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Virchows Arch. Abt. B Zellpath. 2, 255--264 (1969) Intermolekulare Abliiufe am Kollagen II. EinfluB wiiBriger LSsungen TH. ~EMETSCHEK * Institut fiir Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie der Universitiit Heidelberg (Prof. Dr. W. DOERR),Arbeitsgruppe fiir Ultrastrukturforschung Eingegangen am 20. Januar 1969 Intermolecular Processes in Collagen I[. Influence o/ Aqueous Solutions Summary. Wide-angle x-ray diffraction patterns reveal how water and aqueous solutions influence collagen; the reversible or irreversible loss of native structure depends on the in- cubation-time and kind of ions. Ions exert their reversible effect by deassociating water from the collagen. The irreversible loss of native structure is produced by changes in conformation of side-chains. Zusammen/assung. Der EinfluB von Wasser und w~Brigen L6sungen auf Kollagen geht aus dem Weitwinkelr6ntgendiagramm hervor und ist je nach Inkubationszeit und Ionenart durch einen reversiblen oder irreversiblen Ausfall der Nativstruktur gekennzeichnet. Die reversiblen Ioneneinfldsse beruhen auf einer entassoziierenden Wirkung auf das Strukturwasser yon Kollagen. Ffir den irreversiblen Ausfall der Nativstruktur werden Konformationsanderungen der Seitenketten verantwortlich gemacht. Ffir Kollagen ist die elektronenmikroskopisch erfaSbare hochunterteilte Quer- streifung (GRAsSMANN, HOFMANN u. NEMETSCHEK, 1952) charakteristisch und deshalb bereits oftmals als Indikator ffir ReaktionsablKufe an diesen Eiwei$- fasern verwendet worden (KfTHN, GRASSMAN• U. ItOFMAN~, 1958; KOHN U. GEBHARDT, 1960; GEBHARDTU. K~HN, 1963; NEMETSCHEK, 1965, 1967). Wegen der Bedingungen am Elektronenmikroskop befinden sich aber hierbei die unter- suchten Objekte stets im wasserfreien Zustand. Demgegenfiber gelingt mit Hilfe der RSntgenstrukturanalyse die Verfolgung yon Einwirkungen auf den Ordnungs- zustand yon Kollagen an nativ /euchten Fasern (NEMETSCttEK, 1968a, 1969). Auf diese Weise konnte der Einflu$ polarer und apolarer nichtw~Briger Flfissig- keiten auf die Kollagenstruktur studiert und der Nachweis stabilisierender inter- molekularer Wasser-Brficken erbracht werden. Im Folgenden soll nun die Wir- kung w~Briger LSsungen auf die Nativstruktur yon Kollagen besprochen werden. * Frau CHRISTAGRUNDund Frgulein EVA-MARIA FINZE danke ich fiir ihre Mitarbeit. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Bcrgbau-Berufsgenossenschaft haben diese Untersuchungen durch Bereitstellung yon Sachbeihilfen unterstfitzt. 18 Virchows Arch. Abt. B Zellpath., Bd. 2

Intermolekulare Abläufe am Kollagen

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Virchows Arch. Abt. B Zellpath. 2, 255--264 (1969)

Intermolekulare Abliiufe am Kollagen II . EinfluB wiiBriger LSsungen

T H . ~ E M E T S C H E K *

Institut fiir Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie der Universitiit Heidelberg (Prof. Dr. W. DOERR), Arbeitsgruppe fiir Ultrastrukturforschung

Eingegangen am 20. Januar 1969

Intermolecular Processes in Collagen

I[. Influence o/ Aqueous Solutions Summary. Wide-angle x-ray diffraction patterns reveal how water and aqueous solutions

influence collagen; the reversible or irreversible loss of native structure depends on the in- cubation-time and kind of ions.

Ions exert their reversible effect by deassociating water from the collagen. The irreversible loss of native structure is produced by changes in conformation of side-chains.

