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Leseprobe Straub, Wolfgang Salzburg Ein Reisebegleiter Mit farbigen Fotografien und Stadtplänen © Insel Verlag insel taschenbuch 3359 978-3-458-35059-0 Insel Verlag

Insel Verlag - bücher.de · 2015. 8. 21. · satirisch-lockeren Kstner-Ton ge-haltenen Buches, sitzt an seinem ersten Salzburger Tag mit seinem Freund Karl im Stieglbru, einem »Brustbl«

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Leseprobe

Straub, Wolfgang

Salzburg

Ein Reisebegleiter

Mit farbigen Fotografien und Stadtplänen

© Insel Verlag

insel taschenbuch 3359

978-3-458-35059-0

Insel Verlag

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DieEntwicklung Salzburgs zur Literaturstadt setzte erst nach demEnde des Ersten Weltkriegs ein: 1920 kam Hofmannsthals Jeder-mann unter der Regie von Max Reinhardt bei den neu gegr�nde-ten Salzburger Festspielen zur Auff�hrung. Stefan Zweig erwarb1919 seine »Villa Europa« auf dem Kapuzinerberg, in der sichbis zum »Anschluß« �sterreichs die international renommierte-stenAutoren trafen. Brecht ließ sich nach 1945 auf eine eigene Fas-sung des Jedermann ein – und erlangte so die çsterreichischeStaatsb�rgerschaft. ZudiesemZweckwohnte er auf demMçnchs-berg im selben Haus, in das 30 Jahre sp�ter Peter Handke einzie-hen sollte.Mit diesem Reisef�hrer lassen sich das literarische Salzburg er-

wandern und die Literatur Salzburgs nachlesen: z. B. die Salzbur-ger Pl�tze Thomas Bernhards und Georg Trakls in der Innenstadtaufsuchen, die beiden Hausberge erwandern und die zahlreichenSchlçsser der Erzbischçfe in der Umgebung durch die Augen derLiteraten betrachten.

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insel taschenbuch 3359Salzburg

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Die Fassade des Domes

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SalzburgEin Reisebegleiter

Von Wolfgang StraubMit Stadtpl�nen und farbigen Fotografien

Insel Verlag

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insel taschenbuch 3359Erste Auflage 2008

� Insel Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 2008Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der �bersetzung,

des çffentlichen Vortrags sowie der �bertragungdurch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziertoder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielf�ltigt oder verbreitet werden.

Textnachweise am Schluß des BandesVertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Umschlag: Michael HagemannSatz: H�mmer GmbH,Waldb�ttelbrunnDruck: Druckhaus Nomos, Sinzheim

Printed in GermanyISBN 978-3-458-35059-0

1 2 3 4 5 6 – 13 12 11 10 09 08

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Inhalt

1 AltstadtspaziergangIm Sitzen: Bilder der Stadt . . . . . . . . . . . . . 9Im Gehen: Zickzack durch Alt-Salzburg . . . . . . 32

2 Am Mçnchsberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 853 Durch die »neue Stadt« . . . . . . . . . . . . . . . . 1114 Auf und um den Kapuzinerberg . . . . . . . . . . . . 1375 Peripherie-Spazierfahrt . . . . . . . . . . . . . . . . 1616 Das Paradies in Aigen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1917 Im S�den: von Morzg nach Hellbrunn . . . . . . . . . 201

