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Teil 5 des Ländervergleichs Inklusive Bildung in Bremen Valerie Lange Julia Schmidt-Häuer

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Teil 5 des Ländervergleichs

Inklusive Bildung in Bremen

Valerie LangeJulia Schmidt-Häuer

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Was macht eine Gute Gesellschaft aus? Wir ver stehen darunter soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, eine inno vative und erfolgreiche Wirtschaft und eine Demokratie, an der die Bürgerinnen und Bürger aktiv mitwirken. Diese Gesellschaft wird getragen von den Grundwerten der Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität.

Wir brauchen neue Ideen und Konzepte, um die Gute Gesellschaft nicht zur Utopie werden zu lassen. Deswegen entwickelt die Friedrich-Ebert-Stiftung konkrete Handlungs-empfehlungen für die Politik der kommen-den Jahre. Folgende Themenbereiche stehen dabei im Mittelpunkt:

– Debatte um Grundwerte: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität;– Demokratie und demokratische Teilhabe; – Neues Wachstum und gestaltende Wirtschafts- und Finanzpolitik; – Gute Arbeit und sozialer Fortschritt.

Eine Gute Gesellschaft entsteht nicht von selbst, sie muss kontinuierlich unter Mitwirkung von uns allen gestaltet werden. Für dieses Projekt nutzt die Friedrich-Ebert-Stiftung ihr weltweites Netzwerk, um die deutsche, europäische und internationale Perspektive miteinander zu verbinden. In zahlreichen Veröffentlichungen und Veranstaltungen in den Jahren 2015 bis 2017 wird sich die Stiftung dem Thema kontinuierlich widmen, um die Gute Gesellschaft zukunftsfähig zu machen.

Weitere Informationen zum Projekt erhalten Sie hier:www.fes-2017plus.de

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Valerie LangeJulia Schmidt-Häuer

Inklusive Bildung in BremenTeil 5 des Ländervergleichs

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Friedrich-ebert-StiFtung 36

ISBN: 978-3-95861-121-4

1. Auflage© 2015, by Friedrich-Ebert-StiftungHiroshimastraße 17, 10785 BerlinAbteilung StudienförderungRedaktion: Marei John-Ohnesorg, Marion Stichler, Lukas DaubnerUmschlaggestaltung und Satz: minus Design, BerlinDruck: Brandt GmbH BonnPrinted in Germany 2015

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InhaLT

VORWORT Marei John-Ohnesorg

INKLUSION IN DER ScHULE UND DER BERUFLIcHEN BILDUNG IM LäNDERVERGLEIcH Valerie Lange

INKLUSION IN DER ScHULE UND DER BERUFLIcHEN BILDUNG IN BREMENValerie Lange

BEST PRAcTIcE INKLUSIVER BILDUNG IN BREMEN

INKLUSIVE BILDUNG IN DER BILDUNGSPOLITIScHEN DEBATTE IN BREMEN Julia Schmidt-häuer

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7

9

26

32

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Inklusion: Eine verheißungsvolle chance auf Teilhabe, aber auch mit ängsten besetzt. Ein Recht für alle, das für manche eine gefühlte Bedro-hung darstellt. Mit gemeinsamer pädagogischer Kraft erreichbar, aber mit finanziellen Auswirkungen verbunden. Die Situation in den Ländern und Kommunen ist komplex, die Gefühlslage widersprüchlich.

Was bleibt, ist der Rechtsanspruch und der in vielen Fällen vorhandene politische und gesellschaftliche Wille, inklusive Bildung voranzutreiben. Die Grundlagen wurden in Bremen schon 2008 mit dem überparteilichen „Bremer Konsens zur Schulentwicklung“ gelegt. Hier wird auch auf die seit den siebziger Jahren bestehende Tradition der integrativen Beschulung Bezug genommen. Der „Entwicklungsplan Inklusion“ und ein Aktionsplan konkretisierten dann die Schritte zu einem inklusiven Schulsystem. Bremen war das erste Bundesland, das die inklusive Beschulung verbindlich durch das Schulgesetz einführte: Förderschulen wurden seit 2009 weitgehend ab-geschafft. Der Aktionsplan in Bremen sieht auch Maßnahmen zur Inklusion in der beruflichen Bildung vor. Anders als im Schulbereich gilt hier ein Res-sourcenvorbehalt. Doch lesen Sie selbst, wie die Umsetzung aktuell läuft.

Dieses Länderheft „Inklusive Bildung in Bremen“ ist eingebettet in eine größere Reihe zu Inklusion. Im Rahmen des Projekts „Gute Gesellschaft – Soziale Demokratie 2017plus“ entstehen gerade 16 Länderhefte zu Inklusion in der Schule und der beruflichen Bildung. Jedes Heft beleuch-tet sowohl den aktuellen Stand der Umsetzung als auch die laufende politische Debatte dazu. Sie können die Länderhefte, die in enger Zusam-menarbeit des Thementeams Bildung mit den Landesbüros der Friedrich-Ebert-Stiftung entstanden sind, abrufen unter http://www.fes.de/themen/bildungspolitik. Dort finden Sie auch Hinweise auf weitere Veranstaltun-gen und Papiere zum Thema Inklusion.

Vielfalt ist normal. Inklusion bedeutet, dass nicht Gruppen, sondern in-dividuelle Bedürfnisse einzelner Kinder und Jugendlicher im Vordergrund

VORWORT 5

VORWORT

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stehen. Sie geht mit individueller Förderung einher, deren Umsetzung in einer Studie von christian Fischer 2014 beispielhaft beschrieben wurde. Inklusion erfordert multiprofessionelle Teams und setzt Fortbildungen voraus. Die nötigen Voraussetzungen dafür wurden in Bremen durch eine Reform der Lehrerausbildung und Fortbildungsprogramme z.B. im Um-gang mit heterogenen Lerngruppen geschaffen.

Eine gelungene Umsetzung von Inklusion verursacht auch zusätzliche Kosten. Der Investitionsbedarf ist umso höher, desto stärker parallele Strukturen dauerhaft weitergeführt werden. Das Elternwahlrecht besteht in Bremen nur noch für die Spezialförderzentren im Bereich Hören, Sehen und körperlich-motorische Entwicklung. Schüler_innen mit anderen Förderbedarfen werden an der Regelschule unterrichtet. Parallel wurden an den Schulen Zentren für unterstützende Pädagogik sowie regionale Beratungszentren aufgebaut. Wie die Länderhefte insgesamt zeigen, sind politische Entscheidungen überall die Grundlage für eine spätere erfolg-reiche Umsetzung inklusiver Bildung an den Schulen.

Inklusion gelingt noch lange nicht überall. Über das Stadium von Insel-lösungen an Einzelschulen und Modellprojekte ist die Debatte aber hinaus. Die Entwicklung in einzelnen Ländern und vielen Kommunen ist vielversprechend und zeigt, dass manches, das hier als unmöglich gilt, an einem anderen Ort längst Realität ist. Wir hoffen, diese Entwicklung durch die Reihe der Ländervergleiche weiter voranzubringen.

Wir wünschen viel Spaß beim Lesen!

Marei John-OhnesorgBildungs- und HochschulpolitikFriedrich-Ebert-Stiftung

Friedrich-ebert-StiFtung 6

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„Das allgemeine Bildungssystem ist aufgefordert, sich auf die Ausweitung seiner Aufgabenstellungen im Sinne einer inklusiven Bildung und Erziehung vorzubereiten.“ (KMK 2010: 9) So heißt es im Beschluss der Kultusminister-konferenz vom 18.11.2010 zu den pädagogischen und rechtlichen Aspek-ten der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK).

Dieser Beschluss leitete die – vom Ausbau des Ganztagsschulwesens abgese-hen – einzige Strukturreform des deutschen Bildungswesens ein, die Post-PISA über alle Bundesländer hinweg angestoßen worden ist. Von einem län-dergemeinsamen Vorhaben lässt sich dennoch nicht sprechen: Nicht zufällig ist der Stand der Entwicklung des inklusiven Bildungssystems über die Länder hinweg unterschiedlich, divergieren doch die Voraussetzungen, Konzeptio-nen und Maßnahmen, die schließlich zu inklusiver Bildung führen sollen.

Mit der Einführung eines inklusiven Bildungssystems setzt Deutschland die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention um und kommt so-mit seinen menschenrechtlichen Verpflichtungen nach. Die BRK wurde im Dezember 2006 von der UN-Vollversammlung verabschiedet und ist in Deutschland mit der Ratifizierung im März 2009 in Kraft getreten. Die BRK definiert keine neuen Rechte, sie präzisiert die bestehenden Menschen-rechte jedoch für die Lebenssituationen behinderter Menschen und um-fasst alle Lebensbereiche. Das Recht auf Bildung für behinderte Menschen wird in Artikel 24 konkretisiert, hier heißt es: „States Parties recognize the right of persons with disabilities to education. With a view to realizing this right without discrimination and on the basis of equal opportunity, States Parties shall ensure an inclusive education system at all levels (…).“ (United Nations 2006: 16)

INKLUSION IN DER ScHULE UND DER BERUFLIcHEN BILDUNG IM LäNDERVERGLEIcH 7

InkLuSIOn In deR SchuLe und deR beRufLIchen bILdung IM LändeRVeRgLeIch

Valerie Lange, Sozialwissenschaftlerin

dIe un-behIndeRTenRechTSkOnVenTIOn und daS RechT auf InkLuSIVe bILdung

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Der Aufbau eines inklusiven Bildungssystems ist aber nicht nur menschen-rechtliche Verpflichtung: In ihm liegt die einmalige chance, unser Bildungs-system leistungsstärker und chancengleicher zu gestalten. Inklusive Bildung nimmt die Schüler_innen in ihrer Gesamtheit in den Blick und teilt sie nicht in Gruppen ein – vielmehr sollen die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Kinder und Jugendlichen berücksichtigt werden. Das bedeutet auch, dass sich die Rahmenbedingungen an den Bedürfnissen und Besonderheiten der Schüler_innen ausrichten müssen. Damit bietet inklusive Bildung die bes-ten Voraussetzungen, um jede und jeden individuell mit ihren und seinen Stärken und Schwächen anzunehmen und zu fördern. Inklusive Bildung und individuelle Förderung für alle Schüler_innen gehen Hand in Hand. Das Ver-ständnis für diese Implikation inklusiver Bildung ist für jede weitere Debatte über Inklusion von entscheidender Bedeutung.