Zusammen/assung. Der EinfluB von Wasser und w~Brigen L6sungen auf Kollagen geht aus dem Weitwinkelr6ntgendiagramm hervor und ist je nach Inkubationszeit und Ionenart durch einen reversiblen oder irreversiblen Ausfall der Nativstruktur gekennzeichnet.

Die reversiblen Ioneneinfldsse beruhen auf einer entassoziierenden Wirkung auf das Strukturwasser yon Kollagen.

Ffir den irreversiblen Ausfall der Nativstruktur werden Konformationsanderungen der Seitenketten verantwortlich gemacht.

Ffir Kollagen ist die elektronenmikroskopisch erfaSbare hochunterteilte Quer- streifung (GRAsSMANN, HOFMANN u. NEMETSCHEK, 1952) charakteristisch und deshalb bereits oftmals als Indikator ffir ReaktionsablKufe an diesen Eiwei$- fasern verwendet worden (KfTHN, GRASSMAN• U. ItOFMAN~, 1958; KOHN U. GEBHARDT, 1960; GEBHARDT U. K~HN, 1963; NEMETSCHEK, 1965, 1967). Wegen der Bedingungen am Elektronenmikroskop befinden sich aber hierbei die unter- suchten Objekte stets im wasserfreien Zustand. Demgegenfiber gelingt mit Hilfe der RSntgenstrukturanalyse die Verfolgung yon Einwirkungen auf den Ordnungs- zustand yon Kollagen an nativ /euchten Fasern (NEMETSCttEK, 1968a, 1969). Auf diese Weise konnte der Einflu$ polarer und apolarer nichtw~Briger Flfissig- keiten auf die Kollagenstruktur studiert und der Nachweis stabilisierender inter- molekularer Wasser-Brficken erbracht werden. Im Folgenden soll nun die Wir- kung w~Briger LSsungen auf die Nativstruktur yon Kollagen besprochen werden.

* Frau CHRISTA GRUND und Frgulein EVA-MARIA FINZE danke ich fiir ihre Mitarbeit. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Bcrgbau-Berufsgenossenschaft haben diese Untersuchungen durch Bereitstellung yon Sachbeihilfen unterstfitzt.

18 Virchows Arch. Abt. B Zellpath., Bd. 2

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256 Tm NEMETSCHEK :

Mater ia l und Methoden

Als Ausgangsobjekt dienten Fasern aus Schwanzsehnen 4- -6 Monate alter weil]er Inzucht- ratten. Die in Tabelle 1 zusammengestellten Ergebnisse wurden an nativ feuchten Fasern sofort nach ihrer Entnahme erzielt. Alle iibrigen Messungen erfolgten auch an unter Ringer- Losung oder Haemaccel~ bei § 1 7 6 aufbewahrten Fasern. Die Inkubation mit ws LSsungen erfolgte bei § 20--22 o C; Proben wurden in regelm~l~igeren Intervallen entnommen als dies aus den Tabellen 1 und 2 hervorgeht.

Zur R6ntgenstrukturanalyse wurden die Fasern stets unter den jeweiligen Elektrolyt- losungen in dfinnwandige Glascapillaren (MarkrShrchen) eingeschlossen. Durch die erforder- lichen Expositionszeiten kam es jedoch wegen physikalischer Bedingungen zu keiner zwangs- weisen Verl~ngerung der Inkubationszeiten. Zur Rigckbildung der Nativstruktur wurden die Fasern aus dem MarkrShrchen entnommen und unter dberschfissigem Haemaccel~ ~ bei + 5 ~ C 2 4 4 8 Std gelassen. Bei negativem Verlauf erfolgte die Inkubation fiber 1--2 Monate; Durchstrahlung der Fasern ebenfalls unter Haemaccel| Weitwinkelr6ntgendiagramme wurden unter Verwendung punktfSrmig ausgeblendeter CuK~-Strahlung mit Kiessig-Kammern unter Helium angefertigt. Abstand Prs - - Film = 100 und 200 mm.

