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Invasion aus dem Nichts

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Nr. 442

Invasion aus dem Nichts

Der unheimliche Überfall auf Pthor

von Horst Hoffmann

Nachdem der Dimensionsfahrstuhl Atlantis-Pthor im Randgebiet der Schwarzen Galaxis zum Stillstand gekommen war, hatte Atlan, wie erinnerlich, die Flucht nach vorn ergriffen. Zusammen mit Thalia, der Odinstochter, flog er ins Marantroner-Re­vier, das von Chirmor Flog, einem Neffen des Dunklen Oheims, beherrscht wurde.

Dort, von Planet zu Planet eilend und die Geheimnisse der Schwarzen Galaxis ausspähend, bestanden Atlan und seine Gefährtin so manche tödliche Gefahr ge­meinsam – bis der Planet Dykoor zu Thalias Grab wurde.

Nun, nach einer wahrhaft kosmisch anmutenden Odyssee, ist der Arkonide zusam­men mit seinen Freunden Razamon und Axton/Kennon wieder nach Pthor zurückge­kehrt, das inzwischen seinen Standort gewechselt hat und von Truppen des Duuhl Larx, des Herrschers über das Rghul-Revier, besetzt ist.

Aber auch nach dieser erneuten Besetzung, der sich nur das Land der Magier ent­ziehen konnte, kommt Pthor einfach nicht zur Ruhe.

Schuld daran sind diesmal die Bewohner der Höheren Welten. Der Überfall, der von ihnen ausgeht, ist eine INVASION AUS DEM NICHTS …

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Die Hautpersonen des Romans:Atlan, Razamon und Axton/Kennon - Gefangene des Duuhl Larx.Leenia - Sie will eine unheimliche Invasion rückgängig machen.Sator Synk - Ein Freiheitskämpfer.Diglfonk - Ein Robotdiener.

1. An Bord der MARSAPIEN – Atlan, Axton, Razamon und der

Neffe

Duuhl Larx … Jetzt, wo ich mich wieder bei Razamon und Axton befinde, mich er­neut als Gefangenen betrachten darf und die Gefährten mich fragend anstarren, kommen mir Zweifel.

War es wirklich realistisch, anzunehmen, daß sich der Neffe so leicht in eine Falle locken ließ? Jenes Wesen, das sich immer noch hinter seiner Leuchtaura verbirgt und von dem keiner von uns weiß, wie es wirk­lich aussieht, geschweige denn, was in sei­nem Gehirn vorgeht? Hätte ich nicht wissen müssen, wie gering die Chancen dafür wa­ren, daß Koy und Kolphyr aus Islars Gerät schlau wurden und es so schalten konnten, daß die Magier wieder normal wurden, be­freit von ihrer negativen Aufladung?

Wenn sie es sind, die die Verantwortung für das tragen, was nun unten auf Pthor ge­schieht, dann gnade Gott allen, die noch dar­auf hoffen konnten, ein für allemal von den Besatzern befreit zu werden. Gegen die ge­ballte Macht der Magier kann niemand mehr etwas ausrichten. Und auf sie zählte ich. Sie allein hätten Duuhl Larx besiegen und die Wende herbeiführen können. Nun glaubt er, ich wäre dafür verantwortlich, daß seine Trugen wie auch die Atlanter plötzlich Amok laufen. Natürlich wollte ich ihn in ei­ne Falle locken, aber auf andere Weise. Was nun auf Pthor vorgeht, ist das Chaos. Nie­mand von uns weiß, was kommen wird. Vielleicht hat Larx mittlerweile wieder un­sere Hinrichtung beschlossen, vielleicht hat er andere Pläne mit uns. Dabei war er schon bereit, mir nach Pthor zu folgen, um den Magiern den Befehl zu geben, den Schutz­

schirm um die Barriere von Oth abzuschal­ten. Und sie hätten es getan. Nur wäre es, wie die Dinge nun stehen, eine böse Überra­schung für mich geworden – und nicht für ihn. Ich muß mir die Dinge durch den Kopf gehen lassen. Vielleicht finde ich dabei et­was, das uns weiterbringen könnte, irgendei­ne Kleinigkeit.

Du schweigst, Extrasinn? Der Aufbruch mit dem Neffen stand

schon unmittelbar bevor, und ich hoffte in­brünstig, daß Koy und Kolphyr Zeit genug gehabt hatten, die Magier zur Besinnung zu bringen, so daß sie einsatzfähig waren, wenn wir bei ihnen anklopften.

Larx hätte seine ganze Leibwache nichts genützt, wenn da nicht plötzlich diese Nach­richten von den TrugenKommandanten ge­kommen wären. Seltsame Dinge … Was soll ich davon halten, daß sich immer mehr Tru­gen wie auch Eingeborene von Pthor plötz­lich wie die Verrückten aufzuführen begin­nen, Extrasinn? Daß sie auf einmal wie vom bösen Geist besessen sein sollen?

Larx war schnell damit zur Hand, mich dafür verantwortlich zu machen. Wenn er wüßte, daß ich ebenso ahnungslos bin wie er! Die Magier natürlich, wen sollte er sonst für die Vorgänge auf Pthor verantwortlich machen? Aber er glaubt, ich hätte ihnen be­fohlen, die Atlanter und seine Kämpfer ver­rückt spielen zu lassen?

Alles andere hätte in meinen Plan gepaßt – nur nicht das, nicht zu diesem Zeitpunkt.

Duuhl Larx bleibt also an Bord seines Flaggschiffs und wartet ab, was weiterhin geschieht. So lange zumindest dürften wir vor dem Henker sicher sein.

Seht mich nicht so an, Razamon, Lebo. Was soll ich euch sagen?

Die Magier, immer wieder die Magier. Wer sonst? Das Schlimme ist, daß ich mir

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selbst nicht hundertprozentig sicher bin. Aber wer sollte für die Vorgänge verant­

wortlich sein, wenn nicht sie? Wir werden warten, Freunde. Irgend et­

was wird geschehen. Falls die Magier tat­sächlich diesen Zauber inszeniert haben, wird ihnen bald ganz Pthor gehören – ihnen und damit Duuhl Larx. Er wird uns seinen Triumph spüren lassen. Vielleicht haben wir dann eine Chance, hier auszubrechen.

Und wenn nicht …?

2. Auf Pthor – ein Mann und dreizehn Roboter

Brarl-Esh fuhr zusammen, als er das merkwürdige Geräusch wieder hörte. Wie beim erstenmal hatte vorher eine der Wa­chen etwas gerufen, das er wegen der großen Entfernung nicht verstehen konnte, aber es hatte sich angehört, als habe sie jemanden gestellt und zum Stehenbleiben aufgefordert. Und wie beim erstenmal hatte der Truge ge­schwiegen, nachdem der seltsame Laut er­tönt war. Als ob leichte Metallstücke ganz schnell gegeneinander geschlagen würden …

Brarl-Esh fuhr seine Stielaugen noch wei­ter aus und sah sich um. Nichts. Weder Pthorer noch Tiere in Sicht. Um die große Kuppel herum, das zentrale Gebäude der weitverzweigten Ortungsanlage, die man das »Wache Auge« nannte, war es ruhig. Zwi­schen den sie umgebenden kastenförmigen Bauwerken war keine Bewegung zu erken­nen. Die paar Gordys und Technos, die sich hier noch aufgehalten hatten, als die Trugen das Wache Auge besetzten, waren in Sam­melunterkünfte gebracht worden, in die man alle Pthorer, die an strategisch wichtigen Punkten des Dimensionsfahrstuhls gelebt hatten, geschafft hatte.

Brarl-Esh packte seine Waffe fester. Er hatte Anweisung, seinen Posten vor einem der Eingänge in die Kuppel, in der sich an­dere Trugen einen Überblick über die Aus­wertungs und Rechenanlagen der Station verschaffen wollten, unter keinen Umstän-

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den zu verlassen. Und Trugen gehorchten ei­nem einmal gegebenen Befehl, bis dieser aufgehoben oder widerrufen wurde. So kam Brarl-Esh – trotz aller Unruhe, die ihn er­griffen hatte – nicht auf den Gedanken, nachzusehen, was dort, von wo die Ge­räusche gekommen waren, los war. Er blieb an seinem Platz, bis er den Roboter sah.

Die Maschine kam auf ihn zu, eine kleine Gestalt aus vielen ineinander verschachtel­ten metallenen Einheiten und blinkenden Lichtern. Sie bewegte sich auf drei Rädern. Eine der vielen Antennen, die wie Stacheln aus ihr herauswuchsen, war auf Brarl-Esh gerichtet. Der Truge hob die Strahlwaffe und zielte auf den Roboter. Er war verunsi­chert. Von Robotern hatte sein Kommandant ihm nichts gesagt. Es wurde erwartet, daß Gordys oder Technos, denen es gelungen war, sich versteckt zu halten, versuchen würden, die Arbeit der Trugen zu sabotieren. Alle Roboter der Station aber sollten mittler­weile längst den neuen Herren des Dimensi­onsfahrstuhls gehorchen.

»Bleib stehen!« rief Brarl-Esh die Ma­schine an, nicht sicher, ob diese die Ein­heitssprache des Rghul-Reviers verstehen konnte. »Identifikation!«

Der Roboter rollte näher heran. Brarl-Esh dachte an die unverständlichen Rufe der bei­den anderen Wächter und an das metallisch klingende Klatschen. Er hatte die Klaue am Auslöser der Waffe, zögerte jedoch zu schießen. Wenn es sich um einen Roboter aus der Station handelte, der hierher befoh­len worden war …

»Stehenbleiben!« wiederholte er. »Komm nicht näher und identifiziere dich, oder ich muß schießen!«

Er kam nicht dazu. So schnell, daß er nicht mehr reagieren konnte, kam die Ma­schine jetzt heran und teilte sich in der Mit­te. Die rechte und linke »Körperhälfte« klappten auseinander, und etwas schoß auf Brarl-Esh zu, schlug so hart gegen den aus dem Rumpf ausgefahrenen Köcher mit den darin sitzenden Sinnesorganen, daß der Tru­ge sekundenlang nichts mehr wahrnehmen

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konnte, und wickelte sich um seinen ganzen Körper. Das klatschende Geräusch konnte Brarl-Esh nicht hören. Als er wieder aufnah­mefähig war, spürte er, daß er am Boden lag, kein Glied rühren konnte und von der Kuppel fortgeschleift wurde, zwischen meh­reren Bauwerken hindurch auf einen flachen rechteckigen Block bereits an der Peripherie des Wachen Auges zu, in dem sich eine Tür öffnete.

Von metallenen Bändern gefesselt, blieb der Truge am Boden liegen und sah, wie ein Pthorer aus dem Gebäude trat, wie er ihn bisher noch nicht zu Gesicht bekommen hat­te.

Ein Pthorer und eine Menge Roboter.

*

Für Sator Synk war das Wache Auge schon so gut wie zurückerobert. Es sollte der Höhepunkt einer Reihe von unerwarteten Erfolgen sein, die sich eingestellt hatten, nachdem die Besatzer gewechselt hatten.

Offensichtlich hatten die von Pthor ver­triebenen Scuddamoren keine Gelegenheit gehabt, den Eimerköpfen, wie Synk die Tru­gen verächtlich nannte, viel über ihn und seine Robot-Guerillas zu erzählen – über je­ne verbissen kämpfende kleine Streitmacht, die den Scuddamoren so oft nur ganz knapp entkommen war und dabei Unheil angerich­tet hatte, wo sie nur konnte. So war es ge­kommen, daß plötzlich keine Jagd mehr auf die Rebellen gemacht wurde und Synk, der die sich bietende Chance schnell erkannte, einen Schlag nach dem anderen gegen die neuen Besatzer landen konnte.

Was sich zwischen ihnen und den Scud­damoren abgespielt hatte, warum nun sie Pthor kontrollierten, interessierte den Mann aus Orxeya nicht. Sie unterdrückten die At­lanter – der Freiheitskampf ging weiter.

Weiter mit den sieben Robotern, die ihm, Sator Synk, nach der »Schlacht um Orxeya« geblieben waren, und den »neuen« sechs, die ihm die Robotbürger aus Wolterhaven zur Aufstockung seiner Streitmacht ge­

schickt hatten. Natürlich steckte Diglfonk dahinter. Synk war sich dessen völlig sicher, obwohl Diglfonk auf alle Fragen auswich und noch immer behauptete, er stünde nicht in ständigem Kontakt zu den Robotbürgern und speziell zum Herrn Soltzamen, dessen »Geschenk« an Synk er ja war.

Was Diglfonk sagte oder nicht sagte, war dem Orxeyaner inzwischen egal geworden. Er hatte ihm verziehen, daß er über seinen Kopf hinweg Entscheidungen getroffen und gehandelt hatte. Immerhin, auch wenn Synk nicht gerne daran dachte, hatte er den Kampf um Orxeya zugunsten der Orxeyaner ent­schieden, was natürlich nur der Roboter und Synk wußten. Gefeiert hatte man Sator Synk.

Das war vorbei. Inzwischen war Orxeya wieder besetzt. Synk und seine Roboter hat­ten sich eine Weile versteckt gehalten und dann wieder damit begonnen, Anschläge auf Scuddamoren zu verüben, die vereinzelt in ihrer Nähe auftauchten. Dann, als die Tru­gen kamen, war es mit seinen Guerillas steil bergauf gegangen. Spätestens nach der Zu­rückeroberung des Wachen Auges würden die Trugen sie ebenso jagen wie vorher die Scuddamoren.

Daran dachte Sator Synk. Und in zwei schlaflosen Nächten hatte er einen wahrhaft verwegenen Plan gefaßt. Um auch weiter ef­fektiv gegen die Besatzer vorgehen zu kön­nen, war er bereit, Frieden mit den Robot­bürgern zu schließen. Sie konnten nun be­weisen, ob sie ihm den durch ihn verschul­deten Tod mehrerer Robotdiener und des Herrn Bediennark tatsächlich verziehen hat­ten, oder ob sie ihm nur das Leben zur Hölle machen wollten. Diglfonk hatte ihnen be­reits eine entsprechende Botschaft übermit­telt (jedenfalls hoffte der Orxeyaner dies). Es lag an ihnen, ob sie seine Forderung er­füllten, oder ob er zwei Robotern aus der Gruppe Sieben bis Zwölf die Batterien aus­bauen lassen mußte, um die Vorrichtung zu installieren, die das Wache Auge nach der Eroberung tabu für die Besatzer werden ließ – unangreifbar.

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Sieben bis Zwölf … Synk seufzte gequält, als er Nummer

Neun jetzt neben dem Eimerkopf stehen sah, den er ihm gebracht hatte. Er hatte viel zu lange dafür gebraucht. Ein Wunder, daß die Trugen noch nicht die Gegend nach ihm ab­suchten.

»Bringt ihn hinein!« befahl der Herr der Roboter Zwei und Vier. Sofort schwebten sie an ihm vorbei, und ihre stählernen Tenta­kelarme hoben den Gefesselten in die Höhe. Synk wartete, bis sie mit ihm im Eingang des kleinen Flachgebäudes verschwunden waren. Dann folgte er ihnen. Neun rollte wie ein Hund hinter ihm her, der nicht von der Seite seines Herrn wich.

Die Tür schloß sich hinter ihm. Im schwa­chen Licht aus der Decke sah Sator Synk sie nun wieder alle dreizehn versammelt, und wieder fragte er sich, wie es möglich gewe­sen war, daß die Trugen sie bisher nicht ent­deckt hatten, obwohl sie in diesem Gebäude am Rand der Riesenanlage vor Ortung sicher waren, wie Diglfonk herausgefunden hatte. Es beherbergte Geräte, die jegliche Ortung des Wachen Auges stark beeinträchtigt hät­ten, wären nicht die isolierenden Wände ge­wesen – ein blinder Fleck sozusagen.

»Diglfonk«, wandte Synk sich an seinen speziellen Freund. »Meine Waffe.«

Die Kugel von einem halben Meter Durchmesser und mit der ständig rotieren-den Scheibe obenauf schwebte heran, einen der erbeuteten scuddamorischen Strahler in einem ausgefahrenen Tentakelarm. Synk nahm ihn und richtete ihn auf den Trugen.

»Löse seine Fesseln, Neun!« Neun rollte an den »Eimerkopf« heran,

blieb einen Meter vor ihm stehen und ließ seinen Körper aufklappen. Im gleichen Au­genblick entwickelten die stählernen Strän­ge, die den Trugen wie eine zu dünn gerate-ne Riesenschlange umwickelt hielten, ein seltsames Eigenleben. Sie spulten sich regel­recht von ihm ab, wobei Brarl-Esh über den Boden gerollt wurde wie eine Nähgarnspule, bis die Fesseln, wie von einem starken Ma­gneten angezogen, in Neuns Körperinnerem

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verschwanden und die beiden Hälften des Roboterkörpers wieder zusammenklappten. Brarl-Esh prallte hart gegen eine Wand.

Synk seufzte wieder. Das also war die »neuartige« Bewaffnung der sechs Maschi­nen, die die Robotbürger geschickt hatten. Eine Feder, die auf Gegner abgeschossen wurde und sie völlig einrollte, wenn der Schütze richtig traf.

»Wieso hast du so lange gebraucht, um mir einen Eimerkopf zu bringen, Neun?«

»Nun, zwei Versuche schlugen fehl. Mei­ne Fesselfeder trafen die Trugen nicht ganz, und erst bei ihm …«

Synks Gesicht – das, was zwischen den langen, verwildert aussehenden Haaren und dem Wikingerbart zu sehen war – lief rot an.

»Du willst behaupten, daß du es vorher bei zwei anderen Eimerköpfen versucht hast und nun …?«

»Sie sind unschädlich gemacht«, unter­brach ihn der Roboter. »Sie liegen beide funktionsunfähig vor der Kuppel. Du brauchst dich um sie nicht zu sorgen, Sator Synk.«

Synk schlug die Hände vor die Augen, taumelte rückwärts und setzte sich, als seine Kniekehlen eine flache Schaltbank berühr­ten. Stumm schüttelte er den Kopf. Dann sah er Diglfonk wieder an.

»Er … er hat sie liegengelassen … zwei Trugen … vor der Kuppel …«

Synk sprang auf, holte tief Luft und schrie:

»Wo jeder sie finden kann und wissen wird, daß hier etwas faul ist! Bist du noch zu retten, Neun?«

»Ich bitte um eine Definition des Begriff ›faul‹«, schnarrte Neuns mechanische Stim­me, »und um eine Spezifizierung des zu be­hebenden Schadens an mir.«

»Das kannst du haben!« brüllte der Or­xeyaner, zielte auf eine von Neuns Antennen und schoß. »Da! Antennenschaden! Geh mir aus den Augen und komm nicht wieder, be­vor du sie dir nicht wieder angelötet hast!«

Neun verschwand kommentarlos. Synk setzte sich wieder und vermied es, Diglfonk

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anzusehen. Ich bin unter Irren, dachte er. Womit habe

ich das verdient? Er schwor sich, daß dies der letzte Test

gewesen war, die letzte Chance, die er ei­nem von den Neuen gegeben hatte. Jetzt sollten sie Luft für ihn sein. Er wollte nur noch mit Diglfonk und Eins bis Sechs arbei­ten, die bewiesen hatten, daß sie zu etwas taugten.

»Also.« Sator Synk winkte Diglfonk her­an. »Ich beherrsche die Sprache der Eimer­köpfe nicht, also übersetzt du für mich. Fra­ge ihn aus. Ich will wissen, wie viele Trugen in der Kuppel sind und sich auf dem Gelän­de des Wachen Auges herumtreiben, wie sie bewaffnet sind, und so weiter.«

Diglfonk sagte: »Verfüge über mich, Herr.« Dann schwebte er auf den Trugen zu und

begann, in dessen Sprache, die er bei ande­rer Gelegenheit analysiert hatte, auf ihn ein­zureden. Der Trichter mit den Sinnesorga­nen des Wesens war eingefahren, aber es lebte und war bei Bewußtsein. Und während Synk so dasaß und weniger an die Auskünf­te dachte, die der Truge geben würde (und er würde sie geben), als daran, wie er Sieben bis Zwölf vielleicht doch noch Zucht und Ordnung beibringen konnte, geschah es.

Sator Synk hatte plötzlich das Gefühl, je­mand würde ihm den Kopf auseinanderrei­ßen und siedendheißes Öl ins Gehirn gießen. Er sprang auf, schrie, preßte sich die Hände gegen die Schläfen, taumelte von einem Fuß auf den anderen, ging in die Knie, fiel zuckend und wimmernd zu Boden.

Keiner der Roboter kümmerte sich um ihn. Er hatte keinen Befehl dazu gegeben und ihnen oft genug eingeschärft, daß sie nur das zu tun hatten, was er ihnen befahl.

*

Selbstverständlich registrierte Diglfonk das unrationale Verhalten seines Herrn, das sich allerdings nicht genügend stark von Synks Tobsuchtsanfällen unterschied, um

den Robotdiener zu veranlassen, die Befra­gung des Trugen zu unterbrechen und sich um ihn zu kümmern.

Es war gefährlich, sich um Sator Synk zu kümmern, wenn dieser seine Aggressionen abreagierte. Diglfonk hatte Grund zur An­nahme, daß dies auch jetzt wieder der Fall war, obschon die von ihm durch ständige Beobachtung seines Herrn errechnete Ag­gressionsschwelle den kritischen Wert noch nicht ganz erreicht hatte.

Doch seit der Ankunft der sechs neuen Robotdiener war Sator Synk wieder unbere­chenbarer geworden. Diglfonk jedenfalls sendete einen Impuls an die Guerillas, daß sie nichts unternehmen sollten, und brachte den anfangs beharrlich schweigenden Tru­gen durch Reizwörter und Scheinlogik dazu, all das preiszugeben, was er erfahren wollte, wobei der Truge keine Ahnung davon hatte, daß er tatsächlich antwortete.

Diglfonk paralysierte ihn mit einer der er­beuteten Waffen. Dann wandte er sich zur Berichterstattung an Synk.

Diglfonk registrierte, daß sein Schutzbe­fohlener sich verändert hatte.

Synk saß auf dem Boden des Gebäudes, die Beine seltsam angewinkelt, die Arme über der Brust verschränkt und den Kopf hoch erhoben. Die kleinen Augen waren weit aufgerissen, der Blick in die Ferne ge­richtet.

»Herr?« Diglfonk versuchte, die Art und Weise,

wie sich ihm Sator Synk nun präsentierte, in ein Schema zu bringen, in eine Beziehung zu seinem sonstigen Verhaltensmuster. Es gelang nicht. Dieser Mann, der da vor ihm auf dem Boden saß, war nicht Sator Synk – nicht der Synk, den die Roboter kannten.

Ist unser Herr funktionsunfähig? kam es von Drei.

Er ist die ganze Zeit über, die wir mit ihm verbracht haben, nicht ein einziges Mal überholt worden, sendete Sechs.

Schweigt! befahl Diglfonk. Synks Anblick war so ungewohnt und erschreckend, daß er schon abzuwägen begann, ob er eine Nach­

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richt nach Wolterhaven senden sollte. Er entschied sich dagegen. Dort wurde erwar­tet, daß Diglfonk selbst für die »Stabilisierung« von Synks innerem Gleich­gewicht sorgte.

Plötzlich sah Synk ihn direkt an. »Sagt mir«, sprach er leise, viel zu leise

und ruhig für ihn, »seid ihr Träger wahren Lebens?«

Da wußte Diglfonk, daß der Schaden an seinem Schutzbefohlenen größer war, als er zunächst angenommen hatte.

