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Rechtsmedizin 2010 · 20:510–514 DOI 10.1007/s00194-010-0698-9 Online publiziert: 21. August 2010 © Springer-Verlag 2010 L. Hecht 1, 2  · A. Lamprecht 3 1  Institut für Pathologie, HELIOS Klinikum Bad Saarow 2  Institut für Pathologie, Unfallkrankenhaus Berlin 3  Pharmazeutisches Institut, Pharmazeutische Technologie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn Intramuskuläre Applikation von Depotmedikamenten Ungewöhnlicher histologischer Befund in der Autopsiediagnostik Kasuistiken Fremdstrukturen (z. B. Quarzstaub, Asbestkörperchen, chirurgisches Nahtmaterial, Silikoninklusionen, Talkum, Pflanzenpollen) im autop- tisch gewonnenen Untersuchungs- gut stellen bisweilen eine besonde- re diagnostische Herausforderung dar. Es muss geklärt werden, um wel- che Art von Material es sich han- delt, auf welche Weise es in den Kör- per gelangte, ob pathologische Pro- zesse dadurch ausgelöst oder geför- dert wurden oder ob der tödliche Ausgang damit im Zusammenhang steht. Unter Umständen ergeben sich besondere Fragestellungen, bei- spielsweise ob eine Berufskrankheit oder eine Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht vorliegt. Wenn ein Fremdmaterial nicht bereits initial identifiziert werden kann, ist die Er- hebung einfacher Charakteristika, wie Partikelform und -größe, histo- chemisches Färbeverhalten oder po- larisationsoptisches Verhalten (dop- pelte Lichtbrechung), nützlich. Falldarstellung Vorgeschichte/klinischer Verlauf Eine 65-jährige Frau kollabierte während eines Zwischenaufenthalts auf einem Ber- liner Flughafen. Bei der klinischen Erst- untersuchung dominierten Zeichen des Kreislaufschocks mit Kaltschweißigkeit, Tachykardie und Hypotonie. Auffällig waren eine Schwellung und Rötung des rechten Beins. Eine Beinvenenthrombose und Lungenarterienembolie konnten je- doch ausgeschlossen werden. Trotz Verle- gung in eine Spezialabteilung und ausge- dehnter intensivmedizinischer Therapie- bemühungen verstarb die Patientin einen Tag nach Aufnahme in die Klinik. Aus der Anamnese wurde bekannt, dass die Ver- storbene 2 Monate vor dem Ereignis, wäh- rend eines Urlaubs in der Türkei, an einem Harnwegsinfekt erkrankt war, der antibio- tisch behandelt wurde. Nach Angaben ei- ner Mitreisenden sei es wenige Tage vor Klinikaufnahme, während eines Aufent- halts in Polen, zu hohem Fieber mit Übel- keit, Kopf- und Rückenschmerzen ge- kommen. Im zeitlichen Zusammenhang damit sei bei einem Arztbesuch eine i.m.- Injektion rechts gluteal verabreicht wor- den. Um welchen Wirkstoff es sich da- bei gehandelt hatte, konnte retrospektiv nicht geklärt werden. Wenige Tage nach der Injektion seien eine sehr schmerzhafte Schwellung und Rötung des rechten Un- terschenkels aufgetreten. Klinisch-pathologische Obduktion Zur Absicherung der klinisch angege- benen Todesursache und insbesondere zur Identifizierung des Sepsisfokus wur- de, nach Rücksprache mit den Angehöri- gen, die klinisch-pathologische Obduk- tion durchgeführt. Autoptisch wurde ein Erysipel des rechten Unterschenkels und von Teilen des Oberschenkels mit herd- förmiger Entzündungsausbreitung in die Subkutis und die Muskulatur des Un- terschenkels diagnostiziert. Im M. ilio- psoas der rechten Seite fanden sich Ne- krosen neben einem Abszess von annä- hernd 4 cm maximaler Größe. Histologische Untersuchung Im Abszesssubstrat ließen sich histolo- gisch zahlreiche, 50–150 µm große, mi- krozystische Strukturen mit zarter PAS- positiver Kapsel und ebenfalls PAS-posi- tiven, sphärischen Inklusionen nachwei- sen (PAS: Perjodsäure-Schiffsches Rea- genz; Abb. 1a, b, c). Polarisationsop- tisch zeigte sich keine Doppelbrechung 510 |  Rechtsmedizin 6 · 2010