Zur elektronenmikroskopischen Untersuchung wurden Dfinnschnitte yon in Epoxyharz eingebetteten Fasern mit dem Porter Blum-Ultramikrotom angefertigt. Kontrasticrung mit l%iger w~i[~riger Phosphorwolframs~ure (PWS)-Losung am Dunnschnitt. Zur Darstellung nach dem negativen Kontrastver/ahren wurden fein zerteilte Fasern mit auf pH 5,5 eingestellter PWS auf Objekttrs aufgetrocknet. Betrachtung mit dem Elmiskop Ia von Siemens & Halske. Focussierungsreihen bei ~40000facher Prims Beschleunigungsspan- nung: 80 kV.

Ergebnisse

I n Tabe l l e 1 is t zun/~chst de r Einflul~ v o n r e i n e m W a s s e r au f K o l l a g e n wieder-

gegeben . Man f i nde t m i t z u n e h m e n d e r I n k u b a t i o n s z e i t e ine fo r t s ch re i t ende Be-

e in t r / i ch t igung der N a t i v s t r u k t u r , die bere i t s n a c h 3 T a g e n zu r i r r eve r s ib l en

S tS rung ffihrt . A u c h L e i t u n g s w a s s e r beeinflul~t n a c h l~ngerer I n k u b a t i o n s z e i t

den O r d n u n g s z u s t a n d n a t i v e r F ibr i l len . Die S t r u k t u r u m o r d n u n g is t abe r u n t e r

Tabelle 1. Ein/lufl von Wasser und In/usionsl6sungen au/ die Nativstruktur von Kollagen. Achsenabstand der Proto/ibrillen in

Ordnungszustand unter a b c d

Bidest. H20

Leitungswasser (26 DH c)

Ringer-L0sung bei + 5 o C

Haemaccel| bei + 5 ~ C

l0 min + § 24 Std §

3 Tage - - 14,4 > 365 Tage - - 14,9

2 Std a -- 14,7 2 Std b -- 14

20 Std + 5 Tage ~ 13,8

90 Tage § § 150 Tage §

60 Tage § + >60 Tage -- 15

13,8 14,75 13,8

+

a = Inkubationszeit; b = Nativstruktur (+ = gut, + § = sehr gut erhalten) ; c = neuer Achsenabstand; d ~ Rfickbildung der Nativstruktur bzw. neuer Achsenabstand.

a Fasern aus 0,16n NaC1-LSsung. b Fasern aus 2n NaC1-LSsung. c Deutsche H~rtegrade.

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Intermolekulare Abl~ufe am Kollagen 257

Haemaccel(R: rfickg/ingig. Gelangen nun nat ive Fasern nicht direkt in H~O son-

dern erst nach Aufbewahrung in NaC1-LSsungen, so ist bereits nach 2 Std eine

irreversible U m o r d n u n g der Na t i v s t ruk tu r im RSntgend iagramm angezeigt. Der

auf ~ 1 4 / ~ vergrSBerte Achsenabs tand der Protofibri l len zeigt hier - - i~hnlich

wie nach langen Inkubat ionsze i ten direkt in Wasser f ibertragener Fasern - -

eine innerkristal l ine Quellung an (NEMETSCnEK U. GANSLER, 1961 ; NEMETSCHEK,

1963). Aus Tabelle 1 geht weiter hervor, dab sowohl unter Ringer-LSsung als

auch unter Haemaccel~* die Na t ivs t ruk tu r , selbst nach 2 - 4 Monaten Aufbe-

wahrungszei t , rSntgenographisch nachzuweisen ist. Das heiBt, im Weitwinkel-

d i ag ramm findet man am J~quator, iihnlich wie in Abb. 3 b wiedergegeben, eine

Tabelle 2. Ein/lufl wdflriger LSsu~gen au/ die Nativstruktur t,o~ Kollaget~. Achsenabstat~d der Proto/ibrillen in

Ordnungszustand a b c d unter

18"

