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__________________________________________________________________ Institution und Subjekt in der neoliberalen Gouvernementalität Eine Diskursanalyse der Selbstdarstellung der Leuphana Universität Lüneburg Freie wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Grades einer Magistra Artium an der Universität Lüneburg im Studiengebiet Angewandte Kulturwissenschaften im Fach Kulturtheorie und interkulturelle Studien (Fachbereich Kultursoziologie) Vorgelegt von: Daniela Steinert [email protected] Hinsichtlich Verständlichkeit, Formulierung, Rechtschreibung sowie Formalia überarbeitete Fassung der Arbeit, wie sie am 25. August 2012 eingereicht wurde.

Institution und Subjekt in der neoliberalen Gouvernementalität ......Clifford Geertz - Dichte Beschreibung DESTROY IST BEGRÜNDET Pierangelo Maset - Laura und die Tücken der Kunst

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__________________________________________________________________

Institution und Subjekt in der neoliberalen Gouvernementalität

Eine Diskursanalyse der Selbstdarstellung der Leuphana Universität Lüneburg

Freie wissenschaftliche Arbeit zur Erlangung des Grades einer Magistra Artium

an der Universität Lüneburg

im Studiengebiet Angewandte Kulturwissenschaften im Fach Kulturtheorie und interkulturelle Studien

(Fachbereich Kultursoziologie)

Vorgelegt von: Daniela Steinert [email protected] Hinsichtlich Verständlichkeit, Formulierung, Rechtschreibung sowie Formalia überarbeitete Fassung der Arbeit, wie sie am 25. August 2012 eingereicht wurde.

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Für Matthias

Herzlichen Dank an meine langjährigen Unterstützer_innen, insbesondere an die Rosa-Luxemburg-Stiftung, an S.H., an B., an PM, an IF, und vor allem an meine Familie.

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Man begreift das Exotische nicht dadurch, daß man sich von den Unmittelbarkei-

ten der Begegnung in die Symmetrie des Denkens zurückzieht, wie bei Lèvis-

Strauss, und auch nicht dadurch, daß man sie in Malereien auf einer afrikanischen

Urne verwandelt, wie bei Evans-Prichard. Man begreift es, indem man sich selbst,

seine Seele vielleicht, in diesen Unmittelbarkeiten verliert.

Clifford Geertz - Dichte Beschreibung

DESTROY IST BEGRÜNDET

Pierangelo Maset - Laura und die Tücken der Kunst

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Inhaltsübersicht

Abbildungsverzeichnis ................................................................................................................... I

Tabellenverzeichnis ........................................................................................................................ I

Abkürzungen und formale Hinweise ......................................................................................... II

I. Kritik als das universitäre Eigene ............................................................................................ 1

II. Grundlagen: Wissen und Regierung in der (Post-)Moderne ............................................... 4

III. Methodik: Diskursanalyse und Gouvernementalitätsforschung ..................................... 26

IV. Die Selbstdarstellung der Leuphana ................................................................................... 43

V. Genealogie: „Leuphana“ als Konstrukt wirtschaftlicher Diskurse ................................... 99

VI. Schlussfolgerungen und Ausblick ..................................................................................... 131

Literaturverzeichnis ................................................................................................................... III

Rechtsquellenverzeichnis ........................................................................................................ XIV

Anhang ....................................................................................................................................... XV

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Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis ................................................................................................................... I

Tabellenverzeichnis ........................................................................................................................ I

Abkürzungen und formale Hinweise ......................................................................................... II

I. Kritik als das universitäre Eigene ............................................................................................ 1

II. Grundlagen: Wissen und Regierung in der (Post-)Moderne ............................................... 4II.1DasSpannungsfeld„Wissen“:Ideologie,DiskursundMacht...................................................4II.1.1IdeologieundWissenssoziologie..................................................................................................................5II.1.2Diskurs,MachtundWissen.............................................................................................................................9

II.2WissenundRegierung:diemoderneGouvernementalität.....................................................16II.3Zwischenfazit:erkenntnistheoretischeGrundlagen.................................................................22

III. Methodik: Diskursanalyse und Gouvernementalitätsforschung ..................................... 26III.1.EthnologiedereigenenKultur:EineStandortbestimmung.................................................27III.1.1DieIllusionvonObjektivität.......................................................................................................................27III.1.2DasEinzelnealsBesonderes:GegenstandsbezogeneBetrachtungdesEinzelfalls............30III.1.3InterpretativesParadigma..........................................................................................................................32

III.2DiewissenssoziologischeDiskursanalyse...................................................................................33III.3Gouvernementalitätsforschung......................................................................................................40

IV. Die Selbstdarstellung der Leuphana ................................................................................... 43IV.1FormaleundsprachlicheStruktur..................................................................................................43IV.1.1Phänomenstruktur..........................................................................................................................................43IV.1.2Formprinzip.......................................................................................................................................................47IV.1.3Derfeststellende,unbestimmteDiskurs...............................................................................................55

IV.2DiskursstrategieWettbewerb:AnpassungandieZukunft.....................................................59IV.2.1Zukunftsprinzip................................................................................................................................................59IV.2.2Wettbewerbsprinzip.......................................................................................................................................61

IV.3Profilbildung:DasInstrumentdesWettbewerbs......................................................................65IV.4Profilbild„KollektiveLeistungfüreinSystemderFreiheit“..................................................75IV.4.1Leistungsprinzip..............................................................................................................................................75IV.4.2Freiheitsprinzip................................................................................................................................................79

IV.5Profilbild„BildungzurVerantwortung“:IndividuellesBefördernvonGesellschaft.....83IV.5.1Persönlichkeitsprinzip:SchnittstellevonProfilundMensch.......................................................84IV.5.2Prinzip„Gesellschaftgestalten“.................................................................................................................92

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IV.6Zwischenfazit.........................................................................................................................................96

V. Genealogie: „Leuphana“ als Konstrukt wirtschaftlicher Diskurse ................................... 99V.1Wettbewerb:NeoliberaleGrundlagevonInstitutionundSubjekten................................100V.2NeoliberaleInstitutionalisierung:DieRechtfertigungendesKapitalismusunddie

Markenbildung...........................................................................................................................................107V.2.1Markenbildung.................................................................................................................................................108V.2.2DieRechtfertigungendesKapitalismus................................................................................................113

V.3NeoliberaleSubjektivierung:IndividualisierungundTotalisierung................................124

VI. Schlussfolgerungen und Ausblick ..................................................................................... 131VI.1.WettbewerbalsProblematisierungsformel............................................................................131VI.2KritikimNeoliberalismus–Kritikander„Leuphana“........................................................133

Literaturverzeichnis ................................................................................................................... III

Rechtsquellenverzeichnis ........................................................................................................ XIV

Anhang ....................................................................................................................................... XV

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I

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Beispiel strukturierende Graphik ............................................................................ 48

Abbildung 2: Beispiel begleitende Graphik .................................................................................. 49

Abbildung 3: Beispiel ermöglichende Graphik ............................................................................ 49

Abbildung 4: Universitätsmodell mit Beschreibungen der Gefäße .............................................. 50

Abbildung 5: Beispiel Neuausrichtung als Prozess ...................................................................... 52

Abbildung 6: Beispiel eines nicht erläuterten Zusammenhangs ................................................... 56

Abbildung 7: Aktivierung zur Neuausrichtung ............................................................................. 63

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Prinzipien ..................................................................................................................... 38

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II

Abkürzungen und formale Hinweise

bzw. beziehungsweise

Ebd. / ebd. Ebenda / ebenda

etc. et cetera

Kz. Kennziffer (der Diskursfragmente); in der Diskursanalyse werden

die einzelnen Diskursfragmente in Tabellen eingepflegt und dabei

durch Kennziffern gekennzeichnet. So kann schließlich erfasst

werden, welches Deutungsmuster in welchen Diskursfragmenten

auffindbar ist.

LUL Leuphana Universität Lüneburg

o. A. ohne Angabe

o. D. ohne Datum

u. a. und andere

UL Universität Lüneburg

Vgl. Vergleiche

zit. n. zitiert nach

z. B. zum Beispiel

kursiv Textstellen, welche im Original kursiv gehalten sind, werden beim

Zitieren unterstrichen wiedergegeben.

_innen Die Schreibweise Geschlecht anzeigender Substantive wird mit

dem Unterstrich vorgenommen, um nicht auf einen binären

Geschlechtercode reduziert zu bleiben. Dies gilt nicht für Bezüge,

in denen durch eindeutige Konnotation ein Hinweis auf die Vertei

lung von Machtpositionen gegeben werden soll (zum Beispiel:

„Kapitalisten“ in der Definition Boltanskis und Chiapellos).

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1

I. Kritik als das universitäre Eigene

„Die Ontologie ist demnach keine Grundlage, sondern eine normative Anweisung, die verstohlen

wirksam ist, indem sie sich als notwendiger Grund in den politischen Diskurs einschreibt.“1 Was

Judith Butler über die Wirklichkeit von Geschlechtsidentität schreibt, enthält weitreichende Fol-

gen für die Betrachtung jeder Politik und jeden Diskurses. Ontologie als Anweisung zu verste-

hen, die Wertsetzungen enthält und Politik Begründungen liefert bedeutet, sie als einschränkende

Festlegung dessen zu betrachten, was möglich ist2. Ein solcher Zugriff auf Erkenntnis bedeutet

zugleich, einen Raum zu befragen, der keinen Boden gefestigten Seins aufweist, aufweisen kann

oder aufweisen darf. Damit erhalten Erkenntnisprozesse zum Einen eine Unabgeschlossenheit

und zum Anderen auch einen Status, welcher die Befragung selbst in den Mittelpunkt der Er-

kenntnis rückt und zu dessen Wert macht: Nichts steht außer Frage, vielmehr ist ein stetes Infra-

gestellen notwendig, um den Blick nicht gefangen zu nehmen. So zeigt sich das Produzieren von

Wahrheiten als ein Hervorbringen unzähliger weiterer Wahrheiten durch die Dekonstruktion der

kritischen Befragung.

Bei der Frage nach der Institution Universität und deren Wert, welchen es zu verteidigen gilt,

rückt für Judith Butler und Jaques Derrida diese Dekonstruktion in den Mittelpunkt. So führt

Butler eine stete Kritik der Kritik als notwendig ein: Annahmen, auf denen Folgeaussagen als

logisch und gegeben erscheinen, müssen hinterfragt3, der wilde, schurkische, innerhalb der Dis-

ziplinen nicht sagbare Bereich muss zur Disposition gestellt werden4. Diese Operation der Kritik,

die gemäß Butler zur gesamten Universität gehört5, ist der Wert, welcher der Universität eigen

ist6. Relevant sind die Fragen (welche Butler von Kant ableitet), „mit welchem Recht und mit

welchen Mitteln gewisse Doxa als notwendig und richtig akzeptiert werden und mit welchem

Recht und mit welchen Mitteln gewisse Regierungsentscheidungen oder Gesetzesvorlagen als die

vorkritische Doxa der Universität akzeptiert werden“7. Die vorliegende Arbeit möchte in diesem

Sinne den Grundlagen der zur „Leuphana“ umstrukturierten Universität Lüneburg nachgehen.

Sie bemächtigt sich dafür des grundeigenen universitären Prinzips, wie es Butler diskutiert: Der

Operation der Kritik, der Befragung des Raumes, welcher vermeintlich vorkritisch ist. Die Arbeit

befragt das Wie und das Woher der Regierungsformen, die sich an der Institution zeigen sowie

die Begründungen, entlang derer diese ausgewählt werden. 1 Butler: Das Unbehagen der Geschlechter, S. 217. 2 Butler: Was ist Kritik? 3 Vgl.: Butler: Kritik, Dissenz, Disziplinarität, S. 29. 4 Vgl.: ebd., S. 24f. 5 Vgl.: ebd., S. 22. 6 Vgl.: ebd., S. 28. 7 Ebd., S. 29.

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2

Mit einer solchen Dekonstruktion gehen eigene Vorannahmen und Absichten einher: So gilt es,

vielfältige Aussagen und Perspektiven zu ermöglichen und das Wuchern der Diskurse dem Ein-

engen von Wissen und von Begriffen entgegenzustellen. Ein solcher Anspruch ist Derrida zufol-

ge in dem Wahrheitsgelübde enthalten, welches eine Universität ablegt8, indem sie sich als Ort

von unbedingter und voraussetzungsloser Befragung sowie von Widerstand versteht:

„Wie wir nur zu gut wissen, gibt es diese unbedingte Universität de facto nicht. Dennoch sollte sie prinzipiell und ihrer eingestandenen Berufung, ihrem erklärten Wesen nach ein Ort letzten kritischen – und mehr als kritischen – Widerstands gegen alle dogmatischen und ungerechtfertigten Versuche sein, sich ihrer zu bemächtigen.“9

Das „Prinzip unbedingten Widerstands“10 – gegen Ontologie und gegen Vereinnahmung – wird

damit zur wissenschaftlichen Methode sowie zur Voraussetzung der Universität als Ort freien

Sprechens und Denkens. Die Institution kann demnach nicht von ihren Inhalten unterschieden

werden. Die vorliegende Arbeit rahmt die Untersuchung der Selbstdarstellung der Leuphana

Universität Lüneburg ein in diese Fragen und Forderungen nach der Möglichkeit des Widerstan-

des und der unabgeschlossenen Kritik.

Durchgeführt wird dies anhand einer Diskursanalyse, einer Gouvernementalitätsperspektive und

einem genealogischen Ansatz. So orientiert sich die Arbeit durchgehend an Michel Foucaults

Archäologie und Genealogie und stellt die Frage nach dem Wissen, welches der Neuausrichtung

und der Selbstdarstellung der Universität Lüneburg zugrunde liegt: Auf welche Art und Weise

konstruiert der Diskurs, als dessen Autorin die öffentliche Institution Leuphana Universität Lü-

neburg gilt, seine Aussagen und welche Regierungsweisen werden im Diskurs sichtbar? Ausge-

hend von dem Untersuchungsgegenstand der Selbstdarstellung der Universität, wie sie in Präsen-

tationen, Broschüren, auf Internetseiten und anderen Medien vollzogen wird, soll die Logik des

Diskurses der „Leuphana“ analysiert und interpretiert werden. Für dieses Vorhaben wird der Dis-

kurs der „Leuphana“ zum Einen mittels einer Diskursanalyse in seiner Ereignishaftigkeit erfasst

und zum Anderen werden mittels Theorien und Begriffen zur modernen Staatlichkeit die im uni-

versitären Diskurs enthaltenen Wahrheiten und Regierungsformen aufgezeigt.

Zwei hinführende Kapitel führen zunächst die Grundlagen der Arbeit aus: Was ist es, was anhand

dieser Arbeit untersucht und zugleich produziert wird – welches Verständnis von Wahrheit, Wis-

sen und Erkenntnis liegt ihr zugrunde? Auf welche Art und Weise wird die Analyse vorgenommen

– welche Grundannahmen wissenschaftlichen Arbeitens und welche methodischen Instrumente

8 Vgl.: Derrida: Die unbedingte Universität, S. 10. 9 Ebd., S. 12. 10 Ebd., S. 13.

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werden angewendet? Anschließend erfolgt in Kapitel IV die Darstellung der Ergebnisse einer

Diskursanalyse der Selbstdarstellung der „Leuphana“. Es werden dabei die zugrunde liegenden

Schemata der Schwerpunkte des untersuchten Materials vorgestellt. Diese Interpretationen wer-

den in einem letzten Teil der Arbeit auf ihre historische Existenz befragt. Dies geschieht mithilfe

verschiedener Thesen und Theorien, welche ausgehend von den Begriffen und Aussagen aus der

Selbstdarstellung ausgewählt sind. Einen Rahmen für diese Betrachtung bildet der Foucaultsche

Gouvernementalitätsbegriff, der sowohl hinsichtlich der Diskursanalyse wie auch der anschlie-

ßenden genealogischen Betrachtung relevant ist und die Frage nach der Form der Regierung der

Institution und der Subjekte stellt. So wird der universitäre Diskurs der „Leuphana“ kontextuali-

siert. Diese Betrachtungsweise enthebt feststehende Aussagen ihrer „natürlichen“ Gültigkeit und

macht die Existenz gesellschaftlicher Wissens- und Machtverhältnisse im Diskurs der „Leupha-

na“ sichtbar. Abschließend strukturiert der Text die Ergebnisse und stellt erneut die Frage nach

der Möglichkeit von Kritik.

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II. Grundlagen: Wissen und Regierung in der (Post-)Moderne

Die Arbeit bewegt sich zwischen den zwei Begriffen „Diskurs“ und „Regierung“ und entspannt

anhand dieser ein Fundament für ein diskursanalytisches und genealogisches Vorhaben zu einem

politisch aufgeladenen Feld. Um eine wirkmächtige Kritik innerhalb des Sagbaren des Wissen-

schaftlichen zu leisten, gilt es, die Grundlagen umfassend auszuführen. Nachfolgend werden

deshalb zunächst Ideologie, Diskurs, Macht und Regierung diskutiert, um die erkenntnistheoreti-

schen Grundlagen zu verdeutlichen. Prämisse für einen Umgang mit Wahrheiten ist dabei, den

Raum des Möglichen nicht zu verengen und Verhältnisse nicht abschließend zu bestimmen, son-

dern diese für Kritik und Analyse offen zu legen. Zugleich wird der Charakter dessen deutlich,

was oftmals nur als beschreibend wahrgenommen wird: der Text und das Gesagte offenbaren

sich in ihrer Produktivität. Der Untersuchungsgegenstand der Arbeit wird so nicht als abbilden-

der Text verstanden, sondern als hervorbringend und subjektivierend. Anschließend münden die-

se Grundlagen in eine Skizze eines Erkenntnisrahmens, welcher der Analyse voransteht und sich

in der angewendeten Methode wiederfindet. Diese Methode wird in Kapitel III ausgeführt.

II.1 Das Spannungsfeld „Wissen“: Ideologie, Diskurs und Macht

Was ist der Gegenstand einer Arbeit, die sich mit einer Institution, dessen Subjekten sowie mit

Regierung auseinandersetzt? Welche Begriffe werden verwendet oder verworfen und auf welche

Weise wird Wissen untersucht und produziert? Ziel der Arbeit ist es, sich mit der Selbstdarstel-

lung der Leuphana Universität Lüneburg auseinanderzusetzen, was bedeutet, dass das Untersu-

chungsmaterial aus Texten besteht, die Aussagen treffen, die Denkschemata offenlegen und

Wahrheitsansprüche bezeugen. Wie wird diesen Wahrheitsansprüchen begegnet, werden sie als

falsches Denken negiert, widerlegt oder als richtig bestätigt? Kann ein Denksystem wahr oder

unwahr sein? Diese Fragen nach dem Bewerten und Produzieren von Wissen oder Wahrheiten

führen zu der erkenntnistheoretischen Problemstellung dessen, was wir überhaupt wissen können

und inwiefern es Wahrheit gibt. Auf diesem Feld kursiert der Begriff „Ideologie“, welcher im

alltagssprachlichen Gebrauch mit einer solch „eigentümlichen Mannigfaltigkeit“11 ausgestattet

ist, dass sich für eine Analyse von Wissens- und Denksystemen zu ihm verhalten werden muss.

Denn zum Einen führt die Frage nach dem Wahrheitsanspruch zu den Grundlagen der Erkennt-

nismöglichkeit und damit zum Grundverständnis und der Reichweite der vorliegenden Arbeit.

Zum Anderen ist ein politisch aufgeladenes Feld auch davon geprägt, dass sich Parteien gegen-

seitig der Ideologiehaftigkeit bezichtigen. Da sich der Text mit einem politisch aufgeladenen 11 Barth: Wahrheit und Ideologie, S. 9.

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Phänomen befasst und so auch auf einen politischen Kontext einwirkt, soll der Gefahr von Ideo-

logievorwürfen begegnet werden, um simplifizierenden Darstellungen keinen Vorschub zu leis-

ten und aus ebensolchen auszubrechen, so dass Kritik ihre Daseinsberechtigung dauerhaft auf-

recht erhalten kann. Im Folgenden wird auf die Prämissen des in dieser Arbeit erzeugten Wissens

eingegangen.

II.1.1 Ideologie und Wissenssoziologie

Seit der Neuzeit ist der Ideologiebegriff ein wichtiges Instrumentarium der Wissenschaft12, wel-

cher bis heute aber auch außerwissenschaftlich gebraucht und diskutiert wird und zu den umstrit-

tensten Begriffen der heutigen Sozialwissenschaften gehört13. Terry Eagleton spricht von Ideolo-

gie als „Text“, „der aus vielen verschiedenen begrifflichen Fäden gewoben ist und von divergie-

renden Traditionslinien durchzogen ist.“14 Entsprechend dieser Fäden und Linien unterscheiden

sich auch die Arbeiten zu „Ideologie“ als Begriff und Methode stark voneinander, indem sie die

unterschiedlichen Traditionen und Definitionen individuell gewichten und der Diskussion eigene

Begriffsdefinitionen oder Theorien hinzufügen. Den Begriff etabliert hatte Antoine Destutt de

Tracy im Jahr 1801: Ideologie sollte die „Wissenschaft von den Ideen“ bezeichnen, die – so wie

die Naturwissenschaften die Gesetze der Natur bestimmen – die Gesetze der Gedankenbewegun-

gen erforschen und erklären15. Mit dem Anspruch einer Wissenschaft – „logos“ – war der Begriff

selbst noch keine Bezeichnung von Ideen oder (falschem) Bewusstsein, wie er es später wurde,

sondern bezeichnete eine eigene Lehre. Der Begriff für eine Wissenschaft hat demnach eine Ver-

schiebung hin zu ihrem eigenen Gegenstand erfahren, in dessen Konsequenz „Ideologie“ die

Ideensysteme an sich bezeichnet und nicht mehr die Lehre dieser Systeme16. Der „Ursprung und

das Bildungsgesetz der Ideen“ sollen gemäß Destutt de Tracy untersucht werden, indem die

Ideen kontinuierlich auf diejenigen Empfindungen zurückgeführt werden, welche sie hervorge-

bracht haben17. Dieser sinnliche Ursprung von Ideen darf hier allerdings nicht mit einer Verzer-

rung durch Sinne verwechselt werden, wie es der bereits 1620 von Francis Bacon eingebrachte

Begriff „Idole“ nahe legt. Bacon verstand darunter die das Denken hemmenden, die Wahrheit

also verzerrenden Faktoren, von denen menschliche Erkenntnis befreit werden musste18. Weil

gemäß Bacon Macht nur mit wissenschaftlicher Erkenntnis einhergehen darf19 und er sich dem-

nach derjenigen Herrschaft entgegenstellt, welche auf zurückgehaltenen Wahrheiten fußt, spricht

12 Vgl.: Lenk: Ideologie S. 14. 13 Vgl.: Ziai: Entwicklung als Ideologie?, S. 11 14 Eagleton: Ideologie S. 7. 15 Vgl.: Ziai: Entwicklung als Ideologie?, S. 15. 16 Vgl.: Eagleton: Ideologie S. 77. 17 Vgl.: Barth: Wahrheit und Ideologie, S. 14. 18 Vgl.: Lenk: Ideologie, S. 14. 19 Vgl.: ebd., S. 15.

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Lenk davon, dass Bacon der Aufklärungsphilosophie des 17. und 18. Jahrhunderts entscheidende

Impulse gab20. Von diesem Bacon`schen Impetus aber, dessen Ideenbegriff das auch zeitgenös-

sisch vorherrschende Verständnis einer verzerrten falschen Wirklichkeitsvorstellung enthält,

muss Destutt de Tracys Theorie unterschieden werden. Denn auch wenn Destutt de Tracy eben-

falls Willkür und Beliebigkeit von Meinungen eliminieren und Wissenschaft von Religion, Me-

taphysik und Mythologie befreien wollte21, so gibt es wesentliche Unterschiede im Ideenbegriff,

die sich im Konflikt der Aufklärung zwischen Empirismus und Rationalismus spiegeln: Destutt

de Tracy geht von zweierlei Gewissheiten aus: Neben der Annahme, dass jede Idee sinnlichen

Ursprungs ist – wobei „Empfinden“ für ihn auch jegliches Denken und jede Reflexion umfasst22

– geht er davon aus, dass sich durch die Ideenanalyse eine am Vorbild der Mathematik entlehnte

Grammatik der Ideen erstellen lässt23, anhand welcher auch diejenigen Ideen, die für das

menschliche Zusammenleben grundlegend und demnach notwendig sind, erkannt und von Vorur-

teilen freigemacht werden können24. Auch wenn Destutt de Tracy herausarbeiten möchte und

dies im Sinne von Wahrheit beanspruchenden Erkenntnissen, wie Gesellschaft bestmöglich funk-

tionieren kann, redet er doch mit der sensualistischen Perspektive einem Subjektivismus das

Wort, so dass kein gültiges Wissen a priori oder eine anderweitige Instanz existiert, die Ideen

rechtfertigen beziehungsweise als unhinterfragbar gültig einsetzen. Damit folgt er dem Empiris-

mus, während die Vertreter des Rationalismus davon ausgingen, dass es Vorstellungen gibt, die

im menschlichen Bewusstsein bereits vorhanden sind, ohne aufgenommen oder selbst hervorge-

bracht worden zu sein. Die Vertreter des Empirismus lehnten solche eingeborenen Ideen ab, die

mithilfe einer „eigentümliche Objektivität“ eine objektive Wissenschaft begründen25.

Da sich die Aufklärungsphilosophen bewusst gegen die Kirche positionierten mit der Idee, gegen

eine von ihnen diagnostizierte Verschwörung der Priester gegen die Bevölkerung (Priester-

trugtheorie) vorzugehen und den Menschen zur Wahrheit zu verhelfen26, ist die Ideologie als

Wissenschaft selbst ein politischer Akt. Mit diesem Willen zur Befreiung des Wissens von den

Täuschungen der Mächtigen entwickelt Destutt de Tracy seine Theorie in aufklärender Absicht

und betreibt demnach „Wissenspolitik“, wie Maasen sie für die Ideologie- und Wissenstheorien

bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts als charakteristisch bezeichnet.27 Der Ideologiebegriff der

Aufklärung, der Wille zur Vernunft und zur reinen Erkenntnis prägen die Ideologie stark, bringen

20 Vgl.: Lenk: Ideologie, S. 14. 21 Vgl.: Mulder: Straight edge: Subkultur, Ideologie, Lebensstil?, S. 81. 22 Vgl.: Barth: Wahrheit und Ideologie, S. 17. 23 Vgl.: ebd., S. 16. 24 Vgl.: ebd., S. 20. 25 Vgl.: Schnädelbach: Kant, S. 22. 26 Vgl.: Lenk: Ideologie, S. 17; Ritsert: Ideologie, S. 33f. 27 Vgl.: Maasen: Wissenssoziologie, S. 18.

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7

sie gemäß Zima sogar maßgeblich hervor28. Dieser These kann auch deswegen gefolgt werden,

weil der Ideologiebegriff in der zeitgenössischen Diskussion nach wie vor zwischen diesen bei-

den Ansprüchen steht, die aus der Philosophie Destutt de Tracys und der Aufklärungsphilosophie

entwachsen sind: Ein wissenschaftlicher Anspruch der Analyse von Ideen, der zugleich auch

einen politischen Anspruch begründet und auf einem solchen aufbaut – nämlich die Möglichkeit,

falsches oder irrationales Wissen von richtigem rationalem Erkennen zu unterscheiden und sich

so dem Herrschaftswissen zu entledigen, das den Regierenden erlaubt, ihre Machtpositionen zu

festigen. Dies wird deutlich in der Betrachtung Eagletons, der diese beiden Perspektiven als die

zwei unterschiedlichen Traditionslinien der Ideologie betrachtet: Zum Einen die marxistische

Tradition, welche ein Konzept der Ideologie als Illusion, Verzerrung und Mystifikation entwirft29

und die nach Mulder auch die nachfolgenden Entwürfe der kritischen Theorien beinhalten30.

Zum Anderen die soziologisch ausgerichtete Tradition, die weniger den Wirklichkeitsgehalt von

Aussagen untersuchen möchte, als vielmehr deren gesellschaftliche Funktionen31, und aus der

schließlich seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Wissenssoziologie32 entsteht. Doch auch Letzte-

re bleibt zwar verbunden mit einem „politischen Programm“ und einer „aufklärerischen Aufga-

be“, indem kritische Zeitdiagnose betrieben wird33, entfernt sich aber von der bisherigen Ideolo-

giekritik, die Wissen „ex negativo“ als Täuschung auffasst34. Eingeläutet wurde dieses neue

Theoriefeld der Wissenssoziologie vor allem von Karl Mannheims 1929 veröffentlichten Thesen

zur Standortgebundenheit jedes Wissens, welche eine weite philosophische Entwicklung zuspitz-

ten35 und in einem Kontext von Historismus, Relativismus und Skeptizismus entstanden sind36.

Diese Entstehungsgeschichte bedeutet ein Klima von Verunsicherung hinsichtlich der Möglich-

keiten menschlicher Erkenntnis, die unter anderem Mannheims Thesen wiederum hervorbringen:

Gemäß Barth ist sich der Mensch bereits seit der griechischen Philosophie seiner Geschichtlich-

keit und der Veränderbarkeit philosophischer Systeme bewusst, jedoch entwickelt sich erst seit

der Mitte des 19. Jahrhunderts eine mit dem historischen Weltbild einhergehende Resignation

heraus37. Dies deshalb, weil sich ein göttlicher Plan nicht mehr zwingend als Letztbegründung

darstellt, sondern im Zuge der Aufklärung der transzendentale Zusammenhang verloren gegan-

gen ist, ebenso wie die Möglichkeit, einen solchen überhaupt mit dem menschlichen Bewusst-

28 Vgl.: Zima: Ideologie und Theorie, S. 15. 29 Vgl.: Eagleton: Ideologie S. 9. 30 Vgl.: Mulder: Straight Edge: Subkultur, Ideologie, Lebensstil?, S. 78. 31 Vgl.: Eagleton: Ideologie S. 9. 32 Vgl.: Maasen: Wissenssoziologie, S. 18. 33 Ebd., S. 30. 34 Vgl.: ebd., S. 17. 35 Vgl.: Barth: Wahrheit und Ideologie, S. 282. 36 Vgl.: Maasen: Wissenssoziologie, S. 20. 37 Vgl.: Barth: Wahrheit und Ideologie, S. 277.

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sein erfassen zu können38. So verlieren sich auch die Möglichkeiten einer absoluten Vernunft

oder die einer menschlichen Fähigkeit, mit dem Denken die Welt zu erfassen. Dilthey formuliert:

„Der letzte Erklärungsgrund der Welt ist […] die reine Faktizität.“ „Hinter das Leben kann das

Denken nicht zurückgehen.“39 Die Sinn- und Zielhaftigkeit des Seienden sowie der Glaube an

Fortschritt durch Vernunft oder Veränderungen in Denksystemen haben sich demnach aufgelöst,

es bleibt lediglich die Wahrnehmung dessen, was sich dem einzelnen Menschen zeigt. Damit

wird der Mensch, welcher vormals die Welt erfassen konnte, auf sich selbst und in die Grenzen

des Denkens verwiesen. In einer Ideologienlehre, in der das Irrationale das Rationale verdrängt,

der subjektive Wille die Vernunft40, unterstützen die klassischen Wissenssoziologen41 die Verun-

sicherung: Weil alles Denken aus einer bestimmten Perspektive entsteht und oder mit Interessen

oder Zielen versehen ist, weil Wissen untrennbar mit dem jeweiligen Sein verbunden ist42 und es

kein voraussetzungsloses Denken gibt, ist jedes Wissen standortgebunden und demnach ideolo-

gisch43. Die Wissenssoziologie konzipiert eine wissenschaftliche Analyse, mit der jedes Wissen

(nicht mehr wie bei Destutt de Tracy als „Ideen“ von den Naturwissenschaften ab- und damit

begrenzt) auf ihre Systematisierungen und ihre Perspektivität hin untersucht werden kann. Inso-

fern wird Ideologie auch nicht mehr als polemischer, sondern als wertfreier Begriff verwendet44.

Diese Veränderungen, wie sie mit Mannheims „Utopie und Ideologie“ beschienen werden, lösten

eine Schockwirkung aus45. Zur Diskussion stand nicht weniger als der Anspruch auf Wahrheiten,

die erkannt werden können. Geht Mannheim noch von der Möglichkeit aus, dass frei schweben-

de, nicht standortgebundene Intellektuelle Erkenntnisse treffen können46, greift die Analyse

durch die Wissenssoziologie schließlich auch auf die Konstruktion von wissenschaftlichem Wis-

sen zu, als sie sich im Zuge der 1940er und 1950er Jahre ausdifferenziert und zunehmend in die

soziologischen Theorien eindringt47. Sie trägt bei zu der Erkenntnisskepsis und der Krise der

Repräsentation, die seit den 1960er Jahren als Kennzeichen der Postmoderne bezeichnet wer-

den48. Neben der Wissenssoziologie haben sich auch z. B. sprachspieltheoretische, hermeneuti-

sche und pragmatische Ansätze herausgebildet49 – auch dies Theorien, welche die Möglichkeit

38 Vgl.: Barth: Wahrheit und Ideologie, S. 279. 39 Dilthey zit. n. Barth: Wahrheit und Ideologie, S. 279. 40 Vgl.: ebd., S. 281. 41 Gemäß Maasen sind das neben Karl Mannheim vor allem Èmile Durkheim, Marcel Mauss, Lucien

Lèvy-Bruhl, Max SchelerThormstein Veblen, George Herbert Mead (Vgl.: Maasen: Wissenssoziologie, S. 18–30.).

42 Vgl.: ebd., S. 24. 43 Vgl.: Eagleton: Ideologie, S. 10. 44 Vgl.: Lenk: Ideologie, S. 42. 45 Vgl.: ebd. 46 Vgl.: Ritsert: Ideologie, S. 67f. 47 Vgl.: Maasen: Wissenssoziologie, S. 31. 48 Vgl.: Mayer: Postmoderne/Postmodernismus in: Nünning: Literatur- und Kulturtheorie, S. 543. 49 Vgl.: Rechwitz: Die Transformation der Kulturtheorien, S. 22.

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einer Abbildung von Welt kritisieren. Die philosophische Haltung, welche die Postmoderne be-

dingt, ist der Poststrukturalismus. Dieser gründet sich auf den im Strukturalismus vorangegange-

nen linguistic turn50 sowie auf Kritik an strukturalistischen Grundannahmen51. Münkler und Ro-

esler gemäß ist der linguistic turn – die Rückführung der Erkenntnismöglichkeiten und der Kon-

stitution von Realität auf das System Sprache – die philosophische „Hauptidee des 20. Jahrhun-

derts“52. Beheimatet ist diese in den kultur- und geisteswissenschaftlichen Methoden des Struk-

turalismus, der in den 1920er Jahren von Ferdinand de Saussure ausgeht. Genauer wird auf des-

sen Theorie im nachfolgenden Kapitel eingegangen. Mit der poststrukturalistischen Entwicklung

der 60er Jahre53 finden in den Sozialwissenschaften Ende der 1960er und Anfang der 1970er

Jahre Verschiebungen statt, indem verstärkt kulturtheoretische Ansätze aufgenommen werden54.

Dies bedeutet, dass die Herstellung kollektiver Sinnsysteme, die Ordnungen von Wissen und

Symbolen etc. als konstituierend für die gesamte Sozialität anerkannt wird55. Für den Begriff

„Ideologie“ bedeutet die strukturalistische Fokussierung auf Sprache als unhintergehbares kon-

stitutives Moment von Realität56 eine Bedrohung. So stellt Ritsert seiner Einführung in die Ideo-

logie folgende Aussage vorweg: „Man könnte leicht auf die Idee kommen, „Idee“ sei seit antiken

Zeiten der Schlüsselbegriff der klassischen abendländischen Philosophie, bis dann zu unseren

Zeiten „Sprache“ an seine Stelle tritt.“57 Zwar verfolgt Ritsert diese Annahme nicht weiter, doch

macht er deutlich, dass der erfolgte Paradigmenwechsel einen neuen Schlüsselbegriff einführt,

der den bisherigen zu ersetzen vermag. Eagleton spricht sogar davon, zentrale Doktrinen post-

modernen Denkens hätten sich „zur Diskreditierung des klassischen Ideologiebegriffs verschwo-

ren“58. Auf dem Feld der Sprache ist es vor allem der Begriff „Diskurs“, der eine Erfolgsge-

schichte zu verzeichnen hat59 und den Ideologiebegriff endgültig ins Wanken bringt. Mit der Be-

deutung dieses Begriffs wird sich hinsichtlich der sich in ihm verschränkenden Begriffe Macht

und Wissen im Folgenden auseinandergesetzt.

II.1.2 Diskurs, Macht und Wissen

Die Frage nach Wahrheit und Erkenntnis und damit auch die Frage nach der Möglichkeit eines

falschen ideologischen Wissens60 erfährt anhand wissenssoziologischer Standortgebundenheit

50 Vgl.: Münkler; Roesler: Poststrukturalismus, S. 19. 51 Vgl.: ebd., S. 21. 52 Ebd. 53 Vgl.: Münkler; Roesler: Poststrukturalismus, VIII. 54 Vgl.: Reckwitz: Die Transformation der Kulturtheorien, S. 16. 55 Vgl.: ebd.: S. 16f. 56 Vgl.: Münkler; Roesler: Poststrukturalismus, S. 29. 57 Ritsert: Ideologie, S. 7. 58 Eagleton: Ideologie, S. 1. 59 Vgl.: Bublitz: Diskurs, S. 5. 60 Diese Ausschließlichkeit von wahrem und falschem Wissen ist nicht unumstritten. So spricht

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eine Dekonstruktion. An deren Stelle treten die Fragen danach, wodurch Wirklichkeit und Wahr-

heit konstruiert werden. Gewissermaßen wird Wissen, welches sich der eigenen Geschichtlich-

keit bewusst ist, über die Produktion von zeitlich begrenzten Wahrheiten geschaffen. Eine zent-

rale Antwort auf die Frage der Wirklichkeitskonstruktion findet sich in dem Begriff „Diskurs“,

wie ihn Foucault einführt, der ihn mit einem umfassenden Machtverständnis verbindet. Unter

einem Diskurs zu verstehen ist „eine Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssys-

tem angehören“61, die also einen Sinnzusammenhang ergeben, weil sie zu einem inhaltlichen

und oder formalen (Produktions-)Komplex gehören. Diskurs und Macht sind für Foucault nicht

voneinander zu trennen, weil Diskurse „Praktiken sind, die (allgemeinverbindliche) Wahrheiten

produzieren und so soziale Wirklichkeit konstituieren.“62 Das bedeutet, dass das, was gesagt und

geschrieben wird, nicht abbildet, was bereits existiert, sondern vielmehr das erst konstituiert, was

sich schließlich als Wirklichkeit zeigt. Wahrheit wird zur „Dimension und Wirkungsmöglichkeit

der Macht“63. Die strukturalistische Betrachtung von Sprache nach de Saussure ist dabei nicht zu

übersehen. Bedeutungen und Sinnzusammenhänge beschreibt er als der Sprache nicht äußer-

lich64. De Saussure stellt die Aufteilung des Zeichens in einen Signifikanten (Form, z. B. Wort,

das Beschreibende) und ein Signifikat (materielle oder sinnliche Komponente, das Beschriebene)

in ein neues Verhältnis zueinander. Ihm zufolge bildet der Signifikant nicht das Signifikat ab,

sondern eine Trennung zwischen beiden existiert nicht. Die Objektivität, etwas Vorhandenes

könne mithilfe von Sprache abgebildet und dargestellt werden, wird unmöglich. Beide, Signifi-

kant und Signifikat stellen Benennungen dar, welche auf Konventionen beruhen65 und demnach

der Bezeichnung nicht vorgängig sind, sondern aufgrund der Regeln des sprachlichen Systems

konstituiert sind. Bedeutung entsteht durch die Differenzen zwischen den Signifikanten66, also

im Gegenüber des Anderen der Sprache, nicht aber aus einem objektiven Gegenstand heraus67.

beispielsweise Eagleton davon, Wissen könne generell als standort- und zeitgebunden betrachtet werden und doch könnten zu bestimmten Zeiten manche Dinge „wahrer“ sein als andere (Vgl.: Eagleton: Ideologie, S. 63.).

61 Foucault: Archäologie des Wissens, S. 156. 62 Bublitz u. a.: Diskursanalyse – (k)eine Methode? Eine Einleitung, S. 11. 63 Vgl.: ebd. 64 Vgl.: Moebius; Reckwitz: Einleitung, S. 11. 65 Vgl.: Culler: Literaturtheorie, S. 85. 66 Vgl.: Münkler; Roesler: Poststrukturalismus, S. 4. 67 Die Konstruktion der Wirklichkeit durch Sprache meint aber nicht, Signifikant und Signifikat lediglich in

umgekehrter Reihenfolge aufeinander zu beziehen, wie es laut Eagleton Hindess und Hirst unzulässigerweise tun. Er prangert an: „Will man uns wirklich glauben machen, der Grund, warum die Leute die Konservativen wählen, sei nicht die Angst vor einer Verstaatlichung ihres Besitzes durch eine Labourregierung, sondern ihre Sorge um ihren Besitz entstünde erst dadurch, daß sie die Konservativen wählen?“(Eagleton: Ideologie, S. 246.) Diese Umkehrung ist nicht gemeint, wenn es um die Betrachtung der Verhältnisse als produktive Sprache geht. Die Verschiebung von Signifikant und Signifikat bedeutet, dass nicht das Sprechen und Schreiben über Besitz und die Gefahr der Verstaatlichung etwas beschreiben, dessen Realität lediglich vom Text oder den Sprechenden (den Parteien) interpretiert wird, sondern dass der Diskurs Beides hervorbringt. An diesem Beispiel gut zu erkennen ist, dass es viele Prämissen gibt, auf denen ein Diskurs gründet und durch dessen Transport ein Sprechen eben das (re)produziert, was gedacht und gesagt wird: Wie werden „Besitz“ oder „Eigentum“

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Soziale Realitäten erfassen zu wollen, kann darauf aufbauend nur bedeuten, sich dem Gesagten,

der Sprache zuzuwenden und gesellschaftliche Diskurse zu analysieren, um Erkenntnisse über

sie zu erhalten und die mit den Aussagen zusammenhängenden Machteffekte bzw. -positionen

aufzuzeigen. Was hierbei analysiert wird, ist das Wissen, welches durch das Gesagte und Ge-

schriebene, die Symbolik und die Praktiken erzeugt und transportiert wird. In Formen autoritären

Sprechens und in Verbindung mit Handlungen wird diese Produktivität der Zeichen auch Per-

formativität genannt: John L. Austin unterscheidet performative Sprechakte von konstativen Äu-

ßerungen. Letztere sind einfache Feststellungen, während performative Sprechakte sich durch

zwei Merkmale gekennzeichnet, nämlich dass: „(1) mit der performativen Äußerung etwas getan

und nicht bloß etwas gesagt sein sollte; und (2) die performative Äußerung glückt oder nicht,

statt wahr oder falsch zu sein.“68 Beispiele für performative Sprechakte sind für Austin bei-

spielsweise die Ehe („Hiermit erkläre ich Sie zu...“) oder die Taufe: Durch Worte werden hier

Handlungen begangen. Er weicht die Unterscheidung zwischen performativen und konstativen

Äußerungen allerdings nach und nach auf69. Im Butlerschen Sinne geht Produktivität von Spra-

che über diese von Austin anfangs formulierten performativen Sprechakte hinaus: Sprechen und

Bezeichnen bedeutet die Herstellung von Welt, ebenso wie das Angerufenwerden bedeutet, Sub-

jekt zu werden70. Butler definiert Performativität folgendermaßen:

„Performative Akte sind Formen autoritären Sprechens: Die meisten performativen Äußerungen sind zum Beispiel Erklärungen, die mit der Äußerung auch eine bestimmte Handlung vollziehen und eine bindende Macht ausüben [...] Wenn die Macht des Diskurses, das hervorzubringen, was er benennt, mit der Frage nach der Performativität verknüpft ist, dann ist die performative Äußerung ein Bereich, in dem die Macht als Diskurs agiert.“71

Dies macht des Weiteren deutlich, dass diejenigen, welche den Diskurs führen und Wissen gene-

rieren, die Macht haben, Wirklichkeiten entstehen zu lassen über die Zeichen beziehungsweise

über die Veröffentlichung der eigenen Wahrheiten. Unabdingbar ist es hier, auch das Machtver-

ständnis Foucaults zu betrachten, um dessen analytischen Zugang zu verstehen. Denn weil Dis-

kurse konstituierend sind, stellt sich die Frage, wer die Deutungshoheit der Wirklichkeit innehat.

Wer hat die Macht, den Boden der Realität für die Gesellschaft zu bereiten, ein gemeinsames

Verständnis über die Verhältnisse und somit auch eine Kommunikations- und Diskussionsgrund-

lage zu schaffen? Wie entstehen Verbote, Gesetze, Reformen und Revolutionen? Für die Arbeit

überhaupt erst zu einem Wert, einer sozialen Realität und schließlich zu einem gefährdeten Gegenstand, der verteidigt werden muss? Was wird unter den Begriffen verstanden und durch welche Geschehnisse wurde er eingeführt? Weshalb gilt „Besitz“ als natürliches Recht oder eben nicht? Wie wurde entlang der Produktion von Wahrheiten zum „Besitz“, also durch dessen Konstruktionen Wahlkampf geführt?

68 Austin: Zur Theorie der Sprechakte, S. 153. 69 Vgl.: ebd., S. 165. 70 Vgl.: Butler: Haß spricht, S. 15 71 Butler: Körper von Gewicht, S. 309.

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gibt das Foucaultsche Verständnis von Macht und Diskurs nicht nur einen Hinweis auf den Um-

gang mit dem Ideologiebegriff und damit zusammenhängend mit Wahrheit und geltenden Nor-

men, sondern bildet auch einen wichtigen theoretischen Rahmen, der ein Verständnis von Macht,

Unterdrückung und Widerstand gibt, welches nicht auf einseitiger Repression beruht, sondern

das Zusammenspiel der Ereignisse und der Wirkungen von Macht hervorhebt. Gerade für die

Analyse einer Universität als Produktionsort von Wissen ist dies besonders relevant, denn der

Diskursbegriff beinhaltet, dass Wissen und Macht miteinander Hand in Hand gehen.

Foucaults Verständnis gemäß wird der Diskurs nicht – wovon insbesondere Althusser in Formu-

lierung einer marxistischen Ideologietheorie ausgeht72 – von einer bestimmten Bevölkerungs-

gruppe, nämlich der herrschenden Klasse bestimmt, sondern wird ausgefochten zwischen den

Diskursteilnehmer_innen in einem „kriegerischen Verhältnis“73 durch immer wieder kehrende

Niederlagen und Siege. Mit dem Verständnis von Macht als Mikrophysik lehnt Foucault Macht

als besitzbar, lokalisierbar und repressiv ab. Weder kann Macht Eigentum sein74, noch ist sie

ausschließlich von dem Status der Menschen innerhalb der Gesellschaft abhängig75. Stattdessen

ist das gesamte soziale Feld und sind alle Aussagen, Gegenstände, Einrichtungen, Traditionen et

cetera mit Machtstrukturen durchzogen. Jeder Diskurs, ob von Seiten einer Regierung oder einer

Opposition, ist machtbeladen. So auch Widerstand, der für Foucault eine Form von Macht, nicht

aber das Gegenüber einer machtlosen und einer machthabenden Bewegung ist.76

Die Macht der Diskurse zeigt sich auch darin, dass es in Gesellschaften Mechanismen gibt, mit

denen diese im Zaum gehalten werden sollen. So beschreibt Foucault bei seiner Antrittsvorle-

sung am Collège de France im Jahr 1970 den Diskurs als etwas, das außerhalb der Kontrolle des

Menschen liegt77. Entgegen der Philosophie, die den Diskurs bisher nicht beachtet und das Spre-

chen sowie das Beschreiben der Welt in die Macht des Menschen gestellt hat78, stellt Foucault

diesen ins Zentrum: Die Wirklichkeit ist diskursiv erzeugt, demnach ist der Mensch kein be-

gründendes Subjekt, sondern lebt in vorgegebenen Bedeutungen79. Der Diskurs wird aber auch

geformt von einer Gesellschaft, beziehungsweise eingeschränkt und in Strukturen gedrängt: „Ich

setze voraus, dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selek-

tiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es

72 Vgl.: Althusser: Ideologie und ideologische Staatsapparate; Eine Gegenüberstellung von „Die Macht und

die Norm“ von Michèl Foucault und „Ideologie und ideologische Staatsapparate“ findet sich in: Steinert: Michel Foucaults Machtverständnis in 'Die Macht und die Norm' – ein Vergleich mit Louis Althussers 'Ideologie und ideologische Staatsapparate'.

73 Foucault: Die Mikrophysik der Macht, S. 115. 74 Vgl.: ebd., S. 114. 75 Vgl.: ebd., S. 115. 76 Vgl.: Sarasin: Michel Foucault zur Einführung, S. 153 77 Vgl.: Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S. 30. 78 Ebd., S. 10. 79 Vgl.: ebd., S. 32.

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ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen [...]“80. Diese Beschränkungen des

ansonsten wuchernden81 Diskurses werden jedoch nicht von einer Instanz aus kontrolliert. Son-

dern die Gesellschaft selbst bewertet sie, um sie zu kontrollieren und zu selektieren. Die Prozes-

se hierfür sind: Verbot, Entgegensetzung von Vernunft und Wahnsinn und Gegensatz zwischen

dem Wahren und dem Falschen. Letztere Unterscheidung ist das Ergebnis des Willens nach

Wahrheit82. Mit diesen Instrumenten werden Gegenstände tabuisiert, das Sprechen darf hier nicht

mehr stattfinden. Außerdem verlieren die Diskurse derjenigen ihren Wert, die als verrückt oder

als nicht normal bezeichnet werden. Unterschiedliche Diskurse gelten zu bestimmten Zeiten als

wahr, andere gelten als falsch und spielen in der Wirklichkeitskonstruktion der Gesellschaft kei-

ne oder eine die Wahrheiten begrenzende Rolle. So ergeben sich in Gesellschaften und auch in

Gruppen, die über eigene Sprachen und Wahrheiten verfügen (Foucault nennt hier u. a. wissen-

schaftliche Disziplinen83), Beschränkungen dessen, was legitim geäußert werden darf. So kann

auch Wissenschaft nach ihren Einschränkungen und Tabuisierungen befragt werden: Welcher

Duktus wird akzeptiert, wie muss etwas wissenschaftlich Sagbares aufbereitet sein und welche

Aussagen führen zu Ausschluss aus einem disziplinären Diskurs? Weitere, hier allerdings nicht

näher auszuführende Instrumente zur Einschränkung des Diskurses sind die Bannung von Ereig-

nis und Zufall84 sowie auch die Einschränkung der Teilnehmer_innen des Diskurses85. Auch

wenn Foucault Macht kleinteilig verortet, diagnostiziert er starke Kräfte, die Diskurse zügeln

wollen und gesteht auch den Staatsapparaten, also Institutionen, die Regierungen zuarbeiten,

beziehungsweise aufrechterhalten, organisieren, Menschen verwalten und erziehen et cetera ei-

nen Stellenwert im Spiel um Macht zu86. Hinsichtlich der Untersuchung einer Bildungseinrich-

tung, also einer Institution, innerhalb derer Menschen Wissen lernen, eine Form von Erziehung

genießen oder möglicherweise mehr als an anderen Orten formbar in ihrem Denken und in ihrem

zukünftigen Handeln sein müssen, ist aber vor allem ein weiterer Aspekt des Foucaultschen Dis-

kurs- und Machtverständnis relevant: Das der Subjektivierung durch Wissen, also die Regierung

von Subjekten, die in II.2 betrachtet wird.

Institutionen sind auch deswegen so relevant, weil sie Formen von Machtkonzentrationen dar-

stellen:

„Man kann Machtbeziehungen durchaus innerhalb bestimmter Institutionen analysieren. Das ist vollkommen legitim, denn diese Institutionen eröffnen besonders gute Möglichkeiten, die Machtbeziehungen in vielfältigen, konzentrierten, geordneten und zu

80 Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S. 10f. 81 Vgl.: ebd., S. 33. 82 Vgl.: Foucault: Die Ordnung des Diskurses, S. 11–30. 83 Vgl.: ebd., S. 22ff. 84 Vgl.: ebd., 17–25. 85 Vgl.: ebd., 25–30. 86 Vgl.: Foucault: Die Mikrophysik der Macht S. 110

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höchster Effizienz geführten Formen zu beobachten. Darum darf man erwarten, dort Form und Logik ihrer elementaren Mechanismen erkennen zu können.“87

Demzufolge spiegeln sich in Institutionen allgemeine Machtbeziehungen wieder, in „konzen-

trierter Form“ mit „höchster Effizienz“. Damit schreibt Foucault einer Institution innerhalb der

Gesellschaft eine Art Knotenpunkt zu, ein Gebilde, das die Form und die Logik gültiger

Machtmechanismen sichtbar – begreifbar – machen kann. Universitäten stehen demnach nicht

alleine für sich. Sie spielen vielmehr eine tragende Rolle innerhalb der Gesellschaft und somit

innerhalb der Machtmechanismen und der Machtkämpfe. Machtbeziehungen dienen zur „Re-

gierung“ von Menschen88. Am Beispiel der Universität wird dies deshalb besonders relevant, da

in der Moderne anhand von Wissen regiert wird. Ausführlicher dazu in II.2.

Gesellschaftliche Machtbeziehungen verändern sich ständig und sind nicht fest oder stabil. So

ist es Foucaults Anliegen, die historische Kontingenz der Machtmechanismen und -strukturen

aufzuzeigen89. Dazu führt er die Archäologie und die Genealogie von in Diskursen erzeugtem

Wissen ein. Archäologie als Methode, oder nach Foucaults Worten als Forschungsfeld90 bedeu-

tet91, die Fragen danach zu stellen, welches der Gesellschaft implizite Wissen das erst ermög-

licht, was sich als Kenntnisse, Institutionen und Praktiken zeigt. Er möchte untersuchen, wie

sich Wissen und Macht verbinden92 und als Diskurse die gesellschaftlichen Phänomene konsti-

tuieren. Hinsichtlich einer Institution gilt es demnach, diese anhand der Diskurse auf ihr Wissen

zu untersuchen, welches zu ihrer Beschaffenheit führt, da erst dieses Wissen – die Prämissen,

auf denen die Institution fußt – die Bedingungen der Möglichkeit dieser Institution ist. Die Ge-

nealogie, wie Foucault sie in Anlehnung an Nietzsche ausführt, ist stärker konzentriert auf die

Bedingtheit des Wissens, auf das Zusammenspiel von Macht und Wissen93. Unter Genealogie

ist eine Untersuchung der historischen Bedingungen des Erscheinens der Diskurse zu verstehen.

Foucault kontextualisiert die Gegenstände und Phänomene mit ihrer eigenen Geschichte und

relativiert sie, indem er ihre Veränderbarkeit und die Bedingungen ihres Entstehens aufzeigt.

Geschichte hat hier keinen Standpunkt außerhalb seiner selbst, kann keinen Anspruch auf Ob-

jektivität und Wahrheit geltend machen, hat nicht die Entdeckung von Entwicklungen und Kon-

tinuitäten zum Ziel, sondern dekonstruiert: „Der historische Sinn führt alles, was am Menschen

87 Foucault: Schriften 4, S. 288, zit. n. Volkers: Wissen und Bildung bei Foucault, S. 23. 88 Vgl.: Volkers: Wissen und Bildung bei Foucault, S. 25. 89 Vgl.: Ebd. 90 Vgl.: Foucault: Michel Foucault, >>Die Ordnung der Dinge<< (Gespräch mit R. Bellour), S. 15. 91 Dass Foucault die Archäologie schließlich als inadäquat ablehnt (Kammler: Michel Foucault, S. 199)

soll an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. Dies, da die vorliegende Arbeit Archäologie und Genealogie bereits als nicht trennbar erachtet und mit beiden Ansätzen gemeinsam arbeitet.

92 Wissen und Diskurse sind nicht deckungsgleich, sondern Macht und Wissen fügen sich in Diskursen ineinander (Vgl.: Bublitz: Archäologie des kulturell Unterbewussten, S. 9.).

93 Vgl.: Lemke: Eine Kritik der politischen Vernunft, S. 33; S. 55.

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als unsterblich galt, wieder dem Werden zu – und genau dies tut die wirkliche Historie“94. Ge-

nealogie bietet die Möglichkeit, eine Gewordenheit zu untersuchen, ohne damit eine Wesenheit

zu implizieren. Vielmehr wird eine Wesenheit, eine Natur oder ein Ursprung, eine „Reinform“,

zurück gewiesen95. Die Genealogie ergänzt die Archäologie insofern, als dass es nun möglich

ist, neben den Brüchen in Diskursen und dem Blick auf das Vorhandene zu untersuchen, wie

etwas zustande kam, woher Phänomene kommen, ohne jedoch eine Linearität oder eine Ent-

wicklung, die so und nicht anders sein kann, zu produzieren. Es geht dabei nicht nur um die

Frage, was historisch gesagt wurde, welche Aussagen also den Gegenstand bilden, so wie dies

Schwerpunkt der Archäologie ist96, sondern auch darum, welches Wissen unterdrückt, mit wel-

chen Mitteln Wissen erzeugt und durchgesetzt wurde etc. Dies ermöglicht, die Frage danach,

warum hier dieser Diskurs und kein anderer vorhanden ist, umfassend zu beantworten. Michel

Foucaults Schwerpunktverschiebung in der Form der Analyse bringt den Begriff „Regierung“ in

seine Theorien ein, mit dem er seine Mikrophysik der Macht ergänzt, indem er den Blickpunkt

hin zu der Zurichtung von Subjekten vornimmt und Analysen des Staates zum Thema macht97.

Diese Blickwinkel bilden das Fundament der vorliegenden Arbeit, die Fragen nach dem Auftre-

ten und der Herkunft der Selbstdarstellung der Leuphana Universität Lüneburg (LUL) stellen.

Eine Institution als Staatsapparat steht im Wechselverhältnis mit politischen Akteuren, ist Ort

politischer Machtausübung und Mittel von Regierung. Die Frage, warum an der Institution die-

ser und kein anderer Diskurs publiziert wird, ist demnach zugleich eine Frage danach, wie zu

der entsprechenden historischen Situation eine Gesellschaft regiert wird, um eben die Qualität

hervorzurufen, welche sichtbar wird. Die Arbeit wird demnach zum Einen die Frage danach

stellen, was gesagt wird, mit welchen Wirkungszusammenhängen und mit welchen Manifestati-

onen, und zum Anderen die Frage, woher das kommt, was geschrieben, gesagt und getan wird.

Die Perspektive auf das Regieren ist für alle diese Fragen relevant: Wie regiert die Institution

sich und ihre Subjekte? Anhand welcher Grundsätze sollen sich die Subjekte an der Leuphana

selbst regieren? Ausgehend vom Diskurs als Produzenten von Wissen und Techniken geht die

Arbeit davon aus, dass der Diskurs der Universität etwas produziert – und zwar das, was an

Vorstellungen und Zielen vorhanden ist. Diese Form der Selbst- und Fremdregierung wird der

Arbeit nachfolgend als weitere Grundlage der Analyse vorangestellt.

