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Zur Person Dietrich Voigtla ¨nder, Jahrgang 1958, stu- dierte 1978 bis 1985 Wirtschaftsingenieur- wesen mit Fachrichtung Fertigung an der Universita ¨t Karlsruhe. 1985 trat er in die SGZ-Bank in den Bereich Organisation ein und u ¨bernahm bereits drei Jahre spa ¨ter die Leitung der Abteilung Informationstechnik sowie die stellvertretende Leitung des Orga- nisationsbereiches. Im gleichen Jahr wurde ihm Gesamtprokura erteilt. Als Direktor lei- tete er ab 1992 den neu strukturierten Be- reich Information/Organisation. Nach der Ernennung zum Generalbevollma ¨chtigten 1996 wurde er im folgenden Jahr zum stell- vertretenden Mitglied des Vorstandes und 1998 als Vorstandsmitglied der SGZ-Bank berufen. Er hielt diese Position auch nach der Fusion mit der GZB-Bank zur GZ-Bank bei. Seit 2001 ist Voigtla ¨nder Mitglied des Vorstandes der DZ BANK und Dezernent fu ¨r Informatik/Organisation, Informatik/Ser- vices, Operations/Services, Zahlungssyste- me und Personalmanagement. WI: Bitte stellen Sie zuna ¨ chst einige Schlu ¨ s- selkennzahlen Ihres IT-Gescha ¨ftes vor. Voigtla ¨nder: MIPS, CPU-Sekunden und Plattengro ¨ ßen in Gigabyte sind keine Gro ¨- ßen mehr, die das Leistungsvolumen einer IT im Tagesgescha ¨ft demonstrieren ko ¨ n- nen. Bei der DZ Bank setzen wir aus- schließlich bankfachliche Losgro ¨ ßen ein. Die DZ Bank erbringt derzeit fu ¨r die Volksbank-Raiffeisenbank-Gruppe 2,8 Milliarden Zahlungsverkehrstransaktionen im Inland pro Jahr. Im Wertpapiergescha ¨ft hat unsere Outsourcingtochter bws Bank, die auch nennenswerte Leistungen fu ¨r namhafte Banken außerhalb des genossen- schaftlichen Verbunds liefert, im Jahre 2000 38 Millionen Wertpapierorders verarbeitet, wobei aus jeder einzelnen bis zu 18 Trans- aktionen in entsprechenden IT-Systemen entstehen ko ¨ nnen. Außerdem ist zu be- ru ¨cksichtigen, dass wir an einem Tag viel- leicht 10.000 bis 20.000 Orders und an ei- nem anderen auch einmal 180.000 Orders haben ko ¨ nnen. Hier werden also sehr gro- ße, skalierbare Systeme gebraucht, die feh- lertolerant und backupgesichert laufen. Man kann die Gro ¨ ßenordnungen viel- leicht durch folgende Vergleiche besser ein- ordnen: Im Inlandszahlungsverkehr haben wir als DZ Bank gemeinsam mit unserer Volksbank-Raiffeisenbank-Gruppe 17 % Marktanteil und sind damit absoluter Marktfu ¨ hrer; der na ¨chst kleinere Abwick- ler hat einen Anteil von ca. 5 6 %. Beim grenzu ¨ berschreitenden Zahlungsverkehr haben wir 5 % Marktanteil, d. h. in etwa so viel wie die La ¨nder Spanien und Italien. WI: Welche Strategie bezu ¨ glich Bu ¨ ndelung von Backend-Diensten und Vergabe von WIRTSCHAFTSINFORMATIK 45 (2003) 2, S. 143 146 Dietrich Voigtla ¨nder DZ Bank AG, Am Platz der Republik, 60265 Frankfurt am Main, E-Mail: [email protected] Interviewt von Armin Heinzl und Wolfgang Ko ¨nig Prof. Dr. Armin Heinzl, Universita ¨t Mannheim, Lehrstuhl fu ¨r Wirtschaftsinformatik I, Schloss, S 220, 68131 Mannheim, E-Mail: [email protected]; Prof. Dr. Wolfgang Ko ¨nig, Universita ¨t Frankfurt, Institut fu ¨r Wirtschaftsinformatik, Mertonstr. 17, 60054 Frankfurt am Main, E-Mail: [email protected] Interview mit Dietrich Voigtla ¨nder zu „Industrialisierung im Bankgescha ¨ft: Outsourcing und Standardsoftware“ WI – Interview

