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Freitag, 15. Januar 2016 Nummer 2 · Holz-Zentralblatt · Seite 53 Oberfläche – Türkei fi. Schattdecor beliefert die türkische Holzwerkstoffindustrie seit fast 30 Jahren mit dekorativen Oberflächen und gilt dort im Bereich Dekordruck seit Mitte der 2000er-Jahre als Markt- führer. Nachdem 2008 mit der Schattdecor Dekoratif Kagit Baski San. ve Tic. Ltd. Sti. eine eigene Vertriebsgesellschaft ge- gründet worden war, errichteten die Oberflächenspezialisten aus dem oberbayerischen Voralpenland kurz darauf eine eige- ne Fertigung in Gebze/Kocaeli bei Istanbul. Im Interview äu- ßern sich Maciej Piatek, Geschäftsführer der Schattdecor De- koratif, und Andreas Bruckbauer, Vertriebsleiter für den Be- reich Südeuropa und Nahost bei Schattdecor, über Erfolgsaus- sichten, Marktanforderungen und die Mentalität am Bosporus. Interview mit Maciej Piatek, Geschäftsführer Schattdecor Türkei, und Andreas Bruckbauer, Vertriebsleiter Südeuropa und Nahost »Wer Ferrari fahren will, braucht vernünftigen Sprit« Holz-Zentralblatt: Sehr geehrte Herren Piatek und Bruckbauer, seit Dezember 2010 produziert Schattdecor in der Türkei auf einer Rotodecor-Druckma- schine am eigenen Standort in Gebze. Bei der offiziellen Eröffnung Mitte April 2011 sprach der damalige Ver- kaufsleiter Erhan Kara von einem Marktpotenzial von 25 000 t Dekorpa- pier pro Jahr. Ist die Zahl heute noch aktuell? Wie hat sich der Standort seit- dem in Bezug auf Mitarbeiterzahl und Produktionsmenge entwickelt? Macej Piatek: Im Dezember 2010 ha- ben wir die erste Rolle gedruckt, eine zweite Rotodecor-Anlage ist 2012 an- gelaufen. Die Zahl unserer Mitarbeiter in Gebze hat sich innerhalb der letzten vier Jahre auf knapp 50 verdoppelt, die Produktionkapazität auf 10 000 t De- korpapier pro Jahr nahezu verdrei- facht. Andreas Bruckbauer: Diese Kennzah- len bekommen eine besondere Aussa- gekraft, wenn man bedenkt, dass das Marktpotenzial eher geringer gewor- den ist. Der Grund hierfür liegt vor al- lem in dem immer noch steigenden Uni-Anteil. Hier hat sich vor allem die Farbe Weiß besonders stark entwickelt. HZ: Denken Sie kurz- oder mittelfristig an einen Ausbau des Standortes? Piatek: Wir haben Platz für drei wei- tere Maschinen, das Fundament für die dritte Anlage ist bereits errichtet. Wir beginnen jetzt, konkret über diese In- vestition nachzudenken, müssen dabei aber auch die aktuelle politische Ent- wicklung in der Türkei berücksichtigen. Das Ergebnis der Wahl im November verspricht Stabilität und gute Wachs- tumsaussichten, verunsichernd kommt dagegen die Entwicklung in Syrien da- zu. Dass wir seinerzeit den Standort so großzügig für insgesamt fünf Anlagen ausgelegt haben, zeigt, was wir für ein Potenzial im türkischen Markt sehen. HZ: Schattdecor-Oberflächen dürf- ten in der Türkei bis vor ein paar Jah- ren vor allem für Möbelplatten einge- setzt worden sein. Inzwischen wächst aber die Laminatbodenproduktion der heimischen Produzenten im Land deutlich an – nicht zuletzt aufgrund des jüngsten Antidumping-Verfahrens und der eingesetzten Strafzölle für ei- nige deutsche Laminatbodenherstel- ler*. Welche Auswirkungen hatte/hat das für den Standort Gebze? Bruckbauer: Lignadecor war lange Jahre in der Türkei unser Vertriebspart- ner und unser heutiger Verkaufsleiter Erhan Kara war bis 2008 dort für die Schattdecor-Produkte zuständig. Die erste Rolle in der Türkei hat aber unser heutiger Vorstandsvorsitzender Reiner Schulz selbst verkauft – das war 1989 an Kastamonu Entegre (siehe Kasten). Lignadecor war damals reiner Impor- teur ohne eigene Produktion und Pro- dukte. Bei uns wurde Dekorpapier ge- kauft, um es dann zur Imprägnierung weiterzugeben. Kunden, die selber im- prägniert haben, haben wir direkt mit Dekorpapier beliefert. Später hat Li- gnadecor eigene Imprägnierkapazitäten aufgebaut, dann kam irgendwann auch die Kante hinzu. Das war und ist bis heute ein partnerschaftliches und freundschaftliches Verhältnis. Die ent- sprechenden Verträge sind 2008 aufge- löst worden – in aller Freundschaft. Und so ist das Verhältnis bis heute. HZ: Von welchen Absatzmengen spre- chen wir vor und in den Jahren nach 2008? Sind die Verkäufe danach ex- plosionsartig nach oben gegangen? Bruckbauer: Diese Explosion ist da- mals eigentlich ausgeblieben (lacht), da unser Produktionsstart in der Türkei- ziemlich in die Weltwirtschaftskrise ge- fallen ist – 2008 bis 2010 waren eher schwierige Jahre. HZ: Die Türkei gehört inzwischen zu den wichtigsten Absatzgebieten von Schattdecor weltweit, die sie nicht nur mit den in Gebze hergestellten Pro- dukten bedienen. Können Sie etwas zu den Sortimenten sagen, die Schattde- cor in der Türkei absetzt? Wie sieht es aus mit dem Verhältnis von Laminat- zu Möbeloberflächen? Bruckbauer: Der Anteil des Fußbo- den- bzw. Laminatoberflächenbereichs entwickelt sich derzeit tendenziell stei- gend, es ist manchmal aber nicht ganz einfach zu sagen. Es gibt viele Möbel- dekore, die mittlerweile auch im Fuß- boden eingesetzt werden und umge- kehrt. Piatek: Die Türkei gehört zu den fünf wichtigsten Absatzgebieten für Schatt- decor weltweit. Hinzu kommt die Be- deutung als wichtige Schnittstelle in den Nahen Osten. HZ: Seit wann ist Schattdecor Markt- führer in der Türkei? Bruckbauer: Das ist schwierig zu sa- gen, wohl seit Mitte der 2000er-Jahre. HZ: D. h., bevor Sie selbst im Land produziert haben? Piatek: Ja, und bisher sind wir auch der einzige der international großen Dekordrucker, der im Land selbst pro- duziert. HZ: Eigentlich erstaunlich, wo hier doch seit Jahren die Musik spielt!? Bruckbauer: Das ist eine strategische Entscheidung, die Türkei kann man durchaus auch von Westeuropa und von Deutschland aus beliefern. HZ: Sie als Unternehmen sind ja auch der beste Beweis dafür. Sie waren Marktführer noch bevor Sie einen ei- genen Produktionsstandort hier aufge- baut hatten! Designs und Sortimente HZ: Lassen Sie uns über Geschmack reden. Von was für Designs sprechen wir in der Türkei? Holznachbildungen oder eher Stein? Blumig oder streifig? Hat der türkische Markt die großen Schattdecor-Dekore wie „Samerberg- Buche“ oder „Sonoma-Eiche“ aufge- nommen oder gab es hier ganz andere „Renner“? Bruckbauer: Ursprünglich hat es hier ganz andere Dekore gegeben – die Märkte gleichen sich zunehmend an. Piatek: Europäische Trends kommen jetzt auch in der Türkei an, das sehe ich auch so, und das war früher anders. Entsprechend präsent sind nun auch hier Eiche- und Nussbaumdekore. Beim Fußboden ist die Eiche sogar do- minant. HZ: Das eigentlich starke Profil frühe- rer Zeiten ist also inzwischen weniger geworden? Bruckbauer: Vor zehn Jahren gab es Birne, die ist heute fast ganz weg, Wen- ge und einen hellen Ahorn, und das war es schon – es musste alles sehr flach sein, ohne Bewegung. Als wir damals das erste Mal die „Wallis Zwetschge“ gezeigt haben, reichten die Kommentare von ,Damit können wir nichts anfangen‘ bis hin zur völligen Ablehnung. Nachdem ein Möbelher- steller das Dekor für eine Exklusivserie haben wollte, waren plötzlich alle da- ran interessiert. Das war so, als hätte man einen Schalter umgelegt. Die „Wallis Zwetschge“ war genau das Ge- genteil von dem, was bis dahin gefragt war. Piatek: Wenge ist heute noch stark vertreten, aber rückläufig. Wachstum ist in dem Bereich wahrscheinlich nicht mehr zu erwarten. Die türkischen Hersteller schauen inzwischen sehr ge- nau, was auf ausländischen Möbelmes- sen angesagt ist. Und sie versuchen Schritt für Schritt, diese Trends auch auf dem türkischen Markt zu etablie- ren. Vor allem von italienischem De- sign sind viele Türken begeistert. Damit » Das Wachstum bei den Möbelplatten wird weitgehend vom Uni- Trend absorbiert. « Andreas Bruckbauer » Die Türkei gehört zu den fünf wichtigsten Absatzgebieten für Schattdecor weltweit. « Maciej Piatek Produktionstandort in Gebze in der Provinz Kocaeli am Marmarameer. Die Stadt ist ein beliebter Standort für westeuropäi- sche Firmen, wegen der Nähe zum Istanbuler Flughafen Sabiha und der guten Verkehrsanbindung (Straße, Hafen) * Am 13. Juni 2015 führte die Türkei An- ti-Dumping-Zölle für in Deutschland pro- duzierte Laminatfußböden ein (siehe Tür- kisches Amtsblatt Nr. 29385 vom 13. Juni 2015). Der festgelegte Satz für deutsche Hersteller, die mit den türkischen Stellen kooperiert haben, beträgt zwischen 0 und 0,53 USD/m² (0,53 USD = 0,48 Euro), für alle anderen gilt ein Tarif von 1,05 USD/m². Im Einzelnen hat das türkische Wirtschaftsministerium folgende Tarife festgelegt für Laminatfußboden aus deut- scher Herstellung mit Produkt-Code 4411.13.90.00.11: Falquon GmbH: 0 USD/m², Kronotex GmbH & Co. KG: 0,30 USD/m² Egger Holzwerkstoffe Wismar GmbH 0,33 USD/m², Classen Flooring International GmbH: 0,31 USD/m², Meister Werke Schulte GmbH: 0,53 USD/m² Quelle: EPLF Schattdecor produziert seit Ende 2010 Dekorpapier an einem eigenen Standort in Gebze; Anfang 2012 wurde eine zweite Druckmaschine installiert Fortsetzung auf Seite 54 Dipl.-Kfm. Maciej Piatek ist seit 2012 in Gebze in leitender Funk- tion, zunächst als Werksleiter, dann seit Oktober 2013 in der Geschäftsleitung der Schattdecor Dekoratif Kagit Baski San. ve Tic. Ltd. Sti. Piatek ist in Polen gebo- ren und aufgewachsen. Er hat an der Europäischen Universität in Frankfurt studiert und nach sei- nem erfolgreichen Abschluss am polnischen Schattdecor-Standort Tarnowo Podgórne angefangen. Zwischen 2007 und 2009 war er Assistent der Geschäftsleitung mit Schwerpunkt Controlling/Pro- duktionsnaher Bereich. In der Zeit war er in vielen Schattdecor- Standorten tätig, u. a. in Thansau und in Tschechov (Russland). Bis Ende 2011 war er bei Schattdecor in Shanghai (China). Piatek spricht fließend Deutsch und Pol- nisch, zudem Englisch, Russisch und Portugiesisch. Sein Türkisch wird immer besser. Maciej Piatek ZUR PERSON Bruckbauer: Der Fußbodenbereich ist ein wichtiger Wachstumsmarkt für uns geworden. Hier gibt es kein Uni-Weiß, nahezu alles ist bedruckt. Im Möbelbe- reich passiert dagegen derzeit nicht viel. In Sachen Strafzölle hatte die ers- te Runde gegen China vor vier Jahren mehr Auswirkungen, weil die Import- mengen aus China sehr viel höher wa- ren. Das war dann von einem auf den anderen Tag vorbei und es gab einen regelrechten Boom der türkischen La- minatbodenindustrie. Die zweite Run- de haben wir hingegen kaum gespürt. Piatek: Die zweite Runde war nur ge- gen einige deutsche Hersteller gerich- tet, deswegen waren größere Auswir- kungen weder zu erwarten noch zu spüren. HZ: Korrigieren Sie mich, wenn ich falsch liege: Bis 2008 haben Sie den türkischen Markt mithilfe des Koope- rationspartners Lignadecor bedient. Mit dem Start der eigenen Vertriebs- gesellschaft haben Sie den Vertrieb selbst in die Hand genommen.