*

Ähnliche Fragen mußte sich der Kom­mandant des Trugen-Trupps, der das Wache Auge besetzt hatte, in der Zentralkuppel zu gleicher Zeit ebenfalls anhören. Es geschah ganz plötzlich. Trugen erstarrten wie vom Blitz getroffen mitten in der Bewegung, zo­gen den Köcher mit den Sinnesorganen ein, begannen zu zittern und wälzten sich schließlich wie unter furchtbaren Qualen am Boden.

Es waren etwa zwanzig von insgesamt 36 Trugen, die sich in der Zentralkuppel befan­den. Die anderen vergaßen ihre Arbeit und verfolgten voller Unglauben die Verände­rung, die mit ihren Artgenossen vor sich ging.

Marl-Ofr-Jat, der Kommandant des Trupps, schossen die verschiedensten Ge­danken durch den Sinn. Was geschah hier und jetzt? War dies der im stillen erwartete Angriff der Magier aus der Großen Barriere von Oth? Griff jemand anderer die Station an – eine der Partisanengruppen, die bislang niemand ernst genommen hatte?

Ohne die am Boden liegenden, nun wim­mernden und kreischenden Soldaten aus den Augen zu lassen, aktivierte Marl-Ofr-Jat einen Monitor, der das Gelände um die Zen­tralkuppel herum zeigte. Nichts. Es war ru­hig draußen. Die über dem Wachen Auge kreisende Fernsehsonde zeigte lediglich zwei reglos am Boden liegende Wachen. Drei weitere Trugen standen nach wie vor

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auf ihrem Posten, der sechste war spurlos verschwunden.

Panik ergriff den Kommandanten. Er rief eines der als Relais fungierenden Organ­schiffe über Pthor und meldete, was er sah. Noch während er auf Antwort wartete, erho­ben sich die wie vom Blitz Gefällten einer nach dem anderen.

Sie fuhren ihre Köcher aus, dann die Au­gen und alle anderen Sinnesorgane. Ein kal­ter Schauer überlief Marl-Ofr-Jat. Sie be­wegten sich nun – langsam, wie in Trance. Sie gingen einige Schritte, drehten sich um die eigene Achse, schienen etwas zu suchen.

Einige schienen ihren Kommandanten zu erkennen. Sie kamen langsam auf ihn zu. Unwillkürlich machte er ein paar Schritte zurück. Auch die anderen nicht von der plötzlichen Veränderung Befallenen wichen zurück, so daß die Unheimlichen nun eine geschlossene Gruppe in der Mitte der Kup­pel, zwischen Schaltbänken und Säulen, bil­deten.

»Bleibt stehen!« befahl Marl-Ofr-Jat, als sie ihm immer näher kamen, schweigend, langsam, mit bebenden Fühlern. »Halt!« Er nahm seine Waffe und richtete sie auf denje­nigen, der ihm am nächsten war. »Was ist los mit euch? Stehenbleiben! Antworte! Du, Krell-Jern!«

Der Angesprochene gehorchte. All seine Fühler waren auf den Kommandanten ge­richtet, als er fragte:

»Du bist Träger des Lebens?« Marl-Ofr-Jat zuckte heftig zusammen.

Das war nicht mehr Krell-Jern, der da vor ihm stand. Er spürte es. Da war etwas so Fremdes, daß er glaubte, in seiner Aura ver­sinken zu müssen und nicht mehr atmen zu können.

Nun begannen die anderen Befallenen sich aufzuteilen. Jeder ging auf einen der Zurückgewichenen zu und stellte ähnliche Fragen. Waffen wurden von den Haftplatten gerissen. Ein Truge gab in Panik einen Schuß auf einen Artgenossen ab.

Als ob dies ein Signal gewesen wäre, ver­änderten die zwanzig sich abermals. Sie zit­

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terten, schrien auf, fielen zu Boden oder rannten wie Blinde quer durch die Kuppel, bis sie an Säulen oder Wände stießen und wimmernd zu Boden gingen. Nur Krell-Jern blieb zitternd vor seinem Kommandanten stehen und kreischte:

»Helft uns! Sie …«, er wand sich wie un­ter furchtbaren Schmerzen, »… sie brennen uns aus! Sie … Nein! Laßt uns! Geht fort!«

Marl-Ofr-Jat nahm all seinen Mut zusam­men und packte den Tobenden an den Schultern. Krell-Jern riß sich los.

»Du gehörst zu ihnen!« schrie er. »Zu wem?« fragte der Truge. »Zu wem?

Wer ist …?« Weiter kam er nicht. Krell-Jern hatte

plötzlich seinen Strahler in der Klaue und schoß. Der Kommandant fühlte den bren­nenden Schmerz in der Schulter seines Ka­stenkörpers. Für Augenblicke verschwam­men seine Wahrnehmungen. Er bekam kaum mit, wie die Rasenden aus der Kuppel stürmten. Sie schossen auf alles, was ihnen im Weg war. Marl-Ofr-Jat taumelte. Aus der Wunde sickerte Blut. Mit dem Rücken prall­te er gegen die Schaltbank mit dem Funkge­rät. Er hörte eine Stimme, einen Namen …

Duuhl Larx! Das riß ihn aus seiner Benommenheit.

Marl-Ofr-Jat nahm das Mikrophon und sprach mit bebender Stimme zum Neffen. Plötzlich gewann das, was hier vorging, eine völlig neue Bedeutung, wenn der Neffe selbst mit ihm sprechen und informiert wer­den wollte.

Der Kommandant des Trupps berichtete stockend. Duuhl Larx unterbrach ihn nicht. Als der Truge seine Schilderungen beendet hatte, hörte er seinen Herrn sagen:

»Verfolgt sie nicht. Ähnliche Vorfälle wurden mir von überall auf Pthor gemeldet. Bleibt, wo ihr seid, und beobachtet. Ich muß wissen, was sie jetzt unternehmen werden. Unternehmt vorläufig nichts gegen sie und erstattet Bericht über alles, was von jetzt an vorfällt.«

Marl-Ofr-Jat wollte eine Frage stellen, aber die Verbindung war schon unterbro­

chen. Überall auf Pthor … Wieder spürte der Kommandant die na­

hende Panik. Er winkte einen seiner Solda­ten heran und ließ seine Wunde versorgen.

Weitere Fernsehaugen wurden gestartet. Auf den Monitoren waren die Wahnsinnigen zu sehen, wie sie davonstoben – ziellos, ge­packt von unvorstellbarem Grauen.

*

Halb war er Sator Synk, halb war er der Andere. Alle Gelenke schmerzten noch, doch das nahm der Orxeyaner kaum wahr, als der Andere dominierte. Synk empfand zwar, und auf seine Weise wurde er Teil dessen, was sich in ihm manifestiert hatte. Was an Impulsen von ihm kam, wurde von Synk verarbeitet. Es bekam den Stempel »Synk« aufgedrückt, zumal es schwach war und noch zu zögern schien, den Orxeyaner völlig unter seine Kontrolle zu zwingen. Aus der anfänglichen Panik, dem furchtbaren Brennen, den verzweifelten Schreien in Synks Bewußtsein war Zurückhaltung ge­worden. Das, was in Synk steckte, wartete ab, tastete vorsichtig nach dem Bewußtsein seines Wirtes und versuchte, ihn zu kontrol­lieren. Dabei vermittelte es Wärme und ver­mied alles, was den Wirt zu einer Abstoßre­aktion bringen könnte.

Und Sator Synk wurde der Andere – auf seine Art. Er fühlte die ungeheure geistige Potenz in sich und war nur allzu gerne bereit zu glauben, daß sie aus ihm selbst kam. Und als er die drängende Frage in sich hörte, fand er die pathetischen Worte, die ihm, der den plötzlichen Durchbruch seiner bisher tief in ihm schlummernden Weisheit erlebt hatte, gerecht wurden.

Die Frage: Bin ich allein? Sind andere wie ich um

dich herum? Synks Übersetzung: »Nun sagt mir, seid auch ihr zu Trägern

wahren Wissens geworden?« Die Antwort Diglfonks:

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»Bist du bereit, dich einer Analyse zu un­terziehen, Herr?«

Es war, als ob jemand eine lange Nadel aus Eis in Synks Gehirn gestoßen hätte, ge­halten von einer robotischen Hand an einem robotischen Arm.

Roboter! Der Gedanke daran, soeben einen Haufen

der geliebtgehaßten Blechkerle danach ge­fragt zu haben, ob sie »Träger wahren Wis­sens« seien, reichte aus, um Synk den Bann des Anderen von einem Augenblick zum an­dern abschütteln zu lassen. Eine Bombe aus Wut, Entrüstung und Abscheu explodierte im Bewußtsein des wilden Mannes aus Or­xeya. Das, was in ihm manifestiert war, wur­de jäh zurückgedrängt.

Es schwieg. Eine Woge von Panik über­flutete Synk noch einmal, dann war es so, als ob er niemals etwas in sich gespürt hätte.

»Analysieren? Mich?« Synk trat nach Diglfonk. »Was bildet ihr euch ein? Da läßt man

euch einen Moment aus den Augen, und schon glaubt ihr, frech werden zu können!«

»Aber du warst plötzlich so seltsam, Herr«, wagte Diglfonk zu widersprechen. »Wir waren in großer Sorge um dich und …«

»Anders?« kreischte der Orxeyaner. »Ich bin vollkommen in Ordnung! Mir geht es blendend!«

Ein kleiner Roboter rollte an Diglfonk vorbei auf Synk zu.

»Meine Antenne, Herr!« schnarrte Neun. »Sie ist angelötet.«

»So?« Synks Backen glühten rot. Er zer­strahlte zwei weitere Antennen des Robo­ters. »Davon sehe ich nichts! Verschwinde und repariere dich. Nein, warte. Eins bis Zwölf sollen dich reparieren. Diglfonk, du bleibst bei mir!«

Als die anderen Roboter sich zurückgezo­gen und Diglfonk seinen Spruch »Verfüge über mich, Herr!« aufgesagt hatte, knurrte der Orxeyaner.

»Was war das, Diglfonk? Heraus mit der Sprache. Was habt ihr mit mir angestellt?«

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»Ich verstehe nicht, Herr.« »Du verstehst mich sehr gut!« Synk ballte

die Fäuste und schnitt eine Grimasse. »Da war etwas in meinem Kopf, und du fragtest, ob du mich analysieren dürftest. Du wußtest also davon. Was war es?«

»Ich bat darum, eine Analyse vornehmen zu dürfen, weil ich durch Beobachtungen zu dem Schluß kam, daß du funktionsgestört seiest.«

»Funk …!« Synk mußte sich beherrschen. Er spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoß.

Nein, dachte er. Die Kerle bringen mich nicht dazu, meine Selbstbeherrschung zu verlieren. Ich durchschaue sie. O ja, meine Freunde, ihr werdet euch bald wundern!

»Was hat er geantwortet?« fragte Synk und deutete auf den Trugen. Nicht, daß ihn dies nun wirklich interessiert hätte. Es war vielmehr ein Ablenkungsmanöver, während ihm ganz andere Dinge im Kopf herum­schwirrten.

Das Pendel schlug zur anderen Seite aus. Was Sator Synk eben noch sanftmütig und zum Hort der Weisheit gemacht hatte, riß nun alle ins Unterbewußtsein verdrängten Aggressionen gegen alles, was wie ein Ro­boter aussah, redete und handelte, jäh an die Oberfläche seines Bewußtseins.

Diglfonk berichtete, daß sich in der Zen­tralkuppel insgesamt 37 Trugen befanden, dreizehn weitere in verschiedenen anderen Gebäuden der Anlage oder als Wachen vor der Kuppel, daß die Besatzer den Auftrag hatten, alle Systeme der Ortungs und Re­chenanlage beherrschen zu lernen und dafür zu sorgen, daß keine Unbefugten das Gelän­de betraten.

Synk hörte nur mit halbem Ohr zu. »Na gut«, sagte er dann. »Wir stürmen die

Kuppel bei Anbruch der Dunkelheit. Bis da­hin werden noch drei Stunden vergehen, in denen ihr die Trugen ausschaltet, die sich außerhalb der Kuppel befinden. Ich selbst werde auf Erkundung gehen und mich per­sönlich davon überzeugen, daß der Eimer­kopf die Wahrheit gesagt hat.«

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»Er hat die Wahrheit gesagt«, warf Digl­fonk ein. »Ich habe dir genau das wiederge­geben, was er aussagte.«

»Eben!« knurrte der Orxeyaner. »Ich wer­de die beste Möglichkeit ausspionieren, die Kuppel zu erobern. Schließlich soll es nicht zu Verlusten unter euch kommen.«

Diglfonk antwortete nicht. Was ging in seinen Transistoren vor?

Synk kniff die Augen zusammen. »Sobald ich draußen bin, instruierst du

Eins bis Zwölf. Eins bis Sechs sollen hier­bleiben. Sieben bis Zwölf können beweisen, was sie gelernt haben. Die Trugen außerhalb der Kuppel sollen nur betäubt werden, aber so, daß sie sich für mindestens zehn Stunden nicht rühren können. Entwaffnen und ein­sperren. Ist das verstanden worden?«

»Verstanden, Herr.« Synk murmelte etwas Unverständliches in

seinen langen roten Bart und nickte grim­mig. Er lauschte in sich hinein, als er das Gefühl hatte, irgend etwas wollte zu ihm sprechen. Sofort verschwand der Druck im Schädel. Nichts. Natürlich nichts. Diglfonk war viel zu gerissen, um seine Tricks noch einmal zu versuchen, nachdem er eingese­hen hatte, daß sie nicht wirkten.

»Dann gehe ich jetzt. Sieben bis Zwölf sollen eine halbe Stunde warten, bis sie los­gehen.«

»Verfüge über uns, Herr!« kam es von Diglfonk, aber es klang nicht sehr überzeu­gend.

Das werde ich, Blechhaufen! dachte der Raufbold aus Orxeya grimmig und in stiller Vorfreude. Ihr Sadisten werdet euch wun­dern, wie ich über euch verfüge – und eure feinen Herrn!

Mit kräftigen Schritten erreichte Sator Synk den Eingang des Verstecks, öffnete vorsichtig die Tür, schielte nach allen Seiten und trat ins Freie, als er davon überzeugt war, daß keine Trugen in der Nähe waren.

Damit hatte er recht. Diejenigen, die aus der Zentralkuppel geflohen waren, waren längst an dem Flachgebäude vorbei. Aber hoch über ihm kreisten die Fernsehaugen.

Marl-Ofr-Jat sah ihn kommen! Doch selbst wenn er etwas davon geahnt hätte, hätte es Synk kaum gestört.

Im Gegenteil. Er wollte ja zu ihm.

*

Zur gleichen Zeit geschah es zwar immer noch an den verschiedensten Stellen von Pthor, daß Pthorer sowie Trugen einfach umfielen, sich in Krämpfen wanden und von Grauen geschüttelt schrien, doch allmählich ebbte das, wie aus dem Nichts heraus über den Dimensionsfahrstuhl gekommen war, ab.

Drei Stunden, nachdem Duuhl Larx die ersten Schreckensmeldungen erhalten hatte, schien der Spuk zu Ende zu sein. Was blieb, waren etwa fünftausend Atlanter und Tru­gen, die wie von Sinnen ihre Behausungen verließen, Zusammenhangloses von sich ga­ben, schreiend über das Land zogen oder sich irgendwohin verkrochen, wo sie sich Sicherheit erhofften, die sie nicht fanden, so­lange es in ihnen war.

Das, wovon Duuhl Larx glaubte, daß es ein teuflisches Werk der Magier war, und wofür Sator Synk seine Roboter verantwort­lich machte.

Der Odinssohn Balduur hockte völlig ver­schüchtert in einer Kammer tief in der FE­STUNG und ließ nicht einmal seine Brüder an sich heran.

Gordys, Valjaren, Dalazaaren und Kü­stenbewohner gingen schreiend aufeinander los.

Trugen warfen Waffen und Ausrüstung fort und rannten ziellos von ihren Unter­künften fort.

Die Symptome glichen sich bei allen Be­fallenen. Immer wieder, wenn sie sich völlig verausgabt hatten, kamen sie für wenige Mi­nuten zur Ruhe, fielen einfach um und rich­teten den Blick in die Ferne. Dann murmel­ten sie seltsame Worte. Oft lallten sie völlig unverständlich, als ob ihre Sprechwerkzeuge nicht in der Lage wären, das zu formulieren, was ihnen ein fremder Geist diktierte.

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Und diese Worte waren getragen von Angst, grenzenloser Angst vor etwas, das je­nen, die die Befallenen steuerten, unbegreif­lich war.

Wenn diese Periode vorüber war, über­kam die Befallenen wieder die alte Unrast. Sie bekamen wieder Tobsuchtsanfälle, und nicht wenige versuchten, ihrem Leben ein Ende zu machen. Kein einziger schaffte es.

Dies war der erste Tag der Invasion aus dem Nichts.

*

Sator Synk hatte alles andere im Sinn, als die Trugen zu bespitzeln und sich womög­lich selbst der Gefahr einer Entdeckung oder Gefangennahme auszusetzen. Synk wollte nicht mehr und nicht weniger als seine Ro­boter an die Besatzer verraten.

Der alte Roboterhaß war voll und ganz in ihm durchgebrochen. Vorbei waren die sen­timentalen Anwandlungen, vorbei die Ge­wissensbisse, die ihn so lange gequält hat­ten. Hatte er sich gewünscht, daß der Herr Bediennark ihn auf die Expedition in die vorgelagerte Mikrogalaxis mitnahm? Hatte er von Bediennark und seinen Dienern ver­langt, daß sie sich für ihn opferten?

Alles Unsinn! dachte Synk. Ein Teil des in Wolterhaven gegen mich geschmiedeten Komplotts. Diglfonk, ich habe dich schon durchschaut, als ich dich in meinem Haus in Orxeya vorfand. Geschenk! Für wie dumm haltet ihr mich eigentlich? Ihr glaubtet wohl, ich fiele auf euren Trick mit meiner »Veränderung« herein, wie? Daß ich mich von euch Blechidioten analysieren ließe! Ich kann mir vorstellen, wie diese Analyse aus­gesehen hätte. Das ist nämlich euer Ziel.

»Ihr wollt mich durch einen Roboter er­setzen. Ha!«

Die letzten Worte hatte Synk laut gespro­chen, während er sich geradlinig auf die Kuppel zu bewegte und gar nicht erst ver­suchte, unbemerkt an die Trugen heranzu­kommen. Sie sollten ihn sehen und wissen, daß sie von ihm nichts zu befürchten hatten,

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daß er als Freund kam. »Ha!« rief er wieder aus. »Mich durch

einen von euch ersetzen! Aber daraus wird nichts!«

Synk redete und redete, sah in Gedanken ganze Horden von Robotern auf seinen Fer­sen. Sein Unterbewußtsein kompensierte auf diese Weise das Wissen um etwas, das in ihm steckte und fremd war. Ja, Synk spürte, daß es da war – aber was nicht sein sollte, durfte nicht sein. Alles war das Werk von Robotern, gräßlichen Monstren aus Plastik, Glas, Transistoren und Metall, mit Rädern, Beinen, Tentakeln und Antennen. Die stum­me Wut, die er auf sich selbst empfand, weil er sich von ihnen so lange hatte täuschen lassen, verstärkte seinen Wahn noch. Nein, mit ihnen mußte Schluß gemacht werden – ein für allemal.

Pthor, die Besatzer, Atlan – was scherte ihn all das?

»Jeder säuft seinen Krug selbst aus«, zi­tierte er eine orxeyanische Weisheit, bevor er die Trugen aus der Kuppel kommen sah.

Es waren vier – unförmige Kästen auf Säulenbeinen, in dick gepolsterten, knallgel­ben Uniformen. In ihren Klauen hielten sie Waffen auf ihn gerichtet.

Synk blieb stehen und zog vorsichtig den erbeuteten scuddamorischen Strahler aus dem Gürtel. Dann warf er ihn den Trugen vor die Füße.

»Ich komme als euer Freund«, rief er lei­se, damit die Roboter ihn nicht hören konn­ten. Vielleicht spionierten sie hinter ihm her. Ihnen traute er alles zu.

Keine Reaktion. Synk seufzte. Verstanden sie ihn nicht?

Ihre Sprache ähnelte zwar dem Pthora, und einige Atlanter sollten bereits in der Lage sein, sich einigermaßen gut mit ihnen zu verständigen, aber Synk besaß absolut kein Sprachtalent. So konnte er nur darauf hof­fen, daß sie irgendwie begriffen, was er von ihnen wollte.

»Ich komme als Freund«, wiederholte er und legte die Fingerspitzen auf seine Brust. »Freund, versteht ihr? Ich muß euren Kom­

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mandanten sprechen.« Als die Trugen sich wieder nicht rührten,

ging das Temperament mit dem Orxeyaner durch.

»Paßt auf, ihr verdammten Eimerköpfe. Ich-Freund­muß-sprechen-euren-Kommandanten. Ver­standen? Na endlich!«

Zwei Trugen kamen auf ihn zu und nah­men ihn in ihre Mitte. Mit ihren gelenklosen Armen packten sie ihn und hoben ihn ein­fach in die Luft. Alle Protestschreie halfen nichts. Als zappelndes Bündel wurde Synk in die Kuppel gebracht und vor einem Tru­gen abgesetzt.

Verwundert sah er sich um. Wieso waren es so wenige? Diglfonk hatte von 37 Trugen in der Kuppel gesprochen. Synk sah weniger als die Hälfte.

Na warte, Freundchen, dachte er grim­mig. Das war deine letzte Lüge!

Er wandte sich an den Trugen. »Du bist der Kommandant hier?« Mit der für die neuen Besatzer typisch

quakenden Stimme antwortete der Truge et­was. Synk verstand kein Wort. Daß die vier, die ihn vor der Kuppel erwartet hatten, im­mer noch ihre Waffen auf ihn gerichtet hiel­ten, machte ihn unsicher.

Synk atmete tief durch. »Also paß auf. Wenn du mich verstehen

kannst, dann … dann … hebe eine Hand.« Das geschah. »Dann höre mir jetzt gut zu, mein Freund.

Ich bin gekommen, um euch zu warnen. Zwölf heimtückische Roboter«, er wieder­holte mit besonderer Betonung: »Roboter, zwölf Stück, wollen euch überfallen und das Wache Auge für sich erobern. Sie sind schon in der Nähe. Ich habe sie verfolgt und belauscht. Sobald es dunkel wird, wollen sie euch angreifen.« Synk machte eine Pause, versuchte aus den Bewegungen der Fühler seines Gegenübers etwas herauszulesen – vergeblich.

Wieder holte er Luft. »Ihr müßt sie ver­nichten, alle, sofort! Ich kenne sie. Sie sind

skrupellos und gemein. Zerstrahlt sie. Laßt keinen von ihnen entkommen, damit sie nicht ihre Hintermänner in Wolterhaven warnen können.«

Der Truge ließ die Hand wieder fallen. Was bedeutete das? Hatte er verstanden und dankte Synk für die Information? Jetzt quak­te er etwas. Synk schüttelte den Kopf.

»Ich kann euch nicht verstehen. Aber wenn ihr mich begriffen habt, werdet ihr tun, was ich euch geraten habe, und mich jetzt wieder gehen lassen. Ich muß sie in Si­cherheit wiegen. Ihr habt ja keine Vorstel­lung davon, wie gerissen sie sind!«

Vor allem Diglfonk! dachte der Orxeya­ner, als er sich, rückwärts gehend, von dem Kommandanten der Trugen im Wachen Au­ge entfernte.

Diglfonk … Jetzt, da er ihn und die anderen zwölf ver­

raten hatte, wurde Synk klar, was er getan hatte. Diglfonk, der ihm so lange ein treuer Begleiter gewesen war!