Intramuskuläre Applikation von Depotmedikamenten

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Page 1: Intramuskuläre Applikation von Depotmedikamenten

Rechtsmedizin 2010 · 20:510–514DOI 10.1007/s00194-010-0698-9Online publiziert: 21. August 2010© Springer-Verlag 2010

L. Hecht1, 2 · A. Lamprecht3

1 Institut für Pathologie, HELIOS Klinikum Bad Saarow2 Institut für Pathologie, Unfallkrankenhaus Berlin3 Pharmazeutisches Institut, Pharmazeutische Technologie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Intramuskuläre Applikation von DepotmedikamentenUngewöhnlicher histologischer Befund in der Autopsiediagnostik

Kasuistiken

Fremdstrukturen (z. B. Quarzstaub, Asbestkörperchen, chirurgisches Nahtmaterial, Silikoninklusionen, Talkum, Pflanzenpollen) im autop-tisch gewonnenen Untersuchungs-gut stellen bisweilen eine besonde-re diagnostische Herausforderung dar. Es muss geklärt werden, um wel-che Art von Material es sich han-delt, auf welche Weise es in den Kör-per gelangte, ob pathologische Pro-zesse dadurch ausgelöst oder geför-dert wurden oder ob der tödliche Ausgang damit im Zusammenhang steht. Unter Umständen ergeben sich besondere Fragestellungen, bei-spielsweise ob eine Berufskrankheit oder eine Verletzung der ärztlichen Sorgfaltspflicht vorliegt. Wenn ein Fremdmaterial nicht bereits initial identifiziert werden kann, ist die Er-hebung einfacher Charakteristika, wie Partikelform und -größe, histo-chemisches Färbeverhalten oder po-larisationsoptisches Verhalten (dop-pelte Lichtbrechung), nützlich.

Falldarstellung

Vorgeschichte/klinischer Verlauf

Eine 65-jährige Frau kollabierte während eines Zwischenaufenthalts auf einem Ber-liner Flughafen. Bei der klinischen Erst-untersuchung dominierten Zeichen des Kreislaufschocks mit Kaltschweißigkeit, Tachykardie und Hypotonie. Auffällig waren eine Schwellung und Rötung des rechten Beins. Eine Beinvenenthrombose und Lungenarterienembolie konnten je-doch ausgeschlossen werden. Trotz Verle-gung in eine Spezialabteilung und ausge-dehnter intensivmedizinischer Therapie-bemühungen verstarb die Patientin einen Tag nach Aufnahme in die Klinik. Aus der Anamnese wurde bekannt, dass die Ver-storbene 2 Monate vor dem Ereignis, wäh-rend eines Urlaubs in der Türkei, an einem Harnwegsinfekt erkrankt war, der antibio-tisch behandelt wurde. Nach Angaben ei-ner Mitreisenden sei es wenige Tage vor Klinikaufnahme, während eines Aufent-halts in Polen, zu hohem Fieber mit Übel-keit, Kopf- und Rückenschmerzen ge-kommen. Im zeitlichen Zusammenhang damit sei bei einem Arztbesuch eine i.m.-Injektion rechts gluteal verabreicht wor-den. Um welchen Wirkstoff es sich da-bei gehandelt hatte, konnte retrospektiv

nicht geklärt werden. Wenige Tage nach der Injektion seien eine sehr schmerzhafte Schwellung und Rötung des rechten Un-terschenkels aufgetreten.