N�tzliche Adressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218

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S A L Z A C H

K A P U Z I N E R B E R G

Giselakai

Rudolfskai

Moz

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Kapuzinerkloster

Imbergstraße

Staa

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Griesgasse

Getreidegasse

Hofstallgasse

Kapitelgasse

Herrengasse

Kapitel-platz

Gstättengasse

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Judengasse

SIEGMUNDS-TOR

Oskar-Kokoschka-Weg FESTUNGHOHENSALZBURG

STIFTNONNBERG

Steingasse

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[A] Rudolfsplatz [B] Kajetanerkirche [C] Glockenspiel [D] Michaels-kirche [E] Caf� Tomaselli [F] Mozarts Geburtshaus [G] Festungs-bahn [H] Friedhof St. Peter [I] Felsenreitschule [J] Pferdeschwem-me [K] Mçnchsberglift [L] Museum der Moderne Mçnchsberg[1] Schanzlgasse 14: Humboldt-Gedenktafel [2] Landesgericht[3] Chiemseehof [4] Mozartplatz [5] Waagplatz: Trakl-Haus [6] Resi-denzplatz [7] Domplatz [8] Stift St. Peter [9] Franziskanerkirche[10] Ritzerbogen [11] Kollegienkirche [12] Universit�t [13] Festspiel-bezirk [14] Griesgasse 4: Geburtshaus Troll-Borosty�ni [15] Sternbr�u

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1 | Altstadtspaziergang

IM SITZEN: BILDER DER STADT

Einen literarischen Spaziergang durch Salzburgs Altstadtbeginnt man am besten im Sitzen. Setzt man sich an einender vielen Aussichtspunkte und genießt den »Prospekt«der Stadt, so widmet man sich wichtiger Vorbereitung.Denn einen unvoreingenommenen Blick auf diese Agglo-meration aus Burg, Kircht�rmen, Pal�sten und B�rgerh�u-sern samt Fluß gibt es nicht. Seit �ber 200 Jahrenwird dieseAnsicht stilisiert, mythisiert, reproduziert, çkonomisiert,wobei die Literatur gehçrigen Anteil an den Bild-Produk-tionen hatte. Der Historiker Robert Hoffmann macht inseiner luziden Untersuchung drei wesentliche Ingredien-zien des Mythos Salzburg (2002) aus: das Bild der »schç-nen Stadt«, die Inszenierung als Ged�chtnisort Mozartsund die Festspiele. Die Salzburger selbst waren interessan-terweise wenig an diesen Mythisierungen beteiligt, die Bil-der wurdenmeist von Außenstehenden geschaffen und ver-breitet. F�r die hier Lebenden �berlagern sich verschiedeneBilder. Hoffmann erinnert daran, daß »Salzburg in denvergangenen 150 Jahren Landeshauptstadt, regionaleWirt-schaftsmetropole, Mozartstadt, Festspielstadt und Touri-stenzentrum in einem« war. Diese »Multifunktionalit�t«erschwere es den Einwohnern »auch heute noch, das ›Bild‹ihrer Stadt klar zu konturieren«. Da hat es die Touris-musindustrie leichter, sie kann auf eindeutige Botschaf-ten setzen. Und f�r die »Kulturnation �sterreich« wurdedie Silhouette Salzburgs zu einem ihrer wichtigsten undam h�ufigsten reproduzierten Bildsymbole – dabei spieltees keine Rolle, daß das Abgebildete nicht von »çsterrei-

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chischen«, also habsburgischen, sondern von unabh�ngi-gen klerikalen F�rsten gestaltet wurde.