94 Foucault: Nietzsche, die Genealogie, die Historie, S. 179. 95 Vgl.: ebd., S. 169. 96 Vgl.: Lemke: Eine Kritik der politischen Vernunft, S. 38. 97 Vgl.: Lemke: Gouvernementalität, S. 1. Vgl.: Gertenbach: Die Kultivierung des Marktes, S. 19.

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II.2 Wissen und Regierung: die moderne Gouvernementalität

Wonach fragt eine Arbeit, wenn sie sich mit einer Institution beziehungsweise mit deren zeitge-

nössischen Prinzipien auseinandersetzen möchte? Was bedeutet es in der (Post-)Moderne, eine

Einrichtung wie eine Universität zu analysieren beziehungsweise dessen Diskurs, dessen Ziele?

Ein solches Vorhaben sucht nicht etwa nach der Art und Weise, wie eine souveräne Macht die

Individuen nach einem vorgegebenen und einheitlichen Bild erzieht. Sondern eine solche Unter-

suchung bedeutet, eine Regierung und Selbstregierung von Subjekten – den Menschen sowie der

Institution – zu betrachten, die etwas völlig anderes ist als das Unterwerfen der Individuen einer

Disziplin oder einer Gesetzestreue. Dies bedeutet vielmehr, eine Institution innerhalb einer poli-

tischen Rationalität zu betrachten, die bestimmte Mechanismen aufweist und die den Staat als

solchen sowie die Bevölkerung konstituiert und die Foucault „Gouvernementalität“ nennt, die

moderne Regierungskunst. Die Fragen also, wie Subjekte durch eine Institution regiert werden,

wie sie konstituiert werden und auf welche weitreichendere Rationalität die Diskurse verweisen,

diese Frage geht bereits selbst aus einer bestimmten gouvernementalen Vernunft hervor. Denn

die Vorstellung, dass etwas regiert und nicht lediglich diszipliniert wird, sondern geführt wird

entlang an etwas, setzt die Existenz einer Praxis von Regierung bereits voraus, die etwas anderes

bedeutet, als beispielsweise der Despotismus, in dem Subjekte Eigentum sind und insofern nicht

als zu Regierende auftreten, sondern als zu Beherrschende98. Im Folgenden wird deshalb der

Kontext der Institution, also die Möglichkeit ihres Entstehens betrachtet: Auf welcher Souveräni-

tät, welcher Politik, welchen Techniken des Führens basiert eine Institution im zeitgenössischen

System?

Foucaults Genealogie einer modernen Regierungsvorstellung ermöglicht es, näher zu fassen, wie

Subjekte und Diskurse, Praktiken, Macht und Wissen in der Moderne zusammenspielen und was

die vorliegende Arbeit zum Analysegegenstand hat. 1976 spricht Foucault zum ersten Mal von

einer Bio-Macht, die in der Moderne existiert99. 1978 und 1979 führt er in zwei Vorlesungen mit

Verweis auf diese Macht aus, wie Menschen in der Moderne regiert werden und sich selbst regie-

ren. Dafür setzt er den Begriff „Gouvernementalität“ ein, der den der „Bio-Macht“ schließlich

überlagert oder ihn zumindest in eine umfassendere Fragestellung einbindet100. Foucault konsta-

tiert Veränderungen, die sich zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert ereignen und welche

den Staat und die Bevölkerung hervorbringen, sowie eine bestimmte Art und Weise der Regie-

rung, die auf politischer Ökonomie und dem Sicherheitsdispositiv beruht – dazu nach einem kur-

zen Überblick über die Vorlesungen mehr. Seine Untersuchungen haben zur Grundlage, sich von

jeder Universalität frei zu machen und demnach einen „Staat“ nicht als gegebenes Denk- und 98 Zu Despotismus: Vgl.: Foucault: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 31ff. 99 Vgl.: Sennelart: Situierung der Vorlesungen. In: Foucault: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 527. 100 Vgl.: ebd.

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Verwaltungssystem hinzunehmen101. Sie beruhen auf der Analyse dessen, wie die Frage nach der

Führung zu einer gegebenen Zeit reflektiert, aufgearbeitet und analysiert wird – also auf der Ana-

lyse der „Regierungskunst“. Diese ist „die reflektierte Weise, wie man am besten regiert, und

zugleich auch das Nachdenken über die bestmögliche Regierungsweise.“102. Foucault stellt die

Frage sowohl nach der Entstehung der politischen Praxis sowie die nach der Subjektivierung der

Individuen durch die Entstehung einer Bevölkerung als Subjekt und Objekt zugleich. In der

zweiten Vorlesung „Die Geburt der Biopolitik“ nähert sich Foucault so den zeitgenössischen

Regierungskünsten des Liberalismus und des Neoliberalismus an. Foucaults Analyse und Kritik

des Regierens soll im Folgenden kurz skizziert werden. An die Darstellung des Diskurses der

LUL anschließend wird der Versuch einer Genealogie der Selbstdarstellung in einigen Aspekten

unternommen. Hierfür werden unter anderem Aspekte der zeitgenössischen neoliberalen Regie-

rungspraxis nach Foucault als Interpretationsmöglichkeiten für die Entstehung der Deutungsmus-

ter des Diskurses der LUL aufgeführt (Kapitel V).

Michel Foucault beginnt seine Vorlesung „Sicherheit, Territorium, Bevölkerung“ mit der Vor-

stellung des Strafbetriebs und dessen Geschichte, also mit einer Analyse dessen, wie sich das

archaische, das moderne und das zeitgenössische System von Verbot, Gesetz, Bestrafung, Über-

wachung, statistischer Erfassung zueinander verhalten103. Die Charakteristik des zeitgenössi-

schen Systems ist das Sicherheitsdispositiv: Die Menschen werden nicht nur anhand von Verbo-

ten reglementiert und bestraft (archaisches System) als auch anhand von Techniken und Appara-

ten überwacht (modernes System), sondern es werden neben den Fragen der Prävention und der

Rehabilitierung von Kriminellen auch die Fragen danach gestellt werden, „wie man im Grunde

einen Typ von Kriminalität, etwa den Diebstahl innerhalb solcher Grenzen hält, die sozial und

ökonomisch hinnehmbar sind und um einen Mittelwert kreisen, den man als, sagen wir, optimal

für ein gegebenes soziales Funktionieren ansehen wird“104. Als kriminell bestimmte Ereignisse

werden als Wahrscheinlichkeiten behandelt, welche innerhalb einer Gesamtökonomie zum Bei-

spiel hinsichtlich ihrer Kosten kalkuliert und so integriert werden sowie in Grenzen des Akzep-

tablen gehalten werden müssen105. Es werden auch Ereignisse verwaltet, die noch nicht stattge-

funden haben, um Sicherheit in Form von Voraussagen und Zahlenwerten herzustellen106. Im

Gegensatz zur Führung durch einen Souverän, zur Praxis der Bestrafung und der Planungen, um

Übertretungen zu verhindern, wird im System der Sicherheitsdispositive zusätzlich eine Ökono-

mie einer Gesamtheit und eine Herstellung von Zahlen, von Mittelwerten, verlangt und voraus-

101 Vgl.: Foucault: Die Geburt der Biopolitik, S. 15. 102 Ebd., S. 14. 103 Vgl.: Foucault: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, Vorlesungen 1–3. 104 Ebd., S. 18f. 105 Vgl.: ebd., S. 19. 106 Vgl.: ebd., S. 57.

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gesetzt. Das bedeutet – und darauf legt Foucault ab der vierten Vorlesung seinen Schwerpunkt –,

dass im zeitgenössischen Strafbetrieb eine Gesamtheit sichtbar und existent wird, die statistisch

erfassbar ist: die Bevölkerung. Diese zu verwalten und als zu regierenden Komplex von Wir-

kungsmechanismen zu erschaffen, ist die Bio-Macht, die Foucault diagnostiziert und in einer

genealogischen Untersuchung auf ihr Entstehen und ihre Bestandteile befragt: Bio-Macht ist

„das Ensemble von Mechanismen, durch die das, was in der menschlichen Art seine grundlegenden biologischen Züge ausbildet, in das Innere einer Politik, einer politischen Strategie, einer allgemeinen Machtstrategie eintreten kann, anders gesagt, wie die Gesellschaft, die modernen abendländischen Gesellschaften seit dem 18. Jahrhundert, der grundlegenden biologischen Tatsache Rechnung getragen haben, daß das menschliche Wesen eine menschliche Art bildet.“107

Diese Perspektive wird in der Moderne deswegen relevant und überhaupt möglich, weil im Si-

cherheitspositiv mit dessen Sicherheitstechniken eine bestimmte Realität der Menschenführung

erscheint. Diese rückt Foucault nun in den Mittelpunkt: Die Bevölkerung wird nicht als Menge

von individuellen und kollektiven juridischen Subjekten mit einem souveränen Willen relevant,

sie ersetzt also nicht den vormals herrschenden Souverän mit derselben Art von Souveränität,

sondern die Bevölkerung tritt in den Mittelpunkt von Führung als

„Gesamtheit von Elementen, in deren Innerem man Konstanten und Regelmäßigkeiten bis in die Ereignisse hinein feststellen kann, in deren Innerem man das Universelle der Begierde orten kann, die regelmäßig den Nutzen aller hervorbringt und für die man eine gewisse Anzahl von Variablen ausweisen kann, von denen sie abhängt und die geeignet sind, sie zu modifizieren“108.

Die Frage im Strafbetrieb ist es demnach nicht mehr vorrangig, wie bestraft wird (beziehungs-

weise wie Menschen von einem Souverän entlang einer gottgegebenen Norm von gut und böse

diszipliniert werden), sondern das Augenmerk liegt nun auf der Ortung, also der Analyse und der

statistischen Erfassung der Bewegungen der Gesamtheit der Menschen. Dabei werden die Fragen

danach wichtig, wie sich Arbeit, Lohn und Geldströme verhalten, die Gesundheit der Bevölke-

rung, deren Mortalität et cetera. Die Frage nach Regierung ist die nach der Lenkung dieser Ge-

samtheit: Wie kann durch die Analyse und die Reflexion, durch die statistische Erfassung dieser

Gesamtheit schließlich die Lenkung der Bevölkerung möglich sein, ohne dass man direkt auf

Menschen und ihr Umfeld einwirken muss, sondern die Einwirkung eben über die Variablen wie

zum Beispiel Geldströme, Exporte, Importe et cetera gestaltet?109 Die Gouvernementalität be-

treibt und beantwortet diese Perspektive des Fragens. Ausübung von Souveränität ist demnach

etwas von solcher Regierung einer Bevölkerung Grundverschiedenes110: Die Entwicklung von

107 Foucault: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 13. 108 Ebd., S. 114. 109 Vgl.: ebd., S. 108. 110 Vgl.: ebd., S. 103.

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Staat und Bevölkerung geht einher mit der Entstehung der politischen Ökonomie111, das heißt

mit einer Reflexion und Analyse von Regierung und Bevölkerung. Die Bevölkerung ist dabei

zugleich Subjekt und Objekt der Sicherheitsmechanismen112: das, was beobachtet, erfasst und

geregelt wird und das, was zugleich selbst die Kraft des Staates, dessen Reichtum und dessen

Selbstzweck darstellt113. Diese Perspektive korreliert gemäß Foucault gerade mit dem Aufkom-

men der Idee von nationaler Konkurrenz im 17. Jahrhundert114, so dass die Bevölkerung selbst

und nicht der Souverän das ist, worum sich bemüht werden muss und das, was bestimmte Rah-

menbedingungen braucht, um effektive Kraft im Gegenüber der Nationen zu sein. Hierfür

braucht es einen Versorgungsapparat, der zum Beispiel die Mittel zur Produktion bereitstellt, die

Emigration steuert et cetera. Die Bevölkerung wird als „Natur“ eingesetzt115 und die Regierung

als Garantie dafür, dass diese Natur bestehen bleibt und sich die Bevölkerung nicht stark in ihren

statistischen Mittelwerten verschiebt, sie hinsichtlich Wohlstand, Arbeit und Geburten so gestal-

tet ist, dass die Rahmenbedingungen gegeben sind für ein Zusammenleben und für Bedürfniser-

füllung von pluralistischen Individuen. Nur dann gilt die Regierung als rational: „Rational ist die

Kunst des Regierens dann, wenn sie die Natur dessen, was regiert wird, also die des Staates be-

achtet“116 Foucault bezeichnet diese Form des Herangehens an die Frage nach Regierung als

politische Technologie, denn das politische Wissen befasst sich nicht mit beispielsweise be-

stimmten Rechten von Menschen, sondern mit dem Funktionieren des zu regierenden Staates117.

Diese Veränderung in den Vorstellungen über Führung diagnostiziert Foucault als die Wandlung

hin zur Gouvernementalität, zur Kunst, „die Macht in der Form und nach dem Muster der Öko-

nomie auszuüben“118, also hin zu der Praxis, aufmerksam Individuen und Güter zu verwalten,

wie dies zum Beispiel in der Familie geschieht119. Dieses Verwalten bedeutet Regieren. Es ist

auf alle Institutionen und Praktiken erweiterbar und beschränkt sich nicht auf die Beherrschung

eines Territoriums oder von Untertanen. Foucaults Genealogie dieser Regierungsform kommt zu

dem Ergebnis, dass sich in dieser Gouvernementalität die politischen Fragen mit Ideen und Prak-

tiken aus dem Christentum verbinden: Mit der pastoralen Macht und der Gewissensleitung, auch

als Seelenführung bezeichnet. Ohne darauf umfassend einzugehen, sei an dieser Stelle kurz zu-

sammengefasst: Wie der Pastor für das Heil sowohl seiner gesamten „Herde“, als auch jeder ein-

111 Vgl.: Foucault: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 117. 112 Vgl.: ebd., S. 26. 113 Vgl.: ebd., S. 105. 114 Vgl.: ebd., S. 420; 427. 115 Vgl.: Foucault: Die Geburt der Biopolitik, S. 32f. 116 Foucault: [Staatsräson, Polizei] Die politische Technologie der Individuen, S. 49f. 117 Vgl.: Ebd., S. 51. 118 Foucault: Die Geburt der Biopolitik, S. 145. 119 Vgl.: ebd., S. 143; 151.

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zelnen Seele verantwortlich ist120, so sorgt sich auch die Staatsräson um die Bevölkerung, nach-

dem sich aus verschiedenen Gründen das Pastorat intensiviert und ausgedehnt hatte121. Die

christliche Pastoral ist insofern spezifisch, als dass sie eine Machtform ist, die mit der Aufgabe,

für das Heil zu sorgen, das tägliche Verhalten anhand ständiger Überwachung lenkt und eine

permanente Leitung des Gewissens als Mittel der Abhängigkeit einsetzt. So begründet das Chris-

tentum einen Typus „von individueller, erschöpfender, totaler und permanenter Gehorsamsbe-

ziehung“122, den es mit einem geheimen Wissen – über den Menschen und über das zum Heil

führende Wissen produziert. Diese Praktiken erfahren in der Krise des Pastorats im 16. Jahrhun-

dert eine Ausweitung. Dies unter anderem durch Gegenbewegungen zum Pastorat (wie werden

Menschen besser und sicherer geführt als im derzeitigen Pastorat,...). In der Folge entsteht eine

„spezifische politische Führungslehre“, so Bröckling123. Das Pastorat wird so in das römische

Reich deutscher Nation integriert: es werden Fragen nach der richtigen Leitung seiner selbst, der

Kinder, der Familie, des Haushaltes und des Staates gestellt. Diese Praktiken stellen für Foucault

das Präludium der Gouvernementalität dar124 und die Konstituierung des abendländischen mo-

dernen Subjekts125. Dieses Subjekt der neuen Form der Machtausübung wird zugleich individua-

lisiert und totalisiert: einerseits regiert das Pastorat durch die Seelenführung mit dem Ziel des

individuellen Heils und zugleich wird die Bevölkerung andererseits verwaltet anhand statisti-

scher Erfassung, welche zu Normwerten führt126. Die wachsende Individualisierung begründet

das Rechtssystem (Rechte für die Individuen) und andererseits bringt die Stärkung der Totalität

von Gemeinschaft das Verwaltungssystem – die staatliche Ordnung (Verwaltung des Gesamten)

– hervor127. In der politischen Rationalität des modernen Regierungsprogramms wird die Bevöl-

kerung zum Gegenstand der Politik128, was bedeutet, dass die politische Macht durch die statisti-

sche Erfassung „bis in die letzte Faser des Individuums“129 reicht.

Dies prägt auch die neue Gouvernementalität, die schließlich Mitte des 18. Jahrhunderts entsteht

und der sich Foucault vor allem in „Die Geburt der Biopolitik“ widmet. Diese bezeichnet

Foucault seit dem Liberalismus als modern. Liberale Regierungspraktik beruht auf der Annahme

einer Freiheit, die auch Maßstab von Regierung ist und diese begrenzt130. Ökonomie rückt ins

Zentrum politischer Regulierung und wird zum Verhandlungsort von Freiheiten. Markt und Staat

120 Vgl.: Foucault: Die Geburt der Biopolitik, S. 189. 121 Vgl.: ebd., S. 334. 122 Ebd., S. 266. 123 Bröckling: Nachwort in Foucault: Kritik des Regierens, S. 421. 124 Vgl.: Foucault: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 268. 125 Vgl.: ebd., 269. 126 Vgl.: Gertenbach: Die Kultivierung des Marktes, S. 22. 127 Vgl.: Foucault: [Staatsräson, Polizei] Die politische Technologie der Individuen, S. 61. 128 Vgl.: Duttweiler: Sein Glück machen, S. 18. 129 Miller: Die Leidenschaft des Michel Foucault, S. 441. 130 Vgl.: Lemke: Eine Kritik der politischen Vernunft, S. 252f.

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erfahren eine Trennung131. Auf dieser Grundlage, dieser neuen Natur, entsteht eine liberale und

schließlich eine neoliberale Form von Fremd- und Selbstregierung. Auf diese Ergebnisse

Foucaults wird in Kapitel V eingegangen. Zunächst aber soll der Regierungsbegriff als Perspek-

tive auf institutionelles Agieren und Diskurs dienen. So können Fragen in die Untersuchung ein-

fließen nach der Art und Weise, wie der zu analysierende Diskurs die Institution und die Subjekte

regiert. Wie bereits oben angesprochen, nimmt die Hochschule in dieser Regierung eine vielfäl-

tige Rolle ein, da das Wissen, auf welches sich die moderne Regierung stützt, aus der Wissen-

schaft kommt132. So steht die Universität mit dem Wissen um die geeignete Regierungspraxis in

Wechselwirkung, indem sie zugleich nach diesen Wahrheiten regiert, als Institution ebenfalls

regiert wird und zum Anderen selbst das Wissen hervorbringt, auf dem Regierung basiert. Die

Aussagen, die Universitäten in interne und externe Öffentlichkeiten transportieren, haben deswe-

gen besondere Aussagekraft über den jeweils gültigen Diskurs.

Ulrich Bröckling bezeichnet diese Hervorbringung des Subjekts durch die disziplinspezifische

Untersuchung des Subjekts als „Realfiktion“:

„Jedes soziale Subsystem »sieht« und personifiziert mithilfe seines spezifischen Rationalmodells spezifische menschliche Eigenschaften, und es »sieht« und personifiziert ausschließlich diese. Es »erfindet sich sozusagen seine eigene Sozialpsychologie« und verfertigt jene Akteure, die es als kommunikative Adressen benötigt, indem es sie als bereits gegeben unterstellt.“133

So entwerfen die Wissenschaften den Menschen, die Rationalität menschlichen Handelns nach

ihren Methoden und Logiken. Den Diskurs der LUL zu betrachten bedeutet deshalb auch, diesen

als Schaffenden zu betrachten, der das Subjekt hervorbringt, welches er zu beschreiben sucht.

Und dies nicht nur bezogen auf den Menschen, sondern auch auf die Institution und das gesamte

Weltbild, so wie es auch die Produktivität der Sprache und der Zeichen allgemein nahe legt. Eine

solche Betrachtung als Realfiktion wird auch von dem Kommunikationsvorgehen, welches aus

dem Diskurs der LUL sichtbar wird, unterstützt. (Dazu mehr in Kapitel III.) Das Wissen, welches

dieser Diskurs verbreitet und welches eine Wirklichkeit beschreibt, produziert somit eben diese

Wirklichkeit, indem durch diesen Diskurs beispielsweise Maßnahmen festgelegt, Ziele anvisiert,

die Institution umstrukturiert wird. Die Ergebnisse von Analysen erzeugen erst die beschriebene

Realität. Eine große Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Aussagen und Ontologie wird hier

deutlich.

Die bisher dargelegten Erkenntnisgrundlagen werden im folgenden Zwischenfazit als Grundla-

gen der Analyse formuliert. Dabei wird zum Einen die Frage nach dem Wahrheitsverständnis

131 Vgl.: Duttweiler: Sein Glück machen, S. 20. Vgl.: Gertenbach: Die Kultivierung des Marktes, S. 29. 132 Vgl.: Foucault: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung, S. 502f. 133 Bröckling: Das unternehmerische Selbst, S. 37.

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zugunsten des diskurstheoretischen Ansatzes aufgelöst und zum Anderen werden der Untersu-

chung einige Aspekte des Verständnisses von Macht, Institution und Subjekt vorangestellt.

II.3 Zwischenfazit: erkenntnistheoretische Grundlagen

Das Kapitel II.1 befasste sich mit Fragen nach Wissen, Wahrheit und Ideologie, dies ausgehend

von dem Verweis auf den politischen Gegenstand, mit dem sich die Analyse befasst und auf den

sie möglicherweise einwirkt, eine solche Einwirkung auch insofern zum Ziel hat, als dass sie

Kritik üben und ermöglichen möchte. II.3 stellt die aus der vorigen Darstellung folgenden er-

kenntnistheoretischen Grundlagen vor, welche der Analyse ein Fundament geben. Kurt Lenk

begreift Ideologie von deren Entstehung an als Begriff, anhand dessen herrschaftsstabilisierende

Ideen benannt und zurückverfolgt werden. Ihm zufolge war die Frage nach den Ideen immer

schon die Frage nach den Trugschlüssen und Idolen, welche wahre Erkenntnis verstellen134. Sei-

ne Arbeit betont deshalb vor allem Francis Bacons Idolenlehre sowie die Marxschen Lehre,

übergeht Destutt de Tracy beinahe vollständig und lehnt die Wissenssoziologie Karl Mannheims

aufgrund der Breite seines Ideologiebegriffs ab, da aus einem totalen Ideologiebegriff der kriti-

sche Charakter weiche135. Jürgen Ritsert betont im Gegensatz zu Lenk die Arbeit Destutt de

Tracys. Er ist stark auf ein repressives Machtverhältnis konzentriert und unterschlägt in seinen

Ausführungen zur Sprache weitestgehend die produktive Seite der Macht136. Weil er in seiner

Rezeption von Nietzsche, Foucault und Althusser nicht von einem negativen Machtbegriff ab-

rückt, versteht er deren allumfassendes Machtverständnis einzig als Zwang ohne Befreiungsmög-

lichkeit und lehnt ihn demnach ab: „Feststellungen und Festhalten von Befunden bedeuten keine

Gewaltakte“137 schreibt er zum Diskurs als Gewalt, ohne dabei Wahrheit und Macht im Sinne

Foucaults überhaupt erst als Entstehungsmöglichkeit von Aussagen zu betrachten. Ohne seine

vorigen dezidierten Darstellungen wie beispielsweise zur Sprechakttheorie und zu den verschie-

denen Kritiken und Widersprüchen beziehungsweise zu den Voraussetzungen des Ideologiebe-

griffs brauchbar zu machen, behält Ritsert den Begriff „Ideologie“ bei, ohne sich jedoch auf ei-

nen Ideologiebegriff zu verständigen138. Auch Eagleton liest Macht und Subjektivierung nach

Foucault vorwiegend negativ und übergeht den produktiven Charakter139. Zwar übt er Kritik am

Ideologiebegriff, scheint diesen aber mit dem Ziel der Befreiung der Subjekte als nötig zu erach-

ten und erhält ihn demnach aufrecht140. So ist Eagletons Begründung für den Ideologiebegriff

134 Vgl.: Lenk: Ideologie, S. 13f; S. 360f. 135 Vgl.: ebd., S. 357; S. 203ff. 136 Vgl.: Ritsert: Ideologie, S. 133f. 137 Ebd., S. 161. 138 Ebd., S. 232. 139 Vgl.: Eagleton: Ideologie, S. 59. 140 Vgl.: ebd., S. 1; 4.

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vorwiegend politisch begründet und stellt der Kritik an diesem keine ausreichende Entgegnung

gegenüber. So kann auch seine Absicht nicht überzeugen, Ideologie als „Wirkungskomplex in-

nerhalb des Diskurses“141 einführen zu wollen, da diese Betrachtungsweise eher auf eine histori-

sche Betrachtung wie von Foucault (zu welcher Zeit wurde welches Denksystem als Ideologie

bezeichnet) oder auf ein Ideologieverständnis gemäß Destutt de Tracy (zu welcher Zeit entstan-

den welche Ideen) verweist.

„Die Macht ist nicht inbegriffen in der Alternative: Gewalt oder Ideologie“142 schreibt Foucault

und weist damit ein ausschließlich repressives Verständnis von Macht zurück. Denn ein solches

bezieht die Rolle des Wissens nicht ausreichend mit ein und lässt somit eine Analyse der Funkti-

onsweisen von Macht nicht zu. Foucaults Ansatz, danach zu fragen, wie das Vorhandene und das

Wahre überhaupt erst als solches konstituiert wird, möchte Wirkungen und Mächteverhältnisse

aufzeigen. Die Unterdrückung des Wahren oder die Abwesenheit des Wahren durch Ideologiekri-

tik aber verschleiert eben diese Funktionsweisen und wahrt nicht mehr die archäologisch-

genealogische Distanz, denn sie „festigt und reproduziert den Glauben an das Primat des Be-

wusstseins und die Freiheit des Willens“143. Lemke bezeichnet diesen Glauben als Fiktion.

Denksysteme jedoch generell als Strukturen mit einer je spezifischen Logik zu betrachten, wel-

che das Wirklichkeitsverständnis bedingen, trägt dem Rechnung, dass Ontologie niemals a priori

vorhanden ist. Ideologie, also falsches und die Wahrheit unterdrückendes Wissen und Bewusst-

sein, lässt große Teile von Wissen und Macht im Dunkel, führt eine bestimmte Form von

menschlicher Natur ein und verirrt sich demnach auch als wissenschaftliche Analyse in den gän-

gigen opponierenden Politiken. Genealogie nach Foucault möchte zeigen, wie Ordnungen gemäß

spezifischer Rationalitäten des jeweiligen Regierungsprogramms entstehen144. Nur so kann bei-

spielsweise der Neoliberalimus als Formveränderung des gesamten politischen Körpers begriffen

und analysiert werden. Eine ideologiekritische Perspektive übersieht nicht nur diese Produktivi-

tät – und auch die von oppositionellen Ansätzen und von anderweitig wirkendem Wissen –, son-

dern gerät auch in die Gefahr, überhört oder vorwiegend als politisch verstanden zu werden.

Die vorliegende Arbeit lehnt den Ideologiebegriff ab und folgt der Auffassung, dass eine konse-

quente Anwendung des Foucaultschen Diskursbegriffs eine Aufrechterhaltung von Ideologie im

Sinne falschen Wissens oder Bewusstseins nicht möglich macht. Auch ein Ideologieverständnis,

welches Ideologie ohne festen Wahrheitsbegriff betrachte möchte, hilft nicht weiter, da dies zu

einem allgemeingültigen Verständnis von Ideologie führen würde, in dem alles ideologisch wäre

und Ideologie so mit dem Begriff „Wissen“ gleichgesetzt werden könnte. Des Weiteren wird der

141 Eagleton: Ideologie, S. 224. 142 Foucault: Die Mikrophysik der Macht, S. 118 143 Lemke: Eine Kritik der politischen Vernunft, S. 92. 144 Vgl.: Gertenbach: Die Kultivierung des Marktes, S. 35.

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Ideologiebegriff als derart politisch aufgeladen eingeschätzt, dass auch eine Neudefinition eine

Verwendung schwer möglich macht, weil sie die Gefahr mit sich bringt, dass die Auseinander-

setzung mit dem Untersuchungsgegenstand einer simplifizierenden Umdeutung komplexer theo-

retischer Begriffe in Schlagworte anheim fällt.

Freilich fehlerhaft wäre es allerdings, entgegen einer Ideologiekritik Wissenssoziologie und Dis-

kurstheorie als unpolitisch einzuführen. Ganz im Gegenteil bedingt jeder Ansatz, der die Bedin-

gungen von Wissen festlegt, politische Implikationen: Wie Foucault sagt, geht es in der moder-

nen Gesellschaft immer um eine Politik des Wissens145. Mit den Konzeptionen der Archäologie

und der Genealogie lassen sich der Wissenssoziologie weitere Verfahren hinzufügen146. Explizit

macht dies Reiner Keller, der aufbauend auf Foucault Diskurse als „strukturierendes Analysee-

lement in die Wissenssoziologie“ einführt, „sowie zur Beobachtungskategorie und zum For-

schungsgegenstand“ macht147. Behandelt Destutt de Tracy die „Ideen“, also die Welt des Geistes

gegenüber den Naturwissenschaften und möchte hiermit sowohl menschliche Natur als auch Ge-

sellschaft erklären, betrachtet Mannheim jegliches Denken als perspektivisch und entzieht somit

einer objektiven Erklärung von „Natur“ weitestgehend den Boden. Foucault schließlich erachtet

diskursive Formationen als das, was gesellschaftliche Wirklichkeit gänzlich konstruiert. Sein

Ziel ist es, Diskurse zu rekonstruieren148, um hierdurch eine umfassende Theorie von Gesell-

schaftsformationen zu ermöglichen149. Gemeinsam ist diesen Autoren wie auch vielen weiteren

Ideologiekritiker_innen, Wissenssoziolog_innen und Diskurstheoretiker_innen, dass sie den Zu-

gang zu dem, was ist, über eine Analyse des zunächst als immateriell Erscheinenden suchen –

Ideen, Wissen, Sprache, Diskurs – und deren Materialität deutlich machen. Die Frage dieser Wis-

senschaftler_innen nach der Möglichkeit von Erkenntnis erarbeitet fundamentale Aussagen über

den menschlichen Zugang zur Realität, die auch Letztbegründungen für die jeweiligen Weltver-

ständnisse abgeben: Wenn das Subjekt aus dem Zentrum entfernt und Wahrheit für ein diskursi-

ves Konstrukt erklärt wird, kann in dem Verständnis von „Existenz“ nicht mehr hinter diese

Grundannahme zurückgegangen werden. Dies zeigt auch, weshalb Aussagen auf dem Feld der

Erkenntnisfragen besonders politisch sind: So wie die Theorien Destutt de Tracys und Karl

Mannheims politische Implikationen aufweisen, so bringt auch der Begriff „Diskurs“ durch des-

sen unhintergehbare Annahmen politische Wirkungen hervor. Bublitz schreibt dazu: „Diskurs-

theorie erregt zum politischen Verdacht. Sie unterminiert offenbar nicht nur die etablierten Kate-

gorien und gängigen Unterscheidungen von Erkenntnis, sondern auch deren politische und nor-

145 Vgl.: Maasen: Wissenssoziologie, S. 39. 146 Vgl.: Bublitz: Archäologie und Genealogie, S. 27. 147 Vgl.: Kessler: Zur Politik der Anerkennung, S. 61. 148 Vgl.: Bublitz: Archäologie und Genealogie, S. 30. 149 Vgl.: ebd., S. 36.

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mative Optionen.“150 Bei den Ideologiekritiker_innen ist ein politisches – ein wissenspolitisches

– Fundament ebenso vorhanden, wie dies auch bei den Diskurstheoretiker_innen der Fall ist.

Eine Diskursanalyse darf deswegen nicht durch die ihr innewohnende Distanzierung vom Ge-

genstand als eine Befreiung der Wissenschaft von, das reine Wissen belastenden, Implikationen

angesehen werden. Die ausgewählte Methode ist somit auch die Grundlage der Betrachtung von

Realität und bedingt diese. Mit der radikalen Analyse der Historizität von Phänomenen, wie sie

die Genealogie ermöglicht151, ist bereits eine Basis gegeben, die eine kritische Haltung zemen-

tiert. Eine kritische Haltung allerdings, die selbst keine Rechtfertigung braucht, sondern – und in

diesem Sinne versteht Foucault sein Vorhaben als Bestandteil der Tradition der Aufklärung –

eine Art Ethos darstellt, immer wieder die Wahrheiten und Grundlagen zu hinterfragen, die

scheinbar nicht mehr befragt werden können152. Foucault versteht hier den Prozess der Analyse,

die er hier mit Kritik gleichsetzt, als unabgeschlossenen, niemals zu einem Ende kommenden

Prozess. Dieses Verständnis kennzeichnet auch den Bruch zwischen Strukturalismus und Post-

strukturalismus: Der Strukturalismus verweist zwar die Erkenntnismöglichkeiten auf die Struktur

der Sprache, doch gehen Vertreter_innen dieser Strömung davon aus, diese Struktur (die Unter-

schiede zwischen den Signifikanten) könne vollständig entschlüsselt werden. Anders der Post-

strukturalismus, der auch die Möglichkeit auflöst, diese menschlich gemachten und zugleich den

Menschen vorgängigen Systeme gänzlich zu erfassen. Die Sprache gilt so als offenes System,

„innerhalb dessen prinzipiell endlose Prozesse der Bedeutungszuschreibung ohne Relation zu

definiten Fixpunkten ablaufen“153. Diese Unkontrollierbarkeit in der Sprache kann als Minimal-

konsens des Poststrukturalismus gelten, der sich damit gegen eine „restlose Berechenbarkeit“

stellt154 – nicht nur der Sprache, sondern auch jeder anderen Struktur, da diese, hierin sind sich

beide Strömungen einig, gleich wie die Sprache gebildet sind155.

150 Bublitz: Diskurs, S. 13. 151 Vgl.: Saar: Genealogie als Kritik, S. 9. 152 Vgl.: Lemke: Eine Kritik der politischen Vernunft, S. 35. Dass Kritik seit der Aufklärung ein Ideal und die Fähigkeit zur Kritik als Tugend gilt, schreibt auch

Ralf Konersmann, vgl.: Konersmann: Kulturkritik, S. 7. 153 Münkler; Roesler: Poststrukturalismus, S. 31. 154 Zit. n. ebd. 155 Vgl.: ebd., S. 30.

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III. Methodik: Diskursanalyse und Gouvernementalitätsforschung

Der Poststrukturalismus ist in der Theoriebildung angekommen – und dies mittlerweile auch im

deutschsprachigen Raum, wo er zunächst sehr kritisch und nur im Bereich der Philosophie auf-

genommen wurde, während im englischsprachigen Raum bereits seit den 1980er Jahren eine

verstärkte und breitere Rezeption und Anwendung stattfand156. Ausgebaut wurden die Ansätze

von Foucault, Derrida, Deleuze, Lacan et cetera zu Instrumentarien, die kulturwissenschaftlich

orientiert sind und den Sozial- und Geisteswissenschaften zur Analyse dienen157. Die Dis-

kursanalyse ist eine grundlegende Methode dieser Entwicklung und mit der zunehmenden Aus-

dehnung poststrukturalistischer Ansätze rückt auch Foucaults Gouvernementalität in den Mittel-

punkt158.

Aus Archäologie und Genealogie Foucaults eine Methodik zu entwickeln ist schwierig und auch

umstritten. Die Foucaultsche Diskursanalyse wird von Reiner Keller beispielsweise als nicht

vorhanden beschrieben, weil es keine genaueren Angaben über Foucaults methodisches Arbeiten

gibt159. Gemäß Rabinow und Dreyfuß stellt die Archäologie keine Analyse dar, da sie nicht auf

isolierbaren Elementen gründet und keine höchsten Ordnungsprinzipien hat160. Die Unabschließ-

barkeit von Diskursen ermöglicht keine Basiselemente einer Theorie oder transzendentale Re-

geln161. Und auch Genealogie entspricht nicht bekannten Methoden. Dessen Aufgabe ist es, Di-

agnosen aufzustellen über Beziehungen von Macht, Wissen und Körper in modernen Gesell-

schaften und dabei jedoch keine Wesenheiten oder tieferen Gesetze auszumachen162. Vor allem

die Betrachtungen von Einzelfällen und Diskontinuitäten (III.1.2) bedeuten, den jeweiligen Un-

tersuchungsgegenstand abhängig von dessen spezifischen Inhalten zu gestalten. Methodik kann

deswegen nur begrenzt zur Anwendung kommen. Skepsis gegenüber festgelegter wissenschaftli-

cher Regeln formuliert Paul Feyerabend, wenn er von der „verdummenden Wirkung der »Gesetze

der Vernunft« oder der wissenschaftlichen Praxis“163 schreibt und die strenge Anwendung von

Methoden als hinderlich für Wissenschaft bestimmt, da unveränderliche Grundsätze gebrochen

werden müssen, um neue Erkenntnisse hervorzubringen164. An dem poststrukturalistischen Vor-

behalt gegenüber geschlossenen und festgelegten Denksystemen165 soll auch hinsichtlich des

156 Vgl.: Moebius, Reckwitz: Poststrukturalismus, S. 7f. 157 Vgl.: ebd., S. 8. 158 Vgl.: ebd., S. 10. 159 Vgl.: Keller: Diskurse und Dispositive analysieren, S. 4. 160 Vgl.: Dreyfuß; Rabinow: Michel Foucault, S. 81. 161 Vgl.: ebd. 162 Vgl.: ebd., S. 134f. 163 Feyerabend: Wider den Methodenzwang, S.31. 164 Vgl.: ebd., S. 35ff. 165 Vgl.: Münkler; Roesler: Poststrukturalismus, S. X; 34..

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vorliegenden Untersuchungsgegenstands festgehalten werden. Der Schwerpunkt im nachfolgen-

den Kapitel zur Methode der Arbeit wird deshalb darauf gelegt, sich anhand einzelner grundle-

gender Aspekte einer Systematisierung anzunähern. Thematisiert werden der Blick auf die eigene

Kultur, die Unausweichlichkeit von Interpretation und die Betrachtung eines Einzelfalls. Abge-

leitet daraus ergeben sich ein grobes Gerüst und ein Analyseverständnis für die Untersuchung der

Selbstdarstellung der LUL.

III.1. Ethnologie der eigenen Kultur: Eine Standortbestimmung

Die eigene Gesellschaft zu beobachten und Wahrheiten über sie zu produzieren bedeutet, in dop-

peltem Sinne dabei zu sein und mit bereits kulturell bedingtem Blick das eigene Umfeld zu un-

tersuchen. Wie ist hierbei wissenschaftliche Distanz und Methodik zu denken? Welcher An-

spruch kann an eine Analyse der eigenen Kultur und der eigenen Institution gestellt werden? Die

Ethnologie, die in ihrem Selbstverständnis zum großen Teil immer schon Kulturwissenschaft

gewesen ist166, und deren Veränderung in den letzten Jahrzehnten geben Aufschlüsse über ein

solches wissenschaftliches Selbstverständnis, weil sie sich mit den Grundlagen der Beobachtung

sozialer Prozesse auseinandersetzt. Sie hier zu befragen ist auch deshalb sinnvoll, weil die post-

moderne Krise der Repräsentation sowohl die Betrachtung des „Fremden“ als auch des „Nicht-

Fremden“ betrifft, gesellschaftliche Gruppen und soziale Phänomene in den letzten Jahren ver-

stärkt mit ethnologischen Methoden untersucht wurden167 und auch Michel Foucault fordert, die

Beobachtung der eigenen Kultur als Ethnologie zu begreifen168. Mit Clifford Geertz und der teil-

nehmenden Beobachtung soll hier ein Zugang zu der Beobachtung der eigenen Kultur bezie-

hungsweise eines Diskurses innerhalb der eigenen Kultur geschaffen werden, der schließlich die

Auswahl des Untersuchungsgegenstandes und die wissenschaftliche Herangehensweise begrün-

det.

III.1.1 Die Illusion von Objektivität

Wie auch Michel Foucault versteht Clifford Geertz Kultur als Text169 und meint damit eine Ab-

kehr von der kognitiven sowie der strukturalistischen Perspektive, Kultur als psychologische

Struktur (Goodenough) oder als universalistischen Mentalismus (Lèvi-Strauss) zu begreifen und

166 Vgl.: Reckwitz: Die Transformation der Kulturtheorien, S. 445; zu dem Einwirken der Ethnologie

auf die Kulturwissenschaften siehe auch Därmann: Statt einer Einleitung. Plädoyer für eine Ethnologisierung der Kulturwissenschaft(en). In: Därmann; Jamme (Hrsg): Kulturwissenschaften, S. 13.

167 Vgl.: Raufelder: Die Bedeutung des Lehrer-Schüler-Verhältnisses im Bildungsprozeß – Eine Ethnographie, S. 120.

168 Vgl.: Kögler: Michel Foucault, S. 36. 169 Vgl.: Reckwitz: Die Transformation der Kulturtheorien, S. 207 und S. 445.

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so in eine menschliche Natur hinein zu verlagern170 – eine Abkehr also von einem bewusstseins-

philosophisch gedachten Subjekt171. Foucault wie Geertz gehen phänomenalistisch vor172: Die

Erscheinungen – die kulturellen Praktiken – sind nicht in den Subjekten zu begründen, deren

Bedeutung ist vielmehr etwas Öffentliches und kollektiv Produziertes. Nur durch dieses Öffentli-

che, welches die Verständlichkeit garantiert, existieren Symbole überhaupt173, kann zum Beispiel

ein Zwinkern als ein solches verstanden und von einem Lidschlag unterschieden werden174. Kul-

tur ist somit ebenso „Ding an sich“ wie ein Felsen oder ein Traum und muss als eben solches

außerhalb eines Subjekts beschrieben werden. Geertz` Untersuchung, die Reckwitz zufolge das

interpretative Pendant zum neostrukturalistischen Foucault darstellt175, geht deswegen interpreta-

tiv vor:

„Ich meine mit Max Weber, daß der Mensch ein Wesen ist, das in selbstgesponnene Bedeutungsgewebe verstrickt ist, wobei ich Kultur als dieses Gewebe ansehe. Ihre Untersuchung ist daher keine experimentelle Wissenschaft, die nach Gesetzen sucht, sondern eine interpretierende, die nach Bedeutungen sucht. Mir geht es um Erläuterungen, um das Deuten gesellschaftlicher Ausdrucksformen, die zunächst rätselhaft scheinen.“176

Das Subjekt eingespannt und konstruiert durch Kultur bedingt eine Betrachtung der Bedeutun-

gen, nicht der Subjekte. Gesellschaftliche Formen und Bedeutungen sollen interpretativ unter-

sucht werden. Der Mensch ist zugleich verstrickt in den selbstgemachten Bedeutungen, wird also

durch sie konstituiert und produziert sie wiederum. Das Subjekt konstituiert sich die Welt über

Kulturelles, also über intentionale Sinnzuschreibungen177. So auch hinsichtlich des zu beobach-

tenden Diskurses: Dessen Betrachtung ist die Analyse eines übersubjektiven, allgemeinen Sinn-

musters, welches überhaupt erst das Kulturelle erschafft, die „formale Analyse der Bedingungen

des Erscheinens von Sinn“178.

Dabei wird die Neutralität von Wissensproduzent_innen und somit eine objektive Betrachtung

beziehungsweise Analyse von Kultur als Illusion entlarvt. Tyler schreibt:

„Der Drang, den Maßstäben szientifischer Rhetorik zu entsprechen, hat den unbeschwerten Realismus der Naturgeschichte zum dominierenden Modus ethnographischer Prosa gemacht, aber es war dies ein illusorischer Realismus, der

170 Vgl.: Geertz: Dichte Beschreibung, S. 17 und Reckwitz: Die Transformation der Kulturtheorien, S. 447. 171 Vgl.: Reckwitz: Die Transformation der Kulturtheorien, S. 264. 172 Vgl.: Maasen: Wissenssoziologie, S. 39 zu Foucault und Reckwitz; Die Transformation der

Kulturtheorien, S. 469 zu Geertz; In der Phänomenologie gibt es allerdings auch andere Ansätze. Foucault kritisiert solche phänomenologischen Perspektiven, die nicht die Handlungs- und Kommunikationsformen als Produkt übersubjektiver symbolischer Regeln beschreiben, sondern „die statt dessen an den Sinnzuschreibungen vorgegebener Subjekte ansetzen“ (Reckwitz: Die Transformation der Kulturtheorien, S. 265).

173 Vgl.: Reckwitz: Die Transformation der Kulturtheorien, S. 447. 174 Vgl.: Geertz: Dichte Beschreibung, S. 11f. 175 Vgl.: Reckwitz: Die Transformation der Kulturtheorien, S. 477. 176 Geertz: Dichte Beschreibung, S. 9. 177 Vgl.: ebd., S. 363. 178 Foucault 1974 zit. n. Reckwitz: Die Transformation der Kulturtheorien, S. 264.

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einerseits die Absurdität förderte, Nichtidentitäten wie »Kultur« oder »Gesellschaft« zu »beschreiben«, so als seien sie völlig beobachtbare, wenn auch etwas plumpe, Insekten, und andererseits den ebenso lächerlichen behavoristischen Anspruch, sich wiederholende Handlungsmuster losgelöst vom Diskurs zu »beschreiben«, den Akteure beim Konstituieren und Situieren ihres Handelns gebrauchen, und das alles in der einfältigen Sicherheit, daß der begründende Diskurs der Beobachter selbst eine objektive Form sei, die der Aufgabe der Beschreibung von Akteuren genüge.“179

Die Unmöglichkeit einer objektiven Beobachtung, einer objektiven Beobachter_innenposition

wird in Tylers drastischen Worten ebenso offensichtlich wie seine Einschätzung, dass vielmehr

erst die Beschreibung die Dinge hervorbringt. Dies weist das neuzeitlichen Prinzip „Aufklärung

durch Wissenschaft“180 zurück181 und folgt der Produktivität des eigenen Blickes. Auch Geertz

verweist die Wissenschaftler_innen auf sich selbst und macht das Beschreiben von Wahrheiten

zu einer Konstruktion des Eigenen. So sollte das jeweilige Gegenüber aus dessen eigener Logik

heraus beschrieben werden, es sollten die Deutungen des jeweiligen Systems verstanden werden,

um von den logikeigenen Zusammenhängen auszugehen182. Es gilt so, den Diskurs der Universi-

tät zu betrachten in den, dem Diskurs eigenen Zusammenhängen und Funktionsweisen. Untersu-

chungsgegenstand ist deshalb die Selbstbeschreibung der Institution Universität Lüneburg, da

diese die Grundlagen der „Leuphana“ aus der diskurseigenen Logik darstellt. Die Aussagen aus

den Texten werden auf ihre eigenen Zusammenhänge und Begründungen untersucht, um diese in

einem nächsten Schritt einer genealogischen Betrachtung zu unterziehen. Die Logiken des Dis-

kurses der LUL sollen dabei daraufhin befragt werden, wo sich diese Logiken in den gesell-

schaftlichen Diskursen finden lassen.

Welche Texte und Phänomene ausgewählt werden, ergibt sich ebenfalls aus der institutionseige-

nen Logik der Präsentationsweisen und -plattformen und der Veränderung der Hochschule: Das

zu untersuchende Material bezeugt einen Veränderungsprozess der Institution Universität Lüne-

burg, die sich ab 2007 einen neuen Namen, neues Logo, neues Studienmodell, ein Leitbild sowie

neue Organisationsstrukturen gibt. Die Neuausrichtung zur „Leuphana“ wurde im höchsten aka-

demischen Gremium, dem Senat, beschlossen, ebenso die Entwicklungsplanung, welche die

Neuausrichtung nachzeichnet und Veränderungen sowie Ziele für die Universität grundlegend

festhält. Die Ideen der Neuausrichtung werden in Broschüren, sowie auf einer nach der Ände-

rung des Außenauftritts neu gestalteten Internetseite der Öffentlichkeit vermittelt. Diese so nach

179 Tyler zit. n. Geertz: Die künstlichen Wilden, S. 132f. 180 Schnädelbach: Kant, S. 21. 181 Aufklärerisches Denken ist nach Foucault aber eine philosophische Frage, „die unserem Denken seit dem

18. Jahrhundert eingeschrieben ist“ (Kögler: Foucault, S. 2) und auf deren Prägung die heutigen Wissenschaften als solche bestehen. Foucault präsentiert sich als Vertreter der gegenwartsbezogenen Philosophie: Die Ontologie der Gegenwart versteht sich als eine selbst historisch bedingte Analyse der aktuellen Situation. Erkenntnis ist ein in der Zeit liegender Akt und versucht, die konkrete Struktur der uns bestimmenden Denkformen freizulegen (Vgl.: ebd., S. 3).

182 Vgl.: Geert: Dichte Beschreibung, S. 22.

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innen und außen kommunizierten Texte sind die Grundlage, um die spezifische Logik der Neu-

ausrichtung zu erfassen. Im ersten Schritt der Diskursanalyse kommt kein weiteres Material zur

Anwendung, so dass alle Interpretationen nur auf Aussagen basieren, die zentral unter dem Na-

men der Universität veröffentlicht wurden, oder auf den Präsentationen, die im Senat die Be-

schlüsse zur Neuausrichtung begleiteten.

III.1.2 Das Einzelne als Besonderes: Gegenstandsbezogene Betrachtung des Einzelfalls

Die Arbeit betrachtet eine Institution und deren Veränderung mit dem Ansatz, das „Ding an sich“

zu betrachten und so die „Leuphana“ in ihrer besonderen Qualität zu analysieren. Dieses Vorha-

ben ist gegenstandsbezogen und auf das Einzelereignis ausgerichtet. Mit diesem Ansatz orientiert

sich die vorliegende Arbeit an Michel Foucaults Vorstellungen wissenschaftlichen Arbeitens in

„Archäologie des Wissens“. In diesem Werk geht Foucault auf die „großen Geschichten“ ein, die

von und über Wissenschaften geschrieben werden. Er zeigt die Bedingtheit von Geschichte und

Wissenschaft auf, indem er die erkenntnistheoretischen Veränderungen in der Betrachtung von

Wissenschaft und Geschichte darstellt und eine eigene Methode zum Umgang mit Erkenntnissen

entwirft183. „Diskontinuität“184 ist der Begriff, mit dem Foucault die Veränderungen beschreibt,

die er auch mit seinem eigenen Ansatz unterstützt. Dem entgegengesetzt stehen Begriffe wie

Entwicklung, Mentalität, Geist, Evolution, Einfluß185. Dem zusammenhängenden Beschreiben,

den „großen Geschichten“ und dem Unterwerfen aller Einzelereignisse unter ein Prinzip steht

der Bruch, die Inkontingenz, gegenüber. Wissenschaftliche Ansätze, die Entwicklungen schaffen

und Mentalitäten konstruieren, werden aufgebrochen. Haben Historiker_innen lange Zeit die

Perioden in der Geschichte betrachtet, die linearen Abfolgen und Verbindungen zwischen Ereig-

nissen186, traten mit der Aufnahme der Diskontinuität Einzelereignisse, Brüche, Grenzen und

Abschnitte in den Fokus. Nach Foucault ist diese Denkart und Methode aber noch nicht ausrei-

chend in der wissenschaftlichen Arbeit aufgenommen187. Deswegen fordert er:

„Man muß erneut jene völlig fertiggestellten Synthesen, jene Gruppierungen in Frage stellen, die man gewöhnlich vor jeder Prüfung anerkennt, jene Verbindungen, deren Gültigkeit ohne weiteres zugestanden wird. Man muß jene dunklen Formen und Kräfte aufstöbern, mit denen man gewöhnlich die Diskurse der Menschen miteinander verbindet. Man muß sie aus dem Schatten jagen, in dem sie herrschen. Und ehe man sie spontan gelten läßt, muß man aus methodischen Erwägungen und in erster Instanz annehmen, daß man es nur mit einer Menge verstreuter Ereignisse zu tun hat.“188

183 Vgl.: Foucault: Archäologie des Wissens. 184 Ebd., S. 13ff. 185 Vgl.: Ebd., S. 33f. 186 Vgl.: ebd., S. 9 187 Vgl.: ebd., S. 34 188 Foucault: Archäologie des Wissens, S. 34f.

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In Anlehnung an Foucault geht es nicht um Kausalketten und Zusammenhänge, die gebildet

werden sollen, sondern darum, jeden Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zu hinterfragen und

nicht aufgrund seiner scheinbaren Plausibilität gelten zu lassen. Das, was jeder Wahrheit und

jeder Analyse vorausgeht – die Methoden, die Verbindungen – müssen hinterfragt und die Zu-

sammenhänge zwischen Diskursen aufgebrochen werden. Um nicht das Wiederholen des Ur-

sprungs189 und damit die Konstruktion dieses Ursprungs zu vollziehen, soll dem einzelnen Er-

eignis und der einzelnen Aussage Gewicht gegeben werden. Es gilt demnach, die Besonderheit

eines Ereignisses herauszustellen, um Beziehungen in ihm zu beschreiben, und außerdem, um

neue Einheiten beschreiben zu können, in denen die Ereignisse von bisherigen Einheiten befreit

werden190. Diese drei Ziele sollen erreicht werden durch eine reine Beschreibung diskursiver

Ereignisse191. Das bedeutet, dass Aussagen nicht durch Analyse von Sprachregeln192 und durch

Analyse von Denkstrukturen193 untersucht werden, sondern durch Analyse des diskursiven Fel-

des – mit den Fragen: „Wie kommt es, daß eine bestimmte Aussage erschienen ist und keine an-

dere an ihrer Stelle?“194 „Was ist das also für eine sonderbare Existenz, die in dem ans Licht

kommt, was gesagt wird, – und nirgendwo sonst?“195 Es wird nach dem Einzelereignis gefragt

und nach dessen Umständen. Bedingt durch diesen theoretischen Zugang wird sich Kritik in der

vorliegenden Arbeit eben darin zeigt, die Zusammenhänge und Geschichten, welche der Unter-

suchungsgegenstand aufweist, zu hinterfragen und nach dessen Erscheinen zu fragen. Zum An-

deren aber bedingt ein solcher Ansatz das Selbstverständnis, dass der eigene Text zu keinem

Zeitpunkt abgeschlossen sein kann und die Einheiten des Textes immer wieder aufgebrochen

werden können und sollen.

Wie Foucault es tut, gilt es demnach, sich zunächst negativ von dem zu befreien, was abgelehnt

wird196. So ist es nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung der Institution, die Geschich-

te der Universität zu schreiben und die besondere Qualität der „Leuphana“ aus der bisherigen

Hochschulentwicklung zu erklären.

Es wird des Weiteren auf die Themen verzichtet, welche den Fluss von Interpretationen, das Wu-

chern der Diskurse unmöglich machen, indem sie diese einem bereits manifesten Diskurs gegen-

überstellen, der neue Aussagen wirkungslos lässt197: Dies erklärt den Ansatz der Arbeit, den zu

untersuchenden Diskurs nicht im Vornherein einzubetten, zum Beispiel in die zeitgenössischen

189 Ebd., S. 34f. 190 Ebd., S. 43 – 46. 191 Ebd., S. 41. 192 Ebd., S. 42. 193 Ebd., S. 43. 194 Ebd., S. 42. 195 Ebd., S. 43. 196 Vgl.: ebd., S. 197 Foucault: Archäologie des Wissens, S. 39.

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Bedingungen einer Hochschule, in das Konzept der unternehmerischen Hochschule oder die ak-

tuelle Kritik an der Entwicklung einer europäischen Hochschullandschaft. Der Ansatz der Be-

schreibung bedeutet nicht, dass Hochschulen keinen Kontext haben, zu dem sie sich verhalten –

ganz im Gegenteil. Als Staatsapparate und Bildungseinrichtungen könnten sie innerhalb vielerlei

Abhängigkeiten analysiert werden. Es interessiert hier jedoch die Möglichkeit, das Besondere

des Einzelnen zu erkennen und aus den Aussagen der Institution selbst den Kontext sich entwi-

ckeln zu lassen. Geertz schreibt dazu: „Ethnologie besteht darin, dichte Beschreibung zu ermög-

lichen. Es werden keine allgemeinen Aussagen angestrebt, die sich auf verschiedene Fälle bezie-

hen, sondern nur Generalisierungen im Rahmen eines Einzelfalls.“198 Die Untersuchung der

Selbstdarstellung der LUL wird demnach nicht nach bestimmten inhaltlichen Parametern oder

gefiltert verlaufen, sondern sich in alle Richtungen frei entfalten. Das bedeutet auch die Verviel-

fältigung des Diskurses: Eine Aussage kann zu vielen werden, wenn deren Implikationen, Wort-

konstellationen, Bedeutungen aufgezeigt werden, die immer nur mögliche, niemals abgeschlos-

sene sind. Weil keine thematischen Einschränkungen erfolgen, wird die Vielfalt an Interpretati-

onsmöglichkeiten und Themen im Untersuchungsmaterial schließlich eingeschränkt durch die

Schwerpunktsetzung im Diskurs sowie durch die Bildung eigener Interpretationsrepertoires (sie-

he III.2) und durch Auslassungen.

