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Insel Verlag · 2015. 10. 25. · Gesprche mit Christus nieder; es entstanden die Bcher »Wisse die Wege«, ein Lehrbuch der christlichen Sittenlehre, und »ber die Schçpfung und

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  • Leben und Schaffen Hildegard von Bingens (1098-1179) �ben bisheute eine ungebrochene Faszination aus; Konsequenz im Glauben,Mut und persçnliches Engagement machten sie �ber ihre Zeit hinauszu einer Identifikationsfigur.Fr�h trat die in Bermersheim bei Alzey geborene Mystikerin in das

    Benediktinerstift Disibodenberg an der Nahe ein. Aufgestiegen zur�btissin schrieb sie in den Jahren 1141 bis 1151 ihre Visionen undGespr�che mit Christus nieder; es entstanden die B�cher »Wisse dieWege«, ein Lehrbuch der christlichen Sittenlehre, und »�ber dieSchçpfung und Erlçsung der Welt«. Hildegard von Bingen verfaßtemystisch-vision�re Schriften, war Heilpraktikerin und Naturwissen-schaftlerin, Predigerin und Komponistin. Ihre Schriften lçsten bereitsunter ihren Zeitgenossen ein gewaltiges Echo aus und f�hrten zu einemregen Briefwechsel mit den bedeutendsten Persçnlichkeiten der da-maligen Zeit.Der vorliegende Band versammelt die wichtigsten Schriften der Hil-

    degard von Bingen: »Ursachen und Heilungen«, »Das Buch der Phy-sika«, »Das Buch Scivias«, »Das Buch vom verdienstlichen Leben«und »Des einf�ltigen Menschen Buch von den gçttlichen Werken«.

  • insel taschenbuch 3391Hildegard von Bingen

    Wisse die Wege

  • Hildegard von BingenWisse die Wege

    Ratschl�ge f�rs LebenAusgew�hlt und �bersetzt

    von Johannes B�hler

    Insel Verlag

  • insel taschenbuch 3391Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 2008

    � Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 2008Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der �bersetzung,

    des çffentlichen Vortrags sowie der �bertragungdurch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

    Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

    ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielf�ltigt oder verbreitet werden.

    Textnachweise am Schluß des BandesVertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch Verlag

    Satz: H�mmer GmbH,Waldb�ttelbrunnDruck: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

    Printed in GermanyISBN 978-3-458-35091-0

    1 2 3 4 5 6 – 13 12 11 10 09 08

  • INHALT

    Einleitung des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . 9Hildegards Leben und Brief an Mçnch Wibert

    �ber ihre Visionen . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

    Schriften der heiligen Hildegard von Bingen

    Ursachen und Heilungen . . . . . . . . . . . . . . . 45Das Buch der Physika . . . . . . . . . . . . . . . . . 130Das Buch Scivias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172Das Buch vom verdienstlichen Leben . . . . . . . . 217Des einf�ltigen Menschen Buch von den gçttlichenWerken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

  • EINLEITUNG DES HERAUSGEBERS

    Aufmerksamer haben wohl nie die Augen einer mittelalter-lichen Frau die Vorg�nge und Erscheinungen der Natur be-obachtet als die Hildegards, und niemand konnte und kanntiefer als sie die brennende Sehnsucht nach Lçsung der R�t-sel in und um uns f�hlen.

    Hildegard war 1098 oder 1099 als Tochter adeliger El-tern geboren. Mit acht Jahren wurde das Kind dem Non-nenkloster auf dem Disibodenberg zur Erziehung anver-traut. Sp�ter nahm sie selbst den Schleier, wurde �btissinund gr�ndete dann auf dem Rupertsberg bei derM�ndungder Nahe in den Rhein ein Kloster. Am 17. September1179 starb sie in ihrem zweiundachtzigsten Lebensjahre.

    Mit der Zeit, in der Hildegard lebte, ist nat�rlich zumTeil auch ihre Stellung zur Natur und den verschiedenstenProblemen bestimmt. So manche irrige Auffassung findetdamit ihre Erkl�rung. Aber man w�rde doch an der Ober-fl�che haften bleiben, wollte man die HildegardischenSchriften in erster Linie vom Standpunkte der Geschichteder Naturwissenschaften aus oder als Kuriosit�tenj�ger,der die Folianten und Codices vergangener Jahrhundertenach seltenen oder deliziçsenDingen und S�chelchen durch-stçbert, studieren. Das Tiefste ihres Wesens erçffnet sichnur dem, der sich auf die Mystik einzustellen vermag.