Klinisch-pathologische Obduktion

Zur Absicherung der klinisch angege-benen Todesursache und insbesondere zur Identifizierung des Sepsisfokus wur-de, nach Rücksprache mit den Angehöri-gen, die klinisch-pathologische Obduk-tion durchgeführt. Autoptisch wurde ein Erysipel des rechten Unterschenkels und von Teilen des Oberschenkels mit herd-förmiger Entzündungsausbreitung in die Subkutis und die Muskulatur des Un-terschenkels diagnostiziert. Im M. ilio- psoas der rechten Seite fanden sich Ne-krosen neben einem Abszess von annä-hernd 4 cm maximaler Größe.

Histologische Untersuchung

Im Abszesssubstrat ließen sich histolo-gisch zahlreiche, 50–150 µm große, mi-krozystische Strukturen mit zarter PAS-positiver Kapsel und ebenfalls PAS-posi-tiven, sphärischen Inklusionen nachwei-sen (PAS: Perjodsäure-Schiffsches Rea-genz; . Abb. 1a, b, c). Polarisationsop-tisch zeigte sich keine Doppelbrechung

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(. Abb. 1d). Im Übrigen bestanden eine abszesstypische Zellularität ohne augen-fällige Fremdkörperreaktion (Histiozyten, mehrkernige Riesenzellen), kein erhöhtes Aufkommen an Eosinophilen und keine Blutungsresiduen in Form von Hämoside-rin. Nachdem zunächst an das Vorliegen einer Parasitose gedacht wurde, konnten die Strukturen, nach langwieriger Recher-che, als Medikamententräger („micros-pheres“) identifiziert werden.

Mikrobiologischer Befund

Bei der mikrobiologischen Untersuchung des im Rahmen der Obduktion entnom-menen Materials wurde das folgende Keimspektrum identifiziert.

Hautläsion am rechten Unterschenkel. Aci-netobacter wolffii (Hautflora), Acinetobacter junii, Pseudomonas aureofaciens (Umge-bungskeime), hämolysierende Streptokok-ken der Gruppe A (Streptococcus pyogenes).

Psoasabszess. Escherichia coli, Citro-bacter freundii, Klebsiella pneumoniae (Darmflora, entnahmebedingte Kontami-nation), hämolysierende Streptokokken der Gruppe A (Streptococcus pyogenes).

Todesursache

Die klinisch angegebene Todesursache – septisch-toxisches Kreislaufversagen – konnte morphologisch untermauert wer-den. Infektiöser Fokus war ein Erysipel des rechten Beins mit fokaler, kontinuier-licher Entzündungsausbreitung bis in die Unterschenkelmuskulatur und fortgelei-teter Entzündung unter Ausbildung eines ipsilateralen Psoasabszesses.

Diskussion

Im vorgestellten Fall soll der Fokus auf den ungewöhnlichen histologischen Nebenbe-fund gelegt werden, der bei der Todesursa-chenermittlung für erhebliche Unsicher-heit und Zeitverzögerung sorgte. Anfangs wurde von einer mit dem tödlich ver-laufenen Krankheitsbild im Zusammen-hang stehenden, ungewöhnlichen para-sitären Infestation ausgegangen. Die sus- pekten Strukturen erwiesen sich jedoch als Mikropartikel zur kontrollierten, pro-

trahierten Wirkstofffreisetzung nach i.m.-Applikation. Die Partikel sind je nach Her-stellungsverfahren, enthaltenem Wirkstoff und Verweildauer im Gewebe morpholo-gisch sehr variabel. Rückschlüsse von der morphologischen Struktur auf das jewei-lige Präparat sind nicht ohne Weiteres möglich. Es kommen vakuolisierte oder auch einfache mikrozystische Strukturen vor. Die Partikelgröße variiert sehr stark und kann bis 200 µm betragen (Größen-zunahme durch Wasserbindung). Die äu-ßere Ummantelung besteht zumeist aus einem Polylactatglykolsäurepolymer [16]. Das Anwendungsspektrum ist auszugs-weise in . Tab. 1 dargestellt und umfasst u. a. Hormonpräparate, Antibiotika, Neu-roleptika und Impfstoffe [3, 5, 9, 15].

