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INTERPERSONALE PROBLEME BEI PATIENTEN MIT CHRONISCHEN SCHMERZEN 477 VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 2003, 24. JG. (4), 477 - 497 INTERPERSONALE PROBLEME BEI PATIENTEN MIT CHRONISCHEN SCHMERZEN THOMAS K. HILLECKE 1,2 , ALEXANDER F. WORMIT 2 , MICHAEL HATZENBÜHLER 3 , VERONIKA BUSCH 2 , HANS VOLKER BOLAY 1,2 , HUBERT J. BARDENHEUER 3 1 Fachhochschule Heidelberg, Fachbereich Musiktherapie 2 Deutsches Zentrum für Musiktherapieforschung (Viktor Dulger Institut) DZM e.V., Heidelberg 3 Schmerzzentrum der Klinik für Anaesthesiologie der Universität Heidelberg ZUSAMMENFASSUNG. Das Inventar Interpersonaler Probleme (IIP) wurde bei einer Stichprobe von 132 Patienten mit chronischen nichtmalignen Schmer- zen angewandt 1 . Die Ergebnisse (Skalenwerte und Profile) wurden mit einer Normpopulation und mit Stichproben verschiedener psychischer Störungen verglichen. Zusätzlich wurde der Vergleich der interpersonalen Probleme bei verschiedenen Schmerzerkrankungen durchgeführt. Es zeigten sich signifi- kante Unterschiede zur Normpopulation. Schmerzpatienten empfinden sich in höherem Maße „selbstunsicher, unterwürfig“, „ausnutzbar, nachgiebig“ sowie „fürsorglich, freundlich“ und weisen ein ähnliches Profil auf wie Patienten mit psychosomatischen Erkrankungen. Zusätzlich wurde deutlich, dass der Ge- samtwert des IIP nicht ausreicht um die interpersonalen Probleme von Schmerzpatienten zu untersuchen. SCHLÜSSELWÖRTER: Interpersonale Probleme, IIP, Chronische Schmerzen, Psychosoziale Probleme INTERPERSONAL PROBLEMS OF CHRONIC PAIN PATIENTS SUMMARY. Data on specific interpersonal characteristics of 132 chronic pain patients were obtained by the use of the German version of the “Inven- tory of Interpersonal Problems” (IIP). Scores and profiles were compared to norm population, and to samples of patients with various psychological disor-

INTERPERSONALE PROBLEME BEI PATIENTEN MIT

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Page 1: INTERPERSONALE PROBLEME BEI PATIENTEN MIT

INTERPERSONALE PROBLEME BEI PATIENTEN MIT CHRONISCHEN SCHMERZEN 477

VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN2003, 24. JG. (4), 477 - 497

INTERPERSONALE PROBLEME BEI PATIENTEN MITCHRONISCHEN SCHMERZEN

THOMAS K. HILLECKE1,2, ALEXANDER F. WORMIT2,MICHAEL HATZENBÜHLER3, VERONIKA BUSCH2,

HANS VOLKER BOLAY1,2, HUBERT J. BARDENHEUER3

1Fachhochschule Heidelberg, Fachbereich Musiktherapie2Deutsches Zentrum für Musiktherapieforschung

(Viktor Dulger Institut) DZM e.V., Heidelberg3Schmerzzentrum der Klinik für Anaesthesiologie

der Universität Heidelberg

ZUSAMMENFASSUNG. Das Inventar Interpersonaler Probleme (IIP) wurde beieiner Stichprobe von 132 Patienten mit chronischen nichtmalignen Schmer-zen angewandt1. Die Ergebnisse (Skalenwerte und Profile) wurden mit einerNormpopulation und mit Stichproben verschiedener psychischer Störungenverglichen. Zusätzlich wurde der Vergleich der interpersonalen Probleme beiverschiedenen Schmerzerkrankungen durchgeführt. Es zeigten sich signifi-kante Unterschiede zur Normpopulation. Schmerzpatienten empfinden sich inhöherem Maße „selbstunsicher, unterwürfig“, „ausnutzbar, nachgiebig“ sowie„fürsorglich, freundlich“ und weisen ein ähnliches Profil auf wie Patienten mitpsychosomatischen Erkrankungen. Zusätzlich wurde deutlich, dass der Ge-samtwert des IIP nicht ausreicht um die interpersonalen Probleme vonSchmerzpatienten zu untersuchen.

SCHLÜSSELWÖRTER: Interpersonale Probleme, IIP, Chronische Schmerzen,Psychosoziale Probleme

INTERPERSONAL PROBLEMS OF CHRONIC PAIN PATIENTS

SUMMARY. Data on specific interpersonal characteristics of 132 chronicpain patients were obtained by the use of the German version of the “Inven-tory of Interpersonal Problems” (IIP). Scores and profiles were compared tonorm population, and to samples of patients with various psychological disor-

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ders. In addition, different pain diagnoses were compared. The results indi-cate distinct differences between pain patients and the German IIP-normpopulation. The patients consider themselves as more ‘nonassertive’, ‘exploit-able’ than the norm and ‘overly nurturant’, and provide similar profiles com-pared to patients suffering form psychosomatic diseases. In addition, theglobal IIP-scale is not sufficient to explore the interpersonal problems ofchronic pain patients.

KEY WORDS: Interpersonal problems, IIP, chronic pain, psychosocial prob-lems

EINLEITUNG

Neben den psychologischen Fak-toren, die an chronischen Schmerzenbeteiligt sind, rücken zunehmend diepsychosozialen und sozialen Fakto-ren ins Interesse von Forschern undTherapeuten. Zusätzlich zu den Fa-milien von Patienten mit chronischenSchmerzen wurden die Auswirkun-gen von chronischen Schmerzen aufdie berufliche Situation des Patien-ten, die Bedeutung sozialer Stütz-systeme, die Verwobenheit desSchmerzproblems mit dem Gesund-heitssystem sowie kulturelle Aspekteuntersucht (Turk, Flor & Rudy, 1987;Greifeld, Kohnen & Schröder, 1989;Flor & Fydrich, 1996; Roy, 2001). Inder Verhaltenstherapie wird die Kon-trolle von Schmerzverhalten durchexterne Reize sowie der Einfluss derindividuellen Lerngeschichte ange-nommen (Turk et al., 1987; Flor,1996). Die Konzepte des operantenund klassischen Konditionierens, dasModelllernen sowie die kognitivePerspektive spielen dabei eine wich-tige Rolle. In psychoanalytischenModellen sind in der Interaktion mitder sozialen Umwelt erworbene inne-re Konflikte sowie eine durch feind-

selige Beziehungen gekennzeichneteFamiliengeschichte hinsichtlich ihrerRolle in der Schmerzgenese vielfachdiskutierte interpersonale Aspekte(Engel, 1959; Hoffmann & Egle,1996). Bei der Behandlung von Pati-enten mit unterschiedlichenSchmerzdiagnosen kommt es invielen Fällen zu Problemen in dertherapeutischen Beziehung, die dannnicht selten auf charakteristischeEigenschaften bzw. Probleme derSchmerzpatienten zurückgeführtwerden. Aus diesem Grund ist dieFrage nach spezifischen interperso-nalen Problemen von Schmerzpati-enten auch im Behandlungszusam-menhang relevant. Es wundert da-her, dass die Frage, ob Schmerzpa-tienten andere interpersonale Cha-rakteristika aufweisen als die Norm-population, bisher empirisch unge-klärt ist.