In KC1 12 Tage § 2n KC1 46 Std § +

30 Tage ~ 12.95 +

4n KC1 ~12 Tage -- 12,8 +

0,16n NaCI 12 Tage + + 60 Tage ~ 13,9 +

180 Tage -- 13,8 -- 240 Tage -- 14 14,1

In NaC1 28 Std + 4- 8 Tage §

18 Tage 14,3 14,65

2n NaC1 24 Std + 14 Tage -- 13,4 + 19 Tage -- 13,3 14

4n NaCl 24 Std 12,6 § 6 Tage 12,8 - - +

19 Tage -- 12,8 -~ +

0,5m CaCl 2 20 min ~15 15

2m CaCle 5 rain -- 14.6 ~15

0,5 in NaCIO 4 20 min 4- + 19 Std 14,65 14,5

2m NaClO 4 5 min -- ~ 13,8

1 Vol.- % DMSO 5 min -~ q- 3 Tage +

2 Vol.-% DMSO >18Tage +

20 Vol.-% DMSO 2 Tage + +

40 Vol.- % DMSO 24 Std -- § 4_ 90 Tage -- 13,4 § q-

50 Vol.- % DMSO 2 Tage 13,6 + 4-

100 Vol.- % DMSO 3 min -- ~14 + +

Legenden s. Tabelle 1.

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258 TH. NEMETSCHEK :

Abb. 1. Fibrille nach 16 Std Einwirkung einer 0,5 m CaC12-LSsung und anschliel3ender Inkubation mit Haemaccel| Nachkontrastierung am Dfinnschnitt mit PWS. Identit~ts-

periode: 590 A. Arch. Nr. 45/69; el.opt. : 38000:1

Aufspaltung des Hauptreflexes in zwei strichf6rmige Reflexe bei 12,6--12,8/k und 13,5--13,9 A, sowie zus/~tzliche Reflexe bei kleineren Winkeln. Der Einflul~ einiger ElektrolytlSsungen sowie von Dimethylsulfoxid (DMSO) auf Kollagen geht aus Tabelle 2 hervor. Es sind nur die wichtigsten Inkubationszeiten angegeben. Die Einwirkung von CaC12- und NaC104-LSsungen auf Kollagen ist schliei31ich nur insoweit beriicksichtigt, wie dies fiir die hier zu behandelnden Abl/~ufe erfor- derlich war. Eine eingehendere Besprechung erfolgt im Rahmen der sog. chemi- schen Kontraktion von Kollagen. KC1- und NaC1-LSsungen fiihren mit zunehmen- der Konzentration und Inkubationszeit zum Ausfall der Nativstruktur. Es fiillt auf, da6 die Riickbildung dieser Struktur dann mSglich ist, wenn der unter der ElektrolytlSsung registrierte Achsenabstand der Protofibri l len< 14 A betr/~gt. Makroskopisch ist mit zunehmender Ionenkonzentration der L6sungen eine Volu- menkontraktion der Objekte auff/illig, die oftmals yon einer ausgepr~gten Kriiuse- lung der seidengl/tnzenden Fasern begleitet ist. Isotonische (0,16 n) NaC1-LSsung ftihrt zwar erst nach relativ langen Inkubationszeiten zu einer Beeinflussung der Nativstruktur, eine Aufbewahrung von Untersuchungsmaterial in dieser LSsung erscheint aber trotzdem nicht unbedenklich (NEMETSCHEK, 1968b).