Die Partikel gelangen in der gewöhn-lichen sektionshistologischen Untersu-chung praktisch kaum zur Darstellung, da sie üblicherweise im Bereich der In-jektionsstelle verbleiben. Die pharmako-logisch wirksamen Bestandteile diffun-dieren in das umgebende Gewebe, wäh-rend die Trägermatrix durch verschiedene lokale Faktoren innerhalb von Tagen bis wenigen Wochen rückstandslos abgebaut wird [3, 16]. Eine chronische Fremdkör-perreaktion mit Bildung von Riesenzel-len und Granulomen, wie sie bei i.v.-Dro-genabusus durch mineralische und kris-talline Verunreinigungen hervorgerufen wird [13], bleibt wegen der raschen Zer-setzung des Materials aus.

Differenzialdiagnostisch war, spezi-ell in diesem Fall, eine Helminthose ab-zugrenzen. Entsprechend der geringen Partikelgröße kommen hauptsächlich ei-ne Oxyuriasis und die, in Deutschland wesentlich seltenere, Trichuriasis in Be-tracht. Die genannten Erkrankungen füh-ren in seltenen Fällen zur Darmperforati-on mit Abszessbildung und werden nicht nur im Kindesalter angetroffen, sondern kommen in jedem Lebensalter vor [1, 6, 8]. Ungewöhnliche Manifestationen der Oxyuriasis in der Bauchhöhle, den Ad-nexen und der Darmwand wurden mehr-fach kasuistisch aufgearbeitet [7, 11]. Wie in den . Abb. 2a und 3a zu sehen, bie-ten Querschnitte der peripheren Anteile des Madenwurms (Enterobius vermicula-ris) und aus dem oralen Anteil des Peit-schenwurms (Trichuris trichiura) im his-tologischen Bild ähnliche morpholo-

Zusammenfassung · Abstract

Rechtsmedizin 2010 · 20:510–514DOI 10.1007/s00194-010-0698-9© Springer-Verlag 2010

L. Hecht · A. Lamprecht

Intramuskuläre Applikation von Depotmedikamenten. Ungewöhnlicher histologischer Befund in der Autopsiediagnostik

ZusammenfassungMedikamententrägerpartikel („micros-pheres“) auf Basis von Polylactatglykolsäure-polymeren werden zur protrahierten Wirk-stofffreisetzung vorrangig nach i.m.-Injektion eingesetzt und kommen in sektionshistolo-gischen Untersuchungen ausgesprochen sel-ten zur Darstellung. Es wird über den Fall ei-ner 65 Jahre alt gewordenen Frau berichtet, die an den Folgen eines Erysipels verstarb. Die in der sektionshistologischen Untersu-chung nachgewiesenen Mikropartikel konn-ten hinsichtlich ihrer Herkunft nur mit erheb-lichem Aufwand zugeordnet werden.

SchlüsselwörterMedikamententherapie · Injektion, intramus-kulär · Mikropartikel · Histologische Tech-niken · Helminthose

Intramuscular administration of extended release drugs. Uncommon histological finding at autopsy

AbstractDrug-loaded microparticles (microspheres) based on poly(lactic-co-glycolic) acid (PLGA) are used for long-term drug release main-ly after intramuscular injection. The particles are rarely seen in histological sections from autopsy specimens. The case of a 65-year-old woman who died following a generalized in-fection and erysipelas is presented where the origin of histologically detected microparti-cles could only be identified with great dif-ficulty.