F�r eine musevolle Betrachtung der Altstadt bieten sichmehrere, aus Salzburg-F�hrern hinl�nglich bekannte Punk-te an. Will man die Aussicht verbunden mit gastronomi-schen Annehmlichkeiten genießen, bieten sich etwa derGarten des Caf� Bazar, die Dachterrasse des Hotel Steinoder das Restaurant des Museums der Moderne an. AmMçnchsberg gibt es eine Reihe weiterer Aussichtspunkte,etwa die nach dem Naturforscher Alexander von Hum-boldt benannte Terrasse. Geht es nach dem Kunsthisto-riker und Publizisten Hans Sedlmayr, existiert allerdingsallein ein Punkt, von dem sich das »ideale« Stadtbild zeigt,n�mlich die Kanzel des Kapuzinerbergs (Spaziergang 4),nur von dort zeige sich »die nat�rliche Ordnung der Stadt,nur von dort stellen sich ihre Hauptgeb�ude nebeneinan-der dar, zwischen dem sanften Bogen des Flusses vorneundder starrenWanddesMçnchsbergs hinten«. Sedlmayr –er baute in den Sechzigern das Kunsthistorische Institutder Universit�t Salzburg auf – betrachtet Die Stadt alsKunstwerk, so der Titel seines 1969 erschienenen Essays.Vor dem Betrachter breitet sich die Altstadt wie eine Ve-dute aus. Es waren nicht zuletzt die Maler, die im 19. Jahr-hundert das Bild Salzburgs verbreiteten, popul�r machtenund den Boden f�r den Tourismus bereiteten. F�r Sedl-mayr ist die Anordnung dieses st�dtebaulichen Gesamt-kunstwerks »nat�rlich« und »absichtslos«, der Interpretmacht einen kunstvollen Bildaufbau aus: »Dem hohenMassiv der Festung am linken Rand des ›idealen‹ Stadt-bildes antwortet rechts ›unten‹ der flache Komplex vonSchloß Mirabell und seinen G�rten. Eine fallende Raum-diagonale ist �ber die horizontalen Ordnungslinien desStadtbilds gelegt.« Sedlmayr betont die Verschiedenheiten

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des »Abgebildeten« – durch die zahllose Reproduktion die-ser Ansicht scheint sie uns mittlerweile »aus einem Guß«zu sein. Dabei war es den verschiedenen Auftraggebernwichtig, ihren Bauten eine eigenst�ndige Formensprachezu verleihen. Den F�rsterzbischçfen ging es im Dom- undResidenzviertel naturgem�ß um Repr�sentation; im b�r-gerlichen Viertel sind noch die mittelalterlichen Struktu-ren zu erkennen, auch wenn die Fassaden durchwegs ausdem sp�ten 18. Jahrhundert stammen; die beiden Kloster-bezirke Nonnberg und St. Peter geben sich verschlossen;das Universit�tsviertel vereint beides, die Verschlossenheitdes ehemaligen Benediktinerklosters sowie das Selbstbe-wußtsein, das sich in der eigenwilligen Architektur derhochbarocken Kollegienkirche manifestiert.

Die Salzburger Altstadt als Bild zu sehen und zu inter-pretieren ist reizvoll. Dabei magSedlmayrs Beschreibung dem unbe-darften Betrachter spitzfindig er-scheinen. Aber den »naiven« Blickauf Salzburg gibt es bekanntlichnicht. Versuchtman sich daran, sitztman schnell den g�ngigen Klischeesauf. Und die Salzburg-Klischees wa-ren bereits in den dreißiger Jahrendes letzten Jahrhunderts ausformu-liert. Eine bewußt einfache Bildbe-schreibung versucht der Protagonistin Erich K�stnersDer kleine Grenz-verkehr. Georg, der Held dieses imsatirisch-lockeren K�stner-Ton ge-haltenen Buches, sitzt an seinem ersten Salzburger Tagmit seinem Freund Karl im Stieglbr�u, einem »Br�ust�bl«am Fußweg zur Festung. An diesem Aussichtspunkt, von

Erich K�stner

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wo die beiden »auf die Stadt der streitbaren und kunstsin-nigen Erzbischçfe« hinabschauen, faßt er die ihn �berw�l-tigende »Anmut« in Worte: Man habe es hier mit »eineritalienischen Residenz« zu tun; alles ziehe »ins Heitere«;man sehe »eine Symphonie«; Salzburg sei »zur theatrali-schen Szenerie geboren und berufen«. Georg schließt seineeinleitende Ph�nomenologie Salzburgs – K�stners Unterhal-tungsroman will offensichtlich auch ein Salzburg-F�hrersein – mit der Beobachtung von Einheimischen im Stiegl-br�u. Diese, als Handwerksleute taxiert, »debattierten wieKritiker vom Fach« �ber Festspielauff�hrungen »und einig-ten sich dahin, daß M. als Jedermann mit Abstand ›amschçnsten gestorben‹ sei«. Das Klischee der vorbehaltlosenVerankerung des Theaterlebens im Alltag selbst der »ein-fachen Leute« h�lt sich hartn�ckig bis heute (und wird in�sterreich besonders gerne auf die »Theaterstadt« Wienangewandt). Die Wirklichkeit des Festspielsommers 1937,in der K�stnersGeorg oder die Zwischenf�lle (wie die Z�r-cher Erstausgabe von 1938 hieß) angesiedelt ist, d�rftegroßteils anders ausgesehen haben: Ein Jahr vor dem »An-schluß« konnte sich der die Festspiele vonAnfang an beglei-tende Antisemitismus immer unverbl�mter geb�rden, dersich besonders auf Max Reinhardt oder den »Jedermann«Alexander Moissis (K�stners »M.«) konzentrierte.