Das „Inventar zur Erfassung In-terpersonaler Probleme“ (IIP) stellt indiesem Zusammenhang ein Instru-ment mit guten Messeigenschaftendar (Horowitz, Strauß & Kordy, 1994,2000), das bei Patienten mit chroni-schen nichtmalignen Schmerzenbislang nicht im Rahmen einer sys-tematischen Studie eingesetzt wur-

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INTERPERSONALE PROBLEME BEI PATIENTEN MIT CHRONISCHEN SCHMERZEN 479

de. Die Studie untersucht, ob das IIPdabei helfen kann, die interpersona-len Charakteristika von Schmerzpati-enten zu erfassen und besser zuverstehen.

DAS CIRCUMPLEXMODELL DERINTERPERSONALEN

BEZIEHUNGEN UND DASINVENTAR ZUR ERFASSUNG

INTERPERSONALER PROBLEME

Das Circumplexmodell der inter-personalen Probleme baut auf derinterpersonalen Theorie (Sullivan,1953; Leary, 1957) auf. Demnachbeziehen sich interpersonale Pro-bleme auf Schwierigkeiten, die Indi-viduen in der Beziehung zu anderenbeschreiben und mit ausgeprägtemStresserleben verbunden sind. DasTeam von Horowitz (1979, Horowitz,Rosenberg, Baer, Ureno & Villa-senor, 1988; Horowitz & Vitkus,1986) sammelte diese Art vonSchwierigkeiten systematisch imRahmen von Aufnahmeinterviewsund isolierte daraus jene mit explizitinterpersonalem Inhalt. Häufig wur-den diese interpersonalen Schwie-rigkeiten in folgender Form ausge-drückt, die auch in der Art der Frage-stellung des IIP Eingang gefundenhat: „Es fällt mir schwer ...!“ (z. B. Esfällt mir schwer, anderen Menschenzu vertrauen!) oder „Ich tue ... imÜbermaß! (z. B. Ich streite mich zu-viel mit anderen!)“. Aus ihren Analy-sen entwickelte das Team die 127-Item Form des IIP. Eine Faktoren-analyse dieser Items ergab die zweiHauptdimensionen „Liebe“ und „Do-

minanz“, die auch von anderen Auto-ren zur Analyse von interpersonalemVerhalten benutzt wurden (Gurtman,1992a).

• Dimension 1: Dominanz, Status,Kontrolle (bzw. „dominant“ ver-sus „submissive“)

• Dimension 2: Liebe, Wärme,Verbundenheit (bzw. „friendly“versus „hostile“)

Es konnte dabei gezeigt werden,dass sich interpersonale Verhaltens-weisen und Probleme in einem zwei-dimensionalen semantischen Raumbewegen, dessen Hauptdimensionenbipolar und nicht miteinander korre-liert sind. Allerdings laden bestimmteItems zwischen den beiden bipolarenHauptdimensionen, so dass es mög-lich ist, eine weitere Differenzierungder IIP-Skalen durch Zugrundelegeneines Kreismodells / Circumplexmo-dells zu erzeugen. Die zusätzlichenebenfalls bipolaren Dimensionen (zustreitsüchtig / konkurrierend versuszu ausnutzbar / nachgiebig und zuexpressiv / aufdringlich versus zuintrovertiert / sozial vermeidend)stehen jeweils in Zusammenhang mitden beiden unkorrelierten Hauptdi-mensionen. Demnach ergeben dieacht Skalen des IIP (sog. Oktanden:4 Dimensionen mit jeweils 2 Polen)den interpersonalen Kreis (Gurtman,1991; Gurtman, 1992b). Gegenüber-liegende Skalen (180°) korrelierenhoch negativ (Gegenpole) und Ska-len, die in einem Winkel von 90° bzw.270° angeordnet sind, korrelierennicht. Nebeneinander liegende Ska-len korrelieren leicht (Abb. 1).

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Abbildung 1: Das Circumplexmodell und die Skalen des IIP

Das Circumplexmodell baut zu-sätzlich auf der Annahme der Rezi-prozität oder Komplementarität inter-personalen Verhaltens auf und impli-ziert, „dass bestimmte Arten vonAktionen bei anderen Personen be-stimmte Arten von Reaktionen pro-vozieren“ (Horowitz et al., 1994,2000). Demnach provoziert domi-nantes Verhalten einer Person sub-missive Reaktionen bei Kommunika-tionspartnern usw.

Aus den 127 IIP-Items wurden inweiteren Analyseschritten 64 Itemsisoliert (Kurzfassung). Dabei umfasstjede der acht Skalen jeweils 8 Items.Das IIP wurde 1987 von Strauß undKordy ins Deutsche übersetzt und

anhand deutscher Stichproben ana-lysiert (Horowitz et al., 1994, 2000).

GÜTEKRITERIEN DER DEUTSCHENIIP-VERSION

Die Skalen der deutschen IIP-Version mit 64 Items weisen eineinterne Konsistenz (Cronbach Alpha)von .71 bis .82 auf (Kordy, Hannöver,Strauß & Horowitz, 2000).

• PA: zu autokratisch / dominantAlpha = ,79

• BC: zu streitsüchtig / konkurrie-rendAlpha = ,74

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INTERPERSONALE PROBLEME BEI PATIENTEN MIT CHRONISCHEN SCHMERZEN 481

• DE: zu abweisend / kaltAlpha = ,81

• FG: zu introvertiert / sozial ver-meidendAlpha = ,82

• HI: zu selbstunsicher / unterwür-figAlpha = ,82

• JK: zu ausnutzbar / nachgiebigAlpha = ,76

• LM: zu fürsorglich / freundlichAlpha = ,72

• NO: zu expressiv / aufdringlichAlpha = ,71

Zur Retestreliabilität liegen imTestmanual (Horowitz et al., 1994,2000) keine Daten vor. Es wird aberdavon ausgegangen, dass es sichum relativ zeitstabile (Persönlich-keits-) Dimensionen handelt, wasauch die Veränderungssensitivitätund somit den Einsatz des Instru-ments zur Verlaufsmessung in klini-schen Studien begrenzt.

Zur Validität des IIP liegen um-fangreiche Untersuchungen vor.Einerseits kann von faktorieller Vali-dität ausgegangen werden, weil dasInstrument durch faktorenanalytischeVerfahren erzeugt und seine Strukturrepliziert wurde. In Bezug auf dieKriteriumsvalidität konnte u. a. ge-zeigt werden, dass der IIP-Gesamt-wert in Zusammenhang mit demSCL-90-R ein guter Prädiktor für dievorzeitige Beendigung einer psy-chotherapeutischen Behandlung ist.Insgesamt zeigte sich in verschiede-nen Untersuchungen, dass interper-sonale Probleme prognostisch fürdas Behandlungsergebnis bedeut-sam sind. Besonders Probleme mitfeindseliger Dominanz waren mit

einem negativen Behandlungsergeb-nis assoziiert.