Der Erfolg inklusiver Bildung ist nachweisbar. Das zeigen nicht nur nationale und internationale Studien. Auch die Eltern wissen um die positiven Effekte eines inklusiven Systems: Unabhängig vom Förderstatus ihrer Kinder beurteilt die Mehrzahl der Eltern in repräsentativen Elternumfragen inklusive Schulen und die an diesen unterrichtenden Lehrkräfte positiver als nicht inklusive Schulen und ihre Lehrer_innen. (vgl. Klemm 2015: 11)

Die Umsetzung inklusiver Bildung stellt das Bildungssystem vor komplexe Herausforderungen und ist unweigerlich mit Stolpersteinen und Hinder-nissen verbunden, die es zu überwinden gilt. Dabei kann der Länderver-gleich helfen: Was in einem Land als „unmöglich“ gilt – etwa das ge-meinsame Lernen von Gymnasiasten und geistig behinderten Kindern und Jugendlichen oder die vollständige Abschaffung von Förderschulen – ist in anderen Ländern schon längst erfolgreiche Realität. Die Gegenüberstel-lung der Konzepte und Ausbauschritte zur inklusiven Bildung soll dazu beitragen, als feststehend geglaubte Grundsätze über das Lehren und Lernen in Frage zu stellen und die Debatte offener zu gestalten. Best-Practice-Beispiele aus den Bundesländern machen deutlich, was in der Praxis möglich ist. Sie sollen denjenigen Mut machen, die in den Schulen mit den Schwierigkeiten der Umsetzung der Reformschritte konfrontiert sind und zeigen: Inklusion gelingt!

Friedrich-ebert-StiFtung 8

InkLuSIVe bILdung In den bundeSLändeRn

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Bereits im Jahr 2007 begann Bremen mit den ersten Schritten zu einer umfas-senden Umgestaltung seines Schulsystems, zu der im weiteren Verlauf auch Ele-mente einer inklusiven Schule gehörten. Die bremische Bürgschaft erteilte dem Fachausschuss „Schulentwicklung“ den Auftrag, einen Schulentwicklungsplan zu erstellen. Die zwischen den Fraktionen der bremischen Bürgerschaft über die Erstellung dieses Planes entstandenen Konflikte, insbesondere über die zukünftige Struktur des Bremer Schulsystems, wurden am 19. Dezember 2008 mit dem „Bremer Konsens zur Schulentwicklung“ beigelegt. Mit diesem Papier einigten sich alle in der bremischen Bürgerschaft vertretenen Parteien auf Eckpunkte zur Schulentwicklung, die unabhängig von der jeweiligen Regierung zehn Jahre, also von 2009 bis 2019, Gültigkeit haben sollen. In der Folge wurde mit Beginn des Schuljahres 2011/2012 das allgemeinbildende Schulsystem in Bremen auf ein zweigliedriges System umgestellt. Nach Beendigung der vierjäh-rigen Grundschule werden die Schüler_innen nunmehr auf zwei gleichwertige Schularten aufgeteilt, die Oberschule und das Gymnasium.

Die Begriffe „Inklusion“ oder „inklusiv“ werden im Schulentwicklungsplan von 2008 nicht verwendet. Stattdessen verweist Kapitel 5 „Behinderte und nicht behinderte Kinder lernen gemeinsam“ auf eine seit den siebziger Jahren bestehende Tradition integrativer Beschulung (vgl. Die Senatorin für Bildung und Wissenschaft 2011: 63). Die bestehenden Strukturen der sonderpädagogi-schen Förderung wurden im Vorfeld zur Erstellung des Schulentwicklungsplans durch das Gutachten „Zum Stand und zu den Perspektiven der sonderpäda-gogischen Förderung in den Schulen der Stadtgemeinde Bremen“ von Klemm/Preuss-Lausitz 2008 evaluiert.

In den Empfehlungen des Gutachtens verweisen die Autoren auf die UN-

INKLUSIVE BILDUNG IN BREMEN 9

InkLuSIOn In deR SchuLe und deR beRufLIchen bILdung In bReMen

Valerie Lange, Sozialwissenschaftlerin

deR Weg zu eIneM InkLuSIVen bILdungSSySTeM

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Behindertenrechtskonvention, die zu diesem Zeitpunkt bereits seit knapp zwei Jahren verabschiedet war und in Deutschland kurz vor der Ratifizie-rung stand. Der „Rechtsanspruch auf gemeinsamen Unterricht, und zwar unabhängig von einem Haushaltsvorbehalt“ (Klemm/Preuss-Lausitz 2008: 6), der sich aus der Ratifizierung ergebe, mache eine Anpassung des Schul-gesetzes in Bremen notwendig. Das Gutachten empfiehlt unter anderem, die sonderpädagogischen Ressourcen zukünftig systemisch zu steuern, die Schüler_innen des Förderbereichs Lernen, Sprache und Verhalten nur in all-gemeinen Schulen zu unterrichten sowie Regionale Beratungs- und Unter-stützungsstellen an ehemaligen Standorten der Förderschulen einzurichten (vgl. ebd.: 80ff.).

Diese und weitere Empfehlungen sind in den Schulentwicklungsplan aufge-nommen. Sie sollen demnach Grundlage für die Arbeit einer behördenin-ternen Steuerungsgruppe sein, die die Entwicklungsplanung für die son-derpädagogische Förderung in Bremen weiterführen soll. Als Ziel formuliert der Schulentwicklungsplan die „möglichst uneingeschränkte[] Integration sonderpädagogischer Förderbedarfe in die Arbeit der allgemeinen Schulen über die Primarstufe hinaus“ (Die Senatorin für Bildung und Wissenschaft 2011: 66). Dabei müssten „die Schrittigkeit und das Tempo des zu initiie-renden Schulentwicklungsprozesses sorgfältig bestimmt werden“ (ebd.), um eine Überforderung der Akteure zu vermeiden.

Die im Schulentwicklungsplan von 2008 erwähnte behördeninterne Steu-erungsgruppe legte 2010 den „Entwicklungsplan Inklusion“ vor, der die weiteren Schritte zu einem inklusiven Schulsystem in Bremen konkretisiert.

Wie die meisten Bundesländer erarbeitete auch Bremen einen Aktionsplan zur Konkretisierung der Umsetzung der Vorgaben der UN-Behinderten-rechtskonvention. Der „Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behinderten-rechtskonvention im Land Bremen“ trat im Dezember 2014 in Kraft und kann somit als eine erste Evaluation der im Schulentwicklungsplan von 2008 skizzierten Umsetzungsschritte zu einem inklusiven Bildungssystem herangezogen werden. Der Aktionsplan greift, anders als der Schulentwick-lungsplan, auf die Begrifflichkeit „Inklusion“ zurück:

„Bremen definiert Inklusion im Bereich Bildung nicht nur in Hinblick auf die gemeinsame Beschulung von nicht behinderten und behinderten Kindern und Jugendlichen, sondern auf die Förderung aller Schülerin-nen und Schüler – angefangen von der Einschränkung im kognitiven

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Bereich bis hin zur Hochbegabung, unbeachtet der Weltanschauung, Religion oder sozialer und kultureller Herkunft.“ (Freie Hansestadt Bre-men 2014: 50)

Damit trifft Bremen die Definition von inklusiver Bildung, die die UN-Behin-dertenrechtskonvention vorgibt: Alle Kinder – und nicht nur diejenigen mit sonderpädagogischem Förderbedarf – werden in den Blick genommen.

In Bremen haben, so der Aktionsplan weiter, seit der Schulgesetzänderung von 2009 alle Schulen den Auftrag erhalten, sich zu inklusiven Schulen zu entwickeln (vgl. ebd.). Als Basis für eine gelingende Inklusion nennt der Aktionsplan die umfangreiche Schulreform zu einem zweigliedrigen System, in deren Zusammenhang der Ausbau des Ganztagsschulsystems und die Einführung „neue[r] Unterrichtsmethoden wie zum Beispiel der Weg zum individualisierten Unterricht sowie die Orientierung am Projektunterricht, die Einführung der Jahrgangsarbeit und auch jahrgangsübergreifender Arbeit“ (ebd.) stehen. Zudem seien – so wie im Entwicklungsplan Inklusion vorgese-hen – Unterstützungssysteme für die inklusive Schule aufgebaut worden:

– Spezialförderzentren für die Förderbedarfe Sehen, Hören und körper-lich-motorische Entwicklung, die sowohl die Regelschulen unterstützen als auch Schüler_innen außerhalb der Regelschule aufnehmen.

– Zentren für unterstützende Pädagogik, die als „Kompetenzpool ver-schiedener Professionen“ (Die Senatorin für Bildung und Wissenschaft 2010: 23) in der allgemeinen Schule angesiedelt sind.

– Vier Regionale Beratungs- und Unterstützungszentren, die Einzelfallbe-ratung für Eltern und schulische Akteure anbieten sowie diagnostische Aufgaben und die Koordinierung verschiedener landesweiter Maß-nahmen zur sonderpädagogischen Förderung übernehmen. Temporär nehmen die ReBUZ Schüler_innen für eine Beschulung außerhalb des Regelunterrichts auf. (vgl. Freie Hansestadt Bremen 2014: 50f.)

Der Aktionsplan benennt weitere Maßnahmen, die für die nächsten Jahre vorgesehen sind und hier auszugsweise vorgestellt werden sollen:

– Entwicklung von Standards für die inklusive Schule sowie für Inklusion und Ganztag

– Erarbeitung von Qualitätsstandards für die Zentren für unterstützende Pädagogik

– Fortschreibung des „Entwicklungsplans Inklusion“

INKLUSIVE BILDUNG IN BREMEN 11

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– Weiterentwicklung der Regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren – Öffnung der Spezialförderzentren für die Förderbedarfe Sehen, Hören

und körperlich-motorische Entwicklung hin zur Regelschule – Reduzierung der bestehenden baulichen Barrieren an allgemeinen Schu-

len (vgl. ebd.: 55f.)

Für die berufliche Bildung weist der Aktionsplan darauf hin, dass Zugangs-voraussetzungen bestünden und somit in heterogenen Lerngruppen lern-zielhomogen unterrichtet werde. Inklusion ist in der beruflichen Bildung demnach nur mit Einschränkungen umsetzbar. Weiter würden diejenigen Jugendlichen, bei denen in der Sekundarstufe I ein Förderbedarf im Bereich Lernen, Sprache und Verhalten ausgewiesen sei, an der Berufsschule in den allgemeinen Lerngruppen – und damit inklusiv – beschult. Allerdings werde kein spezieller Förderbedarf mehr für sie ausgewiesen. Die Berufsschulen hätten auf die zunehmende Heterogenität der Schülerschaft durch die vermehrte Einstellung von Sonderpädagog_innen reagiert. (vgl. ebd.: 51) Als Maßnahmen für die kommenden Jahre sieht der Aktionsplan die Erar-beitung von Konzeption und Standards einer Berufsorientierung unter dem Aspekt der inklusiven Beschulung sowie der Entwicklung von Standards zur Umsetzung der Inklusion an berufsbildenden Schulen vor (vgl. ebd.: 56).

