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Kommentare Drucken Versenden Download © Oliver W. Schwarzmann - www.oliver-schwarzmann.de Adieu Evolution, willkommen Regression! Vom vermeintlichen Rückzug der Intelligenz Der Kluge gibt nach – auch der Dummheit? Vor Kurzem wurde ich in eine Diskussion verwickelt, in der es um die „Verblödung der Menschheit“ ging. Den Ausschlag für dieses Thema gab unter anderem das Buch von Michael Jürgs: „Seichtgebiete – Warum wir hemmungslos verblöden“, das bereits Mi�e des letzten Jahres erschien und es immer wieder schafft, einige Gemüter zu erregen. Die Kri�k an der Oberflächlichkeit der mul�medialen Konsumgesellscha� ist nun wirklich nicht neu, ist sie aber auch legi�m? Das Durchsehen des aktuellen Fernsehprogramms reicht aus, um den Frust Intellektueller zu verstehen: Was da dem Zuschauer wöchentlich geboten wird, hat auf den ersten Blick ein bedauerliches Niveau gefunden – Cas�ng-, Koch-, Putz-, Re�er-, Gerichts-, Polizei-, Erziehungs- und Einrichtungsshows ge- ben sich die mediale Klinke in die Hand. Vom Urknall zu diesem Unwesen sind rund 14 Milliarden Jahre vergangen, zu Recht wer fragt, ob solches Theater wirklich das erwünschte Ergebnis einer auf Qualität bedachten Evolu�on darstellt. Und ich habe Verständnis dafür, wenn Außerirdische, irri�ert über unser Unterhaltungsniveau, auf unserem Planeten nicht landen wollen. Müssen wir aber gleich den Untergang des Abendlandes ausrufen? Kri�k ist meist nicht, was sie sein sollte: zukun�sweisend. Wer Neues wagt, bewusst mit Bekanntem bricht und womöglich anders ist als die Norm, gerät schnell in Gefahr, von Kri�k ers�ckt zu werden. Dabei zeigt sich, dass die größten Entdeckungen und Errungenscha�en von eben größtmöglicher Kri�k begleitet wurden. O� hat es sogar den Anschein, dass sich am Maß der Kri�k die besondere Qualität des Kri�sierten ablesen lässt. Oder die Kri�k offenbart sich als Beispiel grandioser Unterschätzung: Verkannte Künstler avancieren nicht selten zu Legenden, abgelehnte Manuskripte werden zu Bestsellern, zerrisse- ne Filme zu Kunstwerken … die Liste der kri�schen Fehleinschätzungen ist lang. Überdies ist Kri�k meist Reflexion von Frust und Neid, mehr Beleidigung denn konstruk�ve Anregung und sie entlarvt o�mals mehr über den Kri�ker selbst als über den Kri�sierten. Das Alles hat mit einem durchaus erwünschten kri�schen Bewusstsein nichts zu tun – kri�sch zu sein, bedeutet für mich, der Welt mit einer besonderen Form der Offenheit zu begegnen. In einem vielsei�gen und komplexen Kosmos exis�eren unzählige Arten von Qualität, darauf gründet sich ja gerade die Faszina�on, die eine solche Welt ausmacht. Wer will sich da anmaßen, über sie zu richten?

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Adieu Evolution, willkommen Regression!Vom vermeintlichen Rückzug der Intelligenz

Der Kluge gibt nach – auch der Dummheit?

Vor Kurzem wurde ich in eine Diskussion verwickelt, in der es um die „Verblödung der Menschheit“

ging. Den Ausschlag für dieses Thema gab unter anderem das Buch von Michael Jürgs: „Seichtgebiete

– Warum wir hemmungslos verblöden“, das bereits Mi�e des letzten Jahres erschien und es immer

wieder schafft, einige Gemüter zu erregen. Die Kri�k an der Oberflächlichkeit der mul�medialen

Konsumgesellscha� ist nun wirklich nicht neu, ist sie aber auch legi�m?