Weiterhin zeigten sich deutlicheZusammenhänge von IIP-Skalen mitPersönlichkeitsfaktoren. Sie könnenz. B. als Teilmenge des „Big Five“-Modells (McCrea & Costa, 1989)verstanden werden. Dabei korreliertdie bipolare Dimension „zu introver-tiert / sozial vermeidend“ versus „zuexpressiv / aufdringlich“ deutlich mitdem Extraversionsfaktor und dieDimension „zu fürsorglich / freund-lich“ versus „zu abweisend / kalt“ mitdem Persönlichkeitsfaktor Liebens-würdigkeit.

Auch konnten Zusammenhängemit anderen klinischen Fragebögenwie dem INTREX-Fragbogen nachdem Modell der Structural Analysisof Social Behavior (SASB) undden Skalen der SCL-90-R gefun-den werden (Horowitz et al., 1994,2000).

Für das IIP sind deutsche Nor-men bzw. Referenzstichproben miteiner Stichprobengröße von N =3046 etabliert (Horowitz et al., 2000),die an einer bevölkerungsrepräsen-tativen Stichprobe mit 1347 Männernund 1699 Frauen erhoben wurden(Kordy et al., 2000). Die Normwertedes IIP liegen als Stanine-Werte(„Standard-Neun“) vor. Die Kategorie1 repräsentiert dabei die niedrigenAusprägungen und die Kategorie 9die hohen, die Mitte der Verteilungentspricht dem Wert 5. Stanine-Werte sind analog zu Prozenträngenoder z-Verteilungen an der Normal-verteilung orientiert. Das Testmanualbeinhaltet Stanine-Normwerte für 8Altersgruppen (< 18 bis > 74 Jahre)nach Geschlechtern getrennt.

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AUSWERTUNG DES IIP

Im Manual des Inventars sindzwei Auswertungsmöglichkeiten an-gegeben. Einerseits können dieSkalen als sogenannte unipsatierteWerte analysiert werden. Dies ent-spricht der üblichen Auswertung vonTests und psychologischen Frage-bögen. Dabei werden die Werte derEinzelitems zu Skalenwerten addiert.Das Ergebnis repräsentiert die Stär-ke der interpersonalen Probleme aufden einzelnen Skalen. Aus denunipsatierten Skalen kann durchAddition ein Gesamtwert der inter-personalen Probleme errechnet wer-den.

Andererseits können sogenannteipsatierte Skalenwerte erstellt wer-den, indem der durch die Anzahl derSkalen dividierte IIP-Gesamtwert vonden einzelnen Skalen subtrahiertwird (IPS-SKALA = Skala – IIP-Gesamtwert). Das Ergebnis reprä-sentiert die relative Ausprägung aufden Einzelskalen der interpersonalenProbleme in Bezug zum Gesamtwert.Es entstehen also „individuelle Stan-dardscores“, die durch die Höhe desGesamtwertes eines Probandenrelativiert werden. Damit wird derFaktor „allgemeine Klagsamkeit“, dersich in der Höhe der absoluten Werteauf den unipsatierten Skalen nieder-schlägt, herausgefiltert. Bei dieserForm der Skalenerzeugung wirddavon abgesehen, dass ein Proband,der insgesamt mehr klagt, auch hö-here Werte auf den Skalen erhält.Vielmehr steht die relative Ausprä-gung der Skalen bei einzelnen Pro-banden - also das Verhältnis dereinzelnen Skalen zueinander - im

Mittelpunkt des Interesses. DieTechnik der Ipsatierung erlaubt da-her keine Angabe eines ipsatiertenGesamtwertes, weil sich in derSumme der ipsatierten Werte proProband immer der Wert 0 ergibt.

FRAGESTELLUNG

Untersuchungen von Horowitz etal. (Horowitz et al., 1994, 2000) ha-ben gezeigt, dass für die Diagnose-gruppen „Psychosen“, „Neurosen“,„Persönlichkeitsstörungen“, „Abhän-gigkeitserkrankungen“, „Essstörun-gen“ und „Psychosomatische Er-krankungen“ unterschiedliche undvon der Norm abweichende Profileauftreten. In der vorliegenden Studiesoll die Frage untersucht werden, obsich auch Schmerzpatienten in ihreninterpersonalen Problemen signifi-kant von der Normpopulation unter-scheiden. Dabei wurde von folgen-den operationalen Forschungsfragenausgegangen:

1. Unterscheiden sich Patienten mitchronischen nichtmalignenSchmerzen auf den Skalen desIIP signifikant von der Bevölke-rungsnorm?

2. Ähnelt das Profil der Patientenmit chronischen nichtmalignenSchmerzen einer der anderenKrankheitsgruppen, die im Test-manual dargestellt sind?

3. Weisen Patienten mit verschie-denen Schmerzstörungen unter-schiedliche Ausprägungen aufden Skalen des IIP auf?

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BESCHREIBUNG DERSTICHPROBE

Das IIP wurde an alle ambulantneu aufgenommenen Patienten mitchronischen nichtmalignen Schmer-zen im Schmerzzentrum der Klinikfür Anaesthesiologie der UniversitätHeidelberg erhoben (n = 132). DieStichprobe ist demnach für neu auf-genommene Patienten desSchmerzzentrums repräsentativ. Dasmittlere Alter der 43 männlichen und89 weiblichen Patienten lag bei 51Jahren (sd = 15). Patienten mit pri-mär malignen Schmerzen wurdenausgeschlossen.

Es wurden insgesamt 189Schmerzdiagnosen bei 132 Patien-ten vergeben. Rücken- (n = 74; 39%) und Kopfschmerzdiagnosen (n =36; 19 %) traten am häufigsten auf,gefolgt von neuropathischenSchmerzen (n = 31; 16 %), Gelenk-und Muskelschmerzen (n = 19; 10%) sowie Gesichtsschmerzen (n =13; 7 %). Zusätzlich wurden die Dia-gnosen Nervenverletzungen (n = 7; 4%), Thalamusschmerzen (n = 4; 2%), Komplexes RegionalesSchmerzsyndrom CRPS (n = 2; 1 %)sowie jeweils einmal die DiagnoseDurchblutungsschmerz, chronischePankreatitis und Tumorschmerz (je-weils 0,5 %) vergeben.

Die aktuelle Schmerzstärke derPatientengruppe, ermittelt über einevisuelle Analogskala (VAS, 0- 100%), lag bei 53 % ± 28 und dieSchmerzen „in den letzen vier Tageneinschließlich heute“ bei 64 % ± 25.

METHODEN

Die bei Patienten mit nichtmalig-nen Schmerzen erhobenen Datenwurden mittels t-Tests mit denunipsatierten und ipsatierten deut-schen Normen verglichen, dabeiwurden t-Tests gegen einen Testwertberechnet, weil Normwerte keineStreuung besitzen2.

