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29 international 28 in tel aviv, 3.10.2015 alle für die tiere. demonstration mit 10.000 menschen

international...hatten. darin ist der us-amerikaner gary yourofsky zu sehen, wie er ein flammendes plädoyer gegen massentierhaltung und für tierrechte hält. daraufhin wurde ori

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Page 1: international...hatten. darin ist der us-amerikaner gary yourofsky zu sehen, wie er ein flammendes plädoyer gegen massentierhaltung und für tierrechte hält. daraufhin wurde ori

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internationalinternational

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in tel aviv, 3.10.2015alle für die tiere.demonstrationmit 10.000 menschen

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symbol der besatzungund des widerstandes:israelische sperranlagebei qalandia, westbank

as veganste land auf erden sollisrael sein. und tel aviv schonbald die veganste stadt derwelt. »ich habe viele ernäh-rungstrends erlebt, doch glau-ben sie mir: so etwas gab esnoch nie.« ori shavit war bis vorvier jahren eine angesagte kriti-

kerin in sachen essen und trinken. sie schrieb regelmäßig für al has-hulchan, das führende gastro-magazin in israel, und wurde selbst zurversierten köchin von fleisch- und fischgerichten. bis sie über einvideo aus dem jahr 2010 stolperte, das zwei aktivisten der tv showanimal log ins netz gestellt und mit hebräischen untertiteln versehenhatten. darin ist der us-amerikaner gary yourofsky zu sehen, wie erein flammendes plädoyer gegen massentierhaltung und für tierrechtehält. daraufhin wurde ori shavit vegetarisch, wenig später vegan. in-zwischen bietet sie vegane kochkurse an, berät restaurants und hältvorträge im ganzen land.

vegan ist in israel angekommen. als vor einem jahr in tel aviv ein»vegan festival« stattfand, sprachen die organisatoren von 15.000 be-suchern. auch gibt es immer mehr restaurants, die vegane menüs an-bieten. manche von ihnen stellen, wie das georgische in-lokal»nanuchka« in tel aviv, über nacht auf vegan um. die initiative «veganfriendly« hat bereits 400 lokale zertifiziert, tendenz steigend.

diese entwicklung mag dadurch begünstigt sein,dass es in israel vergleichsweise einfach ist, sichvegan zu ernähren. viel obst und gemüse gehörengenauso zur alltagsküche wie falafel, humus und ta-boulé. noch wichtiger dürfte sein, dass in der israeli-schen gesellschaft das meiden gewisser speisenschon wegen der religiös tradierten nahrungstabus– das schweinefleischverbot zum beispiel oder dietrennung von fleisch- und milchprodukten bei mahl-

fünf prozent israelis,die vegan leben.

tierrechtsdemos mit10.000 menschen.

eine armee, die ihren soldaten veganesfrühstück und lederfreie stiefel anbietet.

was ist nur los im gelobten land?

text: klaus petrusund tobias sennhauserfotos: klaus petrus

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zeiten – etwas selbstverständlicheshat. endlose diskussionen über einedogmatische »verzichtskultur«, die an-geblich mit der veganen lebensweiseeinhergeht, sind in israel, anders alshierzulande, jedenfalls kaum zu verneh-men.

»wer auf ein einzelnes themafokussiert, ist erfolgreicher«so wichtig das wachsende vegane ange-bot im alltag ist, so beiläufig sind offen-bar debatten über die gesundheitlichenaspekte der veganen ernährung unterden aktivistinnen. »die vegane bewe-gung in israel ist stark durch tierrechtemotiviert«, sagt yossi wolfson, selberschon seit jahrzehnten in der israeli-schen tierrechtsszene aktiv. die meis-ten würden vegan, weil sie amfernsehen aufnahmen aus tierfabrikenoder schlachthäusern sehen. über denerfolg von yourofskys rede – das videowurde in israel angeblich über eine mil-lion mal angeklickt – wundert sich wolf-son daher nicht. zudem passeyourofskys art gut zu den israelis. »ersagt, was er denkt und nennt die dingebeim namen.« dazu gehört auch dervergleich der massentierhaltung mitdem holocaust, den yourofsky gerneherbeizitiert und der zum beispiel in derdeutschsprachigen bewegung sehr kri-tisch gesehen wird. nicht so in israel,sagt wolfson: »hier wird, leider, allesmögliche mit dem holocaust vergli-chen.«