Mit der änderung des Bremer Schulgesetzes vom 17.06.2009 ist der Rechts-anspruch auf Besuch der allgemeinen Schule für Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf gesetzlich verankert worden:

„Bremische Schulen haben den Auftrag, sich zu inklusiven Schulen zu entwickeln. Sie sollen im Rahmen ihres Erziehungs- und Bildungsauf-trages die Inklusion aller Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Staatsbürgerschaft, Religion oder einer Beeinträchtigung in das gesellschaftliche Leben und die schulische Gemeinschaft befördern und Ausgrenzungen einzelner vermeiden.“ (BremSchulG § 3 (4))

Das Schulgesetz räumt dem gemeinsamen Unterricht Vorrang vor der sepa-rierenden Beschulung ein. Damit nimmt Bremen gemeinsam mit Niedersach-

Friedrich-ebert-StiFtung 12

dIe RechTLIche VeRankeRung InkLuSIVeR bILdung IM SchuLgeSeTz

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sen eine Vorbildrolle bei der Ausgestaltung der Gesetzgebung zur inklusiven Schule ein (vgl. Mißling/Ückert 2014: 41).

Mit der Schulgesetzänderung von 2009 hat Bremen die bislang bestehen-den Förderschulen weitgehend abgeschafft. An ihre Stelle treten nach § 22 des Schulgesetzes Zentren für unterstützende Pädagogik, die seit Dezem-ber 2011 an allen Schulen eingerichtet worden sind (vgl. KMK 2015a: 10) und die Schulen bei der inklusiven Unterrichtung unterstützen sollen. Die Aufgaben der Zentren für unterstützende Pädagogik und der Regionalen Beratungs- und Unterstützungsstellen werden auf untergesetzlicher Ebene durch die „Erste unterstützende Pädagogik-Verordnung“ geregelt, die am 01.08.2013 in Kraft trat.

Die personellen und sächlichen Ressourcen der Förderzentren wurden sukzessive an die Zentren für unterstützende Pädagogik übertragen. § 70 BremSchulG legt darüber hinaus fest, dass insgesamt drei Förderschulen für die Förderbedarfe Sehen, Hören und körperlich-motorische Entwicklung – nunmehr Spezialförderzentren – bestehen bleiben, die neben den Regelschu-len als Lernort angewählt werden können.

Mißling/Ückert stellen einschränkend fest, dass „selbst in Bremen, wo das Schulgesetz ausdrücklich weder Sonderschulen noch ähnliche Schulformen vorsieht (§16 BremSchulG), im Ergebnis an den Zentren für unterstützende Pädagogik und an Förderzentren, die nicht formell in die bestehende Schul-struktur eingegliedert sind, eine getrennte Beschulung von Kindern mit Behinderung außerhalb der allgemeine Schulen“ (Mißling/Ückert 2014: 23) stattfindet.

Berufsschulen sind Teil des allgemeinen Schulsystems. Somit gilt der oben bereits angeführte Auftrag zur Entwicklung einer inklusiven Schule, den das Bremische Schulgesetz vorsieht, ebenfalls in der beruflichen Bildung. Demge-genüber stehen weitere Formulierungen im Bremischen Schulgesetz, so etwa § 25 (3):

„Schülerinnen und Schüler, die im Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen gefördert werden, können nach Erfüllung der Schulpflicht in der Berufsschule unterrichtet werden, sofern die personel-len, räumlichen und schulorganisatorischen Voraussetzungen dafür vor-handen sind und die erforderliche Betreuung durch die außerschulischen Kostenträger des Berufsbildungsbereichs gesichert ist.“

INKLUSIVE BILDUNG IN BREMEN 13

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Friedrich-ebert-StiFtung 14

InkLuSIVe bILdung In zahLen: exkLuSIOnSquOTen und InkLuSIOnSanTeILe

Für den Berufsbildungsbereich gilt in Bremen somit, anders als für die Inklu-sion in den allgemeinbildenden Schulen, ein Ressourcenvorbehalt.

Die Anpassung rechtlicher Rahmenbedingungen führt nicht zwingend dazu, dass sich der Schulalltag verändert. Im Bremer Schulgesetz von 2009 werden Förderzentren als eigenständige Schulart nicht mehr erwähnt, für die Förderbereiche Sehen, Hören und körperlich-motorische Entwicklung bestehen jedoch weiterhin Spezialförderzentren. Wie inklusiv ist das Bre-mer Schulsystem also wirklich?

Eine erste Antwort auf diese Frage können statistische Daten1 liefern: Mit der Förderquote wird der Anteil der Schüler_innen mit Förderbedarf an allen Schüler_innen im schulpflichtigen Alter erfasst. In diese Angabe fallen also sowohl Schüler_innen, die inklusiv beschult werden, als auch diejenigen, die an einer Förderschule unterrichtet werden. In Bremen lag die Förderquote im Schuljahr 2013/2014 bei 5,9 Prozent. Zum Vergleich: Deutschlandweit wurde für das Schuljahr 2013/2014 bei 6,8 Prozent der Schüler_innen ein sonderpädagogischer Förderbedarf diagnostiziert.

1 Es sei darauf hingewiesen, dass „[i]m Bereich der amtlichen Schulstatistiken lückenhafte Informa-tionen zum sonderpädagogischen Förderbedarf vor[liegen]. Dies ist unter anderem auf die in den einzelnen Bundesländern heterogenen sonderpädagogischen Diagnostiken, Zuordnungsprinzipien und Datenerfassungen zurückzuführen“ (Malecki 2014: 594). Zudem verzichten einige Bundesländer bei einzelnen Förderschwerpunkten „zumindest während der ersten Schuljahre auf die Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs“ und teilen die „Förderressourcen nicht länger auf der Ba-sis einer individuellen Diagnostik, sondern den Schulen systemisch“ (Klemm 2015: 28) zu. Das führt dazu, dass sich die „von der Kultusministerkonferenz (KMK) veröffentlichten Daten zur sonderpäda-gogischen Förderung in Förderschulen und in allgemeinen Schulen in zunehmendem Maße als nicht mehr aussagekräftig“ (ebd.) erweisen.

5,9% 68,5% 1,9% 7,5% 39,0% 4,6%

Förderquote FörderquoteInklusions-anteil

Inklusions-anteil

Exklusions-quote

Exklusions-quote

Schuljahr 2013/2014 Schuljahr 2008/2009

Quellen: Klemm 2014; Statistisches Bundesamt 2014; KMK 2014a, b; KMK 2015b

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Die Exklusionsquote, also der Anteil derjenigen Schüler_innen, die an einer Förderschule unterrichtet werden, lag bei 1,9 Prozent. Damit ist der Inklu-sionsanteil, mit dem der Anteil der Schüler_innen mit Förderbedarf, die inklusiv unterrichtet werden, an allen Schüler_innen mit Förderbedarf an-gegeben wird, 68,5 Prozent. Im Schuljahr 2013/2014 besuchten in Bremen also deutlich mehr Schüler_innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf eine Regel- als eine Förderschule.

Im Vergleich zum Schuljahr 2008/2009 – dem letzten Schuljahr vor In-krafttreten der BRK – hat sich in Bremen somit eine deutliche Veränderung ergeben: 2008/2009 besuchten noch 4,6 Prozent der Schüler_innen eine Förderschule und der Inklusionsanteil lag bei 39,0 Prozent. Eine Betrachtung der Förder- und Exklusionsquote sowie des Inklusionsan-teils ist für ein Gesamtbild nicht ausreichend. Darüber hinaus muss über-prüft werden, ob sich eine Erhöhung des Inklusionsanteils nicht allein aus einem veränderten diagnostischen Verhalten ergibt. Werden etwa deshalb mehr Schüler_innen inklusiv unterrichtet, weil bei mehr Schüler_innen, die ohnehin die allgemeine Schule besuchen, ein sonderpädagogischer För-derbedarf festgestellt wird? Da in Bremen im Vergleichszeitraum auch die Förderquote deutlich gesunken ist, kann von einem echten (quantitativen) Erfolg der Bemühungen um die Schaffung eines inklusiven Bildungssystems gesprochen werden.

In Bremen werden die Schüler_innen, bei denen ein sonderpädagogischer Förderbedarf diagnostiziert wird, auf acht unterschiedliche Förderschwer-punkte verteilt. Wie in allen Bundesländern können auch in Bremen die meisten Schüler_innen dem Förderschwerpunkt Lernen zugeordnet wer-den. Mehr als zwei Drittel dieser Schüler_innen werden in der Regelschule unterrichtet. Ein ähnliches Bild lässt sich für die Förderschwerpunkte Geistige Entwicklung und Emotionale und soziale Entwicklung feststellen. Schüler_innen mit einem Förderschwerpunkt Sprache werden sogar zu 100 Prozent an der Regelschule unterrichtet, in absoluten Zahlen betrifft dies in Bremen jedoch nur 74 Schüler_innen. Für die Förderschwerpunkte, für die in Bremen weiterhin Spezialförderzentren angeboten werden – Sehen, Hören und körperlich-motorische Entwicklung – fallen die Inklusi-onsanteile deutlich geringer aus. Schüler_innen mit einem Förderbedarf in diesen Schwerpunkten werden überwiegend an der Förderschule unterrichtet.

INKLUSIVE BILDUNG IN BREMEN 15

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Die Anzahl der Absolvent_innen, die nach dem Besuch der Förderschule mindestens einen Hauptschulabschluss erreicht, gibt ersten Aufschluss über den Anschluss der Förderschüler_innen zur beruflichen Bildung. In Bremen verließen im Schuljahr 2013/2014 19,8 Prozent der Förderschüler_innen die Förderschule mit mindestens einem Hauptschulabschluss. Damit erzielt Bremen ein über die Bundesländer hinweg deutlich unterdurchschnittliches Ergebnis: Deutschlandweit liegt der Anteil der Förderschulabsolvent_innen, die mindestens einen Hauptschulabschluss erreichen, bei 28,7 Prozent. Zu den Schüler_innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die die Regel-schule verlassen, liegen keine vergleichbaren Daten vor.

