitschriften zur Denkmalpflege um 1900, Braunschweig 1988, S. 96f.

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„Die Denkmalpflege gehört deshalb nicht zur Kunst, weil sie nichts neues zu schaffen hat, sondern nur altes zu begreifen, zu erhalten und nötigenfalls zu ergänzen. Der Architekt als solcher kommt für sie nur als technischer Gehilfe in Betracht.“Georg Dehio: Vorbildung zur Denkmalpflege, Vortrag auf dem 4. Tag für Denkmalpflege, Erfurt 1903, Stenographischer Bericht, S. 138.

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1900 / 1975Bildstrategien als Mittel der Denkmaldidaktik

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Öffentliches Interesse als Interesse des Einzelnen

„‘Öffentliches Interesse‘ soll wohl nichts anders heißen, als úInteresse des Einzelnen‘, und zwar des Einzelnen nicht in seiner Eigenschaft als Angehöriger eines Staates oder eines Volksstammes, sondern als Privatperson. Nicht weil das Denkmal dem Staate oder einem seiner Volksstämme ú‘zu Ruhm und Zierde gereicht‘, sondern weil jeder Einzelne sein subjektives ästhetisches Bedürfnis daran zu stillen vermag, muß das Denkmal davor geschützt werden, die Fähigkeit zu dieser Dienstleistung einzubüßen.“

Alois Riegl: Wesen und Entstehung des modernen Denkmalkultus in:Bacher, Ernst (Hg.): Kunstwerk oder Denkmal? Alois Riegls Schriften zur Denkmalpflege, Wien 1995, S. 103.

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„Auch der Widerstreit der Urteile […] darf uns nicht allein nicht stören, sondern er muß sogar begrüßt werden; denn gerade in dieser erweckten Lust aller, in den Denkmalkultus dreinzureden, haben wir das sicherste Symptom dafür zu erblicken, daß nun der Denkmalkultus auch bei uns dasjenige zu werden sich anschickt, was einer freudigen und selbstbewußten Denkmalpflege erst den richtigen Rückhalt gibt: eine gemeinsame Gefühlssache für alle.“Alois Riegl: Wesen und Entstehung des modernen Denkmalkultus in: Bacher, Ernst (Hg.): Kunstwerk oder Denkmal? Alois Riegls Schriften zur Denkmalpflege, Wien 1995, S. 144.

Der Alterswert als Denkmalwert für Alle1903Ö

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Volkserziehung und Propaganda

„Und wenn wir diesen gesegneten und heilsamen militärischen Militarismus nicht hätten, wir müßten uns einen Zivil-Militarismus erfinden und konstruieren als eiserne Schule der Volkserziehung, als Zucht zur Unterordnung, zum stillen Pflichtgefühl, zu dem, was ich das Marschieren in der Kolonne nennen möchte, zur Disziplin. [...] Nein, der ganz deutsche Geist ist in diesem Kriege aufgestanden.“Paul Clemen: Der Krieg und der Zustand der Kunstdenkmäler auf dem westlichen Kriegsschauplatz, in: Kriegstagung für Denkmalpflege, Brüssel 1915, Stenographischer Bericht, S. 14.

1914-1918

Das Innere der Kathedrale von St. Quentin, Frühjahr 1918

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„Auch Max Dvorak stellt nicht Gleichgültigkeit und Richtigkeit des Begriffsinhaltes úDenkmal‘ als Ursache für dessen geringe Wirksamkeit zur Diskussion und scheint damit zu bestätigen, dass gerade und nahezu ausschließlich Widerstände und Gesinnungen innerhalb der Gesellschaft es sind, die das Denkmal bedrohen ...“

Erwin Thalhammer, Brachte das Jahr des Denkmalschutzes 1975 einen neuen Denkmalbegriff?, in: ÖZKD, Nr. 1-3, 1976, S. 2-5, S. 4.

Vermittlung zur Überwindung von Widerständen gegen Denkmalpflege

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Erste und zweite Gründerzeit (Essen)

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Fazit:1. Das gesetzlich festgeschriebene "öffentliche Interesse" am Denkmalerhalt bedarf der Legitimation durch das Interesse der Öffentlichkeit.

2. Das Verhältnis von fachlichen und emotionalen Werten, von Wissen und Wahrnehmung, Geschichte und Erinnerung ist neu zu gewichten.

3. Fachlichkeit bedarf einer sozial relevanten Vermittlung.

4. Die Verpflichtung der deutschen Denkmalpflege auf Nation und Volk hat im 20. Jh. zu einer politischen Funktionalisierung des Faches geführt, die kritisch vermittelt werden muss.

5. Neue "Leitbilder" fokussieren auf Identitätsstiftung als Referenz aktueller Denkmalwerte. Die meisten Denkmale offerieren aber auch Differenz und Vielfalt und bieten Ansatzpunkte für unterschiedliche Narrative.

6. Das öffentliche Interesse an der Bewahrung von Denkmalen bedarf einergesellschaftlichen Wertlegitimierung, der um 1900 Pietät und Ehrfurcht als Haltung korrespondierten. In der pluralistischen Gegenwartsgesellschaft könnten Interaktion und Offenheit an deren Stelle treten.

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7. Denkmalvermittlung konkretisiert sich traditionell in Veröffentlichungen, die ihre Bildungsinhalte textlich transportieren und die emotionalen Komponenten auf der Bildebene vermitteln. Die Komplexität aktueller vorwiegend bildorientierter Sehgewohnheiten des Publikums verlangt neue Strategien.

8. Die web-basierten sozialen Netzwerke ermöglichen unmittelbare Formen des Austausches und temporäre Formen der Organisation. Die Denkmalpflege muss deren Potentiale abwägen und mit ihrer jungen Klientel in auch deren Medium in Kontakt treten.

9. Denkmalvermittlung erfordert Neugier, Professionalität, Nachhaltigkeit und Kontinuität.

10. Das Kommunizieren und Partizipieren ist auch als Aufforderung an die Denkmalpflege zu verstehen, über die innenfachlichen Grenzen hinweg miteinander zu reden.