Das Durchsehen des aktuellen Fernsehprogramms reicht aus, um den Frust Intellektueller zu verstehen:

Was da dem Zuschauer wöchentlich geboten wird, hat auf den ersten Blick ein bedauerliches Niveau

gefunden – Cas�ng-, Koch-, Putz-, Re�er-, Gerichts-, Polizei-, Erziehungs- und Einrichtungsshows ge-

ben sich die mediale Klinke in die Hand. Vom Urknall zu diesem Unwesen sind rund 14 Milliarden Jahre

vergangen, zu Recht wer fragt, ob solches Theater wirklich das erwünschte Ergebnis einer auf Qualität

bedachten Evolu�on darstellt. Und ich habe Verständnis dafür, wenn Außerirdische, irri�ert über unser

Unterhaltungsniveau, auf unserem Planeten nicht landen wollen. Müssen wir aber gleich den Untergang

des Abendlandes ausrufen?

Kri�k ist meist nicht, was sie sein sollte: zukun�sweisend. Wer Neues wagt, bewusst mit Bekanntem

bricht und womöglich anders ist als die Norm, gerät schnell in Gefahr, von Kri�k ers�ckt zu werden.

Dabei zeigt sich, dass die größten Entdeckungen und Errungenscha�en von eben größtmöglicher Kri�k

begleitet wurden. O� hat es sogar den Anschein, dass sich am Maß der Kri�k die besondere Qualität des

Kri�sierten ablesen lässt. Oder die Kri�k offenbart sich als Beispiel grandioser Unterschätzung: Verkannte

Künstler avancieren nicht selten zu Legenden, abgelehnte Manuskripte werden zu Bestsellern, zerrisse-

ne Filme zu Kunstwerken … die Liste der kri�schen Fehleinschätzungen ist lang. Überdies ist Kri�k meist

Reflexion von Frust und Neid, mehr Beleidigung denn konstruk�ve Anregung und sie entlarvt o�mals

mehr über den Kri�ker selbst als über den Kri�sierten. Das Alles hat mit einem durchaus erwünschten

kri�schen Bewusstsein nichts zu tun – kri�sch zu sein, bedeutet für mich, der Welt mit einer besonderen

Form der Offenheit zu begegnen. In einem vielsei�gen und komplexen Kosmos exis�eren unzählige Arten

von Qualität, darauf gründet sich ja gerade die Faszina�on, die eine solche Welt ausmacht. Wer will sich

da anmaßen, über sie zu richten?

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Was einem nicht gefällt oder gar widerstrebt, kann auf persönlicher Ebene abgelehnt werden. Daraus

aber ein öffentliches S�gma machen oder die eigene Meinung zum allgemeinen Dogma erheben zu

wollen, erscheint mir als Umkehr dessen, was Kri�k eigentlich bewirken sollte, S�chwort:

zukun�sweisende Offenheit.

Wir dürfen eines nicht vergessen: Zur Verblödung gehören auch impulsfreie Rahmenbedingungen. Die

moderne Welt leidet am Gegenteil: Es werden mehr Informa�onen ausgestoßen, als konsumiert werden

können. Und es ist nur derjenige für dumm verkau�, der Dummes kau�. Es wundert mich auch nicht,

dass eins�ge Wissensbesitzer und Objek�vitätsregisseure die basisdemokra�sche, mul�mediale Revolu-

�on immer wieder gerne in Misskredit bringen möchten, verändert diese doch deren Macht- und Markt-

verhältnisse wie nie zuvor. Das Internet wird, bei aller Dubiosität, die dem Medium von dessen Kri�ker

nachgesagt wird, zu einem neuen Informa�ons-, Kommunika�ons- und Lernverhalten führen, es wird

sogar eine Genera�on von Autodidakten hervorbringen, die wir ernst nehmen sollten. Und dass Informa-

�onsvermi�lung mit einem höheren Unterhaltungswert mehr Wirkung zeigt, ist längst bewiesener Fakt.

Nicht nur das: In einer freien Gesellscha� ist die Bewertung des Zeitgeistes jedem Einzelnen selbst über-

lassen; wer glaubt, dem einfachen Konsumvolk fehle das Vermögen dazu, neigt zur Entmündigung. Und

wer der gesellscha�lichen Verblödung entgegen steuern will, muss einfach neue Leitbilder entwerfen,

die a�rak�ver sind als die aktuellen.

Hierfür wird es dann vermutlich wieder jede Menge Kri�k hageln.