Friedrich-ebert-StiFtung 16

VERTEILUNG DER ScHÜLER_INNEN AUF DIE UNTERScHIEDLIcHEN FÖRDERScHWERPUNKTE

51,2% 80,7%

Lernen davon inklusiv

4,2% 38,1%

hören davon inklusiv

2,1% 20,6%

Sehen davon inklusiv

2,3% 100,0%

Sprache davon inklusiv

7,4% 70,5%

emotionale und soziale entwick-lung

davon inklusiv

3,8% 7,4%

körperliche und motorische entwicklung

davon inklusiv

9,4% 0,0%

Lernen, Sprache, emotionale und soziale entwick-lung (LSe)

davon inklusiv

19,4% 89,1%

geistige entwicklung

davon inklusiv

0,1% 100,0%

förderschwer-punkt übergreifend

davon inklusiv

Quellen: KMK 2014a, b

mit allgemeiner Hochschul-reife

ABGäNGER_INNEN UND ABSOLVENT_INNENVON FÖRDERScHULEN 2013/2014

abgänger- _innen/absolvent- _innen insgesamt

ohne Hauptschul-abschluss

mit Fachhoch-schulreife

mit Hauptschul-abschluss

mit Realschul-abschluss

262 80,2% 19,1% 0,8% 0,0% 0,0%

Quelle: Statistisches Bundesamt 2014

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Die Übergänge von Schulabsolvent_innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in die Berufsausbildung lassen sich kaum rekonstruieren, so der Bildungsbericht 2014: „Dies liegt teils an unterschiedlichen Zu-weisungskriterien zwischen allgemeinbildenden Schulen und Trägern der Berufsausbildung, teils an der statistischen Erfassung.“ (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014: 182) Der Bildungsbericht nimmt eine Sonderauswertung der Schulstatistik vor, um die Schüler_innen mit son-derpädagogischem Förderbedarf in der Berufsbildung zu erfassen, diffe-renziert dabei aber nicht nach Bundesländern, sondern nur nach Länder-gruppen Ost und West. Überblicksartig kann festgehalten werden:

„2011/2012 besuchten etwa 43.000 Schüler und Schülerinnen die Teilzeit-Berufsschule, dies entspricht 2,8% der entsprechenden Schü-lerpopulation. Im Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) waren gut 14.000 bzw. 29% mit sonderpädagogischem Förderbedarf und in den Berufsfach-schulen 4.300 bzw. 1%. Nach Förderschwerpunkten nimmt der Bereich ‚Lernen‘ insgesamt fast die Hälfte der Jugendlichen auf, im Berufsvor-bereitungsjahr ist der Anteil etwas niedriger.“ (ebd.: 183)

Inklusion ist, das lässt sich feststellen, in der beruflichen Bildung kaum institutionalisiert verankert. Vermehrt werden in den Ländern aber Projekte für mehr Inklusion in der beruflichen Bildung angestoßen. Bremen etwa be-teiligt sich gemeinsam mit Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Mecklen-burg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Schleswig-Holstein an der Initiative „chance Ausbildung – jeder wird gebraucht!“. Ziele der Initiative sind, bis Ende 2016 die Ausbildungsmöglichkeiten für Jugendliche mit Behinderungen zu verbessern und das System der Berufsausbildung insgesamt flexibler zu gestalten. (vgl. Bertelsmann Stiftung 2014: 17)

Die statistischen Angaben zu inklusiver Bildung, die Betrachtung von Förderquoten und Inklusionsanteilen dürfen nicht den Eindruck erwecken, dass mit dem gemeinsamen Unterricht von Schüler_innen mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf an einer Schule das Ziel inklusiver Bildung erreicht wäre. Die Beschulung möglichst vieler Schüler_innen an einer Schule ist – insbesondere im deutschen, bislang hoch separienden Bildungssystem – ein wichtiger Schritt. Von einem inklusiven Bildungssys-

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quaLITaTIVe aSpekTe InkLuSIVeR bILdung

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tem kann aber erst dann gesprochen werden, wenn an der Regelschule auch tatsächlich inklusiv unterrichtet wird. In diesem Kontext ist die Unter-scheidung zwischen integrativer und inklusiver Bildung bedeutsam:

„In (…) der Integration ist die allgemeine Schule mehr oder minder offen und nimmt auch bestimmte Kinder mit Behinderungen auf. Die Kinder mit Behinderungen sind als ‚behindert‘ diagnostiziert und etikettiert und unterscheiden sich von der Gruppe der nichtbehinder-ten, normalen Kinder. Die ‚Zwei-Schulen-Theorie‘ wird abgelöst durch die ‚Zwei-Gruppen-Theorie‘. In der gleichen und gemeinsamen Schule gibt es unter einem gemeinsamen Dach zwei deutlich unterscheidbare Schülergruppen, die ‚nichtbehinderten‘ und ‚behinderten‘ Kinder. (…)

In (…) der Inklusion verlieren die Kinder mit Behinderungen ihren besonderen Status der Andersartigkeit. Vielfalt ist normal, alle Kinder sind unterschiedlich, anders, einzigartig, individuell. Diese neue Sicht-weise hat Folgen für die Gestaltung von Schule und Unterricht. Die inklusive Pädagogik verzichtet darauf, Kinder ‚gleichzuschalten‘ und zu ‚normalisieren‘; nicht die Kinder werden ‚passend‘ für die Schule gemacht, sondern die Schule passt sich umgekehrt den Kindern an.“ (Wocken 2009: 11f., zit. nach: Blanck 2014: 5)

Integration ist also nicht Inklusion. Die statistischen Daten geben keine Auskunft über die Konzepte, die dem gemeinsamen Unterricht von Kin-dern und Jugendlichen mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf in dem jeweiligen Bundesland zugrunde liegen. Mit ihnen kann also keine Aussage darüber getroffen werden, ob überwiegend inklusiv oder inte-grativ unterrichtet wird. Auch die empirische Bildungsforschung hat sich bislang kaum länderübergreifend mit diesen qualitativen Aspekten inklusi-ver Bildung befasst.

Wie unterschiedlich die Organisationsformen „schulischer Integration“ zwischen den und innerhalb der Bundesländer sind, zeigt sich bei einem Vergleich der schulrechtlichen Bestimmungen. Einer Untersuchung von Blanck (2014) zufolge, lassen sich 80 verschiedene Integrationsformen identifizieren und in fünf Typen zusammenfassen: Prävention, Koopera-tion, Sonderklassen, Integration in Regelklassen, Schwerpunktschulen (vgl. Blanck 2015: 3).

Im Rahmen der Prävention werden Schüler_innen in Regelschulen ohne

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diagnostizierten sonderpädagogischen Förderbedarf sonderpädagogisch unterstützt. Bei der Kooperation wird schulische Integration durch eine Zusammenarbeit zwischen Regel- und Förderschule erreicht. Sonderklassen werden an Regelschulen verortet, in ihnen werden aber nur Schüler_innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf unterrichtet. Bei der Integration in Regelklassen werden Schüler_innen mit sonderpädagogischem Förder-bedarf in die Regelklasse aufgenommen. Schwerpunktschulen schließlich sind Regelschulen, die einen Fokus auf den gemeinsamen Unterricht von Kindern und Jugendlichen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbe-darf legen. (vgl. ebd.: 4)

Wirft man noch einmal einen Blick auf die oben zitierte Differenzierung zwischen Integration und Inklusion wird deutlich, dass inklusive Bildung nur mit den Organisationsformen Prävention, Integration in Regelklassen und Schwerpunktschulen zu vereinbaren ist, obschon auch diese Formen keine Garantie für Inklusion sind, sondern auch integrativ umgesetzt werden können. In den schulrechtlichen Bestimmungen für Bremen finden sich die Organisationstypen Prävention, Integration in Regelklassen sowie Sonderklassen wieder (vgl. ebd.: 5).

Ein weiteres Indiz für die Bedeutung, die inklusiver Bildung im Schulalltag beigemessen wird, ist das Angebot an zieldifferentem Lernen. Für einen zieldifferenten Unterricht werden individuelle Förderpläne erstellt, die es den Schüler_innen ermöglichen, in unterschiedlichen Lerngeschwindig-keiten unterschiedliche Lernziele zu erreichen – eine Grundvoraussetzung inklusiver Bildung, wie sie Fischer 2014 beschreibt. Im Gegensatz zum zieldifferenten Lernen steht das zielgleiche Lernen: Hier sollen alle Kinder in der gleichen Geschwindigkeit die gleichen Lernziele erreichen.

Nach Angaben der Bremer Kultusverwaltung wird nach dem Modell des zieldifferenten Lernens „in allen Schulstufen und Schularten, außer den gymnasialen Oberstufen und durchgängigen Gymnasien“ unterrichtet (KMK 2015: 83). Zielgleiches Lernen wird in den gymnasialen Oberstufen und den Gymnasien praktiziert. In der Bremer Oberschule wird ab Klasse sieben in den Fächern Mathe, Englisch und Deutsch im Rahmen von leis-tungsdifferenzierten Kursen zielgleich unterrichtet (vgl. Die Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Gesundheit 2012: 4).

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Inklusion ist dann erreicht, wenn die Rahmenbedingungen der Einzelschule an die individuellen Bedürfnisse der Schüler_innen angepasst sind. Die Au-sstattung und Ressourcen der Regelschule müssen sich also verändern: Das betrifft sowohl bauliche Maßnahmen – etwa die Herstellung von Barriere-freiheit oder die Einrichtung von Therapieräumen – als auch die Bereitstel-lung sonderpädagogischer Kompetenz. Nicht zwangsläufig müssen alle Ressourcen an jeder Schule verortet sein. Ihre Bündelung in Förder-, Bera-tungs- oder Unterstützungszentren, etwa den ehemaligen Förderschulen, ist in einem inklusiven System möglich. Entscheidend ist, dass alle Schulen Zugang zu diesen Ressourcen haben und diese nicht nur sporadisch, son-dern selbstverständlich nutzen.

Ohne Umrüstung oder Erweiterung der Schulgebäude wird inklusive Bil-dung in Schule und Berufsschule dennoch nicht möglich sein. Die Kosten für diese Maßnahmen zur Umsetzung inklusiver Bildung sind von den Schulträgern zu decken. Das trifft ebenfalls auf Bremen zu, hier sind die Stadtgemeinden Bremen und Bremerhaven die Träger der Schulen. Eine ausdrückliche Möglichkeit „einer finanziellen Unterstützung baulicher Maßnahmen nach Maßgabe des Landeshaushalts“ (Mißling/Ückert 2014: 27) gibt es in Bremen, anders als in anderen Bundesländern, nicht. Aller-dings besteht laut der Bremischen Landesbauordnung eine verwaltungs-rechtliche Pflicht, öffentliche Gebäude wie Schulen barrierefrei zu gestalten (vgl. BremLBO § 50 (2)).