III.1.3 Interpretatives Paradigma

Geertz` Ziel einer interpretativen Kulturtheorie, ohne das Subjekt wieder in den Mittelpunkt zu

rücken, basiert auf einer epistemologischen und gegenstandsbezogenen Ebene. Die Ethnologie

deutet den Ablauf des sozialen Diskurses, beschreibt diesen mikroskopisch199 und generalisiert

schließlich den Einzelfall200, betreibt also Rückschlüsse, Diagnosen:

„Diese Auffassung vom Funktionieren der Theorie in einer deutenden Wissenschaft legt nahe, daß die – wie immer relative – Unterscheidung der experimentellen Wissenschaften zwischen »Beschreibung« und »Erklärung« hier als – noch relativere – Unterscheidung zwischen »Niederschrift« (dichte Beschreibung) und »Spezifizierung« (Diagnose) wiederkehrt. Es wird also unterschieden zwischen dem Festhalten der Bedeutung, die bestimmte soziale Handlungen für die Akteure besitzen, und der möglichst expliziten Aussage darüber, was das so erworbene Wissen über die Gesellschaft, in der man es vorfand, und darüber hinaus über das soziale Leben im allgemeinen mitteilt.“201

Nicht nur, dass sich die Welt interpretativ zu eigen gemacht wird, die Wissenschaft kann sich

hier nicht ausnehmen: Ethnologie bedeutet ebenfalls Interpretation – zum Einen in der Erfassung

der Zeichen, ihrer Wiedergabe und schließlich in der Zusammenführung in einer Diagnose, dem

198 Geert: Dichte Beschreibung, S. 37. 199 Vgl.: ebd., S. 30. 200 Vgl.: ebd., S. 30. 201 Ebd., S. 39.

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„Woher“ und dem „Warum“ der Aussagen. Dreyfuß und Rabinow beschreiben Foucault als in-

terpretativen Analytiker, weil der Thematisierung seiner Untersuchungsbereiche eine Interpreta-

tion bereits vorausgeht. Entgegen des distanzierenden Effekts des Strukturalismus, den er in sei-

ner archäologischen Analyse aufrecht erhält, gelangt er zu einer interpretativen Dimension, wel-

che die Forschenden einbezieht als Menschen, die ebenfalls interpretieren und demnach die Be-

deutung ihrer kulturellen Praktiken aus diesen selbst heraus verstehen müssen. Auch wenn

Foucault Interpretation im hermeneutisch-objektiven Sinne ablehnt – Interpretation also mit dem

Ziel, verborgene Bedeutung aufzudecken202 –, so ist doch auch sein Forschungsprozess nicht

ohne Interpretation zu denken:

„Hat der interpretative Analytiker die Gefahr der Normalisierung festgestellt, so bedarf er einer Genealogie der Art und Weise, in der unsere Normen sich mit regulativer Vernunft verbunden haben. Der Genealoge sucht nach dem Moment in unserer Geschichte, in dem menschliche Wirklichkeit in ihren drei Dimensionen (Wahrheit, Macht, Ethik) zuerst dergestalt umgebildet wurde, daß ein Raum entstand, in dem sich die Art von Rationalität, die unseren gegenwärtigen Normen zugrunde liegt, ausbilden konnte.“203

Die Genealogie ist somit sogleich die Methode, die die Geschichte der Interpretationen aufzeigt

und die zugleich selbst Themen konstruiert. So werden die Darstellungen von Diskontinuitäten

und Einzelereignissen ergänzt um die Rückführung von Phänomenen in deren eigene Geschicht-

lichkeit. Der_die Untersuchende_r erfährt sich dabei als selbst durch eben diese zu untersuchen-

den Prozesse konstituiert204 und deshalb nie außerhalb dieser stehend205. Foucaults Ansätze als

interpretative Analytik unserer gegenwärtigen Situation zu verstehen bedeutet, Diagnosen zu

erstellen – wie dies auch Geertz befürwortet – die sich ihrer Historizität bewusst sind und zu-

gleich Interpretationen von Interpretationen sind, ohne ein Wesen erfassen zu wollen. Die vorlie-

gende Arbeit möchte die Deutungen der LUL ihrer eigenen Geschichte zuführen. Weil der Rah-

men der vorliegenden Arbeit eigene genealogische Archivarbeit nicht zulässt, werden unter-

schiedliche Theorien herangezogen, die Erkenntnisse für die Fragestellung versprechen. Die

Anwendung verschiedener Theorien ermöglicht es auch, mehrere Aspekte des Diskurses aufzu-

nehmen und so andere Perspektiven auf den Gegenstand, den Diskurs und dessen Bedeutung

sowie Entstehung zu werfen. Diese Perspektiven sind selektiv und nach dem interpretierenden

eigenen Blick ausgewählt, sowie aufgrund des Umfangs der Arbeit stark begrenzt (Kapitel V).

III.2 Die wissenssoziologische Diskursanalyse

Ausgehend von der Diskurstheorie Foucaults eröffnet sich ein breites Feld an fachlich speziali-

sierten Zugriffen, die als Diskursanalyse Sprache, Zeichen und Praktiken untersuchen. Da für die

202 Vgl.: Dreyfuß; Rabinow: Michel Foucault, S. 136. 203 Vgl.: ebd., S. 301. 204 Vgl.: ebd., S. 132. 205 Vgl.: ebd., S. 154.

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Auswahl einer Methode vor allem der zu untersuchende Gegenstand selbst maßgebend ist206,

können anhand des Textmaterials und der Frageperspektive Analyseformen ausgeschlossen wer-

den. Zum Einen solche, die sich vorwiegend mit dem Wandel von Sprache und Sprechweisen

beschäftigen – linguistisch-historische Diskursanalysen207 –, da diese nicht den Schwerpunkt der

vorliegenden Arbeit darstellen. Zum Anderen ermöglicht das Material auch die Zugriffe nicht,

welche sich mit den sozialen Bedingungen der Kommunikationssituation des Diskurses, also den

Kämpfen sozialer Gruppen um den Diskurs befassen möchten (Bourdieu)208, da der zu untersu-

chende Textkorpus einem institutionell eingerichteten Absender zuzuordnen ist – der Institution,

welche repräsentiert und angeleitet wird durch die hierfür legitimierte Hochschulleitung209 (Vgl.:

NHG §38(1).). Kampf um die Selbstdarstellung in Form der Universitätsbroschüren und Senats-

präsentationen können demnach lediglich innerhalb dieser Akteursebene stattfinden. Inhaltliche

Deutungskämpfe um die Neuausrichtung werden deshalb in den Texten nicht abgebildet, da die

für die gesamte Institution geltende Selbstdarstellung aufgrund der gesetzlich geregelten Zustän-

digkeiten nur zentral von dem gewählten Präsidium und nicht dezentral von unterschiedlichen

Gruppierungen innerhalb der Institution kommuniziert werden darf. Gesamtgesellschaftliche

beziehungsweise universitätsöffentliche Bemühungen um die Besetzung von Spre-

cher_innenpositionen bezogen auf das Erstellen dieser Materialien existieren aufgrund der gere-

gelten Kompetenzverteilung nicht. Demnach scheiden auch all diejenigen diskursanalytischen

Ansätze aus, die mediale Diskurse unter anderem in Massenanalysen hinsichtlich ihrer Akteure

und Metaphern nachzeichnen möchten (Gamson), die Konstruktion öffentlicher Probleme und

Themen einsehbar machen möchten (Gusfield) oder die eine Analyse dessen durchzuführen ge-

eignet sind, wie soziale Gruppen zu Trägern von Ideen werden und diese verbreiten (Wuth-

now)210. Des Weiteren bedeutet von der Ideologie Abstand zu nehmen auch, Methoden auszu-

schließen, die mit selbiger arbeiten, weshalb Siegfried Jägers kritische Diskursanalyse als Me-

thodik nicht geeignet ist.

Reiner Kellers wissenssoziologischer Ansatz erscheint für das vorliegende Material sowie für die

ausgeführten Grundlagen als unterstützend. Keller führt für sein Programm der Wissenssoziolo-

gischen Diskursanalyse Begriffe der Diskursanalyse – die er von der Diskurstheorie nach

Foucault abgeleitet hat – in die hermeneutische Wissenssoziologie ein211. Er möchte mit diesem

wissenssoziologisch-diskursanalytischen Programm ermöglichen, „Wissenspolitiken in instituti-

206 Vgl.: Jäger: Kritische Diskursanalyse, S. 159. 207 Vgl.: Keller: Diskursforschung, S. 22–26. 208 Vgl.: ebd., S. 35–37. 209 Vgl.: Niedersächsisches Hochschulgesetz (NHG) in der Fassung vom 26. Februar 2007 (Nds. GVBl.

2007, 69), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20.06.2012 (Nds. GVBl. S. 186). 210 Vgl.: Keller: Diskursforschung, S. 37–41. 211 Vgl.: Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse (2005), S. 228.

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onellen Feldern der Gesellschaft“212 zu untersuchen, was bedeutet, die Art und Weise zu rekon-

struieren, wie auf der Ebene von Institutionen und sozialen Akteur_innen Sinn und Bedeutung

entsteht. So nimmt er den Schwerpunkt Foucaults auf213. Damit stellt Keller die beiden für eine

Forschung nach Foucault zentralen Fragen: Zum Einen möchte Keller die Frage nach dem Ge-

sagten und Geschriebenen beantworten – warum taucht hier dieser Diskurs auf und kein anderer?

–, indem er nach den „Ursachen“214 der Konstellationen und der Prozesse der sozialen Konstruk-

tion von Sinn und Bedeutung fragt. Zum Anderen ermöglicht es die wissenssoziologische Dis-

kursanalyse auch, sich den diskursiven Praktiken und den Regierungsformen zu nähern, indem

sie die Frage nach den Wirkungen der Prozesse von Bedeutungsproduktion stellt und damit die

Foucaultschen Fragen nach der Materialisierung von Diskursivem und nach der Art und Weise

der modernen Regierung einbezieht. Regierung durch Diskurse ist bereits deswegen zentraler

Bestandteil Kellers, weil er davon ausgeht, dass Diskurse nur durch soziale Akteure existieren,

die den Diskurs produzieren, weil und indem sie ihre Interessen mit symbolisch-kulturellen Mit-

teln durchsetzen möchten215. Solches Durchsetzen der Individuen beziehungsweise solches

Kämpfen um die Deutungshoheit und Gestaltung von Leben verweist auf Materialisierung in

Form von Regierungspraktiken. Hieran schließt die egologisch-monothetische Perspektive an,

die Manfred Lueger vorstellt.216 Zwar wird der wissenssoziologischen Hermeneutik, wie Lueger

übertitelt, nicht hinsichtlich ihrer Absicht gefolgt, den „objektiven Sinn“ von Interaktion zu er-

schließen217, doch ergänzt sie Keller hinsichtlich der strategischen Diskursführung.

Im Folgenden wird die Anwendung der Perspektiven Kellers und Luegers skizziert sowie die

dichte Beschreibung des Diskurses integriert, die Geertz als zentral erachtet und die bei Foucault

als reine Beschreibung in der Archäologie relevant wird218. Befragt wird das Material danach,

auf welche Art und Weise die jeweiligen Diskursfragmente – Textbausteine – Bedeutung erlan-

gen. So werden Phänomenstruktur, Deutungsmuster und Interpretationsrepertoires mithilfe der

dichten Beschreibung gebildet, wie sie Reiner Keller als mögliche Analyseschritte für eine Dis-

kursanalyse vorsieht. Keller möchte auf diese Weise die Unhintergehbarkeit von Interpretations-

arbeit im Forschungsprozess reflektieren und methodisch kontrollieren219.

212 Ebd. 213 Vgl.: Zu den Schwerpunkten der Diskursanalysen im Anschluss an Foucault und die machttheoretischen

Arbeiten Foucaults: Angermüller; van Syk: Diskursanalyse meets Gouvernementalitätsforschung, S. 8f. 214 Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse (2005), S. 228. 215 Vgl.: ebd., S. 229. 216 Vgl.: Lueger: Interpretative Sozialforschung: Die Methoden, S. 217. 217 Vgl.: ebd., S. 216. 218 Vgl.: Foucault zit. n. Keller: Diskursforschung, S. 45 219 Vgl.: Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse (2001), S. 117.

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Phänomenstruktur

In Feinanalysen werden zum Einen die Diskursfragmente im Kontext des Gesamtdiskurses ver-

ortet. So wird die Struktur des Textkorpus klar, sowie die Struktur innerhalb der einzelnen Texte.

Das Phänomen „Selbstdarstellung der LUL“ wird aufgebaut anhand bestimmter Problemdiagno-

sen und Lösungspräsentationen, die den Gesamtdiskurs als Argumentationsketten mit verschie-

denen Absichten offenbaren. Die Aufschlüsselung der verschiedenen Dimensionen einer Proble-

matisierung bezeichnet Keller als Analyse der Phänomenstruktur220. In einer groben Skizze wird

die Phänomenstruktur des Textkorpus in IV.1 aufgezeigt.

Dichte Beschreibung und Interpretation

Die Diskursfragmente werden zunächst nacherzählt und als diskursive Ereignisse beschrieben.

Dies stellt bereits eine Interpretation dar, da die dichte Beschreibung auf der Frage gründet, wie

die jeweilige Aussage zu ihrem Sinn gelangt221. So wird versucht, die Implikationen, Auslassun-

gen und Widersprüche des jeweiligen Diskursfragmentes zu formulieren. Die dichten Beschrei-

bungen bilden eine nicht abgeschlossene und unüberschaubare Menge verschiedener Interpreta-

tionen. Mit Foucault gesprochen führt der Ausgangsdiskurs zu vielseitigen Wucherungen. In ei-

nem zweiten Schritt werden die Beschreibungen zu komprimierten Zusammenfassungen der

Aussagen der Diskursfragmente. So heißt es beispielsweise für das Diskursfragment „Die nächs-

ten 10 Jahre werden mehr Veränderung bringen als die letzten 10 Jahre. Annahmen über die

Entwicklung der europäischen Hochschullandschaft“222 in der dichten Beschreibung: • Die Beschreibung der „Ausgangssituation“ beginnt mit einer Feststellung über einen in der Zukunft liegenden

Zeitpunkt. • Die Aussage ist eine Feststellung über einen in der Zukunft liegenden Zeitraum und demnach eine Behauptung. • Es sind keine Belege für die Behauptung angeführt. • Es wird ein „mehr“ an Veränderung diagnostiziert, wobei nicht beschrieben wird, was das bedeutet, worauf

diese bezogen, beziehungsweise inwieweit darauf reagiert werden muss. • „Mehr Veränderung“ in der Hochschullandschaft bedeutet eine Situation, die als Ausgangssituation für die

Universität relevant ist / sein sollte. • Die Feststellung über die Zukunft der europäischen Hochschullandschaft und deren Betitelung als „Ausgangssi-

tuation“ bewirkt, dass diese Zukunftsbehauptung als sichere Aussage erscheint. • Die Feststellung, es werde ein „mehr“ an Veränderung in der Hochschullandschaft geschehen, beinhaltet als

Ausgangssituation die Notwendigkeit, mit diesen Veränderungen um- und mitgehen zu können. • Es wird impliziert, dass die Universität mit diesen Geschehnissen umgehen muss – und dies, bevor die Woge

der Veränderung (es wird mehr Veränderung geben als vorher unabhängig von dem Handeln und dem Zustand der Hochschulen) die Universitäten überraschend überrollt.

• Europa ist die Einheit und der Handlungsrahmen, auf den die Universität ihr Handeln beziehen muss.

Im zweiten Schritt wird der Inhalt hinsichtlich der Weise, wie die Aussagen Bedeutung erhalten,

zusammengefasst: • Die Zukunft der „nächsten 10 Jahre“ ist die entscheidende Grundlage und Perspektive für die Universitätsent-

wicklung • Die Zukunft ist sicher / ist die Ausgangssituation.

220 Vgl.: Keller: Diskurse und Dispositive analysieren, S. 14ff. 221 Vgl.: Foucault zit. n. Keller: Diskursforschung, S. 45. 222 UL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 3.

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• Die Zukunft ist durch beschleunigte Veränderungen gekennzeichnet. • Auf die Zukunft muss sich jetzt vorbereitet werden. • Der Blick muss auf die EU gerichtet werden.

Deutungsmuster

Anhand der Leitfrage, welchen Deutungen der Diskurs der LUL zugrunde liegt, werden die in-

terpretierten Diskursfragmente gebündelt und zusammengefasst. Dies reduziert die Pluralität und

Komplexität der Aussagen, macht die Ergebnisse der dichten Beschreibung aber zugleich hand-

habbar für eine aussagekräftige Interpretation. Mit der Verdichtung der Inhalte zu Prinzipien

werden viele mitschwingenden Stimmen, Hinweise und Töne aus der Analyse verbannt. Die

Prinzipienbildung dient vielmehr dazu, die Lesarten des Diskurses erneut zu begrenzen und die

Essenz der Interpretation zu erfassen. Dass eine solche Betrachtung aufgrund der Vielheit der

einzunehmenden Perspektiven und Beschreibungen eine nicht endende Zahl an Deutungen er-

möglicht, führt die notwendigerweise vorhandenen Leerstellen der vorliegenden Analyse erneut

der Kritik zu, so dass weitere Kritik der Kritik möglich wird. Die Bildung von Prinzipien folgt

der Erstellung von Deutungsmustern, unter die Keller das Erfassen dessen versteht, wie Aussa-

gen ihre Bedeutungen generieren anhand spezifischer Deutungen der Realität. Die Muster, auf

welche Weise dies geschieht, gilt es, herauszuarbeiten. „Der Begriff des Deutungsmusters be-

zeichnet damit grundlegende bedeutungsgenerierende Schemata, die durch Diskurse verbreitet

werden und nahe legen, worum es sich bei einem Phänomen handelt“223. Die sich hinsichtlich

der Produktion von Bedeutung abzeichnenden Muster, die die Diskursfragmente aufweisen, be-

stimmen in ihrer Zusammenstellung, ihren Abläufen und Überschneidungen den Sinngehalt des

gesamten Diskurses. Deutungsmuster entstehen historisch-interaktiv und bilden ein Muster, auf

welche Art und Weise die Wirklichkeit interpretiert wird224. Diese Muster werden kollektiv ge-

bildet und in Medien transportiert. Menschen orientieren sich an diesen „Grundmustern der Deu-

tung“225 von Wirklichkeit, werden von diesen angeleitet. Beispiele können alle sinnstiftenden

Einheiten wie Symbole, Bilder, Gesetze, Werte et cetera sein, die zugleich auch eigene Hand-

lungsanweisungen mitgeben und Regeln begründen226. Dabei müssen die einzelnen Elemente,

die das Muster ausmachen, nicht konsistent sein, es können vielmehr auch widerstreitende Werte

oder Aussagen zu einem Raster verbunden sein, anhand dessen Menschen die weltlichen Phäno-

mene als solche betrachten227.

223 Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 238. 224 Keller: Diskurse und Dispositive analysieren, S. 14. 225 Vgl.: Keller: Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 132. 226 Vgl.: Diskurse und Dispositive analysieren, S. 14. 227 Vgl.: Keller: Diskursforschung, S. 104f.

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Gefunden werden die Deutungsmuster durch die Kategorisierung der im zweiten Schritt der

dichten Beschreibung vorgenommenen Zusammenfassungen. Ein Beispiel (Facetten innerhalb

von Prinzipien werden durch „/“ vom Prinzip getrennt):

Tabelle 1: Prinzipien228

Interpretationsrepertoires

Um größtmögliche Aussagekraft zu erhalten, sowie, um Leitfäden und Zusammenhänge der Dis-

kursfragmente zu erstellen, werden in einem vierten Schritt Interpretationsrepertoires für die

thematischen Schwerpunkte erstellt. Interpretationsrepertoires sind nach Keller eine der Mög-

lichkeiten, typische Diskurselemente herauszuarbeiten. Sie sind „das typisierte Ensemble von

Deutungsbausteinen, aus denen ein Diskurs besteht“229. Interpretationsrepertoires dienen hier

aber nicht nur zur Zusammenfassung der Deutungsmuster, sondern dazu, zu beschreiben, wie

sich die Deutungsmuster im Diskurs verbinden, um übergeordnete Sinnzusammenhänge zu er-

zeugen. Bisher wurde mehrmals auf eine diskurseigene Logik hingewiesen, welche es zu analy-

sieren gelte. Diese Logik entsteht, indem unterschiedliche Grundmuster von Deutungen verbun-

den werden und so zu einem spezifischen Denksystem zusammenwirken. So wird der von Keller

vorgeschlagene Begriff Interpretationsrepertoire in der vorliegenden Arbeit genutzt, um diskurs-

typische Interpretationen zu erstellen, also Kausalketten, in denen einzelne Bausteine zusammen

spielen und so Begründungszusammenhänge und Diskursstrategien bilden. Diese Interpretations-

repertoires werden „in einzelnen Äußerungen mehr oder weniger umfassend aktualisiert“230. Die

Interpretationsrepertoires als Schwerpunkte des Diskurses werden in einzelnen Kapiteln ausge-

führt (IV.2–IV.5). 228 Eigene Darstellung. 229 Keller: Diskursforschung, S. 94. 230 Ebd., S. 64.

Beschreibende Interpretation Prinzip Kz • Die Zukunft ist sicher / ist die Ausgangssituation.

Zukunftsprinzip / Unausweich-lichkeit

I.1.3 I.1.6 I.1.7 I.1.8 I.1.9 I.1.10 I.1.16 I.1.18 I.1.20

• Die Zukunft ist durch beschleunigte Veränderungen gekenn-zeichnet.

Zukunftsprinzip / Unausweich-lichkeit

I.1.3

• Auf die Zukunft muss sich jetzt vorbereitet werden. Zukunftsprinzip / Unausweich-lichkeit / Bedrohung / Aktivie-rung Wettbewerbsprinzip / The win-ner takes it all

I.1.3

• Der Blick muss auf die EU gerichtet werden Wettbewerbsprinzip / Konkur-renz

I.1.3 I.1.4

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Die schriftliche Darstellung der Ergebnisse geht von diesem letzten Schritt – von den Interpreta-

tionsrepertoires – aus. So kann es dazu kommen, dass Anklänge der Deutungsmuster, die in den

Interpretationsrepertoires keine Rolle spielen, aus der Darstellung entfallen. Die Interpretations-

repertoires bilden den untersuchten Diskurs zwar ab, stellen aber unausweichlich eine Selektion

dar.

Diskursstrategien / Realfiktionen

Lueger hat die Absicht, eine idealisierte Perspektive einzunehmen und damit den Sinn der Äuße-

rungen auf ein Selbstverständnis der Sprecher_innen zurückzuführen. Daraus ergibt sich eine

Betonung der „Um-zu- und Weil-Motive“. Die egologisch-monothetische Perspektive fragt so

nach den Absichten und Zielen, die die Sprecher_innen haben. In der vorliegenden Arbeit soll

diese Frage aufgegriffen und auf den Diskurs angewendet werden: was wird gesagt, um eine

bestimmte Aussage zu begründen, und um damit auf eine bestimmte Art und Weise zu regieren?

Wie also werden Diskursstrategien gebildet und wirksam? Lueger möchte anhand dieser Per-

spektive Inkontingenzen in der Logik der Sprechenden aufdecken231. Die Frage nach der Wir-

kung und der Absicht spielen im Diskurs der Selbstdarstellung der LUL deswegen eine höchst

relevante Rolle, weil die Neuausrichtung der LUL bereits durch die Form der Texte und durch

die Absicht ihrer Erstellung sichtbar wird – sich darin materialisiert. Denn das Untersuchungs-

material ist nicht nur ein produktiver Akt, sondern auch ein bewusster, performativer Sprechakt,

wie ihn Butler bestimmt (S. 11): Denn die Kommunikation steht im Mittelpunkt der Neuausrich-

tung mit dem Ziel der verstärkten Außenwahrnehmung. Die Neuausrichtung ist ein Profil- und

Markenbildungsprozess. So dienen alle Inhalte der Selbstdarstellung bereits der Überzeugung

bestimmter Zielgruppen und sind für bestimmte Öffentlichkeiten verfasst.

Aufgrund dessen, dass alle Texte kommunikative Überzeugungsabsichten beinhalten, stellen sie

performative diskursive Praktiken dar und haben appellativen Charakter. Die Absichten schrei-

ben sich in die Texte ein als bestimmte kommunikative Muster der Aussageproduktion, die sich

textförmig materialisieren232. Die Marke „Leuphana“ entsteht anhand der kommunizierten Inhal-

te in Internetauftritten, Broschüren und Präsentationen. Die Selbstdarstellung der LUL verhält

sich als Realfiktion und erzeugt das Bild von Institution und Subjekten, welches es zu beschrei-

ben vorgibt. Luegers Ansatz ist für die Arbeit insofern relevant, als dass sie dieser Performativität

des Untersuchungsmaterials gerecht wird und es erlaubt, Diskursstrategien als solche zu erken-

nen.

Genealogie

231 Vgl.: Keller: Diskursforschung, S. 64. 232 Vgl.: Kellers Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 229.

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Für die Aussagen eines Diskurses wird Wissen aus dem „gesellschaftlich verfügbaren Wissens-

vorrat“233 aufgenommen und an dieses angeschlossen. So setzt sich etwas Gesagtes, Geschrie-

benes oder Getanes immer auch aus bereits Vorhandenem zusammen, das in dieser Form zu einer

eigenen Qualität wird. Bei der Leitfrage der Arbeit – warum dieser und kein anderer Diskurs –

wird insbesondere diese Zusammensetzung interessant: Welchen Wissens wird sich bedient, um

zu den diskurseigenen Feststellungen zu gelangen? Anhand des unterschiedlichen Materials und

der verschiedenen Themen, welche die LUL ausführt, kristallisieren sich Interpretationsreper-

toires als Schwerpunkte heraus, die in Kapitel V auf ihren impliziten Wissensvorrat befragt wer-

den. So greifen Untersuchungsgegenstand und Theorie kontinuierlich ineinander:

„So springen wir ständig von einer Seite auf die andere, betrachten das Ganze aus der Perspektive seiner Teile, die ihm zu Lebendigkeit und Nähe verhelfen, und die Teile aus der Perspektive des Ganzen, aus dem sie verständlich werden. Wie ein perpetuum mobile wollen wir ständig eins aus dem anderen erklären.“234

Vom Diskurs ausgehend wird so der Diskurs erklärt und zugleich bringen die herangezogenen

Theorien Perspektiven ein, die wiederum die bisherigen Analyseergebnisse ergänzen. Bei der

Wahl der Theorien wird vom Diskurs ausgegangen, von dessen Schwerpunkten und den Aspek-

ten, welche die Diskursanalyse als für das Verständnis relevante Knotenpunkte interpretiert.

III.3 Gouvernementalitätsforschung

Seit Mitte der 1990er Jahre wird die Gouvernementalitätsforschung Foucaults auch in Deutsch-

land von der sozialwissenschaftlichen Forschung aufgenommen235. Im anglo-amerikanischen

Sprachraum hatte sich mit den governementality studies bereits eine eigene Forschungsrichtung

entwickelt, deren Literatur mittlerweile unüberschaubar ist236. Mit der zweifachen Bedeutung

und Anwendung von Gouvernementalität sowohl als historisches wie auch als methodologisches

Konzept237 – also als inhaltliche Festlegung moderner Staatlichkeit im postdisziplinären Zeital-

ter238, als Bestimmung der Regierung des Selbst239, und zugleich als Gestaltung des Forschungs-

prozesses240 – geht es Foucault um

„die Frage, auf welche Weise, unter welchen Bedingungen und mittels welcher Mechanismen und Technologien sich »Ordnungen des Wahren konstituieren, die zur Grundlage dessen werden, was seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert als moderne

233 Kellers Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 229. 234 Geertz: Dichte Beschreibung, S. 301. 235 Vgl.: Keller: Nach der Gouvernementalitätsforschung und jenseits des Poststrukturalismus? S. 43. 236 Vgl.: Gertenbach: Die Kultivierung des Marktes, S. 11. 237 Vgl.: Angermüller, Johannes; Silke van Syk (Hg.): Diskursanalyse meets

Gouvernementalitätsforschung, S.9f. 238 Vgl.: ebd., S. 10. 239 Vgl.: ebd., S. 9 240 Vgl.: ebd., S. 15.

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Gesellschaft begriffen wird«“241.

Foucault schafft sich somit einen festen Bezugspunkt hinsichtlich dessen er analysiert: die Regie-

rung. Damit fügt er dem Diskurs die Regierung als historisch bedingte Existenz in seiner Analyse

hinzu, wobei das Regieren selbst ein spezifisches historisches Phänomen ist, während das Dis-

kursive (und die Dispositive – auf welche hier nicht eingegangen wird) die grundlegende Struk-

tur der menschlichen Wirklichkeit begründen. Mit dieser Erweiterung seiner Analyse verbindet

Foucault die Frage nach dem produktiven Diskurs mit der Frage nach dessen Entstehungsbedin-

gungen. Kritik hinsichtlich des Einsatzes des Gouvernementalitätskonzepts wird unter anderem

an einer Anwendung des Konzeptes geäußert, die ohne eine inhaltlich-konzeptionelle Weiterent-

wicklung der Gouvernementalität auskommt242. Diesen Vorwurf muss sich auch die vorliegende

Arbeit gefallen lassen. Um die Foucaultsche Perspektive für die vorliegende Analyse einnehmen

zu können, wird in der vorliegenden Arbeit jedoch dem Ansatz von Bröckling und Krassmann

gefolgt: Sie halten es für die diskursanalytische wie für die gouvernementale Perspektive für

fruchtbar, an weiteren sozialwissenschaftlichen Theorien oder Phänomenbeschreibungen zu pa-

rasitieren. Die Autor_innen grenzen sich mit dieser Vorstellung auch dagegen ab, aus dem gou-

vernementalen Verständnis eine Methode konzipieren zu müssen:

„Gouvernementalitätsstudien entwerfen weder »eine neue Gesellschaftstheorie oder eine alternative Theorie sozialer Prozesse« (Kocyba 2006: 138), noch verfügen sie über ein eigenständiges Methodeninventar. Sie bezeichnen eine Forschungsperspektive im wörtlichen Sinne: eine Art und Weise hinzuschauen, eine spezifische Blickrichtung. Ihr analytisches Potential entfalten können die Gouvernementalitätsstudien – abermals: wie auch Diskursanalysen – dann, wenn sie an sozialwissenschaftlichen Theorien parasitieren und diese zugleich irritieren, mit anderen Worten: wenn sie ein Korrektiv und keine neue Schule bilden. [...] [»; Anmerk.d.Verf.] Es geht um ein spekulatives Denken über die Regierung unserer Fähigkeiten und Vermögen und nicht um die Produktion lehrbuchfähiger Aussagen über das Funktionieren von Gesellschaften im Allgemeinen.«“243

Auf der Basis eines solchen Selbstverständnisses möchte die vorliegende Arbeit kein in sich ge-

schlossenes, generell anwendbares Konstrukt aufbauen. Die Interpretationen befinden sich in

dem Spannungsfeld einer Generalisierung des Besonderen auf die Ebene der neoliberalen Regie-

rungspraktiken und der Einzelfallbetrachtung des von der LUL gestalteten Diskurses. Eine Lesart

der Selbstdarstellung wird in Kapitel IV vorgestellt, in Kapitel V soll diese vertieft und mithilfe

mehrerer Perspektiven erweitert werden.

Weitere Deutungen und Kontextualisierungen sind im Anschluss an diese Arbeit möglich – und

notwendig –, um den Diskurs der LUL zu erfassen. Es soll keine Gesamtwertung des Diskurs- 241 Angermüller, Johannes; Silke van Syk (Hg.): Diskursanalyse meets Gouvernementalitätsforschung, S. 9. 242 Vgl.: Keller: Nach der Gouvernementalitätsforschung und jenseits des Poststrukturalismus? S. 43.;

Bröckling, Krasmann: Ni mèthode, ni approche, S. 32. 243 Ebd., S. 32f.

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raumes „Leuphana“ ausgesprochen und kein einheitlicher und in sich vollständiger Geist als Ur-

sprung der LUL gefunden werden. Ziel ist es, Querverbindungen zwischen Diskursen aufzuzei-

gen. Diese Querverbindungen decken keine Mentalität auf, sondern betrachten einzelne Aspekte

und ihr Zusammenwirken. Der Anspruch ist es, die Aussagen der „Leuphana“ in ihren festen

Zusammenhängen aufzubrechen und Aussagen zu treffen, die Erweiterungen möglich machen.

Die Perspektive auf Regierung wird von Beginn an eingenommen und bringt es mit sich, die

Institution als produziert wie auch als produzierend zu betrachten.

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IV. Die Selbstdarstellung der Leuphana

Nachfolgend wird die Konstruktion „Leuphana“ anhand der von der Institution veröffentlichten

Dokumente sowie von im Senat zur Neuausrichtung vorgetragenen Dokumente analysiert. Der

gesamte Datenkorpus beinhaltet 33 Dokumente: vier Broschüren, dreizehn Präsentationen, zwölf

Unterseiten der Internetseite und vier weitere Textdokumente. Dieser Diskurs wird als die

Selbstdarstellung dessen verstanden, was ab 2007 die Marke „Leuphana“ kennzeichnet. Manche

dieser Materialien sind sich sehr ähnlich, da sich ganze Textausschnitte, Folien oder Seiten wie-

derholen. Zunächst beschreibt IV.1 die Phänomenstruktur und weitere Aspekte der formalen und

sprachlichen Struktur244 der Selbstdarstellung. Anschließend stellt der Text in IV.2 ausgehend

von Interpretationsrepertoire I die grundlegende Funktionsweise des Diskurses dar: die Diskurs-

strategie anhand der Einführung von „Wettbewerb“. Die daraus folgende Profilbildung wird in

IV.3 zusammengefasst. Die grundlegenden Vorstellungen und Ziele, welche die LUL kommuni-

ziert, werden in IV.4 und IV.5 in ihren Deutungsmustern aufgeführt.

Es wird entlang der Frage, wie der Diskurs der „Leuphana“ seine Bedeutung erhält, nach den

zugrundeliegenden Mustern des Verständnisses gefragt. Das Kapitel enthält dabei keine umfas-

sende Vorstellung aller Diskursfragmente und beachtet diese nicht gleichermaßen, sondern ge-

mäß der aus dem Diskurs hervorgehenden Schwerpunkte.

IV.1 Formale und sprachliche Struktur

IV.1.1 Phänomenstruktur

Der Textkorpus kann entsprechend seiner Verwendungsabsicht in zwei Gruppen unterschieden

werden245.

Gruppe eins, welche die frühen Texte (vorwiegend aus dem Jahr 2006) beinhaltet, fasst die Texte

zusammen, die – mit einer Ausnahme – vor der öffentlichen Bekanntgabe der Neuausrichtung

entstanden sind. Sie bestehen aus Präsentationen zur Planung und Beschlussfassung im Senat

sowie zur hochschulöffentlichen Präsentation und zur Dokumentation der Neuausrichtung. Sie

zeigen die Argumentationslinien, auf welchen die Neuausrichtung basiert. Einige dieser Grund-

lagen werden auch in späteren Präsentationen der zweiten Textgruppe wiederholt246, doch dienen

244 Keller schlägt eine solche Analyse als ersten Schritt vor (Vgl.: Keller: Diskursforschung, S. 96). 245 Vgl.: Auflistung des Textkorpus im Anhang. 246 Zum Beispiel: Die Annahmen über die Entwicklung der europäischen Hochschullandschaft, die elementar

sind zur Begründung der Notwendigkeit einer Neuausrichtung, werden in der ersten Präsentation „Erste Grundsatzdiskussion“ (der Senatspräsentation vor der Grundsatzentscheidung) angeführt (Vgl.: UL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 3). und dienen auch in den öffentlichen Präsentationen im Anschluss an den Beschluss zur Neuausrichtung als Begründung (Vgl.: LUL: Das Beispiel Lüneburg (2008), S. 3; LUL: Universitätsentwicklung Kennzahlen 2006–2010, S. 2; LUL: Campusentwicklung 2012 (2010), S. 8).

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sie in Gruppe eins der Grundlagenentscheidung im Senat der Universität Lüneburg und der in-

ternen Vorstellung und somit der Überzeugung eines Gremiums sowie der Hochschulöffentlich-

keit von der Notwendigkeit und der Ausgestaltung der Neuausrichtung sowie von dem derzeiti-

gen Stand der Universitätsentwicklung.

Die ersten fünf der sieben Dokumente in Gruppe eins stehen in thematischem sowie in zeitli-

chem Bezug zueinander: Nach einer „Ersten Grundsatzdiskussion“ zu der Umstrukturierung der

Universität (31. Mai 2006) findet im Senat die „Grundsatzentscheidung“ zur Neuausrichtung

(05. Juli 2006) statt. Die Umsetzung dieser Entscheidung zur Neuausrichtung wird in der „De-

taillierungsphase“ präsentiert: Eine Senatsvorlage enthält die Vorstellung der Kompetenzvertei-

lungen und der Arbeitsgruppen zur Neuausrichtung (19. Juli 2006), eine darauf folgende Senats-

präsentation bereitet weitere Entscheidungen zum College, zur Graduate School (15. November

2006) und zur Außendarstellung (23. November 2006) vor und bildet diese ab.

Diese fünf Dokumente wurden dem Senat und der Hochschulöffentlichkeit von den Verantwort-

lichen – meist von der Hochschulleitung – vorgestellt. Das Präsidium präsentiert dem Senat

Gründe für Umstrukturierungen, Problemdiagnosen und Vorschläge für eine Neuausrichtung,

bereitet Beschlusstexte vor und plant den gesamten Vorgang der Umstrukturierung.247 Die Funk-

tion dieser Senatspräsentationen ist deshalb eine zielgruppenspezifische, nämlich die Aufberei-

tung von Inhalten für das interne Gremium Senat sowie für die interne Öffentlichkeit zum Zeit-

punkt des Prozesses sowie in der Nachbetrachtung als Dokumentation248.

Zwei Dokumente der Gruppe eins schließen zeitlich nicht unmittelbar an, aber gehören dieser

thematisch an: Das frühere der beiden Dokumente ist eine Präsentation zum Stand der Universi-

tätsentwicklung. Diese Präsentation diente – dies legt der Inhalt nahe – der Vorstellung vor

Hochschulöffentlichkeit am 15. Oktober 2007249. Bei dem zweiten Dokument, der Entwick-

lungsplanung, handelt es sich nicht um eine Präsentation, sondern um ein Textdokument. Dieses

wurde in seiner Gesamtheit am 09. Juli 2008 vom Senat beschlossen und stellt eine weitere

Grundsatzentscheidung dar. Sie enthält Beschlüsse über die Ziele, die Strukturierung sowie die

Studienprogramme und Forschungsprogramme der Institution für die folgenden Jahre ab 2008.

Die Funktion der Entwicklungsplanung ist im Niedersächsischen Hochschulgesetz geregelt: Die

„Grundzüge der Entwicklungs- und Leistungsziele“ dienen zur „Grundlage für Zielvereinbarun-

247 Die Verteilung der Verantwortlichkeiten für die Arbeitsgruppen zeigt dies: Bis auf zwei Bereiche, welche

jeweils studiengangsspezifisch sind, werden alle Bereiche der Umstrukturierung zur leitenden Funktion dem Präsidium zugeteilt (Vgl.: UL: Humanistisch Nachhaltig Handlungsorientiert (19. Juli 2006), S. 2.)

248 Alle der analysierten Senatspräsentationen sind im Intranet der Hochschulöffentlichkeit unter dem Oberbegriff „Universitätsentwicklung“ – „Neuausrichtung“ zugänglich. Sie dienen somit der Dokumentation der Neuausrichtung.

249 Die Präsentation enthält unter anderem die Vorstellung des Teams, welches intern an der Neuausrichtung arbeitet, Informationen also, welche für die externe Öffentlichkeit nicht relevant sind. Daraus lässt sich schließen, dass die Präsentation für die interne Öffentlichkeit bereitgestellt wurde.

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gen, welche die Universität mit dem Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur

abschließt.“250 Die Entwicklungsplanung gehört als Grundlagenbeschluss nicht in erster Linie

zur externen Selbstdarstellung, sondern zur internen Organisation der Neuausrichtung251.

Gruppe eins enthält folgende inhaltliche Schwerpunkte: Analysen der Situation, der Hochschule

und der Hochschulentwicklung252; Vorschläge und Beschlüsse zur Umstrukturierung, welche

durch die neuen Universitätsbereiche „College“, „Graduate School“, „Professional School“,

„Forschung“ präsentiert werden253 und durch neue „Wissenschaftsinitiativen“254; Vorschläge zu

Leitbegriffen und Zielen255; aktuelle Arbeitsstände und die Vorstellung nächster Schritte256.

Die zweite Gruppe von Texten betrifft die Materialien, welche in den Jahren 2007 bis 2010 ent-

standen und seit dem damaligen Zeitpunkt die Universität der externen Öffentlichkeit vorstellen:

Es werden die vier ersten Universitätsbroschüren zur und nach der Neuausrichtung analysiert

(mit zeitlicher Nähe zur Neuausrichtung 2007257), sowie die Unterseiten der Internetseite der

LUL, welche die Institution vorstellen258. Aus den Gründen des Umfangs der Arbeit sowie aus

Gründen der Redundanz werden neben den ersten Universitätsbroschüren, die „Leuphana“ zu

Beginn der Umstrukturierung vorstellen, keine in den Jahren darauf folgenden Broschüren mehr

analysiert. Des Weiteren aber werden Präsentationen für Studieninteressierte und Präsentationen

über die Universität allgemein untersucht, die auch den Hochschulmitgliedern zur Verfügung

stehen259. Diese Präsentationen werden in unterschiedlichen Fassungen sowohl den Studierenden

vorgestellt, als auch bei externen Vorträgen verwendet260.

250 LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 3. 251 Nach dem Beschluss über die Universitätsentwicklungsplanung wurde diese über die Homepage der

Universität öffentlich zugänglich gemacht und dient somit auch der Information der externen Öffentlichkeit.

252 Vgl.: UL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg; UL: Humanistisch Nachhaltig Handlungsorientiert (5. Juli 2006).

253 Vgl.: UL: Entscheidung zur Detaillierung der Neuausrichtung; LUL: Universitätsentwicklungsplanung. 254 Vgl.: LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 7–43. 255 Vgl.: UL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg; UL: Humanistisch Nachhaltig

Handlungsorientiert (5. Juli 2006); LUL: Universitätsentwicklung. 256 Vgl.: UL: Humanistisch Nachhaltig Handlungsorientiert (5. Juli 2006); ebd: Entscheidung zur

Detaillierung der Neuausrichtung. 257 Die Broschüren selbst erhalten keine zeitliche Angabe, so dass diese, soweit sie erhältlich sind, weiterhin

für die LUL werben. 258 Die Unterseiten der Internetseite der LUL heißt „Universität“ und wird übertitelt mit „Über die Leuphana“. 259 Diese Präsentationen sind gemeinsam mit den Senatspräsentationen der Gruppe eins im Intranet für die

Hochschulöffentlichkeit zur Dokumentation der Neuausrichtung zu finden. 260 Beispielsweise wurde die Präsentation „Das Beispiel Lüneburg“ in ähnlicher Form bei der 38. Jahrestagung

des Bad Wiesseer Kreis 2008 von dem Präsidenten vorgetragen (Vgl.: Spoun, Sascha: Leuphana Universität Lüneburg eine öffentliche Hochschule für die Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts; Vgl.: Spoun: Die Universität für die Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts. „Eine Universität durch inhaltliches Profil entwickeln“ Studium 2020 Impulsvortrag im Forum „Strategisches Profil für Studium 2020); bei Tagungen oder vor bestimmten Zielgruppen stellen bestimmte Ansprechpersonen der Universität die LUL anhand dieser Präsentationen / ähnlicher Präsentationen vor (Vgl.: Grassegger, Hannes: Eine Universität

für die Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts. Forum Hochschule und Kirche 26. November 2009; o. A.:

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Die Vortragsfolien für Studieninteressierte und die Vorstellung der Universität im Allgemeinen

werden regelmäßig aktualisiert. In die Untersuchung fließen diejenigen aus den Jahren 2008 und

09/2010 ein. Diese wurden im Intranet im Jahr 2012 aktualisiert. Ergänzt wird der Textkorpus

der Gruppe zwei um eine Pressemitteilung der Universitätsleitung und ein Konzept zu einem

Studierendenwohnheim. Dabei ist der Verbreitungsgrad des Konzepts zum Studierendenwoheim

unbekannt, da dieses nicht auf der Homepage oder im Intranet zu finden ist und als Vorlage für

die Suche nach finanziellen Partner_innen erstellt wurde, jedoch insofern eine externe Öffent-

lichkeit erfahren hat, als dass es sowohl medial aufbereitet wurde261 als auch Bestandteil der öf-

fentlichkeitswirksamen Campusentwicklung ist.

Die Universität tritt in der Öffentlichkeit durch die Vertretung durch die Universitätsleitung als

einheitliche, zentral sprechende Akteurin auf. Die Festschrift zur Neuausrichtung – das erste Do-

kument der Gruppe zwei – wird vom Präsidenten selbst, aber unter dem Logo der „Leuphana“

veröffentlicht, alle anderen untersuchten Broschüren und Präsentation werden von der Universi-

tät als Institution herausgegeben, also unter der Zuständigkeit der Universitätsleitung mit dem

Absender „Leuphana Universität Lüneburg“. Mit den Texten der Gruppe zwei betreibt die LUL

interne und externe Öffentlichkeitsarbeit.

Dokumente dieser zweiten Gruppe werden nicht durch zeitliche Bezüge zueinander gekenn-

zeichnet, weisen aber stete Wiederholungen der Inhalte auf. In einer Festschrift des Präsidenten

in Form einer Broschüre wird das inhaltliche Profil der Neuausrichtung in ein Bildungskonzept

gefasst. Aspekte dieses Bildungskonzepts finden sich auch in allen weiteren untersuchten Bro-

schüren und in allen untersuchten Präsentationen (zwei Präsentationen zur Campusentwicklung,

zwei Präsentation für Studieninteressierte, drei weitere Präsentationen, die einen generellen

Überblick über die neuausgerichtete Universität geben). Die Selbstdarstellung der Leuphana, wie

sie sich in den Texten der Gruppe zwei zeigt, findet vorwiegend entlang der Vorstellung der Ziele

und der Grundgedanken statt262, sowie der Studienmöglichkeiten – vor allem in College und

Graduate School263. In allen Präsentationen der zweiten Gruppe wird außerdem die geplante

Campusentwicklung oder zumindest das geplante Zentralgebäude vorgestellt. Die Texte der

Homepage geben einen Überblick unter anderem zu Personen, Geschichte, Fakten zur Universi-

Leuphana Universität Lüneburg: Eine Universität für die Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts. Diskurswerkstatt im Rahmen der DOSS 2010).

261 Vgl.: Schneefuß; George: Streit um das neue Wohnheim-Projekt. In: Hamburger Abendblatt 22.04.2009. 262 Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben; LUL: Eine öffentliche Universität im 21. Jahrhundert; LUL: Eine

Hochschule erneuert sich; LUL: Campusentwicklung 2012 (2008); LUL: Eine öffentliche Universität des 21. Jahrhunderts; LUL: Eine öffentliche Universität des 21. Jahrhunderts. Universitätsentwicklung Kennzahlen 2006–2010; LUL: Informationen für Studieninteressierte (2008); LUL: Informationen für Studieninteressierte (2010); LUL: Das Beispiel Lüneburg (2008); LUL: Campusentwicklung 2012 (2010).

263 Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben; LUL: Eine öffentliche Universität im 21. Jahrhundert; LUL: Eine Hochschule erneuert sich; LUL: Informationen für Studieninteressierte (2008); LUL: Informationen für Studieninteressierte (2010); LUL: Das Beispiel Lüneburg (2008)

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tät und behandeln ebenso wie einige Broschüren und Präsentationen das Leitbild der Institution

sowie das neue Logo und den Namen „Leuphana“264.

Für die Texte der Gruppe zwei kann thematisch zusammengefasst werden, dass die einzelnen

Komponenten als Merkmale der Universität kommuniziert werden und diese auszeichnen sollen.

Diese werden mit „Werten“ verbunden, der sich die Institution verpflichtet.

Für die Dokumente beider Gruppen – mit Ausnahme der Projektskizze zum Studierendenwohn-

heim – gilt, dass ihre Inhalte für die gesamte Institution verbindlich sind: Die Inhalte werden

zentral erstellt und oder beschlossen (Präsidium, Senat) und die Dokumente der Gruppe zwei

werden zentral veröffentlicht. Die getroffenen Beschlüsse sind für die gesamte Universität gültig,

die Dokumente der Gruppe zwei repräsentieren die gesamte Universität. Die in der Neuausrich-

tung formulierten Leitbegriffe, das in der Festschrift des Präsidenten formulierte Bildungsver-

ständnis, sowie die Ziele der Universität werden im Namen der Universität veröffentlicht und

erhalten so für alle Bereiche der Institution Geltung. Die Zentralisierung von Inhalten ist Be-

standteil der Performativität des Diskurses: Einheitliche profilbildende Kommunikation soll ein

bestimmtes Bild in der Öffentlichkeit schaffen. Zur einheitlichen Kommunikation ausführlicher

in IV.3.

Auffällig innerhalb der Dokumente ist die formale und sprachliche Ausgestaltung und Strukturie-

rung entlang von Visualisierung (Formprinzip) und entlang feststellender und unbestimmter

Sprechakte. Gemeinsam ist allen Dokumenten die Präsentation in der Gestaltung der jeweiligen

Universitätsfarben und –formen (Corporate Design). Vor der Senatsdiskussion zu der vom Präsi-

dium beschlossenen neuen Außendarstellung der Universität (22. November 2006) sind die Prä-

sentationen im Logo und der blauen Farbgebung gehalten, welche die Universität Lüneburg

kennzeichnen. Nach der Veränderung der Außendarstellung sind Präsentationen, Homepage,

Broschüren, Pressemitteilung sowie Wohnheimkonzept in der neuen Farbgebung, dem neuen

Namen sowie dem neuen Logo gestaltet, welche die Leuphana Universität Lüneburg markieren.

IV.1.2 Formprinzip

Graphiken und Bilder haben in den Broschüren und in den Präsentationen beider Gruppen hohe

Relevanz: Beinahe jede Folie enthält eine Graphik, beinahe jede Seite der Broschüren enthält ein

Bild (mit der Ausnahme der Festschrift des Präsidenten). Graphiken finden sich wiederum in den

Broschüren kaum, Bilder sind vorwiegend in den Präsentationen der Gruppe zwei, nicht aber in

den Präsentationen der Gruppe eins enthalten. Im Folgenden wird zunächst auf die Graphiken

264 Die untersuchten Unterseiten der Homepage finden sich in Anhang II.

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eingegangen. Diese werden hinsichtlich ihrer verschiedenen Arten vorgestellt, sowie hinsichtlich

der Aussagen, welche sie vorwiegend produzieren: Einheitlichkeit, Zusammenhänge und Pro-

zesshaftigkeit. Im Anschluss wird sehr knapp auf die Bilder eingegangen, welche ebenfalls Ein-

heitlichkeit herstellen.

Die Graphiken lassen sich in zwei Kategorien unterscheiden. Zum Einen Graphiken, welche den

Text auf der Folie organisieren und strukturieren oder welche die Aussagen des Textes wiederge-

ben und somit begleiten. Diese Graphiken verändern die Texte nicht in ihren Aussagen. Ein Bei-

spiel für eine strukturierende Graphik, die im Rahmen der Folie die Inhalte aufteilt ist:

Abbildung 1: Beispiel strukturierende Graphik265

Beispiel für eine wiedergebende Graphik, welche den Text in Form von graphischen Elementen

wieder spiegelt:

265 LUL: Detaillierung der Neuausrichtung, S. 6.

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Abbildung 2: Beispiel begleitende Graphik266

Die Überschrift wird durch die Pfeile der einzelnen Textfelder zueinander wiederholt und darge-

stellt.

Die zweite Kategorie beinhaltet Graphiken, welche die Aussagen des dazugehörigen Textes erst

ermöglichen. Bei Wegfall der Graphik könnte die Aussage der Präsentationsfolie nicht zustande

kommen:

Abbildung 3: Beispiel ermöglichende Graphik267

266 LUL: Detaillierung der Neuausrichtung, S. 26.

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Die inhaltliche Abwägung der in den Textfeldern enthaltenen Aspekten, welche durch die Waage

suggeriert wird, findet auf der Folie nicht in einer schriftlichen Form statt: Es wird keine Be-

gründung für das Ergebnis der Folie gegeben: Warum die sechs Positivkriterien der Universität

zu wenig strahlen, um die fünf negativen Aspekte zu kompensieren, wird nicht durch eine inhalt-

liche Abwägung begründet. Einzig die Graphik der Waage legt nahe, es habe eine inhaltliche

Abwägung zwischen allen angegebenen Aspekten gegeben, um zu diesem Ergebnis zu kommen.

Dieser Eindruck wird in der Überschrift durch die Formulierung verstärkt, die Risiken würden

schwerer wiegen. So würde der Folie ohne die Graphik der Waage das relevante Element der

Aussage fehlen, da eine Begründung für die gefährliche Situation, in welcher sich die Universität

befindet, nicht gegeben wird.

Besonders relevant für die Profilbildung der LUL (IV.3) ist die Produktion von Einheiten auf-

grund von Graphiken:

Abbildung 4: Universitätsmodell mit Beschreibungen der Gefäße268

Die Graphik stellt das Universitätsmodell dar: Die Universität als Ganze ist gemäß der Folie in

vier Bereiche strukturiert, von denen ein Bereich – die Forschung – sowohl eigenständiger Be-

reich als auch Grundlage der anderen Einheiten ist. Die Graphik zeigt die Verortung der universi-

tären Handlungen in vier Bereiche von Forschung und Lehre. Die Lehre wird nach den zu errei-

chenden Abschlüssen in Felder der gleichen Größe aufgeteilt: Mit jedem Quadrat werden be-

stimmte Inhalte verbunden, welche übergreifend für alle Studiengänge umgesetzt werden sollen.

Die verschiedenen Zielgruppen sollen, wie in der Überschrift ersichtlich, mit unterschiedlichen

267 UL: Humanistisch Nachhaltig Handlungsorientiert (5. Juli 2006), S. 10. 268 LUL: Das Beispiel Lüneburg (2008), S. 10.

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Angeboten angesprochen werden. In dem abgebildeten Beispiel können die graphischen Inhalte

nicht von der Gesamtaussage der Präsentationsfolie getrennt werden. Die Graphiken erschaffen

Einheiten gemäß der Aktivitäten, welche an der Universität angeboten werden: Die zu schulen-

den Fähigkeiten der Individuen werden unabhängig von disziplinären Inhalten formuliert. So

strukturiert die Institution mit Hilfe des Formprinzips die Universität: Die Bildung von Einheiten

durch Graphiken wird im Diskurs – wie bereits erläutert – durchgängig praktiziert. Die Vorstel-

lung der Studiengänge und deren einzelne Bestandteile, sowie der 2008 beschlossenen Wissen-

schaftsinitiativen werden durch Visualisierungen, welche abgeschlossene Einheiten und die Zer-

gliederung in Module darstellen, kommuniziert269. Die Absicht der Universität ist es, den

Leuphana Bachelor leicht und eingängig zu formulieren, damit er überzeugend ist270. Das Form-

prinzip der Präsentationsform setzt dieses Vorhaben um: Die Aufbereitung von Inhalten und in

Graphiken reduzieren Komplexität, indem sie Erläuterungen und Begründungen ersetzen, indem

sie mithilfe von Formen und Farben Inhalte und Institution in klar zu trennende Bestandteile

gliedern, und so vielfältige eigene Aussagen treffen.

Relevant hinsichtlich der Graphiken sind vor allem die Zusammenhänge und Verweise, welche

durchgehend anhand von Pfeilen hergestellt werden und welche die Aussagen der Folien in den

Präsentationen ermöglichen271. Dieser Aspekt wird bei der Beschreibung des feststellenden, un-

bestimmten Diskurses relevant und dort ausgeführt (IV.1.3).

Der dritte wichtige Aspekt der Graphiken bezieht sich ausschließlich auf die Texte der Gruppe

eins: Anhand von Pfeilen und Zeitstrählen wird die Neuausrichtung als Prozess eingeführt, der

entlang verschiedener Etappen vorwärts führt. Auch werden die noch nicht beschlossenen Vor-

schläge in den ersten Präsentationen als „Hypothesen“ und „Vorschläge“ gekennzeichnet272. Die

Broschüren beinhalten darüber hinaus Kapitel und Graphiken zu nächsten Schritten und zu Ar-

beitsgruppen sowie zu Kompetenzverteilungen. So unterstützen und produzieren die Graphiken

die Aussage, bei der Neuausrichtung handle es sich zum Einen um einen Prozess und zum Ande-

ren handle es sich bei den vorgestellten Inhalten und dem gesamten Gestaltungsrahmen des Pro-

zesses um veränderbare, nicht abgeschlossene und partizipativ gestaltete Inhalte und Vorgänge.

269 Zum Beispiel: UL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 9–11; UL: Humanistisch

Nachhaltig Handlungsorientiert (5. Juli 2006), S. 16–22; LUL: Informationen für Studieninteressierte (2010), S. 12f., 16, 23–25; 44.

270 Vgl.: UL: Entscheidung zur Detaillierung der Neuausrichtung, S. 15. 271 Zum Beispiel: Vgl.: UL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 4, 6, 10, 12, 14, 17.;

UL: Entscheidung zur Detaillierung der Neuausrichtung, S. 5, 18, 19, 22, 32, 39, 44–46, 48, 49. ; LUL: Campusentwicklung 2012 (2008), S. 10, 20, 28, 38, 43.; LUL: LUL: Informationen für Studieninteressierte (2010)., S. 25–29, 36.

272 Zum Beispiel: UL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 8–15; UL: Humanistisch Nachhaltig Handlungsorientiert (5. Juli 2006). S. 15–24, 26f., 29, 31–33; UL: Außenauftritt der Universität Lüneburg, S. 8, 10; LUL: Die Leuphana auf gutem Weg, S. 17.

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Dabei ergibt sich innerhalb dieser Aussage ein Widerspruch innerhalb der schriftlichen und der

graphischen Aussagen: Der Prozess wird als eine Abfolge bereits feststehender Vorgänge und

Inhalte beschrieben. Dazu ein Beispiel:

Abbildung 5: Beispiel Neuausrichtung als Prozess273

Diese Folie aus der ersten „Grundsatzdiskussion“ zur Neuausrichtung zeigt zunächst, dass ein

„Ob“ der Neuausrichtung nicht in Frage steht. Dies bestätigt sich auch in allen anderen Doku-

menten zu den Beschlüssen der Neuausrichtung. Damit ist bereits innerhalb der Diskussion von

Grundsätzen ein wichtiger Rahmen gegeben: Es wird eine Neuausrichtung stattfinden. Auch die

weiteren Vorgänge der Neuausrichtung erhalten Rahmenbedingungen: Entgegen der Überschrift

der abgebildeten Folie, welche einen sich entwickelnden Prozess suggeriert, stehen die Rahmen-

bedingungen sowohl zeitlich als auch inhaltlich bereits fest: Die Inhalte, welche eine Verände-

rung der Universität beinhalten soll – Diskussion, Pilotphase, neues Studienprogramm für den

Bachelor, neue Außenkommunikation, neue Master-Angebote, Forschungszentren – werden be-

reits aufgeführt, ebenso die zeitlichen Spielräume, welche dafür eingeplant werden. Der Prozess

wird eingeführt, ohne einen Prozess zu erlauben: Ein prozesshaftes Sich-Entwickeln, indem die

Veränderung der Universität aus den Ergebnissen der Arbeitsgruppen, der Diskussionen et cetera

entsteht, ist nicht Bestandteil der Neuausrichtung. Es wird ausschließlich ein „Vorwärts“ in eine

273 UL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 17.

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bestimmte Richtung mit vorgegebenen Zielen ermöglicht. Dies unterstützt die nachfolgend vor-

gestellte Sprache, welche ebenfalls keine Sachverhalte offen lässt (IV.1.3). Der Prozess ist ein

geschlossener: Die Betonung von Beteiligung und von einem breit getragenen Prozess274 geht

einher mit den Grenzen der Beteiligung: Es wird eine „Logik des Neuausrichtungsprozesses“275

als die treibende Kraft des Prozesses eingeführt. Damit wird die Einflussnahme auf den Prozess

nicht in die Möglichkeiten der aktiven Akteur_innen gelegt, sondern in eine in diesem Prozess

enthaltene Logik hinein verlagert. Der Aufruf zur Mitgestaltung der Neuausrichtung276 sowie die

Betonung des Prozesses als einem solchen und als partizipative, gemeinsam getragene Verände-

rung, beinhaltet so, dass Gestalten im Diskurs meint, gegebene Rahmenbedingungen anzuneh-

men, anzuerkennen und diese auszugestalten. Das bedeutet, dass „Gestalten“ als ein „Erfüllen“

des vorgegebenen Plans zu verstehen ist. Ein solches Verständnis zieht sich durch den gesamten

Diskurs, wie auch in IV.5.2 hinsichtlich der Gestaltung der Gesellschaft zu erkennen.