Interview mit Dietrich Voigtländer zu Industrialisierung im Bankgeschäft: Outsourcing und Standardsoftware

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Zur Person

Dietrich Voigtlander, Jahrgang 1958, stu-dierte 1978 bis 1985 Wirtschaftsingenieur-wesen mit Fachrichtung Fertigung an derUniversitat Karlsruhe. 1985 trat er in dieSGZ-Bank in den Bereich Organisation einund ubernahm bereits drei Jahre spater dieLeitung der Abteilung Informationstechniksowie die stellvertretende Leitung des Orga-nisationsbereiches. Im gleichen Jahr wurdeihm Gesamtprokura erteilt. Als Direktor lei-tete er ab 1992 den neu strukturierten Be-reich Information/Organisation. Nach derErnennung zum Generalbevollmachtigten1996 wurde er im folgenden Jahr zum stell-vertretenden Mitglied des Vorstandes und1998 als Vorstandsmitglied der SGZ-Bankberufen. Er hielt diese Position auch nachder Fusion mit der GZB-Bank zur GZ-Bankbei. Seit 2001 ist Voigtlander Mitglied desVorstandes der DZ BANK und Dezernent furInformatik/Organisation, Informatik/Ser-vices, Operations/Services, Zahlungssyste-me und Personalmanagement.

WI: Bitte stellen Sie zunachst einige Schlus-selkennzahlen Ihres IT-Geschaftes vor.

Voigtlander: MIPS, CPU-Sekunden undPlattengroßen in Gigabyte sind keine Gro-ßen mehr, die das Leistungsvolumen einerIT im Tagesgeschaft demonstrieren kon-nen. Bei der DZ Bank setzen wir aus-schließlich bankfachliche Losgroßen ein.Die DZ Bank erbringt derzeit fur dieVolksbank-Raiffeisenbank-Gruppe 2,8Milliarden Zahlungsverkehrstransaktionenim Inland pro Jahr. Im Wertpapiergeschafthat unsere Outsourcingtochter bws Bank,die auch nennenswerte Leistungen furnamhafte Banken außerhalb des genossen-schaftlichen Verbunds liefert, im Jahre 200038 Millionen Wertpapierorders verarbeitet,wobei aus jeder einzelnen bis zu 18 Trans-aktionen in entsprechenden IT-Systemenentstehen konnen. Außerdem ist zu be-rucksichtigen, dass wir an einem Tag viel-leicht 10.000 bis 20.000 Orders und an ei-nem anderen auch einmal 180.000 Ordershaben konnen. Hier werden also sehr gro-ße, skalierbare Systeme gebraucht, die feh-lertolerant und backupgesichert laufen.

Man kann die Großenordnungen viel-leicht durch folgende Vergleiche besser ein-ordnen: Im Inlandszahlungsverkehr habenwir als DZ Bank gemeinsam mit unsererVolksbank-Raiffeisenbank-Gruppe 17%Marktanteil und sind damit absoluterMarktfuhrer; der nachst kleinere Abwick-ler hat einen Anteil von ca. 5–6%. Beimgrenzuberschreitenden Zahlungsverkehrhaben wir 5% Marktanteil, d. h. in etwa soviel wie die Lander Spanien und Italien.

WI: Welche Strategie bezuglich Bundelungvon Backend-Diensten und Vergabe von

WIRTSCHAFTSINFORMATIK 45 (2003) 2, S. 143–146

Dietrich Voigtlander

DZ Bank AG,Am Platz der Republik,60265 Frankfurt am Main, E-Mail:[email protected]

Interviewt von

Armin Heinzlund Wolfgang Konig

Prof. Dr. Armin Heinzl,Universitat Mannheim,Lehrstuhl fur Wirtschaftsinformatik I,Schloss, S 220,68131 Mannheim,E-Mail: [email protected];Prof. Dr. Wolfgang Konig,Universitat Frankfurt,Institut fur Wirtschaftsinformatik,Mertonstr. 17,60054 Frankfurt am Main,E-Mail: [email protected]

Interview mitDietrich Voigtlander zu„Industrialisierung imBankgeschaft: Outsourcing undStandardsoftware“

WI – Interview

Dienstleistungsauftragen an Spezialistenverfolgt Ihr Haus?