    Ging Hildegard auch dem praktischen Werte der Dingenach, wie ihre zahlreichen Rezepte und Anweisungen f�rdie Gesundheitspflege beweisen, so war es doch keines-wegs dieWissenschaft,wie sie heute verstanden wird, oderdas Streben, aus den Erkenntnissen von der Natur Nutzen

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  • zu ziehen,was ihr Denken und Suchen bestimmte.Wie alleMystiker versenkte sie sich in die Geheimnisse der Umweltund des eigenen Ich, um vor allem Gott, den Ursprung, indem alles Naturgeschehen wurzelt, zu finden. Und diesmacht ihre Schriften bedeutend und ermçglicht auch demein inniges Verh�ltnis zu ihnen, dem vielleicht so mancheAusf�hrungen Hildegards zur zeitgençssischen Theologienichts zu bieten vermçgen.Wie jede echte Mystik wurzelt auch die Hildegards in

    ihrer Persçnlichkeit. Und jeder wahre Mystiker ist einDichter, und so sieht Hildegard das Wesen der Dinge, wiees nur ein Dichter und Mystiker kann. Die Fl�gel ihrergrandiosen Phantasie trugen sie dabei in die hçchsten Hç-hen und in Abgrundtiefen.

    Mit dieser Phantasie war eine seltene plastische Kraftverbunden. Freilich hatte hier Hildegard mit einer gro-ßen Schwierigkeit zu ringen, der sie nur zu oft unterliegenmußte.

    Sie betont mehrmals, sie h�tte keine eigentliche wis-senschaftliche Bildung und keinen Unterricht in richtigemSprachgebrauch genossen. Sagt dies irgendein Kirchenva-ter oder ein mittelalterlicher Schriftsteller, so wissen wir,daß meist das Gegenteil wahr ist. Gerade das Hervorhe-ben sprachlichen Nichtkçnnens ist von Hieronymus her,der auch darin bei den antiken Deklamatoren in die Schulegegangenwar, eine besondere rhetorische Feinheit, die vomchristlichen Autor wegen ihres dem�tigen Gewandes ger-ne �bernommen wurde. Bei Hildegard jedoch entsprichtdies Selbstbekenntnis durchaus den Tatsachen.

    Es war f�r sie ein unendlich schweres Ringen, die Er-gebnisse ihres tief bohrenden Geistes und die Riesenbilder

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  • ihrer �berreichen Phantasie in die Form der Sprache zugießen. Vollkommen gelang es ihr selten. Aber auch das,was sie konnte, ist aller Achtung wert, es vermag auch oftin Bewunderung mit fortzureißen, und gerade heute, woman die Seele des Kunstwerkes mehr als seine gegl�tteteForm zu sch�tzen weiß, wird man den freilich oft rechtschwer verst�ndlichen Tçnen der Dichterin im Nonnen-schleier gerecht werden kçnnen.

    Eine leichte Lekt�re sind also die Schriften Hildegardsnicht. Dies liegt aber nicht bloß in dem Mißverh�ltniszwischen dem dichterischen Impetus und dem geringerensprachlichen Kçnnen. Weit mehr erschwert der vision�reCharakter dieser Schriften ihr Verst�ndnis.

    Und nun sind wir bei einer der merkw�rdigsten Seitender Persçnlichkeit Hildegards. Sie selbst war zweifelsohnevon dem Glauben durchdrungen, daß das, was sie schau-te, wahrhaft himmlische Gesichte seien und das, was siesagte, ihr unmittelbar von Gott mitgeteilt wurde, damitsie es der Menschheit verk�nde. Die Vision�rin f�hlt sichals wahre Prophetin. Auch ihre Zeitgenossen verehrten sieals die große Seherin. Das gab ihr einen weitreichendenEinfluß auf die Großen und auf breite Volksmassen. IhrProphetenberuf trieb sie zuweilen aus den Klostermauernhinaus und stellte sie, die Nonne, als Predigerin vor dieKonvente großer Mçnchsklçster und auf die M�rkte derSt�dte.

    Und noch heute erkennt man in weiten katholischenKreisen ihren Schriften teilweise �bernat�rlichen Charak-ter zu.1Doch auch f�r den,demWunderglauben vçllig ferne

    1 Sie z�hlen zu den sogenannten »approbierten Privatoffenbarungen«,die von der offiziellen Kirchenbehçrde als erbaulich empfohlen wer-

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  • liegt, ist das Vision�re an der großen Nonne von beson-derem Interesse. Einmal weil sich gerade darin ihr mysti-sches Empfinden und Schauen am klarsten zu erkennengibt. Es ist ja schließlich ohne Belang, ob sie die Grund-lage ihrer wunderbaren Gesichte richtig erkannt hat, eskommt nur darauf an, daß sie wirklich bedeutend und volldichterischen Schwunges sind, daß sie den, der sich in siemitversenkt, �ber den kleinlichen Alltag hinausheben.