Die Bilder, welche in Präsentationen abgebildet sind, zeigen hauptsächlich Visualisierungen des

zukünftigen Zentralgebäudes oder Photographien vergangener universitärer Situationen zum

Beispiel aus den Seminargruppen mit Daniel Liebeskind und der Erstsemesterstartwoche. Weni-

ge der Bilder in den Präsentationen sind Photographien, wie sie in den Broschüren zu finden

sind: Diese sind zum Einen Porträts von Menschen des öffentlichen Interesses, welche mit einem

Zitat zur „Leuphana“ abgelichtet sind und zum Anderen Photos, die hier als Profilbilder bezeich-

net werden277 und die auch auf der Internetseite278 zu finden sind. Diese Bilder gestalten die be-

worbenen Inhalte, nehmen in den Broschüren jeweils eine halbe bis eine ganze Seite ein und

zeichnen sich durch Einheitlichkeit aus:

In den untersuchten Broschüren werden auf den Profilbildern Menschen279 in kleinen Gruppen

oder alleine abgebildet (I). Nur wenige Bilder sind Aufnahmen von Menschenmengen aus einem

Hörsaal oder dem Hörsaalgang (II).

274 Zum Beispiel: UL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 17f; UL: Humanistisch

Nachhaltig Handlungsorientiert, S. 4, 6–8, 36f.; UL: Humanistisch Nachhaltig Handlungsorientiert (19. Juli 2006), S. 2–5.

275 UL: Entscheidung der Detaillierung der Neuausrichtung, S. 4. 276 LUL: Die Leuphana auf gutem Weg, S. 28. 277 In der Präsentation: Seyfahrt: „Partizipative Reformprozesse kommunizieren: Das Beispiel Leuphana

Universität Lüneburg. Workshop „Marketing – Best Practice“ des Netzwerk [sic!] Hochschulmarketing in Thüringen. Erfurt, 25. November 2008“ werden diese Bilder als Marketingmaßnahme vorgestellt und als die Schaffung von „Bilderwelten“ bezeichnet.

278 www.leuphana.de 279 In den zwei Broschüren „Eine Hochschule erneuert sich“ und „Eine öffentliche Universität im 21.

Jahrhundert“ ist auf den Seiten eins und zwei jeweils das Bild der Präsidiumsmitarbeitenden zu der Zeit der Erstellung der Broschüren abgedruckt. Dieses Imagebild wird hier nicht ausgeführt. Ein Photo bildet eine Ausnahme und zeigt keine Menschen, sondern das Gebäude der Mensa.

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Zu I: In zwei der drei Broschüren (diese beiden Broschüren enthalten ähnlichen Inhalt und iden-

tische Bilder) werden weiblich konnotierte Menschen geringfügig öfter abgebildet (12 abgebil-

dete Menschen) als männlich konnotierte Menschen (zehn abgebildete Menschen)280. In der drit-

ten Broschüre werden auf den drei Profilbildern der Kategorie I ausschließlich weiblich konno-

tierte Menschen abgebildet281. Alle deutlich erkennbaren Menschen sind eindeutig weiblich oder

männlich konnotiert.

Zu I und II: Alle Profilbilder, auf denen Menschen zu sehen sind, zeichnen sich durch Einheit-

lichkeit in der Altersspanne aus: es werden junge Erwachsene abgelichtet. Des Weiteren gleichen

sich alle abgebildeten Personen, bei denen der Körper erkennbar ist, im Körperbild. Die Körper

sind ähnlichen Umfangs und gleichen sich in ihrer hinsichtlich der Abbildungen erkennbaren

körperlichen Unversehrtheit. Des Weiteren sind alle abgebildeten Menschen heller Haufarbe282.

Mit einer Ausnahme283 zeichnen sich alle Profilbilder durch strukturierende Linienführungen

aus: Die Photos enthalten waagerechte und senkrechte Elemente wie Hörsaalstufen, Schränke,

die Architektur von Bibliothek, Mensa oder Hörsaalgang, Tische, oder die sich farblich abgren-

zenden Decken und Böden. Auf allen Bildern werden so vorwiegend waagerechte Linien gezo-

gen. Auch die sich auf einer gemeinsamen Höhe befindenden Köpfe von sitzenden Personen-

gruppen unterstreichen diese Linienführung. In vielen Bildern werden die Bildausschnitte so

gewählt, dass die Linien Vierecke bilden. So wird das Design der LUL in den Bildern aufge-

nommen: Sowohl die Größe, welche die Bilder in den Broschüren einnehmen, als auch die Lini-

enführung in den Photographien ergeben eine Einheit mit der Gestaltung der Broschüren. Diese

sind durch je ein halbseitiges Viereck in der Universitätsfarbe Jaspis auf der Titelseite gestal-

tet284. Auch die Homepage ist in Vierecken strukturiert285.

Die abgebildeten Menschen arbeiten, studieren oder essen meist gemeinsam. Diese Bilder brin-

gen die in den Broschüren vorgestellten Bildungsideen mit den Räumlichkeiten und mit einem

Alltag an der Universität in Verbindung und zeigen Gemeinsamkeit. Sie ermöglichen so eine

Vorstellung des Lebens an der Universität und vermitteln Authentizität. Einzelne Gruppen oder

Einzelpersonen abzubilden, rückt Menschen in den Vordergrund und kommuniziert so mit den

Rezipient_innen auf eine bestimmte Weise, mit der die erwünschten Zielgruppen angesprochen

werden sollen. 280 LUL: Eine öffentliche Universität im 21. Jahrhundert; Eine Hochschule erneuert sich. 281 Interessant wird es, wenn man mehr als eine Seite kennt. 282 In den Broschüren der folgenden Jahre steigt die Vielfalt in den Profilbildern an. 283 LUL: Eine Hochschule erneuert sich, S. 6.; auch enthalten in: LUL: Eine öffentliche Universität im 21.

Jahrhundert, S. 6. 284 Für die Verwendung zum Beispiel von Logos, für die Gestaltung zum Beispiel von Broschüren, Plakaten,

Visitenkarten existiert ein Gestaltungsleitfaden zum Corporate Design, der im Intranet der LUL unter der Überschrift „Erster Gestaltungsleitfaden ist veröffentlicht: Der Universität ein Gesicht geben“ zu finden ist (Vgl.: Intranet – Am Arbeitsplatz – Gestaltungsleitfaden; Leuphana: Gestaltungsleitfaden Version 1.0).

285 LUL: Über die Leuphana

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Die Visualisierungen in den Broschüren und auf der Homepage machen die dargestellten Ange-

bote greifbar und geben Einblicke in den individuellen Alltag. Auf die in den Profilbildern zu

findende Einheitlichkeit wird an dieser Stelle aufgrund des begrenzten Rahmens der Arbeit nicht

weiter eingegangen286. Festzuhalten bleibt, dass die Photographien einheitlich konzipiert sind,

sowie die abgebildeten Menschen durch einheitliche Merkmale auffallen. So unterstützen sie

einen einheitlichen Außenauftritt, welcher der „Leuphana“ ein klares und wieder erkennbares

Profil verschafft.

IV.1.3 Der feststellende, unbestimmte Diskurs

Die Visualisierungen fördern das, was die Sprechakte der Präsentationen und die Vorstellung der

Universität in Broschüren produziert: Der Diskurs der LUL ist ein feststellender und zugleich ein

unbestimmter Diskurs. Damit gemeint ist, dass durch Bild und Schrift Feststellungen getroffen

werden und diese Feststellungen nicht erläutert oder belegt werden, weshalb sie unbestimmt

bleiben.

In den Präsentationen sind die Präsentationsfolien der Rahmen für Einheiten: In jeder Folie wird

eine Aussage oder eine Einheit aus mehreren Aussagen getätigt. Die Folien werden durch Über-

schriften in ihren Aussagen abgeschlossen. Die Überschriften sind Grundlagen zur Erzeugung

der Aussagen der Folien. Sie geben grundlegende Informationen zu den dargestellten Inhalten,

fassen die Folie zu einer Schlussfolgerung zusammen, geben eine Interpretation der Inhalte vor

oder betten die Inhalte in Oberthemen ein. Die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Folien

werden durch den Verweis auf eine „Agenda“ hergestellt. In den Präsentationen werden die Aus-

sagen im Gegensatz zu den Broschüren und den Internettexten nicht in linearem Text getroffen,

sondern in einer je nach Folie unterschiedlichen Gestaltung.

In den Broschüren werden die inhaltlichen Einheiten durch die Formatvorlage geschaffen (davon

ausgenommen ist die Festschrift des Präsidenten, da diese durchgehenden Text enthält und sich

nicht an der Gestaltung der weiteren Broschüren orientiert): Auf beinahe allen Seiten der Bro-

schüren sind die Texte halbseitig und in einzelne Abschnitte gefasst. Die Überschriften stellen

die im Text behandelten Themen und deren Botschaft anhand von Stichworten vor: „Das Prob-

lem: Profil gewinnen“287; „Die Studierenden: Verantwortung leben288“.

286 In weiterem Material, welches im Internet zu finden ist, aber in die vorliegende Untersuchung nicht

einfließt, wird die Konstruktion der Broschüren (welche Seite spricht welche Zielgruppe an) sowie die Ausgestaltung der Homepage gemäß Zielgruppen („Emotionole [sic!] Ansprache für Erstkontakt und Interaktion für Relationship Building auf der Website.“) betrachtet („Partizipative Reformprozesse kommunizieren: Das Beispiel Leuphana Universität Lüneburg. Workshop „Marketing – Best Practice“ des Netzwerk [sic!] Hochschulmarketing in Thüringen. Erfurt, 25. November 2008“, S. 26–29)).

287 LUL: Eine öffentliche Universität im 21. Jahrhundert, S. 4.

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Die Texte im Internet sind hinsichtlich des Umfangs freier gestaltet. Sie sind nach Funktionen

und Bereichen übertitelt: Geschichte, Logo, Personen und andere.

Eingefasst in die jeweiligen Formate werden Bedeutungseinheiten geschaffen. Gemein ist allen

Formaten, dass sich die Gesamtbetrachtung der Universität aus einzelnen inhaltlichen Einheiten

zusammensetzt, welche durch die Gestaltung klar voneinander getrennt werden und den Gegen-

stand „Universität“ so aufspalten. Die Abgeschlossenheit und die Unbestimmtheit dieser Einhei-

ten werden im Folgenden ausgeführt.

Der feststellende, unbestimmte Diskurs wird produziert durch die Form der Aussagen in Stich-

punkten, Überschriften, Graphiken, kurzen Sätzen oder kurzen Textabschnitten (I), durch nicht

eindeutige, unbestimmte Aussagen (II) und durch nicht belegte Aussagen (III).

(I) Wie bereits in IV.1.2 dargestellt, können Graphiken eigenständig Aussagen erzeugen. Pfeile

nehmen eine besondere Rolle ein: Sie stellen auf vielfältige Weise Zusammenhänge her, die sich

aus dem Geschriebenen nicht ergeben. Die Graphiken gestalten so den Text, indem sie Kausal-

ketten schaffen, ohne dass diese erläutert werden. Die graphischen Elemente produzieren so ei-

nen Diskurs von abgeschlossenen, nicht begründeten Feststellungen. Anhand eines Beispiels soll

dies erläutert werden:

Abbildung 6: Beispiel eines nicht erläuterten Zusammenhangs289

288 LUL: Eine Hochschule erneuert sich, S. 8. 289 LUL: Das Beispiel Lüneburg (2008), S. 5.

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Es wird auch in diesem Beispiel deutlich, dass die Aussage durch die Graphik hergestellt wird.

Bezüglich des feststellenden Diskurses ist der Pfeil des linken Elements – des Textfeldes in Form

eines Pfeils – wichtig: Die Inhalte dieses Textfeldes führen, so suggeriert es der Pfeil, dazu, dass

die Universität künftig entweder in der Attraktivität steigen oder sinken wird und deshalb der

bisherige Attraktivitätsstand der Universität (auf welchen nicht weiter eingegangen wird) nicht

mehr möglich ist. Die jaspisfarbenen Pfeile verweisen auf diese beiden Möglichkeiten der

Leuphana Universität Lüneburg. Eine attraktive Profilbildung muss stattfinden, damit die Uni-

versität attraktiv wird. Diese Aussagen ergeben sich jedoch nicht selbsterklärend aus den Stich-

punkten. Die angeführten Indikatoren, die den Sprechenden gemäß einen Paradigmenwechsel

darstellen, treffen keine Aussagen über die Konsequenz, welche im Schaubild als unausweichlich

dargestellt wird: dass nämlich die Universität künftig entweder wenig oder hoch attraktiv ist. Es

wird nicht begründet, was das Bestehende unmöglich macht, inwiefern das Bestehende den Kri-

terien des Paradigmenwechsels genügt oder nicht genügt. Der Pfeil des linken graphischen Ele-

mentes führt die Konsequenz als eine solche und als Ergebnis ein und trägt so zu einer Feststel-

lung bei, welche nicht begründet wird.

In den Präsentationen entstehen des Weiteren die schriftlichen Aussagen durch Stichpunkte oder

durch vorwiegend kurze Sätze, welche Feststellungen treffen. Diese wirken als komprimierte

Ergebnisse und als nicht erläuterte Fakten290. In dem gesamten Textkorpus sind keine Fragen zu

finden sowie keine Formulierungen, die einen Sachverhalt unabgeschlossen belassen. Auch die

mit „Hypothese“ überschriebenen Vorschläge stellen keine offenen Fragen, welche die Richtung

des Prozesses oder die Inhalte der Neuausrichtung verändern könnten. Dies stützt die Ergebnisse

aus IV.1.2, dass die Neuausrichtung nicht partizipativ entwickelt, sondern partizipativ umgesetzt

werden soll. Alle Inhalte, auch in der Vorbereitung der Grundsatzentscheidung oder der weiteren

Beschlüsse, sind als Tatsachen und als Ergebnisse formuliert. Dieser Ergebnischarakter aus Visu-

alisierungen und Schrift stellt Realität als Zusammenwirken einzelner in sich schlüssiger Einhei-

ten vor.

(II) Der Diskurs wird des Weiteren durch unklare und uneindeutige Aussagen produziert. Neben

Undeutlichkeiten in der graphischen Darstellung291 geschieht dies auch überall dort, wo die An-

290 LUL: Campusentwicklung 2012 (2010), S. 9. 291 Ein Beispiel hierfür findet sich ebenfalls in der oben abgebildeten Folie zur Notwendigkeit eines attraktiven

Profils (LUL: Campusentwicklung 2012 (2010), S. 9.): Das Wort „Profilbildung“ ermöglicht mehrere Lesarten: Eine Interpretationsmöglichkeit ist, dass beide rote Pfeile Profilbildung kennzeichnen und dieses Profil entweder sehr wenig attraktiv oder sehr attraktiv wird. Eine weitere Lesart ist, dass die Universität aufgrund eines Profilbildungsprozesses sehr attraktiv werden würde, wohingegen sie sehr unattraktiv werden würde, wenn sie keine Profilbildung unternehmen würde.

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forderungen an die Studierenden und das Profilbild für die Studierenden formuliert werden: Bei-

spiele sind:

„Im Studium soll es nicht allein um eine Berufsbegleitung gehen, sondern um Persönlichkeitsbildung und um eine Lebens- und Entwicklungsbefähigung“292. „Handlungsorientierte Universität: Die Leuphana bildet verantwortungsvolle und handlungsorientierte Persönlichkeiten, die über Kreativität, Reflexivität sowie Willen und Fähigkeiten zur schöpferischen Gestaltung der Gesellschaft verfügen.“293

Persönlichkeit, Persönlichkeitsbildung, Lebensbefähigung, Entwicklungsbefähigung, Kreativität,

Fähigkeit zur schöpferischen Gestaltung der Gesellschaft, schöpferisch, Gestaltung, diese Begrif-

fe und Begriffsverbindungen werden im Diskurs der LUL als Feststellungen getätigt. Der Dis-

kurs geht so vor, dass er die verwendeten Begrifflichkeiten nicht definiert. Einige Begriffe wie

Persönlichkeitsbildung, Persönlichkeit und Gestaltung werden häufiger genannt und besser be-

stimmbar als andere Begriffe wie beispielsweise Lebensbefähigung. Der Diskurs trifft so Fest-

stellungen und lässt zugleich Aussagen unbestimmt. Die Aussagen produzieren Unsicherheiten

und es wird somit nicht möglich, Eindeutigkeit in den jeweiligen Themen herzustellen.

(III) Die Aussagen des Diskurses werden nicht durch Nachweise oder weiterführende Informati-

onen belegt oder eingebunden, so dass keine nachvollziehbaren Zusammenhänge entstehen: Der

Diskurs als feststellender Diskurs wird durch die fehlenden Belege und Hintergrundinformatio-

nen gebildet. Oben angeführte Folie zur Notwendigkeit eines attraktiven Profils (S. 56) ist ein

Beispiel: Keiner der Indikatoren eines Paradigmenwechsels ist mit Hintergrundinformationen

gestützt oder aufgrund von Belegen nachprüfbar. Dies betrifft den gesamten Diskurs wie bei-

spielsweise die Analyse der Ist-Situation der Universität, welche die Neuausrichtung begrün-

det294.

Der Diskurs begründet zugleich Wahrheiten und Unsicherheiten. So produziert er Festlegungen,

welche jedoch inhaltlich nicht gefüllt sind. Die Rezipient_innen der Selbstdarstellung können

diese Festlegungen anhand verschiedener Interpretationen füllen. Der feststellende, unbestimmte

Diskurs ist deshalb einerseits ein Diskurs mit festen Grenzen, wie es die „inhaltliche und wert-

orientierte Verortung“ beabsichtig (welche die Universität mit der Neuausrichtung anstrebt), und

zum Anderen ein flexibler Diskurs, der hinsichtlich der Bildungsziele Angaben macht und Er-

gebnisse verspricht, die individuell oder je nach Zielgruppe anders verstanden werden können.

Des Weiteren stellt sich die Begründung der Neuausrichtung dar als ein Diskurs, der entlang un-

belegter Aussagen die Notwendigkeit zur Veränderung produziert.

292 LUL: Informationen für Studieninteressierte (2010), S. 8; in ähnlicher Form: Spoun: Ein Studium fürs

Leben, S. 4. 293 LUL: Über die Leuphana – Profil – Leitbild. 294 UL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 4.

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IV.2 Diskursstrategie Wettbewerb: Anpassung an die Zukunft

Die Entscheidung zur Neuausrichtung wurde im Senat am 05. Juli 2006 getroffen. Deren Grund-

lagen sind die Gegenwartsanalysen und Zukunftsaussagen der Universitätsleitung. Im Folgenden

werden zunächst die Dokumente der Gruppe eins thematisiert, um die Begründung für die Neu-

ausrichtung zu erfassen. Auf welcher Grundlage, auf welchen Prinzipien und welchen Argumen-

tationszusammenhängen basiert die Begründung zur Umgestaltung der Universität? Anschlie-

ßend wird die Profilbildung anhand von Dokumenten beider Gruppen vorgestellt.

Die Begründung für eine Neuausrichtung bildet folgendes Interpretationsrepertoire: Die Zukunft

ist sicher, unausweichlich und besteht aus verstärktem Wettbewerb. Wer sich der Zukunft nicht

anpasst, wird verlieren (Interpretationsrepertoire I). Die zentralen Deutungsmuster dieses Inter-

pretationsrepertoires sind das Zukunftsprinzip und das Wettbewerbsprinzip. Diese Deutungsmus-

ter werden nachfolgend ausgeführt und abschließend kurz in ihrem gemeinsamen Wirken zu-

sammengefasst.

IV.2.1 Zukunftsprinzip

In der ersten Grundsatzdiskussion, welche den Senatsbeschluss zur Neuausrichtung vorbereitet,

wird eine Analyse der Ist-Situation unternommen, die zu dem Ergebnis kommt, dass eine Verän-

derung notwendig ist. Daraufhin werden Vorschläge zu einem inhaltlichen Profil, einer neuen

Strukturierung der Universität sowie Vorschläge zu der Ausgestaltung von Lehre und Studium

vorgestellt. So verfährt auch die Senatspräsentation der nachfolgenden Senatssitzung, auf wel-

cher der Beschluss zur Neuausrichtung gefällt wurde.

Die Ist-Analyse der ersten Senatspräsentation wird anhand von Voraussagen für die Zukunft und

anhand der Situation der Universität im europäischen Vergleich vorgenommen (zu Letzterem

IV.2.2). Die Ist-Analyse trifft die Aussage, dass es in den nächsten zehn Jahren mehr Verände-

rungen in der europäischen Hochschullandschaft geben wird als in den letzten zehn Jahren. In

der Zukunft wird unter anderem ein Ringen um begrenzte Ressourcen – um Aufmerksamkeit,

Gelder und Talente – in einem, aufgrund der „in jedem Fall“ zukünftig kommenden Internationa-

lisierung, größer werdenden Konkurrenzfeld herrschen295. Der Wettbewerb wird dazu führen,

dass für die Hochschulen ausschließlich zwei Möglichkeiten bestehen: entweder die Position

einer gewinnenden oder die Position einer verlierenden Hochschule: „The Winner Takes It

All“296. In der Zukunft herrscht Zeitdruck: auf dem Weiterbildungsmarkt werden nur die Ersten

finanziell großen Erfolg haben. Des Weiteren steigt die Geschwindigkeit der Veränderungen im

295 Unter anderem Vgl.: LUL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 3. 296 LUL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 3.

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Vergleich zur Vergangenheit an. Die Universitäten werden sich in Zukunft individualisieren und

zu Marken werden297. Die Ist-Situation wird in einer Präsentation aus dem Jahr 2008 als Um-

bruch innerhalb der europäischen Hochschullandschaft beschrieben298.

Die Voraussage für die Universität Lüneburg ist es, dass die Institution in der Zukunft entweder

in ihrer Attraktivität stark sinken wird oder stark ansteigen wird299. Es wird zukünftig nicht mehr

möglich sein, eine Attraktivität mittleren Maßes zu erreichen. Eine ausreichende Attraiktivität ist

demnach eine im Wettbewerb hohe Attraktivität. Die Zukunft wird eingeführt als Indikator, an

dem sich die Universität ausrichten muss. Denn angesichts der Zukunft zieht der Diskurs die

Konsequenz, dass sich die Universität verändern muss: „Die Fortsetzung bestehender Gewohn-

heiten ist keine Handlungsoption für die Zukunft.“300 Die Zukunft ist deshalb eine Bedrohung,

welche die Neuausrichtung notwendig macht: Sollte die Universität sich nicht dergestalt ausrich-

ten, dass sie langfristig externe Unterstützung erhält, so wird sie gemäß der Universitätsentwick-

lungsplanung „weder entwicklungs- noch strategiefähig“301 sein. Die Zukunft gibt auch für die

Campusgestaltung die Notwendigkeit vor: Universitäten, „die heute und in der Zukunft erfolg-

reich sein wollen“, müssen die Entwicklung ihrer Infrastruktur rechtzeitig planen302. Aufgrund

der Bedrohung der Universität soll eine Umstrukturierung stattfinden, um den Hochschulstandort

langfristig zu sichern303.

Die Zukunft ist auch eine der Grundlagen für das Studienkonzept304: Ziel für die Studierenden ist

eine individuell erfolgreiche Zukunft305. So werden die Studieninhalte auch an für die Zukunft

relevanten Erfordernissen ausgerichtet: Die derzeitige Unvorhersehbarkeit des Arbeitsmarktes

sowie die Zukunftsvoraussage, der Arbeitsmarkt werde zunehmend unvorhersehbarer, wird als

Rahmenbedingung und Notwendigkeit angenommen, welcher sich die Bildung anpassen muss:

„Die Zukunft des Arbeitsmarktes ist in der globalisierten Gesellschaft immer schwerer vorher-

sehbar. [...] Sicher ist aber, dass die Zukunft Menschen braucht, die flexibel im Denken sind

[...]“306. Mit dem Ziel der Anpassung an die Zukunft und an den Arbeitsmarkt soll das Studium

der LUL derart konzipiert werden, dass das Ziel, flexible Menschen zu bilden, erreicht wird, um

gemessen an den Zukunftsvoraussagen Erfolg haben zu können.

297 Vgl.: LUL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 3. 298 LUL: Das Beispiel Lüneburg (2008), S. 3. 299 Vgl.: UL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 6. 300 Ebd. 301 LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 3. 302 Vgl.: Campusentwicklung 2012 (2008), S. 33 303 LUL: Campusentwicklung 2012 (2008), S. 6.; LUL: Campusentwicklung 2012 (2010), S. 17. 304 Das gesamte College steht unter dem Motto „Zukunft“: „Leuphana College: Zukunft beginnt im Oktober 2007.“ (LUL: Interessant wird es, wenn man mehr als eine Seite kennt, S. 2.) 305 Vgl.: LUL: Interessant wird es, wenn man mehr als eine Seite kennt, S. 2. 306 Ebd., S. 3.

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IV.2.2 Wettbewerbsprinzip

Anschließend an die Betrachtung der Ausgangssituation, die von der Zukunft ausgeht, wird in

der Analyse der Ist-Situation die Wettbewerbsposition der Universität Lüneburg als Ausgangs-

punkt betrachtet. Auch dies im Rahmen der ersten Grundsatzdiskussion, also der ersten Senats-

sitzung zur Neuausrichtung. Der Wettbewerb wurde bereits auf der Präsentationsfolie zuvor in

den Diskurs eingeführt, indem in der Zukunft ein verstärkter Wettbewerb diagnostiziert wird.

Die Analyse der Ist-Situation der Universität Lüneburg wird vorgenommen, indem deren Positi-

on in der europäischen Hochschullandschaft betrachtet wird. Anhand verschiedener Vergleichs-

kriterien gegenüber dem Bundesdurchschnitt und im europäischen Raum wird die Institution in

den Vergleich gestellt. Dieser Vergleich diagnostiziert die negativen Kriterien der Situation der

Universität Lüneburg und kommt zu dem Schluss: „Die Universität Lüneburg kann mehr.“307

Die Situation im Vergleich aktiviert so zu einer Veränderung hin zu einem „mehr“ gegenüber den

anderen Hochschulen. Die Situation im Vergleich ist wichtig, weil die Universität zuvor einen

verstärkten Wettbewerb vorausgesagt hat. So ist ein Mehr für die Universität wünschenswert,

weil die europäische Hochschullandschaft in der Zukunft zur Konkurrenz und diese zur Gefahr

für das eigene Überleben wird (The Winner Takes It All).

Eine Veränderung ist notwendig, weil die Geldgebenden die Ressourcen auf wenige Universitä-

ten fokussieren308.

Der Wettbewerb wird sowohl als Bedrohung in der Zukunft eingeführt, als auch bedient sich der

Diskurs einer europäischen Konkurrenz als Ausgangspunkt der Bewertung der Ist-Situation der

Universität Lüneburg. So wird der Institution eine ausbaufähige Wettbewerbsposition diagnosti-

ziert. Das Problem, welches ihr bescheinigt wird, ist ihre aktuelle Wettbewerbsposition sowie die

Gefahr, in Zukunft bei gleichbleibender Ausrichtung nicht wettbewerbsfähig zu sein und als

Konsequenz zu den Verlierenden zu gehören.

Die Lösung für dieses Problem ist ebenfalls die Wettbewerbsfähigkeit: Das Ziel der Veränderun-

gen ist es, sich als wettbewerbsfähig zu positionieren309 und eine führende Rolle im Wettbewerb

zu erhalten: Die Universität will der Maßstab werden, an dem sich andere messen lassen müssen.

Dies geht aus Präsentationen beider Gruppen hervor. So möchte die Universität Lüneburg zu

einem neuen „Universitätsstandard“310 werden. Das neue Erststudium soll ein „Maßstab für

überzeugende Lehre“311 sein. Das Ringen um die zukünftig knappen Ressourcen, um Studieren-

307 UL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 4. 308 UL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 6. 309 Die Campusentwicklung als Teil der Neuausrichtung verspricht die Positionierung als wettbewerbsfähige

Universität (Vgl.: LUL: Campusentwicklung 2012 (2010), S. 23.) 310 UL: Außenauftritt der Universität Lüneburg, S. 3. 311 Vgl.: UL: Humanistisch Nachhaltig Handlungsorientiert (5. Juli 2006), S. 15.

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de und Wissenschaftler_innen möchte die LUL ebenfalls gewinnen: Exzellente Wissenschaft-

ler_innen und exzellente Studierende sollen an die Universität kommen312. Ein neues Studieren-

denwohnheim soll ebenfalls „neue Maßstäbe setzen“313.

Der Diskurs der LUL führt das Neue als das Wettbewerbsfähige ein. Aufbauend darauf, dass das

Bisherige nicht mehr möglich ist, muss Neues die Attraktivität der Universität erhöhen. So be-

müht sich die LUL um Alleinstellungsmerkmale: In den „Schools und Forschungszentren“314

möchte die Universität ihre akademischen Leistungen „in einer für Deutschland innovativen

Weise organisieren“315. Die Aktivierung zu Neuem beinhaltet so, sich von anderen Universitäten

zu unterscheiden. Die „Leuphana“ möchte sich auch mit Einzigartigkeit im neuen Studienmodell

auszeichnen: „Das Lüneburg College wird über eine Reihe von deutlich sichtbaren Alleinstel-

lungsmerkmalen verfügen.“316 Die LUL möchte einerseits Einzigartigkeit erlangen und sich an-

dererseits an den Erfordernissen ausrichten, um sich an den Maßstäben des Wettbewerbs messen

zu können317: Die Universität individualisiert sich durch eine Differenzierung gegenüber anderen

Universitäten und richtet sich damit zugleich selbst aus an dem, was sie als für die Zukunft not-

wendig beschrieben hat. Als Konsequenz der zukünftigen Ausdifferenzierung und des verstärk-

ten Wettbewerbs geht die LUL diese Schritte: sie möchte sich von Anderen unterscheiden und im

verstärkten Wettbewerb der Zukunft wettbewerbsfähig sein. Der Wettbewerb der Zukunft akti-

viert die Universität – zur Anpassung an die künftigen Notwendigkeiten und zum „Neuen“.

Die Selbstdarstellung beinhaltet mit der Ausrichtung am Wettbewerb auch die Aussage, dass For-

schen und Lehren vergleich- und messbar ist (Leuphana Bachelor: „Vergleichbarkeit mit an-

spruchsvollen Benchmarks“318). Diese messbaren Kriterien rücken mit dem Ziel der Wettbe-

werbsfähigkeit in den Mittelpunkt. Zugleich muss sich die Universität durch Neues auszeichnen,

das sich in einem bestehenden Wettbewerb durchsetzt.

Der Wettbewerb bildet eine Diskursstrategie, weil er entlang einer Zukunftsvorstellung erzeugt

wird und zugleich Problem sowie Lösung darstellt: Die Unausweichlichkeit des Kommenden

produziert den Veränderungsdruck und die Notwendigkeit, sich auf den Wettbewerb einzustellen.

Dem Problem des Wettbewerbs kann nur mit einer Anpassung an diesen begegnet werden. Die

Diskursstrategie aktiviert eine Bedrohungssituation:

312 Vgl.: LUL: Campusentwicklung 2012 (2010), S. 23; LUL: Campusentwicklung 2012 (2008), S. 6. 313 LUL: Studierendenwohnheim, S. 4. 314 LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 5. 315 Ebd., S. 5. 316 UL: Entscheidung zur Detaillierung der Neuausrichtung, S. 22. 317 Vgl.: LUL: Campusentwicklung 2012 (2008), S. 6. 318 UL: Humanistisch Nachhaltig Handlungsorientiert (5. Juli 2006), S. 15.

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Abbildung 7: Aktivierung zur Neuausrichtung319

Zukunfts- und Wettbewerbsprinzip aktivieren zu einer Veränderung, indem eine Gefahr für den

Hochschulstandort formuliert wird. Die Aktivierung dazu, sich um Attraktivität zu bemühen,

entsteht, indem diese als Grundlage für eine langfristige Sicherung der Universität vorausgesetzt

wird. Der Diskurs führt als Ziel, mit dem die interne Hochschulöffentlichkeit zum Einsatz für die

Neuausrichtung motiviert werden soll, einen geregelten Universitätsbetrieb ein. Die Aktivierung

zu Neuem soll dazu führen, dass die Universität schließlich einen stabilen Zustand beibehalten

kann und dennoch durch externe Unterstützung gesichert ist. Die Neuausrichtung wird demnach

als die Schaffung einer existenziell notwendigen Grundlage eingeführt.

Neben der Aktivierung, die durch den drohenden zukünftigen Wettbewerb entsteht, geht aus der

Graphik aber auch hervor, dass das Ziel, um Attraktivität zu erreichen, ist, sich ambitionierte

Ziele zu stecken. Die Attraktivität und die Unterstützung hängen demnach davon ab, was die

Universität sich als eigene Zielsetzung gibt. Die eigene Zielsetzung ist entweder von Externen

förderwürdig oder nicht. So muss die Universität sich Ziele setzen und diese an die Zielgruppen

kommunizieren. Die Umsetzung dieser Ziele ist zunächst nicht das relevante Kriterium, an dem

sich die Unterstützung und die langfristige Sicherung entscheidet, sondern die Kommunikation

von Zielen, die Externe zur Förderung anregt.

Kommunikation als entscheidender Faktor wird an mehreren Stellen im Diskurs der LUL sicht-

bar: Denn das Mittel zur Verbesserung der Wettbewerbsposition ist die positive Beeinflussung

der Außenwahrnehmung: „Außen wird die Universität zur Zeit unter ihrem Wert wahrgenommen.

319 LUL: Die Leuphana auf gutem Weg (2007), S. 28.

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Die Universität muss ihre Wahrnehmung bei einzelnen Zielgruppen schärfen und korrigieren.“320

Die Außenwahrnehmung wird so zu der einzigen verstellbaren Größe, die angesichts der bedroh-

lichen Zukunft – auf welche die Institution keinen Einfluss hat321 – von der Universität selbst

verändert werden kann: Die Außenwahrnehmung ist besonders bei bestimmten Personengruppen

relevant, welche die Universität erreichen möchte. Aufmerksamkeit ist den Aussagen der LUL

gemäß zukünftig eine mangelnde Ressource322. Das Ringen um Aufmerksamkeit ist für die Insti-

tution existenziell relevant. Denn: „Die Universität als Ganze lebt von ihrem Bild in der Öffent-

lichkeit.“323 Damit die Universität wettbewerbsfähig wird, muss ein öffentliches Bild entstehen,

welches zum Einen Aufmerksamkeit erhält und zum Anderen die Zielgruppen überzeugt (zur

Zielgruppenorientierung IV.3.).

Kommunikation nimmt deshalb eine wichtige Rolle für die Neuausrichtung ein. Das neue Profil

muss wahrgenommen werden, um erfolgreich zu sein: „Die Neuausrichtung der Universität Lü-

neburg muss rechtzeitig und adäquat nach außen kommuniziert werden.“324 Kommunikation ist

für die LUL in den verschiedenen universitären Bereichen Erfolg entscheidend: Erfolgreiche

Forschung benötigt professionelle Kommunikation325, Eigenschaft des Leuphana-Bachelor soll

es sein, dass dieser eingängig, überzeugend und leicht kommunizierbar ist326. Die Kommunikati-

on des neuen inhaltlichen Profils soll noch vor der Umsetzung der Neuausrichtung erfolgen:

„Die Detaillierung der Neuausrichtung ist ein langfristiger Prozess, die Kernbotschaft ist jedoch

bereits jetzt eindeutig vermittelbar.“327

Kommuniziert werden zentrale und einheitliche Botschaften, so dass Kommunikation zugleich

die Erstellung eines erkennbaren individuellen Profils bedeutet: Angesichts der Ist-Situationund

320 UL: Außenauftritt der Universität Lüneburg, S. 2. Auch in der Problemanalyse der Senatspräsentation zur Grundsatzentscheidung wird das Ansehen der

Universität in der Öffentlichkeit als Begründung für eine notwendige Veränderung angeführt: „Die Leistungen und Verdienste der Universität strahlen nicht in ausreichendem Maße auf die Gesamtorganisation und auf ihre Außenwahrnehmung ab.“ (UL: Humanistisch Nachhaltig Handlungsorientiert, S. 10)

321 Die Zukunft als unausweichlich einzuführen, bedeutet auch, dass die LUL sich nicht als Akteurin dieser Zukunftsvoraussagen betrachtet: Die formulierten Voraussagen werden als Rahmenbedingungen verstanden, welche als gegeben angenommen und denen sich angepasst werden muss.

322 UL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 3. 323 Ebd., S. 8. 324 UL: Außenauftritt der Universität Lüneburg, S. 2. 325 Vgl.: UL: Entscheidung zur Detaillierung der Neuausrichtung., S. 31. 326 Vgl.: ebd., S. 15. 327 Ebd., S. 3; Erst „Im Prozess der Detaillierung muss diese Botschaft mit Leben gefüllt und für einzelne Bereiche ausgestaltet

werden.“ (UL: Entscheidung zur Detaillierung der Neuausrichtung, S. 3.) Zunächst soll an die Zielgruppen vermittelt werden, dass an der Universität Aspekte der gesamten kommunizierten Botschaft entwickelt werden (Vgl.: ebd.). Der Vorrang von Kommunikation geht auch daraus hervor, dass in der Detaillierungsplanung der Neuausrichtung vorgesehen ist, dass die Bearbeitung des Außenauftritts beginnt, bevor die Umsetzung des Studienmodells in College, Graduate School oder Professional School beginnt (Vgl.: ebd., S. 5). Die Entwicklung von Curricula und Studienprogrammen wird schließlich zeitgleich mit der Öffentlichkeitsarbeit sowie der Zulassung der Studierenden beendet. Die Neuausrichtung an der Universität findet zunächst durch Kommunikation statt, die Umsetzung der Neuausrichtung ist zunächst zweitrangig.

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der zukünftigen Herausforderungen, wie sie der Diskurs feststellt, ist die Schaffung eines attrak-

tiven Profils unausweichliche Konsequenz328.

Für das Interpretationsrepertoire I – Die Zukunft ist sicher, unausweichlich und besteht aus ver-

stärktem Wettbewerb. Wer sich der Zukunft nicht anpasst, wird verlieren. – kann zusammenge-

fasst werden, dass in dem Diskurs, der eine Neuausrichtung als notwendig begründet, Wettbe-

werb als Diskursstrategie dient: Die Problemanalyse und die Zukunftsvoraussagen der Universi-

tätsleitung führen den Wettbewerb als für die Situation der Universität Lüneburg konstitutives

Merkmal ein sowie als unausweichliches Ziel, an welchem sich ausgerichtet werden muss. Auf-

grund der Bedrohungssituation, welche die Zukunft erzeugt, wird der Zwang zur Ausrichtung am

Wettbewerb geschaffen. Wettbewerb als Diskursstrategie bedeutet, Wettbewerbsfähigkeit sowohl

als Problem als auch als Lösung wirksam zu machen.

IV.3 Profilbildung: Das Instrument des Wettbewerbs

Abgeleitet aus der Analyse der Ist-Situation werden in den ersten beiden Senatspräsentationen

Vorschläge dafür gemacht, wie die Universität mit der Zukunft umgehen kann, um an Attraktivi-

tät zu gewinnen. Dies soll in zwei Schritten geschehen: Zum Einen soll ein Leitbild als inhaltli-

ches Selbstverständnis erstellt werden, mit dem die Universität wahrgenommen werden will und

an denen sie selbst ihre Aktivitäten orientiert329. Zum Anderen soll eine Umstrukturierung der

universitären Aktivitäten sowohl räumlich als auch organisatorisch nach einem neuen Modell

erfolgen. In der Universitätsentwicklungsplanung werden diese beiden Schritte zur Profilbildung

– neben der Erbringung von Leistung – als grundlegendes Element der Universität bezeichnet:

„Die Leuphana Universität Lüneburg will hinsichtlich der Qualität ihrer akademischen Leistun-

gen und mit ihrem inhaltlichen Profil im Kreis der rund 80 Universitäten in Deutschland und

international anerkannt sein.“330 Die Zielsetzung „Leistung“ wird in IV.4 vorgestellt. Die zweite

Grundlage, das inhaltliche Profil stellt die Organisation und die Kommunikation von Leistung

und Leitbild.

Das inhaltliche Profil entwickelt sich im Laufe des Diskurses, ist also veränderbar331. So findet

eine Campusentwicklung zwar in dem Beschlussprozess im Senat keine Erwähnung und wird

erst nach der Umstellung auf den neuen Namen und auf das neue Studienmodell in der Selbst- 328 LUL: Das Beispiel Lüneburg. (2008), S. 3. 329 Die Universität möchte in der Öffentlichkeit als diesen Werten verpflichtet anerkannt werden: „Die

Leuphana Universität Lüneburg setzt auf eine konsequente inhaltliche und wertorientierte Verortung ihrer Aktivitäten. Entstehen soll eine auf Humanismus, Nachhaltigkeit und Handlungsorientierung ausgerichtete und als solche anerkannte Universität“ (LUL Universitätsentwicklungsplanung, S. 5).

330 LUL: Universitätsentwicklung, S. 4. 331 Das Profil ist in dauerhafter Veränderung: So ist auch nach den Beschlüssen zur Neuausrichtung die weitere Profilbildung eines der strategischen Kernziele (Vgl.: LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 4).

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darstellung thematisiert, dennoch werden neue Bauvorhaben zu einem großen Faktor des Profils.

Ein Innovationsinkubator – temporär aufgrund von EU-Fördermitteln – wird nicht mit der Neu-

ausrichtung beschlossen, fließt aber in die Profilbildung mit ein332.

Beide Schritte der inhaltlichen Profilbildung – das Selbstverständnis und die räumliche wie or-

ganisatorische Umstrukturierung – kennzeichnen sich dadurch aus, dass sie die Zielgruppen in

den Mittelpunkt rücken. Die Universitätsentwicklungsplanung macht die Zielgruppenorientie-

rung zum Ziel:

„Ziel der Universität ist es, den Bedürfnissen ihrer unterschiedlichen akademischen Zielgruppen besser gerecht werden zu können und damit auch eine konsequente Umsetzung der Leitgedanken der Bologna-Reformen und der Einführung eines differenzierten Studiensystems zu ermöglichen.“333

Die Universität möchte die Grundgedanken der Bologna-Reform aufnehmen und konsequent

umsetzen334. Gemäß der LUL hat diese Hochschulreform die Zielgruppenorientierung als leiten-

des Ziel.

Im Diskurs ist folgendes Interpretationsrepertoire enthalten: Die Universität muss Strukturen,

Inhalte und Menschen als Einheit konzipieren, um sie als zielgruppenorientierte Angebote in den

Wettbewerb zu stellen (Interpretationsrepertoire II). Der Wille zur Profilbildung gestaltet die In-

halte angebotskonform, verbindet die Inhalte mit einem Leitbild, begründet eine Konzentration

auf Kommunikation sowie die Verknüpfung mit Symbolen zu einer Marke. Die Vorschläge und

Beschlüsse zur Neuausrichtung werden sowohl gegenüber dem Senat und der Hochschulöffent-

lichkeit sowie gegenüber der Öffentlichkeit bereits als Profil präsentiert, das heißt, die Selbstdar-

stellung gegenüber den zu überzeugenden Öffentlichkeiten ist selbst zugleich Ergebnis eines

Profilbildungsprozesses als auch Teil des Profilbildungsprozesses: Dokumente der Gruppe eins

versuchen, die interne Öffentlichkeit zugleich von dem Profil als auch von der Strategie der Pro-

filbildung zu überzeugen. Gruppe zwei stellt das Profil durch die Kommunikation der Selbstdar-

stellung her und versucht dabei, dieses Profil als glaubhaftes Bild in der externen Öffentlichkeit

zu etablieren. Ob mit der Vermittlung des Profils dieses auch als glaubhaftes Bild in der Öffent-

332 Der Innovationsinkubator wird bereits in einer Präsentationen der Gruppe eins vorgestellt seit UL:

Entscheidung zur Detaillierung der Neuausrichtung, S. 42–49, sowie in die Entwicklungsplanung aufgenommen: LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 26.

333 LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 5.; Zielgruppen sind sowohl Studierende im Erststudium wie im Graduiertenstudium, als auch Forschende, Unternehmen und öffentliche wie gemeinnützige Organisationen. (Vgl.: LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 5.) Zielgruppe wie in den Versprechen des inhaltlichen Profils der Universität erkennbar, ist auch „die Gesellschaft“ (siehe dazu IV.5.2).

334 Zu Bologna und Leuphana: Das Ziel der LUL ist es, sich von derzeitigen Bildungspolitik abzugrenzen und in einer „Bologna Stufe II“ (LUL: Das Beispiel Lüneburg (2008), S. 4) den bisherigen Schwierigkeiten und Fehlern in Prozess, Inhalten und Ergebnissen der Bologna-Reform ein neues Studienmodell entgegenzusetzen, das den Leitgedanken der Reform folgt und diese konsequent umsetzt (LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 5.). Denn das Bisherige geht „zumindest in den deutschsprachigen Ländern, weit an den Erfordernissen einer Bildung und Ausbildung für das 21. Jahrhundert vorbei“ (Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 3.).

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lichkeit aufgenommen und als einheitliches Bild erkannt wird, ist eine Frage des Gelingens des

Sprechaktes „Selbstdarstellung“ (welches auch als Sprechakt „Profilbildung“ bezeichnet werden

könnte) mit dem Ziel der positiven Außenwahrnehmung.

Werden innerhalb der Gruppe eins am Rande auch strategische Überlegungen kommuniziert, so

gilt für alle Inhalte der zweiten Gruppe ausschließlich, dass sie als Profil verstanden werden

müssen: Als strategische, kontrollierte Aussagen, als Angebote und Einheit schaffende Elemente,

die bei den Zielgruppen der externen Öffentlichkeiten wirksam werden sollen. Das Profilprinzip

ist deswegen ein grundlegendes Deutungsmuster. Das Profil ist als Instrument für die Ziele des

Wettbewerbsprinzips konstituierende Absicht des Diskurses.

Im Folgenden soll zunächst das Selbstverständnis (I) und anschließend die Umstrukturierung (II)

vorgestellt werden.

(I) Durch eine „inhaltliche und wertorientierte Verortung“335 der universitären Aktivitäten in drei

Leitbegriffen und in einem Leitziel gibt sich die Universität das Ziel, als Ganzes bestimmte

Grundverständnisse zu teilen und ein gemeinsames Ziel zu verfolgen. Diese Leitbegriffe und das

Leitziel werden im zeitlichen Verlauf der Neuausrichtung als „Bildungsphilosophie“336 weiter

gefasst. Diese Bildungsphilosophie wird in den Broschüren und den öffentlichen Präsentationen

als Rahmen und Hintergrund für die Ziele und Inhalte der Universität formuliert.

Die drei profilbildenden Stichworte, die als Leitbegriffe die Universität kennzeichnen sollen,

sind: „humanistisch“, „nachhaltig“, „handlungsorientiert“337. Das Leitziel der Universität ist es,

einen Beitrag zur „Entwicklung einer lebendigen Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts und zu

zukunftsfähigen Lösungen für drängende gesellschaftliche Herausforderungen“338 zu leisten.

Diese Inhalte werden im folgenden Text des Kapitels IV in Aspekten aufgenommen und erläu-

tert.

Das Selbstverständnis der Universität stellt die Zielgruppen in den Mittelpunkt: Die drei Leitbe-

griffe beinhalten Bildungsziele, nach denen die Studierenden gebildet werden sollen. Das Selbst-

verständnis der Universität formuliert so zum Einen ein Bildungsverständnis, nach dem sich die

Mitglieder der Universität richten wollen, gibt aber auch den Zielgruppen der Studierenden und

der Gesellschaft Versprechen zu den Inhalten, die vermittelt, und zu den Fähigkeiten, die erlernt

werden sollen. Das inhaltliche Profil „humanistisch“ verspricht ein humanistisches Bildungsver-

ständnis: „Verbindung von Persönlichkeitsbildung und Fachausbildung, Kontextualisierung von

335 UL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 8 336 LUL: Eine Hochschule erneuert sich, S. 7. 337 LUL: Über die Leuphana – Profil – Leitbild. 338 LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 4.

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Wissen“339. Als nachhaltige Universität möchte die LUL „durch Bildung und Forschung einen

Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung der Gesellschaft“ leisten. Dieser Beitrag besteht darin, den

Lernenden „Gestaltungskompetenz“ zu vermitteln340. Die „handlungsorientierte Universität“

wird definiert durch einen Typus von Persönlichkeit, welche die Universität zu bilden verspricht:

„Bildung unternehmerischer Persönlichkeiten: Kreativität, Willen und Fähigkeit zur schöpferi-

schen Gestaltung der Gesellschaft in unternehmerischer Freiheit“341.

An den Leitbegriffen wird deutlich, dass die Profilbildung, die die LUL vornimmt, zugleich eine

Profilbildung für die Studierenden bedeutet: Indem die Bildungsziele die Universität als leiten-

des Verständnis auszeichnen, wird das Studium diesen Bildungszielen verpflichtet. Das Selbst-

verständnis gibt zugleich zu verstehen, dass die an der LUL studierenden Menschen nach diesem

Bildungsverständnis lernen und zentral angegebene Kompetenzen erlangen. Damit wird das

Selbstverständnis auch zu einem Versprechen gegenüber der Gesellschaft: Dieser werden zum

Beispiel Menschen versprochen, die mit den Kompetenzen ausgestattet sind, die Gesellschaft

nachhaltig zu gestalten. Auch mit dem Leitziel stellt sich die LUL auf diese Art und Weise in den

Dienst der Gesellschaft, indem die Aktivitäten der Hochschule zum Einen der Gesellschaft – und

damit der Allgemeinheit – nützen soll und indem sie zum Anderen auf Probleme bezogen sind,

die gehört werden müssen (gesellschaftliche Herausforderungen) – und zwar auf eine Weise,

dass die Universität auch für die Zukunft Lösungen bereitstellt. Die Zukunft wird als kontrollier-

bar konstruiert, aber auch als riskant, da sie Herausforderungen mit sich bringt, für die es die

Universität LUL braucht, um sie auf die richtige Art und Weise zu beherrschen. 342

(II) Die Profilbildung hinsichtlich der Universitätsorganisation findet in den Jahren 2006 bis

2008 statt: In dem ersten Beschluss zur Neuausrichtung am 5. Juli 2006 wird die „grundsätzliche

Umsetzung des vorgestellten Universitätsmodells“343 beschlossen. Dieses beinhaltet die Elemen-

te College, Graduate School, Professional School und Forschungszentren. Auch das neue Studi-

enkonzept für den Bachelor ist Teil der Beschlussvorlage sowie ein neues Zulassungsverfahren.

Ohne Beschluss des Senats wird außerdem eine Verwaltungsreform erwähnt.

Am 15. November 2006 werden weitere Entscheidungen zu College und Professional School

gefällt. Über eine Verwaltungsreform wird berichtet, ebenso wie zum ersten Mal über ein

EU-Großprojekt „Innovations-Inkubator“.

Am 22. November 2006 wird eine neue Außendarstellung beschlossen.

339 UL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 8. 340 UL: Humanistisch Nachhaltig Handlungsorientiert (5. Juli 2006), S. 12. 341 LUL: Grundgedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 8. 342 LUL: Universitätsentwicklung, S. 4. 343 UL: Humanistisch Nachhaltig Handlungsorientiert (5. Juli 2006), S. 39.

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Die Campusentwicklung wird in den Senatspräsentationen nicht erwähnt. Innerhalb des unter-

suchten Diskurses wird sie zum ersten Mal in einer hochschulöffentlichen Präsentation am 15.

November 2007 am Rande aufgeführt. Aus Mai oder Juni 2008 stammt die erste Präsentation zur

Campusentwicklung344.

Für den Bereich der Forschung wird nach dem anfänglichen Beschluss über Forschungszentren

am 15. November 2007 ein Vorschlag präsentiert. Die Forschungszentren sollten entgegen Col-

lege und Professional School erst ein Jahr später, ab dem Wintersemester 2008/2009 arbeitsbereit

sein345. Vier Wissenschaftsinitiativen werden im Rahmen der Entwicklungsplanung am 9. Juli

2008 beschlossen. Diese Entwicklungsplanung beschreibt die Forschungszentren als im House of

Research temporär entstehend346. Die Ausarbeitung konnte in der Entwicklungsplanung jedoch

noch nicht näher definiert werden. Ca. 80% der einzurichtenden Forschungszentren sollen der

Arbeitshypothese gemäß innerhalb der beschriebenen Wissenschaftsinitiativen eingerichtet wer-

den.

Die Verwaltungsreform wird in der vorliegenden Arbeit nicht weiter ausgeführt, um das Material

dem Rahmen der Arbeit gemäß auszuwählen und sich vorwiegend auf die inhaltliche Gestaltung

des Studiums sowie auf die zentralen Botschaften zu konzentrieren347. Der Innovations-

Inkubator gehört nicht zur Neuausrichtung, da er zum Einen nicht in diesem Rahmen im Senat

beschlossen oder diskutiert wurde und da er zum Anderen nicht als ein Teil der Neuausrichtung

kommuniziert wird. Die Campusentwicklung wurde ebenfalls nicht im Senat beschlossen, jedoch

wurden diese Planungen anschließend an die Beschlüsse zur Neuausrichtung als ein Teil dieser

deklariert348.

Zu der Strukturierung in College, Graduate School, Professional School und Forschung heißt es:

„Alleinstellungsmerkmal: Das neue Universitätsmodell orientiert sich konsequent an akademi- 344 Die Präsentation „Campusentwicklung 2012 (2008)“ beinhaltet Rohdaten, entlang dieser auf Mai/Juni 2008

geschlossen werden kann. 345 UL: Entscheidung zur Detaillierung der Neuausrichtung, S. 5. 346 LUL: Universitätsentwicklung, S. 46. 347 Auf der Seite des Intranets der Universität, auf der die untersuchten Präsentationen zu finden sind, sind

auch zwei Dokumente zur Verwaltungsreform zu finden. Diese Verwaltungsreform spielt allerdings in den allgemeinen Präsentationen zur Neuausrichtung keine Rolle, ebenso wird diese in den Präsentationen für die Entscheidungen im Senat nur am Rand erwähnt.

348 So schreibt die Universität 2008 als Titel einer Präsentationsfolie, welche das Modell des neuen Zentralgebäudes vorstellt: „Die Neuausrichtung kann auch äußere Formen annehmen: Studieren in einem ästhetischen Umfeld. Libeskind in Lüneburg“ (LUL: Das Beispiel Lüneburg (2008), S. 31.) und beschreibt so den Bau der neuen Gebäude als Bestandteil der Neuausrichtung. Eine weitere Präsentation legt nahe, Campusentwicklung würde die Neuausrichtung symbolisieren: „Das geplante Zentralgebäude von Daniel Libeskind versinnbildlicht den Entwicklungsprozess der Leuphana Universität Lüneburg.“ (LUL: Informationen für Studieninteressierte (2010), S. 48.) An anderer Stelle heißt es, beide Phänomene würden mit einander in Verbindung stehen, sich demnach nicht decken: „Ein zentraler und attraktiver Campus in Verbindung mit der Neuausrichtung hat Leuchtkraft für die Universität und die Region.“ (LUL: Eine öffentliche Universität für die Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts (2010), S. 64.) Hier wird die Entwicklung des Campuses als nicht trennbar von dem gesamten Prozess der Universität Lüneburg zur Leuphana und als nicht trennbar von der Neuausrichtung betrachtet. Dem schließt sich die vorliegende Arbeit an: Die Campusentwicklung wird nachträglich als Teil der Neuausrichtung kommuniziert.

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schen Zielgruppen für Angebote lebenslangen Lernens.“349 (Folie S. 50). Damit wird die Institu-

tion nach der Art der Studienabschlüsse und nach Forschungstätigkeit gestaltet. Eine solche

Strukturierung rückt die Zielgruppen in den Mittelpunkt der Betrachtung: Je nach Zielgruppe

werden Inhalte formuliert, welche die jeweiligen Angebote darstellen sollen: Die Zielgruppe der

Bachelor-Studierenden erhalten unter anderem das Angebot der generellen Lern- und Berufsfä-

higkeit350. Studierende, Unternehmen und Organisationen erhalten in der Professional School das

Angebot zum Wissens- und Technologietransfer351. Das Angebot der Universität besteht dem-

nach darin, dass Studierende und Forschende ein bestimmtes Profil erhalten.

Das Forschungsfeld erfährt in sich eine weitere neue Strukturierung: Diese soll „Chancen für die

Entwicklung von Alleinstellungsmerkmalen im Vergleich zu anderen Universitäten“ haben.352

Die Herausbildung von Alleinstellungsmerkmalen basiert auf dem Verständnis, für die Universi-

tät einen Platz in der Hochschullandschaft finden zu müssen353. Denn erfolgreiche Forschung

benötigt ein „Anerkanntes, einmaliges Forschungsprofil zur klaren Positionierung der Universi-

tät bei Drittmittelgebern.“354 Dieses Forschungsprofil fasst die vier Wissenschaftsinitiativen Kul-

turforschung, Management & Entrepreneurship, Bildungsforschung & Lehrerbildung sowie

Nachhaltigkeitsforschung355 unter einem Profil zusammen: „Balance von methodischer Strenge

und praktischer Relevanz“356. Die Universität verspricht so den Zielgruppen Verlässlichkeit und

Anwendung in der Forschung. Die Ziele der Wissenschaftsinitiativen sind es in der Kulturfor-

schung und Nachhaltigkeitsforschung, im nationalen und europäischen Wettbewerb unter den

ersten fünf der nachgefragten Institutionen positioniert zu sein und in den beiden weiteren Berei-

chen national und international im Wettbewerb wahrgenommen zu werden. Die Ziele beziehen

sich auf die Außenwahrnehmung und die Nachfrage. Auch die Campusentwicklung dient als Al-

leinstellungsmerkmal für die gesamte Hochschule, deren Bauten verschiedene Zielgruppen an-

sprechen soll357.

Profilbildung bedeutet die Anpassung an dem, was auf dem Wettbewerb Attraktivität verspricht,

da die Attraktivität das zu verfolgende Ziel ist (siehe oben): Inhalte und Strukturen werden so an

349 LUL: Das Beispiel Lüneburg (2008), S. 10. 350 Ebd. 351 Ebd. 352 LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 8. 353 Vgl.: Ebd., S. 4. 354 UL: Humanistisch Nachhaltig Handlungsorientiert (5. Juli 2006), S. 31. 355 LUL: Eine öffentliche Universität für das 21. Jahrhundert, S. 12. in der Universitätsentwicklung wurden die Wissenschaftsinitiativen teilweise mit anderen Bezeichnungen

beschlossen: Initiative Bildungsforschung und Soziale Arbeit (Arbeitstitel), Initiative Management & Unternehmerisches Handeln, Initiative Kulturforschung, Initiative Nachhaltigkeitsforschung (Vgl.: LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 8.).