Auch bei der Einwirkung yon CaC12- und NaC104-L6sungen auf Kollagen h/ingt die Beeinflussung der Nativstruktur yon der Elektrolytkonzentration und Inkubationszeit ab. Allerdings fiihren hier innerhalb sehr kurzer Inkubationszei- ten schon niedrigere Ionenkonzentrationen zur irreversiblen Umordnung der Nativstruktur. Makroskopisch zeigen diese Objekte im Unterschied zu den mit NaC1- oder KC1-LSsungen inkubierten Fasern, eine deutliche Volumenzunahme, ohne aber den seidenartigen Glanz zu verlieren. Mit Ausnahme der unter 2 m CaCl~-L6sung ver&nderten Fasern erfolgt an diesen Objekten unter Haemaccel(~ innerhalb weniger Minuten Entquellung. Im RSntgendiagramm dieser, nunmehr auch wieder seidengli~nzender Fasern, finder man aber keine Rfickbildung der Nativstruktur angezeigt. Demgegenfiber bestehen diese Objekte im elektronen- mikroskopischen Bild (Abb. l) aus Fibrillen mit einer hochunterteilten Quer- streifung. Lediglich der Kontrast der Einzelstreifen sowie eine noch weiterreichende

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Intermolekulare Abl~ufe am Kollagen 259

Abb. 2 a u. b. Fibrillen nach 5 bzw. 1 min Einwirkung einer 2 m NaClO4-L6sung. a Darstellung nach dem negativen Kontrast-Verfahren mit auf pH 5,5 eingestellter PWS. b Dtinnschnitt mit PWS nachkontrastiert. Arch. Nr. 1865/65; el.opt. : 10000:1. 4068/68; el.opt. : 38 000:1

AuflSsung der Querstruktur sind durch das verbliebene lockere und verbreiterte Fibrillengeffige beeintrachtigt. Ahnlich verhitlt es sich auch bei den mit NaC104- LSsungen behandelten Fasern. Das hell, t, auch hier besteht keine Ubereinstim- mung zwischen dem rSntgenographisehen und elektronenmikroskopischen Be- fund. Die in Abb. 2 b wiedergegebene hochdifferenzierte Querstreifung ist n~mlich an den meisten Fibrillen dieser Objekte anzutreffen, trotzdem das RSntgen- diagramm bereits eine irreversible Umordnung der Nat ivstruktur anzeigt. Hiiufig findet man aber auch, wie aus Abb. 2 a und b hervorgeht, Fibrillen mit Knick- stellen, die eine gestSrte Struktur aufweisen. Die geknickten Fibrillen dfirften das Aquivalenzbild der die Kontrakt ion dieser Fasern einleitenden Fibrillenfaltung sein (NEMETSCHEK, 1968c). Aus Tabelle 2 geht schliel~lich auch die Wirkung w/~l~riger DMSO-LSsungen auf die Nat ivstruktur hervor. Auff~lligerweise bleiben aber niedrige Konzentrationen auch fiber litngere Zeit ohne Einflul~ auf Kollagen. Aber aueh unter 40--80 Vol.-% DMSO behalten die Fasern w~hrend der angege- benen Inkubationszeiten ihr makroskopisches Aussehen und lassen nur gelegent- lieh eine Aufweitung erkennen. I m RSntgendiagramm ist aber bereits eine Um- ordnung der Struktur dieser Objekte zu registrieren, verbunden mit einem sehr starken Abfall der Reflexintensit~t. Ffir das in Abb. 3 a wiedergegebene Diagramm

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260 TH. NEMETSCHEK :

Abb. 3a--c . Weitwinkelr6ntgendiagramme yon Kollagenfasern in a unter 40 Vol.-%iger wal3riger DMSO-L6sung und in b nach Inkubieren der gleichen Fasern mit Haemaccel~. c Fibrillen aus dem R6ntgenpraparat im Diinnschnitt. Nachkontrastierung mit PWS. Identi-

