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Seele, die sich in ihr eingenistet hat – so erklärt ihr das zumindest ein Mönch. Woher haben Sie diese Idee? Die Medizin kennt das Stimmenhören als Anzeichen für Schizophrenie. Damit hat meine Geschichte aber nichts zu tun. Ich denke, man kann das Buch auf zwei Ebe- nen lesen. Wer an Reinkarnation glaubt, wird die Stimme in Julia als Resultat einer schiefgelaufenen Reinkarnation auffassen. Aber man kann die Stimme auch als Julias eigene interpretieren – denn sie ver- stummt ja, nachdem Julia bei sich selber angekommen ist. Wie war es denn mit dem Herzenhören aus dem ersten Roman? Tin Win hörte die Herzen anderer Menschen schlagen – und konnte sich dadurch ein Bild von ihrem Gemütszustand machen. Ist Ihnen eine solche Fähigkeit schon einmal begegnet? Der Anstoss zu «Das Herzenhören» gab ein Erlebnis mit meinem Sohn: Ich balgte mit ihm herum, dabei nahm er meinen Herzschlag wahr. Nachher wollte er immer wieder mein Herz hören, und manchmal fand er: «Heute klingt dein Herz anders.» Im Kopf eines Romanautors entsteht aus eine solchen Aussage schnell einmal eine Geschichte – und ich fragte mich: Wie wäre es für jemanden, wenn er Herzen hören könnte? Unter anderem spielt in Ihren Büchern auch Astrologie eine Rolle. Sind Sie das, was man als «esoterisch» bezeichnet? Als ich erstmals nach Burma fuhr, war ich überhaupt nicht abergläubisch. Dort wurde ich aber hinsichtlich der Astrologie bekehrt, denn ich hatte sehr eindrückli- che Begegnungen mit einem Astrologen. Books: Als ich hörte, es gäbe eine Fortsetzung von «Das Herzenhören», staunte ich: Am Ende Ihres Roman- Erstlings sind die beiden Hauptfiguren tot. Warum setzen Sie die Geschichte mit «Herzenstimmen» jetzt trotzdem fort? Jan-Philipp Sendker: Eine Fortsetzung war nicht geplant – deshalb dauerte es auch zehn Jahre, bis ich sie schrieb. Beim Joggen kam mir einmal die Idee zu einer Geschichte über eine Frau, die eine innere Stimme hört. Doch ich kam damit nicht weiter. Dann schrieb ich die ersten beiden Teile meiner China-Trilogie, und die Idee mit dem Stimmenhören rückte in den Hintergrund – bis ich vor zwei Jahren in einem Teehaus in Kalaw sass, also in jener burmesischen Stadt, in der «Das Herzen- hören» spielt. Auf der Strasse entdeckte ich eine Frau, die aussah wie meine Figur Julia Win, und plötzlich reihte sich alles aneinander. Ich spürte sofort: Das ist die Geschichte, das ist die Figur! In «Das Her- zenhören» machte sich Julia in Burma auf die Suche nach ihrem Vater, jetzt begibt sie sich wegen einer inneren Stimme auf die Suche nach sich selbst. «Das Herzenhören» und «Herzenstim- men» weisen viele Parallelen auf. Böse Zungen könnten behaupten: Sie wollen einfach den riesigen Erfolg des Erstlings wiederholen. Mit diesem Verdacht muss ich leben. In der New York Times stand einmal: Jeder erfolgreiche Autor, der eine Fortsetzung schreibt, sollte zumindest ein klein wenig ein schlechtes Gewissen haben. Der Ge- danke, dass ich hier einfach ein Erfolgs- rezept wiederholen will, mag naheliegen, aber darum ging es mir wirklich nicht. Es ist ja auch sehr riskant, einen Bestsel- ler fortzusetzen – denn die Leserinnen und Leser haben dann besonders hohe Erwartungen. Hat ihnen etwas besonders gut gefallen, möchten sie wieder etwas Ähnliches lesen. Ist es zu ähnlich, sind sie enttäuscht und denken: Das ist ja nur eine schlechte Kopie. Ist es aber zu anders, sind sie ebenfalls enttäuscht, weil ihnen das erste Buch doch so gut gefiel. Als «Herzenstimmen» fertig war, durchlebte ich eine Krise, weil ich dachte: Das kann für alle nur mit einer Enttäuschung enden. Da empfahl mir meine Frau, das Buch noch einmal zu lesen. Ich tat es – und jetzt bin ich damit im Reinen. Ich finde «Herzenstimmen» viel härter als «Das Herzenhören» – was Nu Nu, einer der Hauptfiguren, alles durchma- chen muss, hat mich zwischendurch fast abgestossen. Fürchten Sie nicht, Ihre Leserinnen und Leser zu enttäuschen, die eine zarte Liebesgeschichte wie im ersten Buch erwarten? Na, sehen Sie! Wäre es mir um den Erfolg gegangen, hätte ich sicher eine andere Ge- schichte geschrieben, sozusagen einfach die rote Fassung von «Das Herzenhören». Aber jetzt ist ein anderes Buch entstan- den. Die neue Geschichte ist tatsächlich trauriger und brutaler als die erste, aber ich finde sie dennoch sehr hoffnungsvoll. Ähnlicher als der Grundton der beiden Bücher ist ihr Aufbau: Es gibt jeweils eine Rahmenhandlung um die Anwäl- tin Julia Win, die von New York nach Burma reist, um dort mehr über eine Liebesgeschichte zu erfahren. Zehn Jahre nach der ersten Reise kehrt Julia wegen der inneren Stimme nach Burma zurück. Diese Stimme stammt von einer «Es ist riskant, einen Bestseller fortzusetzen» «Das Herzenhören» ist ein Phänomen: Seit Jahren verkauft sich der Roman von Jan-Philipp Sendker konstant gut. Eine immer grösser werdende Leserschaft hat den einstigen Geheimtipp mit begeisterter Mund-zu-Mund-Propaganda zu einem internationalen Bestseller gemacht. Nun präsentiert Jan-Philipp Sendker die Fortsetzung: «Herzenstimmen». Books sprach mit dem deutschen Autor über ein Buch, das Hunderttausende mit Spannung erwarten. Marius Leutenegger Erik Brühlmann INTERVIEW Books Nr. 3/2012