Mit der Wiedergabe der wichtigsten Bestandteile desSalzburg-Mythos trifft K�stner eher ins Schwarze: das»heitere«, italienische Antlitz, die Architektur gewordeneMusik sowie die Theatralit�t bzw. das B�hnenhafte derStadt. Diese Versatzst�cke wurden je nach ideologischemBedarf unterschiedlich gewichtet. Besonders die angeblicheItalianit� der Altstadt war erheblichen Schwankungen aus-gesetzt. Es verwundert nicht, daß die beliebte Zuschrei-bung »Rom des Nordens« erstmals 1699 von einem Archi-

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N�chtliches Panorama der Altstadt

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tekten verwendet wurde, noch dazu von einem italienischen(Giovanni Gaspare Zucalli), st�tzt doch das Wissen umdas Mitwirken oberitalienischer Architekten und Baumei-ster diese Interpretation. 1799 taucht die Italianit� auchin der Literatur auf, Franz Michael Vierthaler empfindetin seinen Reisen durch Salzburg beim »Anblick der vielenherrlichen Geb�ude« Vergn�gen: »man glaubt, sich nachItalien versetzt zu sehen. Denn die meisten Kirchen, Klç-ster und Pal�ste verrathen italienischen Styl und Geist.«Zum »Rom des Nordens«, einer Bezeichnung, mit der sich�brigens auch M�nchen, Fulda oder Bamberg schm�cken,machte Salzburg wohl in erster Linie der fr�hbarockeDom.Der durchreisende Franz Schubert verbreitet in einemBrief 1825 die landl�ufige, kunsthistorisch nicht beleg-bare Ansicht, die Kirche sei »nach dem Muster der Peters-kirche in Rom, versteht sich im verkleinerten Maßstabe«,entstanden.

»Wer, aus Bayern kommend, �ber die Eisenbahnbr�ckein Salzburg einf�hrt und von ihr aus zum erstenmale denFluß entlang die Kirchen und H�user der Stadt vor derFestung lagern sieht, hat das Gef�hl, plçtzlich �ber alleBerge zu sein, in Italien.« Hermann Bahr, der Wahlsalzbur-ger, spielt mit diesem Beginn in seinen Essay Salzburg aufdie Italiensehnsucht an. Nat�rlich sieht er Salzburg auchals »deutsche Stadt«, aber, so Bahr apodiktisch: »Salzburgwirkt rein italienisch.« Er begr�ndet dies unter anderemdamit, daßman, »was jeden Gast, der vomNorden kommt,gar so verwundert«, hier kein Dach, keine Giebel, nur ho-rizontale Abschl�sse sehe. Das sei »wieder ganz lateinisch,ganz undeutsch. Der Romane sch�mt sich des Daches,der Deutsche prahlt mit dem Dach. Denn der Romane lebtçffentlich, sein Haus ist ihm nur eine Wand, hinter der ersich schlafen legt; [. . .].« Bahrs Essay erschien 1914, bald

