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27.09.18 Intelligente Videoüberwachung - Fluch und Segen - Dr. Sebastian Bretthauer Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Informationsrecht, Umweltrecht und Verwaltungswissenschaft sowie der Forschungsstelle Datenschutz (FSDS) an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Deutschland

Intelligente Videoüberwachung - Fluch und Segen

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27.09.18

Intelligente Videoüberwachung - Fluch und Segen -

Dr. Sebastian Bretthauer

Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Projektleiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Informationsrecht, Umweltrecht und Verwaltungswissenschaft sowie der Forschungsstelle Datenschutz (FSDS) an der

Goethe-Universität Frankfurt am Main, Deutschland

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Überblick

1.  Einleitung

2.  Technischer Privatsphärenschutz

3.  Rechtliche Herausforderungen intelligenter Videoüberwachung

4.  Fazit & Ausblick

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Motivation

-  In den letzten Jahren stetige Zunahme der Videoüberwachung •  2004: nach Schätzungen 400.000 Überwachungskameras in Deutschland;

4.500.000 in Großbritannien •  2014/2015: nach Schätzungen 1.000.000 Überwachungskameras in

Deutschland; 6.000.000 in Großbritannien è Tendenz: steigend

-  Gleichzeitig fortschreitende technischer Entwicklung •  Bisher: herkömmliche Videoüberwachung nach dem Kamera-Monitor-

Prinzip •  Neu: Nutzung sogenannter „Intelligenter Videoüberwachung“ è Intelligente Videoüberwachung führt zu neuen Rechtsfragen è Insbesondere datenschutzrechtliche Grundprinzipien sind tangiert

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Begriffsbestimmung

Unter intelligenter Videoüberwachung wird die von einem technischen System vorgenommene zielgerichtete Analyse und Bewertung von

Informationen aus unterschiedlichen Informationsquellen verstanden, die unabhängig

voneinander oder miteinander gekoppelt sein können und zur Überwachung menschlichen

Verhaltens oder anderer räumlicher Veränderungen erfolgt.*

*Definition nach Bretthauer, Intelligente Videoüberwachung, 2017, S. 37

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Technischer Privatsphärenschutz

-  Mit dem technischen Fortschritt sowie der Ausweitung der Videoüberwachung gehen neue Risiken und Gefährdungen für die informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 GRCh) einher

-  Unterschiedliche technische Methoden existieren, wie die Privatsphäre der videoüberwachten Personen besonders geschützt werden kann

-  In die Hardware oder Software können datenschutzfreundliche Techniken implementiert werden

-  Oftmals kann auf eine vollständige Abbildung der videoüberwachten Szene verzichtet werden

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Methoden zum technischen Privatsphärenschutz

-  Es existieren unterschiedliche technische Ansätze (Auswahl):

•  Die Bildveränderung ist der am weitesten verbreitete Ansatz, z.B. o  Cutting-Out/Blanking o  Mosaik-Anonymisierung/Verpixelung o  Kanten-Filter o  Rauschen o  Avatar o  Gesamtes Bild verändern bzw. Merkmale, die zur Identifikation führen

•  Übersichtskarte

•  Mehrstufiges System

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Cutting-Out/Blanking

-  Bei dieser Methode wird ein bestimmter Bildbereich aus dem Originalbild herausgeschnitten, sodass dort nur noch ein schwarzer Bereich übrig bleibt

-  Teilbereiche des Bildes sind noch zu erkennen

-  Die Identifikation der überwachten Person wird erschwert, möglicherweise auch unmöglich gemacht

Quelle: Cichowski/Czyzewski, IEEE International Conference on Computer Vision Workshops 2011, 1971 (1972)

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Mosaik-Anonymisierung/Verpixelung

-  Bei dieser Methode wird der zu verändernde Bildausschnitt durch eine eine Art Mosaikbild bzw. durch Verpixelung ersetzt