t~itsperiode: 580 A. Arch. Nr. 1209/67; el.opt. : 38000:1

war z.B. eine viermal so lange Expositionszeit erforderlieh als ffir die Aufnahme in Abb. 3 b. Weiterhin f/illt auf, dab nicht nur die Aquatorreflexe sondern auch die hSheren Ordnungen der meridionalen Kleinwinkelinterferenz von dieser Beein- flussung betroffen sind. Dieser Befund wiirde nun neben einer inter- auch eine intramolekulare StSrung der Kollagenstruktur erwarten lassen. Tats~chlieh zeigt aber das Diagramm in Abb. 3a eine reversible intermolekulare Umordnung an, die, wie aus Abb. 3b hervorgeht, unter Haemaccel(~ wieder rfickgi~ngig ist. Ebenso gelingt an mit DMSO behandeltem Kollagen die elektronenmikroskopische Darstellung einer bis in feinste Details gut erhaltenen Querstruktur (Abb. 3c), und zwar am Objekt von Abb. 3a. Inwieweit zwischen der auf 580 A verkfirzten Identiti~tsperiode und der ersten Ordnung der Kleinwinkelinterferenz l~berein- stimmung besteht, bedarf noch der Nachprfifung, da die verwendeten R6ntgen- kammern keine so hohe AuflSsung ermSglichten. Unter unverdfinnten DMSO werden die Fasern glasig gequollen und verkfirzen sich. In Haemace]l~ erfolgt auch an diesen Objekten Riickbildung der Nativstruktur.

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Intermolekulare Abliiufe am Kollagen 261

Diskussion ~hnlich wie in der vorangegangenen Mitteilung fiber den Einflu$ nichtw/~griger

Flfissigkeiten (NEMETSCHEK, 1969) wird das WeitwinkelrSntgendiagramm nativ feuchter Fasern dazu benutzt, Wechselwirkungen zwischen Kollagen und Wasser bzw. w/~Brigen LSsungen zu verfolgen. Die Nativstruktur yon Kollagen ist aber untrennbar verbunden mit der Anwesenheit intermolekular angeordneter Wasser- assoziate, die fiber Wasserstoff-Brficken das Fibrillengeffige stabilisieren. Es handelt sich also hierbei um die Registrierung yon Einflfissen auf das intermole- kular gebundene Wasser bzw. auf diesen Wasserassoziaten als Schablone die- nende Konformationen. So konnte bereits wahrscheinlich gemacht werden, dab der irreversible Ausfall der Nativstruktur nach Quellung der Fibrillen in Alkanolen mit > 7 C-Atomen in der Alkylkette auf einer sterischen Behinderung beruht. Es ist n/imlich denkbar, dab die mit der Streckung der Seitenketten der Proto- fibrillen verbundene Umorientierung bereits unter n-Heptanol soweit fortgeschrit- ten ist, dab eine genaue Rfickfaltung nicht mehr mSglich ist. Eine solche, bei der Rehydratisierung der Fibrillen zustandegekommene ,,falsche" Rfickfaltung der Seitenketten muI] abet die Wiederherstellung der Nativstruktur verhindern, da die Bildung stabilisierender Wasserstoff-Brficken fiber H20-Molekfile durch diese Konformationsiinderung gestSrt ist. Langzeitiges Inkubieren mit Wasser mfil]te deshalb, /ihnlich wie jede andere, eine Quellung einleitende Einwirkung zum irreversiblen Ausfall der Nativstruktur ffihren. Besonders eindeutig ist diese Forderung durch das Verhalten der aus NaC1-LSsungen in Wasser fibertragenen Fasern erffillt. Wie bereits vor l/~ngerer Zeit (NEMETSCtIEK und GANSLER, 1961) gezeigt werden konnte, erfolgt unter diesen Bedingungen bei gleichzeitiger Ver- grSl~erung des Achsenabstandes der Protofibrillen yon ~13,6 auf 14--14,9 A innerkristalline Quellung der Kollagenfasern. Da im Falle der intermolekularen Einlagerung yon Wasser als Quellungsflfissigkeit kein ausriehtender Einflu~ auf die Seitenketten vorliegt wie unter Alkanolen (NEMETSCHEK, 1968), effolgen schon bei relativ kleinen Aufweitungen der Protofibrillen Umorientierungen der Seiten- ketten, die einer genauen Riickfaltung entgegenwirken.