Wie hoch die notwendigen Investitionen sein werden, ist unklar, denn: „[F]ür diesen Bereich liegen keine belastbaren Erkenntnisse zum Umfang der erforderlichen Maßnahmen vor.“ (Klemm 2012: 14) Ebenso lässt sich nicht abschätzen, welche Auswirkungen die Entwicklung zu einer inklusiven Bildung auf die Ausgaben für die individuelle Betreuung und Begleitung einzelner Schüler_innen durch Integrationshelfer_innen haben wird, da „über das Ausgabenvolumen in diesem Feld kaum belastbare Informatio-nen vor[liegen]“. (ebd.: 13)

Friedrich-ebert-StiFtung 20

fInanzIeRung InkLuSIVeR bILdung2

2 Alle angegebenen Kosteneinschätzungen beziehen sich nur auf die schulische Bildung. Über die Ausgaben, die für eine Umsetzung von Inklusion in der beruflichen Bildung notwendig wären, liegen keine Prognosen vor.

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INKLUSIVE BILDUNG IN BREMEN 21

Kostenberechnungen zu inklusionsbedingten Veränderungen der Ausga-ben für Lehrpersonal hingegen sind vorhanden. Aber auch diese geben keine einfache Antwort auf die Frage „Was kostet uns die Inklusion?“. Denn die Kosten für inklusive Bildung sind maßgeblich von dem Konzept, das umgesetzt werden soll, abhängig. Werden etwa neben „inklusiven“ Regelschulen noch Förderschulen für alle Förderschwerpunkte betrieben – ein Konzept, das mit der Idee der Inklusion im Grunde nicht vereinbar ist –, dann werden durch diese Doppelstruktur die Kosten erhöht. Ebenso kann die Schließung von Förderschulstandorten für die Schulträger Entlastungs-effekte haben, weil Ausgaben für die Bewirtschaftung und den Erhalt der Gebäude entfallen (vgl. ebd.: 14).

Die Ausgaben für das Lehrpersonal sind davon abhängig, wie inklusiver Unterricht gestaltet sein soll. Bereits erfolgreiche inklusive Schulen arbeiten mit der sogenannten „Doppelzählung“: Für den gemeinsamen Unterricht werden die Lehrerstunden aller Schüler_innen zunächst einmal so veran-schlagt, als gebe es keinen sonderpädagogischen Förderbedarf. Zusätzlich werden dann für die Schüler_innen mit sonderpädagogischem Förderbe-darf die Unterrichtswochenstunden eingerechnet, die bei einem Besuch der Förderschule für sie anfallen würden – sie werden also „doppelt gezählt“. (vgl. ebd.: 21) Würde in Bremen inklusive Bildung so umgesetzt werden, würde im Schuljahr 2020/21 im Vergleich zu 2009/2010 ein jährlicher Mehrbedarf an Kosten für Lehrpersonal von 4,68 Mio. EUR entstehen. Diese Berechnungen gehen von inklusivem „Unterricht von jeweils 100 Prozent der Förderschwerpunkte Lernen, Emotionale und soziale Entwick-lung sowie Sprache (LES) im Jahr 2020 und von 50 Prozent der derzeit exklusiv unterrichteten Schüler aus den übrigen Förderschwerpunkten im Jahr 2020“ aus (ebd.: 15).

Wird allerdings davon ausgegangen, dass die Schüler_innen mit sonderpä-dagogischem Förderbedarf nur die zusätzliche Förderzeit in den Unterricht einbringen, die sie auch an einer Förderschule erhalten hätten, werden sie also nicht doppelt gezählt, dann würden sich unter Einbezug der demogra-phischen Entwicklung für Bremen 2020/2021 keinerlei Mehrausgaben für Lehrpersonal ergeben (vgl. ebd.: 28).

Mit der Abschaffung der Förderschulen in Bremen wurden die hier beschäf-tigten Sonderpädagog_innen als systemische Ressource mehrheitlich an die Regelschulen versetzt. Der Entwicklungsplan Inklusion sieht keine Aufsto-ckung des Lehrpersonals zur Umsetzung der Inklusion vor:

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„Das Budget zur Aufgabenwahrnehmung der ZuP speist sich in der Stadtgemeinde Bremen u.a. aus den bisherigen Ressourcen für son-derpädagogische Förderung und aus den bisherigen Positionen für sozialintegrative Maßnahmen, hinzu kommen zunächst die für die Finanzierung von Fördermaßnahmen nach dem Schulentwicklungs-plan (SEP-Mittel) im Haushalt eingesetzten Mittel.“ (Die Senatorin für Bildung und Wissenschaft 2010: 31)

Nach Angaben der Senatorin für Kinder und Bildung wurden die Klassen-frequenzen in den inklusiven Klassen auf 22 Schüler_innen abgesenkt, wobei fünf Schüler_innen einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben können. In der Grundschule entspreche die Zahl der Sonderpäda-gog_innen den für die bisherigen Förderzentren angesetzten Bedarfen, in der Oberschule gehöre in jedem Jahr ein Sonderpädagoge oder eine Sonderpädagogin zum multiprofessionellen Team. (vgl. Die Senatorin für Kinder und Bildung 2015)

Das Bremer Bündnis für schulische Inklusion, ein Zusammenschluss von Wohlfahrts- und Behindertenverbänden, der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, sowie der Universität Bremen, forderte 2015, sechs Jahre nach Einführung der inklusiven Schule in Bremen, „eine deutliche Erhöhung der personellen, räumlichen und sächlichen Ausstattung der schulischen Inklusion in Bremen“ (Bremer Bündnis für schulische Inklusion 2015: 2). Nur so könnten die Schulen die hohen Anforderungen bewälti-gen, die die inklusive Bildung an sie stelle. In ihrer Koalitionsvereinbarung vom 13. Juli 2015 einigten sich die rot-grünen Koalitionspartner auf eine Verbesserung der Personalausstattung sowie die Unterstützung der Schu-len bei der Umsetzung der Inklusion (SPD/Bündnis 90/Die Grünen 2015: 52). Die Höhe der damit verbundenen Investitionen wird in den Haus-haltsberatungen der Bremischen Bürgerschaft für die Jahre 2016/2017 festgelegt und sollen 2016 verabschiedet werden.

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dIe ROLLe deS eLTeRnWahLRechTS

INKLUSIVE BILDUNG IN BREMEN 23

Mit dem Elternwahlrecht wird Eltern die Möglichkeit eingeräumt, selbst zu entscheiden, ob ihr Kind, bei dem ein sonderpädagogischer Förder-bedarf diagnostiziert worden ist, in der Regel- oder in einer Förderschule unterrichtet wird. In der Konsequenz bedeutet das, dass die Bundeslän-der, die dieses Wahlrecht einräumen, eine Doppelstruktur an inklusiver Bildung in der Regelschule und exklusiver Bildung in der Förderschule aufrechterhalten müssen.

In Bremen besteht ein Elternwahlrecht nur „für die bestehenden Spezial-förderzentren für den sonderpädagogischen Förderbereich Hören, Sehen und körperlich- motorische Entwicklung“ (KMK 2015: 68). Schüler_in-nen, bei denen ein sonderpädagogischer Förderbedarf in einem der an-deren Förderschwerpunkte festgestellt wird, werden an der Regelschule unterrichtet.

Die Verfahren zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedar-fes sind in Bremen mit der Ersten Verordnung für Unterstützende Päda-gogik neu geordnet worden. Nach § 11 UPäDVO_1 kann der Antrag auf Ermittlung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs von den Erzie-hungsberechtigten, der Schule oder dem Schulärztlichen Dienst gestellt werden. Anträge für den Förderbedarf Lernen können erst in Jahrgangs-stufe 8 gestellt werden.

Das Feststellungsverfahren wird, abhängig vom vermuteten Förderbedarf des Kindes, durch das Zentrum für unterstützende Pädagogik oder das Regionale Beratungs- und Unterstützungszentrum koordiniert. Die indivi-duellen Förderbedürfnisse des Kindes sollen anhand einer Kind-Umfeld-Analyse ermittelt und in einem sonderpädagogischen Gutachten festge-halten werden. Dieses Gutachten bildet wiederum die Grundlage für die Erstellung eines individuellen Förderplans für den jeweiligen Schüler oder die jeweilige Schülerin. (vgl. § 14 UPäDVO_1)

Die Schule, die ein Kind, bei dem ein sonderpädagogischer Förderbedarf festgestellt worden ist, besucht, soll in Einvernehmen mit den Eltern ausgesucht werden. Wird kein Einvernehmen erreicht, entscheidet die bremische Schulverwaltung. Gegen den Willen der Eltern kann jedoch

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auch für die Förderbereiche Sehen, Hören und körperlich-motorische Entwicklung keine Überweisung an die noch bestehenden Spezialförder-zentren erfolgen (vgl. BremSchulG § 70a (1)).

Werden Schüler_innen mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf an einer Schule gemeinsam unterrichtet, dann müssen die Lehrer_innen das Handwerkszeug besitzen, mit dieser Herausforderung umgehen zu können: Sie müssen beispielsweise über sonderpädagogische Kompe-tenzen verfügen, zieldifferent unterrichten, selbstverständlich in einem multiprofessionellen Team arbeiten sowie über diagnostische Fähigkeiten verfügen. Inklusive Bildung erfordert also eine Anpassung der Inhalte der Lehreraus- und -fortbildung.

Die KMK hat 2014 überarbeitete „Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften“ vorgelegt, die vorsehen, dass Absolvent_in-nen „die Herausforderungen inklusiver Schulentwicklung“ reflektieren können müssen (KMK 2014c: 14). Damit hat die KMK die ersten Schrit-te eingeleitet, um Inklusion zu einem verpflichtenden Bestandteil des Lehramtsstudiums in allen Ländern werden zu lassen, „[d]ie konkrete Ausgestaltung obliegt jedoch den einzelnen Ländern und Hochschulen“ (Monitor Lehrerbildung 2015: 4).

In Bremen gibt es mit der Universität Bremen eine lehrerbildende Hoch-schule. Lehrveranstaltungen zu Inklusion müssen nach den Vorgaben des Landes für alle Lehramtstypen verpflichtend absolviert werden (vgl. Monitor Lehrerbildung 2014). Eingebettet ist der Schwerpunkt Inklusion neben den Themenbereichen Interkulturalität und Deutsch als Zweitspra-che in das Modul „Altersspezifischer Umgang mit heterogenen Lerngrup-pen“ (vgl. KMK 2015a: 93).