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war es nicht mehr opportun, das Italienische, zum Feind-lichen geworden, so herauszustreichen. Also feilt er in denfolgenden Salzburg-Texten am Bild der Stadt und streichtdas Symbiotische heraus. In Die Schçnheit der Stadt Salz-burg (1916) etwa klingt das so: »das deutsche Herz Salz-burgs schl�gt italienisch.« Oder: »Nordisches Wesen unds�dliches geraten da so heftig aneinander, daß jedes, umsich zu behaupten, viel st�rker auftritt als daheim, wo esallein ist und sich sicher weiß.« In der Einladung nachSalzburg (1917) ist Salzburg schließlich ganz auf deut-schem Boden angekommen: »Es ist die geheimnisvollsteStadt auf deutscher Erde, das schçnste Denkmal unsererewigen Sehnsucht nach Form, deutsch gewordenes Ita-lien.«

Einer der wenigen Dichter, die mit der vermeintlichenItalianit� nichts anfangen konnten, war August von Pla-ten. Er machte 1824 auf seiner Reise nach Italien hier Sta-tion, bei ihm erregte der angeblich »nach dem Modelleder Peterskirche erbaute« Dom, wie er in sein Tagebuchschreibt, »nicht die mindeste Sehnsucht nach Rom, umdas Original zu sehen«. Auch die zu ihrer Zeit viel gelese-ne britische Reiseschriftstellerin Frances Trollope verf�lltbei ihrem Salzburg-Besuch im Sommer 1836 angesichtsder »nach italienischemGeschmack gebauten Kathedrale«nicht in Begeisterung, in den Briefen aus der Kaiserstadt(der Titel bezieht sich aufWien) macht sie sich zudem �bereinen Salzburger lustig, der sie und ihre Begleiter »mit gro-ßer Beredsamkeit« von der »Vollkommenheit« der Kir-che zu �berzeugen trachtete – wie eine Mutter, »die aufihre dumm aussehende Tochter stolz war«. Aber f�r dieGotik-Afficionada Trollope ist der Dom »nicht den tau-sendsten Teil so eindrucksvoll wie der finstere, unregel-m�ßige Bau der alten Domkirche zu Augsburg und nicht

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ein Zehntausendstel so schçn wie die Kathedrale vonAmiens«.

Zwei h�ufige Komponenten der literarischen Bilder vonSalzburg sprach K�stners Salzburg-Experte im Stieglbr�unicht an: die Symbiose zwischen Natur und Architektursowie der Frauen-Vergleich. Die Fort- und NachschreibervonMythen undTopoi sind jameist nicht die besten Schrift-steller, die guten Erz�hler sind auch guteMythologen. Undso findet sich sowohl der Symbiose- als auch der Feminisie-rungstopos etwa imWerk jenes »durchschnittlichen Schrift-stellers« (wie er im Titel einer ihm gewidmeten Habilita-tionsschrift bezeichnet wird), der heute nur noch als Autordes – mittlerweile seiner rassistischen Spitzen bereinigten –KinderbuchsHatschi Bratschis Luftballon (1904) bekanntist. Franz Karl Ginzkey, Mitglied im Kuratorium der Salz-burger Festspiele sowie im »Staatsrat« des austrofaschi-stischen »St�ndestaats«, schreibt �ber Das Antlitz Salz-burgs (1933): »Es ist erstaunlich, zu welcher harmonischenEinheit der Mensch und die Natur, soferne wir die bei-den trennen wollen, sich hier zur gemeinsamen Wirkungzusammenfanden. Von welcher Seite immer man die Stadtbetrachten mag, ob von den Hçhen ihrer Felsenh�gel, obvon den Ufern des Flusses, ob aus den Weiten der Ebene,immer ist hier letzte bildhafte Vollendung in Form, Grup-pierung und Tçnung gewahrt.« Im m�nnlichen Blick wirddas Naturhafte schnell zum Weiblichen, bei Ginzkey ge-riert sich diese Anthropomorphisierung ziemlich degou-tant: »Es ist das schçnste Wunder dieser Stadt, daß sie beiall dem Sensationellen ihres ersten Anblickes zugleich �bereine unerhçrte F�lle intimster Reize verf�gt. So w�re sievielleicht am bestenmit einer schçnen Frau zu vergleichen,der auch reiche Gaben des Gem�ts und vielerlei verbor-gene Liebesw�rdigkeiten eignen, die erst im Zauber der