    Sodann geben ihre Selbstzeugnisse �ber ihre Seelenzu-st�nde dem Psychologen und Physiologen wertvolle Auf-schl�sse. H�lt man sie der Gesamtheit ihrer Schriften zu-sammen, so ermçglichen sie einen verh�ltnism�ßig klarenEinblick in merkw�rdige Seelenvorg�nge.

    Immer und immer wieder betont Hildegard ihre vielfa-chen kçrperlichen Leiden und Schw�cheanf�lle. Stieß sieaufWiderst�nde, so erlag ihr Leib sofort den Schwierigkei-ten. Sie wurde dann auf das Krankenlager geworfen undschien dem Tode nahe. So erging es ihr auch bei inneremZwiespalte. Dr�ngte sie ihre Seele, von dem,was in ihr vor-ging, Mitteilung zu machen, str�ubte sich aber ihre weib-liche Scheu vor der �ffentlichkeit, dann z�chtigte sie Gottdurch schwere Schmerzen und trieb sie vorw�rts. Sobaldsich aber ihreW�nsche erf�llten, oder sie endlich ansWerkging, ihre Visionen niederzuschreiben, dann f�hlte sie sichfrisch und gesund, so daß ihre Umgebung �ber die wunder-volle Genesung staunte. In dieselbe Linie gehçrte ihre ge-legentliche Bemerkung, sie habe eine »luftige« Natur undsei deshalb den Witterungseinfl�ssen stark unterworfen.Sie hatte also ein außergewçhnlich fein empfindendes und

    den, ein Glaubenszwang, wie etwa bei den Dogmen, besteht jedochnicht.

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  • stark reagierendes Nervensystem, die richtige psychophy-sische Unterlage f�r eine Vision�rin,verbundenmit gerade-zu paulinischem Tatendrang.

    Ich reihte bei meiner Auswahl dem Auszuge aus ihremLeben und dem Briefe �ber ihre Visionen die naturwis-senschaftlichen Schriften an. Ich stellte sie nicht bloß des-halb vor die Visionen, weil sie f�r den modernen Leser be-sonders interessant sind, sondern gab ihnen diesen Platz,weil sie eine vorz�gliche Einf�hrung in die Art des Se-hens und Empfindens von Hildegard sind und unschwerR�ckschl�sse auf ihre eigentlich vision�ren Schriften er-mçglichen.

    Hildegard geht in den »Ursachen und Heilungen« sowiein den »Physica« von rein Nat�rlichem aus. Man sieht andiesen beiden B�chern, wie m�chtig selbst das einfachsteDing Hildegardens Geist zu innerst zu bewegen vermoch-te, wie sehr es ihre Phantasie anregte und befruchtete, undwie sie als echte Mystikerin schließlich in grandiosem phi-losophischen Schwung und in dichterischer Intuition diescheinbar entlegensten Dinge in eine Einheit kraftvoll zu-sammenfaßt.

    Und wie mußten auf diesen stets bewegten Geist, diesehungrige und k�hne Phantasie, auf das fromme, tiefreli-giçse Frauengem�t die machtvolle, Himmel, Hçlle, Gottund Mensch in ihren Wechselbeziehungen so tief und beiallem Dualismus zuweilen auch so einheitlich ergreifendekatholische Lehre wirken! Und dann war Hildegard Non-ne. Sie stand dadurch mitten in der frohen Farbenpracht,im Schimmer und Glanze, inmitten des Duftes und derKl�nge der katholischen, mittelalterlichen, �berreichen Li-turgie. Es heißt, Hildegard habe ihre Nonnen allmonatlich

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  • in Festgew�ndern, Kr�nze und Schleier im offenen Haar,zum Abendmahle gehen lassen. Und dann beteten und san-gen die Nonnen tagt�glich aus der Bibel, dem Alten undNeuen Testamente. Verstanden sie auch nicht jedes Wort,so zog doch viel vom tiefen Sinn der Psalmen mit derenbeschwingtem Rhythmus in ihre Seelen.

    Bedenkt man all dies und stellt man es mit ihren na-turwissenschaftlichen Schriften zusammen, dann hat maneine wohl einwandfreie Erkl�rung ihrer Visionen. Und beideren genauerer Pr�fung lassen sich auch die Ankn�pfungs-punkte ihrer Ideenassoziationen unschwer erkennen. Essind vor allem die Visionen der alten, großen Propheten,die in ihr neues Leben gewinnen und die ihre Phantasie wei-terbilden.