Nicht nur in der Lehrerausbildung ist inklusive Bildung zu berücksichti-gen, auch die bereits in der Schule tätigen Lehrer_innen müssen weiter qualifiziert werden. Das Bremer Landesinstitut für Lehrerbildung bietet seit 2011 das Programm „Gemeinsam lernen – Auf dem Weg zur in-klusiven Schule“ an, dass auf die Fortbildung aller Lehrkräfte und des gesamten pädagogischen Personals der Schulen zugeschnitten ist. Weiter

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InkLuSIVe bILdung In deR LehReRauS- und fORTbILdung

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Weitere Informationen zur umsetzung inklusiver bildung in bremen unter: http://www.bildung.bremen.de/sixcms/detail.php?gsid=bremen117.c.4417.de

wurde eine berufsbegleitende Weiterbildungsmaßnahme eingerichtet, mit der allgemeinbildende und berufsbildende Lehrkräfte die sonderpä-dagogische Lehramtsbefähigung erwerben können. (vgl. ebd.: 94)

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Schon jetzt gibt es eine Reihe von Schulen, die erfolgreich inklusiv arbeiten. Ebenso werden in der beruflichen Bildung zahlreiche Projekte zur Inklusion durchgeführt.

Die Bremer Tami-Oelfken-Schule ist – wie alle Bremer Grundschulen – seit dem Schuljahr 2011/2012 eine inklusive Schule. Zudem bildet die Schule einen von zwei Bremer Schwerpunktstandorten für den Förderbereich Wahrnehmung und Entwicklung. In der gebundenen Ganztagsschule wer-den etwa 180 Schüler_innen von zwölf Grundschullehrer_innen und sechs Sonderpädagog_innen unterrichtet. Stundenweise erteilen ein kurdischer und ein türkischer Lehrer muttersprachlichen Unterricht. Das Ganztagsan-gebot wird von sechs Sozialpädagog_innen und Erzieher_innen unterstützt. Drei Förderpädagogen und eine Psychologin werden zusätzlich von der Hans-Wendt-Stiftung, einem freien Träger der Jugendhilfe, zur Verfügung gestellt. Sie betreuen einzelne Schüler_innen und ihre Familien.

Die sonderpädagogische Förderung wird durch das schulinterne Zentrum für unterstützende Pädagogik koordiniert. Der Unterricht wird von den Grundschullehrer_innen und Sonderpädagog_innen gemeinsam gestaltet. In der Regel wird im multiprofessionellen Team unterrichtet, zu dem auch Sozialpädagog_innen, Erzieher_innen und pädagogische Mitarbeiter_innen gehören können. Zeitweise arbeiten die Sonderpädagog_innen mit Klein-gruppen oder einzelnen Schüler_innen.

Die Tami-Oelfken-Schule hat ein eigenes Förderkonzept erarbeitet, aus denen sich die Grundsätze der Unterrichtsarbeit ableiten:

– Voneinander lernen– Gemeinsame Regeln

TaMI-OeLfken-SchuLe

beST pRacTIce InkLuSIVeR bILdung In bReMen

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BEST PRAcTISE IN BREMEN 27

Weitere Informationen zur Tami-Oelfken-Schule: www.tami-oelfken-schule.de

– Lernen mit allen Sinnen– Individualisierung der Arbeitsabläufe– Vielfältiger Medieneinsatz– Klarer, freundlicher Lehrerstil– Häufigerer Wechsel der Sozialformen– Förderpläne und Zielvereinbarungen– Evaluation der Förderung– Möglichkeiten der Selbst- und Fremdbeurteilung– Verantwortungsübergabe auch an schwierige Schüler– Der Klassenraum als dritter Pädagoge– Differenzierte Leistungsansprüche– Lernen durch Partizipation– Lernen durch Handeln

Eine besondere Maßnahme der Förderung, die von der Tami-Oelfken-Schule angeboten wird, ist der Lese-Intensiv-Kurs für Schüler_innen des zweiten Jahrgangs. Am Ende der ersten Klasse wird die Lese- und Schreibentwick-lung jedes Kindes überprüft. Die Kinder, die gegenüber ihren Klassenkame-raden Defizite aufweisen, werden über das nächste Vierteljahr mit täglich vier Schulstunden in Kleingruppen im Lesen und Schreiben gefördert. Darüber hinaus arbeitet die Schule mit zwei Logopädinnen und einem Ergotherapeuten zusammen, die mit einigen Schüler_innen therapeutische Maßnahmen durchführen.

Die Roland zu Bremen Oberschule kann auf eine lange Tradition inklusiver Beschulung zurückblicken: Seit den 1980er Jahren werden hier Schü-ler_innen mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf gemeinsam unterrichtet. In den Jahrgängen fünf bis acht ist die Schule als gebundene Ganztagsschule organisiert, sodass der Unterricht rhythmisiert über den ganzen Tag stattfindet. Die Jahrgänge neun bis zehn können an offenen Ganztagsangeboten der Arbeits- und Berufsorientierung sowie der Zusatz-qualifizierung in Vorbereitung auf die gymnasiale Oberstufe teilnehmen.

ROLand zu bReMen ObeRSchuLe

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Weitere Informationen zur Roland zu bremen Oberschule: www.roland-oberschule.de

Die Förderangebote der Schule stehen allen Kindern und Jugendlichen zur Verfügung, nicht nur den Schüler_innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Dazu gehört das Fach Vertieftes Lernen, mit dem in Wo-chenplanarbeit die traditionellen Hausaufgaben ergänzt werden. Das Fach nimmt drei Wochenstunden ein, die eigentlich den Kernfächern Deutsch, erste Fremdsprache und Mathematik zugeordnet wurden. Diese werden in der Woche zugunsten des Vertieften Lernens nur für vier statt für fünf Stunden unterrichtet.

Das soziale Lernen nimmt an der Roland zu Bremen Oberschule gerade auch im Zusammenhang mit inklusiver Bildung einen besonderen Stellen-wert ein. Seit über acht Jahren haben sich die Schulen des Bremer Stadt-teils Huchting darauf verständigt, schon in den Grundschulen im Umfang einer Wochenstunde ein Programm zum sozialen Lernen durchzuführen, das an den Oberschulen weitergeführt wird. Dabei greift die Roland zu Bremen Oberschule auf das Programm Lions Quest zurück, das durch das Hilfswerk der Deutschen Lions, einer Nichtregierungsorganisation, an-geboten wird. In dieser Zeit sollen die Schüler_innen ein angemessenes Selbstvertrauen und Einfühlungsvermögen entwickeln sowie Rücksicht-nahme und Konfliktfähigkeit lernen. Zum sozialen Lernen gehört auch die Einrichtung eines Klassenrates und eines Jugendbüros sowie die Arbeit der Schulsozialarbeiter_innen, die einen festen Platz im multiprofessionellen Team der Schule haben.

Die Roland zu Bremen Oberschule legt Wert auf die Arbeit im Team. Den Unterricht gestaltet ein Klassenlehrerteam aus Lehrer_in und Sonderpäd-agog_in. Diese Teams sind als Jahrgangsteams aufgebaut, was bedeutet, dass die Lehrkräfte fachfremd unterrichten müssen, damit der Klassenleh-rer oder die Klassenlehrerin mehr Zeit in seiner oder ihrer Klasse verbrin-gen kann. Ziel ist, das Stundenraster aufzubrechen, um Raum für individu-elle Lern- und Arbeitsmethoden zu schaffen.

2011 erhielt die Roland zu Bremen Oberschule den Eva-Seligmann-För-derpreis „Inklusives Lernen an Schulen“ des Verbands Sonderpädagogik Bremen.

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LITERATUR 29

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LITeRaTuR

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Friedrich-ebert-StiFtung 30

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Friedrich-ebert-StiFtung 32

defInITIOn, kOnzepTIOn und RechTLIche gRundLagen InkLuSIVeR bILdung

Das Land Bremen war das erste Bundesland, in dem die inklusive Beschu-lung verbindlich durch das Schulgesetz eingeführt wurde. Alle Bremer Schulen haben laut § 3 (4) des im Jahre 2009 novellierten Schulgesetzes den Auftrag, sich zu inklusiven Schulen zu entwickeln. Sie sollen dem-nach im Rahmen ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags „die Inklusion aller Schülerinnen und Schüler unabhängig von ihrer ethnischen Her-kunft, ihrer Staatsbürgerschaft, Religion oder einer Beeinträchtigung in das gesellschaftliche Leben und die schulische Gemeinschaft befördern und Ausgrenzungen vermeiden“. Die Definition geht insofern über die Perspektive von Artikel 24 der UN-Behindertenkonvention, die auf das gemeinsame Lernen von nicht behinderten und behinderten Kindern fokussiert, hinaus.

Die Einführung der Inklusion ist im Stadtstaat eingebettet in eine um-fassende Reform des allgemeinbildenden Schulsystems. Auf Basis eines parteiübergreifenden Bildungskonsenses (s.u.) wurde 2009 ein „echtes“ Zweisäulenmodell eingeführt: Um ein längeres gemeinsames Lernen in heterogenen Gruppen zu ermöglichen und so den Abbau von Bildungs-barrieren voranzutreiben, gibt es in Bremen ab Klasse 5 nur noch zwei gleichwertige Schularten, die stadtweit anwählbar sind: Die Oberschule ist eine leistungsorientierte Schule nach skandinavischem Vorbild. Sie orien-tiert sich an der individuellen Leistungsfähigkeit und dem individuellen Lerntempo der Schüler_innen und gestaltet Unterricht auf verschiedenen Anforderungsniveaus. Die Schüler_innen können hier alle allgemeinbilden-den Schulabschlüsse erreichen. Die Oberschule führt in der Regel nach 9 Jahren, ausnahmsweise auch nach 8 Jahren, zum Abitur. Das durchgängige

InkLuSIVe bILdung In deR bILdungSpOLITISchen debaTTe In bReMen

dr. Julia Schmidt-häuer, Parlamentsreferentin für die Bereiche Kinder und Bildung, SPD-Bürgerschaftsfraktion Land Bremen

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Gymnasium bietet demgegenüber Unterricht auf einem Anforderungsni-veau und das Abitur nach 8 Jahren an. Die weit überwiegende Mehrheit der Schüler_innen lernt in Bremen gemeinsam in einer Oberschule.