Und als Sator Synk, Held der Schlacht um Pthor und Anführer der gefürchteten Robot-Guerillas, nun plötzlich wieder Roboter­wracks vor seinem geistigen Auge sah, brach das wieder durch, was sich in ihm ma­nifestiert hatte.

Synks Knie wurden weich. Er begann zu zittern, schlug sich die Hände vor die Au­gen, schrie wie am Spieß und wälzte sich am Boden.

Marl-Ofr-Jat gab seinen Soldaten einen Wink. Sie packten den Tobenden und para­lysierten ihn. Dann schafften sie ihn in einen entlegenen Winkel der Kuppel.

Der Kommandant der Trugen hatte fast alles verstanden, was der Befallene zu ihm gesagt hatte. Fast wäre er bereit gewesen, ihm zu glauben – trotz aller Ungereimthei­ten. Nun sah er in ihm nur einen von vielen Pthorern, die unter dem unerklärlichen Ver­folgungswahn litten. Er wollte ihn solange in der Kuppel behalten, bis er neue Befehle erhielt. Vielleicht hatte er hier ein geeignetes Studienobjekt für das unerklärliche Phäno­men gefunden, das über den Dimensions­

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fahrstuhl hereingebrochen war. Vorerst in­teressierte er ihn nicht. Marl-Ofr-Jat hatte genug mit sich selbst und seinen Soldaten zu tun. Es hatte keine Ausfälle mehr gegeben.

Dennoch ließ er die von den Sonden über­mittelten Bilder intensiver beobachten. Es hätte nicht passieren dürfen, daß ein Einge­borener unbemerkt bis kurz vor die Kuppel gelangen konnte.

Auch eine halbe Stunde nach Synks Er­scheinen zeigten sich keine Roboter auf den Schirmen.

*

Diglfonk hatte Sieben bis Zwölf nicht be­fohlen, nach draußen zu gehen und die Tru­gen außerhalb der Zentralkuppel unschäd­lich zu machen. Die Unlogik in Sator Synks Anweisungen war haarsträubend, doch Digl­fonk hatte bewußt darauf verzichtet, seine Schutzbefohlenen darauf aufmerksam zu machen, daß ein Überraschungsschlag bei Einsetzen der Dunkelheit keine Überra­schung für die Trugen mehr war, wenn sie vorher ihre Artgenossen vermißten oder de­ren Hilferufe hörten.

Außerdem mußten die Fernsehsonden un­schädlich gemacht werden, bevor daran zu denken war, loszuschlagen. Natürlich hatten die Roboter diese längst geortet.

Diglfonk glaubte nicht, daß Sator Synk die Absicht hatte, zu ihnen zurückzukehren. Er hatte sich verändert, und sein plötzlicher Entschluß, entgegen aller vorherigen Ab­sprachen selbst auf Erkundung zu gehen, konnte für Diglfonk unter Berücksichtigung von Synks Mentalität nur eines bedeuten.

Er wollte sich für seine Roboter opfern, um ein für allemal sein schlechtes Gewissen loszuwerden. Diglfonk überlegte, ob Synk eine Chance besaß, in die Kuppel einzudrin­gen und die Trugen durch einen Sabotageakt auszuschalten.

Selbst falls es so wäre, durfte Diglfonk es nicht zulassen, daß sein Herr sich opferte.

Was immer er auch angestellt hatte – jetzt, nach 57 Minuten, war er mit Sicherheit

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in der Kuppel – in der Gewalt der Trugen. Wir greifen jetzt an, sendete Diglfonk an

Eins bis Zwölf. Neun, du bist funktionsfä­hig?

Zu 98,772 Prozent, antwortete Neun. Diglfonk registrierte es mit Zufriedenheit.

Die sechs Roboter, die die Robotbürger aus Wolterhaven auf seine, Diglfonks, Anforde­rung hin geschickt hatten, waren alles ande­re als die primitiven Maschinen, die Sator Synk in ihnen sah. Es handelte sich bei je-dem von ihnen um eine Spezialanfertigung. Auf die Bewaffnung und solche Fähigkeiten, die Synk ins Auge fielen, war kein großer Wert gelegt worden.

Neun war, trotz der von Synk verursach­ten Beschädigung, in der Lage, elektroni­sche Einheiten, ja sogar kleinere Rechenge­hirne ohne direkten Kontakt umzuprogram­mieren.

Diglfonk erteilte ihm Anweisungen, und nach nicht einmal einer Minute hatte Neun die Fernsehaugen so beeinflußt, daß sie nur noch die Bilder zur Kuppel funkten, die sie im Augenblick der Umprogrammierung auf­genommen hatten. Was immer nun zwischen den Gebäuden der Anlage geschah – die Trugen würden immer das gleiche Bild se­hen, ein verlassenes Waches Auge.

Nun erklärte Diglfonk, was die einzelnen Roboter zu tun hatten. Eins bis Sechs sollten mit ihm die Kuppel stürmen, nachdem Zehn die Eingänge geöffnet und Sieben dafür ge­sorgt hatte, daß die Beleuchtung im Innern des Bauwerks schlagartig erlosch. Unbehin­dert durch Sator Synks unlogische Denkwei­se und Befehle, würden sie die Kuppel neh­men, ohne daß ein Schuß fiel.

Diglfonk tadelte sich selbst für den Ge­danken, daß die kleine Streitmacht ohne Synk um ein Vielfaches effizienter gegen die Besatzer vorgehen konnte. Sobald Sator Synk befreit und wieder Herr seiner Sinne war, würden sie wieder auf seine Befehle hören. Allerdings mußte erforscht werden, was ihn verändert hatte. Notfalls mußte er nach Wolterhaven gebracht werden, wo die Robotbürger sich mit den ihnen zur Verfü­

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gung stehenden Mitteln um ihn kümmern konnten.

Genau eine Stunde nach Synks Aufbruch gab Diglfonk den Befehl zum Angriff.

Die Trugen hatten keine Chance. Als die Roboter die Kuppel erreichten, sorgten Zehn und Sieben dafür, daß die Eingänge im glei­chen Augenblick auffuhren, in dem das Licht in der Kuppel erlosch. Durch vier Ein­gänge schwebten die Maschinen hinein. Elf war in der Mitte der Ortungs und Rechen­zentrale, bevor die Besatzer überhaupt be­griffen, was geschah.

Er projizierte das Feld, das alles organi­sches Leben im Umkreis von hundert Me­tern lähmte.

Lautlos sanken die Trugen zu Boden. Die Infrarotoptiken der Roboter gestatteten es ihnen, auch im Dunklen klar sehen zu kön­nen. Es war Diglfonk selbst vergönnt, den paralysierten Sator Synk zu finden.

Diglfonk fuhr zwei Tentakelarme aus und hob seinen Herrn behutsam auf. Dann warte­te er, bis Elf einen der drei Projektoren von seinem Rumpf abmontiert hatte, der das Lähmfeld so lange aufrechterhielt, bis je­mand kam und ihn zerstörte. Elf aktivierte den Projektor und stellte ihn auf eine Instru­mentenbank.

Diglfonk blies zum Rückzug. Er glaubte, in Synks Sinn gehandelt zu haben. Das Wa­che Auge stand den Trugen vorläufig nicht mehr zur Verfügung. Jene, die sich draußen in anderen Gebäuden aufhielten, würden beim Betreten der Kuppel, ja schon auf dem Weg zu ihr, ebenfalls gelähmt werden.

Nur Roboter konnten die Trugen aus ih­rem Dornröschenschlaf erwecken.

Kurz darauf waren die Guerillas wieder in ihrem Versteck. Allerdings wußte Diglfonk, daß sie sich bald nach einem neuen umsehen mußten. Vorher galt es, Sator Synk zu ana­lysieren.

Als der Orxeyaner zu sich kam und die Roboter um sich versammelt sah, hielt er so lange die Luft an, daß Diglfonk um sein Le­ben fürchten mußte. Dann platzte es aus ihm heraus. Synk schrie den Robotern alle

Schimpfwörter entgegen, die er kannte. Dies war jedoch kein Grund zur Beunruhigung. Diglfonk kannte inzwischen Synks Art und Weise, seine Sympathie für seine Truppe zu bekunden.

Dann jedoch begann er zu schluchzen und jammerte, daß er seine »lieben treuen Freun­de« verraten hätte. Und das machte Diglfonk nun wirklich stutzig.

Wenn Sator Synk seine Roboter als »liebe treue Freunde« bezeichnete, noch dazu in nüchternem Zustand, war er schwer funkti­onsgestört. Der Fall war sehr ernst.

Es folgte ein weiterer Tobsuchtsanfall, und schließlich saß der Orxeyaner wieder mit angewinkelten Beinen und über der Brust verschränkten Armen auf dem Boden, den glasigen Blick weit in die Ferne gerich­tet. Das genügte Diglfonk, um nun endgültig davon überzeugt zu sein, daß etwas, das nicht Synk war, das Denken seines Herrn beherrschte. Vielleicht litt er auch nur unter Schizophrenie, einer plötzlichen Bewußt­seinsspaltung – einer der schlimmsten Fehl­funktionen organischer Gehirne. In jedem Fall konnte ihm jetzt nur noch in Wolterha­ven geholfen werden. Diglfonk nahm Kon­takt zum Herrn Soltzamen auf. Er tat dies mit denkbar schlechtem »Gewissen«, denn er war Sator Synk zugeteilt worden, um ihn vor Spontanreaktionen zu schützen, die ihre Ursache in den tragischen Vorgängen auf dem Planeten der Mikrogalaxis hatten. Er sollte Synks Leben garantieren.

Und nun sah es so aus, als sollte sein Schutzbefohlener ihm unter den Greifarmen wegsterben.

3. An Bord der MARSAPIEN

Duuhl Larx hatte Angst – Angst vor dem, was nun als nächstes folgen würde, und Angst davor, durch sein Scheitern beim Dunklen Oheim ebenso in Ungnade zu fal­len wie sein verhaßter Rivale Chirmor Flog.

Das Ausbleiben von weiteren Meldungen über Ausfälle von Trugen und Amokläufe von Eingeborenen beruhigte ihn nicht, ganz

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im Gegenteil. Die plötzliche Stille war wie die Ruhe vor dem Sturm. Irgend etwas ge­schah, wurde vorbereitet, ein von den Magi­ern inszeniertes Stück. Der Ausfall des Wa­chen Auges konnte ein Signal sein. Bisher war es zu keinen systematischen Anschlägen der Besessenen gekommen. Es schien so, als hätten sie vorerst genug damit zu tun, mit sich selbst klarzukommen. Dies konnte der erste Schritt sein.

Duuhl Larx wußte, daß Marl-Ofr-Jat noch zum Relaisschiff berichtet hatte, als die Ma­nipulationswelle (Larx war zu dem Schluß gekommen, daß es sich in der Tat um eine Manipulation von Pthorern und Trugen durch die Magier handelte) schon vorbei war. Das aber hieß, daß dieser und seine normal gebliebenen Soldaten so überra­schend angegriffen und ausgeschaltet wor­den waren, daß ihnen keine Zeit blieb, eine Nachricht oder einen Hilferuf zu senden.

Ob es nun Besessene waren, die die Anla­ge überfallen hatten, oder bereits die Magier selbst, war Larx momentan gleichgültig. Er beorderte einen Trupp zum Wachen Auge, der dort nach dem Rechten sehen und die Anlage zurückzuerobern sollte.

Doch im Mittelpunkt seines Denkens stand der Mann, dem er das sich ankündi­gende Desaster zu verdanken hatte. Atlan, der mit den Magiern zusammen einen teufli­schen Plan ausgeheckt haben mußte, als er sich in der Barriere von Oth befand. Einen Plan, dem er zum Opfer gefallen wäre, hätte er sich mit dem Verräter nach Pthor bege­ben.

Nun kannte er keine Gnade mehr. Unbän­diger Haß erfüllte ihn. Wenn er an den Ma­giern nun ebenso scheiterte wie Chirmor Flog, war das allein Atlan zuzuschreiben, dachte Larx. Und dafür sollte Atlan mit sei­nem Leben bezahlen.

Der Neffe gab den Befehl, alle Vorberei­tungen für die Exekution zu treffen. Er ließ auch den Arkoniden über sein bevorstehen-des Schicksal informieren.

Er sollte die Todesangst spüren, zitternd auf sein Ende warten. Nach der Exekution

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wollte Larx sich wieder um Pthor kümmern. Vorerst ließ er die Besessenen weiter beob­achten und schickte weitere Kampfschiffe zur Großen Barriere von Oth.

Denn eines stand fest: dort befand sich Chirmor Flog. Nur er hatte Atlan das Kode­wort verraten können, das er ihm übermittelt hatte.

Das bedeutete für Duuhl Larx nichts an­deres, als daß der Rivale mit Atlan und den Magiern unter einer Decke steckte und viel­leicht der eigentliche Initiator der Vorgänge auf Pthor war.

Flog sollte nicht über ihn, Duuhl Larx, tri­umphieren!

4. Pthor – das Ruinenschloß im Emmorko-Tal

Vor vielen tausend Jahren …

Sie nannten sich »Lunen«. Sie bewohnten jenen Landstrich Pthors, der nach dem Er­scheinen der Herren der FESTUNG nur noch als Dunkle Region bezeichnet wurde. Ihre Zivilisation war beispiellos auf Pthor. Die Lunen waren ein glückliches Volk auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung, als die Finsternis über sie kam. Nur wenige über­lebten die Machtergreifung der dunklen Kräfte. Die Schlösser und Burgen der Lunen wurden vernichtet. Eine furchtbare Explosi­on riß einen gewaltigen Krater in ihr Land. Dunkelheit breitete sich aus. Jene, die die Katastrophe überlebten und wußten, daß sie in dieser Aura nicht lange existieren konn­ten, schufen ihrem Volk ein letztes Denk­mal, bevor sie sich zusammenfanden und diese Daseinsebene verließen, um in anderen Räumen als kollektives Leben, als Essenz ihres Volkes, eine neue Heimat zu finden:

Das Schloß im Emmorko-Tal. Verlassen von seinen Erbauern, verwitter­

te das Schloß und wurde zur Ruine. Die Jahrtausende vergingen … Blodgahn zog als Wächter in die Dunkle

Region ein, als die Herren der FESTUNG damit begannen, die auf vielen der vom Di­mensionsfahrstuhl heimgesuchten Welten

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geraubten Schätze dort zu verstecken. Er war ein Geschöpf des Dunkels und fühlte sich in der Finsternis wohl – bis die Frem­den kamen.

Im Kampf um das Goldene Vlies, einer der geraubten Kostbarkeiten, wurde Blod­gahn von Atlan getötet. Atlan wurde Zeuge, als die geistige Essenz der Lunen, vom Heimweh getrieben, einen von vorneherein zum Scheitern verurteilten Versuch unter­nahmen, in ihre Heimat zurückzukehren. Sie materialisierten als Kristall, und Atlan erfuhr ihre Geschichte, bevor sie erneut verschwan­den – und diesmal für immer. Sie hatten ge­sehen, daß sie eine bessere Welt gefunden hatten, irgendwo zwischen den Dimensio­nen.

Atlan wandte sich neuen Aufgaben zu. Blodgahn war tot. Die Dunkle Region und ihre Geheimnisse gerieten in Vergessenheit.

Bis zu diesem Tag, an dem die Invasion aus dem Nichts stattfand.

Bis zuletzt hatten die letzten Lunen ge­hofft, eines Tages in ihre Heimat zurückzu­kehren zu können, dann, wenn ihr Land wie­der frei vom Dunkel sein würde. Das war gewesen, bevor sie sicher sein konnten, daß ihnen der Schritt in den Überraum gelingen würde. Quasi als Rückversicherung hatten sie tief unter dem Schloß Anlagen errichtet, von denen weder Blodghan noch seine Her­ren jemals etwas geahnt hatten. Auch Atlan gegenüber erwähnten die im Kristall Mate­rialisierten nichts davon. Sie hatten keinen Gebrauch von ihnen machen müssen und sie vergessen.

Sinn ihrer Maßnahmen war es gewesen, einen Bezugspunkt zu finden, falls sie ge­zwungen sein würden, doch wieder in der Dunklen Region zu materialisieren. Dann sollten automatisch Impulsgeber in Aktion treten, die Signale von sich gaben, die es ih­nen erleichtern sollten, wieder zueinander zu finden.

Dieser befürchtete Notfall trat nicht ein, und so schlummerten die Maschinen tief un­ter dem Ruinenschloß – bis eine Welle para­mentaler Impulse Pthor überschwemmte.

Die Maschinen aktivierten sich und be­gannen, die Signale abzustrahlen, die nur von vergeistigtem Leben empfangen werden konnten.

Und die Impulse wurden aufgefangen. Je­ne, die sie wahrnahmen, waren nicht die Lu­nen, denn deren Abschied von Pthor war endgültig gewesen.

5. Pthor – am Südufer des Flusses Xamyhr

Wie Marionetten bewegten sich die sechs Trugen am Ufer entlang. Immer wieder bra­chen einige von ihnen schreiend und zuckend zusammen oder verfielen in eine Art tiefe Trance. Die anderen kümmerten sich nicht um sie, sondern marschierten wei­ter, bis sie selbst von dem, was in ihnen steckte und mit aller Macht nach außen drängte, übermannt wurden.

So kamen sie nur langsam vorwärts. Sie waren die ganze Nacht hindurch unterwegs gewesen. Sie wußten nicht, wohin sie gin­gen, warum sie überhaupt marschierten. Dann und wann wich der Bann des Frem­den, und sie standen da, fassungslos und verwirrt, fragten sich, was sie hier suchten, warum sie nicht in der Kuppel waren, bei ih­rem Kommandanten Marl-Ofr-Jat. Sie wa­ren anderen begegnet, Trugen und Eingebo­renen. Alle bewegten sich in die gleiche Richtung – nach Norden. Keine dieser Grup­pen nahm von der anderen Notiz. Die sechs Trugen, die zu Marl-Ofr-Jats Trupp gehört hatten, hatten untätig mitangesehen, wie et­wa zehn Pthorer sich in die Fluten des Flus­ses stürzten und darin umkamen, unfähig, kontrollierte Schwimmbewegungen auszu­führen. Hoch über ihnen schwebten Fernseh­sonden, die für Duuhl Larx einfingen, wie sich immer mehr Befallene plötzlich nach Nordosten wendeten – überall auf Pthor. An Bord der MARSAPIEN rief dies Ver wir­rung hervor. Was bezweckten die Magier damit?

Und an eine Magierin glaubte Larx auch, als die schlanke Humanoide plötzlich wie

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aus dem Nichts heraus erschien. Sie stand vor den sechs Trugen aus Marl-

Ofr-Jats Truppe. Die Soldaten des Neffen blieben wie zu Stein erstarrt stehen. Ihre Körper ruckten, als wollten sie sich selbstän­dig machen und weitergehen, doch das, was sie kontrollierte, befahl ihnen, stehenzublei­ben.

Die hochgewachsene Frau trug als einzige Bekleidungsstücke einen enganliegenden ro­ten Anzug, der sich an ihrem Hals und über den Handgelenken schloß, und schwarze kniehohe Stiefel. Ihr langes Haar schimmer­te tiefblau. Die großen Augen wurden von violettem Leuchten umspielt.

Fast eine Minute lang geschah nichts. Sie blickten sich schweigend an – die Frau und die Trugen. Ihr Blick schien die sechs einen nach dem anderen durchdringen zu wollen.

Leenia blickte nicht in die Augen der Tru­gen. Sie schaute tiefer, bis in die hintersten Winkel ihrer Bewußtseine, und ihre paranor­malen Sinne fanden das, wonach sie taste­ten.

Immer noch standen die Trugen wie er­starrt vor ihr. Keiner von ihnen rührte sich, als sie jetzt die Augen schloß und ihre tele­pathischen Fühler vorsichtig tiefer in ihre Bewußtseine eindringen ließ, bis sie das aus ihnen herausschälen konnte, was in ihnen gefangen war.

Sie mußte sich einen nach dem anderen vornehmen, eines der gefangenen Bewußt­seine nach dem anderen aus den Bewußtsei­nen ihrer Träger lösen. Leenias Brüste ho­ben und senkten sich unter tiefen Atemzü­gen. Was sie zu tun hatte, erforderte ihre ganze Konzentration. Ein Fehlgriff, ein biß­chen Zuviel an psionischer Energie, und sie war gescheitert.

Die beiden Bewußtseine in jedem Trugen, das des Trägers und das in ihm manifestier­te, waren bereits stärker miteinander ver­schmolzen, als sie angenommen hatte. Wenn es ihr nicht gelang, sie sauber voneinander zu trennen, bedeutete dies den Tod für bei­de.

Das violette Leuchten drang immer stär-

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ker durch die geschlossenen Lider. Weitere Minuten vergingen, und Leenias Atem ging immer heftiger. Ihre Finger verkrampften sich.

Dann sank der erste Truge bewußtlos zu Boden. Er lebte.

Lebte das befreite Bewußtsein? Leenia öffnete die Augen und blickte zum

Wölbmantel empor, als könne der Himmel ihr die Antwort geben.

Noch einmal drang sie ins Bewußtsein des Trugen ein und fand nichts mehr außer ihm selbst.

Oh gebt mir die Kraft! dachte sie verzwei­felt. Gebt mir Kraft und Hoffnung!

Einen Moment zögerte sie, als erwartete sie eine Antwort. Dann nahm sie sich den zweiten Trugen vor.

Nach einer Viertelstunde lagen sechs reg­lose Körper vor ihr. Sie alle lebten.

Leenia lauschte und empfing Hunderte von Impulsen, darunter solche, die es hier gar nicht geben durfte, und deren Quelle dort lag, wohin die Träger unterwegs waren.

Leenia war viel zu erschöpft, um sofort wieder zu springen.

Ganze sechs in fast einer halben Stunde! Und es waren Tausende! Leenia setzte sich ins hohe Gras der Uferböschung und dachte verzweifelt darüber nach, wie sie ihre Arbeit effektiver tun konnte.

Sie mußte neue Kräfte sammeln. Sie spür­te, wie ihr Anzug sich mit Energien auflud und diese an sie weitergab. Leenia streckte sich lang aus und sah blicklos zum Wölb­mantel auf. Sie ließ ihre Gedanken zurück­schweifen …

*

Die Höheren Welten. Die Heimat Leenias und ungezählter artverwandter körperlosen Intelligenzen. Räume jenseits des Begreifba­ren. Ein Sammelbecken für Wesenheiten, die durch eine starke Affinität zueinanderge­funden hatten. Schmerz durchzog Leenia bei dem Gedanken an ihre Isolation. Die ande­ren Mitglieder der Gemeinschaft der Kör­

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perlosen hatten sie gemieden, nachdem sie wegen ihrer Aufsässigkeit dazu verurteilt worden war, für vorerst unbegrenzte Zeit nicht mehr überwechseln zu dürfen in das Kontinuum der Körperlichen – in die Schwarze Galaxis, die wegen ihres energeti­schen Niveaus der einzige Ort im unendli­chen Universum war, an dem eine Brücke zwischen den Kontinua geschlagen werden konnte.

Nach der Machtübernahme durch die Dunklen Mächte bestand allerdings für die Körperlosen auch diese Möglichkeit nicht mehr. Der Weg ins Universum der Körperli­chen war ihnen versperrt. Sie konnten in der Dunklen Aura nicht existieren. Leenia war die einzige Ausnahme. Sie war auf umständ­liche Weise dazu konditioniert worden, in der Aura der Schwarzen Galaxis leben und dort im Sinn der Körperlosen auf das Ende der Dunklen Mächte hinzuwirken.

Doch Leenia hatte sich nicht als »gehorsame Tochter« der Gemeinschaft er­wiesen. Nach der Vereinigung mit einer art­verwandten Wesenheit – Wommser, Kol­phyrs ehemaligem Dimensionssymbionten – hatte sie in zunehmendem Maß begonnen, die Initiative selbst zu ergreifen, auf eigene Faust zu handeln, selbst gegen die Befehle der Gemeinschaft.