Interview mit Jan-Philipp Sendker

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"Herzenstimmen": Books sprach mit dem deutschen Autor über ein Buch, das Hunderttausende mit Spannung erwarten.

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Page 1: Interview mit Jan-Philipp Sendker

Seele, die sich in ihr eingenistet hat – so erklärt ihr das zumindest ein Mönch. Woher haben Sie diese Idee?Die Medizin kennt das Stimmenhören als Anzeichen für Schizophrenie. Damit hat meine Geschichte aber nichts zu tun. Ich denke, man kann das Buch auf zwei Ebe-nen lesen. Wer an Reinkarnation glaubt, wird die Stimme in Julia als Resultat einer schiefgelaufenen Reinkarnation auffassen. Aber man kann die Stimme auch als Julias eigene interpretieren – denn sie ver-stummt ja, nachdem Julia bei sich selber angekommen ist.

Wie war es denn mit dem Herzenhören aus dem ersten Roman? Tin Win hörte die Herzen anderer Menschen schlagen – und konnte sich dadurch ein Bild von ihrem Gemütszustand machen. Ist Ihnen eine solche Fähigkeit schon einmal begegnet? Der Anstoss zu «Das Herzenhören» gab ein Erlebnis mit meinem Sohn: Ich balgte mit ihm herum, dabei nahm er meinen Herzschlag wahr. Nachher wollte er immer wieder mein Herz hören, und manchmal fand er: «Heute klingt dein Herz anders.» Im Kopf eines Romanautors entsteht aus eine solchen Aussage schnell einmal eine Geschichte – und ich fragte mich: Wie wäre es für jemanden, wenn er Herzen hören könnte?