Das Erzeugen von Stani-ne(Norm)-Werten erfolgte pro Alters-gruppe und Geschlecht nach z-Transformation über die Formel nachLienert & Raatz (1994) „Stanine = 5+ 1,96z“ und nicht direkt über dieStanine-Tabellen des Manuals. DieStanine(Norm)-Werte berücksichti-gen die Alters- und Geschlechtsver-teilung der Normierungsstichprobeund wurden beim Vergleich ver-schiedener Schmerzerkrankungensowie beim Vergleich mit der Norm(s. u.) genutzt. Dieses Vorgehen hatden Vorteil, dass keine Klassen(Stanine 1 bis 9) entstehen, sonderneine Werteverteilung ähnlich einer z-Verteilung erreicht wird. Diese Zu-ordnungsmethode kann zu geringfü-gigen Abweichungen gegenüber denStanine-Werten des Manuals führen,da Stanine-Werte auf Prozentwertenbasieren. Relevante Verzerrungensind aber bei der umfangreichenNormstichprobe von 3046 Fällennicht anzunehmen. Ein Vergleich dererzeugten Werte mit den Manualan-gaben ist daher zulässig.

Der Vergleich der Daten vonSchmerzpatienten mit verschiedenenpsychischen Störungen sowie vonverschiedenen Schmerzsyndromenwurde mittels Tests zur Profilähnlich-keit durchgeführt. Dabei kam der

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Korrelationskoeffizient rp nach Cat-tell, der die beiden GesichtspunkteProfilhöhe und Verlaufsgestalt vonTestprofilen berücksichtigt, zum Ein-satz (Lienert & Raatz, 1994). Der rpnach Cattell ist eine Weiterentwick-lung der Idee, Profilähnlichkeitendurch Korrelationsberechnungen undKennwerte darzustellen. EinfacheKorrelationen haben dabei denNachteil, dass sie die Höhe des Pro-fils nicht einbeziehen. Der Cattell-sche Korrelationskoeffizient führtdazu, dass einfach zu interpretieren-de Werte der Profilähnlichkeit zwi-schen –1 (Profilunterschied sehr

groß; gegenläufig) und +1 (identi-sche Profile) entstehen.

ERGEBNISSE

VERGLEICH MIT DER NORM

Der IIP-Gesamtwert derSchmerzpatienten (1,25 ± 0,5) zeigtkeinen signifikanten Unterschied zurNormpopulation (1,28). Die unipsa-tierten Einzelskalen der Schmerzpa-tienten sind mit Ausnahme der SkalaFG „zu introvertiert / sozial vermei-dend“ signifikant von der Norm ver-schieden (Abb. 2).

00.5

11.5

2PA

NO

LM

JK

HI

FG

DE

BC

SchmerzNorm

Skala PA zuautokratisch /

dominant

NO zuexpressiv /aufdringlich

LM zufürsorglich /freundlich

JK zuausnutzbar /nachgiebig

HI zu selbst-unsicher /

unterwürfig

FG zuintrovertiert /

sozialvermeidend

DE zuabweisend /

kalt

BC zustreitsüchtig /konkurrierend

Mittelwertund sd

0,8 ± 0,5 1,0 ± 0,5 1,7 ± 0,6 1,7 ± 0,7 1,6 ± 0,8 1,3 ± 0,8 1,0 ± 0,7 1,0 ± 0,6

Normwert 1,1 1,2 1,5 1,5 1,4 1,3 1,2 1,1t-Wert -6,75 -4,40 2,65 3,69 2,30 ,59 -3,80 -2,22p ,000 ,000 ,009 ,000 ,023 ,555 ,000 ,028Legende: In der Graphik sind die Mittelwerte der Norm und der Schmerzpatienten auf den einzel-nen Skalen angegeben. Die Tabelle zeigt die Mittelwerte und Standardabweichungen derSchmerzpatienten sowie die t-Werte und p-Werte des t-Tests (gegen einen Testwert).

Abbildung 2: Circumplexmodell - Unipsatierte Skalenwerte versus Norm

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INTERPERSONALE PROBLEME BEI PATIENTEN MIT CHRONISCHEN SCHMERZEN 485

Abbildung 2 zeigt die Verschie-bung der interpersonalen Problemevon Schmerzpatienten in Richtung„zu ausnutzbar / nachgiebig“ (JK;315°) mit Hilfe des Circumplexmo-dells. Auf den Hauptdimensionen(„dominant vs. submissive“ und „fri-endly vs. hostile“) wird deutlich, dasssich Schmerzpatienten häufiger zufreundlich und zu unterlegen ein-schätzen.

Die Unterschiede zur Norm unddie Verschiebung der Skalenwertetreten durch das Herausfiltern der„Allgemeinen Klagsamkeit“ mittels

Ipsatierung (s. o.) noch deutlicherhervor, so dass signifikante bishochsignifikante Abweichungen vonder Norm beobachtet werden kön-nen. Lediglich die Skala FG ist nichtsignifikant verschieden (Abb. 3).

Die beobachteten Unterschiedekönnten durch Geschlecht und Alterder Patienten beeinflusst werden.Aus diesem Grund wurden zusätzli-che Analysen durchgeführt, die denEinfluss dieser Variablen abklären.Nach Korrelation (Pearson) derunipsatierten IIP-Skalen mit demAlter ergeben sich Werte zwischen

-6-4-2024iPA

iNO

iLM

iJK

iHI

iFG

iDE

iBC

SchmerzNorm

Skala PA zuautokratisch /

dominant

NO zuexpressiv /aufdringlich

LM zufürsorglich /freundlich

JK zuausnutzbar /nachgiebig

HI zu selbst-unsicher /

unterwürfig

FG zuintrovertiert /

sozialvermeidend

DE zuabweisend /

kalt

BC zustreitsüchtig /konkurrierend

Mittelwertund sd

-3,7 ± 3,4 -1,8 ± 3,5 3,4 ± 3,0 3,4 ± 3,9 2,8 ± 4,0 0,4 ± 4,0 -2,1 ± 3,8 -2,3 ± 3,6

Normwert -1,5 -0,5 2,0 1,3 1,2 -0,2 -0,7 -1,6t-Wert -7,40 -4,45 5,35 6,13 4,64 1,73 -4,22 -2,18p ,000 ,000 ,000 ,000 ,000 ,085 ,000 ,031Legende: In der Graphik sind die Mittelwerte der Norm und der Schmerzpatienten angegeben.Die Tabelle zeigt Mittelwerte und Standardabweichungen der Schmerzpatienten, Normwerte desManuals sowie die t-Werte und p-Werte.

Abbildung 3: Circumplexmodell - Ipsatierte Skalenwerte versus Norm

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r = -,10 und r = -,22 für die Einzel-skalen, wobei auf den Skalen BC, HI,NO und PA ein signifikantes Ergeb-nis zu verzeichnen ist. Für den Ge-samtwert ergibt sich ein signifikanterZusammenhang von r = -,23. Bei denipsatierten Skalen ergeben sich nurnicht-signifikante Korrelationen zwi-schen r = ,02 und r = ,10.

Um den Einfluss der VariablenAlter und Geschlecht herauszufiltern,wurden die Stanine-Werte für dieSchmerzpatienten herangezogen(siehe Gütekriterien). Die Mittelwertedieser Analyse wurde dann mit demNormwert (Mittelwert der Stanine-Verteilung der Normgruppe) vergli-chen (Tabelle 1).