Interview mit Maciej Piatek, Geschäftsführer Schattdecor ... · Freitag, 15. Januar 2016 Oberfläche – Türkei Nummer 2 · Holz-Zentralblatt · Seite 53 fi. Schattdecor beliefert

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Freitag, 15. Januar 2016 Nummer 2 · Holz-Zentralblatt · Seite 53Oberfläche – Türkei

fi. Schattdecor beliefert die türkische Holzwerkstoffindustrieseit fast 30 Jahren mit dekorativen Oberflächen und gilt dortim Bereich Dekordruck seit Mitte der 2000er-Jahre als Markt-führer. Nachdem 2008 mit der Schattdecor Dekoratif KagitBaski San. ve Tic. Ltd. Sti. eine eigene Vertriebsgesellschaft ge-gründet worden war, errichteten die Oberflächenspezialistenaus dem oberbayerischen Voralpenland kurz darauf eine eige-ne Fertigung in Gebze/Kocaeli bei Istanbul. Im Interview äu-ßern sich Maciej Piatek, Geschäftsführer der Schattdecor De-koratif, und Andreas Bruckbauer, Vertriebsleiter für den Be-reich Südeuropa und Nahost bei Schattdecor, über Erfolgsaus-sichten, Marktanforderungen und die Mentalität am Bosporus.