Unter anderem spielt in Ihren Büchern auch Astrologie eine Rolle. Sind Sie das, was man als «esoterisch» bezeichnet?Als ich erstmals nach Burma fuhr, war ich überhaupt nicht abergläubisch. Dort wurde ich aber hinsichtlich der Astrologie bekehrt, denn ich hatte sehr eindrückli-che Begegnungen mit einem Astrologen.

Books: Als ich hörte, es gäbe eine Fortsetzung von «Das Herzenhören», staunte ich: Am Ende Ihres Roman-Erstlings sind die beiden Hauptfiguren tot. Warum setzen Sie die Geschichte mit «Herzenstimmen» jetzt trotzdem fort?Jan-Philipp Sendker: Eine Fortsetzung war nicht geplant – deshalb dauerte es auch zehn Jahre, bis ich sie schrieb. Beim Joggen kam mir einmal die Idee zu einer Geschichte über eine Frau, die eine innere Stimme hört. Doch ich kam damit nicht weiter. Dann schrieb ich die ersten beiden Teile meiner China-Trilogie, und die Idee mit dem Stimmenhören rückte in den Hintergrund – bis ich vor zwei Jahren in einem Teehaus in Kalaw sass, also in jener burmesischen Stadt, in der «Das Herzen-hören» spielt. Auf der Strasse entdeckte ich eine Frau, die aussah wie meine Figur Julia Win, und plötzlich reihte sich alles aneinander. Ich spürte sofort: Das ist die Geschichte, das ist die Figur! In «Das Her-zenhören» machte sich Julia in Burma auf die Suche nach ihrem Vater, jetzt begibt sie sich wegen einer inneren Stimme auf die Suche nach sich selbst.

«Das Herzenhören» und «Herzenstim-men» weisen viele Parallelen auf. Böse Zungen könnten behaupten: Sie wollen einfach den riesigen Erfolg des Erstlings wiederholen. Mit diesem Verdacht muss ich leben. In der New York Times stand einmal: Jeder erfolgreiche Autor, der eine Fortsetzung schreibt, sollte zumindest ein klein wenig ein schlechtes Gewissen haben. Der Ge-danke, dass ich hier einfach ein Erfolgs-rezept wiederholen will, mag naheliegen, aber darum ging es mir wirklich nicht. Es ist ja auch sehr riskant, einen Bestsel-

ler fortzusetzen – denn die Leserinnen und Leser haben dann besonders hohe Erwartungen. Hat ihnen etwas besonders gut gefallen, möchten sie wieder etwas Ähnliches lesen. Ist es zu ähnlich, sind sie enttäuscht und denken: Das ist ja nur eine schlechte Kopie. Ist es aber zu anders, sind sie ebenfalls enttäuscht, weil ihnen das erste Buch doch so gut gefiel. Als «Herzenstimmen» fertig war, durchlebte ich eine Krise, weil ich dachte: Das kann für alle nur mit einer Enttäuschung enden. Da empfahl mir meine Frau, das Buch noch einmal zu lesen. Ich tat es – und jetzt bin ich damit im Reinen.

Ich finde «Herzenstimmen» viel härter als «Das Herzenhören» – was Nu Nu, einer der Hauptfiguren, alles durchma-chen muss, hat mich zwischendurch fast abgestossen. Fürchten Sie nicht, Ihre Leserinnen und Leser zu enttäuschen, die eine zarte Liebesgeschichte wie im ersten Buch erwarten?Na, sehen Sie! Wäre es mir um den Erfolg gegangen, hätte ich sicher eine andere Ge-schichte geschrieben, sozusagen einfach die rote Fassung von «Das Herzenhören». Aber jetzt ist ein anderes Buch entstan-den. Die neue Geschichte ist tatsächlich trauriger und brutaler als die erste, aber ich finde sie dennoch sehr hoffnungsvoll.