Die Ergebnisse der Analyse aufder Basis von Stanine-Werten, wobeiAlter und Geschlecht berücksichtigtwerden, zeigen, dass Alter und Ge-schlecht der Schmerzpatienten nur

einen geringen Einfluss auf das Ge-samtergebnis haben, so dass diegefundenen signifikanten Unter-schiede zur Norm im Wesentlichenerhalten bleiben. Auf eine Umrech-nung in Stanine-Werte wurde bei denipsatierten Werten verzichtet, weildas Manual in diesem Fall keineplausiblen Werte enthält.Obwohl eine Einteilung chronischerSchmerzen in die Kategorien psy-cho- oder somatogen heute nichtmehr dem wissenschaftlichen Stan-dard entspricht, wird im klinischenZusammenhang immer noch häufigangenommen, dass interpersonaleProbleme zwischen Patient und The-rapeut hauptsächlich bei psychoge-nen Schmerzen vorkommen. Häufigwird sogar geschlossen, dass je pro-blematischer der Patient im Kontaktist, desto eher liegt eine psychogeneStörung vor (Adler et al., 2000). Aus

Tabelle 1: Alters- und geschlechtsbezogene Stanine-Werte: Schmerzpatien-ten (n = 132) versus Norm

Skala PA zuautokratisch /

dominant

NO zuexpressiv /aufdringlich

LM zufürsorglich /freundlich

JK zuausnutzbar /nachgiebig

HI zu selbst-unsicher /

unterwürfig

FG zuintrovertiert /

sozialvermeidend

DE zuabweisend /

kalt

BC zustreitsüchtig /konkurrierend

Mittelwert ±sd 4,1 ± 1,6 4,4 ± 1,7 5,4 ± 2,0 5,6 ± 2,1 5,3 ± 2,1 5,0 ± 2,1 4,4 ± 1,9 4,7 ± 2,0

t-Wert -6,29 -4,07 2,18 3,33 1,82 0,22 -3,84 -1,66

p-Wert ,000 ,000 ,031 ,001 ,071 ,827 ,000 ,100

% Patienten< Normwert 73% 60% 44% 39% 43% 55 68% 62%

% Patienten= Normwert 0 % 1,5% 0% 0% 1% 0% 0% 0%

% Patienten> Normwert 27% 39% 56% 61% 56% 45 32% 38%

Legende: Die Tabelle zeigt Mittelwerte und Standardabweichungen der Schmerzpatienten unddie t-Werte und p-Werte des Vergleiches mit der Norm (mittlerer Staninewert = 5) sowie denProzentsatz der Patienten, die positiv oder negativ von der Norm abweichen.

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INTERPERSONALE PROBLEME BEI PATIENTEN MIT CHRONISCHEN SCHMERZEN 487

3

4

5

6

7PA

NO

LM

JK

HI

FG

DE

BC

organisch n=19

organisch-psychisch n=65

psychisch n=23

Schmerzpatienten allgemein n=132

Norm n= 3047

rp Norm Schmerz-patienten

Psycho-somatische

Erkrankungen

Abhängigkeits-erkrankungen

Gruppe: Eher organisch ,60 ,73 ,47 ,43

Gruppe: Organisch und psychisch ,90 ,98 ,91 ,91

Gruppe: Eher psychisch ,69 ,90 ,88 ,80

Legende: Die Graphik zeigt die Circumplex-Profile basierend auf den Stanine-Skalenwerten derverschiedenen Schmerzerkrankungen. Die Tabelle zeigt die Profil-Korrelationskoeffizienten rp

nach Cattell, 1949.

Abbildung 4: Circumplexmodell - Stanine-Skalenwerte für die Variable „orga-nisch-psychisch“

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diesem Grund wurde zusätzlich ex-plorativ untersucht, ob die Abwei-chung der Skalenwerte im interper-sonalen Bereich im Wesentlichendurch die Schmerzen mit angenom-mener psychischer Genese entsteht.Zur Überprüfung wurde ein Item her-angezogen, mit dem die behandeln-den Ärzte den Ursprung der Schmer-zen ihrer Patienten einschätzensollten. Dieses Item unterscheidetvon -3 bis +3 „eher organisch“ von„eher psychisch bedingten“ Schmer-zen. Aus den Angaben für 107 Pati-enten wurden drei Kategorien gebil-det: eher organisch (-3 bis -2, n =19); organisch und psychisch (-1 bis1, n = 65 ); eher psychisch (2 bis 3, n= 23). Abbildung 4 zeigt die Profileund Profilkorrelationen.

Die drei Gruppen zeigen ein un-terschiedliches Profil. Dabei weist dieGruppe mit den Charakteristika „or-ganisch und psychisch“ ein identi-sches Profil auf wie die Gesamtgrup-pe der Schmerzpatienten (rp = ,98).Sie macht prozentual den größtenAnteil der Patienten aus. Bei derGruppe „psychisch“ zeigen sichdeutlich höhere Ausschläge auf denSkalen FG, HI und JK. Dagegenerhalten die Patienten der Gruppe„eher organisch“ auf allen Skalenerniedrigte Werte. Die Annahme,dass es die Patienten mit primärpsychisch bedingten Schmerzen sind(„eher psychisch“), die das IIP-Profilerzeugen, kann allerdings verworfenwerden. Die vorliegenden Datenbesagen, dass interpersonale Pro-bleme nicht nur bei Patienten miteiner angenommenen psychogenenSchmerzstörung vorliegen, sondernbeim größten Teil der Patienten („or-

ganisch und psychisch“). Die Validi-tät der Angaben, die ja nur auf einemItem beruhen, ist allerdings begrenzt.Eine detailliertere psychologischeDiagnostik bei einer weiteren Ana-lyse dieser Fragestellung ist indi-ziert.

VERGLEICHE MIT PATIENTEN MITPSYCHISCHEN STÖRUNGEN

Zum Vergleich mit anderen psy-chischen Störungen wurde auf Mit-telwert-Angaben im Test-Manual zu-rückgegriffen, die als Skalen-Roh-werte vorliegen (unipsatierte Werteentstehen, wenn man die Rohwertedurch die Anzahl der Items dividiert).Der direkte Skalenvergleich mit denStichproben, auf denen die im Ma-nual angegebenen Werte beruhen,war leider nicht möglich, es bietensich daher Profilkorrelationen alsAuswertungsstrategie an.

Der Vergleich mit psychischenErkrankungen zeigt, dass Schmerz-patienten ein ähnliches Profil inter-personaler Probleme wie Patientenmit „psychosomatischen Erkrankun-gen“ (rp = 0,90) und „Abhängigkeits-erkrankungen“ (rp = 0,86) aufweisen(Horowitz et al., 1994, 2000).

Auf den Skalen „zu ausnutzbar /nachgiebig“ (JK) und „zu fürsorglich /freundlich“ (LM) erhielten dieSchmerzpatienten nahezu dieselbenSkalenwerte wie Patienten mit Ab-hängigkeitserkrankungen. Auf denSkalen „zu fürsorglich / freundlich“(LM) und „zu streitsüchtig / konkurrie-rend“ (BC) zeigten sich fast identi-sche Werte wie bei psychosomatischErkrankten.