Durch die Schulreform wurde die Schulentwicklung als Ganzes in den Fokus genommen. Auch Grundschulen und Gymnasien mussten sich neu ausrichten. Der größte Veränderungsdruck bestand jedoch für die Schulzentren, die zuvor ihre Schüler_innen separat in unterschiedlichen Bildungsgängen unterrichtet hatten und nun den Auftrag bekamen, sich zu inklusiven Oberschulen zu entwickeln.

Handlungsleitend bei der Umsetzung der inklusiven Beschulung war und ist der „Entwicklungsplan Inklusion“ (EPI), der wesentliche Handlungsfelder abbildet und eine erste Zeit-Maßnahme-Planung vornahm. In der „Ersten Verordnung für unterstützende Pädagogik“ (VUP) vom 22. Mai 2013 wird der gesetzliche Rahmen konkretisiert, innerhalb dessen sich die Schulen schrittweise dem Ziel einer inklusiven Beschulung annähern. Beschrieben werden hierin auch die Aufgaben des Beratungs- und Unterstützungssys-tems, das parallel zur Einführung der Inklusion in und für die Schulen einge-richtet wurde. So wurden zur Umsetzung des inklusiven Unterrichts und zur Absicherung der Fachlichkeit der Förderung an den Schulen flächendeckend „Zentren für unterstützende Pädagogik“ (ZUP) eingerichtet, die die Inklu- sion in den jeweiligen Schulen begleiten und umsetzen. Darüber hinaus wurden in jeder Region schulbezogene „Regionale Beratungs- und Unter-stützungszentren“ (ReBUZ) gegründet, die jeweils mehrere Schulen betreuen und übergreifend für die Schüler_innen des Stadtteils zuständig sind.

An den Berufsbildenden Schulen unterscheiden sich die Inklusionsprozesse deutlich, da hier von jeher eine stark heterogene Schülerschaft im Hin-blick auf Alter, Herkunft, schulische Vorbildung, Lebenserfahrung unter-richtet wurde und wird. Zugangsvoraussetzung zu den Bildungsgängen ist hier ein Ausbildungsvertrag; der Unterricht findet daher lernzielhomogen mit einem Fokus auf die Beruflichkeit statt. Schüler_innen, die in der Se-kundarstufe I einen sonderpädagogischen Förderbedarf in den Bereichen Lernen, Sprache, Verhalten hatten, werden in berufsbildenden Schulen nicht als Behinderte beschult. Für schulpflichtige Schüler_innen ohne Ausbildungsvertrag, die nach der Sekundarstufe I die allgemeinbildende Schule verlassen, sind die berufsbildenden Schulen zuständig. So muss die Inklusion an berufsbildenden Schulen nicht „eingeführt“, allerdings konkretisiert und verbessert werden.

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Bereits vor der verbindlichen Einführung von Inklusion war die integrative Beschulung von Schüler_innen mit sonderpädagogischen Förderbedarfen im Land Bremen weit vorangeschritten. So wurden Kinder mit dem sonderpäda-gogischen Förderbedarf Lernen, Sprache und sozial-emotionale Entwicklung bereits seit 1998 in der Grundschule mit allen Regelschüler_innen unter-richtet. Auch Schüler_innen mit dem sonderpädagogischen Förderbedarf Wahrnehmung und Entwicklungsförderung lernten in kooperativer Organi-sationsform am Standort der allgemeinbildenden Schulen. Nach der Einfüh-rung der inklusiven Beschulung im Jahre 2009 konnten Eltern von Kindern mit sonderpädagogischen Förderbedarfen zunächst noch frei wählen, ob ihre Kinder eine sogenannte Inklusionsklasse in der Regelschule besuchen oder gesondert in einem speziellen Förderzentrum beschult werden sollen.

Seit dem Schuljahr 2012/2013 werden Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarfen grundsätzlich an Regelschulen beschult und gefördert. In Inklusionsklassen unterrichten Lehrkräfte und Sonderpädagog_innen gemeinsam siebzehn Regelschüler_innen sowie bis zu fünf Kinder mit son-derpädagogischen Förderbedarfen. Die Förderschulen wurden und werden Schritt für Schritt aufgelöst, ihr Personal wird sukzessive in die Regelschu-len überführt. Ausgangspunkt der inklusiven Unterrichtung ist die Förder- diagnostik und -planung. In der Aufbauphase wird derzeit noch am Steue-rungsinstrument der Feststellungsdiagnostik zur Ermittlung von besonderen Förderbedarfen festgehalten, um den Oberschulen zu ermöglichen, Erfah-rungen zu sammeln und Lernprozesse zu durchlaufen.

Mit dem Reformprozess – der Umwandlung der Schulzentren und Gesamt-schulen in Oberschulen und die Umsetzung der inklusiven Beschulung – waren und sind tiefgreifende strukturelle Veränderungen verbunden. So wurden 2009 verpflichtende Sprachtests für alle Vierjährigen eingeführt. Kinder, bei denen ein Förderbedarf festgestellt wird, erhalten noch vor der Einschulung eine verpflichtende Sprachförderung. An den Schulen wurden neue Unterrichtsmethoden hin zu einem individualisierten, am Projektun-terricht orientierten Lernen, die Jahrgangsarbeit und jahrgangsübergrei-fende Arbeit eingeführt. Das Landesinstitut für Schule (LIS), das in Bremen für die Ausbildung im Referendariat und für die Fortbildung der Lehrer_in-nen zuständig ist, stellt ein differenziertes begleitendes Fortbildungs- und

STaTuS quO, ÜbeRgang undzIeLSeTzung

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Beratungsangebot zur Inklusion und zum Umgang mit Heterogenität bereit. Der Umwandlungsprozess wurde seit 2009 in der Stadtgemeinde Bremen durch das Projekt „Schulen im Reformprozess“ (SIR) gesteuert, begleitet und evaluiert. In diesem Rahmen haben sich zunächst neun Schul-zentren der Sekundarstufe I und Gesamtschulen freiwillig aufwachsend mit Klasse 5 in inklusive Oberschulen umgewandelt. So konnten erste Erfah-rungen mit der Umsetzung gesammelt und in die Fläche getragen werden. Seit dem Schuljahr 2011/2012 haben alle Schulzentren begonnen, sich aufwachsend in inklusive Oberschulen umzuwandeln.

Im Berufsbildenden Bereich hat es im Land Bremen nie ein System von För-derschulen gegeben. Schüler_innen mit besonderem Förderbedarf wurden von jeher an den Berufsbildenden Schulen beschult, die Konzeption der Be-rufsbildenden Schulen trägt diesen besonderen Bedarfen Rechnung. Doch hat auch hier ein Bewusstseinswandel stattgefunden und es wird weiterer Handlungsbedarf gesehen: Angesichts der Heterogenität in den Klassen haben die Schulleitungen in den vergangenen Jahren auch Sonderpäda-gog_innen eingestellt und suchen gezielt nach Sonderpädagog_innen mit beruflicher Qualifikation oder Berufsschullehrkräften mit sonderpädagogi-scher Qualifikation. Neben Lehrkräften und Lehrmeister_innen sind auch in der beruflichen Bildung weitere Fachkräfte wie Sozialpädagog_innen, Psycholog_innen oder Assistent_innen gefragt.

Aufgrund der unterschiedlichen Leistungsfähigkeit und schulischen Vorbil-dung, differierender Arbeitstempi und Lernwege sowie voneinander abwei-chender Interessen der Schüler_innen ist inzwischen in allen berufsbilden-den Klassen und Bildungsgängen anerkannt, dass eine stärkere individuelle Förderung der Schüler_innen notwendig ist. Binnendifferenzierung wird so zu einer zentralen Aufgabe für den Unterricht und so steht auch das Lehr-personal an Berufsbildenden Schulen vor neuen Aufgaben und Herausforde-rungen: z.B. Teambildung aller Professionen, die Notwendigkeit der Feststel-lung von Lernausgangslagen, Unterricht auf verschiedenen Lernniveaus und mit unterschiedlichen Lernzeiten. Das LIS bietet daher diverse Fortbildungen zur Inklusion insbesondere auch für den berufsbildenden Bereich an.

Für die Einführung der Oberschulen und die Umsetzung der Inklusion wurden aus Schulentwicklungsmitteln besondere Ressourcen u.a. für Planung, Teamentwicklung, Fortbildungen, Förderbudgets und neue Lehr- und Lernmittel zur Verfügung gestellt. Es wurde eine neue Funktionsstel-lenstruktur mit ZUP-Leitungen (als Mitglied der Schulleitung) und Jahr-

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gangsteamleitungen eingeführt. Außerdem wurde die Lehrerausbildung an der Universität Bremen entsprechend reformiert. Hier wird nun für das Lehramt Grundschulen, das Lehramt an Gymnasien/Oberschulen, das Lehramt an berufsbildenden Schulen und das Lehramt für Inklusive Päda-gogik/Sonderpädagogik (bislang in Verbindung mit dem Grundschullehr-amt; bald soll innerhalb der sonderpädagogischen Lehramtsausbildung auch das Studium eines Unterrichtsfaches für das Lehramt Gymnasien und Oberschulen verbindlich sein) ausgebildet.

„Umgang mit heterogenen Lerngruppen“ ist an der Universität Bremen ein für alle Lehrämter vorgeschriebener Schwerpunkt im Bereich der Schlüsselqualifikationen. Hier sollen Kompetenzen in den drei Bereichen „Deutsch als Zweitsprache“, „Inklusive Pädagogik“ sowie „Interkulturelle Bildung“ erworben werden. Übergangsweise haben die Stadtgemeinden Bremen und Bremerhaven Lehrkräften – auch aus den Berufsschulen – das Angebot gemacht, sich berufsbegleitend zu Lehrer_innen für Inklusive Pä-dagogik/Sonderpädagogik an den Universitäten Bremen resp. Oldenburg weiterbilden zu lassen.

Die Fachlichkeit der Förderung ist mit der flächendeckenden Einrichtung der „Zentren für unterstützende Pädagogik“ (ZUP) abgesichert: In allen Schulen wurden ZUP und die Funktionsstelle ZUP-Leitung eingerichtet, kleine Grundschulen bilden Verbünde und teilen sich ein ZUP. Ein ZUP setzt sich aus Lehrkräften mit speziellen Kompetenzen (z.B. Sonderpä-dagog_innen), pädagogischen Mitarbeiter_innen (z.B. Assistenzen oder sozialpädagogische Fachkräfte) und Schulsozialarbeiter_innen zusammen. Das ZUP berät und unterstützt die Schulen in sonderpädagogischen, aber auch in Fragen weiterer Pädagogik. In den Grundschulen werden Sonder-pädagog_innen entsprechend der durch die bisherigen Förderzentren ge-nannten Bedarfe eingesetzt. In Oberschulen gehören in jedem Jahrgang Sonderpädagog_innen zum multiprofessionellen Team.