Ähnlicher als der Grundton der beiden Bücher ist ihr Aufbau: Es gibt jeweils eine Rahmenhandlung um die Anwäl-tin Julia Win, die von New York nach Burma reist, um dort mehr über eine Liebesgeschichte zu erfahren. Zehn Jahre nach der ersten Reise kehrt Julia wegen der inneren Stimme nach Burma zurück. Diese Stimme stammt von einer

«Es ist riskant, einen Bestseller fortzusetzen» «Das Herzenhören» ist ein Phänomen: Seit Jahren verkauft sich der Roman von Jan-Philipp

Sendker konstant gut. Eine immer grösser werdende Leserschaft hat den einstigen Geheimtipp mit begeisterter Mund-zu-Mund-Propaganda zu einem internationalen Bestseller gemacht. Nun präsentiert Jan-Philipp Sendker die Fortsetzung: «Herzenstimmen». Books sprach mit

dem deutschen Autor über ein Buch, das Hunderttausende mit Spannung erwarten. Marius Leutenegger Erik Brühlmann

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Page 2: Interview mit Jan-Philipp Sendker

JAN-PHILIPP SENDKER

Jan-Philipp Sendker kam 1960 in Hamburg zur Welt. Er war von 1990 bis 1995 Amerika- und von 1995 bis 1999 Asien-Korrespondent des Magazins «Stern». Seit 2000 verö� entlicht er regelmässig Bücher, zuerst die China-Reportage «Risse in der grossen Mauer», seither vier Romane. Jan-Philipp Sendker lebt mit seiner Familie in Potsdam.

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Page 3: Interview mit Jan-Philipp Sendker

guren wirklich so empfinden, wie ich das beschreibe, oder gibt es hier Projektionen meinerseits?

Tatsächlich merkt man auf jeder Seite Ihrer Romane, dass hier einer viel über sein Thema weiss. Das ist kein Wunder, denn Sie waren vier Jahre lang Asien-Korrespondent für den «Stern». Wie verlief Ihre berufliche Laufbahn – und warum sind Sie heute nicht mehr Jour-nalist, sondern Schriftsteller?Ich wollte schon als 13-Jähriger Schrift-steller werden. Als ich 20 war, sagte ich meinem Vater, ich wolle Bücher schreiben. Er fragte: «Worüber denn?» Da merkte ich: Ich muss jetzt zuerst einmal etwas erleben. Deshalb begann ich, als freier Journalist zu arbeiten. Mit 29 wurde ich Amerika-Korrespondent beim «Stern», später kamen die Jahre in Asien dazu. Irgendwann dachte ich: Jetzt musst du aber allmählich mit der Schriftstellerei anfangen.

Und dann kam «Das Herzenhören» ...Zuerst schrieb ich ein Sachbuch, aber ja: Dann kam «Das Herzenhören». Innerhalb der ersten zwei Jahre verkauften sich 6000 Exemplare. Der Verleger war zufrie-den, aber ich hatte einen ganz anderen Erfolg erwartet. Weil man von so wenigen Büchern nicht leben kann, ging ich zurück zum «Stern». Drei Jahre lang arbeitete ich in Berlin und war dabei furchtbar unglücklich. Und dann geschah das Wun-derbare: «Das Herzenhören» verkaufte sich immer besser, und ich konnte beim «Stern» kündigen.

Zurück zu «Herzenstimmen». In Burma trifft Julia wieder ihren viel älteren Halbbruder U Ba, eine sehr plastische und anziehende Figur. Hat sie ein reales Vorbild?Es gibt mehrere Burmesen, die in U Ba hineingeflossen sind. Ein Freund von mir war Buchhändler in Rangun und restau-rierte Bücher genau so, wie es U Ba tut. Und auch mein Freund Tommy in Kalaw

Er wusste derart viele Details über mich, dass ich geradezu schockiert war. Seither bin ich in manchen Dingen sehr aber-gläubisch. Ich bin zwar kein Buddhist und glaube auch nicht an die Reinkarnation, finde aber vieles, was Buddha gelehrt hat, wichtig für mein Denken und Leben.