Die Inkubation mit KC1- und NaC1-L5sungen hoher Konzentration dfirfte demgegenfiber haupts~chlich einen EinfluB auf die Struktur des intermolekular gebundenen Wassers ausfiben. ~hnlieh wie dutch hohe Salzkonzentrationen die ,,Eisbergstruktur" um ~thylenoxidderivate (LucK, 1964) abgebaut wird, bewirken hohe Konzentrationen yon K S- und Nar naeh langen Inkubationszeiten auch am Kollagen eine StSrung der intermolekular gebundenen Wasserassoziate. Ionenkonzentrationen, die dem physiologischen Milieu entsprechen, kSnnen hingegen fiber eine gewisse Zeit eine Verst~rkung dieser Assoziate bewirken. Im Falle der Ca2r dfirfte neben dem grSl3eren Ionenradius auch noeh der polyvalente Charakter eine Rolle spielen und zwar fiberall dort, wo aus sterischen Grfinden eine Vernetzung benaehbarter negativ geladener Gruppen mSglich ist. Da eine solche Vernetzung zu einer Konformationsiinderung der beteiligten Seiten- ketten bzw. Peptidschw~nze ffihren mu~, bleibt erwartungsgem~[~ die Um- ordnung der Nativstruktur irreversibel. DaB trotzdem im elektronenmikroskopi- schen Bild diese Fasern in bestimmten Stadien noch aus quergestreiften Fibrillen bestehen, ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, da~ die im RSntgendia- gramm registrierten Strukturi~nderungen auf Konformationss beruhen,

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262 Tm NEMETSCHEK:

die unter dem Aufl6sungsverm6gen des Elektronenmikroskops liegen. Allein aus diesem Grunde gewinnt bei solchen Fragestellungen die R6ntgenstruktur- analyse an Aussagewert gegenfiber der Elektronenmikroskopie. Andererseits w/tren aber Fibrillenst6rungen wie sie in Abb. 2 a und b wiedergegeben sind, im R6ntgendiagramm unentdeckt geblieben. Aus der Reihe interessierender Anionen wurde nur der Einflul~ des ClOaO-Ions besprochen, da in diesem Zusammenhang eine ausffihrliche Abhandlung fiber die sog. chemische Kontraktion yon Kollagen erfolgen soll. Ahnlich wie auf die Struktur des flfissigen Wassers (LucK, 1964) zeigt dieses grol~e Anion auch auf die Nativstruktur yon Kollagen einen besonders starken Effekt. Und zwar findet schon in Konzentrationsbereichen, die noch ohne makroskopisch sichtbaren EinfluB sind, also keine Kontraktion bewirken, eine irreversible Umordnung der Struktur start. Der Effekt der C1040-Ionen besteht also in einer St6rung intermolekularer Wasserassoziate, die fiber Wasserstoff- Brficken kooperativ mit anderen Bindungsarten den Ordnungszustand nativer Fibrillen stabilisieren. Gleichzeitig mul~ abet das ClOa~ noch am Eiweil~- molekfil selbst einwirken, da anders der irreversible Ausfall der Nativstruktur yon Kollagen nicht zu verstehen w/ire. M6glicherweise handelt es sich dabei um den zur Kontraktion der Fasern ffihrenden Eingriff im Kollagen (NEMET- SCHEK, 1969b). Die Auffassung, dab die einsetzende Kontraktion yon Kollagen unter konzentrierten Elektrolytl6sungen allein auf der Beeinflussung des Struktur- wassers beruhe (v. HIm~EL und HARRI~GTON, 1960 ; VERZXR, 1963) bedarf deshalb der l~berprfifung. Demnach mfiBten n/~mlich fiberall dort Faserkontraktionen erfolgen, wo dutch/~ul~ere Einflfisse die Nativstruktur, d.h. die stabilisierenden Wasser-Brficken gest6rt werden. Dies ist aber weder unter polaren nichtw/~Brigen Flfissigkeiten noch z.B. unter NaC1-L6sungen der Fall. Der Einflul~ yon NaClO 4- L6sungen verdient ferner Interesse im Zusammenhang mit der Demaskierung funktioneller Gruppen am Kollagen. Nach Ergebnissen yon LEvY u. Mitarb. (1961) sollen n/~mlich die e-Aminogruppen yon Lysin verschiedenen Reaktionen nur teilweise zugi~nglich sein. Daraus wurde geschlossen, dab --~30 % dieser Grup- pen amidartig mit Carboxylgruppen benachbarter Seitenketten vernetzt und des- halb unzug~nglich sind. H(SRMANN (1962) konnte aber zeigen, dab in Gegenwart yon 2m NaC104-L6sung der gr6Bte Tell der e-Aminogruppen des Kollagens dinitrophenyliert wird, also zug/~nglich ist. Es liegt nun nahe, die ursprfingliche Abschirmung dieser Gruppen auf eine Maskierung durch Wasserhfillen mit eis- iihnlicher Struktur zurfickzuffihren. Diese, bereits yon KLOTZ (1960, 1965) postu- lierten Wasserassoziate sind aber identisch mit dem Strukturwasser nativer Fibril- len und somit gegenfiber ClOO-Ionen anf/illig. Es bedarf noch der Nachprfifung, ob eine solche Demaskierung funktioneller Gruppen z.B. unter Haemaccel~ reversibel ist.