356 LUL: Eine öffentliche Universität für das 21. Jahrhundert, S. 10. 357 Vgl.: LUL: Campusentwicklung 2012 (2008), S. 28.

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den Bedürfnissen der Zielgruppen und an den Vergleichskriterien sowie Forderungen des für die

Zukunft erwarteten Wettbewerbs ausgerichtet. An der LUL werden so sowohl die Strukturen als

auch die übergreifenden Inhalte und die Subjekte an Zukunft und Wettbewerb ausgerichtet. Pro-

filbildung ist das Instrument für diese Ausrichtung.

Abschließend soll auf folgende Implikationen dieses Vorgehens eingegangen werden: Profilbil-

dung bedeutet das Produzieren von Einheitlichkeit. Daran anschließend wird ein Exkurs zum

Markenbildungsprozess die Beschreibung des Profilprinzips abschließen.

Dem im Diskurs beschriebenen Vorgehen der LUL folgend bedeutet Profilbildung auch Ein-

heitsbildung: Einheit entsteht, indem Leitbegriffe und ein Leitziel die gesamte Universität reprä-

sentieren. Einheitlichkeit ist der LUL auch hinsichtlich der Studienabschlüsse wichtig: Bereits in

der ersten Grundsatzdiskussion im Senat wird – abgeleitet aus der Analyse der Ist-Situation – das

Ziel der Einheitsbildung im Bachelor betont: „College“: „Konzentration auf einen Bildungsab-

schluss, ggf mit verschiedenen akademischen Titeln“358; Der Leuphana-Bachelor soll „Bildungs-

marke“359 und „Dachmarke“360 der Institution werden. Auch bei der Zusammenführung von

Master- und PhD-Angeboten wird in dieser Präsentation betont, sie zu „einer Graduate

School“361 zusammenführen zu wollen. Bestandteile beider Abschlüsse enthalten Inhalte, die für

alle Studierenden unabhängig ihrer Disziplin im Studium enthalten sind. Dies ist insbesondere

Kennzeichen des Leuphana-Bachelors, welcher ein gemeinsames erstes Semester beinhaltet. Alle

Disziplinen sind demnach nach einem einheitlichen Studienmodell strukturiert: „Das College

realisiert ein einheitliches Studienmodell für alle Fächer [...] Studienmodell aus Leuphana Se-

mester, Komplementärstudium, Major und Minor.“362

Aufgrund vereinheitlichter Titel von Studienabschlüssen – „Leuphana-Bachelor“, „Leuphana-

Master“ oder „Leuphana-Promotion“363 – wird ein standortabhängiges Studium geschaffen und

die Studierenden zugleich vereinheitlicht und profiliert sowie individualisiert gegenüber den

Studierenden anderer Universitäten. Die Studierenden werden so qua Abschlusstitel zu Reprä-

sentant_innen der „Leuphana“. Wie Einheitlichkeit auch durch das Verbinden der verschiedenen

profilbildenden Merkmale mit dem Markenzeichen hergestellt wird, zeigt der Exkurs Markenbil-

dungsprozess. (siehe unten)

Einheitlichkeit soll auch in bestimmten Grundhaltungen hergestellt werden, die alle Mitglieder

der Hochschule aufweisen sollen (dazu IV.4, IV.5).

358 UL: Humanistisch Nachhaltig Handlungsorientiert (5. Juli 2006), S. 13. 359 Ebd. 360 Ebd., S. 37. 361 UL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S: 12. 362 LUL: Informationen für Studieninteressierte (2010), S. 13. 363 Zur Leuphana Promotion unter anderem: LUL: Das Beispiel Lüneburg (2008), S. 23.

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Auch anhand des Einsatzes von „Persönlichkeit“ wird Einheitlichkeit hergestellt: Das Profil, das

sich die Institution gibt, wird als Menschenbild und Ziel von Bildung formuliert, so dass es auf

die Studierenden selbst angewendet wird (dazu IV.5). Einheitlichkeit im Profil der Menschen ist

relevant, weil die Marke „Leuphana“ von dem Bild in der Öffentlichkeit lebt, welches durch die

nach der Universität benannten Absolvent_innen ebenfalls beeinflusst wird.

Exkurs Markenbildungsprozess

Profil und Marke können nicht voneinander getrennt werden. Markenbildung wird hier verstan-

den als die Verbindung der profilbildenden Merkmale mit einem einheitlichen Symbol, welches

diese Merkmale abbilden soll364: Das Symbol der Zeichen „Leuphana“.

Das Vorgehen, um die Marke „Leuphana“ zu erstellen, ist es, verschiedene Aspekte, welche die

Außenwahrnehmung ausmachen sollen, durch Wiederholungen mit dem Markenzeichen

„Leuphana“ zu verbinden. Dieses Markenzeichen wird mit dem Ziel einer besseren Außenwahr-

nehmung erstellt und besteht aus neuem Namen, einem neuen Logo sowie aus einer spezifischen

Farbe und einer eigenen Schrift365.

Der Name „Leuphana“ erhält Bedeutung, indem er mit dem griechischen Gelehrten Claudius

Ptolemäus verbunden wird: Wie sich der Konstrukteur des ptolemäischen Atlas durch „Leiden-

schaft und Neugier“366 auszeichnete, so möchte sich auch die Institution, die den Namen der

norddeutschen Region aus dem im zweiten Jahrhundert n. Chr. erstellten Atlas annimmt, hier-

durch auszeichnen: „Diesem Geist entdeckenden Forschens und Lernens fühlt sich die Universi-

tät Lüneburg durch ihren Namen Leuphana verbunden.“367 Dieser Zusammenhang zwischen

dem griechischen Gelehrten, dem Namen und der Universität wird gefestigt, indem die profilbil-

denden Worte wiederholt werden, wenn die Anforderung an die Studierenden gestellt wird, lei-

denschaftlich und neugierig an das Studium heranzugehen.368 Das leidenschaftliche Forschen

wird so als die Botschaft des Namens „Leuphana“ konstruiert: „Der Name: Annahmen hinterfra-

gen“369 titelt eine Broschüre, um die Bedeutung von „Leuphana“ zu erklären. Dies verweist auf

364 Die LUL selbst spricht von Marke zum Einen dann, wenn es um die Kommunikation des Erststudiums geht

zu kommunizieren – als Bildungsmarke (Vgl.: UL: Humanistisch Nachhaltig Handlungsorientiert (5. Juli 2006), S. 15) und als Dachmarke (Vgl.: ebd., S. 37) – und zum Anderen im Bezug auf die Zeichen, welche die Institution nach außen präsentieren sollen: das „offizielle, allgemeine und bereichsübergreifende Markenzeichen der Universität“, das Logo. (Vgl.: LUL: Über die Leuphana – Profil – Logo). In Anlehnung an diesen Diskurs der LUL kann Marke als das Instrument der strategischen Kommunikation verstanden werden, welches die Merkmale unter ein Markenzeichen subsumiert und Schwerpunkte dahingehend legt, welche Inhalte vorwiegend mit dem Markenzeichen verbunden werden sollen.

365 Vgl.: UL: Außenauftritt der Universität Lüneburg, S. 8; 366 LUL: Über die Leuphana – Profil – Name. 367 Ebd. 368 Vgl.: LUL: Informationen für Studieninteressierte (2008), S. 6. 369 LUL: Eine Hochschule erneuert sich, S. 11.

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die kritische Prüfung und das Hinterfragen von Wissen370. Die Schrift der „Leuphana“ schließt

an den die Suche nach Erkenntnissen und an den Willen zum Wissen an und stellt die Verbin-

dung mit dem Leitbegriff „humanistisch“ her: die Schrift soll auf den Humanismus als klassi-

schen Wert in der Lehre verweisen und so auf das „immerwährende Streben der Universität nach

Erkenntnis“371.

Zwischen dem Sechseck des Logos und der Universität wird eine vielseitige Verbindung herge-

stellt: Als Salzkristall wird das Sechseck zu einer Metapher für die Stadt Lüneburg und deren

Entwicklung als Salzstadt. „Die Leuphana steht in der Kontinuität dieser Geschichte: Bildung ist

in der modernen Wissensgesellschaft so notwendig wie Salz für den Stoffwechsel.“372 Die Uni-

versität konstruiert so einen regionalen Bezug zur Universität und Verbindungen zwischen Regi-

on, Universität, moderner Gesellschaft und Bildung. Ein solcher regionaler Bezug wird auch

durch die neue Farbe unterstützt: Orientiert an der Naturfarbe von Kristallen soll eine Verbin-

dung zum Lüneburg-typischen Salzkristall hergestellt werden.

In einer weiteren Lesart erhält das Sechseck des Logos als „Netzwerk“ eine Aussage, indem es

die Gemeinschaft nach innen wie nach außen symbolisieren soll: Die Universität betrachtet sich

sowohl als Teil des Kollektivs Gesellschaft, als auch als eigenes Kollektiv373. Dies schafft eine

Verbindung zu den Leitbegriffen, welche ebenfalls die Übernahme von Verantwortung in der

Gesellschaft in den Mittelpunkt rücken sowie die Universität als Gemeinschaft betonen (siehe

IV.5.2). Die dritte Lesart „Würfel“ symbolisiert die Vielseitigkeit von Wissen und die verschie-

denen Traditionen und Weltanschauungen. Dies verweist wiederum auf den Leitbegriff „huma-

nistisch“, da dieser die Kontextualisierung von Wissen zum Bildungsziel erklärt374.

Das Markenzeichen enthält somit die drei Bezüge Region, Netzwerk und eine neugierige, offene

Grundhaltung des Wissenwollens. Durch vielfältigen Bezug auf diese Bestandteile sowie auf das

Studienmodell und die Bildungsziele erhält auch die Campusentwicklung Anschluss an die Mar-

ke und wird Teil des inhaltlichen Profils375. Erweiternde Bereiche und Themen der Universität

370 Vgl.: LUL: Eine Hochschule erneuert sich, S. 11. 371 LUL: Über die Leuphana – Profil – Logo. 372 Vgl.: Ebd. 373 Vgl.: Ebd. 374 Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 4. 375 Die Campusentwicklung wird in der Selbstdarstellung sowohl an die Leitbegriffe geknüpft als auch als

Voraussetzung an die neuen Arbeitsweisen im Studium kommuniziert: Zentralgebäude, Studierendenwohnheim, Gästehaus und Parkhaus (Vgl.: LUL: Campusentwicklung 2012 (2008), S. 44.) sollen unter der architektonischen Leitung von Herrn Daniel Liebeskind ( Vgl.: ebd., S. 29) gebaut werden. Solche Bauvorhaben sind gemäß Selbstdarstellung deswegen sinnvoll und wichtig, Grundlage für das gemeinschaftliche Arbeiten und somit für die Didaktik (Interaktivität) im neuen Studienmodell sind: „Die veränderte Didaktik im neuen Studienmodell stellt hohe Anforderungen an Selbststudium, Teamleistungen und an die Verbindung von Feld- und Bibliotheksarbeit in Praxisprojekten.“ (Ebd., S. 20) Die Campusentwicklung soll diese Vorhaben mit Gruppen- und Einzelarbeitsräumen unterstützen. Zudem sollen in College und Graduate School Studierende aus unterschiedlichen Fächern zusammengebracht werden, wozu es „eine räumliche Konzentration“ benötigt, die es den Studierenden ermöglich, „auch jenseits enger Fächergrenzen zu studieren.“ (Ebd.) Auch eine universitäre

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können an diese Themen, auch nachträglich an die Marke „Leuphana“ angeschlossen werden. So

auch der Innovations-Inkubator, der die Themen Region und Netzwerk bedient376.

Dieser Auszug in die Art und Weise, wie sich die Merkmale des inhaltlichen Profils untereinan-

der und mit dem Markenzeichen verbinden, zeigt, wie Einheitlichkeit entsteht: Durch stete Wie-

derholung von Worten und Symbolen sowie durch die Aufladung mit Sinn in graphischen Ele-

menten, im Namen etc. Diese Einheitlichkeit reicht über das an dieser Stelle Vorgestellte weit

hinaus377. Hier wird auch erneut die Performanz von Kommunikation deutlich: Die Zusammen-

hänge werden innerhalb der Selbstdarstellung vorgenommen und entstehen auch einzig durch

sie.

Abschließend für IV.3 kann zusammengefasst werden, dass die Außenwahrnehmung im Rahmen

des Wettbewerbs zu dem Kriterium wird, welches mithilfe von Profil- und Markenbildung zur

Wettbewerbsfähigkeit führen soll. Im Zuge dessen wird die Universität gemäß einer Angebots-

struktur gestaltet. Die Universitätsstruktur wird in zielgruppenorientierten Einheiten organisiert –

College, Graduate School, Professional School, Forschung –, welche jeweils mit Merkmalen

ausgestattet sind, die sie erkennbar machen. Ein neues Forschungsprofil möchte Alleinstel-

lungsmerkmale aufweisen, um einen Platz im Wettbewerb zu erhalten. Diese Merkmale zeichnen

schließlich auch die Menschen aus, welche die Angebote wahrnehmen und welche nach dem

Profil der LUL ausgewählt werden (IV.5). In Verbindung mit Markenzeichen werden die profil-

bildenden Merkmale zur Marke „Leuphana“.

Diese Profilbildung entlang der Notwendigkeit, sich im Wettbewerb als Angebot behaupten zu

müssen, ist enthalten in dem Interpretationsrepertoire II: Die Universität muss Strukturen, Inhal-

Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden sei nur durch räumliche Nähe möglich. Die Universität benötigt laut Universitätsleitung außerdem Räume für Forschung, Konferenzen und Austausch, weil die Universität als ein Ort eben solcher Konferenzen und von Austausch wahrgenommen werden soll (Ebd.). Zum Anderen ist die Campusentwicklung gemäß Präsentation zur Campusentwicklung notwendig für erfolgreiches Lernen und Studieren, denn in einer solchen ästhetischen Umgebung wie der geplanten kann ein „kreatives Zusammenkommen von Studierenden“ entstehen, kann sich „Inspiration“ und ein „fruchtbarer Austausch zwischen Lehrenden und Lernenden“ entwickeln (Vgl.: ebd., S. 27). Bei dem dritten und letzten Aspekt für die Campusneugestaltung spielt nicht die interne Wirkung solcher Bauten eine Rolle, sondern die Wirkung nach außen: Ein zentraler und attraktiver Campus in Verbindung mit der Neuausrichtung habe Leuchtkraft für die Universität und die Region (Vgl.: ebd., S. 28) Des Weiteren würden Arbeitsplätze geschaffen und die Region so durch zusätzliche Besucher_innen unterstützt werden (Vgl.: ebd.).

376 Zum Beispiel zu finden in: LUL: Das Beispiel Lüneburg (2008), S. 29. 377 So nehmen beispielsweise alle vorgestellten Bestandteile der Profilbildung auch Bezug auf das Leitziel der

LUL. Die Umstrukturierung der Organisationsstrukturen sowie des Campus sind außerdem mit dem Verweis auf das Leitziel der Universität an die zentralen Botschaften gebunden: Die Umstrukturierung von Forschung und Lehre soll das Modell einer Universität zur Entwicklung der Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts sein (Vgl.: UL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 9), die Forschung soll sich gesellschaftlich relevanten Themen widmen. In der Entwicklungsplanung nehmen alle Wissenschaftsinitiativen Bezug auf diese Thematik der „Zivilgesellschaft“ (Vgl.: Universitätsentwicklungsplanung, S. 8). Auch der Campus soll ein Campus für die Zukunft sein (Vgl.: Campusentwicklung 2012 (2010), S. 24f.).

Weitere Arbeiten könnten diese Zusammenhänge vertiefend vorstellen, dies würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit übersteigen.

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te und Menschen als Einheit konzipieren, um sie als zielgruppenorientierte Angebote in den

Wettbewerb zu stellen.

IV.4 Profilbild „Kollektive Leistung für ein System der Freiheit“

Universitäten sollen leistungsfähig sein378. Die LUL betrachtet akademische Leistungen neben

dem inhaltlichen Profil als entscheidend für ihre nationale und internationale Aufmerksamkeit in

der Hochschullandschaft379. Somit ist Leistung neben der Profilbildung entscheidend für die

Wettbewerbsfähigkeit. Die Selbstdarstellung macht Leistung zur Grundlage: Leistung ist Ziel der

Universität und Anforderung an die Studierenden und die Lehrenden sowie wesentlicher Be-

standteil der Didaktik im Erststudium.

Das Interpretationsrepertoire, welches Leistungsprinzip sowie Freiheitsprinzip umfasst, lautet:

Der Mensch darf frei sein, solange seine Freiheit der Leistungserbringung dienlich ist und er

keine unerwünschten Entscheidungen trifft. (Interpretationsrepertoire III)

IV.4.1 Leistungsprinzip

Die LUL verspricht Leistung, um die Außenwahrnehmung positiv zu verändern und im Wettbe-

werb hoch positioniert zu sein: Die Neuausrichtung will exzellente Forscher_innen und Studie-

rende an die Universität bringen und will sich hoch im Wettbewerb positionieren sowie führende

Maßstäbe setzen (IV.2.2, S. 61).

Mit dem Willen zur hohen Leistung möchte die Universität eine besondere Rolle einnehmen im

Vergleich mit den anderen gesellschaftlichen Akteuren ein, da sie die Exzellenz herzustellen ver-

sucht, nach der alle streben, ohne aber hinsichtlich dieses Ziels tatsächlich aktiv zu werden: „Alle

reden von Exzellenz, wir arbeiten daran.“380 Ziel der Universität ist es demnach, zu den besten

Universitäten zu gehören. Die Möglichkeit der Vergleichbarkeit führt das Leistungsprinzip als

eines ein, welches Leistungen in Forschen, Lehren und Lernen als messbar und vergleichbar vo-

raussetzt.

Leistungen der Einzelnen wirken sich auf die Universität als Ganzes aus381. Individuelle Tätig-

keiten, welche als Leistungen anerkannt sind, werden für das Kollektiv wichtig. Die Konsequenz

378 In der Festschrift bemängelt der Präsident, die nationalpolitischen Regulierungen hätten in den letzten

Jahrzehnten negative Folgen für die Leistungsfähigkeit der Universitäten zur Folge gehabt (Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 3.)

379 LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 4. 380 LUL: Eine Hochschule erneuert sich, S. 1. 381 Beispiele für die Relevanz der individuellen Leistung für das Ganze: Die Neuausrichtung zeichnet sich

durch die Fokussierung auf einzelne Bereiche aus: Forschungszentren sollen sich auf wenige Themen konzentrieren; entlang der Fokussierungen wie der vier Wissenschaftsinitiativen soll die Universität wettbewerbsfähig und sichtbar werden. Dabei spielen einzelne Bereiche eine verschieden große Rolle: Nachhaltigkeitsforschung und Kulturforschung sollen zu den fünf besten Universitäten in diesen Bereichen werden, die beiden anderen Fokussierungen sollen lediglich sichtbar sein. Verschiedene Bereiche bringen für die

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ist, dass individuelle Leistungen Angelegenheit des Kollektivs sind, welche im Diskurs der LUL

zentral eingefordert und organisiert werden. Organisiert wird die individuelle Leistungserbrin-

gung zum Einen durch Leistung als grundlegende Haltung – als Leistungskultur – und zum An-

deren durch eine Schwerpunktsetzung in der Hochschuldidaktik.

Bevor diese beiden Weisen, Leistung herbeiführen zu wollen, näher erläutert werden, wird vor-

weg gestellt, dass der Diskurs der LUL keine eigenen Bestimmungen und Maßstäbe von Leis-

tung oder Exzellenz vornimmt. Damit wird vorausgesetzt, dass es gültige und einheitliche Leis-

tungsmaßstäbe gibt, die Exzellenz bezeugen. Diese vorausgesetzten Maßstäbe nimmt die Uni-

versität als verbindlich und richtungweisend an. Ohne einen eigenen Leistungsbegriff sind die

Hochschulmitglieder aufgerufen, sich an allem auszurichten, was als Leistung allgemein gültig

anerkannt wird. Denn Leistung besteht durch deren Unbestimmtheit an der LUL nur im Ver-

gleich und somit in der Positionierung gegenüber der Konkurrenz. Die Organisation von Leis-

tungen bezieht sich demnach auf einen unspezifischen Leistungsbegriff des Vergleichs.

Als Voraussetzung für die universitäre Freiheit und für „ungeahnte Leistungen“ wird eine „als

selbstverständlich geteilte Leistungskultur“ eingeführt382. Leistung soll kollektive Haltung sein,

die keiner Rechtfertigung bedarf und folglich auch nicht in Frage gestellt wird. Indem Leistung

wie selbstverständlich im Kollektiv erbracht wird, wird individuelle Freiheit möglich (dazu

IV.4.2). Unter Leistungskultur ist zu verstehen, dass Lehrenden und Studierenden die Inhalte von

Forschen, Lehren und Lernen eigene Anliegen sind und die Mitglieder persönlich überzeugt

sind383. Es soll des Weiteren Leistung auf der Grundlage dessen erbracht werden, dass die Hoch-

schulmitglieder ihre Tätigkeit als Privileg verstehen384. So soll Leistung an der Universität er-

bracht werden, weil sie erbracht werden will, kann und darf.

Universität als Ganze demnach unterschiedliche Reputation. Die erbrachten Leistungen strahlen so auf das Ganze der Universität. (Dass die aktuellen Leistungen nicht in ausreichendem Maße auf das Ganze strahlen würden, ist die Begründung für eine Umstrukturierung. Vgl.: UL: Humanistisch Nachhaltig Handlungsorientiert (5. Juli 2006), S. 10.); So können auch einzelne exzellente Forschende die Reputation der Universität erhöhen. (Vgl.: Ebd., S. 31).

Die Zukunft der Individuen und des Kollektivs ist nicht voneinander zu trennen: „Alle Mitglieder der Leuphana arbeiten gemeinsam an einer der vielleicht wichtigsten Kompetenzen für das 21. Jahrhundert: An der Gestaltung von Veränderung, und damit an der Gestaltung der Zukunft – der Zukunft des Einzelnen, der Zukunft der eigenen Hochschule und der Zukunft der Gesellschaft insgesamt.“ (LUL: Eine öffentliche Universität im 21. Jahrhundert (2007), S. 4.); Wenn die positive Wahrnehmung der Universität gestärkt ist, kann außerdem Einzelpersonen mit dieser Reputation Rückenwind gegeben werden (Vgl.: UL: Außenauftritt der Universität Lüneburg, S. 2.).

382 Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 5. 383 Es geht aus dem Text nicht hervor, worauf sich „persönliche Überzeugung“ bezieht. Wovon die Lehrenden

und die Studierenden überzeugt sein müssen, ob von den Inhalten, den Umständen, der Universität, der Leistungserbringung oder anderes, wird nicht deutlich (Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 5.)

384 Vgl.: ebd.,

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Innerhalb der Universität führt die LUL Leistung als unhintergehbare Anforderung ein und ver-

schiebt die Möglichkeit von Leistung in den Bereich des Willens385. Dies wird nachfolgend er-

läutert. In der Festschrift zur „Leuphana“ nennt der Präsident drei Aspekte der Hochschuldidak-

tik im College (welches als „Herz der Universität“386 beinahe die gesamte Broschüre einnimmt):

Interaktivität, Leistungsorientierung und Praxisbezug (zu Letzterem IV.5.2). Die Hochschuldi-

daktik geht insbesondere von der Frage aus, „wie Habitus und Verhalten der Studierenden geför-

dert werden können“, so dass diese die anspruchsvollen Ziele erreichen können, die mit dem

Leitziel der Universität, die Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts zu gestalten, verbunden

sind.387 Um das Angebot der Universität an die Gesellschaft und die Studierenden zu realisieren,

müssen die Studierenden einen bestimmten Habitus ausbilden. Unter dem ersten Aspekt „Inter-

aktivität“ wird ein Mentalitätswandel von Lehrenden und Studierenden eingefordert: Im Studium

darf es nicht mehr wie in der Schule um den geringst möglichen Aufwand gehen. Vielmehr soll

sich aktiv und engagiert eingebracht werden. Auch die Dozierenden sollen sich in der Lehre stär-

ker einbringen: ihre Rolle wandelt sich von vermittelnden Lehrenden zu ermutigenden Beglei-

ter_innen, die für ihre Aufgabe hohen Zeiteinsatz leisten388. Der erforderliche Mentalitätswandel

bedeutet, eine positive Einstellung zu Leistung herzustellen. Die Selbstdarstellung enthält so ein

Bildungskonzept, welches zum Ziel hat, eine einheitliche Haltung herzustellen.

Die Prämisse „Leistungsorientierung“ verbindet die Möglichkeit von Leistung mit Selbststän-

digkeit und Selbstverantwortung und gestaltet Leistungserbringung als willentlicher Akt der

Selbstorganisation und des Selbstverständnisses:

„Die Didaktik geht von der Selbstständigkeit und Selbstverantwortung der Studierenden aus und erwartet diese auch als Voraussetzung exzellenter Leistungen. Sie setzt deshalb auf ambitionierte Ziele und einen andererseits verglichen mit traditionellen Studienangeboten engeren, andererseits verglichen mit beruflichen Tätigkeiten weiteren, insgesamt aber konsequenten Zeitrahmen. Es ist die Verantwortung der Studierenden, erwartete Ergebnisse, auch innerhalb kurzer Fristen der Lehrveranstaltungen, zu erbringen. Bei Vollzeitstudierenden darf und muss dabei vom vollen Zeiteinsatz ausgegangen werden, bei Teilzeitstudierenden entsprechend vom vollen Einsatz für eine geringere Zahl von Lehrveranstaltungen.“389

Die Universität möchte ein Studium, welches leistungsorientiert ist. So setzt die Universität ex-

zellente Leistungen im Studium als Ziel. Um diese herzustellen, werden Anforderungen an die

385 Anders ist dies hinsichtlich des Zulassungssystems zum Studium: im Bezug auf die Studienanwärter_innen

wird Leistung auch als Fähigkeit verstanden: So sollen Zulassungssysteme zum Studium kognitive Strukturen und Studierfähigkeit prüfen (Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 6.). Hinsichtlich der an die Universität aufgenommenen Menschen wird Leistung jedoch nicht mehr als Fähigkeit betrachtet, welche auch in dem Bereich des Nicht-Möglichen liegen kann, sondern wird als generell möglich vorausgesetzt.

386 Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 3. 387 Ebd., S. 9. 388 Vgl.: Ebd. 389 Ebd., S. 10.

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Studierenden formuliert, die dem Studieren an der LUL zugrunde liegen. Bei der Gestaltung des

Studiums bestimmt die Universität des Weiteren den Zeitrahmen. Hinsichtlich der Entscheidung

darüber, wie viel Zeit für wie viel Leistung zur Verfügung stehen soll, möchte sich die LUL im

Vergleich zu bisherigen, traditionellen Studiengängen als leistungsfähiger positionieren: Der

Zeitrahmen soll enger sein.

Selbstständigkeit und Selbstverantwortung werden mit Bezug auf Leistungsorientierung verwen-

det, um auszudrücken, dass das von der Universität vorgegebene Ziel – hohe Leistungen und

Leistung in kurzen Zeiträumen – als eigene Ziele angenommen werden sollen: „Es ist die Ver-

antwortung der Studierenden, erwartete Ergebnisse, auch innerhalb kurzer Fristen der Lehrver-

anstaltungen, zu erbringen390“. So steht nicht in Frage, ob die erwarteten Ergebnisse erbracht

werden wollen, vielmehr wird es als die Verantwortung der Studierenden betrachtet, Leistungen

in kurzer Zeit zu absolvieren. Selbstständigkeit und Selbstverantwortung werden somit durch

Begrenzungen bestimmt: Die Richtung des Handelns darf nicht selbstständig bestimmt werden,

sondern es muss sich an dem Ziel der Universität ausgerichtet werden. Selbstverantwortung darf

nicht bedeuten, bewusst die Konsequenzen davon zu tragen, nicht zu leisten, sondern es muss,

um verantwortlich zu handeln, den Anforderungen nachgekommen werden. Die Vorgaben der

Universität müssen erfüllt werden, indem sich der Mensch als Unternehmer_in des Eigenen ver-

steht391 (dazu auch IV.5).

Leistungsorientierung wird mit der Absicht eingeführt, sie als „Habitus“ in die Individuen hin-

einzuverlagern, so dass diese den Anforderungen entsprechen392. Die Universität gibt somit ihr

öffentliches Versprechen und ihr Profilbild von Leistungsfähigkeit weiter: Der Wille zur Wett-

bewerbsfähigkeit zieht den Willen nach Exzellenz nach sich und individualisiert diese Ziele, in-

dem die Mitglieder der Hochschule exzellenten Output erbringen sollen. Im Studium soll die

Ausgestaltung dessen – knappe Fristen, hohe Erwartungen, Zulassungssystem (zu Letzterem

IV.5.1) – diese Leistung erzeugen. Dabei müssen die Studierenden individuell in der Lage dazu

sein, die Ansprüche umzusetzen, denn es ist die Verantwortung, dies selbstständig zu tun. Da es

die Verantwortung der Studierenden ist, die erwarteten Leistungen zu erbringen, bedeutet ein

Nicht-Leisten zugleich, dass die Studierenden dieser Verantwortung nicht nachgekommen sind.

Dies bedeutet auch, dass es im Diskurs der LUL kein Außen von Haftung für sich selbst gibt:

Kommen die Studierenden den Leistungen nicht nach, haben sie unverantwortlich gehandelt.

Eine Bestimmung durch Leistung als Richtgröße erfährt neben den Begriffen Selbstständigkeit

und Selbsverantwortung auch der Begriff Freiheit, der als Leistungsmaxime im College gilt.

390 LUL: Ein Studium fürs Leben, S. 10. 391 LUL: Informationen für Studieninteressierte (2010), S. 7 392 Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 9.

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IV.4.2 Freiheitsprinzip

Die Inhalte, die als die bildungsphilosophischen Ausarbeitungen zur Neuausrichtung gelten393,

formulieren eine Natur des Menschen: die Menschen sind frei und können sich aus sich selbst

heraus entwickeln394. Im College dient Freiheit als Leitmaxime395. Aus einer solchen Natur des

Menschen heraus begründet die LUL, dass sich auch das Studium aus den Erfahrungen der Stu-

dierenden heraus gestalten, das Studium von persönlicher Erfahrung geprägt und angeleitet wer-

den soll. Nicht die Disziplinen stehen im Vordergrund, sondern das Individuum, welches sich

nach eigenen Interessen bildet. Entgegen der bisherigen Bachelorstudiengänge, die sich – wie die

LUL schreibt – durch Verschulung und den Verlust universitärer Freiheit für die Studierenden

auszeichnen396, soll ein individuelles Studium mit inhaltlicher Freiheit gewährleistet werden:

„Studierende dürfen sich mit Leidenschaft in voller Tiefe scheinbar irrelevanter Fragestellungen und Themen ohne unmittelbarer beruflicher Nützlichkeit hingeben. Denn diese entsteht durch eine systematische wie intensive Studienarbeit während mehrerer Jahre, die zu einer Lebens-, Entwicklungs- und Berufsfähigkeit bei Studienabschluss führt, nicht durch die Ausrichtung eines jeden Kurses an seiner vermeintlichen Nützlichkeit mit Blick auf eine gerade aktuelle Vorstellung von Berufstätigkeit.“397

Der Freiheitsbegriff bedeutet im Diskurs so, dass die Menschen aufgrund ihrer Natur und der

Selbstständigkeit, die daraus hinsichtlich der eigenen Entwicklung folgt, die Inhalte ihres Studi-

ums selbst bestimmen sollen. Die Studieninhalte müssen nicht anwendbar oder nützlich sein,

sondern sollen die Studierenden dazu bringen, mit ihnen zu arbeiten und so Fähigkeiten auszu-

bilden, welche zu einer umfassenden Befähigung für Leben, Entwicklung und Beruf notwendig

sind. Die Inhalte werden dabei austauschbar. Freiheit bedeutet hier Wahlfreiheit im Rahmen des

Studiums und des inhaltlichen Angebots der Universität. Durch die Institution Universität, die

sich durch solch freies Forschen und Lernen, durch die freie Suche nach Wahrheit auszeichnet,

bietet die Hochschule „der Freiheit Raum zum Leben“398. Die LUL betrachtet sich selbst so als

Hochschule, welche die Lehre keiner übergeordneten Ideologie unterstellt. Auch betrachtet sie

die universelle Idee von Universität als gefährdet durch die nationalstaatliche Einmischung in

den letzten Jahrzehnten399. Die Universität erachtet es so für das Wesen von Universität als

grundlegend, außerhalb von politischen oder ideologischen Aspekten400 organisiert zu sein und

das eigene Studium ebenfalls ohne Ideologien zu gestalten. Mit einem solchen Bildungsver-

393 Vgl.: UL: Entscheidung zur Detaillierung der Neuausrichtung, S. 6. 394 Vgl.: LUL: Eine öffentliche Universität im 21. Jahrhundert, S. 10; LUL: Eine Hochschule erneuert sich,

S. 8. 395 Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 5. 396 LUL: Das Beispiel Lüneburg, S. 4. 397 Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 5. 398 LUL: Eine Hochschule erneuert sich, S. 3. 399 Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 3. 400 Vgl.: ebd., S. 3.

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ständnis will die Universität jede_n potentielle_n Studierende_n ansprechen, indem sie mit dem

Freiheitsbegriff eigenständige, persönliche Entwicklung und Leidenschaft verspricht: „Wer

möchte nicht mit leuchtenden Augen eine Universität als Ort intensiver Lebenserfahrung, als

Quelle gesellschaftlicher und persönlicher Veränderung erleben?“401 Freiheit gehört zu dem An-

gebot, das die Universität macht.

Der Freiheitsbegriff geht innerhalb der Selbstdarstellung der LUL nicht über die Wahlfreiheit im

Studium hinaus. Sie wird, wie bereits die Begriffe Selbstständigkeit und Selbstverantwortung

(siehe IV.4.1) mit dem Leistungsbegriff verbunden und so durch die Anforderung „Leistung“ als

„Freiwilligkeit“ bestimmt. Diese These wird im Folgenden ausgeführt.

„Ein überzeugendes Studienangebot ist dem Gedanken der Freiheit verschrieben, aber nicht der

Freiheit der Leistungsversagung oder des Organisationschaos, sondern der inhaltlichen Frei-

heit.“402 Die Selbstdarstellung bestimmt Freiheit, indem sie Wahlfreiheit zugesteht, diese Freiheit

im Studienangebot soll aber nicht dazu befördern, dass die Studierenden Leistung willentlich

nicht erbringen oder ihr Studium chaotisch organisieren. Der Diskurs beinhaltet so zum Einen,

dass die Universität Freiheit als Grundlage integriert, indem sie ihr Studienangebot an einem von

der LUL bestimmten Freiheitsbegriff orientiert. Freiheit ist so etwas Bestimmbares, in das Studi-

enangebot Einplanbares und etwas, was befördert werden kann. Zum Anderen erfolgt die Einfüh-

rung von Freiheit, indem dieser Freiheit abzulehnende Entscheidungen von Studierenden gegen-

über gestellt werden, die sich auf die Leistungserbringung und die Studienorganisation beziehen.

Freiheit wird zwar als inhaltliche Wahlmöglichkeit befördert, soll jedoch nicht in anderen Berei-

chen Verhaltensweisen befördern, welche die Universität als negativ betrachtet. Freiheit als

Leitmaxime einzuführen, bedeutet hier nicht, Freiheit als zu befördernde Grundlage von Studium

und Lebensorganisation und als höchste Prämisse einzusetzen, sondern meint, solche Bereiche

kenntlich zu machen, in denen Freiheit die Prämisse sein soll, und solche Bereiche, in denen sie

nicht Prämisse sein soll. „Freiheitliches Lernen“403 beinhaltet, Freiheit in einem Bereich leben zu

dürfen, der für die LUL wenig relevant ist: Denn für die LUL bedeutet das richtige Studium, un-

abhängig der Inhalte intensiv zu studieren, sich anhand des Aktes des Studierens Fähigkeiten

anzueignen und so der Gesellschaft und sich selbst nützlich zu sein. Freiheit bezieht sich so auf

den Bereich, innerhalb dessen sie nützlich ist404, im Bereich des „Wie“ des Studiums sollen da-

401 LUL: Eine Hochschule erneuert sich, S. 3. 402 Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 5. 403 Ebd. 404 „Vielmehr orientieren sich die Lehrveranstaltungen, die idealerweise den Forschungsarbeiten der

Lehrenden entsprechen, an methodischer Strenge, fachlichen Erfordernissen und dem generellen Bildungsziel. Dieses freiheitliche Lernen bereichert die menschliche Existenz und ist eine der Leistungen unserer Zivilisation – und in diesem Sinne ganz besonders „nützlich“.“ (Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 5.)

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gegen keine unliebsamen Entscheidungen getroffen werden, da dies der für die LUL ausschlag-

gebende Aspekt des Studiums ist. Hier gilt es, Entscheidungen zu dirigieren.

Freiheit wird auch als Eigenschaft des Persönlichkeitsbildes aus dem Leitbild „handlungsorien-

tiert“ formuliert. Diese unternehmerische Persönlichkeit soll in „unternehmerischer Freiheit“405

agieren. Unternehmerische Freiheit ist im Text der LUL nicht definiert, wird also nicht weiter

ausgeführt (zu dieser Vorgehensweise siehe IV.1.3). Nur aus dem Gesamtdiskurs heraus kann

geschlossen werden, dass unternehmerische Freiheit bedeutet, die Inhalte frei wählen und selbst-

ständig und selbstverantwortlich die erwartete Leistung unter den gesetzten Rahmenbedingungen

erbringen zu können.

Auch die Freiheit der Lehrenden besteht aus Wahlfreiheit und wird durch Leistung als regulie-

rendes Prinzip bestimmt. Freiheit als Leitmaxime meint für die Lehrenden die Wahlmöglichkeit

hinsichtlich der Gestaltung ihrer Lehre. Diese Wahlmöglichkeit soll die Lehrenden zu Neuem

aktivieren und ihnen erlauben, ihre Stärken zu entfalten. Diese Freiheit muss zugleich aber regu-

liert werden: „Gut nach Regeln organisiert, bleibt es handhabbar.“406 Diese Freiheit der Lehren-

den nützt der Universität, weil sie die Attraktivität des Studiums erhöht407. Freiheit wird also

auch hier für denjenigen Bereich als Leitmaxime eingesetzt, in dem sie nützlich ist. Zugleich

wird Freiheit eingeführt, indem sie durch Regeln eingegrenzt wird.

Bedingung für die Freiheit in der Lehre ist Leistung als Ausrichtung und Grundhaltung: Ein ver-

gleichbares hohes Niveau in den Lehrveranstaltungen ist relevant, um den Lehrenden Wahlfrei-

heit zu ermöglichen408. Auch kann Freiheit dem Diskurs der LUL nach richtig oder falsch genutzt

werden: Voraussetzung für das freie Studienangebot ist für alle die Leistungserbringung, nämlich

„eine als selbstverständlich geteilte Leistungskultur aus inhaltlichem Anliegen und persönlicher

Überzeugung“ sowie, dass „alle Beteiligten Lehren und Lernen als Privileg verstehen“409. So

muss Freiheit „durch Lehrende und Lernende im Sinne der Sache, nicht der Minimierung des

eigenen Aufwands“410 genutzt werden. Leistung soll Wille aller sein und aus dem Willen an der

Sache hervorgehen, ebenso wie daraus, dass alle Lehrenden und Lernenden persönlich überzeugt

sind411. Leistung soll wie selbstverständlich erbracht werden und somit keine Hinterfragung und

Rechtfertigung benötigen. Eine weitere Grundhaltung wird für Lehren und Lernen vorausgesetzt:

Wahlfreiheit ist dann möglich, wenn nicht nur eine leistungswillige, sondern auch eine dankbare

405 UL: Grundgedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg. Erste Grundsatzdiskussion S. 8. 406 Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 5. 407 Vgl.: Ebd. 408 Vgl.: Ebd. 409 Ebd. 410 Ebd. 411 Vgl.: Ebd.

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kollektive Grundhaltung vorherrscht. Unter solchen Bedingungen ist Freiheit nützlich für die

Leistungsfähigkeit:

„Dann [wenn eine als selbstverständlich geteilte Leistungskultur herrscht und Lehren und Lernen als Privileg verstanden werden; Anmerk.d.Verf.] werden in einem solchen System der Freiheit ungeahnte Leistungen möglich, die keine bürokratische Regulierung oder ökonomische Anreizstruktur hervorzubringen in der Lage ist. Allerdings ist ein solches System hoch gefährdet, weil jeder Beteiligte es durch informelle Regelbrüche zerstören kann, so dass schnell „Free Riding“, Zynismus und in Folge Fremdsteuerung eintreten. Das „Studienparadies“ muss folglich jeden Tag erhalten und gepflegt werden.“412

Unter der Beschreibung von Leistung als Leitmaxime kehren sich die Begründungen um und die

Leistungsorientierung erhält Priorität. Diese gemeinsame Haltung eines kollektiven Interesses an

Freiheit ersetzt strukturelle Zwänge: Freiheit wird zum Mittel, anhand dessen ohne

Regulierungen oder Anregungen Leistung gewährleistet werden soll. Wird nicht freiwillig

geleistet, so tritt in Folge „Fremdsteuerung“ ein, müssen also bürokratische Regulierungen und

ökonomische Anreize den Willen durch Strukturen ersetzen. Das Freiheitsprinzip der

Selbstdarstellung wird so durch die Bedrohung vor Nicht-Freiheit eingeführt: Die Freiheit, zu

entscheiden, endet dort, wo falsch entschieden wird. Freiheit im Diskurs der LUL bedeutet

Freiwilligkeit – die freiwillige und von persönlicher Überzeugung sowie Dankbarkeit getragene

Erbringung der geforderten Leistung.

Die individuelle Freiheit wird zur Gefahr für das Kollektiv, wenn sie über die Bereiche der Wahl-

freiheit hinaus für eigene Entscheidungen entgegen der Erwartungen genutzt wird: Jede_r Ein-

zelne kann das System bedrohen. Nicht zu leisten bedeutet, zugunsten der eigenen Bedürfnisse

die gesamte freiheitliche Grundlage, das gesamte System zu zerstören. Wie auch hinsichtlich der

Nutzung des Begriffs „Selbstverantwortung“ wird der Mensch haftbar – doch hier nicht nur für

sich, sondern auch für das gesamte Kollektiv: Nicht den erwarteten Regeln gemäß zu handeln

besagt, einen willentlichen Regelbruch zu begehen. Nicht gemäß der informellen Regeln zu leis-

ten, bedeutet, willentlich das Kollektiv zu gefährden.

Einheitlichkeit, die bereits die inhaltliche Profilbildung herstellt, wird von den Lehrenden und

Lernenden eingefordert, um das zweite Standbein der Wettbewerbsfähigkeit, die Leistungsfähig-

keit der Institution, zu garantieren. Freiheit wird dort eingesetzt, wo sie der Leistungserbringung

dient und Ungeahntes hervorzubringen vermag. Dem diagnostizierten Risiko von individuellen

Entscheidungen des Nicht-Leistens wird mit der Aktivierung zum Einsatz begegnet: Dauerhaft

muss sich bemüht, muss also für das Studiensystem Leistung betrieben werden. Ein Nicht-

Leisten wird als Entscheidung und Gefahr eingeführt.

412 Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 5. .

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IV.4.2 zeigt das Wechselspiel von Leistung und Freiheit und die Wirkungsweise des unhinter-

gehbaren Prinzips „Leistung“: Indem der Freiheitsbegriff in der Selbstdarstellung problematisiert

wird, wird er zugleich als etwas sichtbar und in den Diskurs einbezogen, was bestimmbar ist.

Durch dessen Bestimmung wird Freiheit integriert und damit auch auf bestimmte Bereiche im

Studium und in der Lehre begrenzt sowie auf eine bestimmte Richtung angewendet. Leistung als

vorrangiges Ziel wird als zu inkooperierende Prämisse für Individuen und Kollektiv verstanden,

die alle Faktoren reglementiert beziehungsweise überhaupt erst ermöglicht. Interpretationsreper-

toire III besagt eben dies: Der Mensch darf frei sein, solange seine Freiheit der Leistungserbrin-

gung dienlich ist und er keine unerwünschten Entscheidungen trifft.

IV.5 Profilbild „Bildung zur Verantwortung“: Individuelles Befördern von Gesellschaft

Das inhaltliche Profil der Universität geht von den zu bildenden Menschen und dessen Erfahrun-

gen aus. Unter dem Leitbegriff „humanistisch“ versteht die Institution das Zusammenwirken von

Fachausbildung und Persönlichkeitsbildung sowie die Kontextualisierung des Wissens413. Mit

der Persönlichkeitsbildung geht ein Bildungsverständnis einher, welches nicht das Wissen, son-

dern die Fähigkeiten des Menschen zum Ziel macht. Dieses Bildungsverständnis reicht über das

Studium hinaus, indem auch das Leben außerhalb des Studiums als Fähigkeiten und Lernprozes-

se beschrieben werden und so alle Lebensbereiche in das universale Bildungsverständnis der

Universität integriert werden. Des Weiteren bedeutet Bildung der Persönlichkeit eine Bildung zu

einer bestimmten Persönlichkeit nach dem Zielbild der LUL. Dieses Zielbild beinhaltet das Bil-

den von Menschen, welche der Gesellschaft nützen.

Das inhaltliche Profil, welches die Selbstdarstellung erzeugt, wirkt so als folgendes Interpretati-

onsrepertoire zusammen: Bildung bedeutet, sich umfassend zu einem Persönlichkeitstypus zu

formen und formen zu lassen, welcher sich selbst als flexible gesellschaftliche Ressource ver-

steht. (Interpretationsrepertoire IV)

Indem die LUL die Studierenden in den Mittelpunkt rückt, macht sie diese zugleich zu Angebo-

ten – zu dem Angebot an die Studierenden, sich ein bestimmtes Profil anzueignen und zum An-

gebot an die Gesellschaft, gesellschaftsfähige und gestaltende Persönlichkeiten zu bilden. Wirk-

sam werden hier die Deutungsmuster Persönlichkeitsprinzip, Prinzip der umfassenden Bildung

und das Prinzip „Gemeinschaft gestalten“.

413 LUL: Informationen für Studieninteressierte (2008), S. 10.

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IV.5.1 Persönlichkeitsprinzip: Schnittstelle von Profil und Mensch

Der Begriff Persönlichkeitsbildung wird im Diskurs nicht ausdrücklich definiert. Er wird jedoch

an einigen Stellen im Text als das Erlernen von Fähigkeiten und als Aneignung eines Habitus

formuliert und des Weiteren durch die Beschreibung des Zulassungssystems konkretisiert. Be-

sonders im College soll Persönlichkeit durch übergreifende Studieninhalte in Komplementärstu-

dium414 und Leuphana Semester415 gebildet werden.

Der Diskurs der LUL führt Persönlichkeit ein, zum Einen mit dem Ziel der Ansprache der Ziel-

gruppe der Studierenden sowie der Gesellschaft und zum Anderen mit dem Ziel, das Profil und

somit die Marke „Leuphana“ einheitlich zu gestalten, indem die profilbildenden Merkmale der

Institution zu denen der Individuen werden. Diese Thesen gilt es nachfolgend und in IV.5.2 aus-

zuführen.

Persönlichkeit wird eingeführt als etwas zu bildendes und zu bewertendes: Persönlichkeit kann

von einer Institution bestimmt und geformt werden. Auch hat die LUL zum Ziel, dass ihre Ab-

solventinnen und Absolventen über eine „ausgeprägte Persönlichkeit“416 verfügen. Dies impli-

ziert, dass nicht alle Menschen über eine solche verfügen, diese aber erlernbar ist, sowie, dass

das Verfügen über eine Persönlichkeit, welche den Menschen deutlich prägt, einen Wert für die

LUL darstellt. Menschen sollen durch Prägung individuell erkennbar sein.

Persönlichkeitsbildung wird mit dem Erlernen von Fähigkeiten417 gleichgesetzt. Persönlichkeit

zu haben meint deshalb, etwas zu können, was im Rahmen der Persönlichkeitsbildung als Fähig-

keit formuliert wird und so Wert erhält. Dies führt zu der Maxime „Studiert, was ihr wollt – das

aber richtig!“418. Nicht vorrangig durch Wissen entstehen Fähigkeiten, sondern durch das inten-

sive Studium419 – nicht vorwiegend das Wissen ist das Ziel, sondern das studentische Agieren der

Personen.

Diese Maxime wiederum folgt dem, was die LUL als Erfolg auf dem Arbeitsmarkt wertet: ge-

genwärtig und zukünftig werden flexible Menschen auf dem Arbeitsmarkt gebraucht, weshalb

auch wichtig ist, wie studiert wird – um sich flexibel einsetzbare Fähigkeiten anzueignen – und

nicht immer, welche Inhalte studiert werden420. Die Art und Weise des Studierens soll Fähigkei-

ten erzeugen. Persönlichkeitsbildung wird deswegen zum Ziel der Universität, weil auf dem Ar-

beitsmarkt gemäß der LUL die Fähigkeiten relevant sind. So folgen sie den Ansprüchen und

414 Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 7. 415 Vgl.: LUL: Information für Studieninteressierte. Stand: Juli 2008, S. 14. 416 UL: Humanistisch Nachhaltig Handlungsorientiert (5.07.2006), S. 24. 417 Vgl.: LUL: Informationen für Studieninteressierte (2008), S. 5. 418 LUL: Interessant wird es, wenn man mehr als eine Seite kennt, S. 3. 419 Vgl.: ebd. 420 LUL: Eine öffentliche Universität im 21. Jahrhundert, S. 10.

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Wertigkeiten dieses Marktes: Den vielfältigen Anforderungen moderner Berufswege soll begeg-

net werden können.

Durch das Einführen von Persönlichkeit werden die Individuen durch ihr Können sichtbar: Sie

erhalten ein Profil an Fähigkeiten. Persönlichkeitsbildung bedeutet die Bildung dieses Profils,

also eine bestimmte Prägung. Das Profil, welches über die Persönlichkeit als zu bildendes Ele-

ment an die Studierenden vermittelt werden soll, besteht auch aus den Anforderungen, die in der

„Bildungsphilosophie“421 formuliert werden. Diese formuliert ein Profilbild für Menschen, wel-

ches Anknüpfungspunkte an die disziplinären Schwerpunkte der Universität aufweist422. Die An-

gebote der Universität werden als Zielbild eines zukunftsfähigen Studierenden kommuniziert, die

inhaltlichen Schwerpunkte der „Leuphana“ werden zu den Eigenschaften und Fähigkeiten, wel-

che Menschen gemäß des Menschenbildes aufweisen müssen, um in der derzeitigen Welt zurecht

zu kommen und sich angemessen zu verhalten:

Der Schwerpunkt Kulturforschung stellt die Frage nach der „kulturellen Reflexion der Zivilge-

sellschaft des 21. Jahrhunderts“423 und nach den kulturellen Praktiken verschiedener Welt- und

Selbstverständnisse424 und fragt nach dem Entstehen des „kulturellen Erbes“425, Kunst- und Me-

dienwissenschaften. Entsprechend beinhaltet das Zielbild der LUL Menschen, die sich durch

Sensibilität für das „kulturelle Erbe“ auszeichnen und „sich selbst und andere als Teil der Welt,

die durch Ideen, Werte, Traditionen geprägt ist, verstehen“. Unterschiede sollen „u. a. in der

Kunstgeschichte, der Religion oder der Ideengeschichte“426 erkannt werden können.

Der Schwerpunkt Nachhaltigkeitsforschung fragt nach der „nachhaltigen Gestaltung unserer

Gesellschaft“, legt den Forschungsfokus auf gesellschaftlichen Wandel und Umweltveränderun-

gen427 und ist trans- und interdisziplinär angelegt428. Im Profilbild wird ebenfalls Sensibilität für

das natürliche Erbe angesprochen, die Gestaltungskompetenz zur Nachhaltigkeit sowie Interdis-

ziplinarität429. Auch die als Leitbegriff festgelegte Handlungsorientierung wird von der Nachhal-

tigkeitsforschung angestrebt430. Das in diesem Leitbegriff sowie im Leitziel431 enthaltene Ziel der

Problemlösung wird auch von der Wissenschaftsinitiative Management und unternehmerisches

421 LUL: Eine Hochschule erneuert sich, S. 7. 422 Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 4. 423 LUL: Eine öffentliche Universität für die Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts, S. 12. 424 LUL: Universitätsentwicklungplanung, S. 31. 425 Ebd., S. 35. 426 Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 4f. 427 LUL: Eine öffentliche Universität für die Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts, S. 13. 428 LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 27. 429 LUL: Über die Leuphana – Profil – Leitbild. 430 LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 26. 431 LUL: Ebd., S. 4.

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Handeln verfolgt432, ebenso wie die Praxisorientierung433 und der Verweis auf das Unternehmer-

tum434, welche ebenfalls im Leitbild der Handlungsorientierung und in der Didaktik vorkommen.

Die Bildungsphilosophie, die ein Zielbild für die Studierenden aufweist und die Universität in-

haltlich positionieren soll, generiert sich so auch aus den verschiedenen profilbildenden Schwer-

punkten der Universität. So werden die disziplinären Inhalte der Universität in Form eines Men-

schenbildes kommuniziert. Die Menschen, die für die Zukunft vorbereitet sein sollen, sollen über

die Eigenschaften verfügen, welche die LUL inhaltlich bietet. Die Inhalte werden als ideales,

zukunftsfähiges Menschenbild zum Angebot.

Dass Persönlichkeit im Diskurs der LUL als Profil zu verstehen ist, wird auch aus dem Zulas-

sungssystem der LUL ersichtlich: In Auswahlgesprächen sollen Rückschlüsse darauf gezogen

werden, ob Studierende zur Interaktion, zur Teamarbeit und zum besonderen Engagement an der

Universität bereit und oder fähig sind435. Dieses Vorgehen sowie den Studierfähigkeitstest, in

dem kognitive Strukturen abgefragt werden436, und die zusätzliche Wertung von besonders zeit-

intensivem Engagement im bisherigen Leben der Studierenden bezeichnet der Präsident als die

Auswahl nach Persönlichkeit437. Das bedeutet zum Einen, dass Persönlichkeiten beinhalten, was

die Person getan hat und was sie an Bereitschaft und Können aufweist, um einschätzen zu kön-

nen, was sie in Zukunft tun wird und inwiefern sie die Universität bereichern kann und will. Er-

neut wird hier das Einführen von Persönlichkeit sichtbar als das Einführen eines Profils der

Menschen, anhand dessen bestimmte Kriterien abgefragt und die Menschen so bewertet und se-

lektiert werden können. Zum Anderen bedeutet das Auswählen nach solchen Kriterien, dass die

Universität selbst die Kriterien für die Bewertung von Persönlichkeit festlegt und diese Kriterien

von den universitätseigenen Ansprüchen abhängen: So werden die in den Auswahögesprächen

abgefragten Kriterien – Interaktion und Teamarbeit – im gesamten Diskurs als die von der LUL

bevorzugte Arbeitsweise angegeben438. Ebenso wird Einsatz für die Universität und generelles

Engagement vielfach gefordert und auch im Leitbild genannt439. So erfahren die Studienanwär-

ter_innen eine Selektion gemäß des Menschen- und Zielbildes der Institution. Das Profil der

432 LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 19. 433 Ebd. 434 Ebd., S. 18ff. 435 Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 6. 436 Vgl.: ebd. 437 LUL: Pressemitteilung: Leuphana fordert Umdenken bei Hochschulzulassung. 438 Zum Beispiel: LUL: Informationen für Studieninteressierte (2010), S. 13.; Spoun: Ein Studium fürs Leben,

S. 7, 8; LUL: Campusentwicklung 2012, S. 21; LUL: Interessant wird es, wenn man mehr als eine Seite kennt, S. 3.

439 Zum Beispiel: LUL: Interessant wird es, wenn man mehr als eine Seite kennt, S. 3, 17; LUL: Informationen für Studieninteressierte, S. 4, 5, Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 6, 9; (der hohe Zeiteinsatz wird hier ebenfalls genannt, S. 9, 10); LUL: Eine Hochschule erneuert sich, S. 1, 8, 9; LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 48.

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Universität soll so mithilfe der Persönlichkeit auch zu dem Profil der Menschen werden. Auf

diese Weise stellt die LUL Einheitlichkeit in ihrem Profil her:

„„Talent geht vor Note“, sagte Spoun in Lüneburg. „Deshalb müssen wir endlich zu einem Zulassungssystem kommen, das die Persönlichkeit der Bewerberinnen und Bewerber zur Geltung bringt und nicht einseitig auf das Schulzeugnis schielt.“ [...] Nach Auffassung der Leuphana brauchen die Universitäten künftig stärker als je zuvor Studierende, die zu ihnen passen. Hintergrund ist der demografische Wandel. Er wird zu einem sich weiter verschärfenden Wettbewerb der Universitäten untereinander und zu einer deutlichen Differenzierung und Profilierung der Hochschulen in Deutschland führen. Spoun: „Dies bedeutet, dass auch die Zulassungsverfahren auf die Besonderheiten der jeweiligen Universität zugeschnitten werden müssen. Unser System gibt uns die Möglichkeit, studienbezogene kognitive Fähigkeiten zu erfassen, die für das Studium in Lüneburg wesentlich sind. So finden wir die Studierenden, deren Profil ideal zu unserem Universitätsmodell passt und sichern damit Studienerfolg und Qualität der Absolventinnen und Absolventen.“440

Kognitive Fähigkeiten werden abgefragt mit dem Ziel, in dem zukünftig erwartbaren Ringen um

Talente als Siegerin des Wettbewerbs hervor zu gehen. Dies setzt voraus, dass es bestimmte kog-

nitive Fähigkeiten gibt, die besonders an der „Leuphana“ benötigt werden. Die Studieninteres-

sierten müssen so bereits vor ihrem Studium über ein der Leuphana nach erstrebsames Agieren

und Denken verfügen. Diese Form der Selektion nach weiteren Kriterien über die Abschlussnote

hinaus ist auch ein Mittel, um die Leistungsfähigkeit der LUL zu erhöhen: Die Marke „Leupha-

na“ wirbt mit einer hohen Positionierung des Erststudiums und möchte hoch gebildete Absol-

vent_innen. Um diese Ziele zu erreichen und demnach auch die Marke „Leuphana“ qualitativ

hochwertig im Wettbewerb zu beweisen, müssen die Studierenden die Ansprüche erfüllen, die

eine hohe Wettbewerbsposition versprechen. Um versprochene Ziele also zu erreichen und die

Qualität zu erbringen, möchte die LUL bereits Studierende an die Universität holen, die den Kri-

terien, mit denen sich im Wettbewerb behauptet werden soll, gemäß passend sind. Eine solche

Einheitlichkeit im Profil der Studierenden ist auch hinsichtlich der Leistungsorientierung ersicht-

lich, nach welcher die Didaktik gestaltet sein soll: die Studierenden müssen selbstständig die

geforderten Leistungen erbringen, um auf einem gemeinsamen Stand zu sein, welcher einen Aus-

tausch zwischen den Studierenden, wie die LUL ihn sich vorstellt, erst ermöglicht441. Das impli-

ziert, wie bei der Vorstellung des Leistungsprinzips (IV.4.1) ersichtlich wurde, auch, dass alle

diejenigen, welche für ein Studium ausgewählt wurden, haftbar gemacht werden für das Erbrin-

gen der Leistung und dass es kein Außen dieser Haftung gibt. Mit der Auswahl nach einem Fä-

higkeitsprofil ermöglicht es die LUL, die Leistungsfähigkeit herzustellen, welche sie für das An-

forderungsprofil des Studiums vorsieht. Eine Auswahl gemäß dessen, was die Universität als

Fähigkeiten und als leistungsfähig versteht, kann so auch als Umsetzung des Ziels der Wettbe- 440 LUL: Pressemitteilung: Leuphana fordert Umdenken bei Hochschulzulassung. 441 Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 10.