Welche Rolle spielt Burma in Ihrem Leben?Das ist auch so eine Geschichte, die eso-terisch klingt, aber wahr ist. 1995 zog ich als «Stern»-Korrespondent von New York nach Hongkong. In Asien lernte ich einen Kollegen kennen, der von Burma total begeistert war. Ich wollte das Land selber sehen, und im Mai 1995 reiste ich zum ersten Mal für eine Reportage dorthin. Bei der Abfahrt dachte ich: «Diese Reise wird dein Leben verändern.» Und so war es dann auch. Burma machte einen ganz tie-fen Eindruck auf mich. Ich habe noch nie eine so spirituelle Gesellschaft wie die bur-mesische erlebt – und eine Gesellschaft, in der es trotz widrigster Lebensumstände so viel Gelassenheit und Würde gibt. Burma ist fernab jeglicher Kommerzialität. Das Land war ja lange Zeit fast so isoliert wie Nordkorea. Als ich bei meinem ersten Besuch aufs Land fuhr, fühlte ich mich um Jahrhunderte zurück versetzt – denn es gab keine Autos und keine Werbung, alles wirkte einfach ganz anders als bei uns.

Man spürt in Ihren Büchern stets, dass Sie von Burma begeistert sind. Das Land kommt sympathischer weg als der Wes-ten, seine Bewohner dort sind weniger gestresst und weniger materialistisch als die rationalen Westler. Idealisieren Sie die Verhältnisse?Ich persönlich habe in Burma wahnsin-nig viel gelernt – über mich und über das Leben. Wenn es darum geht, mit dem zu-frieden zu sein, was einem zur Verfügung steht, sind uns die Burmesen schon weit voraus. Für mich ist es aber tatsächlich eine grosse Herausforderung, als Westler über Asien zu schreiben und nicht einfach ein Klischee an das andere zu reihen. Glücklicherweise habe ich viele positive Rückmeldungen erhalten von Leuten, die mir bestätigen, dass ich nichts idealisie-re. Als «Das Herzenhören» auf Englisch vorlag, gab ich das Buch einer burmesi-schen Freundin, und sie fand: «How did he get it so right?» Ich kann das zu einem Teil damit beantworten, dass ich eben sehr viel recherchiere. Als ich «Herzen-stimmen» fertig geschrieben hatte, reiste ich nach Kalaw und ging alles noch einmal durch. Ich wollte wissen: Können die Fi-

oder der erwähnte Astrologe haben eini-ges zu dieser Figur beigesteuert.

Julia erscheint mir hingegen recht zickig, sie ist ziemlich naiv und offenbar auch nicht gerade lernfähig: Zehn Jahre nach den Erfahrungen, die sie in «Das Herzenhören» machte, ist sie wieder in alte Muster zurückgefallen. Mir wurde sie nie richtig sympathisch. Mögen Sie diese Figur?Ja. Ich finde sie auch überhaupt nicht zickig. Sie ist jetzt Mitte dreissig und in einer schwierigen Lebensphase: Sie hat keine Kinder, keinen Mann an ihrer Seite, ist beruflich erfolgreich, aber sie spürt eine gewisse Leere in ihrem Leben. Dass sie nach den intensiven Erfahrungen in «Das Herzenhören» in ihre alten Muster zurückgefallen ist, möchte ich ihr nicht vorwerfen. Wie schwer ist es doch, sich von den Routinen des Alltags zu befreien! Ich bin Julia beim Schreiben von «Her-zenstimmen» jedenfalls sehr nah gekom-men. Den Zugang zu ihr zu finden, war allerdings ein längerer Prozess. Die ersten 60 Seiten des Romans zu schreiben, die in New York spielen und sich um Julias Leben dort drehen, bereitete mir Mühe.