für wolfson ist yourofsky aber nurder auslöser für den derzeitigen vegan-hype. genauso wie die veganerin tal gil-boa, die am israelischen fernsehen einestaffel der beliebten serie »bigbrother« gewann und so mit ihren auf-fassungen über tierrechte viel medien-interesse auf sich zog. der eigentlichegrundstein, so wolfson, sei viel frühergelegt worden. so waren in israel be-reits in den 1990er jahren zahlreiche lo-kale tierrechtsgruppen aktiv, darunteranonymous, heute eine der großen or-ganisationen im land. ohne diese grass-rootsbewegung wäre der jetzige erfolgvon vereinigungen wie let the animalslive oder 269life gar nicht denkbar, istwolfson überzeugt.

dabei hat sich der fokus in den ver-gangenen jahren offenbar verschoben.zumindest in den anfängen wurde nicht

nur gegen tierausbeutung protestiert,sondern ebenso gegen die diskriminie-rung von frauen und homosexuellenoder gegen die israelische besatzungs-politik. heute beschränken sich diemeisten vereinigungen auf klassischetierrechtsarbeit, es geht um kampa-gnen gegen legebatterien, pelzfarmen,stopfleber, tierversuche, zirkusse. fürwolfson, der diese tendenz auch kritischbeobachtet, liegt darin einer der wich-tigsten gründe für den starken zu-wachs der bewegung in israel.»organisationen, die nur auf ein einzel-nes thema fokussieren, sind einfach er-folgreicher.« das sei auch bei dentierrechten so. die aktivistinnen hättenzwar unterschiedliche politische gesin-nungen und strategische vorlieben.doch das sei nebensächlich, denn esgehe ihnen allererst um die tiere. auchdeshalb, sagt wolfson, würden die orga-nisationen einander nicht vorschreiben,was zu tun ist, oder sich gar gegensei-tig bekämpfen.

hauptsache vegan?aber es gibt auch kritik an der wach-senden bewegung. der aktivist undblogger dylan powell etwa redet vom»mythos eines veganen israel«, der vonder nationalen wie internationalenszene zelebriert werde, um von proble-men abzulenken. dazu gehöre die tatsa-che, dass israel zu den ländern mit demweltweit höchsten fleischkonsum zählt.dieser sei auch mit dem veganen hypenicht zurückgegangen, sondern in man-chen bereichen sogar angestiegen. tat-sächlich verspeist nach neuestenumfragen jeder israeli inzwischen 63 ki-logramm huhn pro jahr, das sind vier ki-logramm mehr als noch vor einigenjahren. für kritiker wie powell ist der un-vermindert hohe fleischkonsum bloß einbeispiel dafür, dass die angeblich »ve-ganste bewegung der welt« letztlich in-effizient bleibt, wenn es darum geht,druck auf die tierindustrie auszuüben,die im übrigen von der regierung neta-nyahu großzügig unterstützt wird.

anlass zur diskussion gibt auch diearmee, die israel defense forces (idf).als sie unlängst verkündete, sie habefür ihre soldaten vegane optionenparat – und zwar vom barette ohnewolle bis zu den lederfreien stiefeln –,wurde das von den medien sofort auf-

gegriffen und auch in der veganen be-wegung begeistert kommentiert. an-dere waren skeptischer. aeyal gross,rechtswissenschaftler an der tel avivuniversität, warnte in der jüdischen ta-geszeitung haaretz davor, dass diearmee den veganismus zur imagepflegeinstrumentalisieren könnte. indem siesich als eine institution präsentiere, diesogar nicht-menschlichen lebewesengegenüber mitfühlend und gewaltfreisei, täusche sie über ihre rolle und ihrtun in den palästinensergebieten hin-weg.

yossi wolfson ist sich der gefahreines »vegan-washing« bewusst, wiegross dieses phänomen nennt. er siehtdas ganze aber auch pragmatisch,zumal in israel fast alle militärdienstleisten müssen, die frauen zwei, diemänner drei jahre. »wenn es immermehr menschen gibt, die vegan leben,ist es doch sinnvoll, dass auch diearmee darauf reagiert.« ori shavit da-gegen versteht den aufruhr um dieses»vegan washing« nicht: »eigentlich sindweder regierung noch armee veganfreundlich. sie mussten optionen anbie-ten, weil vegane soldaten druck mach-ten. das ist doch ein erfolg für unserebewegung. wieso also jammern? mei-netwegen kann es noch viel mehr veganwashing geben.«