Interview mit Maciej Piatek, Geschäftsführer Schattdecor Türkei, und Andreas Bruckbauer, Vertriebsleiter Südeuropa und Nahost

»Wer Ferrari fahren will, braucht vernünftigen Sprit«

Holz-Zentralblatt: Sehr geehrte HerrenPiatek und Bruckbauer, seit Dezember2010 produziert Schattdecor in derTürkei auf einer Rotodecor-Druckma-schine am eigenen Standort in Gebze.Bei der offiziellen Eröffnung MitteApril 2011 sprach der damalige Ver-kaufsleiter Erhan Kara von einemMarktpotenzial von 25 000 t Dekorpa-pier pro Jahr. Ist die Zahl heute nochaktuell? Wie hat sich der Standort seit-dem in Bezug auf Mitarbeiterzahl undProduktionsmenge entwickelt?

Macej Piatek: Im Dezember 2010 ha-ben wir die erste Rolle gedruckt, einezweite Rotodecor-Anlage ist 2012 an-gelaufen. Die Zahl unserer Mitarbeiterin Gebze hat sich innerhalb der letztenvier Jahre auf knapp 50 verdoppelt, dieProduktionkapazität auf 10 000 t De-korpapier pro Jahr nahezu verdrei-facht.

Andreas Bruckbauer: Diese Kennzah-len bekommen eine besondere Aussa-gekraft, wenn man bedenkt, dass dasMarktpotenzial eher geringer gewor-den ist. Der Grund hierfür liegt vor al-lem in dem immer noch steigendenUni-Anteil. Hier hat sich vor allem dieFarbe Weiß besonders stark entwickelt.

HZ: Denken Sie kurz- oder mittelfristigan einen Ausbau des Standortes?

Piatek: Wir haben Platz für drei wei-tere Maschinen, das Fundament für diedritte Anlage ist bereits errichtet. Wirbeginnen jetzt, konkret über diese In-vestition nachzudenken, müssen dabeiaber auch die aktuelle politische Ent-wicklung in der Türkei berücksichtigen.Das Ergebnis der Wahl im Novemberverspricht Stabilität und gute Wachs-tumsaussichten, verunsichernd kommtdagegen die Entwicklung in Syrien da-zu. Dass wir seinerzeit den Standort sogroßzügig für insgesamt fünf Anlagenausgelegt haben, zeigt, was wir für einPotenzial im türkischen Markt sehen.

HZ: Schattdecor-Oberflächen dürf-ten in der Türkei bis vor ein paar Jah-ren vor allem für Möbelplatten einge-setzt worden sein. Inzwischen wächstaber die Laminatbodenproduktion derheimischen Produzenten im Landdeutlich an – nicht zuletzt aufgrunddes jüngsten Antidumping-Verfahrensund der eingesetzten Strafzölle für ei-nige deutsche Laminatbodenherstel-ler*. Welche Auswirkungen hatte/hatdas für den Standort Gebze?

Bruckbauer: Lignadecor war langeJahre in der Türkei unser Vertriebspart-ner und unser heutiger VerkaufsleiterErhan Kara war bis 2008 dort für dieSchattdecor-Produkte zuständig. Dieerste Rolle in der Türkei hat aber unserheutiger Vorstandsvorsitzender ReinerSchulz selbst verkauft – das war 1989an Kastamonu Entegre (siehe Kasten).Lignadecor war damals reiner Impor-teur ohne eigene Produktion und Pro-dukte. Bei uns wurde Dekorpapier ge-kauft, um es dann zur Imprägnierungweiterzugeben. Kunden, die selber im-prägniert haben, haben wir direkt mitDekorpapier beliefert. Später hat Li-gnadecor eigene Imprägnierkapazitätenaufgebaut, dann kam irgendwann auchdie Kante hinzu. Das war und ist bisheute ein partnerschaftliches undfreundschaftliches Verhältnis. Die ent-sprechenden Verträge sind 2008 aufge-löst worden – in aller Freundschaft.Und so ist das Verhältnis bis heute.

HZ: Von welchen Absatzmengen spre-chen wir vor und in den Jahren nach2008? Sind die Verkäufe danach ex-plosionsartig nach oben gegangen?

Bruckbauer: Diese Explosion ist da-mals eigentlich ausgeblieben (lacht), daunser Produktionsstart in der Türkei-ziemlich in die Weltwirtschaftskrise ge-fallen ist – 2008 bis 2010 waren eherschwierige Jahre.

HZ: Die Türkei gehört inzwischen zuden wichtigsten Absatzgebieten vonSchattdecor weltweit, die sie nicht nurmit den in Gebze hergestellten Pro-dukten bedienen. Können Sie etwas zuden Sortimenten sagen, die Schattde-cor in der Türkei absetzt? Wie sieht esaus mit dem Verhältnis von Laminat-zu Möbeloberflächen?

Bruckbauer: Der Anteil des Fußbo-den- bzw. Laminatoberflächenbereichsentwickelt sich derzeit tendenziell stei-gend, es ist manchmal aber nicht ganzeinfach zu sagen. Es gibt viele Möbel-dekore, die mittlerweile auch im Fuß-boden eingesetzt werden und umge-kehrt.

Piatek: Die Türkei gehört zu den fünfwichtigsten Absatzgebieten für Schatt-decor weltweit. Hinzu kommt die Be-

deutung als wichtige Schnittstelle inden Nahen Osten.

HZ: Seit wann ist Schattdecor Markt-führer in der Türkei?

Bruckbauer: Das ist schwierig zu sa-gen, wohl seit Mitte der 2000er-Jahre.

HZ: D. h., bevor Sie selbst im Landproduziert haben?

Piatek: Ja, und bisher sind wir auchder einzige der international großenDekordrucker, der im Land selbst pro-duziert.

HZ: Eigentlich erstaunlich, wo hierdoch seit Jahren die Musik spielt!?