-  Dadurch wird der Detailgrad sowie die Informationsdichte eines Bildausschnitts reduziert

-  Eine Person kann nicht mehr unmittelbar identifiziert werden, gleichzeitig ist ihr Verhalten aber noch erkennbar

Quelle: Cichowski/Czyzewski, IEEE International Conference on Computer Vision Workshops 2011, 1971 (1972)

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Kanten-Filter

-  Hier wird das Originalbild so stark verändert, dass auf dem neuen Bild nur noch Kanten bzw. Umrisse der Ursprungsaufnahme zu erkennen sind

-  Je nach Detailgrad kann die Identität und das Verhalten der überwachten Person mehr oder weniger zu erkennen sein

Quelle: Zhao/Stasko, GVU Technical Report, GIT-GVU-98-16 1998, 1 (2); Zhao/Stasko, Proceedings of the 1998 ACM conference on Computer supported cooperative work 1998, 11 (13)

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Rauschen

-  Bei dieser Methoden werden Personen „verwischt“ oder unscharf dargestellt; beispielsweise mithilfe eines Gauß-Filters

-  Auf den Bildern ist sodann nur noch eine Art „Geist“ zu erkennen

Quelle: Zhao/Stasko, GVU Technical Report, GIT-GVU-98-16 1998, 1 (2); Zhao/Stasko, Proceedings of the 1998 ACM conference on Computer supported cooperative work 1998, 11 (13)

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Avatar

-  Verwendung eines Avatars = künstliche Person bzw. ein graphischer Stellvertreter einer echten Person in einer (virtuellen) Welt

-  Um die Privatheit der überwachten Personen zu schützen, werden die realen Personen im Videobild durch digitale Modelle ersetzt

Quelle: Fan/Luo/Hacid/Bertino, Proceedings of the 14th ACM international conference on Information and knowledge management 2005, 609 (613)

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Gesamtes Bild verändern oder Merkmale, die zur Identifikation führen

-  Informationen zur Identifizierung von überwachten Personen sind nicht nur aus den direkten Identifizierungsmerkmalen ableitbar, sondern auch indirekte Merkmale können dazu beitragen

-  Ist die Umgebung erkennbar, so können dort beispielsweise Logos oder andere Kennzeichen von Firmen sichtbar sein, sodass aufgrund dieser Information ein Rückschluss auf einen Überwachten möglich ist

Quelle: Saini/Atrey/Mehrotra/Kankanhalli, Advances in Multimedia 2012, 1 (6 ff.)

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Übersichtskarte

-  Verwendung einer Übersichtskarte am Monitor, sodass der Operator zunächst auf dem Bildschirm lediglich eine Übersichtskarte des überwachten Bereichs angezeigt bekommt

-  Erst in einem nächsten Schritt erfolgt die Darstellung der überwachten Personen als Symbol auf einer Karte sowie ihr zurückgelegter Weg

Quelle: © Fraunhofer IOSB

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Mehrstufiges System

-  Bei dieser Methode wird das Videobild je nach Zugriffsberechtigung in verschiedenen Detailgraden auf dem Monitor dargestellt

-  Dabei kann etwa auch kontrolliert werden, wie die angefallenen Daten verwendet werden

Quelle: Senior/Pankanti/Hampapur/Brown/Tian/Ekin, IBM Research Report 22886 2003, 1 (8); Senior/Pankanti/Hampapur/Brown/Tian/Ekin/Connell/Shu/Lu, IEEE Security and Privacy 2005, 50 (54)

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Technischer Privatsphärenschutz

-  Vielzahl technischer Lösungsansätze zum Schutz der Privatsphäre von Überwachten existiert

-  Welches Konzept sinnvollerweise und rechtlich tatsächlich Eingriffe reduzierend zum Einsatz kommt, hängt vom Einzelfall und den Einsatzszenarien ab