KeywordsDrug therapy · Injections, intramuscular · Microspheres · Histological techniques · Hel-minthiasis

511Rechtsmedizin 6 · 2010  | 

Page 3: Intramuskuläre Applikation von Depotmedikamenten

gische Aspekte wie die nachgewiesenen Medikamententräger. Unterschiede be-stehen im Färbeverhalten einzelner Struk-turen (basophile Hülle der Mikropartikel sowie eosinophile Kutikula und Musku-

latur der Wurmquerschnitte in der HE-Färbung). Die sichere Unterscheidung gelingt nach Darstellung der Geschlechts-organe der weiblichen Würmer mit zahl-reichen Eiern (tiefere Schnittstufen oder

weitere Materialeinbettung). Letztere ru-fen, ebenso wie die Wurmkutikula, eine polarisationsoptische Doppelbrechung hervor (. Abb. 2b und 3b), die bei den Mikropartikeln nicht reproduzierbar ist

Abb. 1 9 a, b, c Mikropar-tikel innerhalb einer ent-zündlich durchsetzten Nekrose im M. iliopsoas rechts. Färbeverhalten mit Hämatoxylin-Eosin (a), PAS-Reaktion (b) und Al-zianblau (c). d Fehlende Doppelbrechung der Par-tikel (vgl. artifiziell einge-brachte, kräftig doppelbre-chende Struktur am un-teren Bildrand; Hämatoxy-lin-Eosin, Polarisation)

Abb. 2 9 a Querschnitt durch den peripheren An-teil eines Madenwurms (Enterobius vermicularis) mit radiärer Kompartimen-tierung um den zentral ge-legenen Darmschlauch und prominenten lateralen „spikes“ (Hämatoxylin-Eo-sin), b deutliche Doppel-brechung im Bereich der Kutikula des Madenwurms (Enterobius vermicularis; Hämatoxylin-Eosin, Pola-risation)

Abb. 3 9 a Mehrfach im Querschnitt erfasster vor-derer Anteil des Peitschen-wurms (Trichuris trichiura; Hämatoxylin-Eosin),  b kräftige Doppelbrechung von Kutikula und Eihüllen eines weiblichen Peitschen-wurms (Trichuris trichiura; Hämatoxylin-Eosin, Pola-risation)

512 |  Rechtsmedizin 6 · 2010

Kasuistiken

Page 4: Intramuskuläre Applikation von Depotmedikamenten

(. Abb. 1d). Charakteristisches Merk-mal des Madenwurms sind die auf der Ku-tikula lokalisierten „spikes“ (. Abb. 2a). Wurmerkrankungen gehen, wie ande-re Parasitosen, oft mit einer lokalen Eo-sinophilie einher, die im vorgestellten Fall nicht vorlag. Wichtig zu erwähnen ist, dass die Strukturvarianz der inzwischen zahlreich eingesetzten Mikropartikel im Einzelfall sehr unterschiedliche differen-zialdiagnostische Erwägungen zulässt.

Der Tod der Patientin stand im zeit-lichen Zusammenhang mit der Injektion als ärztlicher Maßnahme. Deshalb muss-te geprüft werden, ob sich Anhaltspunkte für eine Verletzung der ärztlichen Sorg-faltspflicht ergeben [10, 12]. Aufgrund der fremdanamnestischen Angaben über die Injektionsstelle gluteal rechts und die we-nige Zeit später auftretenden entzünd-lichen Veränderungen am Unterschenkel wurde davon ausgegangen, dass die bis 150 µm großen Medikamententräger im Zuge der lymphangischen Entzündungs-ausbreitung in die Psoasmuskulatur aus-geschwemmt wurden. Da die intramus-kulären Lymphgefäße auf der Ebene der sog. Kollektoren bereits einen Durchmes-ser bis 600 µm aufweisen [4], sind die anatomischen Voraussetzungen dafür ge-geben.

Ferner zeigte sich eine Übereinstim-mung in der Keimbesiedlung der Un-terschenkelläsion und des Abszesses im M. iliopsoas mit Nachweis von Streptococ-cus pyogenes (β-hämolysierende Strepto-kokken der Serogruppe A), der als ein ty-pischer Verursacher des Erysipels und der streptokokkenassoziierten Lymphangitis bekannt ist [2]. Klinische Erfahrungen zeigen, dass der insgesamt sehr seltene Psoasabszess, gerade bei älteren Patienten, überwiegend als Sekundärmanifestation eines weiter entfernt gelegenen infektiös-entzündlichen Prozesses aufzufassen ist [14]. Eine unsachgemäß ausgeführte pa-ravertebrale Injektion kann in diesem Fall nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden, ist vor dem Hintergrund der be-schriebenen Befunde jedoch wenig wahr-scheinlich.