Für darüber hinausgehende Unterstützungsbedarfe wurden in allen Re-gionen sogenannte „Regionale Beratungs- und Unterstützungszentren“ (ReBUZ) aufgebaut. Hier bieten multiprofessionelle Teams, die sich aus (Sonder-)Pädagog_innen, Schulpsycholog_innen, Sozialpädagog_innen sowie weiteren Fachkräften zusammensetzen, unabhängige Beratungs-, Unterstützungs- und Diagnostikleistungen für Eltern und Schüler_innen, Lehrkräfte und anderes schulisches Personal an. Sie werden auf Anfrage und in Zusammenarbeit mit den ZUP tätig und arbeiten auch mit anderen

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Institutionen sowie außerschulischen Kooperationspartnern wie z.B. dem Amt für soziale Dienste, den Trägern der Jugendhilfe, der Polizei oder dem Landesinstitut für Schule (LIS) zusammen.

Darüber hinaus können hier auch Schüler_innen mit einem sehr großen Förderbedarf im Bereich sozial-emotionaler Entwicklung im absoluten Ausnahmefall und allerletzten Schritt – wenn alle anderen Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder voraussichtlich nicht erfolgreich sein werden und wenn die betreffenden Schüler_innen den Schulbetrieb nachhaltig und schwer beeinträchtigen bzw. sich selbst oder andere gefährden – vorüber-gehend in kleineren Lerngruppen beschult werden.

Die Umwandlung in ein inklusives Schulsystem soll bis zum Schuljahr 2017/18 abgeschlossen sein. Lediglich die Förderzentren mit den Schwer-punkten Hören, Sehen und Körperliche Entwicklung bleiben als Anwahl-schulen vorerst noch bestehen. Eltern, deren Kinder einen Förderbedarf in diesen genannten Bereichen haben, können weiterhin zwischen einer separaten und einer inklusiven Beschulung wählen.

Im Land Bremen besteht ein breiter gesellschaftlicher und überparteilicher Konsens bezüglich der Notwendigkeit und Richtigkeit inklusiver Beschu-lung. Sicherlich spielt hier eine Rolle, dass Bremen bereits vor der Einfüh-rung der Inklusion langjährige Erfahrungen mit einer integrativen Beschu-lung von Schüler_innen mit sonderpädagogischen Förderbedarfen hatte.

Dass Bremen bei der Einführung und Umsetzung der inklusiven Beschulung eine Vorreiterrolle übernommen hat, wurde jedoch auch dadurch ermöglicht, dass Inklusion hier in einen umfassenden, transparenten und von breiter öffentlicher Zustimmung getragenen Reformprozess eingebettet war und ist: Auf Beschluss aller in der Bremischen Bürgerschaft vertretenen Fraktionen war 2007 ein „Fachausschuss zur Schulentwicklung“ bei der Deputation für Bildung eingesetzt worden, der einen „Schulentwicklungsplan“ als Grund-lage für eine Schulreform erarbeitete. Ziel der Schulreform war und ist, die Leistungsfähigkeit der Bremer Schulen weiterzuentwickeln, mehr Bildungsge-rechtigkeit zu schaffen und eine inklusive Beschulung umzusetzen. In diesen Prozess waren Eltern- und Schülervertretungen, Schulleitungen, Berufsver-

pOLITIScheR und geSeLLSchafTLIcheR dISkuRS

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bände der Lehrkräfte, die Personalvertretungen sowie ausgewiesene externe Fachexpert_innen einbezogen. Die Schulreform wurde 2009 in einem über-parteilichen „Bremer Konsens zur Schulentwicklung“ gemeinsam von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der cDU verabredet.

Jede Schule wurde auf dem Weg zur Oberschule durch die Schulbehörde begleitet und beraten, Schulleitungen auf Dienstbesprechungen über den jeweiligen Entwicklungsstand des Reformprozesses informiert. Regelmäßig fanden Gespräche mit dem Personalrat und dem Zentralen Elternbeirat statt. Zu Beginn und im weiteren Verlauf wurden in den Ortsteilen „Runde Tische“ zu den Inhalten des Reformprozesses und zur anschließenden Schulstandort-planung veranstaltet, an denen die Beiräte (Stadtteilparlamente in Bremen) beteiligt waren. Im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen zur Schulreform und zur Inklusion wurde allen interessierten Bürger_innen, Schulvertreter_in-nen, Eltern und Beiräten die Möglichkeit gegeben, sich über Ziele, Inhalte und den Stand des Reformprozesses zu informieren. Zusätzlich wurden viel-fältige Informationsbroschüren zum Thema herausgegeben.

Während die Einführung der inklusiven Beschulung selbst unstrittig war und ist, wurde und wird durchaus Kritik an der Umsetzung der inklusiven Beschu-lung geäußert – z.B. an Reformtempo und -umfang oder an der Ausstattung. Erziehungsberechtigte von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf waren anfänglich verunsichert, ob ihren Kindern in Regelschulklassen genug Förderung und Aufmerksamkeit zuteilwird. Lehrkräfte wiederum stehen vor der großen Herausforderung, in heterogenen Schulklassen orientiert an der individuellen Leistungsfähigkeit und dem individuellen Lerntempo der Schü-ler_innen auf unterschiedlichen Anforderungsniveaus zu unterrichten und dabei allen Schüler_innen individuell gerecht zu werden.

Andere finden das Reformtempo zu langsam, die Reformen zu zögerlich. So wird z.B. kritisiert, dass mit der Feststellungsdiagnostik an einer Etiket-tierung festgehalten werde, die dem Kerngedanken der Inklusion wider-spreche. Mangels praktischer Erfahrungen mit der inklusiven Beschulung war es im Interesse der Schulen jedoch notwendig, an diesem Instrument der Ressourcensteuerung festzuhalten. Der Koalitionsvertrag für die neue Legislaturperiode sieht nun vor, die Feststellungsdiagnostik bis 2018 abzu-schaffen und bis dahin unter Einbeziehung von Expert_innen ein Konzept zur individuellen Förderdiagnostik zu entwickeln. Die entsprechenden För-derressourcen sollen dann gemäß Zuweisungsrichtlinie, die aktuell erarbei-tet wird, bereitgestellt werden.

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Kritisch beäugt werden teilweise auch die im Ausnahmefall möglichen „schulersetzenden Maßnahmen“ bei schwer verhaltensauffälligen Schü-ler_innen, da dies Schulen eine Option eröffne, sich auf diese Weise un-liebsamer „Störenfriede“ zu entledigen. Die Einführung eines mehrstufigen Verfahrens per Verordnung soll jedoch gewährleisten, dass eine temporäre Beschulung in außerschulischen Lerngruppen nur als allerletztes Mittel im absoluten Ausnahmefall möglich ist (s.o.). Die Schüler_innen bleiben wäh-rend dieser Zeit Schüler_in ihrer allgemeinen Schule und auch ihrer Klasse, sofern keine pädagogischen Gründe dagegen sprechen. Ziel der Maßnahme ist immer die Rückführung ins Regelschulsystem, damit der Schüler oder die Schülerin dort einen Schulabschluss erlangen kann.

Da es für die Umsetzung von Inklusion im Sinne eines weiten Begriffsver-ständnisses keinerlei Erfahrungshorizont gab, auf den rekurriert werden konnte, gilt – wie immer, wenn Neuland betreten wird –, dass nicht alles von vornherein perfekt läuft und laufen kann. Mittlerweile ist die Schulre-form in Bremen weit fortgeschritten, gerade haben die ersten Schüler_in-nen das System Oberschule bis zum Mittleren Schulabschluss durchlaufen und die Lehrkräfte zahlreiche Fortbildungen besucht sowie eigene Lernpro-zesse durchlaufen. Alle damals am Konsens beteiligten Parteien in Bre-men waren und sind sich einig, dass am Bildungskonsens festzuhalten ist. Bestandteil des Konsens ist eine Evaluation der Schulreform durch externe Expert_innen ab dem kommenden Jahr.

Gewünscht wird natürlich eine bessere personelle Ausstattung, insbeson-dere mit mehr Sonderpädagog_innen, oder generell eine bessere finanzi-elle Absicherung der Inklusion. Im neuen Koalitionsvertrag ist verankert, dass die Personalausstattung der ReBUZ und der ZUP sukzessive erhöht wird und auch den Schulen zusätzliche Stellen zur Verfügung gestellt werden, um die Professionalität und Qualität bei der Umsetzung der inklusiven Beschulung weiter zu verbessern. In den vergangenen Jahren sind bereits erhebliche Mittel zusätzlich in den Bildungsbereich und die Umsetzung der Schulreform – dem herausragenden Projekt der vergange-nen zwei Legislaturperioden – geflossen. Dennoch sind die Handlungs-spielräume in einem Haushaltsnotlageland natürlich auch begrenzt. Die Umsetzung der Inklusion ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die von Bundesländern allein – insbesondere bei angespannten Haushalten – nur schwerlich zu schultern ist. Deshalb ist aus unserer Sicht eine Aufhe-bung des Kooperationsverbots unabdingbar, um die damit verbundenen Herausforderungen angemessen zu bewältigen.

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INKLUSIVE BILDUNG IN BADEN-WÜRTTEMBERG Teil 1 des Ländervergleichs Valerie Lange, Klaus Käppeler (November 2015)

INKLUSIVE BILDUNG IN NIEDERSAcHSEN Teil 2 des Ländervergleichs Valerie Lange, Stefan Politze (November 2015)

INKLUSIVE BILDUNG IM SAARLAND Teil 3 des Ländervergleichs Valerie Lange, Anett Sastges-Schank (November 2015)

INKLUSIVE BILDUNG IN HAMBURG Teil 4 des Ländervergleichs Valerie Lange, Ties Rabe (Dezember 2015)

bISheR eRSchIenen:

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ISBN: 978-3-95861-388-1

1. Auflage© 2016, by Friedrich-Ebert-StiftungHiroshimastraße 17, 10785 Berlin

Abteilung StudienförderungRedaktion: Marei John-Ohnesorg, Marion Stichler, Lukas DaubnerUmschlaggestaltung und Satz: minus Design, BerlinDruck: Brandt GmbH BonnPrinted in Germany 2016

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