Voigtlander: Im Umfeld der Industrialisie-rung des Bankgeschaftes heißen die beidenrelevanten neudeutschen Begriffe Outsour-cing respektive Insourcing. Bei Geschafts-feldern, wo wir uns – sei es durch Prozesse,Systeme, Volumina oder durch eine Kom-bination dieser drei Ingredenzien – in einerfuhrenden Position sehen, mochten wir In-sourcingpartner werden. Hierzu grundenwir entsprechend spezialisierte Instituteaus – siehe das Beispiel bws Bank, an denenmoglicherweise dritte neutrale Partner be-teiligt sind. Damit uberwinden wir auchpsychologische Hemmschwellen, weil eszurzeit in der Finanzdienstleistungsbran-che noch unublich ist, auch operations anDritte zu geben. Auf der anderen Seite –wo wir als Allfinanzverbund keine speziel-le Position haben – geben wir konsequentDinge an Dritte weiter, beispielsweise dieAnwendungsentwicklung fur Kernsystemean einen industriellen Partner, in diesemFall an die SAPAG.

WI: Welche Rolle spielt Standardsoftwarefur die Realisierung von Backend-Diens-ten?

Voigtlander: Industrielle Anwendungssys-teme haben gezeigt, dass der Einsatz vonStandardsoftware in Bereichen mit standar-disierten Ablaufen sehr vorteilhaft seinkann. Eigenentwicklung von Software istein sehr kostspieliges Unterfangen. DerEinsatz von Standardsoftware ist aber auchmit Risiken bezuglich der Entwicklungs-zeit und der Frage, ob das gelieferte Ergeb-nis auch im Einklang mit dem steht, wasder Kunde eigentlich bestellt hat, verbun-den. Es stellt sich die Frage: Kann ich michdurch eine Spezialsoftware auf Dauer oderfur einen uberschaubaren Zeitraum imWettbewerb differenzieren? Fur den Quer-schnittsbereich Unternehmenssteuerung,d. h. Controlling, Bilanz und GuV-Erstel-lung, kann ich das nicht. Man muss dannkonsequent Standardsoftware einsetzen,um die hohen Kosten fur notwendige In-vestitionen und Weiterentwicklungen – inunserem Fall kommen die Stichworter Ba-sel II und IAS (International AccountingStandard) ins Spiel – gemeinsam mit ande-ren Anwendern und Nutzern branchen-ubergreifend auf breitere Schultern zu ver-teilen. Wenn man auf der anderen SeiteGeschaftsfelder identifiziert, in denen Ei-genentwicklungen Sinn machen, dann soll-te man Standardkomponenten einsetzen,

um durch geschicktes Kombinieren vonEigenerstellung und Zukauf schnell Zu-kunftsfelder besetzen zu konnen.

WI: Offenbar haben bislang die BankenAbhangigkeiten von Standardsoftwareher-stellern gefurchtet, sonst hatte man dochschon viel fruher diese Strategie verfolgt?

Voigtlander: Banken werden verstarkt dazugezwungen, Risiken ihrer Geschaftstatig-keit zu bewerten und in diesem Zusam-menhang auch das mit Eigenkapital zuunterlegende Betriebsrisiko und dabei ins-besondere das sog. human risk zu betrach-ten. Wenn man sich aber heute die System-welten von Finanzdienstleistern ansiehtund bedenkt, welche Mitarbeiter sich umWeiterentwicklung und Wartung kummernund welche – veralteten – Basisarchitektu-ren teilweise noch im Einsatz sind, dannmuss man kritisch hinterfragen, in welcherAbhangigkeit man sich hier befindet. Beiuns im Hause sind teilweise noch Pro-grammiersprachen wie PL/1 im Einsatz,die eigentlich schon langst – um mit IBMzu sprechen – funktional stabilisiert sind,d. h. nicht mehr weiterentwickelt werden.Selbstverstandlich stellt sich umgekehrt beiStandardsoftwareanbietern die Frage: Wiegroß ist der Partner? Wie viel Marktakzep-tanz findet er und wie hoch ist die Wahr-scheinlichkeit, dass bei bestimmten Ent-wicklungen dieser Softwarepartnermoglicherweise wieder aus diesem Marktaussteigt? Wenn man vor Auswahl einerStandardsoftware sich sorgfaltig damit be-schaftigt, kann man das operational riskdeutlich reduzieren.