-  Offensichtlich ist jedoch, dass die Nutzung von technischen Konzepten sinnvoll ist, um einen Privatsphärenschutz der Überwachten zu ermöglichen

-  Einsatz derartiger Schutzkonzepte kann die intelligente Videoüberwachung als milderes Mittel darstellen, gleichzeitig zu mehr Datensparsamkeit beitragen und sich insgesamt positiv bei der Interessenabwägung auswirken

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Rechtliche Herausforderungen intelligenter Videoüberwachung

-  Der Einsatz intelligenter Videoüberwachungssysteme führt zu zahlreichen rechtlichen Herausforderungen (Auswahl):

•  Potentiell personenbezogene Daten eröffnen den Anwendungsbereich des Datenschutzrechts (§ 1 Abs. 1 BDSG, Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 4 Nr. 1 DSGVO)

•  Gewährleistung des Zweckbindungsgrundsatzes ist durch einen auftragsorientierten Ansatz möglich (Art. 5 Abs. 1 lit. b DSGVO)

•  Datensparsamkeit/Datenminimierung kann durch intelligente Videoüberwachungssysteme erreicht werden (§ 71 BDSG, Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO)

•  Berücksichtigung des Verbots automatisierter Einzelentscheidung (§ 54 BDSG, Art. 22 DSGVO)

•  Fehlen einer spezifischen Videoüberwachungsnorm in der DSGVO (vgl. aber § 4 BDSG)

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Potentiell personenbezogene Daten -  Das Datenschutzrecht ist nur beim Vorliegen personenbezogener Daten einschlägig

(§ 1 Abs. 1 BDSG, Art. 1 Abs. 1 iVm Art. 4 Nr. 1 DSGVO)

-  Anknüpfungspunkt ist das Merkmal der Bestimmbarkeit bzw. Identifizierbarkeit; identifizierbar ist eine Person jedenfalls dann, wenn sie „mittelbar erkennbar“ ist, d.h. wenn Rückschlüsse auf sie möglich sind und sie damit individualisierbar ist

-  Bei der intelligenten Videoüberwachung werden Techniken eingesetzt, die die Identifizierung der überwachten Personen erschweren

-  Potentiell personenbezogene Daten sind Daten, die zwar nicht aktuell personenbezogen sind, die sich jedoch zu einem späteren Zeitpunkt zu personenbezogenen Daten verdichten können, d.h. die Zuordnung zu einer Person erfolgt erst ex-post

-  Im Bereich der intelligenten Videoüberwachung eignet sich das Kriterium besonders gut, da eine derartige Überwachung ermöglicht, dass eine Identifizierung überwachter Personen unter Umständen gar nicht oder erst zu einem der Datenerhebung nachgelagerten Zeitpunkt erfolgt

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Zweckbindungsgewährleistung

-  Einsatz intelligenter Videoüberwachung als konkretes Mittel zur Zweckbindungsgewährleistung (Art. 5 Abs. 1 lit. b DSGVO)

-  Wahl eines auftragsorientierten Ansatzes, d.h. Daten werden nur für einen zuvor fest definierten Zweck – etwa eine Personenverfolgung auf einem Gelände oder in einem Bürokomplex („Trackingauftrag“) – erhoben und verwendet

-  Alle Daten, die für die Erfüllung des Zwecks nicht benötigt werden, sollen (nach Möglichkeit) nicht erhoben bzw. so schnell wie möglich gelöscht werden

-  Ziel ist es, ausschließlich auftragsbezogene Videodaten auszuwerten und extrahierte Informationen weiterzuverarbeiten

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Datensparsamkeit bzw. Datenminimierung

-  Intelligente Videoüberwachung kann den Grundsatz der Datensparsamkeit bzw. Datenminimierung in besonderer Weise erfüllen (§ 71 BDSG, Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO)

-  Prinzip soll bereits im Vorfeld der Technikgestaltung Einfluss auf die Ausgestaltung der Systemstrukturen nehmen