Bruckbauer: Das ist eine strategischeEntscheidung, die Türkei kann mandurchaus auch von Westeuropa undvon Deutschland aus beliefern.

HZ: Sie als Unternehmen sind ja auchder beste Beweis dafür. Sie warenMarktführer noch bevor Sie einen ei-genen Produktionsstandort hier aufge-baut hatten!

Designs und Sortimente

HZ: Lassen Sie uns über Geschmackreden. Von was für Designs sprechenwir in der Türkei? Holznachbildungenoder eher Stein? Blumig oder streifig?Hat der türkische Markt die großenSchattdecor-Dekore wie „Samerberg-Buche“ oder „Sonoma-Eiche“ aufge-nommen oder gab es hier ganz andere„Renner“?

Bruckbauer: Ursprünglich hat es hierganz andere Dekore gegeben – dieMärkte gleichen sich zunehmend an.

Piatek: Europäische Trends kommenjetzt auch in der Türkei an, das sehe

ich auch so, und das war früher anders.Entsprechend präsent sind nun auchhier Eiche- und Nussbaumdekore.Beim Fußboden ist die Eiche sogar do-minant.

HZ: Das eigentlich starke Profil frühe-rer Zeiten ist also inzwischen wenigergeworden?

Bruckbauer: Vor zehn Jahren gab esBirne, die ist heute fast ganz weg, Wen-ge und einen hellen Ahorn, und daswar es schon – es musste alles sehrflach sein, ohne Bewegung. Als wirdamals das erste Mal die „WallisZwetschge“ gezeigt haben, reichten dieKommentare von ,Damit können wirnichts anfangen‘ bis hin zur völligenAblehnung. Nachdem ein Möbelher-steller das Dekor für eine Exklusivseriehaben wollte, waren plötzlich alle da-ran interessiert. Das war so, als hätteman einen Schalter umgelegt. Die„Wallis Zwetschge“ war genau das Ge-genteil von dem, was bis dahin gefragtwar.

Piatek: Wenge ist heute noch starkvertreten, aber rückläufig. Wachstumist in dem Bereich wahrscheinlichnicht mehr zu erwarten. Die türkischenHersteller schauen inzwischen sehr ge-nau, was auf ausländischen Möbelmes-sen angesagt ist. Und sie versuchenSchritt für Schritt, diese Trends auchauf dem türkischen Markt zu etablie-ren. Vor allem von italienischem De-sign sind viele Türken begeistert. Damit

»Das Wachstum beiden Möbelplatten wirdweitgehend vom Uni-Trend absorbiert.«Andreas Bruckbauer

»Die Türkei gehört zuden fünf wichtigstenAbsatzgebieten fürSchattdecor weltweit.«Maciej Piatek

Produktionstandort in Gebze in der Provinz Kocaeli am Marmarameer. Die Stadt ist ein beliebter Standort für westeuropäi-sche Firmen, wegen der Nähe zum Istanbuler Flughafen Sabiha und der guten Verkehrsanbindung (Straße, Hafen)

* Am 13. Juni 2015 führte die Türkei An-ti-Dumping-Zölle für in Deutschland pro-duzierte Laminatfußböden ein (siehe Tür-kisches Amtsblatt Nr. 29385 vom 13. Juni2015). Der festgelegte Satz für deutscheHersteller, die mit den türkischen Stellenkooperiert haben, beträgt zwischen 0 und0,53 USD/m² (0,53 USD = 0,48 Euro), füralle anderen gilt ein Tarif von 1,05USD/m². Im Einzelnen hat das türkischeWirtschaftsministerium folgende Tarifefestgelegt für Laminatfußboden aus deut-scher Herstellung mit Produkt-Code4411.13.90.00.11:Falquon GmbH: 0 USD/m²,Kronotex GmbH & Co. KG: 0,30 USD/m²Egger Holzwerkstoffe Wismar GmbH0,33 USD/m²,Classen Flooring International GmbH: 0,31 USD/m²,Meister Werke Schulte GmbH:0,53 USD/m² Quelle: EPLF

Schattdecor produziert seit Ende 2010 Dekorpapier an einem eigenen Standort inGebze; Anfang 2012 wurde eine zweite Druckmaschine installiert

Fortsetzung auf Seite 54

Dipl.-Kfm. Maciej Piatek ist seit2012 in Gebze in leitender Funk-tion, zunächst als Werksleiter,dann seit Oktober 2013 in derGeschäftsleitung der SchattdecorDekoratif Kagit Baski San. ve Tic.Ltd. Sti. Piatek ist in Polen gebo-ren und aufgewachsen. Er hat ander Europäischen Universität inFrankfurt studiert und nach sei-nem erfolgreichen Abschluss ampolnischen Schattdecor-StandortTarnowo Podgórne angefangen.Zwischen 2007 und 2009 war erAssistent der Geschäftsleitung mitSchwerpunkt Controlling/Pro-duktionsnaher Bereich. In der Zeitwar er in vielen Schattdecor-Standorten tätig, u. a. in Thansauund in Tschechov (Russland). BisEnde 2011 war er bei Schattdecorin Shanghai (China). Piatekspricht fließend Deutsch und Pol-nisch, zudem Englisch, Russischund Portugiesisch. Sein Türkischwird immer besser.

Maciej Piatek

Z U R P E R S O N

Bruckbauer: Der Fußbodenbereich istein wichtiger Wachstumsmarkt für unsgeworden. Hier gibt es kein Uni-Weiß,nahezu alles ist bedruckt. Im Möbelbe-reich passiert dagegen derzeit nichtviel. In Sachen Strafzölle hatte die ers-te Runde gegen China vor vier Jahrenmehr Auswirkungen, weil die Import-mengen aus China sehr viel höher wa-ren. Das war dann von einem auf denanderen Tag vorbei und es gab einenregelrechten Boom der türkischen La-minatbodenindustrie. Die zweite Run-de haben wir hingegen kaum gespürt.

Piatek: Die zweite Runde war nur ge-gen einige deutsche Hersteller gerich-tet, deswegen waren größere Auswir-kungen weder zu erwarten noch zuspüren.

HZ: Korrigieren Sie mich, wenn ichfalsch liege: Bis 2008 haben Sie dentürkischen Markt mithilfe des Koope-rationspartners Lignadecor bedient.Mit dem Start der eigenen Vertriebs-gesellschaft haben Sie den Vertriebselbst in die Hand genommen.

wird die Vielfalt der Dekore hier vielgrößer, eine Tendenz, die derzeit auchglobal auf dem Markt zu beobachtenist. Und die Branche versucht auchnach Italien zu expandieren. Kastamo-nu hat z. B. im Herbst letzten Jahreserstmals bei der „Sicam“ in Pordenoneausgestellt. Und Ende 2014 hat Gentasden italienischen SchichtstoffherstellerLiri aus Turin übernommen.