WI: Mitte der 90er Jahre haben Sie einenVersuch abgebrochen, Standardsoftware inIhrem Stammhaus einzusetzen. Was warendamals die Grunde und wie grundlegendanders stellt sich heute die Situation dar?

Voigtlander: 1992/93 hatten wir ein in Jahr-zehnten schrittweise entwickeltes und per-fekt auf die Anforderungen der Bank pas-sendes System im Einsatz, bei dem wegendes anstehenden Altersruhestands desChefentwicklers erkennbar wurde, dass inden nachsten Jahren eine neue Losung ge-funden werden musste. Damals war aberbei den Standardsoftwarepartnern die Be-reitschaft noch nicht ausgepragt, Internaihrer Systeme offen zu legen. Außerdemwurde sehr stark versucht, uber proprietareStandards die Welt mittel- und langfristigbeherrschen zu wollen. Bei den Standard-softwarepartnern hat man dann spater – im

Grunde genommen wie bei IBM – gelernt,dass man mit proprietaren Systemen nureine gewisse Zeit lang den Markt beherr-schen kann und danach aber nachhaltigNachteile hat. Es fand bei vielen ein ent-sprechendes Umdenken statt, dass es nurzu einer langfristigen, partnerschaftlichenZusammenarbeit kommen kann, wennauch die internen Architekturen, Daten-modelle etc. offen gelegt werden und manuber Fremdsysteme auf diese Daten- undInformationswelten zugreifen kann.Das war z. B. ein weitreichender, strate-

gischer Wandel bei SAP, der 1996 auf einergroßen Softwareveranstaltung angekundigtwurde.

WI: Fur welche Funktionsbereiche wurdeschließlich Standardsoftware eingefuhrt?

Voigtlander: Seit 1999 verwenden wir furRechnungswesen und Controlling Stan-dardsoftware. Entscheidend ist aber, dasswir auch Core-Banking-Module eingefuhrthaben und zwar fur die komplette Abde-ckung des Geldmarktgeschaftes einer ge-nossenschaftlichen Zentralbank. Dabeihandelt es sich um eines unserer strategi-schen Geschaftsfelder; uber das ThemaLiquiditatsmanagement ist dies auch vonhoher Bedeutung fur die enge Leistungs-verflechtung mit unseren Volksbanken undRaiffeisenbanken. Des Weiteren verwendenwir SAP-Standardmodule fur die Abbil-dung des gesamten Kreditgeschaftes.

WI: Wie wichtig ist fur Sie die „gleiche Au-genhohe“ zwischen den Outsourcingpart-nern?

Voigtlander: Sehr haufig ging man in derVergangenheit naiv an das Thema Outsour-cing heran und sagte, ich habe einen Part-ner, der mir verspricht, dass alles besserund billiger wird. Deshalb lagere ich alleProbleme, die ich selbst nicht losen kann,aus. Der externe Partner muss aufgrundder Vertragslage in Mensch und Materialinvestieren. Der Abnehmer tut das nicht,denn er hat ja das Problem ausgelagert. Ir-gendwann entsteht dann eine Unwucht,weil derjenige, der ausgelagert hat, nichtmehr genau versteht, was der Insourcing-partner betreibt. Hier ist es nach unserenErfahrungen entscheidend, dass man alsAbnehmer hochrustet, um zumindest beiden Kernpunkten auf gleicher Augenhohezu bleiben. Wir haben im Rahmen unsererzwei Unternehmensfusionen und den viel-faltigen Einfuhrungen von SAP-Systemeneine schlagkraftige Spezialmannschaft auf-

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gebaut, die sehr genau weiß, wie die Stan-dardsoftwaremodule aufgebaut sind undwirken respektive in welcher Art und Wei-se deren Integration zu gestalten ist.Im Finanzdienstleistungswesen muss es

sein wie in der Automobil- und Flugzeug-industrie, wo man bei der Definition einesLastenheftes weitgehend mit den For-schungs- und Entwicklungsabteilungendes Lieferanten zusammenarbeitet – Air-bus beispielsweise sieht eine seiner dreiKernkompetenzen darin, auch das Innova-tionsmanagement der Lieferanten zu be-herrschen.

WI: Damit verandern sich die Anforderun-gen an das Management im IT-Bereich ra-dikal. Wie schlagt sich dies in Ihrem Hausnieder?