Ein Zusammenhang zwischen der an-genommenen glutealen Injektion und der Weichteilinfektion, die vom Unter-schenkel ausging und das letale septische

Krankheitsbild nach sich zog, ist nicht herzustellen.

Fazit

Die im rechten M. iliopsoas histologisch nachgewiesenen Strukturen wurden als Medikamententräger identifiziert, die durch eine i.m.-Injektion in den Organis-mus eingebracht wurden. Ein zeitgleich bestehender infektiös entzündlicher Pro-zess des rechten Beins hatte mutmaßlich zur Ausschwemmung der Partikel vom Ort der Injektion geführt. Ein Zusam-menhang zwischen dem todesursäch-lichen septischen Krankheitsbild und der 

Injektion konnte nicht hergestellt wer-den. Differenzialdiagnostisch sind sel-tene Verlaufsformen von Helminthosen abzugrenzen.

KorrespondenzadresseDr. L. HechtInstitut für Pathologie,  HELIOS Klinikum Bad SaarowPieskower Str. 33, 15526 Bad [email protected]

Interessenkonflikt.  Der korrespondierende Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Tab. 1  Auswahl von Präparaten auf Basis der Polylactatglykolsäurepolymeren-kapsulation

Handelsname Wirkstoff/Wirkstoffgruppe Indikationa

Enantone® Leuprorelinacetat(GnRH-Analoga)

Endometriose

Uterus myomatosus

Prostatakarzinom

Pubertas praecox

Trenanton® Leuprorelinacetat(GnRH-Analoga)

Endometriose

Uterus myomatosus

Prostatakarzinom

Mammakarzinom

Decapeptyl® Triptorelinacetat(GnRH-Analoga)

Endometriose

Uterus myomatosus

Fertilitätstherapie

Lupron Depot®Prostap SR®Prostap 3®Gonadopeptyl®

GnRH-Analoga In Deutschland nicht zugelassen

Sandostatin LAR®

Octreotidacetat(Somatostatinanaloga)

Endokrin aktive Tumoren des Gastrointestinaltrakts

Akromegalie

Nach Pankreaschirurgie

Somatuline LA® Lanreotid(Somatostatinanaloga)

In Deutschland nicht zugelassen

Zoladex® Goserelinacetat(GnRH-Analoga)

ProstatakarzinomMammakarzinom

Profact® Buserelinacetat(GnRH-Analoga)

Prostatakarzinom

Nutropin Depot® Somatropin(Somatotropinanaloga)

In Deutschland nicht zugelassen

Vivitrol® Naltrexon(Opioidrezeptorantagonist)

In Deutschland nicht zugelassen

Parlodel LA®Parlodel LAR®

Bromocriptin(Dopamin-D2-Agonist)

In Deutschland nicht zugelassen

Risperidal Consta®

Risperidon(Neuroleptika)

In Deutschland nicht zugelassen

Arestin® Minocyclin(Antibiotika)

In Deutschland nicht zugelassen(lokale Anwendung periodontal)

Fettgedruckte Präparate lassen eine wie in der Kasuistik beschriebene Partikelstruktur erwarten. GnRH Gonado-tropin-Releasing-Hormon. aIndikationen nach: Rote Liste®Online; Rote Liste® Service GmbH, Mainzer Landstr. 55, 60329 Frankfurt/Main.