-  Prinzip ist durch eine Zweistufigkeit gekennzeichnet à die erste Stufe zielt auf den vollständigen Verzicht der Verarbeitung personenbezogener Daten ab, die zweite Stufe zielt darauf ab, dass der Verarbeitungsprozess so organisiert werden muss, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten minimiert wird

-  In intelligenten Videoüberwachungssystemen kann die Datenmenge reduziert werden, wenn diese Systeme selektiv fokussieren, d.h. wenn ein Bereich nicht permanent, sondern nur bestimmte Personen überwacht werden oder das System erst „einschaltet“, wenn ein Ereignis detektiert wurde à Verringerung der Eingriffstiefe, da eine Datenverarbeitung nur hinsichtlich solcher Personen stattfindet, die vom System als relevant erkannt werden

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Verbot der automatisierten Einzelentscheidung

-  Das Verbot der automatisierten Einzelentscheidung (§ 54 BDSG, Art. 22 DSGVO) bedarf besonderer Beachtung

-  Norm zielt auf Transparenz und Fairness bei der Entscheidungsfindung ab

-  Der von der Videoüberwachung Betroffene soll nicht zum bloßen Objekt von Computerprogrammen degradiert werden à es soll verhindert werden, dass bei das Persönlichkeitsrecht zentral tangierenden Entscheidungen die Verantwortung in anonymen Computersystemen verschwimmt

-  In intelligenten Videoüberwachungssystemen muss die Regelung künftig zwingend berücksichtigt werden, da häufig Verhaltensweisen von Personen analysiert werden, um eine automatisierte Bewertung einer Situation zu erhalten

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Rechtsgrundlage der intelligenten Videoüberwachung

-  In Deutschland normiert § 4 BDSG (§ 6b BDSG a.F.) die Videoüberwachung, aber wohl europarechtswidrig, da nicht mit Art. 6 Abs. 1 lit. e, Abs. 3 DSGVO vereinbar

-  Auf europäischer Ebene existiert keine spezifische Videoüberwachungsnorm, sodass auf die nur sehr allgemein gehaltenen Erlaubnistatbestände abgestellt werden muss

-  In Betracht kommt insbesondere Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO, der im Ergebnis nur eine Interessenabwägung zwischen den Interessen der videoüberwachenden Stelle und den Interessen der von der Videoüberwachung Betroffenen vorsieht

-  Im Hinblick auf ihren generalklauselartigen Charakter sowie fehlender eingrenzender Tatbestandsmerkmale erscheint Art. 6 Abs. 1 lit. f. DSGVO keine taugliche Rechtsgrundlage; der Regelung sind weder Ziele, Ausmaß, Dauer und Inhalt einer Videoüberwachung zu entnehmen; ebenso fehlen spezielle Anforderungen an die Kenntlichmachung und Benachrichtigungspflichten à eine europäische Regelung wäre deshalb wünschenswert

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Fazit & Ausblick

-  Intelligente Videoüberwachung als besonderer technischer Fortschritt, der zu neuen rechtlichen Herausforderungen führt

-  Technischer Privatsphärenschutz ist durch die Verwendung intelligenter Videoüberwachungssysteme möglich

-  Gleichwohl verbleiben eine Reihe weiterer offener und bisher ungeklärter Fragen à etwa „Wem gehören die Daten aus der Videoüberwachung?“ oder „Wie muss eine europäische Videoüberwachungsnorm ausgestaltet sein?“

-  Damit sind auch ganz grundsätzliche gesellschaftliche Fragen adressiert à „Wollen wir als Gesellschaft überhaupt mehr Videoüberwachung und wenn ja, wie ist diese dann im konkreten Einzelfall auszugestalten?“

-  Thematik wird deshalb auch in den kommenden Jahren eine bedeutende Rolle beibehalten

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Dr. Sebastian Bretthauer

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