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werbsfähigkeit verstanden werden: Die Botschaften des hoch positionierten Bachelors und der

engagierten Studierenden wird durch eine nach diesen Kriterien gestaltete Auswahl von Studien-

interessierten realisiert.

Das Persönlichkeitsprofil der Studierenden soll hergestellt werden, indem die Studierenden so-

wohl mit inhaltlicher Tiefe als auch mit überfachlichem Weitblick studieren, theoretisch fundiert

und dabei anwendungsbezogen und praxisnah, eigenverantwortlich und dabei gut betreut, selbst-

ständig und in Teamarbeit442.

Diese breit angelegten und umfassenden Anforderungen im Studium werden in die Verantwor-

tung der Studierenden gelegt: Durch Begriffe unbestimmter individueller Eigenschaften verweist

der Diskurs der LUL auf die Voraussetzungen für ihr Studienangebot: So sollen die Studierenden

beispielsweise engagiert (siehe oben), leidenschaftlich und begeistert studieren443, neugierig und

offen444, intensiv445, einem akademisch anspruchsvollen Erststudium gewachsen446, Denken und

Handelnd verändernd447, motiviert448. Die Verantwortung für Erfolg wird mit der Konzentration

auf das „Wie“ des Studierens von der fachlichen Qualifikation weg und vollständig in den Be-

reich der willentlichen Ausgestaltung des Studiums durch die Individuen gelegt449. Die Unbe-

stimmtheit der Begriffe, welche die Voraussetzungen beschreiben, produziert die Aussage, dass

einzig der individuelle Einsatz derjenigen, welche für das Studium ausgewählt wurden, die Ent-

scheidung über Misserfolg oder Erfolg bringt. Ein Ende des Einsatzes für das Studium ist nicht

Bestandteil der Selbstdarstellung, da es sich um Eigenschaften handelt, die entweder individuell

und demnach dauerhaft im Habitus der Studierenden vorhanden oder nicht vorhanden sind. So

gibt es keine zu erreichenden Kriterien, welche als Metapher dafür angeführt werden, ausrei-

chend engagiert, leidenschaftlich oder neugierig gewesen zu sein.

442 LUL: Interessant wird es, wenn man mehr als eine Seite kennt, S. 2. 443 Zum Beispiel: „leidenschaftlich“ (LUL: Eine öffentliche Universität im 21. Jahrhundert, S. 10; LUL:

Interessant wird es, wenn man mehr als eine Seite kennt, S. 3), „begeistert“ (LUL: Campusentwicklung (2208), S. 6).

444 Zum Beispiel: „neugierig“ – LUL: Informationen für Studieninteressierte (2008), S. 6; „offen“ – LUL: Informationen für Studieninteressierte (2010), 8; LUL: Eine Hochschule erneuert sich, S. 7

445 Zum Beispiel: LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 47 (intensives Erststudium); LUL: Interessant wird es, wenn man mehr als eine Seite kennt, S. 3, 8.

446 Zum Beispiel: LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 47; Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 9f.; UL: Humanistisch Nachhaltig Handlungsorientiert (5.07.2006), S. 24 („hohe fachliche Qualität“).

447 Zum Beispiel: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 9; LUL: Eine Hochschule erneuert sich, S. 8; UL: Humanistisch Nachhaltig Handlungsorientiert (5.07.2006), S. 15.

448 Zum Beispiel: LUL: Interessant wird es, wenn man mehr als eine Seite kennt, S. 18; LUL: Eine Hochschule erneuert sich, S. 1; LUL: Informationen für Studieninteressierte (2010), S. 43.

449 Neben dem Engagement und den Herangehensweisen, welche im Persönlichkeitsprofil relevant werden und in der individuellen Entscheidung liegen (siehe unten), soll insbesondere das College darauf ausgerichtet sein, dass „Studierende ihr ganzes Potential ausbilden und alle ihre Möglichkeiten kennen und nutzen lernen“ (Ebd., S. 4.). So bleibt den Studierenden keine Möglichkeit verwehrt. Erfolg zu haben liegt so in dem Willen und der Verantwortung der Studierenden, diese Angebote auch wahrzunehmen.

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Diese Bildungsziele individueller Eigenschaften und Fähigkeiten sind im gesamten Diskurs zu

finden. Es werden unterschiedliche Angaben dazu gemacht, welcher Habitus geformt werden

soll450.

Der Bildungsbegriff, der mit dem Ziel der Persönlichkeitsbildung einhergeht, bezieht sich dem-

nach auch nicht vorwiegend auf die Wissensvermittlung. Persönlichkeitsbildung wird auch mit

„learning to be“ übersetzt451. In der Selbstdarstellung der LUL wird ein Bildungsverständnis

deutlich, welches über das Studium hinaus geht: So soll auch außerhalb des Studiums „learning

to be“ betrieben und die Fähigkeiten der Studierenden geschult werden. Dies bedeutet auch, dass

der Zugriff der Universität sich vom Studium auf weitere Lebensbereiche der Studierenden er-

streckt. Nachfolgend wird dies im Exkurs zur umfassenden Bildung deutlich.

Exkurs Prinzip der umfassenden Bildung

Die Didaktik, die im College verfolgt werden soll, beinhaltet neben Interaktivität und Leistungs-

orientierung auch Praxisbezug. Damit ist gemeint, dass persönliche Erfahrungen der Studieren-

den in das Studium mit einfließen sollen. Fälle aus der Praxis sollen in die Lehrveranstaltungen

integriert werden452. Das humanistische Bildungskonzept geht unmittelbar vom Leben der Stu-

dierenden aus und von dem sich selbst entfaltenden Menschen, der sich durch individuelle Stu-

dien- und Lebenserfahrungen entwickelt453. Das Studium nimmt so die Individuen als Ausgangs-

punkt und bildet dabei zugleich alle Studierenden einheitlich nach bestimmten Zielbildern aus.

„Learning to be“ bezieht sich im Diskurs der LUL auf zwei Aspekte: Zum Einen auf das Erwer-

ben von Fähigkeiten durch das Studium, welches über fachliches Wissen hinausgeht und zum

dauerhaften Kompetenzprofil und der Persönlichkeit des Menschen beiträgt (wie oben aufge-

führt) und zum Anderen auf das Leben der Studierenden außerhalb des Studiums, welches eben-

falls Fähigkeiten hervorbringen kann und soll.

450 So geht es auszugsweise darum, systematischer, grundsätzlicher, schneller und kritischer zu werden (Vgl.:

LUL: Eine Hochschule erneuert sich, S. 8.), den Habitus des Lebenslangen Lernens (Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 5), den „Habitus“ des Studierens, der Teamfähigkeit und der selbstständigen Arbeitsweise (LUL: Informationen für Studieninteresserte (2010), S. 13.) sowie den Habitus wissenschaftlich fundierter Problemerkennung und -lösung unter den jeweiligen Rahmenbedingungen (Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 7.) auszubilden. Die Motivation soll vorhanden sein, Ergebnisse auch zu erreichen (Vgl.: Ebd.) und es soll Habitus und Verhalten der Studierenden derart gefördert werden, dass diese leistungsfähig sind, also die von der LUL vorgegebenen „anspruchsvollen Ziele“ erreichen können (Vgl.: ebd, S. 9). Ziel ist auch eine „unternehmerische Persönlichkeit“, welche sich durch Kreativität, Wille und Fähigkeit zur schöpferischen Gestaltung der Gesellschaft in unternehmerischer Freiheit auszeichnet (Vgl.: UL: Grundgedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg. Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg S. 8.). Diese Ziele, die sich in der Persönlichkeitsbildung begründen und auf die Fähigkeiten der Individuen zugreifen, enthalten keine disziplinären Anforderungen, sondern wenig nachprüfbare Eigenschaften.

451 Vgl.: LUL: Informationen für Studieninteressierte (2008), S. 5. 452 Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 10. 453 Vgl.: Ebd., S. 4.

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„Learning to be“ außerhalb des Studiums bedeutet die Organisation „studentischen Lebens“454.

So werden die Studierenden als eine bestimmte Kategorie von Lebensrealität verstanden. Bezo-

gen auf das Erststudium werden die Lebensbereiche außerhalb des Studiums ebenfalls als

Lernchancen betrachtet:

„Ein College umfasst mehr als nur Lehrveranstaltungen: Alle Lernchancen im Studium und außerhalb, d.h. vor dem Studium und parallel zu diesem, werden miteinander verbunden und aufeinander bezogen, um so der Lebensphase als Student sowie auch die nachfolgenden anzureichern und den Habitus lebenslanges Lernens aus möglichst vielen Angeboten zu entwickeln.“455

Lebenslanges Lernen ist eine der Voraussetzungen für gesellschaftlichen, beruflichen und priva-

ten Erfolg, den die Universität ermöglichen möchte456. Die Lernchancen, welche die Universität

außerhalb des Studiums organisiert, sind zum Einen Engagement von Studierenden (IV.5.2) und

zum Anderen „studentisches Leben“. Ausgehend von dem umfassenden Bildungsverständnis gibt

es kein Außen von Bildung, sondern im „learning to be“ wird das gesamte „Sein“ des Menschen

relevant und zum Zugriffsbereich der Universität. Umfassende Bildung impliziert drittens nicht

nur die Organisation von Lebensbereichen, sondern auch die Organisation von Emotionen, wel-

che das Studienangebot bei den Zielgruppen erzeugen möchte – wie zum Beispiel Leidenschaft

und Begeisterung457.

Zur Verdeutlichung des Zugriffs der Universität auf die Lebensbereiche der Studierenden wird

der Bereich „Studentisches Wohnen und Leben“ als Beispiel für umfassende Bildung vorgestellt.

Zur Neuausrichtung gehört auch „eine neue Gestaltung des sozialen Lebensumfeldes und der

Wohnsituation der Studierenden“458. Auch Aspekte außerhalb des Studiums sollen für die Studie-

renden auf dem Campus erlebt werden: „Studieren, Wohnen und Freizeit soll [sic!] nebeneinan-

der und gleichzeitig auf dem Campus möglich sein.“459

454 Als Vorschlag zur Formulierung der Kernbotschaft an die Öffentlichkeit wird in einer Senatspräsentation

formuliert: „ein Studium verbindet Anstrengung und Leistung mit Persönlichkeitsentwicklung und einem studentischen Leben.“ (UL: Außenauftritt der Universität Lüneburg, S. 3.)

455 Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 5. 456 Vgl.: LUL: Universitätsentwicklungsplanung der LUL ab 2008, S. 4. 457 Das Studium soll derart gestaltet werden, dass die Erfahrungen an der Universität prägend sind (Die

Erfahrungen sollen in Erinnerung bleiben; Vgl.: LUL: Interessant wird es, wenn man mehr als eine Seite kennt, S. 2.): emotionale Identifikation mit Studium und Universität (Vgl.: LUL: Information für Studieninteressierte. (2010), S.16.), Leidenschaft und Kreativität, intensive Lebenserfahrung, persönliche Veränderung, Begeisterung (LUL: Interessant wird es, wenn man mehr als eine Seite kennt, S. 2.), Universität als Ort der Erfahrung, der Entwicklung, des Experiments (Vgl.: ebd., S. 4.), der Neugierde, des Mutes (Vgl.: LUL: Eine Hochschule erneuert sich, S. 3.) sind die Wirkungen, Emotionen und Haltungen, welche die LUL mit ihren Studienangeboten verbinden möchte. Dies spiegelt die Absicht wieder, die Zielgruppen auch emotional anzusprechen (Vgl.: UL: Außenauftritt der Universität Lüneburg, S. 3.)

458 LUL: Studierendenwohnheim, S. 3. 459 Ebd.

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Die LUL möchte mithilfe von Architektur und Wohnkonzept in einem Studierendenwohnheim

die Menschen hinsichtlich Wohn-, Ernährungs- und Bewegungskultur bilden460. Ein Miteinander

zwischen den Studierenden soll geschaffen werden. Wird Interaktion im Studium als zentrales

didaktisches Konzept eingeführt461, so soll das erwünschte Miteinander außerhalb des Studiums

im Wohnraum hergestellt werden: Die Studierenden „sollen auf ein arbeitsteiliges, gemeinschaft-

liches und kommunikatives Miteinander vorbereitet“ werden462. Die Privaträume werden be-

grenzt, damit die Bewohner_innen die Gemeinschaftsräume verstärkt nutzen, „dort einander

begegnen und ein intensiveres Zusammenleben“ wie in einer Familie oder einer Wohngemein-

schaft pflegen. Im Sinne des fruchtbaren Austausches werden Mitbewohner_innen unterschiedli-

cher universitärer Jahrgänge und Studiengänge in den Wohnungen gemischt463. So organisiert die

Universität auch das Wohnen und Leben der Studierenden außerhalb des Studiums gemäß dem

didaktischen Studienkonzept. Dieses wird so zu einem umfassenden Konzept, welches Ziele der

Universität im sozialen Lebensumfeld der Studierenden verwirklichen möchte. Der mithilfe der

Interaktivität zu erreichende Mentalitätswandel, der den Willen und den Einsatz für das Studium

garantieren soll464, soll auch im Leben und Wohnen außerhalb des Studiums gefördert werden.

So werden Studierende umfassend gebunden an das, was die LUL als Studieren, Bilden und Ler-

nen versteht: Die Organisation von Ernährung und Bewegung soll mit Angeboten aus dem Kom-

plementärstudium verbunden werden und so Kenntnisse und Fähigkeiten auch in der Praxis –

Einkauf, Speisezubereitung, Servieren, Speisen, all das unter professioneller Unterstützung – den

Bewohner_innen zur „lohnenden Aufgabe“ werden465. Ein Lebensbereich außerhalb des Studi-

ums und aus dem Alltag der Ernährung wird so mit dem Studium verbunden und so zu einer Stu-

dienleistung. Das gemeinsame Abendessen soll das soziale Miteinander fördern, „Gemein-

schaftsgefühl stärken und die Identifikation mit dem Ort begünstigen“466.

Neben dem Lebensbereich Ernährung und Wohnen soll auch der Lebensbereich Bewegung von

der Universität zentral organisiert werden: Als Konsumierende sowie als aktiv Gestaltende sollen

die Studierenden an Wettkämpfen, spielerischen und weiteren Bewegungspraktiken teilnehmen.

„Ziel ist es dass jeder Studierende im Rahmen der grundlegenden Orientierung, die das Bewegungskonzept ermöglicht, eine dauerhafte Bewegungsmotivation entwickelt und seine bevorzugten Bewegungspraktiken entdeckt, die ihm lebenslang zu seinem persönlichen

460 Vgl.: LUL: Studierendenwohnheim Anlage, S. 2. 461 Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 9; LUL: Interessant wird es, wenn man mehr als eine Seite

kennt, S. 2. 462 LUL: Studierendenwohnheim Anlage, S. 2. 463 Vgl.: ebd. 464 Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 9; 465 Vgl.: LUL: Studierendenwohnheim Anlage, S. 2. 466 LUL: Studierendenwohnheim, S.4.

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gesundheitlichen Nutzen zur Verfügung stehen.“467

Die Ziele körperlicher Gesundheit und lebenslanger Bewegung werden von der Universität anvi-

siert. Das umfassende Bildungskonzept möchte die Studierenden auch in den Bereichen außer-

halb des Studiums nach einheitlichen Vorstellungen formen. Soziale Kontakte, Essen, Wohnen

und Bewegen werden zentral organisierte Lebensbereiche, indem der Blick auf individuelle Fä-

higkeiten, das Sein der Studierenden, gelenkt wird.

Aus dem Persönlichkeitsprinzip geht insgesamt hervor, dass Haltung, Wille, Fähigkeiten, Bewe-

gung, Wohnen, Essen, Engagement, Ziele, Gesundheit, Leistungserbringung, Studienorganisati-

on (dies eine nicht vollständige Aufzählung des im Diskurs impliziten Zielbildes) nach den Zie-

len – dem Menschen- und Bildungsverständnis der LUL – ausgerichtet werden sollen. Bildung

bedeutet im Diskurs der LUL, das gesamte Leben in der Kategorie „Fähigkeit“ zu erfassen und

bedeutet so eine umfassende Anpassung an die zentral aufgestellten, einheitlichen Leitvorstel-

lungen des Profils der „Leuphana“. Persönlichkeit wird als ein Begriff eingerichtet, der die Stu-

dierenden in Kriterien sichtbar werden lässt, entlang welcher es möglich wird, das erwünschte

Profil abzufragen und auszurichten. Persönlichkeit bildet so die Schnittstelle von Profil und

Mensch, an der es möglich wird, den Menschen als individuelles Profil zu erschaffen.

IV.5.2 Prinzip „Gesellschaft gestalten“

Das Persönlichkeitsprofil, nach dem selektiert und welches im Studium ausgebildet werden soll,

zielt auf die Gestaltung von Kollektiven ab: der Gesellschaft sowie der Universitätsgemein-

schaft.

Die Universität bewirbt sich als Angebot an die globalisierte Gesellschaft468. Sie will „zur Ent-

wicklung einer lebendigen Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts sowie von zukunftsfähigen Lö-

sungen für drängende gesellschaftliche Herausforderungen beitragen“469. Die Universität gibt

sich so für die Neuausrichtung das inhaltliche Profil, ihre Leistungen zugunsten des Kollektivs

„Gesellschaft“ auszurichten. Die Universität profiliert sich so als zukunftsfähig und als nützlich,

indem sie das Angebot und das Versprechen abgibt, notwendige Antworten zu geben auf drän-

gende Herausforderungen. Der Beitrag der Institution soll zum Einen durch die Förderung ge-

sellschaftlich relevanter Forschung geleistet werden470 und zum Anderen durch die Bildung von

Menschen, die der Gesellschaft nützen.

467 LUL: Studierendenwohnheim Anlage, S. 3. 468 Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 3; LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 58; 469 LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 4; Dieses Leitziel erscheint vielfach wie zum Beispiel auch

hinsichtlich der Bildungsidee: LUL: Eine öffentliche Universität im 21. Jahrhundert, S. 6; 470 Vgl.: LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 5.

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Die Umsetzung des Profils der LUL hängt somit auch davon ab, ob die Studierenden der Gesell-

schaft nützen und sich verantwortlich einbringen. Die umfassende Bildung von Fähigkeiten soll

den Erfolg garantieren, indem die Studierenden intellektuell, persönlich und moralisch so gebil-

det werden, dass sie selbstständig und lebenslang aktive Bürger_innen der Zivilgesellschaft blei-

ben471. Die Leistungsfähigkeit der Studierenden wird in den Dienst der Gesellschaft gestellt.

Die Gesellschaft wird im Diskurs der LUL als das unhinterfragbar zu befördernde verstanden:

Dazu [zu den Fragen der Hochschuldidaktik; Anmerk. d. Verf.] gehört insbesondere die Frage, wie Habitus und Verhalten der Studierenden gefördert werden können, um den anspruchsvollen Zielen zu entsprechen. Anders formuliert: Was muss getan werden, damit die Studierenden und Absolventinnen und Absolventen wie selbstverständlich ihre Aufgaben und Rollen in der Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts im eingangs beschriebenen Sinne wahrnehmen?472

(Im Eingang beschreibt dieser Text die Leitbegriffe und das Leitziel, also die handlungsorientier-

ten, nachhaltigen, humanistischen Profile der Studierenden.) Das Bildungsziel ist es, dass Men-

schen sich in die Gesellschaft einbringen, indem sie dort Aufgaben annehmen. Dies soll nicht

hinterfragt werden oder angetrieben werden müssen, sondern soll wie selbstverständlich gesche-

hen. Die Universität versteht unter einer handlungsorientierten Universität die Bildung unter-

nehmerischer Persönlichkeiten473. Die zwei Leitbegriffe „handlungsorientiert“ und „nachhaltig“

wirken hier zusammen und die Persönlichkeitsbildung im Studium erhält eine Zielrichtung. Un-

ter unternehmerischen Persönlichkeiten sind Unternehmer_innen ihrer selbst474 zu verstehen, die

kreativ, reflektiert die Gesellschaft schöpferisch gestalten wollen und können.

„Sie wollen sich im öffentlichen Leben auf verschiedenen Ebenen, lokal wie global, engagieren. Sie verstehen die Stabilität und Veränderung der Welt, können diese kritisieren, aber auch initiieren, fördern und erklären. So leisten sie ihren Beitrag, auch im Interesse eigener Lebenserhaltung und der weltweiten Veränderungsgeschwindigkeit entsprechend.“475

Die LUL möchte Menschen bilden, die die Gesellschaft als aktiv zu gestaltende betrachten und

ihren Beitrag leisten, indem sie Veränderungen begleiten und bewegen. Gesellschaft, Engage-

mentmöglichkeiten, die Situation der Welt und dessen Veränderungsgeschwindigkeit werden als

Rahmenbedingung eingeführt, in welche es sich einzugliedern gilt. Auf diesen Rahmen hin gilt

es, sich auszurichten und diesen durch Engagement mit zu gestalten – im Sinne eines Befördern

471 Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 4. 472 Ebd., S. 9. 473 UL: Grundgedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg. Erste Grundsatzdiskussion S. 8. Unternehmerische Persönlichkeiten zeichnen sich aus durch: „Kreativität, Willen und Fähigkeit zur

schöpferischen Gestaltung der Gesellschaft in unternehmerischer Freiheit.“; (Ebd.) 474 LUL: Informationen für Studieninteressierte (2008), S. 7. 475 Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 5.

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und Voranbringen. Diese Produktivität für die Gesellschaft soll durch das Studium verpflichtend

werden476.

Das Prinzip „Gesellschaft gestalten“ benötigt so die Ausbildung nach einem Habitus, der dauer-

haft gestalten möchte und dabei an die Rahmenbedingungen der globalisierten Welt angepasst

ist. Diesen Aspekt betont auch die Bestimmung des Leitbegriffs der nachhaltigen Universität:

„nachhaltige Bildung von Kompetenzen: [...], Bereitschaft und Fähigkeit zur Übernahme von

Verantwortung und zu einem Beitrag zur Entwicklung der Gesellschaft.“477 Diese Fähigkeiten

werden mit „Gestaltungskompetenz“ zusammengefasst: Selbstgesteuert sollen die Menschen

Verantwortung übernehmen und Probleme lösen. Dies soll unter Berücksichtigung der Interessen

der künftigen Generationen stattfinden, so dass auch diese „ihre legitimen Bedürfnisse befriedi-

gen“ können. „Es geht um die integrierte Berücksichtigung verschiedener Interessen“478. Die

Studierenden sollen auf der Grundlage der Abwägung verschiedener Interessen handeln und

werden so über das gegenwärtige Handeln hinaus verantwortlich.

Hinsichtlich der Zukunftsvoraussagen (siehe IV.2.1) als Ausgangslage versteht sich die Universi-

tät selbst nicht als Akteurin, die Rahmenbedingungen durch eigene Zielsetzungen zu gestalten

vermag, sondern sieht ihre Handlungsmöglichkeiten darin, sich innerhalb des gegebenen Rah-

mens diesem so erfolgreich wie möglich anzupassen. Auch die Studierenden sollen gestalten und

befördern und die Rahmenbedingungen als solche annehmen.

Der Schwerpunkt liegt deshalb auf dem Problemlösen: Der Diskurs der LUL konstruiert durch

die Zielsetzung der Universität und die übergreifenden Fachbereiche sowie durch das Profil der

Studierenden die Universität als eine Einrichtung, welche Lösungen in die Gesellschaft trägt und

welche so nützlich ist, weil sie brauchbaren, relevanten und problemlösenden Output produziert.

Dies impliziert, dass die Gesellschaft in Problemen und Lösungen funktioniert. So braucht es

gestaltungswillige Menschen, um etwas zum Besseren zu verändern. Diese Menschen müssen

Lösungen erbringen und sind demnach auf Ziele ausgerichtet. Zielgerichtete Menschen, die nütz-

lich sein wollen und können, machen die Gesellschaft besser, indem sie Schwierigkeiten beseiti-

gen. Die Konzentration auf Gestalten legt sowohl für die Institution, die ihre Forschungsleistung

sowie ihre Bildung nach den gesellschaftlich relevanten Problemen ausrichtet, als auch für die

Individuen, einen Schwerpunkt auf Handeln. Einen Beitrag zu leisten, bedeutet, etwas hervorzu-

bringen und durch das Handeln in einem als relevant geltenden Feld sichtbare Leistung, also

Output zu schaffen. Wissen ist deshalb etwas, das durch die Aneignung Fähigkeiten ermöglicht,

die brauchbar sind.

476 Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 5. 477 UL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 8. 478 Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 5.

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Dabei sollen die Studierenden bereits innerhalb der Hochschule erlernen, Verantwortung zu

übernehmen und zu gestalten: Verantwortung wird in dem für alle Studierenden verpflichtenden

Modul „Wissenschaft trägt Verantwortung“ vermittelt479.

Auch sollen sich die Studierenden direkt an der LUL in diesem Sinne einbringen, indem sie sich

in studentischen Projekten engagieren480 und sich der eigenen Rolle innerhalb des Kollektivs

Universität bewusst werden: „Die Universität Lüneburg versteht sich als Gemeinschaft und als

Einheit. Gegenstand gemeinschaftlicher Identifikation und Entwicklung ist die Universität als

Ganze in ihrer Vielfalt, nicht nur einzelne ihrer Teile.“481. Alle Individuen sollen sich mit der

Institution identifizieren und somit auch ihren Platz innerhalb der Gemeinschaft anerkennen. Teil

des Kollektivs zu sein bedeutet auch, innerhalb der Universität verantwortlich zu sein. Das eige-

ne Handeln ist deshalb zugleich immer Gestalten von etwas Größerem, für das sich eingesetzt

werden soll:

„Alle Mitglieder der Leuphana arbeiten gemeinsam an einer der vielleicht wichtigsten Kompetenzen für das 21. Jahrhundert: an der Gestaltung von Veränderung und damit an der Gestaltung der Zukunft – der Zukunft des Einzelnen, der Zukunft der eigenen Hochschule und der Zukunft der Gesellschaft insgesamt.“482

Die Universität versteht die Hochschulmitglieder so als partizipierende Individuen und die Insti-

tution als mit den Individuen verbunden.

Für IV.5 kann so abschließend festgestellt werden, dass gemäß der LUL die individuelle Existenz

immer innerhalb einer Gemeinschaft steht, in der es verantwortlich zu werden gilt. Gemeinsam

wird die neue Universität aufgebaut, welche sich als zukunftsfähig versteht. Die Selbstdarstel-

lung der LUL verspricht der internen Öffentlichkeit wie den externen Zielgruppen, eigene Vor-

stellungen in die Universität einbringen zu können, sowie, Gesellschaft gestalten zu können und

somit in einen über das Individuum hinausgehenden Zusammenhang eingebunden zu sein. Die-

ses Bildungsverständnis beinhaltet durch den Gesellschaftsbezug einen über das Individuum

hinausgehenden Sinn und verankert diesen als Wert in der Marke. Gemeinsam mit dem umfas-

senden Formen des Menschen durch ein umfassendes Bildungsverständnis entsteht das Interpre-

tationsrepertoire IV: Bildung bedeutet, sich umfassend zu einem Persönlichkeitstypus zu formen

und formen zu lassen, welcher sich selbst als flexible gesellschaftliche Ressource versteht.

479 LUL: Leuphana auf gutem Weg, S. 5. 480 Vgl.: LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 48. 481 Vgl.: ebd., S. 4. 482 Vgl.: LUL: Eine Hochschule erneuert sich, S. 4.

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IV.6 Zwischenfazit

Kapitel IV stellte die Interpretationsrepertoires des untersuchten Materials und damit auszugs-

weise den Diskurs der Selbstdarstellung der LUL vor. Vier Interpretationsrepertoires zeigen, wie

die Universität ausgehend von der Diskursstrategie Wettbewerb die Zukunft als richtungweisend

einführt und Profilbildung als Instrument der Wettbewerbsfähigkeit betreibt. Als Angebot formu-

liert und umstrukturiert spricht die Marke „Leuphana“ Zielgruppen an. Dabei kommuniziert die

Hochschule Leistung als grundlegende Kultur und Orientierung und verspricht anhand von Frei-

heit und Persönlichkeitsbildung eine individuelle und umfassende Bildung, welche über Studium

hinausgeht.

Bei der Frage danach, wie an der Hochschule regiert wird – wie sie sich selbst und die Subjekte

regiert – weisen die Interpretationsrepertoires auf die Funktionsweisen der als Angebote struktu-

rierten Universität hin. Zum Einen wird deutlich, dass die Ausrichtung am Wettbewerb und somit

die Wettbewerbsfähigkeit zur Letztbegründung für die Aktivitäten und die Aufstellung der Uni-

versität wird: Da die Universität ohne Erfolg im Wettbewerb untergehen wird, da die Geldge-

benden ihre Gelder fokussieren und nur die Sieger_innen alles an Ressourcen erhalten werden,

wird der Erfolg im Wettbewerb unausweichlich. Der feststellende, unbestimmte Diskurs regiert

entlang der Zukunft die Institution. Das gesamte inhaltliche Profil sowie der Wille zur (im Wett-

bewerb gültigen) Leistung hängen von dieser Diskursstrategie ab. Entlang des Angebotes Per-

sönlichkeitsbildung werden die Studierenden regiert, indem sie umfassend eingebunden und als

individuelles Fähigkeitsprofil verstanden werden. Da die individuelle Leistung für das Kollektiv

relevant wird, werden die Studierenden auch diesem Prinzip nach regiert. Die Studierenden rü-

cken als ein Ressourcenmangel sowie als diejenigen, welche den hohen Anforderungen genügen

müssen, in den Mittelpunkt. Die hohe Relevanz, die die Studierenden haben, führt dazu, dass sie

umfassend erfasst und angeleitet werden sollen. Bildung bedeutet so den Aufbau eines bestimm-

ten Persönlichkeitsprofil, welches den Anforderungen des gegenwärtigen und des zukünftigen

Arbeitsmarktes folgt, mittels umfassenden Zugriffs auf die Subjekte. Studium soll Nahrungsauf-

nahme und Bewegung mit einbinden und so Alltag beinhalten, also den gesamten Menschen er-

fassen. Entlang des Angebots, in Freiheit, Selbstständigkeit und Selbstverantwortung zu lehren

und zu lernen, regiert die LUL die Menschen, indem sie zur Selbstregierung aktiviert. Dies be-

deutet, dass sie die Mitglieder der Hochschule derart anleitet, dass diese einen eigenen Willen –

Begeisterung – ausbilden, um die erwarteten Leistungen zu erbringen, Neues auszuprobieren und

sich individuell im Studium und in der Lehre verwirklichen wollen (mit den eigenen Erfahrun-

gen anschließen, nach den eigenen Interessen studieren und lehren et cetera). Die Forderung

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nach Selbstregierung wird durch Regulierungen ersetzt, wenn die erwünschten Leistungen nicht

erbracht werden.

Die Luegersche Perspektive, die nach den Gründen von Aussagen fragt, rückt das Funktionieren

von Begriffen in den Mittelpunkt. Bei der Frage nach dem Einsatz von Begriffen und Angeboten

wird deutlich, dass der Diskurs dergestalt wirkt, dass Begriffe eingeführt werden, um diese zu

regulieren. So anhand der Worte Selbstständigkeit, Selbstverantwortung, Freiheit, Gestaltung und

Persönlichkeit ersichtlich: Für alle fünf Begriffe bestimmt der Diskurs einen bestimmten Raum,

indem er die Räume benennt, in denen sie nicht gelten, oder indem er Bedingungen festlegt, die

erfüllt werden müssen: Selbstständigkeit, Selbstverantwortung und Freiheit werden durch die

Letztbegründung „Leistung“ begrenzt. In der Konsequenz ergibt sich, dass die drei Begriffe

durch freiwillige, selbstständige und selbstverantwortliche Leistungserbringung bestimmt wer-

den. Gestaltung und Persönlichkeit erhalten jeweils eine Richtung, indem sie eingeführt werden,

um sie bestimmbar, messbar und damit kontrollierbar zu machen: Die Regierung der LUL ent-

lang einer Bildung von Persönlichkeit bedeutet, diese auf bestimmte Fähigkeiten zu reduzieren,

nach diesen zu selektieren und so ein Selektionsinstrument sowie ein umfassendes Bewertungs-

kriterium zu erhalten. Das Gestalten innerhalb einer Gesellschaft, innerhalb der Universität und

innerhalb der Neuausrichtung führt die Einmischung und Partizipation der Subjekte ein als in-

nerhalb bestimmter vorgegebener Rahmenbedingungen verhaftet. Das Angebot an die Gesell-

schaft, die Universität würde einen Beitrag zur Zivilgesellschaft leisten sowie drängende Fragen

beantworten, wird durch diese Regulierung von Persönlichkeit und Gestalten formuliert. Die

Gesellschaft als zu beförderndes, an der es aktiv teilzunehmen gilt, zu verstehen und die Persön-

lichkeit danach zu bilden, bedeutet, bestimmte Rahmenbedingungen anzugeben, an welche sich

angepasst werden muss.

Es zeigt sich ein Bruch innerhalb des Diskurses, der von dem Freiheitsbegriff ausgeht: Die Be-

schränkung durch die Letztbegründung Wettbewerbsfähigkeit und die daraus folgende Letztbe-

gründung Leistungserbringung schränken das freiheitliche Menschenbild ein: Wird unter dem

humanistischen Bildungsverständnis zunächst verstanden, der Mensch sei frei und könne sich

aus sich selbst entwickeln, wird diese Entwicklung daraufhin vielfach vorgegeben, so dass die

weiteren Inhalte der Bildungsphilosophie zu dieser Freiheit in einen Widerspruch geraten: Über-

geordnete „Werte“ und Orientierungen sowie Vorgaben an Fähigkeiten oder die Vorgaben für

zukünftige Betätigungsfelder et cetera begrenzen die Entwicklung, die aus dem Menschen selbst

heraus geschehen soll. Mit dem Willen zur Leistung wird der Freiheitsbegriff widersprüchlich

und von diesem ausgehend auch alle diejenigen Begriffe, welche freie Entscheidungen oder

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freie, individuelle Entwicklungen implizieren – Selbstständigkeit und Selbstverantwortung, Per-

sönlichkeit, Engagement, Motivation et cetera erhalten eine Zielrichtung: die Studienleistungen

sowie weitere Leistungen an der Universität oder in der Gesellschaft. Diese Zielrichtung torpe-

diert die anfänglich als frei bestimmte Natur des Menschen. Die Zielrichtung aber ist notwendig

für die Einheitlichkeit und die inhaltliche Verortung der Universität, also für das Profil, welches

kommuniziert werden soll. Diese, auch durch die Form der darstellenden Medien und die Visua-

lisierungen konstruierte Einheitlichkeit steht im Widerspruch mit der individuellen freien Entfal-

tung und Selbstverwirklichung, so dass die an der Universität mögliche Individualität und Frei-

heit innerhalb der Grenzen des Profils „Persönlichkeit“ verbleiben muss.

Die vier Interpretationsrepertoires werfen Fragen nach deren Entstehung auf. Die Konstruktion

der LUL als vielfach in die Gesellschaft und die Diskurse wirkende Bildungseinrichtung und

Knotenpunkt von Macht erschafft entlang eines bestimmten Wissens eine Bildungsphilosophie,

welcher sie zur Verwirklichung verhelfen möchte. Welche Diskursstränge also verlaufen in die-

ser Selbstdarstellung der LUL und welchem sozialen Subsystem, welcher Realfiktion schließt

sich die Hochschule an beziehungsweise von welcher Rationalität enthält die Institution Elemen-

te?

Um das Phänomen Leuphana in deren Einzigartigkeit und in deren Historizität zu analysieren,

soll nachfolgend ein Versuch einer Genealogie vorgenommen werden, um eine kritische Perspek-

tive auf Organisations- und Subjektentwicklung einzunehmen und Rückschlüsse auf die Institu-

tion in der gegenwärtigen Regierungskunst, der Gouvernementalität, vorzunehmen.

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V. Genealogie: „Leuphana“ als Konstrukt wirtschaftlicher Diskurse

Woher kommen, beziehungsweise worauf verweisen die Letztbegründungen innerhalb des Dis-

kurses der LUL? Was also bedeutet es für die Regierung von Institution und Subjekten, sich ent-

lang des Zielbilds der Selbstdarstellung und des nicht zu hinterfragenden Prinzips des Wettbe-

werbs auszurichten? Was bedeutet es, Markenmanagement als Institutionalisierungsform einzu-

führen und welche Form von Regierung drückt sich darin aus? Und: Woher kommen die Anfor-

derungen einer „unternehmerische Persönlichkeit“, welche Historie haben diese Wertigkeiten,

die die Marke „Leuphana“ kommuniziert und als Angebot formuliert? Strukturiert werden diese

Fragen entlang von drei Thesen, die eine anfangs formulierte Hauptthese begründen.

Hauptthese

Die These des nachfolgenden Kapitels ist, dass die Wahrheiten der Selbstdarstellung der

Leuphana Universität Lüneburg entnommen sind aus Diskursen, die aus der ökonomischen Ana-

lyse sowie aus dem Managementdiskurs stammen. Die Reproduktion dieses Wissens durch die

Bildungseinrichtung bestimmt die Bildung der Subjekte und zielt auf eine Gesellschaft in der

Form des Unternehmertums, die von individualisierten unternehmerischen Persönlichkeiten ge-

tragen wird. Die Diskursstrategie Wettbewerb wirkt, indem sie Institution und Subjekte der

Wirkmächtigkeit der wirtschaftlichen Diskurse und deren Anforderungen zuführt.

Belegt wird diese These, indem zunächst gezeigt wird, dass die Universität sich an der neolibera-

len Regierungsweise des „Wettbewerbs“ ausrichtet, wie Foucault sie als grundlegendes Organi-

sations- und Regulationsprinzip herausarbeitet, welches von Unternehmen auf die gesamte Ge-

sellschaft und auf die Individuen übergeht (V.1). In einem zweiten Schritt soll entlang der Mar-

kenbildung und der Theorie Boltanskis und Chiapellos gezeigt werden, dass die LUL ihre inhalt-

liche Profilbildung danach gestaltet, was der Markt von einem Anbietenden verlangt und danach,

was in der Managementlehre den Kapitalismus moralisch unterfüttert. Damit einher geht, dass

die LUL verspricht, Menschen zu bilden, welche gemäß der Moral der Managementlehre über

hoch angesehene Eigenschaften verfügen (V.2).

In einem letzten Schritt soll ein Blick auf die Konstruktion von Gesellschaft und Menschen ge-

worfen werden und die Frage danach gestellt werden, welche Form von Gesellschaft angestrebt

wird, indem die LUL ihr Ziel der Zivilgesellschaft anhand unternehmerischer Persönlichkeiten

formuliert. Gezeigt wird, dass das Zielbild der LUL zu einer Individualisierung führt, die zu-

gleich totalisiert und Gesellschaft begründet, sowie die Individuen zum Aushandlungsort des

Kollektiven macht (V.3).

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V.1 Wettbewerb: Neoliberale Grundlage von Institution und Subjekten

Was bedeutet es, dass die LUL sich auf den zukünftigen Wettbewerb hin ausrichtet und die Wett-

bewerbsfähigkeit zur Letztbegründung macht? Woran schließt sie mit dieser Perspektive und mit

diesem Prinzip an? Wie werden Institution und Individuen gestaltet?

These I:

Der Diskurs der LUL führt Wettbewerb als Letztbegründung und Diskursstrategie ein. Damit

folgt die Institution der modernen neoliberalen Gouvernementalität nach Foucault und gestaltet

die Universität sowie die Individuen als Unternehmen. Die Institution folgt damit dem wirt-

schaftswissenschaftlichen Wissen, welches die Grundlage der modernen Gouvernementalität

bereitstellt.

Ein „gesellschaftlicher Sog“, ein „Kraftfeld“, wird Bröckling gemäß ausgelöst von den Forde-

rungen der modernen Gouvernementalität nach unternehmerischem Handeln in allen Berei-

chen483. Neoliberale Regierungsweise, Unternehmertum und das damit einhergehende Phänomen

Wettbewerb werden im Folgenden näher betrachtet.

Neoliberale Regierungskunst ist die reflektierte Weise, wie in der zeitgenössischen Welt am bes-

ten regiert wird, beziehungsweise wie über die bestmögliche Regierungsweise nachgedacht

wird484. Der Einsatz des Wettbewerbs als grundlegendes Prinzip und die Ausweitung des Unter-

nehmertums sind die neoliberalen Elemente der modernen Gouvernementalität (siehe unten). Die

Regierungsweise des Staates zeigt sich in der einzelnen Institution, denn der Staat ist kein Reich,

sondern eine spezifische und unzusammenhängende Wirklichkeit, „er existiert nur für sich selbst

und in Bezug auf sich selbst.“485. Innerhalb der Institution LUL zeigt sich die Regierung entlang

eines Wettbewerbs, indem dieser als faktisch vorhanden und unhinterfragt, sowie als Bedrohung

eingeführt wird. Die Umstrukturierung basiert nicht auf inhaltlichen Normen, sondern auf der

durch die Diskursstrategie konstruierten Notwendigkeiten. Indem die Universität sich selbst

durch einen Vergleich beurteilt, schafft sie den Raum – europäische Hochschullandschaft486 –

und die Kriterien, entlang derer sie sich ausrichten möchte, selbst. Indem die Zukunft als gesi-

chert betrachtet wird, konstruiert sie den Wettbewerb als unausweichliche Realität, welche Sie-

ger_innen und Verlierer_innen hervorbringen wird.

Das Wettbewerbsprinzip der LUL folgt damit der politischen Ökonomie der Moderne (zur politi-

schen Ökonomie siehe auch II.2). Nachfolgend sollen folgende Merkmale der neoliberalen Gou-

vernementalität vorgestellt werden, die sich in der Selbstdarstellung der LUL zeigen: Zum Einen 483 Bröckling: Das unternehmerische Selbst, S. 7. 484 Vgl.: Foucault: Die Geburt der Biopolitik, S. 14. 485 Ebd., S. 17. 486 Vgl.: UL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 3; LUL: Eine öffentliche Universität

für die Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts, S. 2.

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die spezifische Rationalität, anhand derer eine wettbewerbsorientierte Neuausrichtung entschie-

den wird (I). Zum Anderen der Einsatz von „Freiheit“ (II). Drittens die Ausrichtung des Bil-

dungsverständnises nach der politischen Ökonomie (III). Auf diese Weise lassen sich die Wahr-

heiten der LUL verstehen als in den Wirtschaftswissenschaften verankert (IV).

(I) Die Rationalität, hinsichtlich welcher in der Moderne entschieden und regiert wird, bezieht

sich nicht auf die Frage nach der Begründung eines Handelns487 (z. B.: „Was – welche Natur,

welcher Gott – berechtigt den Souverän dazu, die Universitätsausrichtung an deren Außenwahr-

nehmung festzumachen und „Wettbewerb“ als führendes Prinzip einzusetzen?“ oder „Welche

Prämissen berechtigen den Wettbewerb dazu, führendes Prinzip einer Institution zu werden?“),

sondern bezieht sich auf den Gesichtspunkt der Wirkung von Prozessen mit dem Ziel der Auf-

rechterhaltung der politischen Ökonomie488: Wettbewerb wird zur Prämisse des wahren Diskur-

ses des Neoliberalismus, weil er der politischen Ökonomie nützt und somit die moderne Staaten-

bildung auf dieser Grundlage funktioniert. Unabhängig von der einzelnen Institution wird das

getan, was der neoliberalen Ökonomie dient und es wird nach dem gefragt, was nötig ist, damit

das Prinzip Wettbewerb funktioniert. Die Funktionsweise des Staates muss gesichert sein und

nicht die Frage nach der Legitimation der Regierungspraxis gestellt werden. Dem, was der Logik

der modernen Staatsbildung nützlich ist, muss Genüge getan werden. Handeln entlang dessen,

was als Erfolg gilt, ist demnach Kennzeichen der zeitgenössischen Regierung.

Entschieden wird somit nach Erfolgschancen, nach Nützlichkeit. Die Selbstdarstellung der LUL

fragt nach eben diesem Erfolg: Was muss verändert werden, um in der Zukunft erfolgreich zu

sein? Begründet wird ein solches Handeln nur mit dem Verweis auf das Funktionieren des Sys-

tems: Dass eine solche Ausrichtung notwendig ist, um in der Zukunft zu bestehen. Da der Wett-

bewerb zugleich immer Bedrohung aufgrund von Konkurrenz bedeutet, bringt die Anrufung des

Wettbewerbs zugleich auch eine Ausrichtung am Wettbewerb mit sich, um die eigene Existenz zu

sichern. Eine Profilbildung und das Vorhaben, zielgruppenorientierte Angebote zu bewerben,

bedeuten, danach zu fragen, wie die Universität im Wettbewerb erfolgreich sein wird. Die Frage

nach der Legitimität einer solchen Gestaltung wird ebenfalls nicht gestellt, sondern nur die nach

dessen Nutzen.

(II) Im Zuge dessen, dass nicht Legitimität, sondern Erfolg legitimiert werden muss, begründet

sich auch die Selbstbegrenzung der Regierenden und somit die Freiheit der Regierten entlang des

487 Vgl.: Foucault: Die Geburt der Biopolitik, S. 32. 488 Vgl.: ebd., S. 33.

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Erfolgs für die Aufrechterhaltung des Staates489. Es sind Eigenschaften des seit Mitte des 18.

Jahrhunderts entstehenden Liberalismus490, dass Regierungshandeln durch die Frage nach dessen

Nützlichkeit begrenzt ist491 und so eine naturalistische Freiheit aus der Mechanik der Wirt-

schaftsprozesse existiert492, also eine Freiheit, die sich aus den Wirkungsweisen der politischen

Ökonomie und demnach aus den ökonomischen Funktionszusammenhängen der Staatsbildung

begründet. Politik soll sich dabei selbst begrenzen aufgrund der Notwendigkeit von Freiheit für

die Wirtschaftsprozesse, nicht aus Respekt vor der Freiheit der Individuen493. Die Gestaltung des

Freiheitsprinzips der LUL zeigt, dass Freiheit solange als Wahlfreiheit befördert wird, wie diese

als nützlich gilt (IV.4.2). Im Gegenzug dazu werden bestimmte Entscheidungen angeprangert,

wenn diese die Leistungsfähigkeit der Individuen nicht befördern. Das Geben und Nehmen von

Freiheit bedeutet für ein System in der modernen Gouvernementalität Erfolg oder Misserfolg.

Um also eine hohe Positionierung im Wettbewerb zu erhalten, erscheint das Ermöglichen und

Bewerben von Wahlfreiheiten der LUL erfolgversprechend. So wird das Studienmodell durch die

Wahlmöglichkeiten attraktiv.

Freiheit in der modernen Gouvernementalität bedeutet zugleich, dass es Freiheit nicht per se zu

befördern gilt, sondern Freiheit zugleich mit Unfreiheit eingeführt und so auf bestimmte Berei-

che begrenzt und an Bedingungen gebunden wird.

In der modernen Regierung muss bei der Gewährung von Freiheiten gesichert sein, dass „das

kollektive Interesse gegen die individuellen Interessen“494 geschützt wird. Dies geht ebenfalls aus

der Selbstdarstellung der LUL hervor: Das Kollektiv muss davor geschützt werden, dass die In-

dividuen weniger leisten, da so ein Ungleichgewicht zwischen den Lehrenden und Lernenden

entsteht („free riding“; „Zynismus“) und die notwendige Leistungsfähigkeit mithilfe von büro-

kratischen Regulierungen und ökonomischen Anreizstrukturen geschaffen werden muss495. Die-

ses liberale Prinzip, das „Wechselspiel von Freiheit und Sicherheit“496 begründet in der modernen

Gouvernementalität so eine Kultur der Gefahr aufgrund der individuellen Freiheit497. Diese dau-

erhafte Bedrohung formuliert die Selbstdarstellung der LUL als individuellen, dem System un-

kontrolliert gefährlich werdenden Regelbruch, welchem jeden Tag begegnet werden muss498.

489 Vgl.: Foucault: Die Geburt der Biopolitik, S. 36. 490 Vgl.: ebd., S. 73. 491 Vgl.: ebd. 492 Vgl.: ebd., S. 94. 493 Vgl.: ebd., S. 95. 494 Vgl.: ebd., S. 100. 495 Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 9. 496 Foucault: Die Geburt der Biopolitik, S. 100. 497 Vgl.: ebd., S. 102. 498 Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 9.

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(III) Wie das „Studienparadies“ an der LUL täglich gesichert werden muss, so gilt es, in der neo-

liberalen Gouvernementalität das formale Prinzip Wettbewerb499 ebenfalls durch ständige staatli-

che Interventionen aufrecht zu erhalten500. Durch staatliches Wirken soll das Prinzip zum grund-

sätzlichen Organisations- und Regulationsmechanismus werden: „Anders ausgedrückt, es soll

sich vielmehr um einen Staat unter der Aufsicht des Marktes handeln als um einen Markt unter

der Aufsicht des Staates“501. Der reine Wettbewerb als nicht zu erreichendes, aber dauerhaft an-

zustrebendes Ziel, als geschichtliches Ziel der Regierungskunst,502 benötigt eine aktive Gouver-

nementalität503: Die Aufgabe der Regierung ist es, eine Gesellschaftspolitik zu gestalten, die sich

an der Verfassung des Marktes ausrichtet504. Das ursprüngliche Gerüst des Neoliberalismus be-

steht für Foucault darin, dass zum Einen das Eingreifen der Regierung nicht weniger dicht ist als

in anderen Systemen und dass zum Anderen der Ansatzpunkt von Regierung nicht der Schutz der

Gesellschaft vor der zerstörerischen Wirkung des Marktes ist und auch die Wirkungen des Mark-

tes nicht beeinflusst werden sollen, sondern dass vielmehr die Gesellschaft regiert werden soll.

Dies auf eine Art und Weise, dass „die Wettbewerbsmechanismen in jedem Augenblick und an

jedem Punkt des sozialen Dickichts die Rolle eines regulierenden Faktors spielen können“505.

Dies impliziert auch, dass sich jederzeit an den Bedürfnissen des Wettbewerbs ausgerichtet wird

und der Inhalt – das „Wie“ – einer solchen Anpassung zweitrangig sind. Der Bezugspunkt

„Wettbewerb“ wirkt unabhängig von dessen Ausgestaltung. Individuen und Strukturen müssen

sich flexibel an den jeweiligen Erfordernissen anpassen.

Wettbewerb zum konstitutiven Moment zu machen, bedeutet für eine Bildungseinrichtung auch,

nicht nur sich selbst nach diesen Anforderungen auszurichten, sondern ebenfalls, die Wettbe-

werbsmechanismen in den zu bildenden Individuen zu verankern. So ist eine weitere Anforde-

rung, die gemäß Foucault durch den Wettbewerb entsteht, die, individuell zu sein. Da der Wett-

bewerb auf Ungleichheit basiert, muss diese durch individuelle Profile hergestellt werden, damit

Konkurrenz gestaltet wird. Die Fremdregierung aktiviert so zu einer Selbstregierung: Eine neue

Vorstellung von Privateigentum erweitert die Unternehmensform in die Gesellschaft und die In-

dividuen hinein, eine Vervielfachung, die Foucault den „Einsatz der neoliberalen Politik“

nennt506. Dieses Einsetzen als Schnittstelle von Fremd- und Selbsttechniken, entsteht aus der

ökonomischen Analyse des Verhaltens von Menschen: Diese nimmt die Perspektive der Arbei-

499 Vgl.: Foucault: Die Geburt der Biopolitik, S. 172. 500 Vgl.: ebd., S. 188. 501 Ebd., S. 168. 502 Vgl.: ebd., S. 173. 503 Vgl.: ebd., S. 174. 504 Vgl.: ebd., S. 332. 505 Ebd., S. 207. 506 Ebd., S. 210.

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tenden ein und betrachtet sie als aktive Wirtschaftssubjekte507, welche die eigenen Fähigkeiten

als Kapital einsetzen, um Einkommen zu erreichen508. Der Mensch macht sich so selbst zum

Kapital, zum Produkt mit einzigartiger Identität, so Michalitsch509. Durch diese Forderung nach

Individualität und Ungleichheit entsteht für das Subjekt ein Imperativ zur Eigenvermarktung, die

Subjekte leiten sich selbst als Unternehmen510 und werden zu ihrem eigenen Besitz, deren Kapi-

tal untrennbar mit ihrer Person verbunden ist:

„Das bedeutet gerade nicht, daß der Kapitalismus den Arbeiter in eine Maschine verwandelt und ihn daher entfremdet [...].“511 „Es handelt sich also um ein Ganzes aus Maschine und Fluß und Sie sehen, daß man [...] sich hier ganz weit von der Vorstellung der Arbeitskraft, die zum Marktpreis verkauft werden sollte, entfernt hat und bei einem Kapital gelandet ist, das in ein Unternehmen investiert wird.“512

Der homo oeconomicus als Unternehmer wird zu seiner eigenen Einkommensquelle und zur

Innovationskraft für Unternehmen513. So rückt das Individuum als Humankapital, welches

Wachstum erzeugt514, in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit ökonomischer Analysen. Auch die

LUL möchte Unternehmer_innen ihrer selbst ausbilden und meint damit auch unternehmerische

Persönlichkeiten, welche für die Gesellschaft zur Ressource werden. Sie geht dabei vom Indivi-

duum aus, welches innerhalb der Gesellschaft Neues herstellen kann und möchte die Einzelnen

so ausstatten, dass sie sich von anderen Studierenden unterscheiden.

Da das Kapital in der neoliberalen Regierung auf diese Weise untrennbar mit der Person verbun-

den ist, rückt in der Bildung dieser Person der gesamte Mensch in den Blickpunkt der Betrach-

tung: Die LUL verschafft sich über die Persönlichkeitsbildung die Möglichkeit, über das Studi-

um hinaus die Individuen zu begleiten und Zugriff darauf zu erhalten, wie sie sich organisieren

und ihre Fähigkeiten erweitern. Die Konzentration auf die Fähigkeiten der Individuen und der

Wille zur umfassenden Bildung, innerhalb derer alle Erlebnisse und Alltagshandlungen zu

Lernchancen werden, machen deutlich, dass die Universität einen Menschen heranbilden möch-

te, der sich selbst als zu gestaltendes Kapital versteht. Vorrangiges Ziel ist es nicht, Inhalte zu

vermitteln, sondern die Haltungen herzustellen, die für das Funktionieren der Prämisse Wettbe-

werb relevant sind. So schreibt die Homepage der Leuphana: „In einem dynamischen Umfeld

fällt zurück, wer still steht. Lernen – lebenslang und flexibel – ist Bedingung für persönlichen,

507 Vgl.: Foucault: Die Geburt der Biopolitik, S. 311. 508 Vgl.: ebd., S. 312. 509 Vgl.: Michalitsch: Die Domestizierung des neoliberalen Subjekts, S. 14. 510 Vgl.: Foucault: Die Geburt der Biopolitik, S. 210. 511 Ebd., S. 312. 512 Ebd., S. 323. 513 Vgl.: ebd., S. 321. 514 Vgl.: ebd., S. 323.

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unternehmerischen und gesellschaftlichen Erfolg. Weiterbildung und Wissenstransfer sind Inves-

titionen in die Zukunft.“515

Die Studienziele sind, der Perspektive Wettbewerb folgend, dass die Studierenden schließlich ihr

Kapital auf eine bestimmte Art und Weise organisieren, nämlich als lebenslange Kapitalerweite-

rung, die sich flexibel anpassen kann und will. Die Individuum wird auf diese Weise ebenso wie

die Institution zu einem Unternehmen, das in sich investieren kann und sich derart aufstellen

muss, dass in sie investiert wird. Das Prinzip „Gesellschaft gestalten“ zeigt des Weiteren, dass

die LUL auch Zugriff darauf erhalten möchte, wie die Individuen ihr Kapital einsetzen: Dem

Leitziel der Förderung von Zivilgesellschaft gemäß sollen die individuellen Unternehmen ihr

Kapital in die Gesellschaft einbringen und sich nicht der Gesellschaft entziehen – oder gar als

Ressource ausscheiden, indem sie den sich im Wettbewerb der Individuen schnell wandelnden

Anforderungen durch ein starres Profil nicht lange entsprechen (mehr zu dieser besonderen Form

des Subjekts in V.2 und V.3).

(IV) Das Wissen, an welchem sich die moderne Gouvernementalität orientiert, ist die ökonomi-

sche Analyse. Dieses Wissen kommt gemäß Bröckling aus den Wirtschaftswissenschaften und

wurde schließlich zur politischen Zielvorgabe516. Auch Michalitsch sowie Boltanski und Chia-

pello gehen davon aus, dass sich das theoretische Fundament des Kapitalismus in den Wirt-

schaftswissenschaften bildet517. Michalitsch spricht deswegen im Anschluss an den Foucault-

schen Diskursbegriff von den Wirtschaftswissenschaften als dem wahren Diskurs der Gesell-

schaft518, der sich in dem Ringen um Wahrheit in der Moderne durchsetzt. Dieses Gültige, der

wahre Diskurs, nimmt dabei Abgrenzungen zwischen wahr und falsch vor und macht Werte ver-

bindlich, indem er auf diese Weise normierend wirkt. So konstituiert dieser auch die Lebensfor-

men, denen sich die Menschen zu unterwerfen haben und formt das Verständnis von Welt und

Mensch519. Durch dieses Normalisierungsprojekt, wie es Michalitsch nennt, wird eine Subjekti-

vität hergestellt, ein Ideal des „neoliberalen Neuen Menschen“520. Dieses Ideal basiert auf einem

dem Diskurs eigenen Verständnis von Natur und rekurriert umfassend auf Werte hinsichtlich der

unternehmerischen Persönlichkeit. Die Wahrheiten des wirtschaftswissenschaftlichen Diskurses

515 LUL: Professional School, Dialoge, Impulse, Neue Wege; LUL: Personalentwicklung. 516 Vgl.: Bröckling: Das unternehmerische Selbst, S. 7f. 517 Seit Ende des 19. Jahrhunderts legt die neoklassische Theorie der Gesellschaft Vorstellungen zu

ökonomischen Vorgängen, der Aufteilung der Bereiche Wirtschaft, Staat und Gesellschaft sowie zum Menschenbild zugrunde (vgl.: Michalitsch: Die neoliberale Domestizierung des Subjekts., S. 72). Auch Boltanski und Chiapello weisen darauf hin, dass von Entscheidungsträger_innen in den kapitalistischen Institutionen seit Mitte des 19. Jahrhunderts hauptsächlich in der Neoklassik Rechtfertigung für den praktizierten Kapitalismus gesucht und gefunden haben (vgl.: Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 48).