513Rechtsmedizin 6 · 2010  | 

Page 5: Intramuskuläre Applikation von Depotmedikamenten

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Grassberger, M., Schmid, H.TodesermittlungBefundaufnahme & SpurensicherungWien: Springer 2009, 388 S., 230 Abb.,  (ISBN 978-3-211-79959-8), 59.00 EUR

Das von einem 

Rechtsmedizi-

ner/Biologen und 

einem Kriminalis-

ten gemeinsam 

verfasste Werk 

verfolgt einen 

konsequent in-

terdisziplinären 

Ansatz in der um-

fangreichen Dar-

stellung aller Facetten der Todesermittlung. 

In seinem Geleitwort verweist der Präsident 

der Deutschen Gesellschaft für Rechtsme-

dizin, Herr Prof. Pollak, darauf, dass sich die 

Autoren der großen Tradition der „Wiener 

Schule“ verpflichtet fühlen. Dies spiegelt sich 

bei dem Aufbau des Buches in der traditio-

nellen Darstellung der Inhalte wider. Dabei 

finden allerdings modernste Methoden (z. B. 

postmortales CT oder Photogrammetrie) 

Berücksichtigung. Im Klappentext wird „die 

Leidenschaft zur Fotografie“ als ein Binde-

glied zwischen den beiden Autoren erwähnt. 

Schlägt man das Buch auf, stellt man erfreut 

fest, dass sich diese Leidenschaft bei den 

zahlreichen und perfekt ausgewählten 

Bildern zwanglos nachvollziehen lässt. Aller-

dings wird das Druckformat (nicht die –quali-

tät) den beeindruckenden Bilden häufig nicht 

gerecht. Bei den meisten Abbildungen würde 

man sich die vierfache Fläche wünschen.

Der Bezug zur Bundesrepublik Österreich 

wird über die Verlagsbezeichnung „Springer 

Wien New York“ sowie ein 18seitiges Vorka-

pitel über die „Novelle der österreichischen 

Strafprozessordnung 2008“ offensichtlich. 

Davon unabhängig dürfte als Zielgruppe der 

gesamte deutschsprachige Raum avisiert 

sein.

Die kurzen prägnanten Darstellungen aller 

relevanter Themen werden durch blau 

unterlegte Textkästen ergänzt, die mit 

„Merke“ überschrieben sind und entweder 

die wichtigsten Punkte zusammenfassen 

oder auf „Pitfalls“ in der täglichen Arbeit 

hinweisen. Dieses Konzept prädestiniert das 

Buch als Leitfaden für die tägliche Arbeit. Auf 

Zitierungen im laufenden Text wurde ver-

zichtet. Stattdessen findet sich am Buchende 

ein nach den einzelnen Kapiteln sortiertes 

Verzeichnis „Verwendete und weiterfüh-

rende Literatur“. Diese Literaturstellen sind 

einerseits aktuell, enthalten andererseits 

die wichtigsten „Klassiker“. Erfreulich ist die 

häufige Zitierung von Übersichtsarbeiten 

und CME-zertifizierten Fortbildungen aus 

der Zeitschrift „Rechtsmedizin“, was deren 

Bedeutung für den deutschsprachigen Raum 

unterstreicht.

Ergänzt wird der Anhang durch zahlreiche 

nützliche Körperschemata und Formulare 

sowie einen exemplarischen „Tatortbe-

fundbericht“. Eine unmittelbare Kopie der 

Schemata aus dem Zwischenformat des 

Buches auf DIN A4 zur praktischen Anwen-

dung wird zusätzlich durch durchschlagende 

Zeichnungen von den Rückseiten erschwert. 

Davon abgesehen erscheint die Frage des 

Urheberrechts ungeklärt. Wünschenswert 

wäre die Verfügbarkeit der Formulare bei-

spielsweise auf einer beigelegten CD-ROM 

oder im Internet geschützt durch einen im 

Buch abgedruckten Code.

Aus rechtsmedizinischer Sicht gehört das 

Buch in jede Institutsbibliothek und kann 

allen Kollegen als persönliches Exemplar 

wärmstens empfohlen werden.

M.Verhoff (Gießen)

Buchbesprechungen

514 |  Rechtsmedizin 6 · 2010