Als das Maß voll war, sprachen deren Mitglieder das Urteil über sie. Nun fragte sie sich im Nachhinein, ob sie sich tatsächlich diesem Urteil gefügt oder früher oder später nach einer Möglichkeit gesucht hätte, auszu­brechen – wissend, daß dies ihre ewige Ver­bannung aus den Höheren Welten nach sich ziehen konnte.

Das Schicksal hatte ihr diese Entschei­dung abgenommen.

Wieder spürte Leenia die Wogen der Er­regung, die die Höheren Welten durchzogen hatten, als die Körperlosen den Sog zum er­stenmal spürten. Es war eine Strömung, die von Pthor ausging und bis in die Dasein­sebene der Körperlosen hineinreichte, eine Art Vakuum in der Aura des Bösen. Es stell­te sich heraus, daß die Körperlosen sich in

diesen Sog integrieren und so »hinab« nach Pthor gelangen konnten, das in den Randge­bieten der Schwarzen Galaxis stand.

Leenia erinnerte sich an die plötzlich frei­gewordenen Emotionen, als tobten sie noch jetzt um sie herum. Das war die Chance! hallte es durch die Höheren Welten. Die vielleicht nie wiederkehrende Chance, Mit­glieder der Gemeinschaft in großer Zahl nach Pthor hinabzuschleusen, wo es, wie es schien, den dort kämpfenden positiven Kräf­ten gelungen war, eine Zone zu schaffen, die frei von der Dunklen Aura war.

Jetzt, als Leenia am Ufer des Xamyhr lag und das Vorgefallene vor ihrem geistigen Auge Revue passieren ließ, war sie entsetzt über den Leichtsinn, die entsetzliche, von Emotionen beherrschte Fehlentscheidung je­ner, die ihr so oft Unbesonnenheit und allzu große Sorglosigkeit vorgeworfen hatten.

Sie integrierten sich in den Sog – zu Tau­senden. Und sie erreichten Pthor, aber um welchen Preis!

Sie fuhren in die Bewußtseine von Ptho­rern und den Fremden, die gekommen wa­ren, um den Dimensionsfahrstuhl für die Dunklen Mächte zurückzuerobern. Sie wa­ren gefangen und hatten keine Möglichkeit zur schnellen Rückkehr, als sie feststellen mußten, daß sie sich in den Bewußtseinen der Trägerkörper nicht entfalten konnten, weil diese sich gegen sie wehrten und ver­suchten, sie abzustoßen. Mehr noch – es gab keine Zone positiver Kräfte. Sie waren der Dunklen Aura ausgesetzt und hätten eigent­lich nach wenigen Minuten zu existieren aufhören müssen. Daß dem nicht so war, schrieb Leenia, die mit den Verhältnissen auf Pthor vertraut war, nur der filternden Wirkung des Wölbmantels zu.

Nun plötzlich war man wieder gekom­men, um sie, die Verstoßene, um Rat zu fra­gen, als man die verzweifelten Hilferufe der auf Pthor gefangenen Artgleichen empfing, aber selbst nichts tun konnte, um ihnen zu Hilfe zu kommen. Nun war sie wieder die einzige Hoffnung der Körperlosen gewesen.

Leenia hatte nicht triumphiert. Sie wußte

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viel zu gut, was die Anwesenheit von Mit­gliedern der Gemeinschaft auf Pthor und da­mit in der Schwarzen Galaxis bedeuten konnte. Es stand mehr auf dem Spiel als das Leben der Artverwandten, die in ihren un­freiwilligen Trägern heillose Konfusion an­richteten und auch unter dem Schutz des Wölbmantels nicht unbegrenzt lange in der Dunklen Aura existieren konnten. Vielmehr stand nun zu befürchten, daß die außer Kon­trolle geratenen Mitglieder der Gemeinschaft, gestrandet und in ihren Trä­gerbewußtseinen gefangen, früher oder spä­ter von den Schergen des Duuhl Larx (und somit vom Dunklen Oheim) aufgespürt wur­den. Das aber konnte bei den unbekannten Mitteln, die dem Zentrum der Dunklen Mächte zur Verfügung standen, bedeuten, daß der Dunkle Oheim endgültig wieder auf die Körperlosen aufmerksam wurde und einen Weg zu den Höheren Welten fand, um die verhaßten Gegenspieler von einst ein für allemal vernichten zu lassen.

Die Gestrandeten kannten die geheimen Schleusen zu den Höheren Welten, jene Stellen in der Schwarzen Galaxis, wo das energetische Niveau der unterschiedlichen Daseinsebenen gleich war – die Brücken, die zwar von den Körperlosen nicht mehr passiert werden konnten, wohl aber von den Dunklen Mächten. Leenia durfte nicht daran denken, was mit ihren Artverwandten ge­schehen würde, wenn es dem Dunklen Oheim zum Beispiel nur gelänge, die Dunkle Aura auch in die Höheren Welten überfließen zu lassen.

Es gab nur eine Möglichkeit, dies zu ver­hindern. Und so ließen die Körperlosen ihre Absicht, Leenia vorläufig nicht mehr einzu­setzen, gezwungenermaßen fallen und schickten ihre einzige Waffe erneut in die Daseinsebene der Körperlichen hinab, um die Bewußtseine der Gestrandeten aus denen ihrer Träger zu befreien. Wenn sie wieder Herr ihrer eigenen Sinne und frei von den Beeinflussungen der Träger waren, sollte es ihnen möglich sein, sich aus eigener Kraft in die Höheren Welten zurückzukatapultieren,

Horst Hoffmann

bevor sie in die Hände der Dunklen Mächte fallen konnten.

So lautete also Leenias Auftrag, die Ge­strandeten so schnell wie möglich zu befrei­en, um ihnen die Rückkehr zu ermöglichen.

Leenia richtete sich auf und starrte in das fließende Wasser des Xamyhr.

Es waren Tausende! Selbst falls es ihr gelang, sie alle zu loka­

lisieren und zu befreien, würde sie Wochen, ja Monate dazu brauchen – eine viel zu lan­ge Zeit im Angesicht der über Pthor stehen­den Organschiffe.

Dazu kam, daß sich die Abenteuerlust trotz der ungeheuren Verantwortung, die auf ihren Schultern lastete, wieder in ihr regte. Schon jetzt dachte sie daran, wie sie nach Erfüllung ihres Auftrags eine Möglichkeit finden konnte, weiterhin auf Pthor zu blei­ben und nach Atlan zu suchen, um an seiner Seite gegen die Macht des Dunklen Oheims kämpfen zu können.

Leenia schüttelte diese Gedanken ab und richtete sich auf. Sie fühlte sich wieder kräf­tig genug, um ihre Arbeit fortzusetzen, die sie niemals würde bewältigen können, wenn sie keinen effizienteren Weg fand, die Art­verwandten zu befreien.

Und immer noch wußte sie nicht, ob diese tatsächlich den Weg zurück in die Höheren Welten fanden oder einfach irgendwo zwi­schen den Daseinsebenen hängenblieben …

*

Leenia sprang und materialisierte genau zwischen mehreren Pthorern, vierschrötig wirkenden Männern und Frauen in einfacher Kleidung, die gegeneinander kämpften. Sie droschen aufeinander ein und kümmerten sich nicht um die, die am Boden lagen und wie unter Drogeneinfluß aus geweiteten Au­gen in die Ferne starrten. Leenia machte ein paar Schritte zurück. Sie erschrak, als sie die Konfusion spürte, die von den Körperlosen in den Eingeborenen ausging.

Die Pthorer, offensichtlich Bewohner ei­nes in der Ferne zu sehenden Dorfes am

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Ufer des Xamyhr, erstarrten wie zuvor die Trugen, als sie Leenia erblickten.

Diese verlor keine Zeit. Drei Frauen und acht Männer. Wieder verging mehr als eine halbe Stunde, bis Leenia sie von den Be­wußtseinen der Körperlosen befreit hatte.

Und wieder geriet sie dadurch an den Rand der Erschöpfung. Das Freischälen der Artverwandten kostete ihre ganze Kraft. Al­le Energien mußten in jenen Sektor ihres Bewußtseins gelenkt werden, in dem ihre te­lepathischen Fähigkeiten angesiedelt waren. Bislang hatte sie ihre diesbezüglichen Mög­lichkeiten nie auszuschöpfen brauchen. Was sie zu tun hatte, kostete ein Vielfaches der Energien von einfachem Gedankenlesen oder der Übermittlung telepathischer Bot­schaften. Abermals mußte Leenia warten, bis sie genügend stabilisiert war, um sich der nächsten Gruppe zuzuwenden. Die Impulse wurden nun immer zahlreicher. Von überall­her kamen Befallene, und sie alle bewegten sich in die Richtung der Signale, für die Leenia keine Erklärung hatte.

Es war sinnlos, auf die bisherige Art und Weise weiterzumachen. Als Leenia genü­gend Energien in sich aufgebaut hatte, be­schloß sie, den Ursprung dieser Impulse zu erkunden, in der Hoffnung, dort etwas zu finden, das ihr die Arbeit erleichterte. Die Signale waren fremdartig und doch auf ge­wisse Weise vertraut. Fest stand, daß sie die Körperlosen anlockten. Wenn sie nun alle zu ihrer Quelle strömten und über kurz oder lang dort versammelt sein würden, ersparte dies ihr zumindest die kräfteraubenden Tele­portationen.

Sie konzentrierte sich auf die Signale. Doch bevor sie sich den Entstofflichungsim­puls gab, glaubte sie, eine leise wispernde Stimme in sich zu hören.

Wommser? Es wäre das erstemal, daß der ehemalige

Mentalpartner sich meldete, nachdem er sei­ner eigenständigen Existenz ein Ende berei­tet hatte, um ganz in Leenia aufzugehen.

Wommser? Sie erhielt keine Antwort. Die gerade ge­

borene Hoffnung schwand. Was blieb, war ein Gefühl der Unsicherheit.

Hatte Wommser – das, was noch von ihm in ihr existieren mochte – sich doch gemel­det, um sie zu warnen? Erzeugte er dieses Gefühl in ihr, die plötzliche Furcht vor dem Sprung ins Ungewisse?

Wenn es so wäre – bedeutete dies, daß Wommser, der in einem frühen Stadium sei­ner Entwicklung die Dunkle Region besucht hatte, aus der die Signale kamen, wußte, was die Signale zu bedeuten hatten?

Leenia schüttelte den Kopf. Ihre Sehn­süchte spielten ihr einen Streich. Wommser war auf Cändero-Spell gestorben, um sie zu retten.

Sie konzentrierte sich erneut und sprang. Als sie materialisierte, war sie ein sich vor

Schmerzen am Boden windendes, wimmern-des Bündel. Alles in ihr verkrampfte sich. Aus ihren aufgerissenen Augen fuhren vio­lette Strahlen und brannten tiefe Furchen in den steinigen Boden, auf dem sie lag. Nur langsam wichen die Schmerzen, löste sich die Verkrampfung.

Leenia lag ruhig. Sie sah die Stadt, ein riesiges, den gesamten Horizont ausfüllen-des Gebilde aus auf gewaltigen Stützen ru­henden Plattformen, Kuppeln und Türmen, und wußte, daß sie ihr Ziel nicht erreicht hatte.

Dies, so erkannte sie, war Wolterhaven, die Stadt der Roboter. Und Wolterhaven lag genau in der entgegengesetzten Richtung, in die sie hatte springen wollen – an der West­küste von Pthor.

Während sie noch nach einer Erklärung dafür suchte, was sie mitten im Sprung ab­gestoßen und bis zum Rand des Dimensions­fahrstuhls zurückgeschleudert hatte, empfing sie den Impuls.

Es war einer, ein einziges gestrandetes Bewußtsein, das sich seltsamerweise nicht nach Nordosten bewegte, sondern genau auf die Stadt der Roboter zu.

Leenia verstand dies alles nicht. Tränen rannen über ihre Wangen, als sie in allen Konsequenzen erkannte, daß sie ihre Aufga­

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be aus eigener Kraft niemals würde erfüllen können.

Und in diesen Augenblicken verfluchte sie die Gemeinschaft, die zugelassen hatte, daß Unbesonnene in ihrem Rausch alle Hoffnungen aufs Spiel gesetzt hatten.

Alles steuerte auf eine Katastrophe zu, die Leenia sich nicht einmal auszumalen wagte, und sie konnte nichts dagegen tun.

Stärker denn je war plötzlich wieder der Wunsch in ihr, sich zu befreien und unter den Körperlichen zu leben. Allein unter ih­nen sah sie eine Möglichkeit zur Erfüllung ihres Lebens. Aber sie mußte helfen, solange es ihr gegeben war. Der einzelne Impuls …

6. An Bord der MARSAPIEN – drei Todgeweihte und der Neffe

Du mußt denken! Versuche, alles in Wor­te zu formulieren, was um dich herum ge­schieht! Leenia ist zurückgekehrt. Sie befin­det sich auf Pthor! Denke so intensiv du kannst. Vielleicht kann sie dich empfangen!

Galgenhumor meines Extrasinns? Wir be­finden uns gefesselt in der Schleuse, aus der man uns in den Weltraum stoßen wird, wenn das Urteil vollstreckt wird. Razamon, Axton und ich. Ich verstehe nicht, weshalb Larx so viele Umstände macht. Die Soldaten und ih­re Energiegewehre sind überflüssig. Eine of­fene Schleuse genügt. Er will uns sterben se­hen, direkt vor sich.

Bist du zum Telepathen geworden, Extra­sinn?

Unsinn! Leenia ist Telepathin, und sie gibt ungeheure Mengen psionischer Energie ab. Nenne es eine Strahlung, die ich spüre. Es kann kein Zweifel bestehen. Es ist die gleiche Strahlung, die ich unterschwellig die ganze Zeit über spürte, als sie in meiner Nä­he war. Sie hat noch nicht versucht, Kontakt aufzunehmen, obwohl sie uns spüren müßte – zumindest mich. Irgend etwas hindert sie daran. Aber das ist eine Hoffnung! Denke!

Wie lange noch? Sie haben ihre Gewehre auf uns gerichtet. Da – Duuhl Larx er­scheint. Keine Leenia kann noch etwas für

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uns tun. Doch der Extrasinn hat recht – wie im­

mer. Also, Leenia, solltest du mich »hören« können – es sind sechs Soldaten, zwei für je-den von uns. Duuhl Larx ist in der Schleuse erschienen. Selbst jetzt zeigt er sich nicht, wie er wirklich ist. Ist seine Angst so groß?

Willst du wissen, wie einem Todeskandi­daten kurz vor der Hinrichtung zumute ist, Leenia? Ich spüre gar nichts. Du wunderst dich?

Ich habe schon viel zu oft den scheinbar sicheren Tod vor Augen gehabt, um noch et­was anderes als Hoffnung auf das berühmte Wunder empfinden zu können.

Razamons Gesicht ist eine Maske. Früher, bei einem seiner Anfälle, hätte er die Fesseln sprengen können. Nun scheint er die Trugen durch Blicke töten zu wollen.

Und Axton? Er zittert wohl mehr um sei­nen GrizzardKörper als um sich selbst.

Larx wird keinen von uns um Gnade win­seln hören.

Jetzt steht er vor uns. Er will diesen Au­genblick genießen. Genieße, Duuhl Larx, und gib uns Zeit!

Er redet von Verrat, von Chirmor Flog, von seiner Rache. Ich kann es nicht mehr hören. Aber rede weiter, Larx! Rede dir die Probleme von deiner dunklen Seele!

Razamon flucht und spuckt ihn an. Larx schweigt.

»Gib deinen Helden endlich den Befehl, du Wurm!« brüllt Razamon. »Bringen wir's hinter uns! Oder fehlt dir auch dazu noch der Mut?«

Larx zieht sich schnell zurück, hinter die Soldaten. Ich sehe Razamon verärgert an.

Wenn du mich hören kannst, dann unter­nimm jetzt schnell etwas, Leenia. Er gibt den Soldaten den Befehl zu schießen. Sie zielen auf unsere Köpfe.

Verdammt! Sie werden es tun! Was ist das? Zwei Offiziere stürmen in

die Schleuse und reden erregt auf Larx ein. Und Larx … verliert die Fassung! Er brüllt, und jetzt verstehe ich ihn.

Pthor beginnt sich wieder zu bewegen!

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Aus dem Rghul-Revier heraus, schreit einer der Offiziere. Larx ist entsetzt. Er schlägt ei­nem der Soldaten das Gewehr herunter.

Das Wunder? Larx nimmt über den Interkom Verbin­

dung zur Zentrale der MARSAPIEN auf. Die Stimme aus dem Lautsprecher bestätigt, daß Pthor erneut Fahrt aufgenommen hat.

»Wieso wurde ich nicht darüber infor­miert?« brüllt Larx ins Mikrophon. »Zwalltorg!«

Auch der Roboter erhielt keine Nachricht aus dem Zentrum der Schwarzen Galaxis. Oh ja, Duuhl Larx, ich weiß, wie es jetzt in dir aussieht.

Im Zentrum der Schwarzen Galaxis hat man bereits über deinen Kopf hinweg ent­schieden, ist es nicht so? Und nun packt dich die Angst, die grausame Angst, du seiest be­reits in Ungnade gefallen. Nun, Larx, wirst du uns auch jetzt noch erschießen lassen? Uns, die wir jetzt dein einziges Kapital sind?

Razamon lacht. Tränen treten in seine Au­gen. Er lacht, als ob er den Verstand verlo­ren hätte. Und jetzt gibt der Neffe seinen Soldaten den Befehl, uns zurück in unsere Gefangenenquartiere zu bringen. Puh! Du hast mich nicht empfangen. Leenia? Wenn das eintritt, was ich nun vermute, wirst du auch kaum noch eine Gelegenheit dazu be­kommen. Vielleicht versuchst du, gegen die Magier zu kämpfen. Extrasinn?

Er wird euch vorerst weiter als Gefange­ne behalten. Aber gib dich keinen Illusionen hin. Es kann nur ein Aufschub sein. Entwe­der wird er euch in einer Kurzschlußreakti­on doch noch umbringen lassen oder euch dem Dunklen Oheim auszuliefern versuchen. Vielleicht denkt er sich auch noch etwas ganz anderes für euch aus, wenn er kein Ka­pital aus euch schlagen kann. Dann werdet ihr wünschen, hier und jetzt gestorben zu sein.

Mag sein. Aber noch leben wir. Dein Optimismus ist durch nichts ge­

rechtfertigt! Auch das mag sein.Keine Antwort? Hast du es aufgegeben,

mit Logik zu argumentieren, wo die Hoff­nung stärker ist?

Und die verdammte Entschlossenheit, die­sem Teufel und seinen Hintermännern das Handwerk zu legen!

Duuhl Larx verläßt die Schleuse. Die Of­fiziere folgen ihm. Die Soldaten führen uns in unsere Zelle zurück.

Geh nur, Duuhl Larx. Ich schwöre dir, du wirst dir die Zähne ausbeißen!

*

Auf den Bildschirmen in der Zentrale sei­nes Flaggschiffs konnte Duuhl Larx das Un­geheuerliche mit eigenen Augen mitverfol­gen. Immer schneller wurde Pthor, und es trieb aus seinem Revier hinaus.

Duuhl Larx hatte die Gefangenen für den Augenblick vergessen. Verzweifelt fragte er sich, was die Bewegung des Dimensions­fahrstuhls zu bedeuten hatte. Hatte man in der Zentrale so schnell von dem erfahren können, was sich auf Pthor tat? Gab man ihm allein die Schuld dafür?

Unter den gegebenen Umständen mußte der Neffe völlig umdenken. Er verwarf seine ursprünglichen Pläne und befahl seinen Truppen den Rückzug von Pthor. Die nor­mal Gebliebenen sollten die Befallenen ein­sammeln und mitnehmen. Als sich heraus­stellte, daß dies Tage dauern würde, weil die Befallenen trotz ihres seltsamen Zuges nach Nordosten viel zu weit versprengt waren, entschloß er sich, sie allesamt zurückzulas­sen.

Die Organschiffe der Besatzer starteten von Pthor. Rund 3000 Trugen und andere Wesen von den Truppen des Duuhl Larx blieben dort zurück.

Der Neffe wagte es nicht, Pthor in die an­grenzenden Reviere zu folgen. So mußte er bebend vor Zorn und Enttäuschung mitanse­hen, wie der Dimensionsfahrstuhl davonra­ste.

7. Pthor – die Stadt der Roboter

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Es war für Diglfonk und die zwölf ande­ren Mitglieder von Sator Synks Robot-Truppe nicht einfach gewesen, ihren Herrn so schnell wie möglich nach Wolterhaven zu bringen. Eins bis Sechs hatten an ihren neu-en »Kollegen« einige Veränderungen vor­nehmen müssen, bis sie alle in der Lage wa­ren, zu fliegen – genauer gesagt: mit beacht­licher Geschwindigkeit zu schweben. Digl­fonk und Eins hatten sich Synk gegriffen. In seinen wachen Momenten hatte er als zap­pelndes Bündel zwischen ihnen gehangen, und mehr als einmal wäre er fast abgestürzt. Trotz der patrouillierenden TrugenGleiter und der Organschiffe hatten die Roboter den direkten Weg gewählt. Synks Zustand ließ ihnen keine andere Wahl.

Und sie schafften es. Am Abend des zweiten Tages der Epidemie (als die die Ro­boter die Veränderung bei den Pthorern und Besatzern ansahen) war Wolterhaven er­reicht, ohne daß die Guerillas von Trugen aufgehalten worden wären. Diglfonk hatte ständigen Kontakt zum Herrn Soltzamen und wurde mit Synk und Eins direkt zu Soltzamens Kuppel geleitet.

Zwei bis Zwölf begaben sich für die Dau­er ihres Aufenthalts in Wolterhaven zu ihren jeweiligen Herren. Kurz bevor sich Soltza­mens Kuppel öffnete, wurde die Bewegung Pthors überall in Wolterhaven registriert. Und als Diglfonk, Eins und Sator Synk im klimatisierten Raum vor dem Trog standen, in dem die horizontal nebeneinander ange­ordneten vierzehn Silberkugeln mit allerlei Anhängseln und Auswüchsen ruhten, die den Herrn Soltzamen bildeten, kam die Nachricht, daß die ersten Organschiffe von Pthor starteten. Diglfonk hatte zu warten. Noch war der Herr Soltzamen nicht bereit, ihn zu empfangen. Es verging mehr als eine Stunde, bis feststand, daß Pthor aus dem Rghul-Revier heraustrieb und die Besatzer sich an Bord ihrer Schiffe begaben und den Dimensionsfahrstuhl verließen. Zurück blie­ben nur die Befallenen. Die Flotte des Nef­fen Duuhl Larx machte keine Anstalten, Pthor zu folgen.

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Die Robotbürger verständigten sich unter­einander, diskutierten die neue Lage und übertrugen es den an der Spitze ihrer Hierar­chie Stehenden, Analysen anzustellen und zu beobachten, was mit Pthor weiterhin ge­schah.

Endlich fand der Herr Soltzamen die Zeit, sich Diglfonk und Synk zu widmen. Da er das Mißtrauen des Orxeyaners allen Robo­tern gegenüber nur zu gut kannte, wurde die nun folgende Unterhaltung ausschließlich auf akustischer Basis geführt, so daß Synk alles mithören konnte, was zwischen dem Herrn Soltzamen und seinem Diener geredet wurde.