Warum sind eigentlich immer US-Ame-rikaner Ihre Hauptfiguren? Julia Win könnte ja ebenso gut Deutsche sein ...Nein, denn ihr Vater wäre aus Burma nicht nach Deutschland ausgewandert – dass er von seinem Onkel in die USA geschickt wurde, war viel logischer. Und für mich lag nahe, die Familie von Julia in New York anzusiedeln, weil ich acht Jahre lang in dieser Stadt lebte und mich ihr sehr verbunden fühle.

Im Katalog Ihres Verlags steht, die Ver-filmung von «Das Herzenhören» sei in Vorbereitung. Wer dreht den Film – und wann kommt er ins Kino?Das Interesse an der Verfilmung ist gross, und die Option auf die Verfilmung ist verkauft. Gegenwärtig schreibe ich das Drehbuch, aber es wird sicher nicht ein-fach, diese Geschichte zu adaptieren. Alles wird damit stehen und fallen, wie wir die Innenwelten der Hauptfiguren zeigen können.

Von Ihrer China-Trilogie gibt es bis jetzt zwei Bücher. Arbeiten Sie am dritten?Ich habe damit noch nicht angefangen, aber bei diesem Buch kenne ich bereits den Ausgangspunkt. Es geht um den ab-soluten Mangel an Werten, um die Frage: Welche Ethik zählt jetzt? China ist ein

«Ich habe keine Fortsetzung geplant, aber das hatte ich auch nicht nach ‹Das Herzenhören›.»

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Page 4: Interview mit Jan-Philipp Sendker

WEITERE ROMANE VON JAN-PHILIPP SENDKER

Das Herzenhören (2004) 288 SeitenCHF 12.90HeyneDer Vater der New Yorker Rechtsanwältin Julia Win verschwindet eines Tages

spurlos. Julia reist in sein Herkunftsland Burma, um einem Geheimnis auf die Spur zu kommen: einer grossen Liebe.

Das Flüstern der Schatten (2007)463 SeitenCHF 13.90HeyneDer Amerikaner Paul Lei-bowitz nagt schwer am Tod

seines achtjährigen Buben. Er zieht sich zurück auf eine Insel vor Hongkong. Die Chinesin Christine Wu kämpft darum, ihn ins Leben zurückzuholen. Ein mysteriöser Mordfall zwingt Paul schliesslich, sich seinem Trauma zu stellen.

Drachenspiele (2009)447 SeitenCHF 15.90HeynePaul hat bei Christine Halt gefunden. Eines Tages erhält sie einen Brief ihres ver-

schollenen Bruders, in dem er sie um Hilfe bittet. Paul begibt sich in die Abgründe der chinesischen Gesellschaft.

Herzenstimmen280 SeitenCHF 29.90Blessing

so hartes und brutales Land geworden, und diese Entwicklung möchte ich gern aufzeigen.

Wird es irgendwann auch eine Burma-Trilogie geben? Schreiben Sie auch noch eine Fortsetzung von «Herzenstim-men»? Ich habe keine Fortsetzung geplant, aber das hatte ich auch nicht nach «Das Her-zenhören». Ehrlich gesagt würde ich gern wissen, wie es mit Julia weitergeht – und das kann ich nur herausfi nden, wenn ich die Geschichte weiterschreibe. Die Neu-gierde ist jedenfalls da.

Julia Win muss sich am Ende zwischen Burma und der USA entscheiden. Sie haben bei aller Liebe zu Asien Potsdam als Wohnort gewählt. Warum?Ich würde sicher gern noch einmal in Asien leben, aber meine Frau ist froh da-rüber, dass wir uns mit unseren Kindern in Potsdam niedergelassen haben. Dank meinem Beruf kann ich mich aber oft wegträumen, und für meine Recherche-reisen bin ich oft in Asien. Ich kann heute glücklicherweise irgendwie in beiden Welten leben.

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