518 Vgl.: Michalitsch: Die neoliberale Domestizierung des Subjekts, S. 15. 519 Vgl.: ebd., S. 14. 520 Ebd., S. 15.

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haben besondere Eigenschaften: „die dort entliehenen Argumente erscheinen gerade deshalb so

überzeugend, weil sie angeblich ideologisch unverdächtig und nicht unmittelbar von morali-

schen Motiven geprägt waren.“521 Die Wirtschaft gilt als ein von Perspektivität und von zugrun-

de liegenden Prämissen losgelöster Bereich522, als Sprachrohr, welches rein Faktisches und dem-

nach Wahres, nicht Hinterfragbares, analysiert und wiedergibt. Dies, ohne die normativen Grund-

lagen und Implikationen sowie Ausschließungen dieses Bereiches zu beachten.

Auch der Diskurs der LUL formuliert anhand des feststellenden, unbestimmten Diskurses Wahr-

heiten, welche als Fakten verstanden werden sollen, auch wenn diese nicht belegt und unbegrün-

det sind, sowie teilweise in der Zukunft liegen. Die LUL möchte des Weiteren als ideologiefrei

betrachtet werden, sowohl hinsichtlich ihres Menschenbildes523, als auch hinsichtlich ihres Bil-

dungsverständnisses und der daraus folgenden Didaktik524. Dies, ohne die eigenen Annahmen zu

hinterfragen. Bröckling, Krasmann und Lemke betonen wiederum den produktiven Charakter

dieses Wissens: „Neoliberalismus wird dabei [...] vor allem als ein politisches Projekt [aufge-

fasst; Anmerk.d.Verf.], das darauf zielt, eine soziale Realität herzustellen, die es zugleich als be-

reits existierend voraussetzt.“525 An der Diskursstrategie Wettbewerb wird dies besonders deut-

lich: Die Institution generiert ihr Wissen selbst, nach dem sie schließlich sich selbst und ihre

Subjekte ausrichtet, indem sie die Zukunft als gesichert betrachtet und eine Bedrohung schafft.

Des Weiteren greift die LUL auf Wissen der Wirtschaftswissenschaften zu und produziert so de-

ren Inhalte und deren Zielbilder von Menschen.

Die Fremd- und Selbstsubjektivierung entlang des wirtschaftswissenschaftlichen Wissens findet

gemäß Bröckling statt durch institutionelle Arrangements, Rollenangebote, Technologien und

verfolgt die Übernahme von Verantwortung für sich selbst und andere526. Anhand der Dis-

kursanalyse der LUL wird deutlich, dass dieses Wissen auch zur Grundlage von Bildung und

Wissenschaft, der Institution Universität, werden kann und geworden ist.

Interpretationsrepertoire I bis IV enthalten Aspekte der neoliberalen Regierungsökonomie: Aus-

gehend vom Wettbewerb werden Institution und Subjekte, sowie „Freiheit“ als nützlich für die

politische Ökonomie ausgerichtet. Das Unternehmertum breitet sich aus, so dass Jede_r ihr_sein

eigene_r Unternehmer_in wird und das eigene Kapital verwaltet. So entfaltet die LUL als Bil-

dungseinrichtung produzierende Wirkung, die den wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs in der

Forschung wie in der Lehre – also in der Wissensherstellung – verbreitet und diesem gemäß

Menschen formt.

521 Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 48. 522 Vgl.: ebd., S. 49. 523 Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 3. 524 Vgl.: ebd., S. 3, 9. 525 Bröckling; Krasmann, Lemke: Gouvernementalität der Gegenwart, S. 9. 526 Vgl.: Bröckling: Das unternehmerische Selbst, S. 7f.

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Die Universität folgt den ökonomischen Analysen der Wirtschaftswissenschaften und richtet die

Bildung der Individuen auf diese Perspektive hin aus. So entfalten das Unternehmertum und der

Wettbewerb in einer Bildungseinrichtung außerhalb des genuinen Unternehmertums Wirkung.

Die Produktion von Subjekten durch den wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs bezeichnet

Bröckling als „totalitär“527: „Keine Lebensäußerung, deren Nutzen nicht maximiert, keine Ent-

scheidung, die nicht optimiert, kein Begehren, das nicht kommodifiziert werden könnte.“528 Alles

wird dem Zwang des Optimierens untergeordnet, sowohl beim Individuum als auch in den ge-

sellschaftlichen Strukturen und Institutionen. Die Unterordnung von gesellschaftlichen Berei-

chen unter die Dominanz des Marktes sowie die Begrenzung von staatlichen Aufgaben529, die

auch das Soziale umfasst530 und die somit das gesamte menschliche Handeln charakterisiert, ver-

ankern das Marktprinzip im Individuum.

V.2 Neoliberale Institutionalisierung: Die Rechtfertigungen des Kapitalismus und die Mar-

kenbildung

These II.

Indem die LUL sich am wirtschaftswissenschaftlichen Diskurs orientiert, verhält sie sich als Un-

ternehmen, welches sich in der modernen Gouvernementalität durch Markenbildung und Recht-

fertigungsmechanismen auszeichnet. Das inhaltliche Profil enthält einerseits den Rechtferti-

gungsdruck des Wettbewerbs, in den sich die LUL durch die Markenbildung stellt. Andererseits

gibt die Institution den Individuen Rechtfertigungen dafür, sich den Anforderungen der Universi-

tät auszusetzen und zur leistungsfähigen Ressource für Universität und Gesellschaft zu werden.

So folgt die LUL zugleich dem Managementdiskurs, der ein Zielbild von Subjekten zeichnet, wel-

che den Wertigkeiten des Managements folgt. Die LUL möchte dieses Zielbild verwirklichen.

Die LUL konstituiert sich entlang einer Profilbildung und – untrennbar damit verbunden – ent-

lang einer Markenbildung. Damit greift sie auf das Instrument des Wettbewerbs zu: auf markt-

förmige Kommunikation und damit auf das Markenmanagement. Dies geht damit einher, sich

nach der die moderne Gouvernementalität auszeichnende Frage der Ressourcenverteilung auszu-

richten und die Institution sowie die Subjekte nach den Zielgruppen als Angebote zu konzipie-

ren. Markenbildung geht somit einher mit der Selbstlegitimierung der jeweiligen Organisation,

die ihren eigenen Nutzen zu belegen sucht. Auffällig an der Angebotsorientierung der LUL ist, 527 Vgl.: Bröckling: Das unternehmerische Selbst, S. 283. 528 Ebd. 529 Michalitsch: Die neoliberale Domestizierung des Subjekts, S. 49. 530 Vgl.: ebd., S. 85.

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dass die Versprechungen an die Zielgruppen dem folgen, was Luc Boltanski und Ève Chiapello

als die Rechtfertigungen des gegenwärtigen Kapitalismus kennzeichnen. Bei der Frage danach,

woher das Wissen stammt, aus dem sich die Selbstdarstellung der Marke „Leuphana“ bedient,

entsteht so ein Bogen zu dem Wissen, welches aus der Managementliteratur stammt, die

Boltanski und Chiapello untersuchen. Deren Theorie „Der neue Geist des Kapitalismus“ soll

deswegen herangezogen werden.

Auch Rainer Diaz-Bone beschreibt Boltanskis und Chiapellos Analyse als fruchtbar für diskursi-

ve Praktiken, um diese historisch zu verstehen531. Nach Diaz-Bone brauchen Diskursanalysen

den Bezug zu sozialwissenschaftlichen Konzepten, womit er mit den bereits zitierten Bröckling

und Krasmann übereinstimmt, die selbiges für die gouvernementale Perspektive feststellen532.

Dabei geht Diaz-Bone davon aus, dass diskurstheoretische Ansätze diese Konzepte benötigen,

„weil sie in der sozialwissenschaftlichen Anwendung dazu gezwungen“ werden und nur im Ver-

gleich Bedeutung erhalten533. In der vorliegenden Arbeit sollen die Diagnosen Boltanskis und

Chiapellos den Einzelfall „Leuphana“ einbinden in ihre historische Entstehung. Das bedeutet

eine Denaturalisierung der Aussagen aus der Selbstdarstellung. Eine Perspektive, die auch die

Autor_innen der Studie einnehmen: So kennzeichnet sich das Werk Boltanskis unter anderem

durch das strukturalistische Motiv der „De-Ontologisierung vorgegebener Kategorien und Klas-

sifikationen“534. In ihrem Werk „Der neue Geist des Kapitalismus“ entheben Boltanski und Chia-

pello die Argumente für den Kapitalismus ihrer Faktizität.

Nach einem ersten Blick auf die Diskurse, welche die Markenbildung beinhalten, wird entlang

der Studie zum neuen Geist des Kapitalismus dargestellt, dass die LUL der allgemeinen Ma-

nagementlehre folgt.

V.2.1 Markenbildung

Die LUL institutionalisiert sich über Markenmanagement. Die Selbstdarstellung der LUL macht

zum Einen die Ausrichtung am Wettbewerb deutlich (Gruppe eins zur internen Darstellung und

Überzeugung der internen Zielgruppe) und ist zugleich dessen Ergebnis (Gruppe zwei zur exter-

nen Selbstdarstellung der externen Zielgruppen). Die Kommunikation nach außen setzt das Vor-

haben der Universität Lüneburg, eine Marke zu werden, aktiv um. Ergebnis ist die „Leuphana“,

wie sie anhand verschiedener Elemente, des Namens, des Studienmodells, der Leitbegriffe und

531 Vgl.: Diaz-Bone: Die interpretative Analyse als methodologische Position, S. 81f. 532 Bröckling; Krasmann: Ni mèthode, ni approche, S. 32f. 533 Ebd., S. 80. 534 Bogusz: Zur Aktualität von Luc Boltanski, S. 10.

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Neubauten et cetera aufgebaut wird (siehe IV.2). Was bedeutet es, Institutionen als Marke zu

gestalten? Welche neoliberalen Regierungselemente zeigen sich darin?535

„Was eine Marke ausmacht, ist stark von subjektiven Einflüssen geprägt und spielt sich vor al-

lem in den Köpfen und Vorstellungen der Konsumenten ab.“536 Franz-Rudolph Esch macht deut-

lich, dass für das moderne Management vor allem die subjektiven Wirkungen bei den Zielgrup-

pen wichtig sind. Auch die LUL möchte anhand ihrer Kommunikation nach außen emotionale

und rationale Aspekte vermitteln. Die Zielgruppen sollen individuell für das Angebot einge-

nommen werden, indem unter anderem Begeisterung, Leidenschaft und Freiheit versprochen

werden. Nicht fachliche Inhalte werden in den Mittelpunkt gerückt, sondern es werden Verspre-

chen kommuniziert, welche die Menschen ansprechen, diese als Persönlichkeiten konstruieren

und sich an den Bedürfnissen dieser Persönlichkeiten orientieren, wie an Persönlichkeitsbildung

und dem Angebot, mehr als Studium zu garantieren. Das Studium wirkt deshalb und aufgrund

der Möglichkeit, sich individuell das Studium zusammenzustellen537, individualisierend.

Im 17. Jahrhundert entstand die „Marke“ als Herkunftszeichen von Waren und weitete sich seit-

dem in Funktion und Verwendung stark aus: „Die Marke ist die einzig existierende internationa-

le Sprache, das Esperanto des Handels.“538 schreibt Jean-Noël Kapferer. In den 1990er Jahren

wurden auch neben Unternehmen und Gütern staatliche oder halbstaatliche Einrichtungen wie

Universitäten und Vereine sowie wenig profitorientierte Güter und Dienstleistungen wie Kultur-

güter, Bildung et cetera zur Marke539. Markenführung hat im Wandel von der Funktion „Pro-

duktmarke“ hin zu einem offenen Markenverständnis, welches – zum Beispiel in der Politik –

auch Persönlichkeiten zu Marken werden lässt, vor allem das Ziel, auf einer emotionalen Basis

Zielgruppen anzusprechen und an Produkte, Dienstleistungen oder Menschen zu binden540. In-

dem Identifikationsmöglichkeiten mit einer Marke bereitgestellt werden, wird diese mit einem

Lebensstil, einem Gefühl ausgestattet, welches sich die Konsumierenden aneignen können. Bu-

semann benennt als Grund hierfür nicht nur das eigene Agieren des Marketings, sondern zieht

den Begriff der „Erlebnisgesellschaft“ heran, um zu erläutern, dass zunehmend innenorientierte

Lebensauffassungen wie Wohlgefühl und andere subjektive Entscheidungsfaktoren für die indi-

viduelle Entscheidung zum Konsum und weniger der Gebrauchsnutzen ausschlaggebend wer-

den541.

535 Zu Funktionen und Verwendung von Marken vgl.: Steinert: „Hauptsache Image“ oder Marken als

Verwirtschaftlichung von Politik? 536 Esch: Moderne Markenführung, S. 6. 537 LUL: Eine Hochschule erneuert sich, S. 10; 538 Kapferer: Die Marke, S.11 539 Vgl.: Schütz: Die Macht der Marken, S. 140; Pringle; Gordon: Marken-Etikette. 540 Vgl.: von Mannstein: Die politische Marke. Alles bleibt anders. In: Balzer u. a.: Politik als Marke., S. 123. 541 Busemann: Kulturmarken gestalten, S. 20.

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Dies impliziert auch, dass die Angebote individuell sein müssen und zugleich die Identifikation

für große Gruppen möglich sein muss. Es werden so Marketing-Strategien benötigt, die zugleich

individuelle Ansprache und die Ansprache vieler und großer Gruppen ermöglichen. Die Heraus-

forderung ist es zunehmend für alle unternehmerischen Einheiten – Subjekte wie Einrichtungen

– Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Dies inmitten der durch diese Art von verstärkter Kommu-

nikation informationsüberfluteten Gesellschaft, in der die Informationen immer weniger intensiv

aufgenommen werden können und wollen542. Sich von anderen unterscheiden zu müssen, ist in

der neoliberalen Gouvernementalität verankert: Wettbewerb bedingt Ungleichheit und Unter-

schiede. Es ist deshalb notwendig, dass eine Pluralität herrscht, die den Wettbewerb möglich

macht543. Ohne eine aktive Individualisierung gibt es keine Unterschiede, keine Konkurrenz und

keinen Wettbewerb.

Was also beinhaltet eine Marke und welches Wissen wird für deren Erstellung akquiriert? In der

wirtschaftswissenschaftlichen Forschung ist die Marke mittlerweile das „Megathema schlecht-

hin“544, der Begriff „Marketing“ findet sich überall. Da es fernab betriebswirtschaftlicher Litera-

tur bisher kaum Beiträge zur Markenbildung gibt545, wird auch in Nonprofit-Bereichen und in

der öffentlichen Verwaltung entlang von Wissen agiert, welches nicht aus der Logik der eigenen

Strukturen entsteht, sondern welches aus dem betriebswirtschaftlichen Denken kommt. Zuneh-

mend werden deshalb seit den 1990er Jahren betriebswirtschaftliche Instrumente aus Gründen

des Selbsterhalts implementiert: Ebenso wie dies in der Begründung für eine Neuausrichtung der

Universität Lüneburg geschieht, werden als Begründung für die Markenbildung im Non-Profit-

Bereich die Verschlechterung der finanziellen Situation (gerade der staatlichen Unterstützung)546

sowie die zunehmende Konkurrenz547 und die Notwendigkeit, sich das Interesse zu sichern548,

angeführt. Markenbildung folgt der Unausweichlichkeit von Wettbewerbs- und Zukunftsprinzi-

pien, wie dies auch die LUL tut: Organisationen müssen ihren Erhalt legitimieren, um weiterhin

bestehen zu können. Die Bedrohung des Wettbewerbs wirkt sowohl im öffentlichen wie im nicht

öffentlichen Sektor:

„Ein gegebener Eigenwert von Kunst und Kultur wird nicht mehr ohne weiteres akzeptiert oder zumindest im Verhältnis zu anderen Werteträgern abgewogen. Der einzige Weg, die nötige Legitimation zu erlangen, ist nach Hellmann eine glaubwürdige Kommunikation der

542 Vgl.: Busemann: Kulturmarken gestalten, S. 22f. 543 Vgl.: Foucault: Die Geburt der Biopolitik, S. 171. 544 Vgl.: Esch: Moderne Markenführung, S. 5. 545 Vgl.: Busemann: Kulturmarken gestalten, S. 4 546 Vgl.: Ebd., S. 15. 547 Vgl.: ebd., S. 17f. 548 Vgl.: ebd., S. 18.

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Organisation.“549

Hier zeigt sich auf verschiedene Weise das liberale Prinzip des Nützlichkeitsdenkens: Nicht mehr

als selbstverständlich genommen, sondern auf seinen Nutzen hinterfragt, aktiviert der Wettbe-

werb als grundlegendes Prinzip dazu, dass sich Einrichtungen durch Kommunikation darstellen,

um sich selbst als nützlich zu beweisen. Globalziel von Marken ist der Selbsterhalt durch diese

Kommunikation550. Die Frage nach dem Nutzen ist demnach existenziell entscheidend. Die poli-

tische Ökonomie regiert entlang der Ressourcenverteilung: Ein Faktor der Zukunfts- sowie der

Problemanalyse der LUL ist die Finanzierung der Hochschule551, ein Aspekt, der für die Wettbe-

werbssituation ausschlaggebend ist und mithilfe einer Neuausrichtung, welche die Universität

attraktiver macht, gestaltet werden muss552. Die Bedrohung der Existenz durch mangelnde Res-

sourcen und die Notwendigkeit von Entscheidungen zu deren Verteilung entspricht der ökonomi-

schen Analyse der neoliberalen Regierungsform nach Foucault:

„Für die Neoliberalen soll die ökonomische Analyse [...] in der Untersuchung der Natur und der Folgen dessen [bestehen; Anmerk.d.Verf.], was sie substituierbare Entscheidungen nennen, d.h. die Untersuchung und Analyse, der Art und Weise, wie knappe Ressourcen auf konkurrierende Zwecke verteilt werden, d.h. auf alternative Zwecke, die einander nicht überlagern können.“553

Dies bedeutet zum Einen, dass in der ökonomischen neoliberalen Perspektive Wahlentscheidung

gefällt werden müssen, und eben diese zum Analysegegenstand der ökonomischen Untersuchun-

gen werden. Die Untersuchung der Ökonomie ist die Untersuchung dessen, wie hinsichtlich der

Verteilung knapper Ressourcen entschieden wird. Durch diese Form der Analyse werden die Ent-

scheidungen zum Orientierungs- und Ausgangspunkt von Institutionalisierungen. Die Analyse

von Menschen wird so auf die Betrachtung ihrer Ressourcenverteilung reduziert. Dies führt den

Menschen unmittelbar als Unternehmer_in ein, welche_r das eigene Kapital verwaltet.

In dem Konkurrenzkampf der Angebote werden alle Inhalte verglichen und demnach vergleich-

und messbar. Aspekte, die den Nutzen vergleichbar machen, sind zum Beispiel Effizienz und

Kundenorientierung. Die Kommunikation bedingt nicht nur, die eigenen Inhalte als Angebote

gemäß dieser Nutzenkriterien zu formulieren, sondern die gesamten Organisationen strukturieren

549 Vgl.: Busemann: Kulturmarken gestalten, S. 18. 550 Vgl.: ebd., S. 49. 551 „In Zeiten knapper öffentlicher Kassen fokussiert die öffentliche Hand ihre Bildungsausgaben in noch

nie da gewesenem Umfang.“ „Auch private Geldgeber fokussieren ihre Bildungsinvestitionen auf attraktive und innovative Bildungseinrichtungen – zunehmend im globalen Wettbewerb.“ (UL: Gedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg, S. 6.)

552 „Die Leistungen und Verdienste der Universität strahlen nicht in ausreichendem Maße auf die Gesamtorganisation und auf Ihre [sic!] Außenwahrnehmung ab. Sie können daher die aus der Unterfinanzierung der Universität erwachsenen Wettbewerbsnachteile nicht ausgleichen.“ (UL: Humanistisch Nachhaltig Handlungsorientiert. Grundsatzentscheidung, S. 10.)

553 Foucault: Die Geburt der Biopolitik, S. 309f.

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sich in der modernen Regierung nach diesen Vergleichskriterien554. Markenbildung bedeutet

demnach Umstrukturierung. Das liberale Prinzip des Nutzens verbindet sich mit dem neolibera-

len Prinzip des Wettbewerbs. Der Wettbewerb bringt den Zwang zur Selbstlegitimierung mit

sich, die Notwendigkeit, einen Nutzen darzustellen und diesen dem Konkurrenzkampf auszuset-

zen. Die Konsequenz ist, dass sich die Einrichtungen nach dieser Konkurrenz ausrichten und

Wettbewerb so zum grundlegenden Struktur-, Organisations- und Regulationsprinzip wird. Im

Neoliberalismus findet deshalb die Institutionalisierung anhand von Markenbildung statt.

Wie strukturieren sich die Einrichtungen neu? Wie auch an der Marke „Leuphana“ erkennbar, ist

vor allem die Differenzierung555 eines in sich schlüssigen und wieder erkennbaren Images, eines

Profils, relevant556. (Gemäß Markengesetz557 beinhaltet eine Marke Zeichen und Symbole, die

mit dem Ziel der Differenzierung von anderen Unternehmen konstruiert werden. (Vgl.: §3 Abs. 1

MarkenG))

Die Marke dient durch die mögliche Identifikation außerdem als psychologischer Zusatznut-

zen558, um die eigene Persönlichkeit zu definieren und aufzuwerten, indem die Marke zur Sinn-

quelle des eigenen Lebens und der eigenen Persönlichkeit wird559. So schreiben Hamish Pringle

und William Gordon:

„Im 21. Jahrhundert kommunizieren Marken funktionale und rationale Merkmale, sind aber gleichzeitig auch emotional und psychologisch besetzt. In Form politischer Standpunkte und ethischer Maßstäbe bis hin zu spirituellen Merkmalen müssen sie darüber hinaus verstärkt auch höhere Werte transportieren, weil der Kunde Fragen nach der »Kontrolle von Unternehmenstätigkeiten« und der gesellschaftlichen Rolle des Unternehmens oder der Marke stellt.“560

Die Versprechen, die sich im inhaltlichen Profil der LUL als Prinzipien der Freiheit, der Persön-

lichkeit, der Leistung und des Gestaltens von Gesellschaft zeigen, bilden sich in dieser Notwen-

digkeit ab: Ethisch korrektes Handeln und die Ausrichtung am Wohl der Gesellschaft sind not-

wendig, um ein positives Image zu erhalten. Werte werden zu Regulationsprinzipien des Marktes

sowie zu verkaufbaren Inhalten, die gemäß betriebswirtschaftlich gesteuerter Formen kommuni-

ziert und materialisiert werden.

554 Vgl.: Busemann: Kulturmarken gestalten, S. 12. 555 Vgl.: Bruhn: Begriffsabgrenzungen und Erscheinungsformen von Marken, S. 24. 556 Vgl.: Vollbrecht zit. n. Bazler: Politische Kommunikation in der Gegenwartsgesellschaft. In: Balzer

u. a.:Politik als Marke, S. 23. 557 Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen (Markengesetz – MarkenG). vom 25. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3082; 1995 I S. 156; 1996 I S. 682), das zuletzt durch Artikel 15 des Gesetzes vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302) geändert worden ist. 558 Vgl.: ebd. 559 Vgl.: Busemann: Kulturmarken gestalten, S. 54f. 560 Pringle; Gordon: Marken-Etikette, S. 7f.

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Die inhaltliche Profilbildung der LUL und somit auch die untersuchten Texte gehen zurück auf

das betriebswirtschaftliche Wissen, auf das Markenmanagement. Was kommuniziert wird, wel-

ches Leitbild erzeugt und welches Idealbild von Studium sowie von Studierenden geschaffen

wird, verweist auf Werte, die in einem Markenbildungsprozess als wettbewerbtauglich ausge-

macht wurden. Die Perspektive des betriebswirtschaftlichen Denkens erzeugt für die LUL die

Folgezwänge, welche in der neoliberalen Regierung in den ökonomischen Bereichen zu sehen

sind. Die LUL passt sich damit den Erfordernissen eines Marktes an, die vom Wettbewerb vor-

gegeben werden.

V.2.2 Die Rechtfertigungen des Kapitalismus

V.2.2.1 Die Grundlagen der Studie Luc Boltanskis und Ève Chiapellos

Mit den Rechtfertigungen, die mit dem Markenmanagement verbunden sind, geht einher, dass

die Inhalte der Selbstdarstellung dem folgen, was Luc Boltanski und Ève Chiapello als geltende

Rechtfertigungen für den gegenwärtigen Kapitalismus betrachten. Mit der Perspektive auf den

„neuen Geist des Kapitalismus“, den Boltanski und Chiapello diagnostizieren, sollen die Fragen

beantwortet werden, in welches Regelsystem sich die Universität mit der Profilbildung einglie-

dert.

Die Autor_innen führten in Frankreich eine Studie durch, um herauszufinden, weshalb die Kritik

am Kapitalismus derart schwach geworden ist561 und betrachten die „ideologischen Veränderun-

gen im Zusammenhang mit den jüngsten Wandlungsprozessen des Kapitalismus“562. Ausgehend

von dem hier verwendeten Ideologiebegriff soll ein kurzer Einblick in die Studie gegeben wer-

den, um zu begründen, welche Inhalte der Studie in der vorliegenden Arbeit Anwendung erfah-

ren soll und wie mit dem Ideologieverständnis der Autor_innen hinsichtlich der Diskursanalyse

umgegangen werden soll.

Bei dem Versuch, Kapitalismus und die Kritik an diesem gemeinsam zu denken, gelangen die

Autor_innen zu dem Schluss, dass das kapitalistische System weder für die Kapitalisten563, noch

für die Masse abhängiger Beschäftigter derart bereichernd ist, dass die Aufrechterhaltung des

Systems ausreichend plausibel ist564. Denn der Kapitalismus ist einzig „eine Forderung nach

unbegrenzter Kapitalakkumulation durch den Einsatz formell friedlicher Mittel“565. Kapitalismus

561 Vgl.: Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 31. 562 Ebd., S. 37. 563 Boltanski und Chiapello bezeichnen diejenigen als Kapitalisten, die juristischen Personen sind – wie

Vorstandschefs, Firmenbosse, Großaktionäre, Investmentgesellschaften usw. Diese kontrollieren das Weltkapital und haben die Profitmaximierung verinnerlicht. Die Folgezwänge geben sie an die Personen weiter, die ihnen unterstellt sind563. Diese abhängig Beschäftigten sind ebenfalls Kennzeichen des Kapitalismus (Vgl.: Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 41).

564 Vgl.: ebd., S. 42; Für die Kapitalisten besteht das kapitalistische System nach dem .... 565 Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 37.

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ist kein Markt im klassischen Sinne, der sich Marktregulierungen fügt und somit außerhalb des

Marktes liegenden Zielen dient, sondern diese Organisationsform ist rein selbstbezüglich:

„In der Tat ist der Kapitalismus die einzige, zumindest jedoch die wichtigste historische Ordnungsform kollektiver Praktiken, die von der Moralsphäre völlig losgelöst ist. Sie findet ihre eigene Zweckbestimmung in sich selbst (Kapitalakkumulation als Selbstzweck) und nicht, indem sie auf ein Allgemeinwohl oder zumindest auf die Interessen eines Gemeinwesens in Gestalt eines Volkes, eines Staates oder einer sozialen Klasse Bezug nehmen würde.“566

Der Kapitalismus ist demnach ein System, das in sich schlüssig ist und keinen Fremdzweck ver-

folgt. Dies trifft sich mit den Foucaultschen Aussagen zur politischen Ökonomie: Die neoliberale

Gouvernementalität zeichnet sich dadurch aus, dass dem gefolgt wird, was das System, den Staat

und die Bevölkerung funktionieren lässt, dieses Funktionieren wird aber nicht inhaltlich begrün-

det. Boltanski und Chiapello betrachten diese Selbstbezüglichkeit hinsichtlich der gesamten ka-

pitalistischen Gesellschaftsstruktur. Der kontinuierliche Zwang zu mehr Kapital wird dabei von

den Kapitalisten an die Arbeitnehmer_innen weiter gegeben. In dieser freiwilligen Unterwerfung

mit der Angst vor Erwerbslosigkeit567 festgehalten, wird das System Kapitalismus für die Arbeit-

nehmer_innen eine Last der steten Arbeit, der kontinuierlichen Selbstaufopferung und des Hin-

nehmens sozialer Ungerechtigkeiten, die durch das Streben nach Kapital vergrößert werden. Die

Neuausrichtung beziehungsweise ein Mehr an Leistung muss an der LUL von den Studierenden

und den Lehrenden getragen werden568. Die Individuen müssen das erforderliche an Leistung

bringen, müssen also das inhaltliche Profil und das Ziel der hohen Maßstäbe umsetzen569. Das

Verständnis von der Universität als Gemeinschaft bedeutet eine wettbewerbliche Ausrichtung,

die von allen getragen und geleistet wird. Die Argumentation, anhand derer die Konkurrenz- und

damit die erhöhte Leistungsfähigkeit der Institution zur Auflage gemacht wird, ist ebenso selbst-

bezüglich: Sie richtet sich ausschließlich an den Erfordernissen des Marktes aus. Die Universität

stellt sich in eine Konkurrenz und damit in einen Akkumulationsprozess. Ziel ist das Mehr an

Ressourcen. Eine Zielerreichung und somit ein Ende des Akkumulationsprozesses ist dabei nur

insofern gegeben, als dass die Universität hoch gegenüber der Konkurrenz positioniert sein 566 Ebd., S. 58. 567 Vgl.: Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 52. 568 Eine neue Didaktik aufgrund des geänderten Studienmodells, welches Lehrende als Coaches einsetzt,

fordert mehr Zeiteinsatz durch die Lehrenden: „ein Wandel der Rolle der Lehrenden von der Vermittlung der Inhalte hin zur Anregung und Anleitung diese auf je eigene Weise zu entdecken, zu umfassendem und konsequentem Feedback auf Teilleistungen, zu hohen Erwartungen an die Studierenden, zum Mut, offene Fragen zu diskutieren und sich auch auf Abwegiges einzulassen, es aber systematisch zu kritisieren. Dies erfordert einen hohen Zeiteinsatz, weil nicht die einmalige Vorbereitung, sondern die jährlich wiederkehrende Ermutigung und Begleitung der Studierenden nun am wichtigsten ist.“ (Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 9). Wie in IV.4.1 ersichtlich wurde, ist das Kollektiv auf individuelle Leistung angewiesen.

569 Das bedeutet auch, dass die Studierenden leistungsstark sein müssen, um die Ansprüche zu füllen, welche mit der Erstellung des Bachelors nach außen kommuniziert wurden: Die Frage in der Didaktik ist deshalb die, „wie Habitus und Verhalten der Studierenden gefördert werden können, um den anspruchsvollen Zielen zu entsprechen“ (Vgl.: ebd.).

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möchte. So bleibt offen, wann eine solche hohe Position und damit ein Ende der Kapitalakkumu-

lation erreicht sein können. Auch für die Individuen bedeutet die Aufforderung der LUL lebens-

lange Kapitalakkumulation, welche kein Ende vorsieht, da das Ziel das lebenslange Lernen und

somit die lebenslange Investition in das eigene Kapital ist (siehe S. 105).

Der unersättliche, endlose und abstrakte Prozess der Kapitalakkumulation wird nach Boltanski

und Chiapello nicht allein durch individuellen Zwang aufrechterhalten, sondern auch durch den

Geist des Kapitalismus, welcher, „das Engagement für den Kapitalismus rechtfertigt“570. Die

Ideologie dieses Geistes wird dabei bestimmt als „Gesamtheit von gemeinsamen Glaubenssät-

zen“, „die sich institutionell verkörpern, im Handeln verdinglichen und mithin in der Realität

verankert sind“571. Boltanski und Chiapello wenden sich hier gegen einen reduzierenden Ideolo-

giebegriff verschleiernder Unwahrheiten. Der Geist des Kapitalismus beinhaltet vielmehr das,

was zu einer bestimmten Zeit an Wahrheiten über die kapitalistische Ordnung aufgestellt und

geglaubt wird572, so dass diese nicht als unerträglich erlebt wird und die Menschen sich für ihn

engagieren573. Zum Einen fließen die wirtschaftswissenschaftlichen Erklärungen des Utilitaris-

mus ein, die beispielsweise Wohlstand, Leistungsstärke sowie Freiheit zum Privateigentum ein-

schließen (ohne dabei dessen Verteilung zu berücksichtigen)574, und zum Anderen die Werte –

Boltanski und Chiapello sprechen von Glaubenssätzen –, welche „zu einem gegebenen Zeitpunkt

eine hohe Überzeugungskraft besitzen“575. Diese stammen aus den eine Zeit prägenden Wahrhei-

ten, aus der Kritik am Kapitalismus selbst576 und an dem Rechtfertigungsbedürfnis derjenigen

Menschen, die zu dem jeweiligen Zeitpunkt am Kapitalismus beteiligt sind577. Ein solches Ideo-

logieverständnis ist mit dem hier verwendeten Diskursverständnis kompatibel: Die verschiede-

nen Wahrheiten und Diskurse innerhalb einer Gesellschaft prägen die Wertigkeiten, die zu einer

bestimmten Zeit gelten. Die geltenden Wertigkeiten stellen Normen dar und somit den wahren

Diskurs, der in einer Gesellschaft vorherrscht. Auch Foucaults Machtverständnis spiegelt sich in

dem Zusammenwirken verschiedener Diskurse wieder: Widerstand ist ebenfalls produktiv und

steht nicht außerhalb dessen, was als die geltenden Wertigkeiten kritisiert wird. Kritik fließt

vielmehr elementar in das Kritisierte mit ein. Ideologie wird von Boltanski und Chiapello nicht

konträr oder unverträglich zu dem hier verwendeten Begriff von Diskurs gebraucht.

Was die Autor_innen den Geist des neuen Kapitalismus nennen, hat Foucault als die Funktions-

weise des Unternehmertums ausgemacht: Er diagnostiziert in den spätkapitalistischen Gesell-

570 Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 43. 571 Ebd., S. 37. 572 Vgl.: ebd., S. 46. 573 Vgl.: ebd., S. 48. 574 Vgl.: ebd., S. 50f. 575 Ebd., S. 58. 576 Vgl.: ebd., S. 59. 577 Vgl.: ebd., S. 60.

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schaften ebenfalls die Wirkungsweise, dass unternehmerische Werte eingesetzt werden, um der

Kälte des bestimmenden Gesellschaftsprinzips etwas entgegen zu stellen. Auf diese Weise be-

greift er die moderne ökonomische Regierungsweise als Steuerungslogik. Foucault verweist auf

den Begriff der „Vitalpolitik“578, den Rüstow einführt: Diesem zufolge dient der Umbau zum

Unternehmertum zum Einen einer gesamtgesellschaftlichen Wendung hin zur Wirtschaft, aller-

dings zum Anderen auch dazu, den kalten Mechanismen des Wettbewerbs antithetisch warme

Werte entgegen zu stellen, um „einen Ausgleich zu bieten für alles Kalte, Gefühllose, Berechnen-

de, Rationale, Mechanische im Spiel des eigentlichen wirtschaftlichen Wettbewerbs“579. Da der

Wettbewerb eher als auflösendes denn als vereinendes Prinzip existiert, kann keine Gesellschaft

auf diesem aufgebaut werden, dafür braucht es vielmehr einen politischen und moralischen

Rahmen. Diesen leistet das Unternehmertum, indem es das Individuum seiner Entfremdung ge-

genüber Arbeit, Lebenszeit, Haushalt und Familie entledigt580.

Einen solchen politisch-moralischen Rahmen verfolgen Boltanski und Chiapello über die zweite

Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass sich das System kontinuierlich

auf Kritik einstellen und Kompromisse machen muss, um bestehen zu können. Das bedeutet,

dass sich der Kapitalismus dauerhaft bestimmten Fragen stellen muss, um Zweifel und Unsi-

cherheiten aus dem Weg zu räumen581: „Inwiefern ist die Mitwirkung an dem kapitalistischen

Akkumulationsprozess eine Quelle der Begeisterung, auch und gerade für diejenigen, die nicht

zwangsläufig die größten Nutznießer der erwirtschafteten Gewinne sind?“582, nach Sicherheit:

„In welchem Maße können diejenigen, die am kapitalistischen Kosmos mitwirken, auf eine mini-

male Sicherheit für sich und ihre Kinder bauen?“583 und nach Gerechtigkeit: „Wie lässt sich die

Beteiligung an dem kapitalistischen Unternehmen gegenüber dem Allgemeinwohl rechtfertigen

und der gegen seine Organisation und seine Leitung erhobene Vorwurf der Ungerechtigkeit end-

kräftigen?“584 Diese drei Fragen führen zu Veränderungen im kapitalistischen Geist. Denn die

Rechtfertigungen wandeln sich mit den jeweiligen Kritiken, welche gegen die Kapitalakkumula-

tion vorgebracht werden.

Boltanski und Chiapello untersuchen den Diskurs der Managementliteratur aus den 60er und

90er Jahren. Von all den Erscheinungsformen, in denen sich der, die Gesellschaft durchdringen-

de, Kapitalismus zeigt, macht die Managementliteratur den kapitalistischen Geist am unmittel-

578 Foucault: Die Geburt der Biopolitik, S. 335. 579 Ebd. 580 Vgl.: ebd. 581 Vgl.: Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 54. 582 Ebd. 583 Ebd. 584 Ebd.

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barsten greifbar585. Der Versuch dabei ist der, die „generelle Managementlehre“ zu untersuchen,

die für alle Funktionsebenen in einem Unternehmen Anregungen bieten kann586. Diese ist ein

Sammelbecken ““für neue Profitmethoden und Managementtipps zur Steigerung der Leistungs-

und Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens.“587. Neben praktischen Tipps ist die Literatur

stark moralisch gefärbt. Boltanski und Chiapello untersuchen demnach Texte, die Tipps für einen

Soll-Zustand für Unternehmen geben, die vor allem die Führungskräfte von den vorgestellten

Handlungsmaximen überzeugen und diese motivieren wollen. Die Texte „müssen den leitenden

Angestellten Argumente liefern, mit denen sich die Kritik entkräften lässt, die im Falle der Um-

setzung der empfohlenen Handlungsanleitungen unausweichlich ist“588 und muss sich somit auch

auf normative Ziele stützen. Die Texte vermitteln somit nicht nur Anweisungen für eine hohe

Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch die moralische Grundlage, die erlaubt, die eigenen Hand-

lungen als gemeinwohlorientiert und bereichernd zu betrachten. Die Managementlehre wurde als

„Systematisierung von Unternehmenspraktiken“589 eingeführt, entlang welcher eine Professiona-

lisierung des Führungspersonals stattgefunden hat. Untersucht wurden zwei Korpora zu je unge-

fähr sechzig Texten (über tausend Seiten) aus französischer Managementliteratur, die in den 60er

und den 90er Jahren erschienen sind und die sich mit dem Thema „Führungspersonal“ befas-

sen590.

Es handelt sich demnach um die Analyse eines Diskurses, der Erkenntnisse darüber enthält, was

zu einer bestimmten Zeit den Führungskräften als Handlungsanweisungen sowie als motivieren-

de Rechtfertigungen diente. „Wie lässt sich der Arbeit im Unternehmen Sinn geben?“591 wird als

Frage in der Managementlehre gestellt. Die Wertigkeiten, welche die Führungskräfte motivieren,

zeichnen ein Bild dessen, was zu einer bestimmten Zeit als hohe Werte gelten.

V.2.2.2 „Leuphana“ als Produzentin der neuen, projektbasierten Polis

Nachfolgend wird zunächst auf den gegenwärtigen Geist des Kapitalismus eingegangen und an-

schließend werden dessen Antworten auf die drei Rechtfertigungsfragen den Leitbildern und

Zielen der LUL gegenüber gestellt.

Jedem der verschiedenen Komplexe an Rechtfertigungen zu einer bestimmten Zeit ordnen

Boltanski und Chiapello eine „Polis“ zu. Den Begriff „Polis“ führen die Autor_innen ein, um ein

Wertigkeitssystem einer Zeitspanne zu beschreiben592. Es geht um die Frage: Welches Verhalten

585 Vgl.: ebd., S. 92. 586 Ebd. 587 Ebd. 588 Ebd., S. 93. 589 Ebd. 590 Vgl.: ebd., S. 59. 591 Ebd. 592 Vgl.: ebd., S. 61.

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ist erwünscht und welches zieht Ausschluss aus der Gesellschaft nach sich? Die Wertigkeiten

einer Gesellschaft legitimieren Machtpositionen und entscheiden, wer Zugang zu diesen Positio-

nen erhalten darf. Die Menschen richten ihre Erfolgsmaximen und ihr Streben an diesen Werten

und Normen aus. In den 1930er Jahren existierte eine andere Polis als in den 1960ern und den

1990ern593. Für die 90er Jahre diagnostizieren Boltanski und Chiapello eine neue Art der Polis:

die projektbasierte Polis.

Die Kritik an der Bürokratie und den eingeschränkten Möglichkeiten, die Führungspersonen

haben, machen bereits seit den 30er Jahren den Weg frei für vernetzte Unternehmen594. Im Kon-

text einer immer schneller werdenden Technologie und ständig wachsender Konkurrenz durch

die Länder, die zum Kapitalismus hinzustoßen, setzt die Wirtschaftswelt in der Managementlite-

ratur auf Ratschläge zu flexibler, innovativer Gestaltung von Unternehmen595. Die neuen Kom-

petenzen, die Führungskräfte beherrschen müssen, bedeuten nicht ein Mehr an Ex-

pert_innenwissen, sondern integriert Teamfähigkeiten und Vernetzungsfähigkeiten596. Das heißt,

dass im aktuellen Kapitalismus – in der projektbasierten Polis – Menschen die höchste Achtung

erfahren, die flexibel sind und mit einem großen Netzwerk ihren Angestellten Möglichkeiten in

einer Arbeitswelt eröffnen, die auf Projekte konzentriert ist. Der Begriff des Netzwerks bezeich-

net sozialwissenschaftlich ein Konzepte zur Beschreibung von schwach beziehungsweise nicht

hierarchisierten, flexiblen Strukturen, die nicht durch von vornherein gezogene Grenzen limitiert

sind597. Das bedeutet zugleich, dass das Sozialleben nicht mehr in Formen fester Strukturen und

Kontakte wie Familie aufgebaut wird, sondern aus einer Masse an losen Kontakten zu Gruppen

unterschiedlicher Art besteht598.

593 Beispiele für Polisarten sind: In der erleuchteten Polis ist der zum Heiligen Erklärte in einer Gesellschaft

sehr hoch angesehen. In der familienweltlichen Polis ist das der „[...]Älteste, der Ahnherr, der Vater [...]“ (Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 63), in der industriellen Polis sind Effizienz und professionelle Kompetenzen, also hohe Leistungen auf industrieller Ebene, ausschlaggebend (Vgl.: ebd.), etc.

594 Vgl.: Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus: S. 108. 595 Vgl.: ebd. Eine solche Flexibilisierung bedeutet: „schlanke Unternehmen, die mit einer Vielzahl an

Beteiligten vernetzt arbeiten, eine Arbeitsorganisation in Team- bzw. Projektform, die auf eine Befriedigung der Kundenbedürfnisse abzielt, und eine allgemeine Mobilisierung der Arbeiter dank der Visionen ihrer Vordenker.“ (Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 112). Damit wird die Zahl der Entscheidungsträger eines Unternehmens auf Wenige reduziert, die Hierarchieebenen werden abgebaut und es wird „outsourcing“ betrieben, also das Abstoßen ganzer Arbeitsfelder (Vgl.: ebd., S. 116). Die Führungskräfte wandeln sich von Vorgesetzten zu Koordinator_innen, zu Manager_innen. Management steht für das Gegenteil von Verwaltung, deswegen machend Führungskräfte einen immensen Wandel durch (Vgl.: ebd., S. 117f.). Organisationen werden auf diese Art und Weise flexibel und Entscheidungen werden nicht durch bürokratische Notwendigkeit verlangsamt oder durch Abstimmungsprozesse verhindert. Die Führungskräfte müssen dem Unternehmen eine Vision geben und Anleger_innen von dieser überzeugen, damit ein Unternehmen auf dem Markt konkurrenzfähig bleibt (Vgl.: ebd.).

596 Vgl.: Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 108. 597 Vgl.: ebd., S. 124 598 Vgl.: ebd.

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Die projektbasierte Polis ist ein Zustand, in dem eine Vielzahl von Projekten existiert, die einen

Anfang und ein Ende haben und einander kontinuierlich ablösen599. Die Wertigkeit eines Men-

schen in dieser Welt richtet sich danach, ob er bei einem Projekt solche Leistungen erbracht hat

beziehungsweise solche Netzwerke aufgebaut hat, dass er eine neue Beschäftigung bekommt600.

Dieses Potenzial, über das Menschen verfügen müssen, um in weitere Projekte eingebunden zu

werden, heißt employability601.

Seit der 60er Jahre muss die Arbeit einen Sinn erhalten, der des Weiteren über das Subjekt oder

eine Institution hinausgeht. Geld reicht zur Legitimation immer weniger aus, Arbeit muss dem

Gemeinwohl dienen: Das Unternehmen muss sich gemäß Boltanski und Chiapello „zu einem Ort

der Sinngebung und der gemeinsamen Zielvorstellungen wandeln, an dem jeder sowohl seine

individuelle Autonomie weiterentwickeln als auch einen Beitrag zum Kollektivsubjekt leisten

kann.“602 Im Zuge der 68er verändert sich die Legitimation des Kapitalismus und auch die Art

und Weise der Führung durch die leitenden Personen. Wie die Markenbildung zeigt, ändert sich

dergestalt auch der Konsum: Marken müssen Sinn erzeugen, um erfolgreich auf dem Markt zu

sein. Zwischen dem Einzelnen und der Sinnstiftung werden die drei Rechtfertigungsfragen in der

projektbasierten Polis beantwortet. Nachfolgend wird gezeigt, dass das Leitbild und das Bil-

dungsverständnis der LUL auf diese drei Fragen abzielen und der Managementliteratur folgen.

Frage nach Sicherheit

Der Kapitalismus dieser Zeit beantwortet die Frage nach der Sicherheit der Menschen damit,

dass die Unternehmen den Arbeitenden eine höhere employability verschaffen und sie in ihre

Netzwerke einbinden603. Der Projektmensch kann so auf eine bestimmte finanzielle Basis auf-

bauen, weil er von einem Projekt in ein anderes übergeleitet wird. Das Leben wird zu einer Ab-

folge von Projekten604. Das Unternehmen rechtfertigt den Einsatz der Angestellten dadurch, dass

diese bei zufriedenstellender Leistungserbringung weitere Projekte über Netzwerke erhalten. Die

Sicherheitsbelange werden in dem neuen System aber zugunsten der zweiten Frage – der Frage

nach Authentizität und Selbstverwirklichung – hinten angestellt605.

Profilprinzip, Leistungsprinzip und das Prinzip „Gesellschaft gestalten“ stellen die Rechtferti-

gungen der LUL auf die Frage nach Sicherheit dar: Das Profil der LUL, dessen Wettbewerbsfä-

higkeit und Ansehen, soll Sicherheit für die Einzelnen bedeuten606. Das Angebot der LUL soll

599 Vgl.: Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 124. 600 Vgl.: ebd., S. 150. 601 Vgl.: ebd., S. 162. 602 Genelot, zit. n. Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 99. 603 Vgl.: ebd., S. 162. 604 Vgl.: ebd., S. 156. 605 Vgl.: ebd., S 255. 606 Die LUL schreibt: Die Studierenden sollen sich durch ihr Profil von anderen differenzieren können.

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außerdem zu individuellem Erfolg in der Zukunft führen607. Die Gemeinschaft der Universität

möchte die Sicherheit geben, für das weitere Leben ein Netzwerk bereit zu halten. So wird die

Gemeinschaft betont und der Salzkristall symbolisiert ein Netzwerk der inner- und außeruniver-

sitären Verbindungen.

Frage nach Authentizität und Selbstverwirklichung

Die Kritik des vorigen Kapitalismus der 60er und 70er Jahre608 wurde vom Kapitalismus aufge-

nommen609: Kritisiert wurden fehlende Authentizität und fehlende Freiheit, Autoritäten und Bü-

rokratien sollten abgebaut werden, der Taylorismus wurde als unmenschlich empfunden610. Die

Führungskräfte forderten mehr Eigenständigkeit und mehr Möglichkeiten, sich selbst zu verwirk-

lichen611. Es entsteht nun ein neues Gesicht des Kapitalismus:

Aus der entfremdeten Arbeit und den automatisierten menschlichen Beziehungen in der Arbeits-

welt wird für die Führungskräfte Kreativität612 ermöglicht und damit die Möglichkeit zur Selbst-

verwirklichung, sowie die Veränderung der zwischenmenschlichen Ebene. Die Arbeit, in der

Menschen maschinell eintönige Arbeitsschritte verrichten613, wird abgelöst von einer mobilen,

vielfältigen, spontanen Arbeit, die in Selbstverantwortung geschieht. Auf diese Art und Weise

verändert sich der Begriff der Arbeit: Neue Arbeit ist solche, die, im Gegensatz zum Tayloris-

mus, am Menschen, den eigenen Wünschen und Vorstellungen und damit an der „Seele“614 an-

setzt. Die neue Arbeitsethik hilft dazu, dass der Mensch nicht mehr nur arbeiten muss, sondern

die wirtschaftlichen Ziele des Unternehmens auch mittragen will und als seine eigenen Erfolge

ansieht: Der neue Kapitalismus erwartet, dass sich die Menschen ganz der Arbeit hingeben615.

Der neue Projektmensch ist anpassungsfähig und flexibel616. Er ist polyvalent, also in verschie-

denen Bereichen fähig, autonom und somit ein Führungsspieler seiner selbst, er scheut keine

Risiken617. In ständigem Informationsaustausch versucht er, dauerhaft neue Verbindungen einzu-

gehen618. Eine Unterscheidung von Privat- und Berufsebene gibt es nicht mehr, der vernetzte

Mensch ist auch nicht mehr an feste Wurzeln gebunden, sondern fühlt sich überall zuhause619. Er

bedient sich seiner kommunikativen Fähigkeiten im Umgang mit anderen Menschen und ist auf-

607 Vgl.: LUL: Interessant wird es, wenn man mehr als eine Seite kennt, S. 2. 608 Vgl.: Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 143. 609 Vgl.: ebd., S. 142ff. 610 Vgl.: ebd. 611 Vgl.: ebd., S. 64. 612 Vgl.: ebd., S. 144. 613 Vgl.: ebd., S. 145. 614 Vgl.: ebd., S.146. 615 Vgl.: ebd. 616 Vgl.: ebd., S. 158 617 Vgl.: ebd. 618 Vgl.: ebd., S. 160. 619 Vgl.: ebd.

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geschlossen620, offen für Neues und Anderes621. Der wechselseitigen Hilfe, der Kooperation und

dem Vertrauen wird der meiste Wert zugemessen, also immateriellen Gütern622. Ebenfalls imma-

teriell ist die wichtigste Ressource dieser Arbeitswelt: die Zeit623. Die Individuen sind Schauspie-

ler_innen und verfügen über Selbstkontrolle624, verfügen über ein „Gespür für Unterschiede, die

Rücksichtnahme auf die eigene Geschichte und die Akzeptanz der verschiedenartigen Erfahrun-

gen625“.

Die Selbstdarstellung der LUL enthält mit Ausnahme der Selbstkontrolle alle diese Eigenschaf-

ten, die ausgehend von der Managementliteratur Rechtfertigungen und zugleich Ansprüche für

die Führungskräfte sind und somit die hohen Wertigkeiten der gegenwärtigen Gesellschaft dar-

stellen. Enthalten sind diese in den Prinzipien der Persönlichkeit, der umfassenden Bildung und

dem Prinzip „Gesellschaft gestalten“: Kreativität626; Eigenständigkeit und Selbstverantwor-

tung627; Offenheit für Neues628; vernetzt629, Mut630, mit Pioniergeist631, Unterschiede erken-

nen632; Kenntnis über die Vielseitigkeit der Weltanschauungen633; Konzentration auf das Mitei-

nander, die Interaktivität634; Flexibilität für den Arbeitsmarkt aufgrund des Erlernens von Fähig-

keiten, welche vielfältig einsetzbar sind635; Engagement und Einsatz636. Die Studierenden sollen

Unternehmer_innen seiner_ihrer selbst sein637. Das Prinzip der umfassenden Bildung verdeut-

licht, dass bei der Betrachtung der Persönlichkeit keine Unterscheidung von Beruf und Privatle- 620 Vgl.: Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 161. 621 Ebd.: S. 143. 622 Vgl.: ebd., S. 165. 623 Vgl.: ebd., S.159. 624 Jede Akteurin und jeder Akteur in dieser Arbeitsumgebung verfügt in der Polis nach Bellenger „über »eine Strategie des persönlichen Umgangs, eine Art Selbstkontrolle, die ihn geschickte Signale streuen lässt, die die Kontaktaufnahme erleichtern.« Er »beobachtet andere aufmerksam, wartet auf Signale, so dass er in einer heiklen Lage im rechten Moment eingreifen kann.« Er besitzt »die Begabung, seine Selbstdarstellung zu kontrollieren und zu modifizieren. Das beinhaltet auch die Fähigkeit, stimmig zu improvisieren oder gegebenenfalls gar die Unwahrheit zu sagen, >ohne eine Miene zu verziehen< «. Außerdem hat er auch »den Willen und das Vermögen, sein eigenes Handeln problemlos anzupassen, um sich auf andere einzustellen.« Dem Wertigkeitsideal der projektbasierten Polis entsprechend, sind sie Meister der Selbstkontrolle.“ (Bellenger zit. n. Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 160). 625 Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 143. 626 Vgl.: UL: Grundgedanken zur Neuausrichtung der Universität Lüneburg. Erste Grundsatzdiskussion S. 8. Unternehmerische Persönlichkeiten zeichnen sich aus durch: „Kreativität, Willen und Fähigkeit zur schöpferischen Gestaltung der Gesellschaft in unternehmerischer Freiheit.“ (Ebd.) 627 Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 10. 628 Vgl.: ebd., S. 4. 629 Vgl.: UL: Außenauftritt der Universität Lüneburg, S. 3. 630 Vgl.: ebd. 631 Vgl.: LUL: eine Hochschule erneuert sich, S. 9. 632 Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 4f. 633 Vgl.: ebd. 634 Vgl.: ebd., S. 9.; 635 Vgl.: LUL: Interessant wird es, wenn man mehr als eine Seite kennt, S. 2. Ziel ist die Vorbereitung auf „sich häufig ändernde Berufsanforderungen in internationalen Kontexten.“

(LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 47.) 636 Vgl.: Spoun: Ein Studium fürs Leben, S. 9. 637 Vgl.: LUL: Informationen für Studieninteressierte (2008), S. 7.

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ben angenommen wird. Auch die Arbeitsweise, die vorwiegend in der Selbstdarstellung ange-

strebt wird, folgt dem neuen Geist des Kapitalismus: So wird die Arbeit im Team an vielen Stel-

len im Diskurs ausdrücklich betont und gegenüber des Selbststudiums hervorgehoben638. Ebenso

ist auch im Studierendenwohnheim das Ziel, möglichst viel Sozialität herzustellen639: Es soll die

Studierenden auf ein gemeinschaftliches, kommunikatives Miteinander vorbereiten und die

Hilfsbereitschaft schulen640.

Das Zielbild der LUL folgt dem Zielbild aus dem Management und verspricht Authentizität und

Selbstverwirklichung.

Frage nach Gerechtigkeit

Die dritte Frage, die der Kapitalismus beantworten muss, ist die Frage nach der Gerechtigkeit

und somit die Frage danach, weshalb wenige Vieles an Kapital besitzen und die Masse einer Ge-

sellschaft weniger besitzt. Rechtfertigungen für soziale Ungerechtigkeit wird in der projektba-

sierten Polis dadurch gegeben, dass die Kompetenzen des Projektmenschen in den Dienst des

Allgemeinwohls gestellt werden, was auch bedeutet, dass die Netzwerke für andere offen stehen

und Hilfsbereitschaft herrscht641. So profitiert „der Kleine“ von „dem Großen“, der ihm Zutritt

zu seinen Netzwerken gewährt642. Auf diese Weise dient das System allen. Außerdem beinhaltet

der kapitalistische Geist die Vorstellung, dass das Leistungsprinzip für gerechte Aufstiegsmög-

lichkeiten aller garantiert. Wer hohes Ansehen erreichen möchte, muss sowohl etwas investieren,

als auch sich in einer Bewährungsprobe behaupten643. Investieren muss der Mensch seine festen

sozialen Verbindungen, die in der neuen Arbeitswelt nicht auf dieselbe Art bestehen können, da

er auf alles verzichten muss, was mobilitätshinderlich ist oder das Engagement einschränkt644. Er

ist außerdem nur auf sich selbst bezogen, denn er selbst und sein Beziehungsgeflecht sind sein

einziges Kapital645. Deswegen ist er auch in vollem Maße selbst für seinen Werdegang verant-

wortlich. Fernab von Statussymbolen hat nur noch die eigene Optimierung, der Mensch selbst,

einen Wert:

„Das bedeutet allerdings nicht, dass die der projektbasierten Polis zugrunde liegenden Anthropologie keinen Begriff von Besitz hätte. Im Gegenteil, sie führt lediglich einen Aspekt, der den Ursprung der liberalen Besitzvorstellung bildete, an seinen Endpunkt: Der Kontaktmensch besitzt sich selbst, und das nicht auf der Grundlage eines Naturrechts,

638 Vgl.: LUL: Eine Hochschule erneuert sich, S. 8; LUL: Eine öffentliche Universität im 21.

Jahrhundert, S. 9.; LUL: Campusentwicklung 2012 (2008). Eine Investition in zukunftsweisende Bildung, S. 20; Spoun,: Ein Studium fürs Leben, S. 7.;

639 Vgl.: LUL: Studierendenwohnheim Anlage, S. 2f. 640 Vgl.: LUL: Anlage zum Studierendenwohnheim, S. 2. 641 Vgl.: Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 161. 642 Vgl.: ebd., S. 168. 643 Vgl.: ebd., S. 169. 644 Vgl.: ebd. 645 Vgl.: ebd., S. 172.