Voigtlander: Wir haben nur noch wenigeklassische Anwendungsentwickler vorOrt. Mit Blick auf die veranderten Auf-gabeninhalte werden verstarkt Mitarbeitermit umfangreichen IT- und Architektur-erfahrungen eingesetzt, die aber auchKenntnisse von Geschaftsprozessen undderen Verbindungen haben. Sie mussenquasi eine Ebene hoher das Zusammenwir-ken von Modulen und den Datenaustauschzwischen diesen Modulen verstehen. Dassind Informationsingenieure – wenn ich eseinmal so ausdrucken darf – die in der La-ge sind, ein Daten-Mapping durchzufuh-ren sowie Standardsoftware gut zu ver-wenden, d. h. inhaltlich zu durchdringen,was fur den Fachbereich wichtig ist, unddie Systeme geeignet zu gestalten. Selbst-verstandlich haben wir sehr qualifizierteund gut ausgebildete Mitarbeiter, die sol-che Schnittstellensysteme entwickeln. Dassind aber nicht nur reine Entwickler, dieeinfach kodieren, sondern Assemblierer,die durch entsprechenden Werkzeugein-satz und die Nutzung von Standardkom-ponenten die Dinge zusammenfugen. Hierinvestieren wir erheblich in die Mitarbeiter,damit sie auch uber den Tellerrand der ITbis tief in die Fachbereiche schauen kon-nen, beispielsweise um zu verstehen, wasein Zinsswap ist, und so in der Lage sind,eine Dekomposition dieses komplexenVorgangs in seine einzelnen Teilkom-ponenten vorzunehmen, um am Schluss zuuberblicken, warum ein Modul A mit ei-nem Modul B entsprechende Informatio-nen austauscht.

WI: Sie haben einen Softwarebus einge-fuhrt, der zwischen den Funktionsbaustei-nen des Standardsoftwareherstellers und

Ihren die Dienste nachfragenden Klientenliegt. Ist das ein allgemein einsetzbares understrebenswertes Architekturelement?

Voigtlander: Dieses Vorgehen hangt starkmit dem Bankgeschaft zusammen, wo mandurch die Kombination von bestimmtenBasisprodukten zu zusammengesetztenProdukten kommt, die man verkaufenkann. Um beispielsweise bestimmte Risi-kosituationen eines Kunden abbilden zukonnen, muss ich eine definierte Anzahlvon Komponenten dieses Produktes nut-zen, also verschiedenste Basissysteme ver-wenden, welche die jeweiligen Teile reali-sieren. Das heißt, ich komme zu nEndbenutzersystemen, die mit m Basissys-temen kommunizieren mussen. Wenn ichuberall bilaterale Schnittstellen vorsehenwurde, brauchte ich m multipliziert mit ndieser Interfaces. Das ist nach allgemeinemErkenntnisstand nicht vernunftig zu stem-men. Wenn ich aber bestimmte grund-legende Informationen mit allen dieSchnittstellen beschreibenden Elementenin einem Informationsbus zur Verfugungstelle und von dort aus die nachgelagertenSysteme versorge, kann ich dieses Problemdeutlich einfacher beherrschen – man be-notigt dann nur noch m þ n Schnittstellen.

1996 haben wir uns entschieden, an die-ser Stelle eine asynchrone messagingmiddleware einzusetzen. Mit der gegentei-ligen Vorgehensweise einer synchronenEchtzeitabstimmung hatten wir eine hoch-komplexe Welt geschaffen, die sofort zumStillstand kommt, wenn in einer dieserKomponenten eine Storung auftritt. Wirsind mit diesem Konzept sehr gut gefahren,da man jedes einzelne System auch isoliertbetrachten und beispielsweise fragen kann:Werden in den Queues die richtigen Infor-mation bereitgestellt? Das Systemmanage-ment wurde deutlich vereinfacht, weil klareVerantwortungsdomanen definiert werdenkonnten.Zunachst hatten wir eine Eigenent-

wicklung, die zusammen mit Universitatenin den USA entwickelt wurde, da es zumdamaligen Zeitpunkt kein entsprechendeskommerzielles System gab. Heute stehenmit XML realisierte Systeme am Markt zurVerfugung und wir werden in den nachstenMonaten unser eigenes System durch Stan-dardsoftware ablosen. Wir prognostizieren,dass sich diese Philosophie von middlewa-re, von asynchronem Datenaustausch undder Beschreibung von Datenelementenweiter etablieren wird.