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entscheidenden Stunde zur Entfaltung kommen.« Zwan-zig Jahre sp�ter – Ginzkey siedelt Salzburg immer noch in»deutscher Landschaft« an – recycelt er im Roman Jako-bus und die Frauen (1953) das Gleichnis: »Es [das AntlitzSalzburgs, W. S.] ist wie das Antlitz einer schçnen Frau:du siehst sie erwachen aus unruhig gewordenem Morgen-schlummer, und zitternd heben sich die Schleier von denvertr�umten Z�gen, die angegl�ht und umk�hlt sind vomMorgenrot.«

Die Einbeziehung der Landschaft ist nicht Privilegschlechter Dichter, sondern fixer Bestandteil des literari-schen Weichbilds der Stadt. Die Omnipr�senz der nahenAlpen l�ßt den anarchischen Dichter Jakob Haringer eben-falls zumFrauen-Vergleich greifen: »ZuallenGassen schaundie fernen und nahen H�gel und weißen Berge herein wieneugierige M�dchen und liebe, g�tige Großm�tter.« Ha-ringer, f�r den die Stadt »den einzigen ruhenden Pol inseinem Vagantendasein« bildet (Wulf Kirsten), wird Salz-burg zum verkl�rten Sehnsuchtsort, der aus der Ferne nochschçner ist: »Aber wie schçn dies alles, weißt du erst im-mer, wenn du wieder fort bist.« Auch f�r den geb�rtigenWiener Felix Braun, der seit 1928 – seit 1938 erzwungen –im Ausland lebte, wird die »erhabene« Landschaft durchlange Absenz zus�tzlich aufgeladen, sein 10. Sonett ausden Salzburger Sonetten ruft die drei die Umgebung be-stimmenden Berge an, Untersberg, Stauffen und – in derletzten Strophe – Gaisberg: »Am Gaisberg schweift viol-ner Kupferschein, / Ich stehe, schaue. Lang vers�umt ichdas. – / Am Welterhabnen stirbt alle Trauer.« Das Trost-spendende der Salzburger Landschaft steigert sich in denErinnerungen Ernst Lothars, der bereits 1946, f�nf Jahrevor Felix Braun, aus dem Exil zur�ckkehrte, zur Exkulpie-rung. In Das Wunder des �berlebens (1960) beschreibt

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der Regisseur, Romancier und Max-Reinhardt-Freund dieAugenblicke derAnkunft in seiner ehemaligenWahlheimatnach sieben Jahren Exil als Kurierung der Wunden der Ver-treibung: »Beim Einfahren standen der Gaisberg, der Un-tersberg, die Hohensalzburg, die T�rme und Kuppeln derKirchen klar und herrlich gegen den Himmel. J�h ver-schwand der Zwiespalt der Empfindungen, es z�hlte nicht,was sich derWiedersehenslust entgegenwarf – dieWunderdes Zur�ckgekehrtseins und des �berlebens geschahenwunderbarer, als man an sie geglaubt hatte. [. . .] Kirchen-uhren schlugen die neunte Stunde und Glocken l�utetenmit einer Harmonie, die es sonst nirgends gab, weil sie Mo-zart hieß. Daß auf unserer Fluchtfahrt [im M�rz 1938,W. S.] auch hier Spruchb�nder des Hasses hingen, l�utetensie hinweg.« Lothar schließt die rhetorische Frage an seineFrau an, ob das alles nicht »phantastisch schçn« sei. – Dersiebzigj�hrige �sterreicher verkn�pft im r�ckblickendenPathos die Einfahrt des US-B�rgers Lothar nach Salzburgmit der Erlçsung von der Krankheit Heimweh.