HZ: Wie sieht es mit der Buche als De-kor aus?

Bruckbauer: Das ist momentan keinThema mehr – und es sieht auch nichtdanach aus, dass es in der näheren Zu-kunft etwas damit werden könnte.

HZ: Wenn wir von der Türkei reden,dann sprechen wir von Hochglanz. Istdas noch so, hat es Veränderungengegeben?

Piatek: Hochglanz ist immer nochsehr, sehr präsent. Wir werden auch inder näheren Zukunft weiterhin vongroßen Mengen in der Türkei spre-chen. Rückblickend können wir sagen,dass die Dekore den Trend der PVC-Hochglanzoberflächen aufgenommenhaben, um Marktanteile zu gewinnen.Ich gehe aber davon aus, dass wir dieneueren Dekore zunehmend mit einemanderen Finish sehen werden.

HZ: Von was für Hochglanz-Mengenreden wir?

Bruckbauer: Beim PVC ist der Anteilschon hoch, beim Dekor haben wirzwar einen stärkeren Anteil als inWesteuropa, aber hier reden wir voneinem niedrigen zweistelligen Wert.Vielfach sieht man hier auch Acryl-Hochglanzoberflächen. Das sind zumTeil sehr teure Oberflächen, die nichtin unserem Marktsegment liegen – undauch beim PVC reden wir ja von sehrhohen Preisen.

HZ: Welche Rolle spielt die Finishfolieauf dem türkischen Markt?

Bruckbauer: Es gibt ein paar wenigeMöbelhersteller, die Vorimprägnat ein-setzen, die großen Mengen laufen aberdefinitiv im Melaminbereich.

Piatek: In der Holzwerkstoffindustriehaben wir fast nur neue und sehr teureAnlagen, die müssen sich amortisieren,bevor in Kaschieranlagen investiertwird. Es wird noch dauern bis die Fi-nishfolie in der Türkei eine Rolle spie-len könnte.

»Wer Ferrari fahren will, braucht vernünftigen Sprit«Fortsetzung von Seite 53

HZ: Wie bewerten Sie die Qualitätsan-sprüche der türkischen Kunden imVergleich zu anderen Regionen?

Bruckbauer: Die großen türkischenHolzwerkstoffhersteller haben ihre An-lagen für hochwertige Dekorpapiereausgelegt und orientieren sich damit andem westeuropäischen Standard.Wenn sie qualitativ einfacheres Papier

einsetzen wollten, dann hätten sie auchnicht in solche Anlagen investierenmüssen. Chinesische Dekordrucker ha-ben daher hier nahezu keine Marktan-teile. Wer einen Ferrari fahren will, derbraucht auch vernünftigen Sprit. Wasdie Möbelindustrie angeht, so wachsendie Ansprüche auf den weltweitenMärkten bei der Qualität wie bei denDekortrends zusammen.

Piatek: Geschätzt wird eine robusteOberfläche. Daher spielt die Beständig-keit der Melaminoberfläche eine wich-tige Rolle.

HZ: Kommen wir noch einmal zurückzu den Dekor-„Rennern“. Mit einGrund für solche großen Markterfolgein Deutschland oder Mitteleuropa istdas Orderverhalten von großen Mö-beleinkaufsverbänden, die wenn siebestellen, nicht kleckern, sondern klot-zen und es damit gleich eine großeMarktdurchdringung gibt. Hinzukommt Ihre gute Zusammenarbeit mit

den Designabteilungen der großenHolzwerkstoffhersteller in Deutschlandund Österreich, was zu gemeinsamenDekorentwicklungen und -verbündenund zu einem weiteren Marktpushführt. Wie muss man sich das in derTürkei vorstellen?

Bruckbauer: Die Verbände gibt eshier auch, aber auf die Dekore nehmensie nicht so einen Einfluss wie etwa inDeutschland.

Piatek: Insgesamt ist es viel individu-eller hier, man möchte sich gerne mehrvon den anderen Herstellern unter-scheiden. Das ist für uns ein Marktvor-teil, weil wir mit unseren Anlagen inGebze auf individuelle Wünsche sehrschnell reagieren können und die De-kore gemeinsam mit unseren Kundenentwickeln.

HZ: Aber es kam noch keiner mit einerTischplatte, die er jetzt als Dekor ha-ben wollte ... ?

Piatek: Nein, aber in die Richtunggeht es schon.

Marktausblick Türkei

und Nachbarländer

HZ: Die gesamte türkische Industrie istseit den beginnenden 2000er-Jahrenschier unglaublich gewachsen. Das giltauch für die Möbel- und Holzwerk-stoffindustrie. Und auch jetzt laufenweiter gigantische Investitionsprojekte,denken wir nur an den neuen Flugha-fen oder den zweiten Bosporus-Kanal.Was erwarten Sie vom türkischenMarkt die nächsten Jahre, auch imHinblick auf das Ziel „Türkei 2023“?

Piatek: Die Ziele sind gigantisch. DasBruttoinlandsprodukt soll sich in derTürkei von 2010 bis 2023 fast verdrei-fachen, die Exporte im selben Zeitraumnahezu verdoppeln.* Die Pläne der Re-gierung sind sehr ambitioniert. Aberdie Türkei braucht dementsprechendauch dringend neue Investitionen, vorallem was die Infrastruktur angeht, ummit dem Wachstum Schritt zu halten.Istanbul spielt als Wirtschaftszentrumder gesamten Türkei dabei eine ent-scheidende Rolle. Etwa ein Drittel allerWarenbewegungen in der Türkei laufenhier zusammen und entsprechend großist die Anziehungskraft der Stadt.

Bruckbauer: Die türkische Holzwerk-stoffindustrie wird nicht im selbenTempo mitwachsen können. Es istnicht zuletzt eine Frage der Holzver-sorgung, da alles importiert werdenmuss. Ein großes Problem sind hier diesteigenden Holzpreise. Die Branche

hat ihre Aktivitäten jetzt eher ins Aus-land verlagert. Es gibt aber auch in derTürkei noch ein paar aktuelle Projekte.

Piatek: Was die Bauindustrie angeht,versucht die Regierung den Boom ge-zielt zu fördern, auch, um die Erdbe-bensicherheit der Gebäude zu verbes-sern. Früher konnte man über Nachtein Haus bauen, ohne Genehmigungund ohne Bodenprüfungen. Sobald dasDach drauf war, durfte es nicht mehr

abgerissen werden. Dadurch wurde vielin schlechter Qualität gebaut. Das istnun gesetzlich anders geregelt und eswird jetzt viel Neues gebaut, um die al-ten Häuser zu ersetzen.