die sache mit palästina:der blinde fleckwas immer man von diesem »veganwashing« halten mag: auffallend ist, wiewenig in der tierrechtsszene gegen-wärtig von israels besatzungspolitik dierede ist. das mag auch mit der vielfaltder bewegung zu tun haben. »bei unssind sowohl leute von links als auch vonrechts aktiv«, sagt wolfson. was sie zu-sammenhält, ist ihre überzeugung, dasstierausbeutung etwas verwerfliches sei– und nicht ihre haltung zu netanyahuspolitik. würde sich die bewegung poli-tisch klarer positionieren, könnte das zuinternen streitereien führen, vielleichtsogar zu einer zersplitterung. zudemwäre mit staatlicher repression zurechnen. oder wie ein aktivist an einertierrechtsdemonstration im oktober2015 in tel aviv meinte: »würden wirheute nicht nur für die tiere demons-trieren, sondern auch für die palästi-nenser, stünden hier nicht 10.000

»den kreislaufder gewaltdurchbrechen«:ahmad safivon derpalestiniananimal leagueim jordantal

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amirimisraels vegetarisches dorf

menschen und 50 polizisten, sondern100 leute und 5.000 soldaten.«

das ist, aus sicht vieler aktivistin-nen, nicht zwingend gegen die palästi-nensische bevölkerung gerichtet. dietierrechtsbewegung sei ja gerade eineglobale sache und keine nationale. dadürfe es keine rolle spielen, ob man inisrael oder in palästina lebt. worauf esankommt, sei der gemeinsame kampfgegen die tierausbeutung. »ich könnteauch mit siedlern arbeiten. ich würdeauch mit jüdischen siedlern kooperie-ren, wenn es der sache dient. den tierenist es schließlich egal, vom wem sie auf-gegessen werden«, sagt sharbel ballou-tine, ein arabischer aktivist aus haifa.von ihm stammt das erste buch überveganismus auf arabisch. und er hat imsommer 2015 eine kundgebung organi-siert, die auch im ausland zu reden gab:unter dem motto »gemeinsam für tier-rechte« marschierten über 1.000 judenund araber durch die straßen von haifa.die botschaft: geht es um tiere, kommtes nicht darauf an, ob du eine jüdin bistoder ein araber.

ungleich drastischer drückt sichgary yourofsky in einem interview mitdem israelischen magazin +972 aus:»wichtig sind allein die tiere, denn siesind die wahrlich unterdrückten, ver-sklavten und gequälten lebewesen aufdiesem planeten. im vergleich dazu istmenschliches leid ein witz.« dass füryourofsky der konflikt zwischen israelund palästina nebensächlich ist, zeigtesich auf seiner vortragstour 2013, dieihn auch an die ariel universität führte.die dezidiert zionistische hochschulemit 14.000 studierenden liegt in einerder größten siedlungen in der westbankund gilt nach völkerrecht, wie alle sied-lungen in besetzten gebieten, als illegal.darauf angesprochen, meinte yourofskybloß: »dieser dumme, kindische streitzwischen juden und palästinensern umein stück von gott verheißenes wüsten-land interessiert mich nicht.«

und dazwischen die mauernfür ahmad safi, der in der westbanklebt, sind yourofskys aussagen im bes-ten fall weltfremd. er hat 2011 die pa-lestinian animal league (pal) gegründet,die wohl einzige tierrechtsorganisationin einem besetzten gebiet. obschon safisie eigentlich gar nicht so bezeichnen

mag. »wir kämpfen generell für dierechte von lebewesen, ob nun von mann,frau, kind oder tier.« dahinter stehtseine überzeugung, dass es einen engenzusammenhang zwischen unterschiedli-chen formen der gewalt gibt: israelisgegen palästinenser, männer gegenfrauen, ältere kinder gegen jüngere –und die wieder gegen die tiere. »das istder kreislauf der gewalt. wir können ihnnur durchbrechen, wenn wir menschen-und tierrechte als eines begreifen.«

safi weiß, wovon er redet. er ist injalazon, einem flüchtlingslager bei ra-mallah, aufgewachsen, die gewalt wardort allgegenwärtig, wie er sagt. und erhat beide intifadas erlebt, musste zu-sehen, wie die aufstände und die an-schließende repression sein land erstrecht ruinierten. wie viele seiner gene-ration hat auch safi einen bruder, der inisraelischen gefängnissen saß, einencousin, der vom militär erschossenwurde und ein gedächtnis, das ihn seinleben lang an die schikanen der besat-zungsmacht erinnern wird. dass derkampf für rechte – auch derjenige fürdie rechte der tiere – den widerstandgegen die israelische besatzung mitein-schließt, steht für safi außer frage.