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INTERPERSONALE PROBLEME BEI PATIENTEN MIT CHRONISCHEN SCHMERZEN 489

456789

10111213141516

PA

NO

LM

JK

HI

FG

DE

BC

AbhängigkeitserkrankungenPsychosomatische ErkrankungenChronische SchmerzenNorm

Störungs-gruppen

PA zuautokratisch /

dominant

NO zuexpressiv /aufdringlich

LM zufürsorglich /freundlich

JK zuausnutzbar /nachgiebig

HI zu selbst-unsicher /

unterwürfig

FG zuintrovertiert /

sozialvermeidend

DE zuabweisend /

kalt

BC zustreitsüchtig /konkurrierend

Psycho-somatischeErkrankun-gen; n= 111

6,64 9,44 13,68 14,24 14,88 12,72 8,88 7,92

ChronischeSchmerzen;n= 132

6,33 8,19 13,37 13,40 12,82 10,40 7,88 7,92

Norm;n= 3046 8,80 9,84 12,24 11,60 11,52 10,08 9,60 8,64

rp Psychosen Neurosen Persönlich-keitsstörungen

Abhängig-keitsstörungen

EssstörungenPsycho-

somatischeErkrankungen

chronischeSchmerzen

Norm 0,23 0,27 0,01 0,83 0,11 0,76 0,85

ChronischeSchmerzen 0,22 0,31 -0,05 0,86 0,13 0,90

Legende: Die Graphik zeigt die Circumplex-Profile basierend auf den Mittelwerten der verschie-denen Störungen. Die Tabellen zeigen die unipsatierten Skalenwerte entsprechend der Auswer-tung nach der ersten Auflage des IIP (Die neuen unipsatierten Werte erhält man mittels Divisiondurch die Anzahl der Items = 8.) und den Profil-Korrelationskoeffizienten rp nach Cattell, 1949.

Abbildung 5: Circumplexmodell - Unipsatierte Skalenwerte verschiedenerStörungen

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VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 24/4 (2003)490

Insgesamt weisen die IIP-Profileder Schmerzpatienten die größteProfilkorrelation mit den psychoso-matisch erkrankten Patienten auf. Sowerden in beiden Krankheitsentitäten(chronischer Schmerz und psycho-somatisch) geringere Skalenwertegegenüber der Norm auf den Skalen„zu autokratisch / dominant“ (PA), „zustreitsüchtig / konkurrierend“ (BC)und „zu abweisend / kalt“ (DE) er-reicht. Auf den Skalen „zu selbstun-sicher / unterwürfig“ (HI), „zu aus-nutzbar / nachgiebig“ (JK) und „zu

fürsorglich / freundlich“ (LM) wird dieNorm übertroffen.

VERGLEICHE VERSCHIEDENERSCHMERZERKRANKUNGEN

Wegen der geringen Patienten-zahl erlaubt der Datensatz nur eineeingeschränkte Aussage über dieIIP-Profile verschiedener Schmerzer-krankungen. Patienten mit mehrerenSchmerzdiagnosen wurden ausge-schlossen, was den Stichprobenum-

Tabelle 2: Stanine-Skalenwerte verschiedener Schmerzerkrankungen

Diagnose-gruppen

PA zuautokratisch /

dominant

NO zuexpressiv /aufdringlich

LM zufürsorglich /freundlich

JK zuausnutzbar /nachgiebig

HI zu selbst-unsicher /

unterwürfig

FG zuintrovertiert /

sozialvermeidend

DE zuabweisend /

kalt

BC zustreitsüchtig /konkurrierend

Kopf-schmerzenn= 11

4,57 4,48 5,67 6,09 6,29 5,58 4,47 4,73

Rücken-schmerzenn= 47

4,01 4,32 5,10 5,47 5,31 4,79 4,50 4,88

Neuro-pathischeSchmerzenn= 25

3,74 4,29 5,73 5,70 5,11 4,72 3,80 4,25

Gelenk- /Muskel-schmerzenn= 19

4,30 4,35 4,97 5,32 4,43 4,83 4,22 4,39

Schmerz-patientenallgemeinn=132

4,31 4,39 5,37 5,61 5,34 5,04 4,36 4,71

Normn= 3046 5 5 5 5 5 5 5 5

rp Kopfschmerzen Rückenschmerzen NeuropathischeSchmerzen

Gelenk-Muskel-schmerzen

Norm ,74 ,87 ,70 ,85

Legende: Die Tabelle zeigt die Mittelwerte der Stanine-Skalenwerte und den Profil-Korrelationskoeffizienten rp nach Cattell, 1949.

Page 15: INTERPERSONALE PROBLEME BEI PATIENTEN MIT

INTERPERSONALE PROBLEME BEI PATIENTEN MIT CHRONISCHEN SCHMERZEN 491

Tabelle 3: Ipsatierte Skalenwerte verschiedener Schmerzerkrankungen

Störungs-gruppen

PA zuautokratisch /

dominant

NO zuexpressiv /aufdringlich

LM zufürsorglich /freundlich

JK zuausnutzbar /nachgiebig

HI zu selbst-unsicher /

unterwürfig

FG zuintrovertiert /

sozialvermeidend

DE zuabweisend /

kalt

BC zustreitsüchtig /konkurrierend

Kopf-schmerzenn= 11

-3,47 -2,56 3,26 3,81 4,53 0,72 -3,01 -3,28

Rücken-schmerzenn= 47

-3,82 -1,76 2,89 3,25 2,96 -0,20 -1,60 -1,71

Neuro-pathischeSchmerzenn= 25

-4,13 -1,53 4,66 4,00 2,68 0,10 -3,08 -2,70

Gelenk- /Muskel-schmerzenn= 19

-2,66 -1,22 3,18 3,51 0,87 0,59 -1,82 -2,45

Schmerz-patientenallgemeinn=132

-3,68 -1,82 3,35 3,39 2,80 0,39 -2,14 -2,28

Normn= 3046 -1,47 -0,46 1,98 1,30 1,18 -0,22 -0,73 -1,59

rp Kopfschmerzen Rückenschmerzen NeuropathischeSchmerzen

Gelenk-Muskel-schmerzen

Norm -,11 ,30 -,04 ,50

Legende: Die Tabellen zeigt die Mittelwerte der ipsatierten Skalenwerte und den Profil-Korrelationskoeffizienten rp nach Cattell, 1949.

fang pro Schmerzdiagnose deutlichreduziert. Diagnosekategorien mitweniger als 10 Fällen wurden nichtberücksichtigt.

Die Analyse der unipsatiertenSkalen zeigt bei allen Schmerzdia-gnosen gegenüber der Norm erhöhteWerte auf der IIP-Skala „zu ausnutz-bar / nachgiebig“ (JK). Ebenso wei-sen alle Diagnosegruppen ernied-rigte Werte auf den Skalen „zu ex-pressiv / aufdringlich“ (NO), „zu auto-kratisch / dominant“ (PA), „zu abwei-send / kalt“ (DE) und „zu streitsüchtig

/ konkurrierend“ (BC) auf. Patientenmit „Rückenschmerzen“ und „Ge-lenk- / Muskelschmerzen“ zeigenstärkere Ähnlichkeiten mit der Normals die Gruppen „Kopfschmerzen“und „Neuropathische Schmerzen“.