»Beschreibe mir die Symptome seiner Er­krankung«, forderte der Herr Soltzamen Diglfonk auf. Seine Stimme kam aus mehre­ren Lautsprechern überall in den Wänden des Raumes zugleich, so daß der Eindruck entstand, er wäre allgegenwärtig. Synk aller­dings genügte schon das, was er in einem seiner wachen Moment vor sich sah. Jede der vierzehn miteinander verbundenen Sil­berkugeln hatte einen Durchmesser von zwei Metern. Der Herr Soltzamen war ein riesiges Gebilde und doch nur etwa halb so groß wie der Großbürger, der mit seinen 27 Kugeln an der Spitze der Hierarchie in Wol­terhaven stand: Je mehr Kugeln ein Robot­bürger hatte, desto größer war seine Kapazi­tät und die Zahl seiner Diener.

Eins achtete darauf, daß Sator Synk sich nicht in einem neuerlichen Tobsuchtsanfall auf den Herrn Soltzamen stürzen konnte. Augenblicklich war der wilde Mann aus Or­xeya wieder ruhig und starrte ins Leere. Sei­ne Augen waren dabei nach Nordosten ge­richtet.

»Wie ich bereits berichtete«, begann Digl­fonk, »vermute ich eine schwere Bewußt­seinsspaltung bei Sator Synk, eine Krank­heit, für die organische Bewußtseine im Ge­gensatz zu unseren im höchsten Grade anfäl­lig zu sein scheinen.« Da Synk mithören konnte, verzichtete Diglfonk auf die Bemer­kung, daß sich auch hier die Überlegenheit robotischer Gehirne wieder einmal deutlich

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zeigte. »Daß es sich allem Anschein nach um eine Epidemie handelt, die ganz Pthor befallen hat, sollte uns jetzt nicht interessie­ren. Falls es uns gelingt, Sator Synk zu hei­len, können wir immer noch …«

»Du sollst die Symptome beschreiben«, kam es tadelnd aus den Lautsprechern. »Die Politik überlasse bitte uns!«

»Ich bitte um Nachsicht«, sagte Diglfonk. »Sator Synk leidet einmal unter Wutausbrü­chen und Zerstörungswut, was allerdings bei ihm nichts grundlegend Neues ist, zum zweiten unter völliger Desaktivierung seiner körperlichen Funktionen und schließlich drittens unter einer Umkehrung aller Werte, uns Roboter betreffend. Anders ist es nicht zu erklären, daß er uns als seine ›treuen Freunde‹ bezeichnete – ohne daß er auch nur einen Schluck Alkohol getrunken hätte.«

Diglfonk machte eine Pause und wartete auf eine Reaktion des Herrn Soltzamen. Erst als diese ausblieb, fuhr er fort:

»Diese sind die drei primären Symptome seiner Erkrankung. Sie wechseln sich in un­regelmäßiger Folge ab. Zu ihnen trat wäh­rend des Transports allerdings ein viertes. Sator Synk sträubte sich nicht nur dagegen, nach Wolterhaven gebracht zu werden. Dies mußten wir erwarten. Vielmehr entwickelte er den uns unverständlichen Drang, nach Nordosten auszubrechen.«

»Bitte exakter!« kam es vom Herrn Soltz­amen.

»Er wollte nicht zurück zum Wachen Au­ge. Als wir diesen seinen Drang spürten, ris­kierten wir es, ihn vorübergehend abzuset­zen und ließen ihn einige hundert Meter marschieren. Er ging schnurgerade in eine Richtung, die nur knapp und nördlich am Wachen Auge vorbeiführte. Sein Ziel muß das Zentrum der Dunklen Region sein.« Diglfonk drehte sich um die eigene Achse und sah Synk an. »Er hat den Blick immer noch in diese Richtung gerichtet.«

Wieder machte der Robotdiener eine Pau­se.

Der Herr Soltzamen fragte: »Ist er bereits analysiert worden?«

»Noch nicht, Herr. Das Risiko erschien mir letztlich doch zu groß. Nur hier haben wir die Möglichkeiten einer optimalen Ana­lyse.«

Im Klartext: Diglfonk wollte die Verant­wortung seinem Herrn zuschieben.

»Es wird sofort alles Nötige von mir ver­anlaßt«, verkündete der Herr Soltzamen. »Diglfonk, du äußertest den Verdacht, daß Synks Denken von jemandem beherrscht würde, der er nicht selbst ist. Erkläre!«

»Inzwischen habe ich die größere Wahr­scheinlichkeit dafür errechnet, daß er selbst dieser andere ist. Seine freundlichen Worte für uns brachten mich zu dieser Überzeu­gung. Ich vermute, daß der Teil seines Be­wußtseins, der Sympathie für uns empfindet, sich im Rahmen seiner Erkrankung endgül­tig abgespalten hat und den anderen Teil, der uns, das robotische Leben, haßt, offen be­kämpft. Dies könnte seine unterschiedlichen Zustände erklären. Wenn beide Bewußt­seinsteile aufeinanderprallen, gerät Synk, der keine Macht mehr über sein Denken hat, in Raserei. Dabei erschöpft er sich so sehr, daß er eine Ruhepause wie gerade jetzt wie­der braucht. Wenn dann jener Teil seines Bewußtseins, der Sympathie für uns empfin­det, als erster wieder gekräftigt ist, zeigt er offen seine Sympathie für uns.« Diglfonk gab das robotische Äquivalent eines Seuf­zens von sich. »Das organische Leben ist ungeheuer kompliziert und dabei so uneffi­zient.«

»Das ist eine große Wahrheit«, bestätigte der Herr Soltzamen. »Die Vorbereitungen für die Analyse sind getroffen, Diglfonk. Bringt den Bedauernswerten nun in die da­für vorgesehene Kammer, aber seid vorsich­tig. Das organische Leben ist nicht nur kom­pliziert und uneffektiv, sondern auch über­aus zerbrechlich, und es ist zweifelhaft, ob wir beschädigte Komponenten Synks erset­zen können.«

»Wir können jedes seiner Organe durch bessere, robotische und sein Gehirn durch einen hochleistungsfähigen kybernetischen Block ersetzen«, schlug Diglfonk vor.

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»Nichts dergleichen darf geschehen«, wehrte der Herr Soltzamen solcherlei Vor­stellungen ab. »Synk würde Selbstmord be­gehen, sobald er auch nur eine Schraube in sich entdeckte!«

Diesen Worten wurde durch den Orxeya­ner auf eindrucksvolle Weise Nachdruck verliehen. Anscheinend war er aus seiner Starre erwacht und hatte Diglfonks Vor­schlag mitbekommen, denn plötzlich riß er sich vom völlig überraschten Eins los, sprang auf und hechtete auf den Trog in der Mitte des Raumes zu. Vielleicht vermutete er, daß die Silberkugeln in Wasser schwam­men. Jedenfalls konnte Diglfonk ihn an ei­nem Kopfsprung in den Trog des Herrn Soltzamen nur dadurch bewahren, daß er ihm mit einem Tentakel ein Bein stellte.

»Oh wartet, ihr Ausgeburten der sieb­zehnten Hölle!« kreischte der wilde Mann aus Orxeya schrill. »Ihr nehmt mich nicht auseinander! Ich bin kerngesund! Mir fehlt gar nichts, außer, daß ich erkannt habe, was ihr für Gesellen seid! Auf den Schrottplatz mit euch allen! Entführer! Mörder!«

Synk versagte die Stimme. Er wand sich tobend am Boden.

Der Herr Soltzamen war derart beein­druckt, daß es einige Sekunden dauerte, bis er Eins – der in Wirklichkeit Gykogsbeeden hieß – befahl, Synk zu paralysieren und ihn in die Analysekammer zu bringen.

»Deine Diagnose, Diglfonk?« fragte er dann.

»Es sieht so aus, als habe sich diesmal wieder jener Teil seines Bewußtseins als er­ster erholt, der uns haßt, Herr.«

»Sein plötzlicher Drang nach Nordosten macht mir Sorgen. Untersucht sein Gehirn ganz genau, auch darauf, ob ihm nicht je­mand einen Sender eingepflanzt hat.«

»Aber das ist unmöglich, Herr. Wir waren immer bei ihm.«

»Immer, Diglfonk?« Eine organische Intelligenz hätte sich die­

se Vergeßlichkeit, diese Lücke in der Erin­nerung leisten können – bei einem hochwer­tigen Roboter war es ein Zeichen einsetzen-

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der Funktionsstörungen. »Natürlich nicht, Herr! Er ging allein in

die Zentralkuppel … zu den Trugen, aber …«

»Ich bin bereit, deine Fehlfunktion auf ei­ne gewisse Erregung zurückzuführen und auf eine Generalüberholung zu verzichten, Diglfonk!« sagte der Herr Soltzamen streng. »Nun geh und nimm die Analyse vor. Ich werde sie von hier aus überwachen.«

Diglfonk gehorchte. Nicht ohne Erregung verließ er den Raum. Er wußte, daß ein ein­ziger weiterer Fehler ihm die Überholung einbrachte. Und das wollte er vermeiden.

Denn im Gegensatz zu seinen meisten ro­botischen Artgenossen verfügte Diglfonk über ein schwaches Erregungszentrum, das der Herr Soltzamen ihm hatte einbauen las­sen, bevor er ihn zu Sator Synk schickte. Nur so war er in der Lage, die Reaktionen eines Organischen halbwegs zu deuten.

Doch das, so erkannte der Herr Soltzamen nun, machte ihn auch verwundbar.

*

Zwar hatte Diglfonk Darstellungen vom inneren Aufbau organischen Lebens vom Typ Orxeya-Mensch gesehen, bevor er sich auf den Weg nach Orxeya zu seinem Schutzbefohlenen machte, doch er war trotz­dem erschüttert, als er den Wirrwarr aus or­ganischen Bausteinen, die in ihrer Gesamt­heit Sator Synk bildeten, nun plastisch vor sich sah.

In dem langen gläsernen Behälter, in den Gykogsbeeden Sator Synk gelegt hatte, war der Körper des Orxeyaners transparent ge­worden. Jedes einzelne Organ war zu erken­nen, die Knochen, Sehnen und Muskeln … das Gehirn.

»Und das soll funktionieren?« fragte Gy-kogsbeeden alias Eins entsetzt. »Diglfonk, wie kann ein derart beschaffenes Leben überhaupt länger als ein paar Tage existie­ren? Sein innerer Aufbau ist absolut unratio­nal. So vieles ist überflüssig. Wozu braucht er die Körperflüssigkeit?«

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Diglfonk erklärte es ihm. »Aber all diese Aufgaben entfallen, wenn

wir ihn nach unserem Vorbild umkonstruie­ren. Er hätte nur Vorteile davon und …«

»Ich habe ausdrücklich verboten, seinen Körper zu verändern!« hallte die Stimme des Herrn Soltzamen aus den Lautsprechern des Analyseraums. »Stellt das organische Leben nicht in Frage. Analysiert!«

»Wir können ihn nicht unbegrenzt lange paralysieren, Herr!« entgegnete Diglfonk. »Wenn wir ihn aber zu sich kommen lassen, wird er zu toben beginnen und sich selbst gefährden. Wir können nicht mit der nötigen Sorgfalt an die Untersuchung des Gehirns gehen.«

»Ihr habt meine Erlaubnis, Synks Gehirn für die Dauer einer Stunde zu demontieren. In dieser Zeit müßt ihr mit der Analyse fer­tig sein.«

»Ja, Herr.« Diglfonk unterhielt sich nun lautlos mit

Gykogsbeeden. Der gläserne Behälter klapp­te auf, und Synks Körper wurde in die Höhe gefahren. Als Gykogsbeeden ihn an das komplizierte Lebenserhaltungssystem ange­schlossen hatte – eine vom Herrn Larykuz, dessen Spezialgebiet das Studium organi­schen Lebens war, entwickelte Maschinerie –, öffnete Diglfonk mit einem feinen Säge­blatt am Ende einer seiner Extremitäten Synks Schädeldecke. Seine in einer Flüssig­keit keimfrei gemachten Greifwerkzeuge entnahmen sodann Synks Gehirn, nachdem alle Nervenverbindungen vorsichtig durch­trennt worden waren und er auch alle sonsti­gen Verbindungen zum Körper gekappt hat­te. Synks leerer Schädel wurde mit einem Kälteschocker behandelt. Alles, was Digl­fonk tat, wurde genauestens aufgezeichnet, so daß ein perfektes, komplikationsloses Einsetzen des Gehirns nach erfolgter Analy­se gewährleistet war.

Nun wurde auch Synks Restkörper schockartig eingefroren.

»Wie ein desaktivierter Roboter«, be­merkte Gykogsbeeden. »Ein verrosteter, ver­faulter Roboter.«

»Roboter verfaulen nicht«, wurde er von Diglfonk belehrt. Das Synk-Gehirn schwamm nun in einer zähen Flüssigkeit in einem Trog von einem Meter Durchmesser. Diglfonk richtete eine Spezialleuchte darauf. Auf einem Bildschirm erschien ein plasti­sches Bild. Keine Spur von einem Sender.

Verschiedene Untersuchungen wurden nun angestellt. Durch Einwirken der zähen Flüssigkeit verfärbten sich verschiedene Ge­hirnteile. Diglfonk hantierte vorsichtig an ei­nigen Knöpfen am Trog, wodurch elektri­sche Impulse durch das Gehirn gejagt wur­den. Er ließ die Lämpchen nicht aus den Au­gen, die anzeigten, daß das Gehirn noch leb­te.

Verfärbungen zeigten verschiedene Erre­gungszustände an. Diglfonk arbeitete so lan­ge mit den Elektroschocks, bis er glaubte, ein System darin gefunden zu haben. Nun konnte er mit der eigentlichen Analyse be­ginnen.

Der Gehirnsektor, der für die Funktion »Sehen« verantwortlich war, wurde mit ei­nem kleinen Gerät an der Außenseite des Behälters verbunden, in das Diglfonk dann nach und nach kleine Plättchen steckte. Sie wurden abgetastet, und optische Information gelangte in das Gehirn. Stark vereinfacht ausgedrückt, projizierte Diglfonk Dias in das Organ.

Und es reagierte. Landschaften. Je nach Schönheit verfärbte sich der Gehirnsektor, in dem Synks Erregungszentrum saß. Die Ska­la reichte noch von einem matten Rosa bis zum Braunroten. Je rötlicher es sich verfärb­te, desto größer war die Erregung.

Noch hatte der betreffende Gehirnteil eine einheitliche Färbung. Es gab kein Anzeichen dafür, daß Synks Bewußtsein sich schon so weit gespalten hatte, daß diese Spaltung auch durch solch relativ schwache Reize er­kennbar wurde.

Eine Flasche. Zusätzliche Information: Alkohol.

Rot! Starke Erregung. Auf einer Zusatzs­kala sah Diglfonk, daß die Erregung freudig war.

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»Nun werden wir Klarheit bekommen«, informierte er Gykogsbeeden, bevor er das nächste Plättchen in das Gerät steckte.

Roboter. Scharen von Robotern aller Ty­pen.

Rot! Die relevanten Gehirnpartien ver­färbten sich scharlachrot. Der schnelle Blick auf die Skala. Ablehnung im höchsten Gra­de. Panik!

»Abschalten!« befahl der Herr Soltzamen. »Sofort abschalten. Du bringst ihn um!«

Doch Diglfonk zögerte einen Augenblick zu lange. Er konnte nicht begreifen, daß Synks Erregungszentrum eine einheitliche Färbung behielt. Wieso färbte es sich dort, wo sich der abgespaltene Bewußtseinsteil befand, der den Robotern Sympathie entge­genbrachte, nicht anders? Wieso war auf der Skala nur Ablehnung zu lesen?

»Abschalten!« Diglfonk gehorchte. Doch es war zu spät.

Wie bei einer Batterie, die sich schnell ent­lud, schwand das Leben aus Synks Gehirn. Selbst auf elektronische Reize reagierte es so gut wie nicht mehr. Diglfonk mußte be­stürzt erkennen, daß es starb.

»Positive Reize!« befahl der Herr Soltza­men.

Diglfonk verstand darunter die Projektion der Flasche mit Alkohol. Gerade wollte er das entsprechende Plättchen wieder in das Gerät schieben, als die Gestalt aus dem Nichts auftauchte.

»Was habt ihr getan!« schrie das organi­sche Leben unbekannten Typs. Bevor Digl­fonk zu einer Auswertung der auf ihn ein­strömenden Informationen kam, erhielt er einen Stoß und wurde gegen die nächste Wand geschleudert. Gykogsbeeden erging es nicht viel besser.

Die Unlogik der neuen Situation lähmte Diglfonks und Gykogsbeedens kyberneti­sche Gehirne, so daß sie hilflos zusehen mußten, wie sich das Wesen, das es nicht geben durfte, über den Trog mit Synks Ge­hirn beugte, das vom violetten Licht aus sei­nen Augen regelrecht überflutet wurde.

Horst Hoffmann

*

Leenias Entsetzen wuchs noch, als sie den geöffneten Schädel sah und den Mann er­kannte, mit dem sie zusammengetroffen war, kurz bevor sie dem Ruf der Höheren Welten folgen und Pthor verlassen konnte. Ebenso wie sie war der Bärtige damals in die Gewalt des Monstrums Mod-Poluur ge­raten. Bisher war er für sie ein Impuls gewe­sen, ein beliebiger Träger eines Körperlosen. Sie mußte sich zwingen, ihre in Wallung ge­ratenen Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Ob sie ihn nun kannte oder nicht, spielte jetzt keine Rolle. Er starb – und mit ihm das körperlose Bewußtsein, wenn es ihr nicht schnell gelang, es aus Synks Bewußtsein herauszuschälen. Sie konzentrierte sich auf das Gehirn, schloß die Augen und schickte ihre telepathischen Fühler aus. Die Flamme des Lebens brannte nur noch spärlich, aber noch war es nicht zu spät. Wenn die Roboter sie nur so lange in Ruhe ließen, wie sie zur Befreiung des Körperlosen in Synk brauch­te!

Sie legte ihre ganze Energie in ihre Be­mühungen, fand das gefangene Bewußtsein, nahm Kontakt auf. Sie atmete auf, als sie feststellen konnte, daß es die Torturen, de­nen Synks Bewußtsein durch die haarsträu­bende Behandlung durch die Roboter ausge­setzt war, unbeschadet überstanden hatte, in­dem es sich völlig abgekapselt hatte. Dies erschwerte ihre Arbeit. Sie hörte, wie die Roboter sich jetzt bewegten. Mit über­menschlicher Disziplin zwang sie sich dazu, die Leute zu ignorieren.

Und sie hatte Erfolg. Als sie die Augen öffnete und die Roboter

von beiden Seiten kommen sah, gab es in Synks sterbendem Gehirn nur noch ein ein­ziges Bewußtsein – ein Bewußtsein, das höl­lische Qualen litt. Leenia hatte alle von Synk kommenden Impulse ausschalten müssen, um den Körperlosen zu befreien. Erst als sie sich aus ihm zurückzog, schlugen Synks Qualen wieder wie brennende Wogen über

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ihr zusammen. Er war nicht betäubt. Das, was von ihm noch zu empfinden in der Lage war, erlebte alles mit, was mit ihm geschah.

Zorn stieg in Leenia auf – Zorn auf diese unwissenden Kunstgeschöpfe, die ihn so quälten. Leenia wollte sie dafür bestrafen, doch sie sah ein, daß sie alles nur noch schlimmer machen würde, wenn sie sie be­schädigte. Außerdem war sie noch zu ge­schwächt. Nur allmählich bauten sich neue Energien in ihr auf – und diese brauchte sie, um wieder zum Fluß zu springen, wo sich die Träger drängten.

Nur die Roboter konnten das rückgängig machen, was sie mit Synk angestellt hatten. Hätte es sich um organische Lebewesen ge­handelt, so hätte Leenia sie durch telepathi­sche Zwangsimpulse dazu bringen können, Synk ohne weitere Experimente zu retten zu versuchen.

»Ihr wißt, daß er stirbt«, sagte sie. Die Roboter kamen immer näher. An ihren Ab­sichten bestanden kaum Zweifel. Eine Stim­me aus Lautsprechern befahl ihnen, den »Störenfried« gefangenzunehmen.

»Bleibt stehen. Ich will versuchen, euch zu helfen, wenn ihr …«

Sie kam nicht weiter. Die Roboter stürz­ten sich auf sie. Tentakelarme flogen heran und verfehlten sie nur knapp, als sie sich geistesgegenwärtig zur Seite warf. Die Ro­boter setzten sofort nach. Leenia konnte noch nicht springen. Sie mußte Zeit gewin­nen, so lange aushalten, bis die Energie für die Teleportation aus der Roboterstadt reich­te.

Sie wurde aus dem Raum getrieben. Ein Korridor. Leenia begann zu rennen. Die Ro­boter schwebten hinter ihr her. Sie waren schneller.

Sie ließen Synk allein! Leenia drehte sich im Laufen, verlor fast

das Gleichgewicht und rannte zwischen den überraschten Maschinen hindurch zurück in die Kammer. Sie spürte, daß sie springen konnte. Für Sekundenbruchteile schickte sie ihre psionischen Fühler noch einmal in Synks Bewußtsein und schürte seinen Le­

benswillen. Dann waren die Roboter wieder heran.

Leenia sprang blind.

*

Diglfonks Tentakelarme schlugen ins Leere und verhedderten sich ineinander. Gy-kogsbeeden befreite ihn aus seiner mißli­chen Lage.

»Das fremde Wesen ist verschwunden«, meldete Diglfonk an den Herrn Soltzamen. »Es ist einfach nicht mehr existent.«

»Dann kümmert euch um Sator Synk! Lebt das Gehirn noch?«

Diglfonk las einige Werte an der Außen­seite des Trogs ab.

»Seine Gehirnströme haben sich anschei­nend stabilisiert, Herr, aber auf sehr niedri­gem Niveau.«

Diglfonk nahm eine Schaltung vor. Auf einem Bildschirm erschien nun das, was Synk im Augenblick »dachte«. Es war kein klares Bild. Immer wieder verschwamm es. Es setzte sich aus vielen kleinen Punkten zu­sammen. Ein Berg aus Roboterwracks …

»Er gibt sich nicht auf«, analysierte der Herr Soltzamen Synks Gedanken. »Er kämpft gegen den Tod. Installiert das Gehirn wieder in seinem Schädel. Schnell!«

Diesmal gehorchte Diglfonk sofort. Synks Körper wurde aufgetaut. Nach weniger als drei Minuten lag sein Gehirn wieder in sei­nem Schädel. Alle Nervenbahnen waren ver­bunden, die Durchblutung des Gehirns wie­derhergestellt. »Die Impulse werden wieder schwächer«, meldete Diglfonk. »Man kann kaum noch von Leben reden.«

»Stimulieren!« befahl der Herr Soltza­men. »Gebt ihm weitere leichte Elektro­schocks und injiziert Stimulanzien!«

Auch das brachte keinen Erfolg. Das Bild auf dem Schirm wurde schwächer und schwächer. Roboterfriedhöfe, dann sah Digl­fonk sich selbst, wie er langsam zerschmol­zen wurde …

»Uns bleibt nur noch eine Möglichkeit, Herr«, schnarrte Diglfonk verzweifelt. »Wir

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müssen einen Stimulator einsetzen.« »Nichts dergleichen wird geschehen! Er

wird sich umbringen, wenn er etwas davon merkt. Was verursachte seine Krise?«

»Der Reiz, als wir die Bilder von Robo­tern in sein Bewußtsein projizierten.«

»Dann mußt du hier ansetzen. Alle Ge­danken an Roboter müssen aus seinem Den­ken verbannt werden. Es darf für ihn keine Roboter mehr geben. Hypnose, Diglfonk.«

Diglfonk erschrak. Er wußte, daß die Ro­botbürger auf diesem Gebiet mit organi­schem Leben experimentiert hatten. Aber es war immer noch ein Risiko, die erarbeiteten Methoden auf ein organisches Gehirn anzu­wenden. Die meisten Versuchsobjekte – Tie­re – waren gestorben.