HZ: Die Türkei gilt allgemein als sehrsensibel in Bezug auf politische Insta-bilitäten, auch vor Wahlen gibt es re-gelmäßig einen über mehrere Monate

»Vor allem von italie-nischem Design sindviele Türken begeistertund versuchen, eshier auf den Marktzu bringen.«

Maciej Piatek

Andreas Bruckbauer präsentiert eines der ersten Erfolgsdekore für Schattdecor inder Türkei in den späten 1990er-Jahren: die „Simssee“-Buche. Entsprechend demdamaligen Geschmack war die Ausführung ganz flach, ohne Bewegung, eher wieein Schäl- statt ein Messerfurnier. In Westeuropa spielte das nach einem See imoberbayerischen Voralpenland benannte Dekor keine Rolle

Neben den beiden installierten Tiefdruck-Anlagen ist noch reichlich Platz für ins-gesamt drei weitere Maschinen. Das Fundament für die dritte Anlage ist bereitsfertig. Auf einen Zeitpunkt zur Installation will man sich in Gebze noch nicht fest-legen, aber man will jetzt sehr genau die Marktentwicklung beobachten

Zwei Rotodecor-Anlagen laufen am Standort

Die Zylinder lagern im sehr großzügig geplanten Lagerbereich

Laborbereich mit Laborpresse (hinten) nahe der Produktionsanlagen

* Das Bruttoinlandsprodukt erreichte lautStatista im Jahr 2010 einen Wert von etwa730 Mrd. USD. Bis 2013 stieg es auf denAllzeithöchststand von 823 Mrd. USD.2014 sank das BIP auf 806 Mrd. USD ab,für 2015 wird nurmehr ein Wert von 753Mrd. USD prognostiziert. Auch seriöseWirtschaftsforscher hatten 2013 dieWachstumspläne der Türkei als durchausrealistisch eingeschätzt.

Fortsetzung auf Seite 55

Dipl.-Betriebswirt (FH) AndreasBruckbauer hat bei Schattdecor2009 die Vertriebsleitung fürSüdeuropa, Nahost und Afrikaübernommen. Nach einer Ausbil-dung zum Kaufmann im Einzel-handel (Möbelhandel, Karstadt)hat er Betriebswirtschaft mitSchwerpunkt Holzwirtschaft ander Fachhochschule Rosenheimstudiert. Der gebürtige Ober-bayer hat bei Schattdecor inThansau im April 1996 im Ver-trieb begonnen. Zwischen 1998und 2000 arbeitete er in gleicherPosition am italienischen Standortin Rosate und übernahm 2008die Geschäftsleitung am türki-schen Standort, bevor er in denMutterkonzern nach Thansau zu-rückkehrte.

AndreasBruckbauer

Z U R P E R S O N

Seite 54 · Nummer 2 · Holz-Zentralblatt Freitag, 15. Januar 2016Oberfläche – Türkei

andauernden Investitionsstopp. Dashaben wir jetzt gerade erst wieder beiden beiden Wahlen 2015 erlebt. Wel-che Auswirkungen hatte das auf dieWirtschaft? Führte das auch zu einerBremse im Kopf beim Endkunden?

Piatek: Die Liquidität bei Industrieund Endverbrauchern ist rückläufigund schwächt das allgemeine Wachs-tum. Das Inflationsziel von 7,5 % für2015 wurde schon im Oktober über-schritten. Rohstoffe wie Öl und Gaswerden importiert und müssen inFremdwährung bezahlt werden, einPreisaufschlag von 15 % ist für jedenVerbraucher spürbar. Die Ölpreisent-wicklung hat dem allerdings entgegen-gewirkt, sonst wäre es noch schlimmer.Es wird in der Türkei fast alles auf derStraße transportiert. Der Benzinpreisspiegelt sich daher in jedem Produkt,in jedem Lebensmittel wider.

HZ: Yildiz Entegre hat als erster Holz-werkstoffhersteller im Herbst 2015reagiert und die Zahlungsziele dras-tisch auf einen Monat beschränkt,Kastamonu hat inzwischen nachgezo-gen. Das ist natürlich auch ein Signal,was da ausgesendet wird ...

Piatek: Es musste irgendwann einEnde geben. Zahlungsziele von mehrals einem Jahr waren normal, 15 bis 24Monate nicht ungewöhnlich. Um daszu finanzieren, benötigt die Industrieeine starke Liquidität. Die Gefahr istsehr hoch, dass ein Kunde irgendwannnicht mehr zahlen kann.

Fortsetzung von Seite 54

»Wer Ferrari fahren will, braucht vernünftigen Sprit«

Bruckbauer: Im Markt wird in derTürkei immer viel gesprochen, das istTeil der Kultur. Daher ranken auchviele Gerüchte darüber, warum YildizEntegre den Schritt getan hat.

HZ: Aber gebaut wird, trotz zwischen-zeitlicher Krise, nach wie vor, das istzumindest mein Eindruck!?

Piatek: Absolut. Die Türkei hat miteinem Durchschnittsalter von 29 Jah-ren eine sehr junge Bevölkerung, dasist ein Unterschied von 15 Jahren zuWesteuropa. Dazu kommen noch diekulturellen Gegebenheiten. Man heira-tet für westeuropäische Verhältnissesehr jung, mit 20, 22 Jahren, und ziehtsehr schnell in eine eigene Wohnung,meist kommen dann sehr bald Kinder.Deswegen gibt es auch im Markt eineTendenz, große Wohnungen zu bauen,kleine Singlewohnungen gibt es eherselten.

Bruckbauer: Hinzu kommt der reli-giöse Hintergrund, der sehr stark aus-geprägt ist – ein Zusammwohnen ohneTrauschein gibt es eigentlich nicht.

HZ: Und dann ist man auch kulturell ineiner gewissen Pflicht, für Nachwuchszu sorgen ...

Bruckbauer: Zunächst hatte Staats-präsident Erdogan drei Kinder pro Fa-milie als Ziel genannt, jetzt sind wirschon bei vier. In Istanbul sind dreiKinder trotzdem eher selten. Die Stadtist sehr teuer.

Piatek: Je östlicher man kommt, des-to konservativer ist die Bevölkerung.Das beginnt aber mitunter auch schon20 km nach der Stadtgrenze. Die Hälf-te der türkischen Bevölkerung wohntin den vier großen Metropolen desLandes, in Istanbul, Izmir, Bursa undAnkara. Aber auch Antalya und Adanahaben jeweils mehr als 1,5 Mio. Ein-wohner.

Bruckbauer: Allein Istanbul istzwölf-, dreizehnmal so groß wie Mün-chen.

Piatek: Die Türkei war über vieleJahre ein Vorbild für viele Länder imNahen Osten. Eine gesunde Mischungzwischen Wachstum, Westorientierungaber auch mit der Verbundenheit zurkulturellen Tradition.