Die Analyse der ipsatierten Ska-len zeigt, dass alle Diagnosegruppenauf den Skalen „zu ausnutzbar /nachgiebig“ (JK), „zu fürsorglich /freundlich“ (LM) und „zu introvertiert /sozial vermeidend“ (FG) oberhalbder Normwerte liegen, während sieauf den Skalen „zu autokratisch /

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VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 24/4 (2003)492

dominant“ (PA), „zu streitsüchtig /konkurrierend“ (BC), „zu abweisend /kalt“ (DE) und „zu expressiv / auf-dringlich“ (NO) unterhalb der Normliegen.

Patienten mit „Gelenk- / Muskel-schmerzen“ sowie mit „Rücken-schmerzen“ weisen die größte Profil-Ähnlichkeit mit der Norm auf. DieProfile bei „Kopfschmerzen“ sowie„neuropathischen Schmerzen“ zei-gen eine deutlich geringere Ähnlich-keit mit der Norm.

Die unipsatierte Auswertung er-gibt insgesamt höhere Profilkorrela-tionen. Dieser Sachverhalt ist daraufzurückzuführen, dass im unipsatier-ten Fall der Faktor „AllgemeineKlagsamkeit“, der bei allen Diagno-segruppen ins Gewicht fällt, die Höheder Profile mitbestimmt. Zudem kannbei den ipsatierten Werten die Stani-ne-Transformation und damit Alterund Geschlecht aufgrund unplausi-bler Angaben im Manual leider nichtberücksichtigt werden. Auch dieserSachverhalt kann zu den Unter-schieden beitragen.

DISKUSSION

ZUM VERGLEICH MIT DER NORM

Bezüglich der ersten Fragestel-lung kann festgestellt werden, dasssich Patienten mit chronischennichtmalignen Schmerzen hinsicht-lich der interpersonalen Probleme invielen Bereichen signifikant von derNorm unterscheiden, obwohl der IIP-Gesamtwert keinen nennenswertenUnterschied aufweist. Dabei liegendie Schmerzpatienten in der Hälfteder Skalen unter den Werten der

Normpopulation, während sie aufdrei anderen Skalen deutlich höhereWerte erreichen. In der Summe führtdies dazu, dass im Mittel keine Ab-weichung des IIP-Gesamtwerteserreicht wird. Bei den Vergleichen mitder Bevölkerungsnorm zeigt sich,dass Patienten mit chronischenSchmerzen auf den Skalen PA, BC,DE und NO niedrigere Werte errei-chen. Im Vergleich mit der Bevölke-rungsnorm zeigt unsere Studie, dassPatienten mit chronischen Schmer-zen auf den Skalen LM, JK und HIhöhere Werte erreichen. Die Werteder Schmerzpatienten auf der Skala„zu introvertiert / sozial vermeidend“(FG) unterscheiden sich nur geringvon der Norm. Andere Autoren (Phil-lips & Gatchel, 2000) fanden im Ge-gensatz dazu mit Messinstrumentenzur Introversion regelmäßig erhöhteWerte. Dieses abweichende Ergeb-nis zu anderen Studien kann aufUnterschiede der semantischen Be-griffe „Introversion“ und „Problememit zu introvertiertem, sozial vermei-dendem Verhalten (IIP)“ zurückge-führt werden.

Schmerzpatienten klagen nichteinfach stärker als andere Personen,vielmehr findet sich bei ihnen einestrukturelle Veränderung der inter-personalen Problemlage im Ver-gleich mit der Norm.

ZU DEN VERGLEICHEN MIT PATIENTENMIT PSYCHISCHEN STÖRUNGEN

Patienten mit chronischenSchmerzen haben ausgeprägteSchwierigkeiten, sich von anderenabzugrenzen und Wut zu zeigen,auch beschreiben sie sich als ähnlich

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INTERPERSONALE PROBLEME BEI PATIENTEN MIT CHRONISCHEN SCHMERZEN 493

leichtgläubig und ausnutzbar (JK)wie Patienten mit „Abhängigkeitser-krankungen“ und „psychosomati-schen Erkrankungen“. Sie empfindensich genau wie die letztgenanntenKrankheitsgruppen als zu großzügig,zu leicht von der Not anderer ange-rührt und glauben, ihre eigenen Be-dürfnisse gegenüber denen andererzurückzustellen (LM). Die Verschie-bung auf dem Circumplexmodell inRichtung „zu ausnutzbar / nachgie-big“ (JK) teilen sie vor allem mit denpsychosomatischen Erkrankungen.Die Profilähnlichkeit zwischen chro-nischen Schmerzen und psychoso-matischen Erkrankungen impliziert,dass die Patienten beider Gruppenähnliche interpersonale Problemeempfinden. Dies bedeutet aber nichtautomatisch, dass beide Diagnosensich hinsichtlich der Krankheitsätio-logie ähneln.

Patienten mit Psychosen, Per-sönlichkeitsstörungen, Essstörungenund Neurosen weisen im Gegensatzzu den Patienten mit chronischenSchmerzen auch bedeutsame Pro-bleme auf anderen Skalen des IIPauf und zeigen ein deutlich unter-schiedliches Profil.

Die Ähnlichkeit zur Gruppe derAbhängigkeitserkrankungen kannmöglicherweise durch den Gebrauchstarker auf die Psyche wirkenderMedikamente bei den Schmerzpati-enten bedingt sein.

ZUM VERGLEICH VERSCHIEDENERSCHMERZERKRANKUNGEN

Im Hinblick auf die dritte Frage-stellung kann festgestellt werden,dass:

• die Werte aller Gruppen mitchronischen Schmerzen hin-sichtlich der Skala „zu ausnutz-bar / nachgiebig“ (JK) deutlichüber der Norm liegen;

• die Profile aller Diagnosegrup-pen nur eine begrenzte Überein-stimmung mit der Norm aufwei-sen;

• Kopfschmerzpatienten die deut-lichste Ausprägung auf der Skala„zu selbstunsicher / unterwürfig“(HI) aufweisen;

• Patienten mit neuropathischenSchmerzen die höchsten Werteauf der Skala „zu fürsorglich /freundlich“ (LM) erreichen.

Zusammenfassend kann festge-halten werden, dass alle Diagnose-gruppen Schwierigkeiten haben, sichvon anderen Menschen abzugren-zen, ,Nein’ zu sagen oder Wut zuzeigen. Sie beschreiben sich alsleichtgläubige und leicht zu überre-dende Personen. Alle Gruppen emp-finden es schwierig zu streiten,standhaft zu bleiben und sich nichtausnutzen zu lassen.

ERKLÄRUNGSMÖGLICHKEITEN

Die klinische Studie untersuchtbei Patienten mit chronischen nicht-maligen Schmerzen die interperso-nalen Charakteristika im Vergleichzur Normpopulation sowie zu ver-schiedenen psychischen Krankheits-entitäten.

Die Ergebnisse der Untersuchungmit dem IIP zeigen, dass Patientenmit nichtmalignen chronischenSchmerzen andere interpersonaleProbleme aufweisen als die Normbe-

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VERHALTENSTHERAPIE UND VERHALTENSMEDIZIN 24/4 (2003)494

völkerung. Dementsprechend ist dasCircumplexmodell in der klinischenAnwendung geeignet, die interperso-nalen Probleme von Patienten mitchronischen Schmerzen diagnostischzu erfassen. Darüber hinaus zeigtsich für die behandelnden Ärzte undTherapeuten, dass bei dieser Pati-entengruppe von Beginn der Thera-pie an mit spezifischen interperso-nalen Problemen zu rechnen ist.