»Du hast gar keine andere Wahl, Digl­fonk. Gehorche. Alle Informationen über das Verfahren werden dir überspielt.«

Kurz darauf wußte Diglfonk, wo er anzu­setzen hatte. Die Wahrscheinlichkeit für ein Gelingen betrug 13,77 Prozent. Wenn Digl­fonk Erfolg hatte, würde es für Sator Synk keine Roboter mehr geben, bis die »Hypnose« rückgängig gemacht wurde. Selbst die Bewohner von Wolterhaven wür­den für den Orxeyaner organische Lebewe­sen sein – wenn auch äußerst exotische.

Diglfonk begann mit der Arbeit. In genau errechneten Intervallen und in für einen Menschen nicht mehr wahrnehmbar kurzen Abständen wurden elektrische Impulse in Synks Gehirn geschickt. Auf dem Bild­schirm beobachtete Gykogsbeeden die Re­aktion des Bewußtseins und dirigierte Digl­fonk. Das Bild blieb verschwommen, aber nun lösten sich einige der Roboterwracks auf. Diglfonk triumphierte schon, als er dies hörte, und war einen Augenblick lang un­vorsichtig. Er dosierte die Ströme falsch, und sogleich erschien auf dem Monitor eine marschierende Roboterarmee. Synks Gehir­naktivität stieg sprunghaft an, um gleich dar­auf ein neues Minimum zu erreichen. Der Schirm wurde dunkel.

»Stabilisierung!« kam die Stimme des Herrn Soltzamen überlaut aus den Lautspre-

Horst Hoffmann

chern. Diglfonks kybernetisches Gehirn lief auf

Hochtouren. Entsetzt erkannte er, daß seine Batterien sich ausgerechnet jetzt zu leeren begannen. Wenn er jetzt eine Zwangspause einlegen mußte …

Der Faktor Glück existierte für einen Ro­boter nicht. So schrieb er es hinterher einer positiven Verkettung von Faktoren zu, daß es ihm im letzten Augenblick gelang, die Roboterarmeen wieder aus Synks Denken verschwinden zu lassen. Ihre zerstrahlten Reste erschienen wieder auf dem Monitor, und plötzlich waren es Wesen aus Fleisch und Blut, die da wahre Freudentänze auf­führten.

Synks Gehirnaktivität stieg langsam und beharrlich an, bis sie ihr Gleichgewicht ge­funden hatte.

Sator Synk, der Mann, der in dem Glasbe­hälter lag, befand sich nicht mehr länger an der Schwelle des Todes. Er schlief und at­mete regelmäßig. Alle Körperfunktionen waren jetzt so, wie sie sein sollten. Gykogs­beeden konnte es wagen, die Lebenserhal­tungssysteme anzuschalten. Er schloß die Schädeldecke des Orxeyaners und beseitigte alle Spuren der Operation. Nur eine feine, sich über die Stirn ziehende Narbe blieb zu­rück. Nun hieß es warten. Der endgültige Erfolg oder Mißerfolg der Behandlung konnte sich erst zeigen, wenn Synk auf­wachte – in knapp einer Stunde. Und Digl­fonk hatte ein denkbar schlechtes Gewissen. Er wußte, daß er gepatzt hatte und was auch für ihn davon abhing, daß Synk als ein Mann zu sich kam, der von seinem Roboter­wahn geheilt war. Dabei war es Diglfonk nicht gelungen, die Ursache seiner Erkran­kung festzustellen. Die Analyse war ein Fehlschlag gewesen. Diglfonk konnte nur hoffen, daß mit dem Roboterproblem auch die Ursache für Synks Schizophrenie ver­schwunden war.

Seine Batterien gingen schnell zur Neige. Diglfonks Gedanken setzten aus. Ob er neue Batterien erhielt und unverändert reaktiviert wurde, hing vom Erfolg seiner Arbeit ab.

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31 Invasion aus dem Nichts

Der Herr Soltzamen war ein äußerst strenger Herr.

*

So endete der zweite Tag der Invasion. Sator Synk war noch nicht erwacht. Gy-

kogsbeeden hielt bei ihm Wache und warf dann und wann einen Blick auf den desakti­viert herumstehenden Diglfonk. Die Robot­bürger verfolgten den Flug Pthors und stell­ten Berechnungen an.

Die Flotte des Neffen Duuhl Larx war zu­rückgeblieben. Pthor trieb ohne Begleitung aus dem Rghul-Revier hinaus. An Bord der MARSAPIEN sahen Atlan, Razamon und Lebo Axton einem ungewissen Schicksal entgegen und stellten sich bange Fragen nach der weiteren Entwicklung auf Atlantis.

In der Großen Barriere von Oth hatte sich kaum etwas verändert. Kolphyr, Koy und Fenrir befanden sich zusammen mit dem Torso Chirmor Flogs bei Islars Maschine in ihrer Höhle. Draußen trieben weiterhin die Magier ihr Unwesen, die nach wie vor nega­tiv aufgeladen waren.

Tausende von Trägern der auf Pthor ge­strandeten körperlosen Bewußtseine setzten ihre Wanderung nach der Dunklen Region fort. Doch nun begannen die normal geblie­benen Pthorer plötzlich, die Trugen unter ih­nen anzugreifen. Es kam zu Kämpfen. Zu groß war die Verunsicherung der Pthorer, denen die plötzliche Freiheit nicht geheuer war. Sie brachten die Veränderung ihrer bis­herigen Freunde in einen Zusammenhang mit dem Verschwinden der Besatzer, zumal sich unter den Befallenen Scharen von Tru­gen befanden.

Für Leenia, die sich wieder in der Nähe des Xamyhr befand, schien dies das endgül­tige Ende aller Hoffnungen zu sein, ihre Art­verwandten alle befreien und in den Bereich der Höheren Welten zurückschicken zu kön­nen. Sie mußte davon ausgehen, daß sie mit ihren Trägern starben, wenn diese erschla­gen wurden oder in den Fluten des Flusses umkamen.

In der FESTUNG hinderten Sigurd und Heimdall ihren Bruder Balduur mit Gewalt daran, seinem Drang zu folgen und sich auf den Weg nach Norden zu machen. Sie ver­suchten, ihm zu helfen, redeten in den Au­genblicken, in denen er ruhig war, auf ihn ein und stellten Fragen, auf die sie keine Antwort erhielten. Dann plötzlich begann er wieder nach ihnen zu schlagen und rannte gegen die Wände seines Gefängnisses an, bis die Brüder ihn fesselten.

Ähnliche Szenen spielten sich überall auf Pthor ab. Ganze Familien wurden auseinan­dergerissen.

Niemand außer Leenia wußte, was die Ur­sache der Veränderung war. Und auch Lee­nia tappte im Dunkeln, was die Ursache je­nes Sogs betraf, dem sich die unbesonnenen Mitglieder der Gemeinschaft anvertraut hat­ten.

Bisher hatte sie sich keine Gedanken dar­über machen müssen. Doch nun, da sie end­gültig einsah, daß ihre bisherige Vorgehens­weise sie nicht weiterbrachte, begann sie, sich Fragen zu stellen.

Dabei konnte sie noch nicht ahnen, daß sich jederzeit ein zweiter Sog bilden konnte – dann, wenn jene, die in der Großen Barrie­re von Oth versuchten, Islars Gerät zu ver­bessern, dieses wieder einschalten würden, um zu versuchen, die Magier ein zweitesmal von ihrer negativen Aufladung zu befreien.

8. Pthor – Leenias Suche

Begib dich hinab und nutze deine dir von uns verliehenen Fähigkeiten, um die Ge­strandeten zu befreien und zu uns zurückzu­schicken! Dann kehre auch du zurück! Ein weiteres Handeln über uns hinweg werden wir nicht mehr dulden! Deine Strafe wäre Verbannung!

Dies war sinngemäß das, was Leenia mit auf den Weg in die Daseinsebene der Kör­perlichen bekommen hatte. Ein Auftrag, der sich nun als undurchführbar erwiesen hatte. Als der Morgen graute, zog Leenia Bilanz. Die ganze Nacht hindurch hatte sie Gestran­

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dete aus ihren Trägerbewußtseinen befreit und dort eingegriffen, wo die Kämpfe zwi­schen Trägern und Unbefallenen am heftig­sten gewesen waren. Insgesamt hatte sie 136 Gestrandete auf den Heimweg in die Höhe­ren Welten schicken können – 136 Bewußt­seine, die, falls sie die Höheren Welten er­reicht hatten, dort von ihren Schwierigkeiten berichten konnten.

Daß die Gemeinschaft noch immer keinen Kontakt zu Leenia aufgenommen hatte, zeigte ihr, wie groß ihre Furcht davor wirk­lich war, die Aufmerksamkeit der Dunklen Mächte zu erregen – selbst jetzt, wo die Or­ganschiffe Pthor verlassen hatten.

Leenia fühlte sich im Stich gelassen. Wie­der überkam sie der Zorn auf die Gemein­schaft, so stark diesmal, daß sie vor sich selbst erschrak.

Doch es gab kein Zurück mehr für sie. Sie wußte, daß sie am Scheideweg stand.

Keinen Augenblick dachte sie daran, die Gestrandeten im Stich zu lassen. Aber eben­so wenig war sie dazu bereit, stur nach ih­rem Auftrag zu handeln.

Sie mußte warten, bis die Befallenen alle die Dunkle Region und die Quelle der rätsel­haften Impulse erreicht hatten. Mittlerweile wurden große Flöße gebaut, und die Träger der Körperlosen setzten in großer Zahl über den Fluß, während weitere nachströmten. Immerhin ließen die Angriffe der »Normalen« allmählich nach. Die Pthorer, die ihre Aggressionen an den Unglücklichen abgelassen hatten, zogen sich zurück und beobachteten. Niemand folgte den Trägern über den Fluß. Die Angst vor der Dunklen Region saß zu tief.

Wenn die Träger sich an ihrem Ziel zu­sammengefunden hatten, wollte Leenia einen verzweifelten Versuch wagen, die Ge­strandeten innerhalb kurzer Zeit zu befreien. Über das große Risiko, das das Vorgehen, das sie sich zurechtgelegt hatte, für die kör­perlosen Bewußtseine bedeutete, war sie sich im klaren. Aber sie brauchte ihre Hilfe.

Noch war es nicht soweit. Leenia schätz­te, daß sie bis zum nächsten Tag warten

Horst Hoffmann

mußte. Bis dahin wollte sie herausgefunden haben, was den Sog verursacht hatte und ob sie möglicherweise einen zweiten erzeugen konnte, und was es mit den rätselhaften Si­gnalen auf sich hatte.

Sie mußte also die Barriere überwinden, die sie daran gehindert hatte, ins Zentrum der Dunklen Region zu springen, und jenen Teil des Dimensionsfahrstuhls aufsuchen, von dem der Sog ausgegangen war. Sie wußte nur soviel, daß er im südlichen Teil Pthors entstanden war, in der Großen Barrie­re von Oth, wo die Magier ihren Sitz hatten.

Und ausgerechnet dort war die negative Aura am stärksten auf Pthor. Leenia schreckte davor zurück, in die Große Barrie­re von Oth zu springen. Die dort vorhandene dunkle Aura schien auch der Grund dafür zu sein, daß die Gestrandeten nicht im Reich der Magier materialisiert waren, sondern an allen anderen Stellen von Pthor. Von der großen Barriere von Oth kam kein einziger Impuls.

Doch Leenia überwand ihre Furcht. Die Abschirmung über dem Reich der Magier bedeutete kein Hindernis für sie. Sie beweg­te sich durch ein anderes energetisches Me­dium. Sie konnte den magischen Knoten nach beiden Seiten passieren.

Leenia materialisierte am Fuß eines zer­klüfteten Berges. Die negative Aura schlug über ihr zusammen wie das Wasser eines unendlich tiefen Ozeans. Die erste Reaktion war Panik. Leenia zwang sich dazu, nicht sofort wieder zurückzuspringen.

Sie konnte die Aura ertragen. Es war schwer, aber sie schaffte es. Es lag mehr darin als nur negative Aufladung. Leenia glaubte Kräfte zu spüren, die absolut fremd­artig waren. Die Nähe der Magier. Sie hatte keine Vorstellung von der Art und den Fä­higkeiten dieser Wesen. Sie wußte nur, daß es besser war, ihnen aus dem Weg zu gehen. Von ihnen kam die negative Ausstrahlung. Leenia esperte. Sie tat dies unbewußt, denn sie konnte nicht damit rechnen, andere Ge­schöpfe als die Magier hier zu finden. Um so überraschter war sie, als sie vertrautere

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33 Invasion aus dem Nichts

Gedankenmuster empfing. Sie peilte die Quelle ein und sprang. Als sie materialisier­te, befand sie sich knapp hundert Meter von der Höhle entfernt, in der Kolphyr, Koy, Fenrir und Chirmor Flog sich eingerichtet hatten. Irgend etwas trieb sie dazu, sich so­fort in eine Deckung zu begeben. Leenia sah zwei steil in die Höhe ragende Felsnadeln und zwischen ihnen eine kleine Nische. Sie zwängte sich hinein.

Irgend etwas hielt sie davon ab, sofort in die Höhle zu springen, als sie in den Gedan­ken der dort Befindlichen las und schockar­tig erkannte, welche Gefahr den Höheren Welten drohte.

Irgend etwas sagte ihr: Das ist Kolphyr, dessen Gedanken du

empfängst! Kolphyr, mein Elter! Und da wußte sie, daß sie sich vor dem

mißglückten Sprung ins Zentrum der Dunklen Region nicht getäuscht hatte. Wommser lebte noch in ihr, wenn auch nicht wie früher. Aber irgendwo in ihr existierte noch ein winziger Teil seines Ichs, vielleicht ein Teil, den sie sich während ihrer Partner­schaft schon unbewußt angeeignet hatte, und der den Tod des Partners überlebt hatte.

Kolphyr. Wie oft hatte sie Wommsers Sehnsucht nach dem Elter gespürt, unter dessen Velst-Schleier, der seinen Antimate­rie-Körper vor der »normalen« Umwelt schützte, er herangewachsen war.

Wommser? Keine Antwort. Wommser! Nichts. Vielleicht hatte die Nähe Kol­

phyrs das, was von Wommser noch in ihr war, dazu befähigt, noch einmal an die Oberfläche ihres Bewußtseins vorzustoßen, um sie zu …

Zu warnen? Leenia lauschte vergeblich weiter in sich

hinein. Es war eine Warnung gewesen. Lee­nia bezweifelte plötzlich, daß sie imstande wäre, das zu tun, was sie für unerläßlich hielt.

Überdeutlich sah sie das Gerät in Kol­phyrs Bewußtsein und in den Gedanken der

anderen, die bei ihm waren. Der Schock war so groß, daß sie dem Umstand, daß sich der Neffe Chirmor Flog bei der Gruppe befand, kaum eine Bedeutung beimaß.

Das Gerät und der Sog. Kolphyrs Be­wußtseinsinhalt lag offen vor ihr. Seine Er­innerungen – die negative Aufladung, die von Chirmor Flog auf die Magier von Oth übergegangen war, dann die Versuche, den Schwarzschock rückgängig zu machen, in­dem eine Magierin das Gerät umbaute, das für den Sog verantwortlich war, der die Kör­perlosen nach Pthor gebracht hatte.

Als es die negative Aufladung der Magier einfing, entstand die von negativer Aura freie Zone, die bis in die Höheren Welten hineingereicht hatte. Und als der Prozeß um­gekehrt wurde, verschwand der Sog. Alles war wie vorher.

Nun arbeitete die Gruppe daran, die nega­tive Aufladung ein zweites Mal einzufangen. Dies aber würde bedeuten, daß abermals der Sog entstand. Wahrscheinlich würden die Körperlosen jetzt besonnen genug sein, sich diesem nicht noch einmal anzuvertrauen. Doch er konnte andere, noch unbekannte ne­gative Folgen für die Höheren Welten ha­ben.

Leenia durfte dies nicht zulassen, und wenn es das letzte war, das sie für die Ge­meinschaft tat. Sie mußte das Gerät zerstö­ren, bevor es zur Katastrophe kam.

Sie war viel zu erregt, um weiter in Kol­phyr einzudringen. Sonst hätte sie gewußt, welche Katastrophe erst die Vernichtung des Geräts bedeutete, mit dem allein verhindert werden konnte, daß sich die negativ gewor­denen Magier früher oder später, wenn es ih­nen gelungen war, den magischen Knoten aufzuheben, über ganz Pthor ergossen. Für sie gab es nur die Maschine und die Gefahr eines zweiten Sogs.

Und Wommsers Warnung. Sie begriff, was sie bedeutete.

Kolphyr würde das Gerät mit aller Macht verteidigen. Zu versuchen, es jetzt zu zerstö­ren, hieß, gegen Kolphyr kämpfen zu müs­sen.

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Leenia wußte nicht, wozu Wommser in ihr noch fähig war, aber sie ahnte, daß er al­le Register ziehen würde, um sie daran zu hindern, gegen den geliebten Elter vorzuge­hen. Und sie hielt ihn für fähig, sie nicht nur an einem Sprung in die Höhle zu hindern.

Das hieß, daß sie warten mußte, bis Kol­phyr die Höhle verlassen hatte. In seinen Gedanken las sie, daß er und die anderen – mit Ausnahme des bewegungsunfähigen Chirmor Flog – bald wieder aufbrechen mußten, um sich neue Teile für das Gerät zu beschaffen. Also war es noch nicht wieder einsatzbereit.

Leenia konnte nicht so lange warten. Sie beschloß, zuerst einen zweiten Versuch zu wagen, ins Zentrum der Dunklen Region vorzustoßen und dann erst hierher zurückzu­kehren.

Sie entmaterialisierte und wurde am Ufer des Xamyhr wieder stofflich, gerade als eine Gruppe von befallenen Trugen von aufge­brachten Pthorern angegriffen wurde.

Leenia zögerte nicht. Grelle violette Strahlen fuhren aus ihren Augen und furch­ten den Boden vor den Füßen der Angreifen­den auf. Gras begann zu brennen. Rauch stieg in die Luft und in die Augen der Ptho­rer. Die Trugen waren jetzt hilflos. Wie alle anderen Bewußtseinsträger zuvor, die sie er­blickt hatten, erstarrten sie.

Die Pthorer blieben stehen und wandten sich hustend ihrem neuen Gegner zu. Leenia ließ ihnen keine Chance für einen Angriff. Sie trieb sie vor sich her, von den Trugen fort, bis sie schreiend die Flucht ergriffen.

Eine halbe Stunde später waren dreizehn Bewußtseine auf den Weg zurück in die Hö­heren Welten geschickt worden. Leenia sammelte neue Kräfte. Die Trugen lagen am Boden. Sie würden sich nach einer gewissen Zeit erheben und denken, aus einem bösen Traum aufgewacht zu sein.

In der Ferne überquerten fünf Flöße mit mehreren hundert Trägern darauf den Fluß. Wo Bäume standen, wurden sie gefällt. Die in die Dunkle Region Ziehenden kamen viel zu langsam voran. Zu Hunderten warteten

Horst Hoffmann

sie am Ufer des Xamyhr und kämpften um einen Platz auf den Flößen.

Leenia beschloß, etwas nachzuhelfen. Zwar konnte sie sie nicht alle auf einmal »kurieren«, aber mittels telepathischer Zwangsimpulse schaffte sie es, eine Gruppe von etwa hundert Pthorern und Nichtptho­rern zur Ruhe zu bringen. Sie zeigte ihnen, was zu tun war, doch wieder standen sie wie zu Stein erstarrt vor ihr. Die Körperlosen in ihnen erkannten sie und fieberten danach, befreit zu werden. Verzweifelt versuchte Leenia, ihnen klarzumachen, worum es ging. Eine direkte Kommunikation war so gut wie unmöglich. Zu stark waren die Impulse der Träger, die Höllenqualen litten und diese stumm hinausschrien.

Eine Brücke, ihr Narren! dachte Leenia verzweifelt und verärgert. Baut doch eine Brücke und kommt zu euch! Ich kann euch nicht helfen, noch nicht!

Sie versuchte es auf andere Weise. Leenia trat vor die Erstarrten hin, deutete auf einen gerade gefällten Baumstamm und riß einige zähe lange Gräser mit den Wurzeln aus dem Boden. Mittels Zeichensprache versuchte sie zu erklären, daß viele Bäume gefällt und miteinander verbunden werden mußten, so lange, bis der auf dem Fluß schwimmende Teppich aus aneinandergebundenen Stäm­men das andere Ufer erreicht hatte. Die Au­gen der Träger waren auf sie gerichtet, und nach dem dritten Versuch sagte sich Leenia, daß sie, wenn sie jetzt nichts verstanden hat­ten, keinen Erfolg mehr haben würde.

Sie entmaterialisierte und wurde hinter ei­ner Reihe von Büschen wieder stofflich, von wo aus sie die Gruppe sehen konnte. Es dau­erte eine Weile, dann begannen sich die Be­wußtseinsträger zu bewegen.

Sie begannen, nach Leenias Anweisungen ihre Brücke zu bauen. Die Zwangsimpulse verhinderten, daß sie wieder nach dem Mot­to »Jeder ist sich selbst der nächste« über­einander herfielen.

Zufrieden mit dem Erreichten – was unter den gegebenen Umständen mehr war, als sie hatte erwarten dürfen – konzentrierte sie

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35 Invasion aus dem Nichts

sich nun wieder auf die Dunkle Region. Sie wußte nicht, wo genau die unsichtbare Bar­riere lag, gegen die sie beim ersten Sprung geprallt war und die sie bis zur entgegenge­setzten Küste Pthors geschleudert hatte. Sie mußte langsam vorgehen. Kleine Sprünge, immer ein Stückchen weiter auf die Quelle der Signale zu. Leenia materialisierte kurz vor der Grenze der eigentlichen Dunklen Region – einer bis in den Himmel ragenden dunklen Wand mit unheimlicher Ausstrah­lung. Zwischen dem Fluß und dieser Wand lagen an dieser Stelle etwa zehn Kilometer freies Gelände. Überall waren Träger zu se­hen, die den Xamyhr überquert hatten und in der Dunkelheit verschwanden, als ob sie da­von geschluckt würden. Das, was sie so stark anzog, war stärker als die Angst vor diesem von allen Pthorern so gefürchteten Landstrich. Leenia erschauerte. Innerlich darauf vorbereitet, sich sofort nach der Re­materialisation gegen etwas wehren zu müs­sen, dessen Natur ihr noch verborgen war, wagte sie den zweiten Sprung, wieder über eine kurze Distanz.

Und diesmal materialisierte sie in Dunkel­heit. Ein Wald. Die Bäume hatten keine Blätter. Ihre Stämme und Äste waren grau – so grau wie der Boden, die Luft und die Ge­stalten, die in einigen Metern Entfernung an Leenia vorbeizogen.

Pthorer und Trugen. Sie gingen wieder, als ob ihre Beine sich weigerten, die vom Gehirn gegebenen Befehle zu befolgen. Manche schrien auf und rannten ein Stück zurück, bis sie erstarrten, sich umdrehten und ihren Schicksalsgefährten mit blicklosen Augen folgten, ruckend wie Marionetten.

Wie groß mußte ihre Angst sein – und wie stark das körperlose Element in ihnen, daß es sie jetzt fast völlig unter seine Kontrolle gebracht hatte. Und es schien stärker zu wer­den, je näher die Träger an die Quelle der Signale kamen.