HZ: Ein gutes Stichwort. Die Türkeidarf man nicht separat betrachten,sondern muss sie als wichtigen Pulsge-ber der Region sehen. Nordafrika istein wichtiger Absatzmarkt für türki-sche Möbel, auch die Golfregion. Sy-rien ist hingegen kriegsbedingt weit-gehend eingebrochen. Können Sie et-was zu der aktuellen Situation sagenund wie operiert Schattdecor in diesenRegionen? Läuft alles über Gebze oderdirekt aus Thansau?

Bruckbauer: Der nordafrikanischeMarkt ist für uns sehr klein, für die tür-kische Möbelindustrie hingegen sehrwichtig. Syrien ist total zusammenge-brochen. In den Irak liefert die türki-sche Möbelindustrie, aber das ist der-zeit auch rückläufig.

HZ: Hat sich im Iran etwas verändertmit der erfolgten bzw. angekündigtenAufhebung verschiedener Embargobe-schränkungen?

Bruckbauer: Im Iran müssen wir ab-warten, bisher ist noch nichts passiert.Wir haben uns aber gut positioniert imLand und Dekorpapier fiel nie unterdie Beschränkungen. Das Problem für

die Unternehmen war eher die Geldbe-schaffung.

HZ: Das Geschäft mit dem Iran läuftvon der Türkei aus?

Bruckbauer: Da arbeiten wir eng mitThansau zusammen. Es wird hier aberviel gedruckt für den Iran.

HZ: Läuft das auch mit den anderenLändern in der Region so, etwa mitden Golfstaaten?

Bruckbauer: Die Golfregion ist füruns kein großer Markt. Generell liegenunsere Märkte eher in den östlichenNachbarstaaten und sind dafür prädes-tiniert, aus der Türkei beliefert zu wer-den. Wir versuchen natürlich auch im-mer, die logistische Komponente zunützen. Wenn Syrien wieder auf dieFüße kommt, wird das auch wieder einwichtiger Markt für uns werden. Daswar früher ein Schichtstoffmarkt – undGeld gibt es in dem Land auch.

HZ: Über kurz oder lang wird viel Be-wegung in den Holzwerkstoffmarkt imIran kommen. Wird die türkische Holz-

werkstoffindustrie auch dort eigeneWerke aufbauen?

Piatek: Der Markt ist logistisch ziem-lich einfach von hier aus zu bedienen.Aus heutiger Sicht würde das wenigSinn machen.

Bruckbauer: Der Iran hat ein ähnli-ches Problem wie die Türkei, es fehltdas Holz.

Messen

HZ: Eine Frage zu den Zulieferermes-sen in der Türkei. Meines Wissens ha-ben sie bis zuletzt auf der „ZOW Tür-kei“ ausgestellt, aber die „Intermob“stets gemieden? Was waren die Grün-de dafür?

Bruckbauer: Bevor es die „ZOW“gab, haben wir auf der „Intermob“ aus-gestellt. Auf der ersten „ZOW“ im Jahr2008 waren wir nicht, 2009 waren wirdas erste Mal dabei. Im Moment siehtes so aus, dass wir keine Messe in derTürkei belegen werden.

»Die Türkei ist fürSchattdecor ein zentra-ler Markt, der sich sehrgut entwickelt hat undfür uns eine wichtigeSchnittstelle in den Na-hen Osten darstellt.«Andreas Bruckbauer

Die Qualitäts- und Farbkontrolle erfolgt direkt an der Maschine (oben, im BildMitarbeiter Öztürk Taner) oder in unmittelbarer Nähe zur ProduktionsanlageBlick in den Showroom am Standort Gebze

Das moderne Fabrikgebäude in Gebze wurde im Verlauf des Jahres 2010 errichtet.Es bietet viel Platz für Produktion und Vertrieb. Insgesamt ist Platz für fünf Druck-anlagen vorhanden, reichlich Raum ist auch für die Lagerung von Rohmaterial undFertigprodukten vorgesehen Fotos: Schattdecor (6), Fischer (12)

Dekor „Noce Victoria“ mit offiziellem Türkei-Logo Schattdecor hat seinen ersten Auftragaus der Türkei 1989 erhalten, inzwi-schen gehört das Land zu den wichtigs-ten Absatzgebieten des Unternehmens

Fortsetzung auf Seite 56

„Mit der zur ,Interzum 2015‘ neu in Köln vorgestellten Stilrichtung ,Casual Black‘treffen wir auch vollständig den türkischen Geschmack“, sagt Maciej Piatek

Freitag, 15. Januar 2016 Nummer 2 · Holz-Zentralblatt · Seite 55Oberfläche – Türkei

»Wer Ferrari fahren will, braucht vernünftigen Sprit«Fortsetzung von Seite 55

Holz-Zentralblatt: Was bei Schattde-cor auch mit einer globalen Strategiezusammenhängt, nicht mehr unbe-dingt jedes Jahr in jedem Land präsentsein zu müssen ...

Piatek: Letztes Jahr waren wir aufder „Interzum“ in Köln im Mai. VierMonate später die gleichen Trends ex-klusiv in der Türkei zu präsentieren, er-

schien uns unsinnig. Wir setzen lieberauf maßgeschneiderte Programme fürspezielle Zielgruppen, die direkt ange-sprochen werden können.

HZ: Zumal die „Intermob“ im letztenJahr nahezu zeitgleich zur „Sicam“stattgefunden hat, was auch für Sie si-cher eine logistische Herausforderungdarstellt ...

Bruckbauer: Das können wir mit un-seren Ressourcen schon stemmen. Wirbieten unseren Kunden aber z. B. eine„Salone“-Woche in typisch italieni-scher Atmosphäre an.

Piatek: Die findet direkt im Nach-gang der Mailänder Messe statt, um un-seren türkischen Kunden hier unsereMesse-Neuheiten exklusiv zu präsen-tieren. Zudem haben wir einen Cara-van mit dem wir „Schattdecor on theroad“ bringen. Damit besuchen wir un-sere Kunden, Designer, Möbel- und

Holzwerkstoffhersteller, Händler, undzeigen unsere Dekore vor Ort.

Bruckbauer: Dann hatten wir in die-sem Jahr „Möbel-Designer-Tage“ in derNähe von Izmir und alljährlich veran-stalten wir im Mai ein Fußballturnier,bei dem die türkischen Holzwerkstoff-hersteller gegeneinander antreten –und gegen uns.

HZ: Wie wichtig ist für Sie der Besuchtürkischer (Möbel-)Messen und wel-che halten Sie für wichtig?

Piatek: Zur „Imob“ gehen wir immermit unserer gesamten Mannschaft hin,Designer und Vertrieb, und besuchenunsere Kunden.