Entsprechend der Grundhypothe-se des Circumplexmodells wird kom-plementäres interpersonales Ver-halten beim Kommunikationspartnerausgelöst (Horowitz et al., 1994,2000). Schmerzpatienten lösen somit„streitsüchtig / konkurrierendes“(BC), aber auch „autokratisch / do-minantes“ (PA) und „abweisend /kaltes“ (DE) Verhalten beim Kommu-nikationspartner aus. In enger Über-einstimmung damit steht die klinischeBeobachtung, dass von Ärzten, Psy-chotherapeuten und sozialen Be-zugspersonen generell häufig fol-gende Aussagen getroffen werden:„Dieser Patient macht mich aggres-siv!“ „Der Patient braucht Führung!“,„Der Patient ist zu fordernd!“.

Patienten mit chronischenSchmerzen unterziehen sich häufigvielen verschiedenen Behandlungenund Behandlungsmethoden. Sie sindleicht von neu vorgeschlagenen Be-handlungsmethoden zu überzeugen(„zu ausnutzbar / nachgiebig“) undsehen in den Arztbesuchen mögli-cherweise eine Kompensation ihrerinterpersonalen Probleme, „zu für-sorglich / freundlich“ (LM) zu seinund zu sehr auf die Bedürfnisse an-derer (Familie, Freunde etc.) einzu-gehen, denn in der Schmerzbe-

handlung wird auf sie persönlicheingegangen.

Die Ursachen der vorgefundenenErgebnisse bleiben bislang empirischungeklärt. Folgende Erklärungsmög-lichkeiten erscheinen jedoch plausi-bel und sollten empirisch untersuchtwerden:1. Die Studienergebnisse könnten

das Resultat der Schmerzer-krankung selbst sein. Chronifi-zierte Schmerzen führen dazu,dass Patienten weniger domi-nant und feindselig werden, sichweniger zutrauen und in eineeher freundlich nachgiebigeHaltung verfallen. Interpersona-les Verhalten ist somit als Teildes Schmerzverhaltens (San-ders, 1996) interpretierbar. Ne-ben verbalen Schmerzreaktionenwie Ausdrücken, dass es wehtut, Stöhnen und Seufzen, nicht-verbalen motorischen Schmerz-reaktionen wie Hinken, Benutzeneines Gehstocks, Grimassierenund Reiben, dem generell ver-minderten Aktivierungsniveauund der Einnahme von Medika-menten zur Schmerzkontrolle,können die Ergebnisse als inter-personaler Anteil des Schmerz-verhaltens verstanden werden.

2. Die Studienergebnisse könnendas Resultat von im Laufe derErkrankung erworbenen inter-personalen Copingstrategiensein. Ergebnisse von Bebbingtonund Delemos (1996) haben ge-zeigt, dass die Ehen von Pati-enten mit chronischen Schmer-zen trotz aller Probleme stabilerim Sinne von „länger andauerndals der Durchschnitt“ sind. Auf

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INTERPERSONALE PROBLEME BEI PATIENTEN MIT CHRONISCHEN SCHMERZEN 495

der Basis unserer IIP-Datenkann postuliert werden, dass zuausnutzbares, nachgiebiges, für-sorgliches und freundliches Ver-halten eine Möglichkeit darstellt,persönliche Beziehungen zu sta-bilisieren. Die beobachteten Ver-änderungen wären dementspre-chend als Ausgleich einer vonder Schmerzerkrankung ausge-henden Belastung der sozialenBezugspersonen verstehbar(„Ich habe zwar Schmerzen, binim zwischenmenschlichen Kon-takt ansonsten aber unproble-matisch!“). Aus funktionaler Sichtkönnte die interpersonale Pro-blemlage der Schmerzpatienteneine optimale Anpassung an dieSituation, in der sich die Patien-ten befinden, widerspiegeln. Roy(2001) konnte zeigen, dasschronische Schmerzen und ein„normales“ Funktionsniveau inFamilien sich nicht ausschließenmüssen.

3. Die gemessenen spezifischeninterpersonalen Probleme kön-nen als iatrogen erworbene Ver-haltensdispositionen verstandenwerden, die im Laufe der Zeitwährend der medizinischen Be-handlung entstanden sind. Ver-schiebung im interpersonalenCircumplex in Richtung „freund-lich – submissiv“ sind demnachals Rollenverhalten des „gedul-digen“ Patienten im Gegensatzzur „dominanten“ Arztrolle ver-stehbar. Der Arzt verhält sichmöglicherweise wenig anteil-nehmend und attribuiert eine ge-ringe therapeutische Effektivitätauf die Persönlichkeit des Pati-

enten, wodurch er als feindseligerlebt wird („Wenn die Therapienicht hilft, ist der Patientschuld!“). Schmerzpatienten ha-ben tatsächlich häufig eine wenigerfolgreiche Odyssee durch dasmedizinische System hinter sich.

4. Eine psychodynamische Hypo-these besagt, dass die Familien-geschichte von Schmerzpatien-ten durch aggressive und feindli-che Beziehungen gekennzeich-net ist (Engel, 1959). FamiliäreFeindseligkeit wird vom Patien-ten durch ausnutzbares undnachgiebiges (komplementäres)Verhalten kompensiert. Die Be-funde können als Reaktion aufdie Familiengeschichte verstan-den werden.

5. Die Ähnlichkeit der Profile zuAbhängigkeitserkrankungen lässteinen Mechanismus möglich er-scheinen, demzufolge die Ab-hängigkeit von Medikamentenoder von Therapeuten mit ver-änderten interpersonalen Pro-blemen zusammenhängt.

Das vorliegende Studiendesignerlaubt keine Aussage über den Zu-sammenhang zwischen Dauer undAusmaß der Chronifizierung unddem Grad der Veränderungen derinterpersonalen Probleme. Trotzalledem erweist sich die diagnosti-sche Verwendung des IIP bei chroni-schen Schmerzpatienten als validespsychometrisches Instrument.

LITERATUR

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ENDNOTE

1 Die Daten wurden mit der Un-terstützung der Forschungsstelle fürPsychotherapie, Stuttgart, erhoben.

2 Dieses Vorgehen wurde nachAbsprache mit Prof. Dr. Elmar Bräh-ler gewählt.

KORRESPONDENZADRESSEN:

PROF. DR. H. J. BARDENHEUERKLINIK FÜR ANAESTHESIOLOGIE DERUNIVERSITÄT HEIDELBERG - SCHMERZZENTRUM -IM NEUENHEIMER FELD 13169120 HEIDELBERGTEL.: 06221/56 51 65FAX: 06221/56 43 99E-MAIL: [email protected]

PROF. DR. THOMAS K. HILLECKEFACHBEREICH MUSIKTHERAPIE DERFACHHOCHSCHULE HEIDELBERGMAAßSTRAßE 2669123 HEIDELBERGTEL.: 06221/88 41 50 ODER 88 41 54FAX: 06221/88 41 52E-MAIL: [email protected]