WI: Das Controlling im Bankgeschaft istoffenbar nicht auf ein Industrialisierungs-ziel ausgerichtet. Gangigerweise wird fastnur mit Gemeinkosten gearbeitet. Wo lie-gen dabei Probleme und was muss sich ausIhrer Sicht wie verandern?

Voigtlander: Prozessbeschreibung undProzesskostenrechnung sind in der Indus-trie seit Jahrzehnten gangig. Im Bank-bereich ist das zwar nicht komplettes Neu-land; auch die Banken beschaftigen sichdamit seit vielen Jahren. Aber die Entwick-lungen sind noch nicht so weit abgeschlos-sen, dass man wirklich sagen kann, die Ab-wicklung eines Zahlungsverkehrsvorgangskostet mit System A x und mit System B yEuro. Die Frage nach den Stuckkostenwird vor allem beim Neuzusammensetzender Wertschopfungskette unter Einschlussvon Lieferanten an den Nahtstellen auf-geworfen.

Bei der bws Bank haben wir uns fruhzei-tig mit Prozesskosten und Kostentreibernbeschaftigt und konnen zu jedem Ge-schaftsvorfall den Einzelpreis nennen undaufgrund der Mengen Staffelpreise standar-disiert weitergeben. Das hangt sicherlichauch damit zusammen, dass wir eben nichtden klassischen Bankcontroller an Bordgeholt haben, sondern bewusst Controlleraus der Industrie. Wir wollten eine andereDenkphilosophie umsetzen, namlich zuakzeptieren, dass es sich um standardisierteProzesse handelt, die ich mit herkomm-lichen Methoden der Prozessanalyse, Pro-zessbeschreibung und Prozesskosten-ermittlung entsprechend bearbeiten kann.

WI: Ist Ihre Strategie der marktorientiertenAusgrundung im Bereich Operations andServices genau die Strategie, die fast alleBanken derzeit am Markt verfolgen?

Voigtlander: Nein, das ist insofern ein gro-ßer Irrtum als alle daruber reden, aber fastkeiner es marktorientiert durchfuhrt. Un-sere ausgegrundeten Einheiten bieten dieLeistungen nicht nur im genossenschaftli-chen Verbund an, sondern auch anderenBanken – sie stehen damit im eisigen Winddes Wettbewerbs. Wir wollen – primar ersteinmal im Inland – Plattform fur andereNutzer werden. Die gesetzlichen Regelun-gen in der Wertpapierabwicklung verhin-dern derzeit noch einen europaischen Ein-tritt. Im Zahlungsverkehr sieht das ganzanders aus. Da haben wir eine Offensiv-strategie, die wir auch konsequent verfol-gen.

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WI: Angenommen, Sie haben einenWunsch frei und durften an den rechtlichenRahmenbedingungen etwas verandern:Was wurden Sie vor dem Hintergrund, dasshier zu Lande die Dynamik der Outsour-cingmarkte deutlich niedriger ist als bei-spielsweise im anglo-amerikanischen Be-reich, gerne geandert sehen?

Voigtlander: Das Betriebsverfassungsgesetzund das Mitbestimmungsgesetz. Der Ar-beitsmarkt ist fest zementiert, betoniert.Das ist die Hauptschwierigkeit. Mitarbei-

ter, die gerne etwas bewegen wollen, sindbei einem Outsourcingunternehmen mog-licherweise viel besser aufgehoben. DieRahmenbedingungen des Betriebsverfas-sungsgesetzes, jetzt auch die Verscharfungdes Betriebsubergangs nach § 6, 13a, Stich-wort „Seemannsgesetz“ usw., machen An-passungen der Personalkapazitaten zu ei-nem risikomaßig fast unkontrollierbarenAbenteuer. Das verhindert im Grunde ge-nommen die notwendige Restrukturierungin Deutschland. In allen anderen Landernsieht das anders aus. Das Betriebsverfas-

sungsgesetz hat gute Seiten, es ist aber defi-nitiv kein Exportschlager. Und von daherwird es naturlich entsprechende Law-Arbi-trage geben, d. h., man wird moglicherwei-se in Europa in Lander gehen, wo dieseRestriktionen in dieser Form nicht vor-herrschen. Da macht man lieber hier zuLande Betriebsstatten zu oder legt sie teil-weise still. Wenn ich drei Wunsche hatte,wurde ich es dreimal sagen.

WI: Herzlichen Dank fur das Gesprach.

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