Leenia spürte die Drohung, die im sie um­gebenden Halbdunkel lag. Sie ging ein Stück neben den Ziehenden her, gerade weit genug von ihnen weg, um sie bei ihrem An­

blick nicht erstarren zu lassen. Die Signale aus dem Zentrum der Dunklen Region wa­ren intensiver geworden.

Leenia riskierte noch einen Sprung. Wie­der brachte er sie nur wenige Kilometer wei­ter. Die Aura um sie herum wurde noch be­drückender. Es war, als weigerten sich Lee­nias Lungen, das Grau zu atmen. Dunkle Dampfschwaden wallten über dem weichen, moosbewachsenen Boden.

Die Intensität der Signale war weiter an­gestiegen, in keinem Verhältnis zur über­sprungenen Strecke. Weit und breit war nichts von Trägern zu sehen oder zu hören. Leenia war ihnen jetzt voraus. Es war nicht mehr weit bis zur Quelle der Signale.

Leenia hütete sich davor, das Glück über­mäßig herauszufordern. Sie beschloß, ihren Weg zu Fuß fortzusetzen. Da sie sich schneller bewegen konnte als die durch die sich sträubenden Eigenbewußtseine gehan­dikapten Träger, bekam sie so einen weite­ren Vorsprung vor ihnen und sollte Zeit ge­nug haben, die Quelle aufzuspüren und her­auszufinden, was es mit ihr und den Signa­len auf sich hatte.

Nebenbei registrierte sie, daß die gestran­deten Körperlosen in ihren Trägerkörpern auch in dieser unheimlichen Aura, die sich über die gesamte Dunkle Region ausbreitete, existieren konnten – noch.

Würden sie, aus ihren Trägerbewußtsei­nen befreit, lange genug auf Pthor bleiben können, um Leenia zu helfen, ihren verzwei­felten Plan auszuführen?

Leenia ging weiter und beschleunigte un­bewußt ihre Schritte. Nur manchmal blieb sie stehen und lauschte. Nichts. Keine Krea­turen der Dunkelheit, keine Träger.

Hatte sie die unsichtbare Barriere bereits hinter sich, die sie bis nach Wolterhaven zu­rückgeschleudert hatte?

Jetzt bemerkte sie immer häufiger Spuren von kleinen und großen Tieren. Der Moos­boden war an vielen Stellen aufgescharrt. Büsche waren herausgerissen. Neben einem Baumstamm lag ein abgenagtes Skelett.

Wo waren die Tiere geblieben? Sie konn­

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ten sich nicht einfach in Luft aufgelöst ha­ben.

Noch darüber nachsinnend, erreichte Lee­nia das Tal. Die Sicht reichte kaum dreißig Meter weit, doch sie glaubte, in der Dunkel­heit einen fahlen Lichtschein zu erkennen.

Aber nicht das war es, was sie so in Er­staunen versetzte.

Das Gefühl, von allen Seiten bedroht zu werden, war verschwunden. Zwar herrschte auch hier das ewige Halbdunkel, aber die schreckliche Aura bestand nicht mehr. Und in Leenia wurde es heller, je weiter sie in das Tal hinabstieg. Als sie die Ruinen eines mächtigen Schlosses sich aus der Dunkelheit schälen sah, wußte sie, daß sie am Ziel war. Hier lag die Quelle der Signale. Sie spürte es mit untrüglichem Sinn. Kurz darauf stand sie vor der gewaltigen Treppe, die zwischen Türmen und Bergen von Schutt zum Schloß hinaufführte. Doch nicht von dort oben, aus den Säulenhallen auf den Pyramidensockeln kamen die Signale. Sie hatten ihren Ur­sprung unter dem Schloß. Leenia suchte ei­ne halbe Stunde lang, bis sie einen Eingang fand, der nach unten führte. * Die Fackeln brannten nicht mehr. Die Mutanten, jene grauenhaften Kreaturen, durch die Atlan, Razamon, Kolphyr und Koy beim Betreten des Schlosses fast den Tod gefunden hätten, waren verschwunden. Mit Blodgahns Tod war auch dieses Leben aus dem Ruinen­schloß gewichen.

Es war totenstill geworden im Emmorko-Tal.

Die Tiere, die es bevölkert hatten, waren in Panik geflohen, als mit Einsetzen der für sie nicht wahrnehmbaren Signale die finste­re Aura aus dem Tal verschwunden war. Zu sehr waren sie schon zu Geschöpfen des Dunkels geworden.

Gleichzeitig mit den Signalgebern waren Geräte der Lunen in Aktion getreten, die die Umgebung des Ruinenschlosses in eine neu­trale Zone verwandelten – wenn auch nur für begrenzte Zeit. Diese Geräte waren eine der letzten Errungenschaften der Lunen ge­wesen und sollten ihnen im Fall ihres Schei-

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terns und der damit verbundenen zwangsläu­figen Rückkehr eine Atempause verschaf­fen, in der sie sich sammeln und zu Kräften kommen konnten, um weitere Versuche zu unternehmen. Die Zone ließ sich nur für die Dauer etwa eines Tages aufrechterhalten. Alle Bemühungen, sie darüber hinaus zu manifestieren, waren erfolglos gewesen.

Viele Stunden waren bereits vergangen, seit Leenia die Signale empfing. Sie kannte die Vergangenheit des Schlosses nicht und ahnte somit nicht, daß ihr weniger Zeit für ihre Arbeit blieb, als sie jetzt noch annahm.

*

Vorerst jedoch hatte sie neue Hoffnung. Falls alle Träger mit den gestrandeten Be­wußtseinen in ihnen diese von negativer Au­ra freie Zone erreichten, waren ihre Chan­cen, alle Gestrandeten sicher in die Höheren Welten zurückschicken zu können, sprung­haft gestiegen.

Noch war es nicht soweit. Leenia befand sich in einem Labyrinth

von in Stein gehauenen Gängen tief unter dem Ruinenschloß. Spinnweben klebten an ihrem Anzug. Bis zu den Knöcheln versank sie im Staub der Jahrhunderte. Sie mußte schwere Holztüren aufbrechen und Eisengit­ter zerstrahlen. Noch deutete nichts darauf hin, daß ihre Aktivitäten irgendwo im oder unter dem Schloß registriert wurden.

Dann und wann blieb sie stehen und es­perte. Es war durch die Stärke der Signale, deren Richtung sie nun kaum noch einwand­frei bestimmen konnte, so gut wie unmög­lich geworden, die Impulse der Artverwand­ten aufzufangen.

Nur langsam kam sie vorwärts, und so verging mehr als eine Stunde, bis sie die rie­sige Halle erreichte. Der Gang, in dem sie sich befand, endete abrupt vor einer Stahltür. Leenia hatte sich die letzten zwanzig Meter über bücken müssen, um nicht mit dem Kopf gegen die Decke zu stoßen.

Sie zerstrahlte die Tür und sah hochmo­derne Maschinen vor sich, die so gar nicht

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zum zerfallenen Schloß und den vermoder­ten Gängen passen wollten. Der ganze Raum, der sich nun vor ihr ausbreitete, war von ihnen erfüllt.

Und Leenia konnte ihn nicht betreten. Sie prallte hart gegen die Energiebarriere.

Ein Mensch wäre binnen Sekunden ver­brannt, doch Leenias Anzug absorbierte die Energien und leitete sie in umgewandelter Form in seine Trägerin. Für Leenia war es eine willkommene Auffrischung. Doch das änderte nichts daran, daß ihr der Zutritt in die Halle versperrt war. Doch von dort ka­men die Signale. Die fremdartigen Geräte produzierten und schickten sie bis an alle Enden von Pthor.

Enttäuscht mußte Leenia feststellen, daß sie sich das, was sie erzeugten, nicht zunutze machen konnte. Aber gerade dadurch, daß ihr der Weg zu diesem Geheimnis versperrt war, wurde sie noch neugieriger. Sie wandte sich schweren Herzens von der Halle ab und setzte ihre Suche fort. Wenn sie schon nicht erfahren sollte, wozu die Signale dienten, dann gab es irgendwo in diesem Labyrinth vielleicht Hinweise darauf, wer sie konstru­iert hatte. Nach einer weiteren Stunde fand Leenia einen zweiten Raum. Diesmal war der Zutritt weder durch eine Tür noch durch energetische Schranken versperrt. (Ein Grund für Leenias Neugier war die Tatsa­che, daß sie die Barriere, die vielleicht mit derjenigen identisch war, die sie nach Wol­terhaven geschleudert hatte, nicht wie fast alle anderen Energieschranken im Univer­sum der Körperlichen mühelos überwinden konnte.)

Der Raum hatte eine rechteckige Grund­fläche. Die Decke war gewölbt und hoch. Es gab keinerlei Einrichtung. Ebenso wie in den Gängen lag der Staub zentimeterdick auf dem steinigen Boden. Spinnweben kleb­ten in den Winkeln, doch Leenia nahm sie kaum wahr.

Alle Wände und die Decke waren von Malereien bedeckt. Teilweise war die Farbe abgeblättert. Unbekannte Schriftzeichen und Symbole kommentierten die einzelnen Dar­

stellungen. Leenia wurde seltsam zumute. Sie fühlte

sich gerade so, als wäre sie dabei, ein Hei­ligtum zu entweihen, als sie den Raum betrat und die Bilder betrachtete. Nach einigen Mi­nuten glaubte sie ein System in den Darstel­lungen zu erkennen, und kurz darauf kannte sie die Geschichte der Lunen. Mit den Schriftzeichen wußte sie nichts anzufangen, doch die Symbole waren von universeller Verständlichkeit. In Verbindung mit den Malereien erzählten sie von der großen Zeit des Volkes, das einst die Dunkle Region be­wohnte, von den Eroberern und dem Kom­men des Dunkels und von den Bemühungen der Lunen, den Tod zu besiegen.

Sie hatten diese Daseinsebene verlassen und als vergeistigte Kollektivintelligenz eine neue Heimat zwischen den Dimensionen ge­funden.

Leenia erschrak und verlor für Augen­blicke die Kontrolle über sich. Sie taumelte rückwärts, bis sie mit dem Rücken gegen ei­ne Wand stieß.

War dies, was sie hier sah, ein Teil der Geschichte ihrer eigenen Art?

Sie mußte sich zwingen, logisch zu den­ken. Nein, die Mitglieder der Gemeinschaft der Körperlosen hatten nacheinander, im Lauf vieler Jahrzehntausende, zueinander gefunden. Sie waren als Individuen, die auf­grund verschiedenster Umstände den Schritt zur körperlosen Intelligenz vollzogen hatten, in die Räume der Höheren Welten hineinge­trieben, wo sie sich durch ihre Affinität zu­einander gegenseitig angezogen hatten. Die­se ehemaligen Bewohner der Dunklen Regi­on hatten den Schritt gezielt vollzogen, und sie waren als die Essenz ihres ganzen Vol­kes aus der Daseinsebene der Körperlichen verschwunden.

Es gab unzählbar viele Überräume. Wo immer sich die hier entstandene Kollektivin­telligenz nun befand – es war jenseits der Höheren Welten.

Und doch … Noch einmal betrachtete Leenia die Dar­

stellungen und die Symbole der Reihe nach,

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und es gab keinen Zweifel daran, daß je­mand den Lunen bei ihrem gewaltigen Pro­jekt geholfen hatte.

Ein Mitglied der Gemeinschaft? Der Gedanke war phantastisch, aber nicht

verrückt. Leenia wußte, daß, lange bevor sie Eingang in die Höheren Welten fand, viele Körperlose in die Daseinsebene der Körper­lichen gewechselt waren und dort einige Zeit verbracht hatten. War Pthor eine der Welten gewesen, die sie besucht hatten? Steckte möglicherweise noch viel mehr dahinter?

War es denkbar, daß Pthor vor langer Zeit einmal völlig … anders gewesen war?

Leenia geriet in eine nie gekannte Erre­gung. Und sie steigerte sich weiter in sie hinein. Plötzlich begann sie sich Fragen zu stellen – Fragen nach der Zeit, bevor die Dunklen Mächte die Herrschaft über die Schwarze Galaxis errangen. Hier konnte sie sie sich stellen. Im Bereich der Höheren Welten zählten sie zu den wenigen Tabus. Man dachte einfach nicht an diese lange zu­rückliegende Zeit. Es war Frevel, danach zu fragen. Nur die neu zur Gemeinschaft sto­ßenden Intelligenzen taten dies, und sie stie­ßen auf Schweigen und Ablehnung. Warum? Wie viele unter den Mitgliedern der Ge­meinschaft waren in der Lage, die Antwort zu geben? Wie viele hatten bereits existiert, als es zur Katastrophe kam?

Leenia spürte, daß sie sich in Gefahr brachte. Vielleicht würde sie an der Wahr­heit zerbrechen. Vielleicht hatten die Älte­sten der Gemeinschaft guten Grund für ihr eisiges Schweigen. Mit Sicherheit verlor sie wertvolle Zeit, wenn sie sich nicht sofort von diesen Fragen und Spekulationen losriß. Und sie konnte ihre Aufgabe nicht erfüllen, wenn ihre Gedanken nicht ganz bei der Sa­che waren. Leenia machte sich auf den Weg zurück aus dem Labyrinth, doch sie wußte schon jetzt, daß sie hierher zurückkehren würde, sobald sie das getan hatte, was für sie zu tun war.

Sie kam noch einmal an der Halle mit den Maschinen vorbei und spürte diesmal deutli­cher als zuvor, welches gigantische Potential

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an Energie und Technik hier auf engstem Raum vereinigt war. Wußte überhaupt ir­gend jemand auf Pthor davon? Leenia konn­te es sich schlecht vorstellen. Zumindest At­lan und seine Freunde hätten versucht, die­ses Potential im Kampf gegen die Invasoren oder noch früher gegen die Herren der FE­STUNG einzusetzen. Seltsamerweise war sie davon überzeugt, daß »normale« Men­schen, die frei von der Aura des Dunkeln waren, ungehindert in die Halle gelangen konnten. Woher sie diese Sicherheit nahm, konnte sie sich selbst nicht erklären – sie wußte es einfach.

Als Leenia ins Freie trat, hatte sie diese Gedanken zurückgedrängt. Nun empfing sie wieder die Impulse der Gestrandeten. Sie waren nahe, und es waren viele hundert.

Doch noch längst waren nicht alle hier. Leenia stieg die Stufen der Treppe zwischen den Türmen hinauf und sah die Pthorer und Trugen, die sich vor dem Schloß drängten. Immer weitere kamen hinzu. Die ganze Nacht hindurch würde der Strom derjenigen andauern, die den Signalen folgten.

Die Träger blieben vor dem Schloß. Sie machten keine Anstalten, die Treppen zu stürmen oder wie Leenia den Weg ins Laby­rinth unter der Ruine zu suchen.

Die Signale befahlen ihnen, hier zu war­ten. Inzwischen hatte Leenia sich zusam­mengereimt, daß sie für die Lunen bestimmt waren und nun durch die Invasion der Kör­perlosen ausgelöst worden waren.

Sie mußte weiter warten. Im Augenblick konnte sie hier nichts tun. Alle mußten vor ihr versammelt sein, alle mit den wenigen Ausnahmen jener Träger, die durch Gewalt oder sonstige unüberbrückbare Schwierig­keiten daran gehindert wurden, den Weg in die Dunkle Region anzutreten.

Leenia sprang in die Große Barriere von Oth, in die Felsnische bei der Höhle, in der das Gerät stand, das es zu vernichten galt.

Sie esperte. Kolphyr und die anderen be­fanden sich zu ihrer Enttäuschung noch in der Höhle, doch sie bereiteten sich bereits zum Aufbruch vor.

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Sie lauschte wieder in sich hinein. Nichts. Nur die Erregung, von der sie

nicht wußte, ob es ihre eigene oder die Wommsers in ihr war.

Sie fragte sich, wie Wommser sich jetzt verhalten hätte, wenn sie noch gleich starke Partner gewesen wären. Und sie empfand tiefes Mitleid mit ihm.

Plötzlich gab es soviel für sie auf Pthor zu tun. Die Anlagen unter dem Ruinenschloß, dann Kolphyr …

Sie war es Wommser einfach schuldig, seinen Elter über das Schicksal Wommsers zu informieren – später, wenn die Maschine vernichtet war.

Jetzt forderte Kolphyr seine Begleiter zum Aufbruch auf.

Leenia konzentrierte sich und hoffte in­brünstig, daß Wommser sie nicht zu behin­dern versuchen würde.

9. Pthor – Sator Synks neue Freunde

Sator Synk schlug die Augen auf. Gykogsbeeden registrierte es. Der Herr

Soltzamen registrierte es. Ein halbes Dut­zend Robotbürger, die das Experiment nun mitverfolgten, registrierten es. Nur Diglfonk lag nach wie vor reglos mit leeren Batterien in einer Ecke des Analyse-Raumes. Synk lag auf einer Liege. Alles, was an seine Operati­on erinnerte, war entweder aus dem Raum gefahren oder mit bunten Decken verhangen worden. So sah Synk nur Gykogsbeeden. Diglfonk befand sich nicht in seinem Blick­winkel. Die Hände des Orxeyaners kamen langsam in die Höhe. Er war völlig angeklei­det. Seine Finger tasteten über seine Brust, fuhren in den Bart, wanderten das Gesicht entlang zur Stirn. Gykogsbeeden begann lei­se zu ticken, als sie die Narbe erreichten und daran entlangfuhren. Doch Synk erschrak nicht. Er sprang nicht auf, um zu toben. Er stürzte sich nicht auf den Roboter.

Synk richtete sich langsam auf, setzte sich auf den Rand der Liege und schüttelte den Kopf, wie um einen bösen Traum zu ver­

scheuchen. Dann blickte er Gykogsbeeden an. »Wo bin ich?« fragte er und sah sich wei­

ter um. Was soll ich antworten, Herr? wandte der

Roboter sich an Soltzamen. Nenne deinen Namen. Sage ihm, daß du

ein Roboter bist! »Ich bin Gykogsbeeden«, erklärte der Ro­

botdiener also, bereit, sofort zur Seite auszu­weichen, sollte Synk sich auf ihn stürzen. »Ich heiße dich in Wolterhaven willkom­men, der Stadt der Roboter.«

Gykogsbeedens Ticken wurde lauter. »Wolterhaven«, murmelte Synk wie in

Gedanken versunken. Dann nickte er. »Ja, ich kenne Wolterhaven. Ich war schon ein­mal hier. Eine schöne Stadt. Aber …« Wie­der sah der Orxeyaner sich suchend um. »Ich vermisse jemanden. Wo ist mein Freund Diglfonk?«

Ein Fehlschlag! sendete Gykogsbeeden. Er erinnert sich! Er weiß, daß wir Roboter sind! Er hat Diglfonk nicht vergessen!

Du irrst dich, antwortete der Herr Soltza­men. Er hat natürlich nichts vergessen. Was nützt uns ein Idiot?

Aber es sollte für ihn gar keine Roboter mehr geben!

Keine Roboter als Roboter. Warte ab. Er wird in euch die organische Rasse der Ro­boter sehen. Wir haben mehr erreicht, als wir zu errechnen wagen durften.

»Ich habe dich etwas gefragt, Gyk … Gyk …«

»Gykogsbeeden«, half der Robotdiener aus.

»Ich werde dich ›Eins‹ nennen, um …« Synk hielt inne und musterte den Roboter von oben bis unten. »Kennen wir uns nicht? Habe ich dich nicht schon einmal wegen deines unaussprechlichen Namens ›Eins‹ ge­nannt? Damals, bevor wir gen Orxeya zo­gen?«

Er erinnert sich an alles! Das soll er ja! Warte ab, er hat sich auch

sonst nicht verändert. Antworte ihm! »So ist es«, sagte Gykogsbeeden mit

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schnarrender Kunststimme. »Also – wo sind die anderen? Wo ist

Diglfonk?« Lenke ihn ab! Diglfonk muß erst reakti­

viert werden. Bringe ihn zu mir! »Er wartet auf dich, Sator Synk«, fiel Gy-

kogsbeeden ein. »Er hat eine Überraschung für dich vorbereitet.«

»Eine Überraschung? Für mich?« Synk seufzte. »Dabei habe ich ihn und euch so schlecht behandelt. Ja, ich erinnere mich ge­nau.« Sein Gesicht nahm einen grimmigen Ausdruck an. »Ihr wart aber auch ein störri­scher Haufen! Ihr Roboter seid die wider­spenstigste Rasse von Pthorern, die ich ken­ne.«

»Deshalb habe ich sie nach Wolterhaven zurückgerufen«, kam nun die Stimme des Herrn Soltzamen aus den Lautsprechern. »Sie haben eine Lektion erhalten und wer­den dir künftig gehorsame Diener sein, wenn du wieder mit ihnen aufbrichst, Sator Synk.«

Synk sprang von der Liege und ballte die Fäuste.

»Das will ich hoffen! Wieviel Zeit haben wir verloren? Wie lange habe ich geschla­fen? Soltzamen, bist du das, alter Kumpel? Aha, ich verstehe.« Synk grinste. »Du kannst nicht aus deinem Trog heraus, wie? Dann warte ich hier. Diglfonk soll mit seiner Überraschung herkommen, damit wir keine Zeit verlieren. Soltzamen, wir werden es den Eimerköpfen zeigen! Die Kerle werden mir büßen, daß sie mich bewußtlos geschlagen haben. Ich kann mich an vieles von dem gar nicht mehr erinnern, was geschah, nachdem ich die Kuppel betrat …«

»Es ist nötig, daß du zu mir kommst«, wehrte der Herr Soltzamen ab. »Was wir zu besprechen haben, braucht keine Zeugen.« Synk kniff die Augen zusammen und suchte die Wände nach Lautsprechern ab.

»Keine Zeugen? Ich verstehe.« Natürlich verstand er gar nichts. Er folgte

Gykogsbeeden, der nun wieder »Eins« war, vor den Trog mit den vierzehn Silberkugeln. Gykogsbeeden zog sich in den Analyse-

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Raum zurück, um Diglfonk schnellstens mit neuen Batterien zu versorgen. Nicht alle Ro­botbürger belasteten sich mit Dienern, die wie in den Anfangszeiten der Roboterzivili­sation in bestimmten Abständen mit aus­tauschbaren Batterien aufgeladen werden mußten. Der Herr Soltzamen benutzte diese Abhängigkeit seiner Diener als Druckmittel gegen jene, die allzu leicht dazu neigten, aus der Reihe zu tanzen. Eigenmächtige Diener schätzte er gar nicht.

»Ihr seid wirklich ein seltsames Volk«, brummte Synk und deutete auf den Trog.

»So ist es«, bestätigte der Herr Soltzamen. »Nun hör zu, Sator Synk. Du bist sicher, daß du uns nicht haßt?«

Synk machte überrascht einen Schritt zu­rück.

»Ich soll euch hassen? Wieso das?« »Weil wir Roboter sind.« »Unsinn!« Synk machte eine wegwerfen-

de Handbewegung und lachte. »Roboter, Or­xeyaner, Dalazaaren – die Unterschiede sind doch nur äußerlich. Wir sind alle Pthorer. Allerdings mußte ich ein paarmal grob zu Diglfonk und Eins bis Zwölf sein, weil sie ungehorsam und anmaßend waren. Aber das hat nichts mit Haß zu tun. Wenn sie sich bessern, werden sie in mir den gütigsten Herrn haben, den sie sich wünschen können. Nein, glaube mir, alter Freund, ich bin gern in Wolterhaven und finde, daß ihr in Ord­nung seid.«

»Und du hast kein schlechtes Gewissen uns gegenüber?«

»Absolut nicht!« Der Herr Soltzamen schwieg lange. Synk

geheilt! Das war etwas, das noch vor zwei Stunden völlig unvorstellbar gewesen wäre.