Salzburg-Panegyriken gibt es sonder Zahl. Aber bei denmeisten wirkt das Pathos, etwa durch fehlende biographi-sche Motivation, etwas aufgesetzt. Zwei Schlaglichter:»Salzburg ist Schçnheit von Kunst und Landschaft in ele-mentarster Form, unmittelbar, direkt, �berw�ltigend, kaumertr�glich. Wenn du einmal Salzburg kennst, werden esandere St�dte schwer haben mit dir!« (Hans Weigel) »Esist einfach zum Niederknien und Heulen vor Freude.«(Hermann Bahr) Da wird einem Bettina von Arnims kurzeSalzburg-Passage in Goethes Briefwechsel mit einem Kin-de (1835) sympathisch: Ihr fehlen schlicht die Worte. Daßsie nichts Topographisches erw�hnt, sondern sich allge-mein zu Gottes Schçpfung �ußert, mag auch an der man-gelnden Anschauung liegen, denn f�r Arnim war Salzburg

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nur �bernachtungsstation amWeg nach Wien: »Wie kannich dir nun von diesem Reichtum erz�hlen, der sich amandern Tag vor uns ausbreitete? Wers nicht gesehen hat,der gehe hin und seh es; es ist verlorne Zeit, was er sonsttut. Kein unrein Herz kann da bestehen, wo sich der Vor-hang allm�hlich vor Gottes Herrlichkeit teilet, und mansich nur verwundert, daß alles soeinfach ist in seiner Grçße, manmuß entweder dort verzweifeln,oder ganz durchdrungen werdenmit Friede.«

Es gibt einen Text, der wie keinanderer das literarische Bild derStadt bestimmt: Georg Trakls Ge-dicht Die schçne Stadt, in der einzi-gen Buchverçffentlichung zu Leb-zeiten abgedruckt (Gedichte 1913).Nat�rlich war Trakl nicht der »Er-finder« dieser Zuschreibung, in derReiseliteratur war sie seit gut hun-dert Jahren gang und g�be, aber dasGedicht ist, so der Salz-burger Germanist Karl M�ller, »das poetische Modell f�rfast alle nachfolgenden Lieder, Sonette und Hymnen aufSalzburg«. Zwar hat es durchaus Logik, daß man geradeden Genius loci zum vordersten literarischen Werbetr�germachte, aber damit ging auch eine Integration in das Hoch-glanzbild der Stadt, eine Ausblendung der dunklen, schwer-m�tigen, dem Verfall hingegebenen Seiten seines Œuvreseinher. Man mag Trakls Farbskala outriert oder mancheWendung schw�lstig finden, doch gehçrt dieses Gedichtimmer noch zur qualit�tvollsten Dichtung �ber die Stadt –es sei daher in G�nze wiedergegeben.

Georg Trakl

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Alte Pl�tze sonnig schweigen.Tief in Blau und Gold versponnenTraumhaft hasten sanfte NonnenUnter schw�ler Buchen Schweigen.

Aus den braun erhellten KirchenSchaun des Todes reine Bilder,Großer F�rsten schçne Schilder.Kronen schimmern in den Kirchen.

Rçsser tauchen aus dem Brunnen.Bl�tenkrallen drohn aus B�umen.Knaben spielen wirr von Tr�umenAbends leise dort am Brunnen.

M�dchen stehen an den Toren,Schauen scheu ins farbige Leben.Ihre feuchten Lippen bebenUnd sie warten an den Toren.

Zitternd flattern Glockenkl�nge,Marschtakt hallt und Wacherufen.Fremde lauschen auf den Stufen.Hoch im Blau sind Orgelkl�nge.

Helle Instrumente singen.Durch der G�rten Bl�tterrahmenSchwirrt das Lachen schçner Damen.Leise junge M�tter singen.

Heimlich haucht an blumigen FensternDuft von Weihrauch, Teer und Flieder.Silbern flimmern m�de LiderDurch die Blumen an den Fenstern.

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