kommt hinzu, dass die politische si-tuation die tägliche arbeit der überhundert leute prägt, die sich bei der pa-lestinian animal league ehrenamtlichengagieren. safi nennt das beispielmassentierhaltung. weil palästina wirt-schaftlich stark von israel abhängig ist,versuche das palästinensische land-wirtschaftsministerium den selbstver-sorgungsgrad anzuheben – so auch beitierprodukten. »schon deshalb würdensie uns umbringen, würden wir jetzteine kampagne gegen legebatterienstarten. das wäre gegen palästinas

kampf für mehr autonomie.«ein weiteres problem ist die beweg-

lichkeit im eigenen land, die durch die is-raelische besatzung- undsiedlungspolitik stark beeinträchtigtwird. die palestinian animal league be-treut projekte etwa zum schutz der ar-beitstiere in der ganzen westbank, siegeht von hebron bis jenin in sommerla-ger, schulen und universitäten, um überveganismus und tierrechte zu reden.wegen der vielen kontrollen an den is-raelischen checkpoints sei das reisenaber sehr beschwerlich oder, wie seitden neuesten ausschreitungen, prak-tisch unmöglich, da einfach zu gefähr-lich. »und so müssen wir immer wiederbei null anfangen«, sagt safi. »doch wirhaben keine wahl. wir können nicht aufdas ende der besatzung warten. wirmüssen schon heute an unserer zu-kunft arbeiten, an einer gerechterenzukunft – für uns, für unsere kinder, fürunser land und für die tiere.«

undenkbar ist für safi auf diesemweg in eine bessere zukunft die zusam-menarbeit mit israelischen tierrechts-aktivistinnen. »jedenfalls, solange diebesatzung anhält. wir können nichtsagen, es geht hier nur um tiere, allesandere ist doch egal. das hieße ja: sotun, als gebe es gar keine besatzung.oder als sei sie eigentlich nicht soschlimm.« während die einen also diesache mit der besatzung schon ausstrategischen gründen nicht in ihrenkampf für tierrechte hineintragen wol-len, können die anderen dies auch zu-gunsten der tiere unmöglichausblenden. und so bleiben die mauernzwischen israel und palästina auchunter den tierrechtsaktivistinnen wei-ter bestehen.

in israel gibt es nicht bloßseit jahrzehnten eine tier-rechtsbewegung, sondernauch das weltweit wohl ersteexplizit vegetarische dorf.amirim liegt im norden deslandes und wurde 1958 vonmitgliedern eines ablegersder siebenten-tags-adven-tisten mitgegründet, das isteine protestantische freikir-che aus dem 19. jahrhundert,die großen wert auf gesun-des leben legt. heute ist dasdorf säkular, die grundwerte

aber sind geblieben. »wirmöchten unsere luft reinhal-ten«, sagt anva ohn-bar, lei-terin eines gästehauses undfrau des dorfpräsidenten.deshalb sei bbq in amirim ge-nauso verboten wie dasqualmen. stattdessen bietetes den besucherinnen aro-matherapien, shiatsu, tarot,chinesische medizin undkurse in steinhauerei. tat-sächlich lebt amirim mit sei-nen rund 800 einwohnerinnenzur hauptsache vom touris-

mus. allerdings, so ohn-bar,seien die wenigsten, die hierferien machen, vegetarischoder gar vegan. sie kommenaus anderen gründen: amirimist ein beliebter wanderort,das dorf liegt abgelegen, imgrünen und mit blick auf densee genezareth.

mit dem derzeitigen veganenhype will amirim nichts zu tunhaben. »da geht es um politik,und die spielt in unseremdorf seit jeher eine neben-

rolle.« zudem lebe in amirimohnehin nur ein kleiner pro-zentsatz der leute vegan.auch stört sich bar-ohndaran, dass teile der tier-rechtsbewegung aggressivauftreten würden. für siegehört der veganismus zurfriedensbewegung. deswe-gen ist sie auch gegen die is-raelische besatzungspolitik.und gegen religiösen extre-mismus, egal auf welcherseite.

»sie würden uns umbringen«: legebatterie in der westbank