HZ: Es gibt ja inzwischen zwei Möbel-messen, die nahezu zeitgleich in Istan-bul stattfinden; die „Imob“ im CNR-Messegelände am Atatürk-Flughafen(26. bis 31. Januar 2016) und die „Is-mob“ vom 12. bis zum 17. Januar aufdem Tüyap-Messegelände.

Piatek: Die Entwicklung müssen wirabwarten, aber wir werden entspre-chend beide besuchen.

Leben und Kultur

HZ: Wie kommen Sie persönlich mitder türkischen Kultur, den Menschenaber auch der Riesenmetropole Istan-bul klar, die abseits der Touristenge-biete über mehr als 100 km in Ost-West-Richtung aus Hochhäusern ent-lang riesiger Ausfallstraßen besteht?

Piatek: Ich fühle mich hier sehrwohl. Vielleicht liegt das auch an demUmstand, dass ich immer schon vielunterwegs war und meinen kulturellenSchock bereits in China erlebt habe.Aber ich habe auch schon in Russlandund Deutschland gelebt.

HZ: Die Lebenshaltungskosten sindnicht niedrig hier ...

Piatek: Istanbul gehört zu den teuers-ten Metropolen Europas. Das Preisni-veau ist sehr hoch. Hinzu kommen ho-he Kosten für Schulbildung und Ge-sundheit.

HZ: Erleben Sie das Land als asiatisch?

Piatek: Nein, das würde ich nicht sa-gen. Aber Religion und Kultur habennatürlich Auswirkungen, so etwasprägt ein Land. Wichtige und prägendeWerte sind hier Familie, das Ansehenin der Gesellschaft und im Unterneh-men ist wichtig, deswegen haben Titeleine hohe Bedeutung. Grundsätzlichsind die Türken sehr freundliche Men-schen, das fällt auf. Wenn sie auf einenÇay eingeladen werden, beispielsweisebei einem Händler, dann gibt es keinenHintergedanken. Das ist aus reinerFreude und Gastfreundschaft. Sie sindgenerell sehr offen und auskunftsfreu-dig. Sie können im Gespräch nahezualles erfragen. Beim Friseur werden Siebeispielsweise nach ihrem Beruf be-fragt, nach ihrer Position und mancherfragt auch nach dem Einkommen. DieHemmschwelle ist hier sehr niedrig.Ausländer, vor allem aus dem europäi-schen Raum, werden eher gemocht.

Seit 30 Jahren beliefert Schattdecorweltweit die führende Holzwerkstoff-und Möbelindustrie mit bedrucktemDekorpapier, Finishfolien und Mela-minfilmen. Das Thansauer Familien-unternehmen verarbeitet auf dieseWeise weltweit jährlich mehr als2 Mrd. m² Papier. 2015 erwirtschafte-te die Schattdecor-Gruppe weltweiteinen Umsatz von über 600 Mio.Euro. Obwohl der Fokus noch immerauf dem Tiefdruck liegt, gewannen inden letzten Jahren die Bereiche Digi-taldruck, Finishfolie und Melaminim-prägnierung stark an Bedeutung.Insgesamt sind mehr als 2 000 Mitar-beiter an 13 Produktionsstandorten inDeutschland, Polen, der Schweiz, Ita-lien, Russland, China, Brasilien, derTürkei und den USA beschäftigt. DieFirmensprache ist Deutsch, darauflegt Firmengründer Walter Schatt bisheute Wert.Im türkischen Werk in Gebze be-druckt Schattdecor seit Dezember

S C H A T T D E C O R

Erfolgreich weltweit – auch in der Türkei

2010 auf zwei Druckmaschinen De-korpapier für den türkischen Marktund den Nahen Osten. Das Werkliegt in unmittelbarer Nähe zu demBallungszentrum Istanbul und in stra-tegischer Nähe zu den wichtigen Part-nern. Aufgrund der geografischen La-ge kann Schattdecor von Gebze ausauch den iranischen Markt bedienen.Die Erfahrungen mit der türkischenHolzwerkstoffindustrie reichen aberviel weiter zurück. Die erste Anfragenach Dekorpapier aus der Türkei ging1989 ein. Gewünscht wurde die Lie-ferung von 100 t „Eiche hell“ bzw.„Eiche natur“. Der heutige Vor-standsvorsitzende Reiner Schulz istdaraufhin in die Türkei gereist undkam mit dem unterschriebenen Auf-trag zurück. Die Kontakte haben sichüber die Zeit deutlich verstärkt undwurden aufgrund der steigenden Vo-lumina ab Ende der 1990er-Jahreüber den Importeur Lignadecor reali-siert. 2008 wurde eine eigene Ver-

triebsgesellschaft, die Schattdecor De-koratif Kagit Baski San. ve Tic. Ltd.Sti., gegründet. Anfang 2010 begannman mit dem Aufbau des eigenenProduktionswerkes in Gebze.Die heute dort installierten beidenDruckmaschinen sind mit der neuestenTechnik im Druckbereich ausgestattetund gewährleisten Flexibilität undQualität. Ein digitales Ausmusterungs-system ermöglicht es, auf spezielleKundenwünsche vor Ort einzugehenund in sehr kurzer Zeit individuelleFarbstellung anzubieten. In einemgroßzügigen Showroom werden dieaktuellen Trendkonzepte gezeigt, dievon der eigenen Designabteilung inGebze an den türkischen Markt ange-passt und individualisiert werden. An-dreas Bruckbauer ist als verantwortli-cher Vertriebsleiter für den BereichSüdeuropa/Nahost überzeugt davon,dass eine gute Vernetzung an derSchnittstelle zwischen Thansau undGebze erfolgreich genützt werdenkann und dadurch die Entwicklung inden letzten Jahren am türkischenMarkt sehr positiv war. „Die Syner-gien aus dem Investment in Gebzeund dem deutschen Mutterhaus sindsicherlich ein Teil unseres Erfolgs inder Türkei. Ebenso wichtig sind aber

auch unsere Flexibilität und Marktnä-he – in Thansau und Gebze.“Insgesamt sind derzeit an dem türki-schen Schattdecor-Standort 47 Mitar-beiter beschäftigt. GeschäftsführerMaciej Piatek sieht die Stärke seinesjungen und engagierten Teams in derDynamik und den guten Verbindun-gen in den Markt. „Wir sind in derLage, die Bedürfnisse des türkischenMarkts schnell und effizient zu erken-nen, sie zu beantworten und in allerKonsequenz eine Leistung auf höchs-tem Niveau zu liefern.“

Schattdecor ist der einzige der global agierenden Dekordrucker, die auch selbstin der Türkei produzieren Fotos: Fischer (2), Schattdecor

Digitales Ausmusterungssystem in GebzeBlick auf eine von zwei Druckmaschi-nen am Standort

Seite 56 · Nummer 2 · Holz-Zentralblatt Freitag, 15. Januar 2016Oberfläche – Türkei