    So kann uns Hildegard �ber das Letzte und Tiefste inder Natur, im Menschen, in Gott nichts wesentlich Neuessagen. Sie f�hrt �ber den festgeschlossenen Kreis des bi-blischen, des christlichen und mittelalterlichen Weltbildesnicht hinaus. Es ist im Grunde – wie schließlich bei allenMystikern – altes Gut, das wir bei ihr wiederfinden.1

    Doch Hildegard ist auch so bedeutend genug. Das Gro-ße an ihr ist eben, wie sie die Dinge, die andere auch se-hen und wissen, sieht und wie sich ihr alles zu einem wun-

    1 Man behauptet allerdings, sie h�tte manche moderne wissenschaft-liche Erkenntnisse, z. B. den Grundsatz von der Erhaltung der Mate-rie, intuitiv vorweggenommen. Man erweist jedoch durch das Beto-nen solcher scheinbarer �bereinstimmungen weder der Wissenschaftnoch den alten Autoren einen Dienst; denn bei genauerem Zusehenzeigt es sich doch immer wieder, daß es sich in solchen F�llen um Er-kenntnisse handelt, die, aus einem vçllig anderen Weltbild gewonnen,miteinander nicht vergleichbar sind.

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  • dervoll einheitlichen Weltbilde zusammenf�gt. Sie findetdie unglaublichsten Wechselbeziehungen zwischen Stein,Pflanze, Tier, Mensch und Gott heraus. Sie lebt mitten ineiner Welt ihr eigener Symbolik. Und darin ist sie h�ufigwirklich urspr�nglich und groß.

    Hildegard wird oft die erste Mystikerin genannt. Daskçnnte leicht zu Mißverst�ndnissen f�hren. Einmal hat esschon vor ihr Mystik gegeben, man darf sie nicht, wie esh�ufig geschieht, erst von der allbekannten katholischenmittelalterlichenMystik her datieren. Und dann unterschei-det sich Hildegard gerade von dieser Art Mystik wesent-lich. Ihre Persçnlichkeit hat ein ganz anderes Gepr�ge, alsdas einer in Gef�hl und Ekstase dahingerafften »Minne-rin«; daf�r ist in ihr zu viel von der altbenediktinischenDiskretion und W�rde. Nimmt man aber den Begriff derMystik in einem weiteren, die ganze Entwicklung umfas-senden Sinne, dann f�gt sich die große Seherin von Bin-gen einer kaum �bersehbaren Kette als herrliches Gliedein.

    IhrGeist undHerzwaren so tief wie nur bei irgendeinemMystiker in �bersinnliches getaucht, und in niemandem,der auf dem Boden des christlichen, dogmatischen Dualis-mus mit dem Glauben an Luzifers Fall und die Erbs�ndesteht, kann ein st�rkeres Einheitsgef�hl lebendig sein alsin ihr. Manchmal hat man sogar den Eindruck, daß ihreigenstes Sehen in der Kreislinie vom obersten Himmels-bogen bis zumWurme unter der Erde nirgend einen Bruchentdeckte, und daß sie nur infolge der �berm�chtigen Be-einflussung durch die �berkommene Lehre einen ihremeigenen Wesen fremden und unk�nstlerischen Zwiespaltanklebte.

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  • Ein paar Worte noch �ber die vorliegende Auswahl und�bersetzung.Als erstes gebe ich einige Stellen aus der »Lebensbe-

    schreibung« der zwei Mçnche Gottfried und Theodorich.Sie hielten sich wohl zu priesterlichen Amtsverrichtungenim Kloster der heiligen Hildegard auf und kannten sie per-sçnlich. Die Erz�hlung der Mçnche bietet manches, wassonst in der Einleitung h�tte gesagt werden m�ssen, eben-so der nachfolgende Brief an Mçnch Wibert �ber die Vi-sionen. Es ist die einzige Briefprobe, die ich ausw�hlte. Esist oft unmçglich, die Echtheit der Hildegardischen Briefenachzuweisen, und zudem f�gen sie dem Charakterbilde,wie man es aus den sonstigen Schriften findet, kaum neueZ�ge an; daher die Beschr�nkung in diesem Punkte.