W/ihrend nun die bisher besprochenen Salzeffekte in einer St6rung inter- molekularer Wasserassoziate ihren Ausdruck finden, wirkt DMSO konkurrierend mit dem Strukturwasser auf Kollagen. DMSO und Wasser k6nnen sich n/imlich gegenseitig ersetzen und bilden miteinander stabilere Wasserstoff-Brficken als dies in Wasserassoziaten der Fall ist. Aus diesem Grunde wird die Ordnung des intermolekular gebundenen Wassers dutch w/~$rige DMSO-L6sung h6herer Kon- zentration gest6rt, und die Nativstruktur yon Kollagen beeinfluBt. Niedrigere Konzentrationen ffihren zu keiner Beeinflussung des Ordnungszustandes der

Page 9: Intermolekulare Abläufe am Kollagen

Intermolekulare Ablaufe am Kollagen 263

Fibrillen, da offenbar in diesen L6sungen die DMSO-Molekfile durch die vorhande- nen Wassermolektile voll abges~ttigt sind. RSntgenographische Daten stehen hiermit im Einklang und zeigen, dab die dureh DMSO bewirkte Umordnung der Na t ivs t ruk tu r unter Haemaccel(~ reversibel ist. Diese Befunde stehen weiterhin in l~bereinstimmung mit Ergebnissen von HAMAGUCHI (1964), dem an Lysozym der Naehweis einer reversiblen Konfigurationsi~nderung durch 60--70 Vol.-% DMSO gelang. Auf ~hnliche Abliiufe beruht auch das membrana]ctive Verhalten von DMSO beim ErhShen der Zellpermeabilit~t (GERHARDS U. GIBIAN, 1968). Die Permeat ion von Membranen ist ns wesentlich vom Ordnungsgrad des an der Oberfli~che oder auch innerhalb der Membranen gebundenen Wassers ab- h~ngig und soll am geringsten sein, wenn z. B. diese Wasserassoziate durch Chloro- form oder Di~thyl~ther zusi~tzlich stabilisiert sind (PAuLING, 1961; WEIGEL, 1967). Entsprechend bleibt auch unter diesen Fliissigkeiten die Na t ivs t ruk tu r von Kollagen erhalten (NEMETSCHEK, 1968a). Polare Verbindungen, die den Ord- nungsgrad des membrangebundenen Wassers erniedrigen, oder wie im Falle des DMSO dieses Wasser ersetzen, erhShen deshalb die Membranpermeabilit / i t .

Literatur

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Priv.-Doz. Dr. TH. NEMETSCHEK Institut fiir Allgemeine Pathologie und pathol. Anatomie der Univ. Heidelberg 69 Heidelberg