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sondern insofern er selbst das Produkt seiner eigenen Arbeit an sich selbst ist.“646

Indem der Mensch Produkt seiner eigenen Arbeit an sich ist, wird das Kapital in den Körper ver-

legt. Mit der Möglichkeit, an sich zu arbeiten und in sich zu investieren – in seinen Körper, sein

Netzwerk et cetera – wird der Mensch für sein Wohl, seinen Erfolg und seine Persönlichkeit

selbst verantwortlich. Nach diesen Ansprüchen entscheidet sich auch, wer im System nicht inte-

griert wird: Diejenigen, die nicht genug investieren wollen, können oder in einer Bewährungs-

probe versagen, werden ausgegrenzt. In einer Netzwelt ausgegrenzt zu werden, bedeutet, dass

„[...] diejenigen, die jede Wertschätzung eingebüßt haben, auch ihre Sichtbarkeit, ja gewisser-

maßen ihre Existenz verlieren.“647 Denn Kontakte sind die einzige Möglichkeit, in Projekten

arbeiten zu können, also Möglichkeiten zu haben, an der Arbeitswelt mit hoher Wertigkeit teilzu-

nehmen. Inkompetente, nicht kommunizierende und immobile Menschen werden aus den Bezie-

hungsgeflechten ausgestoßen648.

Die LUL stellt Gerechtigkeit her über das Prinzip „Gesellschaft gestalten“ und das „Persönlich-

keitsprinzip“, innerhalb dieser die Menschen und die Leistungen der Universität in den Dienst

der Gesellschaft gestellt werden. Das Leitbild der Universität verspricht die Allgemeinwohlori-

entierung – das Leisten für die Zivilgesellschaft durch das Lösen von Problemen Aller. Zum An-

deren wirkt das Prinzip „Gesellschaft gestalten“ auch insofern sinnstiftend, als dass die Einzel-

nen innerhalb einer universitären Gemeinschaft wirken und somit im Dienste einer über sie hin-

ausgehenden Institution – und gemäß LUL für die gesamte Zukunft der Gesellschaft – tätig wer-

den649.

Die Leistungsorientierung und die hohen Anforderungen dienen als ein Aspekt der Gerechtigkeit,

weil die Mitglieder für das eigene hohe Kapital viel investieren sollen. Die Gerechtigkeit garan-

tierenden Netzwerke, das Miteinander innerhalb der Universität sowie die Verbindung zur Ge-

sellschaft werden im Logo sichtbar650 und auch in der zentralen Botschaft der Universität, der

neue Universitätsstandard für eine vernetzte Generation zu sein. Die Gemeinschaft der Universi-

tät soll sich so gegenseitig tragen: Einzelne Stärken sollen unterstützt, die individuellen Leistun-

gen als relevant betrachtet werden.

Die LUL hat sich innerhalb des Markenbildungsprozesses ein Fundament, ein Leitbild, gegeben,

welches die durch die Kritik der „68er-Bewegung“ in den Kapitalismus aufgenommenen Aspek-

646 Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 208. 647 Ebd., S. 173. 648 Vgl.: ebd., S. 167. 649 LUL: Eine öffentliche Universität im 21. Jahrhundert, S. 5. 650 LUL: Eine Hochschule erneuert sich, S. 12.

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te beinhaltet und hat diese als Teil der Markenbildung verwendet. Damit folgt die Universität der

Managementlehre, welche zum Einen den Führungskräften Argumente für die ungesättigte Kapi-

talakkumulation gibt und welche zum Anderen ein Bild davon zeichnet, entlang welcher Eigen-

schaften die Menschen im neuen Kapitalismus an Wertigkeit gelangen. Sie gestaltet somit ent-

lang der aus dem Management stammenden Zielvorstellungen das Profil, nach welchem die Stu-

dierenden gebildet werden sollen.651

Dies bedeutet zum Einen die Bestätigung der Eingangsthese, dass sich die Selbstdarstellung der

LUL aus wirtschaftsnahen Diskursen speist. Die Universität stellt sich somit nicht nur in den

Wettbewerb und richtet sich an diesem aus, sondern übernimmt auch die Inhalte aus den Wertig-

keiten des Unternehmertums. Diese unternehmerischen Inhalte sollen den Mitgliedern einen hö-

heren Sinn für ihren Einsatz für eine wettbewerbsfähige Universität geben, als auch sollen sie

rechtfertigen, weshalb die LUL Ressourcen erhalten soll.

Durch diese Ausrichtung passt sich die LUL nicht nur dem Management an, sondern auch den

gültigen Werten im Unternehmertum. Die Marken- und Profilbildung der LUL stellt somit keine

Einzigartigkeit dar, wie dies die Selbstdarstellung nahelegt, sondern bedeutet eine Standardisie-

rung zum Unternehmertum entlang der Versprechen, die im derzeitigen Kapitalismus Wirkung

erzeugen. Die Neuausrichtung der Universität gestaltet sie zum Unternehmen um und richtet

Forschungs- wie Bildungsinhalte nach den Werten und Rechtfertigungen des Managements aus.

V.3 Neoliberale Subjektivierung: Individualisierung und Totalisierung

In V.1 und V.2 wurde das Individuum, welches die LUL zu erzeugen versucht, bezeichnet als

nach dem Vorbild von Unternehmer_innen und Manager_innen konstruiert. Nachfolgend sollen

diese Individuen als unternehmerische Persönlichkeiten bezeichnet werden.

These III:

Die Universität verschafft sich entlang des Konstruktes „Persönlichkeit“ Zugriff auf den gesam-

ten Menschen. Die Menschen werden durch die Ansprache als Persönlichkeit zu einem Individu-

um und zugleich zu einer standardisierten gesellschaftlichen Ressource: Die LUL versteht die

Individuen als Unternehmen, welche sich selbst als Kapital verwalten. Das Angebot an die Ge-

sellschaft sind nützliche Individuen, die sich für das Kollektiv haftbar machen und leistungsfähig

sind. Damit folgt die LUL der neoliberalen Regierung: Die Gesellschaft als Zivilgesellschaft

651 Darin impliziert ist des Weiteren, dass die LUL Studierende als Führungskräfte bilden möchte. Dies

bedeutet zugleich, eine Gesellschaft entlang an Führungspersönlichkeiten zu strukturieren, welche weitere Menschen vom kapitalistischen System überzeugen können und somit entlang an Elitenbildung. Die Studierenden werden so gemäß den Anforderungen an die Führungsriege im Unternehmertum gebildet.

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anzurufen bedeutet damit zugleich eine Verlagerung der gesellschaftlichen Verantwortung in die

Individuen.

Der Diskurs der LUL konstruiert ein Spannungsfeld zwischen Individualität und Kollektivität,

indem er Individuum sowie Gemeinschaft als solche anruft und zur Grundlage sowohl der Insti-

tution Universität als auch zur Grundlage des menschlichen Zusammenlebens macht: So benötigt

eine Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts ebenso wie die universitäre Gemeinschaft Individuen,

die bewusst und selbstverantwortlich auf der Grundlage einer freien Natur handeln. Die Prinzi-

pien des Diskurses aber verweisen auf Individuen, die zugleich individualisiert, als auch für das

Kollektive in die Pflicht genommen und entlang der Übernahme von Verantwortung geformt

werden. In der Regierung der Institution wie der Subjekte sollen sich beide ausdifferenzieren und

demnach individuell sichtbar und unterscheidbar werden. Andererseits werden sie einheitlich an

den wettbewerblichen Prinzipien und an einem bestimmten Persönlichkeitstypus ausgerichtet

und angepasst.

Nach Foucault zeichnet sich die neoliberale Gouvernementalität vor allem durch diese vermeint-

lich widersprüchliche Wirkungsweise aus:

„Ich glaube, das wichtigste Kennzeichen unserer politischen Rationalität ist, dass die Integration des Individuums, in eine Gemeinschaft oder in eine Totalität aus der stetigen Korrelation zwischen einer wachsenden Individualisierung und der Stärkung eben dieser Totalität resultiert.“652

Individualisierung bedeutet demnach nicht zum Beispiel das Einstellen des Systems auf die Frei-

heit bereits vorhandener Individuen, sondern Individualisierung bedeutet, durch das System in-

dividualisierte Subjekte herzustellen. In der modernen Gouvernementalität wird die Bevölkerung

als solche hergestellt, reproduziert und aufrecht erhalten, indem die Menschen als einzelne, sich

unterscheidende Individuen betrachtet werden. An der LUL wird dies deutlich, indem der Dis-

kurs die Persönlichkeit ins Zentrum der gesamten Studienstruktur und der Leitbegriffe rückt.

Nachfolgend wird diese Form neoliberaler Regierung betrachtet, wie sie von der LUL vorange-

trieben wird: Die Einführung von Persönlichkeit und damit die Herstellung eines Inneres, auf

welches Zugriff möglich ist (I), die Gestaltung eines Kollektivs anhand selbstverantwortlicher

Individuen (II) und die Bedeutung von „Zivilgesellschaft“ auf der Basis von Wettbewerb und

unternehmerischen Persönlichkeiten (III).

(I) Am Diskurs der LUL wird deutlich, dass die Subjekte durch die Ansprache als Persönlichkei-

ten in ihrer Gesamtheit erfassbar gemacht werden. Das bedeutet, dass das Konstrukt Persönlich-

keit keine Trennung zwischen öffentlicher und privater Sphäre notwendig macht. Vielmehr rü-

652 Foucault: [Staatsräson, Polizei] Die politische Technologie der Individuen, S. 61.

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cken durch die Problematisierung von Persönlichkeit im Diskurs der LUL Emotionen, Eigen-

schaften und Fähigkeiten des Menschen in den Mittelpunkt, wie zum Beispiel Lebens- und Ent-

wicklungskompetenz, Kreativität, Mut, Neugierde, Bewegungsausübung, Sozialität et cetera.

Anhand solcher Kompetenzen und anhand der Eigenschaften, die im Studium die Persönlichkeit

bilden sollen, werden die Subjekte als Ansammlung von Fähigkeiten und somit als Profil greif-

bar. Die umfassende Bildung macht im Gegensatz zu fachlichem Lernen den Menschen erst zu

dem Subjekt, welches geformt werden kann. Entlang der Persönlichkeitsbildung werden Men-

schen individualisiert, indem sie als spezifische Personen mit bestimmten Erfahrungen, von de-

nen das Studium ausgehen soll, angesprochen werden. Zugleich wirkt die Einführung von Per-

sönlichkeit totalisierend, da diese somit bestimmt, bewertet und geformt wird. Das bedeutet, dass

ein individualisierendes Moment den Menschen kategorisiert, sichtbar macht und schließlich an

einem Ideal ausrichtet. Ohne die individualisierende Kraft würde „Persönlichkeit“ auch keine

totalisierende Kraft enthalten.

(II) Anhand der Ansprache als Individuen erschafft der Diskurs der LUL ein Gesellschaftsbild, in

dem eine Gesamtheit von Individuen existiert, die nur in ihren Besonderheiten eine Gesamtheit

bilden können: Es wird eine Gesamtheit dergestalt konstruiert, dass die Subjekte darin individua-

lisierte Akteure sind. Die moderne Regierungsweise ist nicht darum bemüht – und ebenso wenig

ist es die Selbstdarstellung der LUL – ungerichtete, bereits vorhandene Pluralität zu einem Gan-

zen zusammenzufassen. Sondern auf Basis eines bestimmten Natur- und Menschenbildes, auf-

grund der Erschaffung begehrenswerter Eigenschaften, bemüht sich die moderne Regierungswei-

se vielmehr um ein Erreichen einer Pluralität. Das Ziel individualisierter Pluralität bedeutet eine

Regierung, die ein Inneres und Eigenes des Menschen ausmacht und dieses zum Einen als Be-

sitztum der Subjekte (und als individuell verantwortlich) und zum Anderen zum formbaren Wert

macht, indem es das Innere mit kollektiven Zielvorstellungen konfrontiert.

Aufgrund dieses Inneren, welches zugleich öffentlich ist, bedeutet Individualisierung „Haftung

übertragen“: Das starke Subjekt ist nach seiner Auflösung zurückgekehrt, allerdings als eines,

welches rundum durch Techniken und Funktionen des Kollektivs konstruiert wird. Es existiert

nicht für sich selbst, sondern als Bestandteil und Möglichkeit der Gesamtheit. Das Individuum ist

ein Selbst, welches die Widersprüche verschiedener Handlungs- und Identifikationsoptionen

kontinuierlich verhandeln muss. So wird das Innere, die Persönlichkeit, der Austragungsort des

für das Kollektiv relevanten Entscheidens, Problemlösens und Reflektierens. Die unternehmeri-

sche Persönlichkeit, das Individuum, ist somit durchdrungen vom Kollektiv. Die unternehmeri-

sche Persönlichkeit muss als Entscheidungsträger_in alle Interessen abwägen, alle Problematisie-

rungen mit einbeziehen und verantwortlich handeln. Zwischen dem Austragungsort Individuum

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und dem Kollektiv kann so keine Trennlinie gezogen werden. Zu unterscheiden sind beide ledig-

lich als Zuweisung von Verantwortung: Das Individuum ist für die Gesamtheit haftbar. Grundla-

ge des starken Akteurs ist in der Selbstdarstellung der LUL die Verantwortung, nachhaltig zu

agieren, also Verantwortung für sich, die weiteren Interessen aus Gegenwart und Zukunft, zu

übernehmen, handlungsorientiert zu sein, also ausreichend aktiv und verantwortlich für Ent-

scheidungen und Problemlösungen zu sein.

Der von der LUL angestrebte Mensch ist ein Akt der neoliberalen Regierungsform: Die unter-

nehmerische Persönlichkeit ist kein statisches Zielbild für Menschen, sondern ist die Anrufung

der Menschen als Individuen und somit die Herstellung von Einheiten, die als Ressource inso-

fern dienen, als sie Gefäße sind, welche die vorbereiteten Fragen, die politische Rationalität, die

Wahrheiten, tragen und diese durch ihre Entscheidungen bestärken oder verändern. Subjekte als

unternehmerische Persönlichkeiten sind Träger_innen des Kollektiven, die allerdings beschränkt

sind auf das Ausfüllen der vorhandenen Rahmenbedingungen. Das Durchführen des Unterneh-

mertums ist deswegen die für diese politische Rationalität geeignete Handlungsweise, weil das

Unternehmerische das individualisierte Kollektiv beziehungsweise das kollektivierte Individu-

um, lebenslang und in allen gesellschaftlichen Bereichen aufrecht erhält oder einführt. Anhand

dieser Individualisierung wird somit in der zeitgenössischen Gouvernementalität Gesellschaft

begründet. Nicht mehr zum Beispiel das Göttliche ist Legitimitätsgrund oder aber ein vorab er-

gangener Gesellschaftsvertrag, sondern vielmehr eine Natur des Menschen, die individuell, krea-

tiv und schöpferisch ist und das Kollektiv gestalten möchte. Dieser auf solche freie, persönliche

Weise schaffende Mensch kann aufgrund dieser Beschaffenheit überhaupt erst für eine Gemein-

schaft befördernd wirken. Dies beinhaltet die Zielvorstellungen der LUL, wie sie im Prinzip

„Gesellschaft gestalten“, in der schöpferischen Natur der Menschen und der Forderung nach

Kreativität und Persönlichkeit sichtbar werden. Folglich konstruiert und legitimiert das Unter-

nehmertum Gesellschaft über die Herstellung der Individuen.

(III) Die unternehmerischen Persönlichkeiten folgen Vorstellungen aus dem Neoliberalismus und

dabei spezifisch aus dem Management. Warum aber sollen solcherart geformte Menschen das

Kollektiv begründen, das Kollektiv zum sinnstiftenden Element des eigenen Handelns machen

und das Zielbild einer funktionierenden Gesellschaft werden?

Manager_innen als Vorbilder für die heranzubildenden Menschen heranzuziehen, bringt die Fra-

ge mit sich, weshalb das Unternehmertum jeden Winkel der Gesellschaft erobern sollte. In wel-

che Rationalität stellt sich die LUL, wenn sie als Bildungseinrichtung ein solches Gesellschafts-

verständnis produziert und verwirklichen möchte? Nachfolgend soll sehr knapp auf den Begriff

zur Zivilgesellschaft und die Gouvernementalität dieser Rationalität eingegangen werden.

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Mit dem Ziel, die Zivilgesellschaft zu gestalten, verweist die LUL auf einen Begriff, welcher das

klassische Verständnis von bürgerlicher Gesellschaft einer Renaissance unterzieht653: „Zivilge-

sellschaft umfasst nun vor allem freiwillige Assoziationen der Bürgerinnen und Bürger – oder

stärker auf die individuelle Ebene bezogen: Sozialkapital, Werte und Normen.“654 Ohne grundle-

gend auf den umfassenden Diskurs hinsichtlich der neuen Zivilgesellschaft einzugehen, soll das

Bild, welches die LUL von einer Zivilgesellschaft entlang der unternehmerischen Persönlichkeit

zeichnet, zugeordnet werden: Die Individuen als haftbarer Ort kollektiver Aushandlungen soll

innerhalb der Gesellschaft zum Sozialkapital werden, die unternehmerischen Persönlichkeiten

sollen entlang von Werten und Normen agieren, und somit selbst verantwortlich für diese Gesell-

schaft werden. Die LUL geht hinsichtlich der Wissenschaftsinitiative Kulturforschung näher auf

die Frage nach der Zivilgesellschaft ein. Innerhalb dieser Initiative wird Zivilgesellschaft als

„eine Sphäre kollektiven Handelns und öffentlicher Diskurse verstanden, die zwischen Privatbereich und (staatlichen) Institutionen wirksam ist. In konkretisierter Form wird Zivilgesellschaft begriffen als Ort der Herausbildung und Einübung von normativ ausgerichteten demokratischen Werten, aber auch als ein Ideal einer freien öffentlichkeitswirksamen Kommunikation sowie einer kulturellen Sphäre, in der sich künftige Entwicklungswege durch Auseinandersetzung über den gesellschaftlichen Grundkonsens entscheiden.“655

Als kollektive und öffentliche Sphäre verbindet der Begriff Zivilgesellschaft Staat und Individu-

um. In der Bevölkerung sollen bestimmte Werte verinnerlicht und soll entlang bestimmter

Grundsätze gehandelt werden. Zivilgesellschaft verweist auf partizipierende, selbstgestaltende

Individuen, die den Konsens suchen, frei kommunizieren, sich dabei aber an Grundhaltungen

orientieren. Diese Form von Beteiligung der Individuen verbindet Torsten Junge mit der Erfor-

schung der Wissensgesellschaft:

„Auffällig ist, dass der Diskurs um die Wissensgesellschaft mit einer anderen, breit rezipierten Forderung verknüpft ist, und zwar der Stärkung der Partizipation des Bürgers. Einher geht die Thematisierung des Wissens dementsprechend mit dem Versprechen einer weitläufigen Demokratisierung der gesellschaftlichen Ordnung […] Bürgerschaftliches Engagement wird so zum ,sozialen Kitt’, der die Spaltungstendenzen der neoliberalen Transformation füllt.“656

Junge spricht Komponenten an, welche hier nicht ausführlich erörtert werden können. Jedoch

verbindet er die Thematisierung von Wissen mit der Beteiligung der Individuen in der Gesell-

schaft. Hier fügt sich die LUL ein. Die Gestaltungskompetenz wird in der Selbstdarstellung mit

dem Begriff der „Zivilgesellschaft“ verbunden, die Menschen sollen partizipieren. Die LUL ver-

steht unter einer solchen Partizipation ein Mitgestalten unter gegebenen Rahmenbedingungen 653 Vgl.: Anheier; Kehl; Mildenberger; Spengler: Zivilgesellschafts- und Engagementforschung, S. 121. 654 Ebd. 655 LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 31f. 656 Junge: Die Gouvernementalität der Wissensgesellschaft, S. 368.

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(IV.5.2). Junge schlägt des Weiteren den Bogen von der Partizipation zu der Aufrecherhaltung

des Sozialen mithilfe des Engagements der Einzelnen, während der Neoliberalismus zugleich die

Gesellschaft spaltet. Für diese Aufgabe, die Spaltung zu überbrücken, wird dem Menschen auch

eine bestimmte Freiheit zugesprochen:

„Zum Vorschein kommt ein zivilgesellschaftliches Subjekt mit dem Ethos der Mündigkeit. […] Partizipation schafft nicht den Staat ab. Sie stellt vielmehr eine Regierungstechnologie dar, die nicht mit der diskreten Art der Persuasion zum Handeln bewegt, sondern die Selbst-Führung durch die Konstitution von der Freiheit gewährleistet. Diese Freiheit stellt eine „Ressource“ (Bröckling 2005: 22) dar, die nicht essentiell gegeben ist, sondern die erst erzeugt werden muss, um sie effektiv zu nutzen.“657

Der Aufruf zur Mitgestaltung von Gesellschaft bedeutet, eine Freiheit zu geben, die zu diesem

Zweck genutzt werden kann. Dieser Einsatz von Freiheit, die erst gegeben werden muss, zwingt

zugleich zur Verantwortung. So wie auch die LUL die Studierenden zur Gestaltung der Gesell-

schaft verpflichtet, wird Freiheit in der Wissens- und der Zivilgesellschaft nur begrenzt verge-

ben:

„Als freies und mündiges Individuum wird nur derjenige akzeptiert, der auch etwas dafür tut. So banal diese Feststellung auch klingt, bedeutet sie doch die Kopplung von Freiheit an eine spezifische Handlung. Freiheit ist demnach kein Recht, auch keine Eigenschaft, die voraussetzungslos jedem zugesprochen wird, sondern sie wird zum Konsumgut, das man zu erwerben hat.“658

Der Einsatz von Freiheit, welchen Foucault hinsichtlich der wettbewerblich ausgerichteten Ge-

sellschaft benennt, zeigt sich hier auch in dem Einsatz des Begriffs „Zivilgesellschaft“. Ebenso

stimmt er mit der Didaktik der LUL überein. Wirtschaftliche Diskurse besetzen auf diese Weise

das Zielbild von Individuum sowie von Kollektiv. Die LUL befördert so aktiv die neoliberale

Gouvernementalität.

Ein weiteres Merkmal dieser Regierung ist gemäß Foucault auch das Erzeugen von Unterschie-

den659. Soziale Schichtung, Selektion und Armut entstehen so aus der Verhältnismäßigkeit in

einem Vergleich der Wettbewerbspositionen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie

entlang der Herstellung von Unterschieden eine Zivilgesellschaft befördert werden soll. Was also

bedeutet es für das Gebilde „Zivilgesellschaft“, wenn Studierende gemäß der Managementlehre

als führende Gestalter_innen von Gesellschaft vorgesehen sind? Die Studierenden erhalten eine

bestimmte aktive und aktivierende Rolle in der Gesellschaft. Ernst Mohrs Verständnis von Per-

sönlichkeitsbildung gibt Aufschluss darüber, wie diese Rolle verstanden werden kann: er verbin-

det mit Persönlichkeitsbildung die Vermittlung der Fähigkeit an die Studierenden, die Kälte in

der Gesellschaft zu bekämpfen, die entsteht, wenn Einzelschicksale hinter die Interessen einer 657 Junge: Die Gouvernementalität der Wissensgesellschaft, S. 269. 658 Ebd., S. 378. 659 Vgl.: Foucault: Die Geburt der Biopolitik, S. 171

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Gruppe zurückgestellt werden660. Das Wohle des Einzelnen wird demnach in einer Gesellschaft

hinter das der Gruppe gestellt. Für die Aufrechterhaltung eines solchen Systems werden Persön-

lichkeiten benötigt, die Wärme – ein positives Gefühl dem Kollektiv gegenüber – innerhalb einer

solchen Gesellschaft herstellen können. Dies unterstützt zum Einen Junges oben zitierte Annah-

me, es gelte, Spaltungstendenzen im Neoliberalismus zu kompensieren. Zum Anderen wird die

Rolle von Universitäten deutlicher: Denn diese dienen so der Formung von Individuen, welche

durch ihre Persönlichkeiten die Unterschiede und die Nutzenverteilung innerhalb eines Gesell-

schaftssystems erträglich ausgestalten und damit das bestehende Gesellschaftssystem sichern.

Boltanski und Chiapello sprechen ebenfalls von den Führungskräften im neuen kapitalistischen

Geist, die aufgrund ihres Persönlichkeitstypus die Masse derjenigen von dem bestehenden Sys-

tem überzeugen sollen, welche nicht die Nutznießer des Systems sind, für welches sie Leistung

erbringen müssen661. Die LUL möchte diese überzeugenden Führungskräfte ausbilden. Die Bil-

dung unternehmerischer Persönlichkeiten muss deshalb auch in den Blick genommen werden als

Instrument der Erzeugung einer Zivilgesellschaft, welche selbstständig und durch individuelles

Kapital die neoliberale Regierungsweise aufrechterhält. Die unternehmerischen Persönlichkeiten

legitimieren dabei die Folgezwänge des Systems und reproduzieren dessen Werte und Normen.

660 Mohr: Geleitwort. In: Spoun; Wunderlich: Studienziel Persönlichkeit, S. 9. 661 Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 41.

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VI. Schlussfolgerungen und Ausblick

Abschließend werden die Ergebnisse der Arbeit hinsichtlich des Bezugspunktes als

„Problematisierungsformel“ strukturiert. Daraufhin wird sich der in der Einleitung

aufgeworfenen Frage und Forderung nach Kritik zugewendet, indem Butler und Derrida erneut

aufgegriffen werden. Ein Ausblick auf zu behandelnde Fragestellungen, welche sich aus der

Analyse ergeben, schließt die Arbeit ab.

VI.1. Wettbewerb als Problematisierungsformel

Das Interpretationsrepertoire I macht das konstituierende Moment der Neuausrichtung sichtbar:

das Einführen des Wettbewerbs. Aus Interpretationsrepertoire II geht hervor, mithilfe welchen

Instrumentariums dieses Moment die Institution und die Subjekte hervorbringt: Profilbildung

und Angebotsorientierung. Es bedingt des Weiteren die Auswahl der Inhalte, entlang derer die

Institution konstruiert werden soll, als auch das Zielbild der zu bildenden Persönlichkeiten.

Wettbewerb als Regulations- und Organisationsprinzip funktioniert als Schnittstelle von Fremd-

und Selbstführung: Strukturen und Individuen werden aktiviert, sich selbst den Bedingungen des

Wettbewerbsprinzips anzupassen.

So kann Wettbewerb als „Problematisierungsformel“ nach Stephanie Duttweiler662 verstanden

werden, als Verschränkung von Selbsttechniken und Herrschaftstechniken in der neoliberalen

Regierung. Da „wir die Weise, uns selbst zu führen, entlang sozial vorgegebener Formen der

Selbstproblematisierung organisieren“663, kann entlang der Problematisierungsformel Wettbe-

werb die Regierung von Institution und Subjekten gemeinsam betrachtet werden. Kennzeichen

einer Problematisierungsformel ist es, dass das gesamte Leben auf dieses Ergebnis hin ausgerich-

tet sein muss664. Duttweiler untersucht, wie Glücksratgeber anhand bestimmter Techniken der

Selbsterkenntnis, der Selbstgestaltung und der Selbstsimulation die Menschen anleiten und so

der neoliberalen Praxis zuführen665. So werden die Zwänge des Neoliberalismus in die Selbst-

verantwortung der Einzelnen gelegt. Ausgehend von der Letztbegründung Wettbewerb können

die Inhalte der Selbstdarstellung so als Techniken zum Unternehmertum gelesen werden: Die

Institution wird entlang der Techniken des Markenmanagements institutionalisiert – durch Profil-

und Markenbildung. Die Universitätsmitglieder werden aktiviert, um eine engagierte innere Hal-

662 Weiteres zu Duttweiler auch in: Steinert, Daniela: Sinnsuche im Nichts – Glücksratgeber und

philosophische Lebenskunst in der Moderne. 663 Duttweiler: Sein Glück machen, S. 14. 664 Vgl.: ebd., S. 15. 665 Vgl.: ebd., S. 232.

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tung einzunehmen, welche die erwünschten Ziele der Leistungsorientierung und des Neuen her-

beiführen sollen. Entlang der Arbeitsweisen, der didaktischen Konzepte sowie des Fähigkeitspro-

fils, welches die LUL als Zielbild setzt, sollen die Studierenden zu unternehmerischen Persön-

lichkeiten gebildet werden. Auch hier ist die Aktivierung durch den Wettbewerb relevant: Der als

Kapital verstandene Mensch soll lebenslang erweitert sowie flexibel gehalten werden. Techniken

der Fremd- und Selbstregierung gemäß dieser Problematisierungsformel sind beispielsweise das

Erlernen von Wettkampf- und Leistungsstrukturen sowie von Entspannung durch Bewegungs-

programme666 und der stete Austausch mit anderen Menschen sowie das Verzichten auf Privat-

heit. Für die unternehmerische Persönlichkeit hat Privatheit keinen Wert. Die Problematisie-

rungsformel Wettbewerb bringt auch ein eigenes Anreizsystem mit sich: Die Rechtfertigungen

für die kontinuierliche Aufopferung in Universität und Gesellschaft sind die Möglichkeiten von

Selbstverwirklichung und von Authentizität, das Arbeiten an einem höheren Sinn und die Sicher-

heit des Netzwerkes sowie der hohen Positionierung der Universität, welche Erfolg versprechen.

Entlang dieser Techniken wird das Unternehmertum in der Universität und in den Individuen

verankert. Zurück geht dies auf den Wettbewerb, entlang dessen Kapital organisiert wird.

Das Wissen, dessen sich die LUL für die Umstrukturierung sowie für das Bildungsverständnis

bedient, konstituiert so die Schemata, nach denen sich die Universitätsmitglieder selbst führen:

Der Einsatz von Freiheit in die Regierungspraxis ermöglicht und fordert diese Selbstführung.

Was bedeutet die Einführung der Problematisierungsformel im Kontext der gesamten Analyse?

Im Rahmen der Arbeit wurden Schwerpunkte im Diskurs der LUL sowie Ansätze verschiedener

Theorien vorgestellt, welche für ein umfassendes Bild des Funktionierens der einzelnen Regie-

rungsformen an der LUL vertieft und detailliert betrachtet werden müssen. Im Rahmen der vor-

liegenden Arbeit war es möglich, das Wissen der LUL zu kontextualisieren und aufzuzeigen, aus

welchen Diskursen sich das Selbstverständnis der LUL zusammensetzt, entlang dessen Instituti-

on und Subjekte angeleitet werden. Das Wissen hierfür stammt aus den Wirtschaftswissenschaf-

ten und aus dem sich ausbreitenden Unternehmertum. Diese Diskurse sind nicht zu trennen, son-

dern konstruieren in der modernen neoliberalen Gouvernementalität ein Gesellschaftssystem

nach dem Vorbild der politischen Ökonomie. Die Universität als Knotenpunkt von Macht und als

vielseitig wirkende Struktur treibt ein solches Gesellschaftssystem ebenfalls aktiv voran, indem

sie zum Einen die Wahrheiten reproduziert sowie sich andererseits über einen Bildungsprozess

umfassenden Zugriff auf den Menschen verschafft und ihn so nach einem einheitlichen Zielbild

formen möchte. Die Problematisierungsformel Wettbewerb ist dabei eine Formel, nach der das

gesamte Subjekt in den Blick rückt und als Persönlichkeit der Kapitalerweiterung vollständig 666 Vgl.: LUL: Studierendenwohnheim Anlage, S. 3.

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zugänglich gemacht wird. Ziel ist somit ein komplett vergesellschaftetes Individuum, welches –

ebenso wie die Institution – den Orientierungsort Wettbewerb verinnerlicht hat und somit als

Ressource dient, die an das grundlegende Prinzip der politischen Ökonomie angepasst ist.

Wettbewerb als Problematisierungsformel zu benennen macht die Performativität des neolibera-

len Programms besonders deutlich, da die Selbstdarstellung der LUL anhand der Techniken für

Institution und Subjekt das produziert, was sie zu wissen und zu erkennen vorgibt.

VI.2 Kritik im Neoliberalismus – Kritik an der „Leuphana“

Die bewusste Orientierung an einem Zielbild, das Herstellen einer marktförmigen Einheit und

die Ausrichtung an einer Letztbegründung machen deutlich, dass das Konstrukt „Leuphana“

Vorannahmen und einen für die gesamte Universität geltenden Rahmen beinhaltet, welcher nicht

befragt werden kann, ohne die gesamte Marke in Frage zu stellen und an ihre Grenzen zu führen:

Die Problematisierungsformel Wettbewerb bringt marktförmige Techniken mit sich und struktu-

riert die Institution und die Subjekte nach den Anforderungen des Wettbewerbs. Die universitä-

ren Angebote werden entlang eines Menschenbildes und eines Zielbildes von Persönlichkeit

kommuniziert. Menschen- und Persönlichkeitsbild dienen ebenso der Ansprache der Zielgrup-

pen, wie dies auch das Leitziel und die sonstige Selbstdarstellung tut. Das bedeutet zugleich,

dass diese für die Bildung einer langfristigen, einheitlichen und klar kommunizierbaren Marke

nicht zu verändern, sondern für die gesamte Institution verbindlich sind. Der Zwang zur Einheit-

lichkeit erzeugt eine Form von Individualität für die Institution und für die Subjekte, die ver-

pflichtet und sie als Individuen erst hervorbringt. Ein Hinterfragen der Leitbegriffe und Zielbil-

der löst diese in sich schlüssige und einheitliche Individualität auf und macht das Profil ver-

schwommen und uneindeutig.

Derrida stellt in seiner Schrift „Die unbedingte Universität“ (siehe Kapitel I) auch die Grundlage

der Universität zur Disposition: das Rekurrieren auf Menschlichkeit, auf den Humanismus als

der Bestimmung des „dem Mensch eigene“667. Er macht auch das Wissen über Demokratie und

Souveränität zu Aushandlungen und Problematisierungen, welcher sich die Universität anneh-

men solle668. Entgegen eines solchen Verständnisses von dem, was die Universität auszeichnet,

schreibt die „Leuphana“ Grundlagen fest. Dies lässt eine solche Dekonstruktion und unabge-

schlossene Kritik im Derridaschen Sinne nicht zu. Im Gegensatz zu der Selbstbeschreibung:

„Der Name: Annahmen hinterfragen“669 werden Institution und Subjekte an eine Ontologie ge-

bunden und Forschung und Lehre sowie Leben durch diese bestimmt. Die Verwendung von Be-

667 Derrida: Die unbedingte Universität, S. 67. 668 Vgl.: ebd., S. 67ff. 669 LUL: Eine Hochschule erneuert sich, S. 12.

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griffen mit Bezug zu Selbstverwirklichung und Freiheit zeigt, wie ein durch Markenmanagement

erschaffener Diskurs funktioniert, geläufige Werte einbindet und Notwendigkeiten schafft. Die-

ser performative Sprechakt führt Begriffe einer Widersprüchlichkeit zu, macht sie zu Techniken

und beschränkt die Begriffsräume auf die Ausrichtung der diskurseigenen Logik.

Wie aber sind in einer solchen Performativität die im Diskurs angebotenen Möglichkeiten zur

Mitgestaltung, zur Partizipation, zu verstehen? Boltanski und Chiapello zeigen auf, wie die For-

derungen der Kritik vom Kapitalismus aufgenommen und verwendet werden, um die Menschen

von einer Beteiligung an dem bestehenden Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zu überzeugen.

Das System geht dabei so weit auf die Kritik zu, wie es das tun kann, ohne die Grundlage unbe-

grenzter Kapitalakkumulation zu gefährden. Dabei wird Kritik zum Instrument: Das New Ma-

nagement eignet sich die Forderungen der ehemaligen „68er Bewegung“ an: „Sie werden gerade

in den Dienst jener Kräfte gestellt, deren Zerstörung sie eigentlich beschleunigen wollen.“670

Denn das wirtschaftliche Denken, das sich an Schnelligkeit und Effizienz orientiert, bleibt vor-

handen und steigt sogar mit vermehrter Konkurrenz auf dem Markt. Die Kritik wird zwar ange-

nommen, aber integriert und für die kapitalistischen Ziele angewendet. Sie verbessert das Funk-

tionieren des Kapitalismus, indem sie dem System die Begründungen für seine Legitimation auf-

zeigt. So ist die in der Selbstdarstellung beworbene gemeinschaftliche Gestaltung der LUL

gleichzusetzen mit einer Beteiligung, die innerhalb der Grenzen der grundlegenden Ausrichtung

verbleibt. Kritik erhält so lange Legitimation, wie die Problematisierungsformel Wettbewerb und

somit die Ausrichtung an Kapitalakkumulation und Wettbewerbsfähigkeit nicht angegriffen

wird. Denn das Hinterfragen der Problematisierungsformel ist existenziell bedrohlich für den

Diskurs und die Marke der LUL, weil sie das einheitliche öffentliche Bild gefährdet, welches für

die Zielgruppen inszeniert wird. Die Angebote einer freiheitlichen Entwicklung und einer enga-

gierten Beteiligung dienen deshalb zur Ansprache von Zielgruppen und zur Verteilung der Ziele

auf die Gemeinschaft. Gestalten bedeutet so ein Mitgestalten im Sinne der Grundhaltungen, de-

nen wie selbstverständlich zu folgen ist. Ein solches Mittragen und Befördern kann nicht als Kri-

tik verstanden werden, die Grundsätze hinterfragt. Stattdessen ist der wilde, vorkritische Raum,

auf dem die Regierungsweisen der Universität gründen, der Selbstkritik und den inneruniversitä-

ren Diskursen entzogen. Dies zum Beispiel mithilfe von Diskursstrategien, die Kritik als unver-

antwortliches Verhalten verhindern können. So werden die einzelnen Individuen bei einem Ver-

weigern gewisser Grundhaltungen der Zerstörung des gesamten Systems beschuldig. Oder es

wird ein Ausgangspunkt einer freien Natur des Menschen geschaffen und diese zugleich mit kla-

ren Zielvorstellungen verbunden. So werden die Räume der von der LUL verwendeten Begriffe 670 Boltanski; Chiapello: Der neue Geist des Kapitalismus, S. 144.

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geschlossen und zu kontrollieren versucht. Die Worte werden in den Dienst der Problematisie-

rungsformel gestellt.

Butlers eingangs gestellte Frage danach, „mit welchem Recht und mit welchen Mitteln gewisse

Doxa als notwendig und richtig akzeptiert werden und mit welchem Recht und mit welchen Mit-

teln gewisse Regierungsentscheidungen oder Gesetzesvorlagen als die vorkritische Doxa der

Universität akzeptiert werden“671, kann entlang der Problematisierungsformel Wettbewerb be-

antwortet werden: Die Grundlagen der Entscheidung für diese Ausrichtung sind die Bedrohung

und der Sachzwang der Konkurrenz, welche angerufen werden und unausweichlich Anpassung

fordern. So entscheidet die Besetzung des Raumes „Zukunft“ über die Regierungsweise. Die

Neuausrichtung zur „Leuphana“ macht so das unmöglich, was nach Derrida und Butler das der

Universität Eigene ist. Institution und Subjekte werden nach anderen als dem universitären Prin-

zip der Dekonstruktion und der steten und unabgeschlossenen Wahrheitssuche geformt – nämlich

nach den Prinzipien, die der Wettbewerb mitbringt672.

Derrida zufolge verfügt die Universität nicht über eine Macht, die geschlossen und aus universi-

tätseigenen Kräften den universitären Wert verteidigen könnte. Vielmehr ist es ihr eigen, keine

einheitliche und unhinterfragte Macht herstellen zu können:

„Weil sie der Macht fremd, dem Machtprinzip gegenüber heterogen bleibt, verfügt die Universität auch über keine eigene Macht. [...] Wohin sie sich auch begibt, sie steht kurz davor, sich preiszugeben. Weil sie es nicht duldet, daß man ihr Bedingungen aufzwingt, ist sie blutleer und abstrakt, manchmal gezwungen, sich bedingungslos zu ergeben.“673

Die Eigenschaften der Universität, sich zu ergeben und in der Heterogenität ein Zentrum von

Macht unmöglich zu machen, zeigen zum Einen, dass Einheitlichkeit der Universität nicht eigen

ist, sondern dass die Macht der Einheitsbildung aus universitätsfremden Diskursen und Strate-

gien kommt. Zum Anderen zeigen sie, dass der Ergebenheit an den Wettbewerb keine ähnliche

Macht entgegenstehen kann. Die generelle Machtlosigkeit, welche die Universität aufgrund ihrer

Vielheit und ihrer Unabgeschlossenheit aufweist, erlaubt es nicht, dass die Universität den sie

einnehmenden Kräften geschlossen und richtungweisend gegenübertritt. Benötigt wird, so Derri-

da, ein Prinzip des Widerstandes, aber auch die Kraft zum Widerstand und die Kraft zur Dissi-

denz674. Ein solcher Widerstand besteht eben aus der Aufrechterhaltung des Universitären: Die-

671 Butler: Kritik, Dissenz, Disziplinarität, S. 29. 672 Die von der LUL wiederholt angesprochene Pflicht zur Wahrheitssuche reicht nicht über die Grenzen der

Problematisierungsformel und somit über Wettbewerb und die Folgezwänge zur Profilbildung hinaus. (z. B.: Vgl.: LUL: Eine Hochschule erneuert sich, S. 3; Vgl.: LUL: Universitätsentwicklungsplanung, S. 4).

673 Derrida: Die unbedingte Universität, S. 16f. 674 Vgl.: ebd., S. 18.

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ses muss mit einer Form von Souveränität ausgestattet werden675. So kann der Vereinnahmung

durch die Problematisierungsformel Wettbewerb mit einem Willen zum Universitären – zur

Wahrheit – begegnet werden, welchem innewohnt, geschlossene Systeme nicht hinzunehmen.

In einem Derrida`schen Sinne kann die vorliegende Analyse und Dekonstruktion der Selbstdar-

stellung der LUL als Versuch universitären Widerstands verstanden werden, nämlich als ein Hin-

terfragen der Grundsätze der „Leuphana“. Dieser Versuch verbleibt in einem sehr begrenzten

Rahmen und somit in einer begrenzten Tiefe. Als eine erste Interpretation aber bietet sie die

Möglichkeit für weitere Anschlüsse: für Kritik an der Analyse, für die Vertiefung der in der Ar-

beitbegründeten Thesen oder für weitere Kontextualisierungen der Selbstdarstellung der LUL

mit anderen Theorien. Als besonders relevant stellen sich einige Aspekte dar, die abschließend

kurz genannt werden:

Boltanski und Chiapello verweisen auch auf die internen Umstrukturierungen in Unternehmen.

Die hier ausgesparte Verwaltungsreform der LUL sollte im Kontext der projektbasierten Polis

betrachtet werden, um die strukturelle Verankerung neoliberaler Regierungsformen zu verdeutli-

chen. So und anhand weiterer Betrachtungen der unternehmerischen Persönlichkeit kann die

Funktionsweise der Problematisierungsformel Wettbewerb bezüglich der Institution und der

Subjekte vertieft werden.

Das Studienziel „Persönlichkeitsbildung“ basiert auf den Notwendigkeiten eines Marktes676.

Vertieft werden muss zum Einen die Auslieferung der Universität an den Arbeitsmarkt und zum

Anderen Bildung als Anpassung der Subjekte an den gesellschaftlichen und globalen „Status

quo“. Weitere Betrachtungen einer solchen diskursiven Logik sind notwendig, um die Rolle der

Universität innerhalb der wirtschaftlichen Diskurse zu analysieren. Der Begriff der „Persönlich-

keitsbildung“ muss dabei als Erziehungs- und Bildungsform analysiert werden, anhand welcher

Subjekte die Wettbewerbs- und Leistungsstrukturen verinnerlichen und anhand derer die Subjek-

te totalisiert werden. Wie beispielsweise Stephanie Duttweiler die Ratgeberliteratur analysiert hat

oder Boris Traue Beratung in den Blick genommen hat677, ist es notwendig, den Zugriff der wirt-

schaftlichen Diskurse auf die Subjekte innerhalb einer Bildungseinrichtung zu analysieren: Ins-

besondere die Einbeziehung von Sport und Essen sowie von Entspannungs- und Reflexionstech-

niken als Praktiken des Unternehmertums sollten dabei in den Blick genommen werden und da-

rauf befragt werden, wie Bildung die Anpassung an den Wettbewerb und den Neoliberalismus

vorantreibt. 675 Vgl.: Derrida: Die unbedingte Universität, S. 18. 676 Dazu auch Spoun; Wunderlich: Studienziel Persönlichkeit. Als Anpassung an die Notwendigkeiten von

Erfolg und somit an den globalen Wettbewerb beschrieben wird Persönlichkeitsbildung als Wertevermittlung eingeführt. (Vgl.: ebd., S. 20ff.)

677 Vgl.: Traue: Das Subjekt der Beratung.

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Eine besonders dringliche Aufgabe aber besteht darin, die Grundlage des Diskurses weiter zu

bestimmen: Die Form des Sprechens, wie sie sich in den Präsentationen und Broschüren zeigt –

was hier als feststellender, unbestimmter Diskurs bezeichnet wurde –, entfaltet produzierende

Wirkung durch sprachliche Strategien. Die Form der Power-Point-Präsentation rückt hierbei ins

Zentrum. Für das Markenmanagement der „Leuphana“ geht eine besondere Bedeutung von die-

ser Form der nicht erläuterten Faktizität aus. So werden in einer Leuphana-Präsentation im Rah-

men eines Workshops zu Marketing auch Erfolgsfaktoren für die Organisationsentwicklung auf-

gezählt. Neben Aspekten wie „partizipative und exekutive Entscheidungen balancieren“ oder

„Geschwindigkeit und Meilensteine“ wird auch ein Instrument der Kommunikation angeführt –

und als einziger Faktor zusätzlich betont: „Powerpoint (!)“678. Die Wirkung dieser Visualisie-

rungsform, welche Komplexität verständlich machen und den Blick fokussieren soll679, gilt es,

greifbar zu machen. So heißt es in dem „Handbuch für Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler“

von Sascha Spoun, welches im Rahmen eines wirtschaftswissenschaftlichen Lehrbuchpro-

gramms erscheint, Präsentationen könnten für zweierlei Ziele wirkungsvoll sein: Informationen

zu vermitteln, oder zu überzeugen680. In beiden Fällen soll als Ausgangspunkt die Frage beant-

wortet werden, „was die Zuhörer nach Ihrer Präsentation konkret tun oder denken sollen“681.

Informationspräsentationen zielen sodann auf Informationsvermittlung, Überzeugungspräsenta-

tionen darauf, Einstellungen, Denken und Handeln der Rezipient_innen zu verändern. Dabei gilt

es, auch über die Informationsebene hinaus zu gehen:

„Kann bei den Adressante mit den Kernaussagen keine Einstellungsänderung erreicht werden, obwohl man sich genau dieses Ziel für die Präsentation (eine Überzeugungspräsentation) gesetzt hat, muss das Publikum eventuell zusätzlich auf der emotionalen Ebene angesprochen werden.“682

Visualisierungen und Vorträge können so auf die Individuen zugreifen und strategisch bestimmte

Absichten verfolgen. Um das eigene Ziel zu erreichen, soll die Kommunikation auch Emotionen

strategisch einbeziehen. Es muss betrachtet werden, wie sich ein solches Verständnis von Text,

wissenschaftlichem Arbeiten und Emotionen mit der Präsentationsform verbindet, in der Visuali-

sierung umgesetzt wird, und welche Funktionsweisen damit in der Problematisierungsformel

Wettbewerb wirksam werden. Auch der Einsatz von Begriffen, welche durch ihr Gegenteil be-

stimmt und begrenzt werden, muss als Technik untersucht und so dekonstruiert werden. Wie also

vermag es die Sprechweise des feststellenden, unbestimmten Diskurses, sich Begriffen, gesell- 678 LUL: Partizipative Reformprozesse kommunizieren: Das Beispiel Leuphana Universität Lüneburg.

Workshop „Marketing – Best Practice“ des Netzwerk [sic!] Hochschulmarketing in Thüringen. Erfurt, 25. November 2008“, S. 53.

679 Vgl.: Spoun; Domnik: Erfolgreich studieren, S. 147. 680 Vgl.: ebd., S. 162. 681 Ebd., S 138. 682 Ebd.

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schaftlicher Diskurse und Werte zu bemächtigen, entlang dieser Institutionen und Subjekte zu

totalisieren und dabei zugleich Freiheit und Selbstverwirklichung einzusetzen, um eine kontrol-

lierte Pluralität innerhalb der Systemgrenzen herzustellen? So können von der diskursiven Ebene

aus die verschiedenen Techniken wie Zielgruppenorientierung, Einheitsbildung, Pluralität et

cetera betrachtet werden, ebenso wie die Diskursstrategien, mit denen in der Problematisierungs-

formel Wettbewerb Entscheidungen herbeigeführt werden. Das Aneignen von Begriffen mithilfe

der eigenen Selbstbeschreibung macht deutlich, dass über die Analyse der Sprache Erkenntnisse

über diskursive Funktionsweisen getroffen werden können.

So kann abschließend festgehalten werden, dass Kritik an der „Leuphana“ vor allem dort anset-

zen muss, wo auch die Aneignungsstrategien des Kapitalismus entlarvt werden können: Am

sprachlichen System und der Logik der Diskurse, welche die Universität konstruieren. Oder an-

ders: Die Universität muss die Sprache von „Leuphana“ entschlüsseln, um zu ihrem Wert, näm-

lich ihrer unabgeschlossenen Kritik und ihrem Recht auf Dekonstruktion zu finden683.

683 In diesem Sinne auch: Maset; Steinert: Kein Hauch von 68.

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III

Literaturverzeichnis Angaben zum untersuchten Textkorpus (Im Text mit Kurztiteln versehene Dokumente werden nach ihren Kurztiteln aufgelistet) Leuphana Universität Lüneburg: Interessant wird es, wenn man mehr als eine Seite kennt. Unter: http://job.otto.de/sap(bD1kZSZjPTA5OQ==)/bc/bsp/sap/z01leuphana/pdf/LEUPHANA_ StudBewer_LY9.pdf (Letzter Zugriff am 12.08.2012; 19:27). Leuphana Universität Lüneburg: Eine öffentliche Universität im 21. Jahrhundert. Unter: https://www.leuphana.de/fileadmin/leuphana_files/pdf/Leuphana_Corporate.pdf (gefunden am 19.10.2011; 21:18). Leuphana Universität Lüneburg: Eine Hochschule erneuert sich. Unter: https://www.leuphana.de/fileadmin/user_upload/Aktuell/files/epaper/EineHochschule_er neuert_sich.pdf (gefunden am 20.10.2011; 18:10). Leuphana Universität Lüneburg: Eine öffentliche Universität für die Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts. September 2010. Universitätsentwicklung Kennzahlen. Unter: www.leuphana.de/fileadmin/user_upload/INTRANET/neuausrichtung/praesentationen/ne uausrichtung/neuepraesentationen/neu/101004_- _Praesentation_zur_Universitaetsentwicklung_Kennzahlen_2010_-_FINAL.pdf (Letzter Zugriff am 7.01.2012; 21:52). Leuphana Universität Lüneburg: Leuphana fordert Umdenken bei Hochschulzulassung. 23. August 2010 Präsident Spoun: „Hochschulen gehen verschwenderisch mit Talenten um“. Unter: http://www.leuphana.de/aktuell/meldungen/pressemitteilungen/pressemitteilungen- ansicht/datum/2010/08/23/leuphana-fordert-umdenken-bei-hochschulzulassung.html (Letzter Zugriff am 23.07.2012; 11:16). LUL: Leuphana Universität Lüneburg – Leuphana auf gutem Weg. Präsentation zum Stand der Universitätsentwicklung. 15. Oktober 2007. Unter: www.leuphana.de/fileadmin/user_upload/INTRANET/neuausrichtung/praesentationen/un iv_entwicklung/Leuphana-auf-gutem-Weg.pdf (Letzter Zugriff: 20. 08.2012; 4:01). LUL: Campusentwicklung 2012 (2008) – Leuphana Universität Lüneburg: Campusentwicklung 2012. Eine Investition in zukunftsweisende Bildung. 2008. LUL: Universitätsentwicklungsplanung – Leuphana Universität Lüneburg: Universitätsentwicklungsplanung Leuphana Universität Lüneburg ab 2008 Entwicklungsplanung gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 NHG. Im Einvernehmen mit dem Präsidium beschlossen durch den Senat am 9. Juli 2008. Unter: www.leuphana.de/fileadmin/user_upload/ueberleuphana/files/Entwicklungsplan.pdf (Letzter Zugriff: 20.08.2012; 4:07).

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IV

LUL: Das Beispiel Lüneburg (2008) – Leuphana Universität Lüneburg: Eine Universität für die Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts. Stand: Juli 2008. LUL: Informationen für Studieninteressierte (2008) – Leuphana Universität Lüneburg: Eine Universität für die Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts. Informationen für Studieninteressierte Stand: Juli 2008. LUL: Studierendenwohnheim – Leuphana Universität Lüneburg: STUDIERENDENWOHNHEIM. Campusentwicklung der Leuphana Universität Lüneburg. Projektexposé für ÖPP-Markterkundungsgespräche im Vorfeld eines Wettbewerblichen Dialogs. Stand: 28.02.09. Planung, Errichtung, Betrieb und Finanzierung auf Pacht- oder Erbbaurechtsbasis. LUL: Studierendenwohnheim Anlage – Leuphana Universität Lüneburg: Campusentwicklung der Leuphana Universität Lüneburg. Anlage zum Projektexposé für ÖPP- Interessenbekundungsgespräche. Projektskizze zum neuen Bildungskonzept des Leuphana Studierendenwohnheims. Stand: 28.02.09. PROJEKTSKIZZE WOHNEN – ESSEN – SICH BEWEGEN. LUL: Eine öffentliche Universität für die Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts (2010) – Leuphana Universität Lüneburg: Eine öffentliche Universität für die Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts. September 2010. Unter: www.leuphana.de/fileadmin/user_upload/INTRANET/neuausrichtung/praesentationen/ne uausrichtung/neuepraesentationen/neu/101004_- _Praesentation_zur_Neuausrichtung_2010_-_FINAL.pdf (Letzter Zugriff: 16.02.2012; 12:23). LUL: Informationen für Studieninteressierte (2010) – Leuphana Universität Lüneburg: Leuphana Universität Lüneburg: Eine Universität für die Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts. Informationen für Studieninteressierte 09/2010. Unter: www.leuphana.de/fileadmin/user_upload/INTRANET/neuausrichtung/praesentationen/ne uausrichtung/neuepraesentationen/neu/101004_- _Praesentation_fuer_Studieninteressierte_2010_-_FINAL.pdf (Letzter Zugriff: 07.01.2012; 21:52). LUL: Campusentwicklung 2012 (2010) – Leuphana Universität Lüneburg: Campusentwicklung 2012. Eine Investition in zukunftsweisende Bildung. Unter: www.leuphana.de/fileadmin/user_upload/INTRANET/neuausrichtung/praesentationen/ne uausrichtung/neuepraesentationen/neu/101004_- _Praesentation_zur_Campusentwicklung_2010_-_FINAL.pdf (Letzter Zugriff am 16.02.2012; 12:27). LUL – Über die Leuphana - Leuphana Universität Lüneburg: Über die Leuphana. Unter: http://www.leuphana.de/ueber-leuphana (Letzter Zugriff am 20.10.2011; 13:54; aktualisiert: http://www.leuphana.de/universitaet.html). LUL: Über die Leuphana – Campus – Leuphana Universität Lüneburg: Der Campus: Attraktiv auch übers Studium hinaus. Unter: http://www.leuphana.de/ueber-leuphana/campus.html (Letzter Zugriff am 20.10.2011; 13:54; aktualisiert: http://www.leuphana.de/campus.html).

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LUL: Über die Leuphana – Lüneburg – Leuphana Universität Lüneburg: Lüneburg: Hanseatische und lebendige Stadt. Tausend Jahre Tradition. Unter: http://www.leuphana.de/ueber- leuphana/lueneburg.html (Letzter Zugriff am 20.10.2011; 13:55; aktualisiert: http://www.leuphana.de/lueneburg.html). LUL: Über die Leuphana – Organisation – Leuphana Universität Lüneburg: Organisation. Unter: http://www.leuphana.de/ueber-leuphana/organisation.html (Letzter Zugriff am 20.10.2011; 13:53; aktualisiert: http://www.leuphana.de/organisation.html). LUL: Über die Leuphana – Personen – Leuphana Universität Lüneburg: Personen der Universität. Unter: http://www.leuphana.de/ueber-leuphana/personen-mitarbeiter.html (Letzter Zugriff am 20.10.2011; 13:53; aktualisiert: http://www.leuphana.de/personen- mitarbeiter.html). LUL: Über die Leuphana – Profil – Leuphana Universität Lüneburg: Profil. Unter: http://www.leuphana.de/ueber-leuphana/profil.html (Letzter Zugriff am 20.10.2011; 13:53; aktualisiert: http://www.leuphana.de/universitaet/profil.html). LUL: Über die Leuphana – Profil – Geschichte – Leuphana Universität Lüneburg: Geschichte der Universität. Die Leuphana im Wandel. Unter: http://www.leuphana.de/ueber- leuphana/profil/geschichte.html (Letzter Zugriff am 20.10.2011; 13:42; aktualisiert: http://www.leuphana.de/universitaet/profil/geschichte.html). LUL: Über die Leuphana – Profil – Logo – Leuphana Universität Lüneburg: Das Leuphana Logo. Salzkristall und Netzwerk. Unter: http://www.leuphana.de/ueber- leuphana/profil/logo.html (Letzter Zugriff am 20.10.2011; 13:52; aktualisiert: http://www.leuphana.de/universitaet/profil/logo.html). LUL: Über die Leuphana – Profil – Name – Leuphana Universität Lüneburg: Der Name: Annahmen hinterfragen. Unter: http://www.leuphana.de/ueber- leuphana/profil/name.html (Letzter Zugriff am 20.10.2011; 13:52; aktualisiert: http://www.leuphana.de/universitaet/profil/name.html). LUL: Über die Leuphana – Profil – Fakten – Leuphana Universität Lüneburg: Die Universität in Zahlen Daten Fakten. Unter: http://www.leuphana.de/ueber-leuphana/profil/fakten.html (Letzter Zugriff am 20.10.2011; 13:41; aktualisiert: http://www.leuphana.de/universitaet/profil/geschichte.html). LUL: Über die Leuphana – Profil – Kurzbeschreibung– Leuphana Universität Lüneburg: Eine Universität für das 21. Jahrhundert. Unter: http://www.leuphana.de/ueber- leuphana/profil/kurzbeschreibung.html (Letzter Zugriff am 20.10.2011; 13:40; aktualisiert: http://www.leuphana.de/universitaet/profil/kurzbeschreibung.html). LUL: Über die Leuphana – Profil – Leitbild – Leuphana Universität Lüneburg: Leitbild. Unter: http://www.leuphana.de/ueber-leuphana/profil/leitbild.html (Letzter Zugriff am 20.10.2011; 13:42; aktualisiert: http://www.leuphana.de/universitaet/profil/leitbild.html). Spoun: Ein Studium fürs Leben – Spoun, Sascha: Ein Studium fürs Leben. Unter: http://www.leuphana.de/fileadmin/user_upload/ueberleuphana/files/web_broschueren/Le uphana_Festschrift_web.pdf (gefunden am 22.08.2010; 18:12)

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Rechtsquellenverzeichnis

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Anhang