    Die »causae et curae«, »Ursachen und Heilungen« vonKrankheiten, sind die zuletzt bekannt gewordene grçßereSchrift Hildegards. Sie bietet wesentlich mehr, als der Titelbesagt. Hier und in den »Physica« erscheint sie als »dieerste schriftstellernde �rztin«. Aber auch in ihren natur-wissenschaftlichenWerken zeigt sich offenkundig ihre my-stische Betrachtungsweise. W�rde man alle inhaltlich zu-sammengehçrigen St�cke aneinanderreihen, z. B. was sie�ber Gott, die Schçpfung, den Menschen, Tiere und Pflan-zen sagt, so w�rde sich schon hier der großartige Aufbauihres kosmogonischen Weltbildes zeigen. Leider l�ßt sicheine solche Gruppierung ohne Zerreißung der feinen, h�u-fig kaum merkbaren F�den ihrer Ideenassoziationen nichtvornehmen.

    Bei der Auswahl scheinen sodann manche Kapitel aufKosten anderer bevorzugt zu sein. Greift man aber auf denUrtext zur�ck, so wird man finden, daß diese Abschnitte

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  • vonHildegard selbst so oft und ausf�hrlich behandelt wur-den, daß die hier gebotene Auslese auch in dieser Bezie-hung nur den Eindruck des Originales zu wahren sucht.Als sich noch mehr die Theologen denn die Naturwis-

    senschaftler und Kulturhistoriker mit Hildegard besch�f-tigten, galt das »Scivias«, das heißt »Wisse die Wege desHerrn!« am meisten. Es ist ein umfangreicher Band, vollvon allen erdenklichen ethischen und dogmatischen Erçr-terungen. Unsere Auswahl vermag wohl in etwa von derArt dieses Werkes einen Begriff zu geben, nicht aber vondessen �berreicher F�lle. Freilich handelt es sich dabei viel-fach um Stoffe, um die sich heute nur mehr wenige k�m-mern.

    Nachdem es sich hier nicht um eine Studie �ber Hilde-gard, sondern um ihre eigenen Schriften handelt, ist �berdie noch folgenden Texte wohl nichts mehr zu sagen, sieerkl�rten sich aus den bisherigen Bemerkungen und vorallem aus sich selbst.1

    1 Eine allgemein befriedigende deutsche Biographie �ber Hildegardgibt es nicht. Die B�cher von Schmelzeis: »Das Leben und Wirkender hl. Hildegardis«, 1879; JohannesMay: »Die hl. Hildegard von Bin-gen«, 1911; Helene Riesch: »Die hl. Hildegard von Bingen«, 2. und3. Auflage 1920, verfolgen in erster Linie erbauliche Zwecke, was na-t�rlich die ganze Auffassung erheblich beeinflußt. (Das 1914 in Lon-don erschienene Buch von F.M. Steele: The life and visions of St. Hil-degard war mir nicht erreichbar.) Dagegen gibt es bereits eine ganzeReihe beachtenswerter Einzelstudien.Wir nennen hier nur: P. Kaiser:»Die naturwissenschaftlichen Schriften Hildegards«, 1901; J. Herwe-gen: »Les collaborateurs de sainte Hildegard«, Revue B�n�dictine1904; F.W.Roth: »Studien zur Lebensbeschreibungderhl.Hildegard«,Studien undMitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens undseiner Zweige, 1918; J. Gmelch: »Die Kompositionen der hl. Hilde-gard«, 1919.

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  • Dagegen ist �ber die Art der �bertragung noch einekleine Aufkl�rung zu geben. Es ist die selbstverst�ndlich-ste Aufgabe des �bersetzers, sich �ber den Sinn des Ori-ginales vçllig klarzuwerden. Wenn aber der Autor selbstvon sich, so wie Hildegard, in aller Offenheit erkl�rt, erh�tte nicht alles verstanden, was er niedergeschrieben, sol�ßt sich auch von der �bersetzung nicht mehr verlangen.Ich ging solchen toten Punkten nicht immer aus demWege,um eben die Eigenart des Originales zu wahren, und mehrnoch, weil gerade an dunklen Stellen nicht selten beson-ders kçstliche Juwelen Hildegardischer Intuition aufblit-zen. �brigens war nicht bloß in solchen F�llen die Gefahrdanebenzugreifen groß. Dies liegt in dem vision�ren Cha-rakter der Schriften. Es war oft ein hartes M�hen, die h�u-fig hçchst expressionistisch und dann wieder impressioni-stisch lose nebeneinander hingeworfenen Wortblçcke sozu legen, daß weder ein vçlliger Neubau noch ein zu unge-heuerliches deutsches Sprachenunget�m erschien. Gl�cktemir auch die Lçsung dieser Schwierigkeiten nicht �berall,so glaube ich doch, daß man sich hier mit einem GutteilHildegardischen Geistes vertraut machen kann. Und erlohnt es dem, der sich nicht von dem ersten Eindruck ab-schrecken l�ßt.

  • Hildegards Lebenund Brief an Mçnch Wibert

    �ber ihre Visionen