Doch eine letzte Frage mußte er stellen. »Sator Synk, hast du nicht manchmal das

Gefühl, das irgend jemand versucht, dich zu beeinflussen?«

»Mich?« Der wilde Mann aus Orxeya lachte meckernd. »Mich beeinflussen? Wer sollte das fertigbringen? Ich war immer Herr meiner Sinne. Soltzamen, was sollen diese dummen Fragen. Hast du mich hierherkom­

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men lassen, um mit solchem Unsinn meine Zeit zu …«

»Setz dich, Sator Synk«, befahl der Ro­botbürger. Eine Klappe öffnete sich in einer Wand, und ein Roboter auf Rollen fuhr einen Stuhl und einen kleinen Tisch mit ei­ner Flasche darauf in den Raum.

»Armer Kerl«, sagte der Bärtige, nach­dem die Maschine verschwunden war. »Er quietscht. Er sollte etwas für seine Gelenke tun. Stimmt sein Blutdruck? Er sieht so blaß aus.«

»Er wird sich einer Untersuchung unter­ziehen.«

Der Herr Soltzamen wartete, bis Synk saß, an der Flasche gerochen, anerkennend genickt ein paar Schlucke getrunken hatte.

»Es geht um folgendes«, erklärte er dann. »Während deiner Bewußtlosigkeit haben die Trugen Pthor fluchtartig verlassen. Pthor be­wegt sich wieder und treibt aus dem Rghul-Revier heraus. Wir wissen nicht, was der Zweck dieses Manövers ist und was als nächstes geschehen wird. Jedoch ist im Au­genblick nicht mit dem Auftauchen neuer Invasoren zu rechnen, und diese Zeit sollte genutzt werden, um die Pthorer, die nun über den gesamten Dimensionsfahrstuhl ver­streut oder noch in den Sammelunterkünften der Trugen gefangen sind, zusammenzufüh­ren und auf eine neue Invasion vorzuberei­ten. Du, Sator Synk, bist von uns allen am besten dazu geeignet, diese Aufgabe zu übernehmen.«

Synk trank inzwischen weiter. Er nickte immer wieder. Der Alkohol tat seine Wir­kung.

»Ganz klar, Soltzamen. Ich könnte mir auch kaum vorstellen, daß ihr in euren Trö­gen Wolterhaven verlaßt. Die Pthorer wür­den über euch lachen.« Er grinste. »Mich kennen sie. Mir werden sie folgen. Mir und Diglfonk.« Synk machte ein ernstes Gesicht. »Im Vertrauen, Soltzamen. Manchmal denke ich, der Kerl ist nicht ganz dicht. Ich meine, mit seinem Gehirn stimmt etwas nicht ganz. Auch ihn solltest du untersuchen lassen – auf Herz und Nieren.«

»Auf Herz und Nieren.« Konnte eine Ro­boterstimme gequält klingen? »Es ist bereits geschehen. Diglfonk ist vollständig über­holt.«

Überholt?« fragte Synk verständnislos. »Er hat Medikamente bekommen«, ver­

besserte der Herr Soltzamen sich. »Gut. Wann brechen wir auf?« »Gleich morgen früh. Ich lasse zwei Zu­

gors für euch klarmachen. All deine alten Freunde werden dich begleiten.«

»Unter einer Bedingung!« »Ja, Sator Synk?« »Sieben bis Zwölf sind krank, schwind­

süchtig, unzuverlässig. Sie müssen sowohl medizinisch als auch psychiatrisch behandelt werden.«

»Es wird geschehen«, versicherte der Herr Soltzamen.

»Wunderbar.« Synk trank und schlug so fest mit der Fla­

sche auf den Tisch, daß dieser zerbrach. Er bemerkte es kaum.

»Ich sage dir, Soltzamen, die Eimerköpfe werden nicht wiederkommen! Und wenn wieder jemand versucht, auf Pthor zu lan­den, wird er sein blaues Wunder erleben. Die Pthorer werden kämpfen wie Roboter. Ah … die Zugors.«

»Was ist mit ihnen?« »Es ist ein Jammer. Ich habe bei der

Schlacht gegen die Krolocs viele von ihnen sterben gesehen. Sie sind ja so hilflos, wenn sie in der Luft sind. Gib mir zwei besonders kräftige Tiere, und sie sollen mehr Feuer spucken können als alle anderen.«

»Du sollst … zwei … kräftige … kräftige Tiere …«

Synk kniff die Augen zusammen, als er den Rauch über dem Trog mit den Silberku­geln sah.

»Fehlt dir etwas, Soltzamen?« fragte er. Als er keine Antwort bekam, schüttelte er nur den Kopf. »Man sollte meinen, ich wäre betrunken«, murmelte er.

*

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Es dauerte eine Weile, bis die defekten Schaltelemente in einer der silbernen Ku­geln gegen neue ausgewechselt worden wa­ren. Sator Synk ließ sich von Diglfonk, den er herzlich begrüßt hatte, zwei weitere Fla­schen bringen und krönte den Abend damit, daß er den Roboter zu einem Tanz auffor­derte. Diglfonk erwies sich als schlechter Tänzer und noch schlechterer Sänger, als Synk mit ihm ein paar deftige Trinklieder zum Besten geben wollte. Er riet ihm, vor dem Aufbruch noch etwas für seine Halsent­zündung zu tun und schlief alkoholselig bis zum Wecken.

Der Herr Soltzamen verzichtete merkwür­digerweise darauf, sich persönlich von ihm zu verabschieden und ließ ihm durch Digl­fonk ausrichten, daß er sich etwas unpäßlich fühle und Synk alles Gute wünsche.

»Du hast doch immer deinen Ultraschall­strahler dabei«, sagte Synk zu Diglfonk. »Sag Soltzamen, daß ich ihm gute Besse­rung wünsche.«

Diglfonk gehorchte ohne Widerrede. Überhaupt wirkte Synks gesamte Truppe nun viel disziplinierter als früher. Synk be­gann diese Rasse zu bewundern, die eine solche Artenvielfalt hervorgebracht hatte.

Die Zugors warteten auf einer der großen Plattformen der Roboterstadt. Bevor Synk denjenigen bestieg, der ihm am kräftigsten erschien, kam es zu einem Zwischenfall.

Am Rand der Plattform stand ein dritter Zugor. Und zu seinem Entsetzen mußte Synk mitansehen, wie zwei Roboter ihn zu verbrennen begannen. Schreiend lief er auf sie zu und schlug ihnen die Tentakel herab, mit denen sie eine Platte aus der Verklei­dung herausschweißen wollten, in der ein häßliches schwarzes Loch klaffte – der Ein­schlag eines Treffers.

Für Synk waren die Tentakel »Feuerschlangen«.

»Wie kommt ihr dazu, ein hilfloses Tier zu quälen?« fuhr der Orxeyaner die verdutz­ten Roboter an. »Wer hat euch den Befehl dazu gegeben?«

»Der Herr Poodlkarl«, antwortete einer

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der Übeltäter. »Dann sagt eurem Herrn Poodlkarl, daß

ich ihn mir vorknöpfen werde, wenn ich zu­rück bin! Und jetzt verschwindet! Der Zugor steht unter meinem Schutz!«

Die Roboter zogen sich tatsächlich zu­rück, als sie Diglfonks lautlosen Befehl er­hielten.

Synk aber, Sator Synk, der Raufbold aus Orxeya mit dem weichen Herzen, streichelte über die metallene Oberfläche des Zugors und sagte zur Maschine:

»Sie werden dir nichts mehr tun. Bald wird Soltzamen dir einen Arzt schicken. Wenn ich zurück bin, meldest du dich bei mir. Ich will genau wissen, ob sie dich nicht doch noch gequält haben.«

Er bekam keine Antwort. »Da siehst du, was sie ihm für Angst ein­

gejagt haben«, sagte Synk zu Diglfonk, als er neben ihm im Zugor stand. »Er ist total verschüchtert.«

Diglfonk war auch »verschüchtert«. Er gab keine Antwort, aber das, was er dem Herrn Soltzamen lautlos meldete, war ge­nug, um in Wolterhaven schlimme Befürch­tungen zu wecken.

Für Sator Synk gab es nicht nur keine Ro­boter mehr – für ihn war alles organisch. Es existierten für ihn keine Maschinen mehr.

*

Synk stand hinter der Steuersäule des Zu­gors – dem »Hals« seines »Flugdrachen«. Synks Unterbewußtsein, dem die undankba­re Aufgabe zufiel, für alles, das nicht robo­tisch oder maschinell sein durfte, Äquivalen­te aus der Tierwelt Pthors zu finden, produ­zierte die unmöglichsten Analogien. Die Knöpfe auf dem »Hals« waren Knötchen, deren Berührung den »Drachen« sofort er­regte und diese und jene Flugbewegung aus­löste, die Schalthebel Hörner.

Synk betrübte es, daß er sich nicht mit dem Drachen unterhalten konnte, um zu hö­ren, ob er von den Robotern auch gut behan­delt worden war – aber so waren sie, diese

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Zugors. Synk kannte sie ja nur zu gut. Nicht einmal als sie von den Krolocs zu Hunderten abgeschossen wurden, hatten sie ihren Schmerz in die Welt hinausschreien können.

Synk schielte oft zum zweiten Zugor hin­über, wo Eins am Hals des Tieres stand. Doch Eins hütete sich davor, dem Zugor weh zu tun.

Der Orxeyaner hatte noch kein festes Ziel. Überall mußten jetzt heimatlos gewordene Pthorer herumirren. In der Senke der verlo­renen Seelen befanden sich noch Tausende von Exoten, die von den Transportern der Besatzer nicht mehr hatten aufgenommen werden können. Vielleicht, ja wahrschein­lich, kümmerten sich die Technos um sie. Orxeya? Irgend etwas in Synk sträubte sich dagegen, sich schon wieder in seine Heimat­stadt zu begeben. Orxeyaner waren hart im Nehmen. Sie kamen mit Sicherheit allein zu­recht.

Die FESTUNG? Der Gedanke an die her­ablassende Behandlung, die er durch die Od-inssöhne erfahren hatte, trieb Sator Synk die Zornesröte ins Gesicht. Sollten sie doch se­hen, wie sie sich allein halfen.

Die Magier schieden ebenso aus. Sie be­fanden sich hinter einem undurchdringbaren Energieschirm.

Die Küstenbewohner? Die Gordys? Die Bewohner des Blutdschungels? Die am Xa­myhr ansässigen Völker? Die Piraten?

All das konnte Synk nicht besonders rei­zen. Später würde er sich um diese Pthorer kümmern. Vorerst stand ihm der Sinn nach etwas, das ihn herausforderte, an dem er die Stärke seiner Truppe erproben konnte, nach­dem sie nun gesund und geistig gefestigt sein sollte.

Die Feste Grool! Atlan hatte Synk von dem einsamen

Mann erzählt, der dort lebte und seiner Ein­samkeit dadurch ein Ende zu setzen versuch­te, daß er harmlose Besucher in seiner Feste einfing und dazu zwang, ihm Gesellschaft zu leisten. CaidonRov hieß er. Atlan hatte ihn in einem denkbar schlechten Gemütszu­stand zurückgelassen, und nun reizte es

Synk, zu sehen, was aus CaidonRov gewor­den war. Sollte er ihn und die Roboter ein­sperren wie Atlan, so konnten sie in der Fe­ste Grool am besten zeigen, was in ihnen steckte. Außerdem brauchte Synk eine Waf­fe, und auch die konnte er dort mit Sicher­heit finden. Eine echte Waffe – nicht solch ein feuerspuckendes Hartschalentier, wie der Herr Soltzamen es ihm hatte überreichen lassen wollen.

Vielleicht war Caidon-Rov aber auch zur Besinnung gekommen und würde sich ihnen anschließen. Nach Atlans Beschreibung würde er gut zu ihnen passen. Er kannte eine Menge Tricks.

Diejenigen technischen Einrichtungen, für die Synks Unterbewußtsein keinen Ver­gleich aus dem Tierreich fand, existierten für ihn überhaupt nicht. So gab es keinen Funk über weitere Strecken. Der organische Ultraschallstrahler, den die Roboter bei sich trugen, war etwas anderes »Kurs Feste Grool!« rief Synk zum zweiten Zugor hin­über. »Über den Blutdschungel nach Nor­den!«

Eins bestätigte. Die Zugors flogen bald über dem dichten Laubdach der Urwaldrie­sen. Dann und wann sah Synk Tiere und Eingeborene auf einer Lichtung. Fast hätte der Orxeyaner den Befehl zur Landung ge­geben, als ein Dalazaare seinen Speer nach seinem Zugor schleuderte. Dann, nach gut einer Stunde, kam die Feste Grool in Sicht. Synk hatte von ihr gehört und Bilder von ihr gesehen, doch nun sah er das Gebäude zum erstenmal vor sich. Er war beeindruckt. Vor der schmalen Brücke, die zum Tor führte, ließ er die Zugors landen. Er stieg aus, tät­schelte seinen »Drachen« und sah sich kurz um. Der Hügel war verlassen. Nur unten, zwischen den Windmühlen, bewegten sich Eingeborene. Zufrieden stellte Synk fest, daß sie ihrer Arbeit nachgingen. Um sie brauchte er sich nicht zu kümmern.

Synk wandte sich wieder der Feste zu. Die Brüstungen waren verlassen. Caidon-Rov hatte seine Ankunft anscheinend noch nicht bemerkt.

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Oder hatte er sich in seiner Verzweiflung inzwischen umgebracht?

»Caidon-Rov!« schrie der Orxeyaner. »Du bekommst Besuch! Mach auf!«

Nichts. Keine Antwort, kein Caidon-Rov. Synk rief noch dreimal, dann nickte er Digl­fonk grimmig zu.

»Also gut. Er will's nicht anders haben. Wir brechen das Tor auf!«

An der Spitze seiner kleinen Streitmacht marschierte Sator Synk über die Brücke, doch als er dann vor dem massiven Flügeltor stand, wußte er nicht weiter. Er hatte das seltsame Gefühl, daß es früher kein Hinder­nis für ihn dargestellt hätte.

Natürlich! Früher hatte er selbst Feuer­schlangen und feuerspeiende Hartschaler be­nutzt. Nun ekelte er sich davor. Noch einmal rief er nach dem Herrn der Feste und schlug mit den Fäusten gegen das Tor.

»Öffne, Caidon-Rov! Wir sind Freunde!« Wieder erhielt er keine Antwort. Der Ver­

dacht, daß Caidon-Rov sich etwas angetan haben könnte, verstärkte sich.

Schweren Herzens gab Synk den Robo­tern den Befehl, ihre Feuerschlangen auf das Tor zu richten und es zu zerstrahlen.

Auch hierauf reagierte Caidon-Rov nicht. Synks Verdacht wurde fast zur Gewißheit.

Die Robot-Guerillas drangen in den Vor­hof ein. Synk sah eine Treppe und stieg die Stufen empor, etwas unsicher geworden. Er öffnete eine Tür und gelangte in einen brei­ten Korridor, dessen Wände mit Bildern und Schmuckstücken behangen waren. Ge­schmack hatte der Herr der Feste, daran gab es keinen Zweifel, aber die Bilder verrieten ausnahmslos Caidon-Rovs Schwermut. Sie waren vornehmlich in grauen und blauen Farbtönen gehalten.

»Caidon-Rov!« Keine Antwort. Synk marschierte weiter,

die Roboter hinter ihm her. Weitere Trep­pen, dann ein festlich geschmückter Saal. Alles war auf Hochglanz poliert, die kostba­ren Marmorplatten der Tische, die Truhen, die Stühle. Wertvolle Teppiche bedeckten den Boden. Alles machte den Eindruck, als

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lebte CaidonRov tatsächlich in ständiger Er­wartung von Gästen.

Aber wo war er? Von irgendwoher kam ein Stöhnen. Synk

fuhr zusammen. »Habt ihr das auch gehört?« fragte er sei­

ne Roboter. »Es kommt von dort«, antwortete Digl­

fonk und richtete einen Tentakelarm auf eine der vier in den Raum führenden Türen.

Vorsichtig ging Synk weiter. Er erreichte die Tür und spähte in den dahinterliegenden Gang hinein. Er war leer. Synk winkte den Robotern und ging auf leisen Sohlen weiter. Alle Türen standen offen. Synk blickte in je-den Raum, bis er Caidon-Rov in einem großen Rittersaal sah.

Der Herr der Feste saß zuammengekauert und sich windend in einem Stuhl am Ende einer großen Tafel. Er stöhnte wieder. Er hatte Schmerzen, aber er lebte noch.

Synk überwand die Angst, die ihn plötz­lich befallen hatte, und näherte sich ihm von hinten. Als er seine Hand auf Caidon-Rovs Schulter legte, schrak der Hagere heftig zu­sammen. Unendlich langsam drehte er sich um und sah den Mann an, der da so urplötz­lich hinter ihm aufgetaucht war. Niemals in seinem Leben sollte Sator Synk den Blick dieser Augen vergessen. Er stieß einen hei­seren Schrei aus und zog die Hand so schnell zurück, als hätte er einen elektri­schen Schlag erhalten. Caidon-Rovs Augen waren leer. Der Blick war weit in die Ferne gerichtet. Seine Hände tasteten nach Synk. Die Lippen des Einsamen bewegten sich, ohne daß er ein Wort herausbrachte. Plötz­lich sprang er auf, stieß dabei den Stuhl um und begann zu schreien. Er tobte. Synk sprang zurück und prallte mit dem Rücken hart gegen den hinter ihm stehenden Digl­fonk.

Caidon-Rov stürzte sich auf ihn und zerrte an seiner Kleidung. Die Augen schienen ihm jetzt aus den Höhlen treten zu wollen.

»Du bleibst hier!« kreischte der Hagere. »Für immer. Du und deine Begleiter! Ich …« Caidon-Rov lachte irr.

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45 Invasion aus dem Nichts

Bevor Synk seinen Schock überwinden konnte, fühlte er sich am Bart gepackt und auf die Tafel zugeschleift. Die Roboter un­ternahmen nichts. Mit einer Kraft, die Synk dem Hageren niemals zugetraut hätte, wurde er in einen Stuhl gedrückt.

»Ich lasse euch nicht mehr gehen. Kommt, seid meine Gäste bis ans Ende eu­res Lebens!« Wieder das irre, meckernde Lachen. »Nennt mir eure Namen, schnell! Kennst du Atlan? Er hat mich an der Nase herumgeführt, aber ich habe gelernt. Ich …«

Caidon-Rov erstarrte, schrie gepeinigt auf und krümmte sich. Synk riß sich los und brachte sich in Sicherheit, indem er unter die Tafel kroch. Er sah, wie Caidon-Rov zu Bo­den fiel, sich wand und schließlich ruhig wurde. Mit einem irren Glanz in den Augen lag er so eine halbe Minute, um sich dann ganz langsam aufzurichten.

Er saß da wie eine Statue, die Beine ver­schränkt und die Hände über der Brust ge­faltet.

Synk verstand nicht, was mit dem Herrn der Feste vorging, und kroch vorsichtig, um ja nicht Caidon-Rovs Aufmerksamkeit zu erregen, auf der anderen Seite unter der Ta­fel heraus.

Diglfonk und die Roboter hätten ihm er­klären können, was mit dem Einsamen los war. So wie er hatte auch Synk vor ihnen ge­sessen.

Auch Caidon-Rov war von der geheim­nisvollen Epidemie befallen.

»Er ist krank«, sagte Diglfonk nur. »Wir sollten die Feste so schnell wie möglich ver­lassen und uns unserer eigentlichen Aufgabe zuwenden. Wir können nichts für ihn tun.«

Synk gab keine Antwort. Er musterte Cai­don-Rov, dann Diglfonk. Begann der wie­der, über seinen Kopf hinweg eigenmächtig zu entscheiden?

Synk atmete tief ein und warf sich in Po­situr. Von vorneherein mußte er den Robo­tern zeigen, wer ihr Herr war. Vielleicht hat­te die Behandlung durch die Robotbürger doch nicht den gewünschten Erfolg ge­bracht.

»Er ist krank«, sagte er also, als hätte er Diglfonks Worte nicht gehört. »Schwer krank sogar. Wir brechen sofort auf. Später können wir dem armen Kerl vielleicht Hilfe schicken.«

Zufrieden, als Diglfonk nichts entgegnete, sah Synk sich noch einmal in der Halle um. Sein Blick fiel auf zwei an der Wand hän­gende, übereinander gekreuzte Schwerter.

Da hatte er die Waffe, die er brauchte. »Hole mir eines der Schwerter herunter«,

befahl er Diglfonk. Diglfonk schwebte ein Stück an der Wand

hinauf und tat, wie ihm geheißen. Außerdem brachte er die zu der Waffe gehörige Schei­de und einen ledernen, mit spitzen Edelstei­nen besetzten Gurt mit.

Sator Synk nickte zufrieden und schnallte ihn sich um. Er steckte das Schwert in die Scheide, zog es wieder heraus und ließ es auf einen Stuhl herabsausen. Die Klinge teil­te das Möbelstück sauber in zwei Teile. Die Wucht des Schlages riß Synk allerdings fast von den Beinen.

»Gehen wir!« sagte er und steckte das Schwert in die Scheide zurück. Da er nicht sonderlich groß war, schleifte die Spitze über den Boden, und er mußte aufpassen, daß er nicht darüber stolperte.

Mit einem letzten Blick auf den immer noch reglosen Caidon-Rov verließ Synk hin­ter den Robotern die Halle. Eigentlich hatte er sich das Zusammentreffen mit dem Mann, der Atlan solche Schwierigkeiten bereitet hatte, anders vorgestellt. So mußte er war­ten, bis er anderswo die Kampfkraft seiner Truppe erproben konnte. Vielleicht war dies ganz gut so, denn mit dem Schwert sollte er es mit jedem Gegner aufnehmen können. Warum waren die Eimerköpfe nur geflohen? Synk preßte die Lippen in stillem Zorn auf­einander. Wo sollte er jetzt ebenbürtige Gegner finden? Es gab ja keine Feinde mehr auf Pthor! Keine Feinde? Das Gesicht des finsteren Heimdall erschien vor Synks gei­stigem Auge, als er hinter den Robotern die Treppenstufen hinabstieg und den Innenhof der Feste überquerte. Heimdall war zwar

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nicht gerade ein Feind, aber er hatte Synk seine ganze Verachtung gezeigt.

Sollte Synk wirklich Tage, Wochen oder gar Monate damit verbringen, verstreute Pthorer zusammenzuführen, wenn es eine viel effizientere Möglichkeit gab? Natürlich war er bekannt, und jenen, die noch nicht von ihm gehört hatten, würde er schon den nötigen Respekt beibringen können. Aber war es nicht viel einfacher, zuerst zur FE­STUNG zu fliegen, trotz oder gerade wegen Synks Abneigung gegen die arroganten Od-inssöhne?

Sator Synk änderte seine Pläne so schnell wie ein Sandfrosch seine Farbe. Natürlich gestand er sich nicht ein, daß es ihm nur dar­um ging, es den Odinssöhnen zu zeigen, ih­nen zu beweisen, daß er, der Held der Schlacht um Pthor, ihnen mehr als ebenbür­tig war. Er legte sich alle möglichen Vor­wände zurecht, um vor sich selbst den Flug zur FESTUNG verantworten zu können. Die Odinssöhne sollten ihm dabei helfen, die Pthorer zu sammeln und auf eventuelle neue Nackenschläge vorzubereiten, sagte er sich.

Synk konnte nicht aus seiner Haut. Trotz seiner wundersamen Wandlung, was Robo­ter betraf, war er der alte Raufbold geblieben und suchte ein Ventil, um seine Aggressio­nen abzureagieren.

Der Herr Soltzamen hatte gewußt, warum er ihm die Anwesenheit von noch etwa drei­tausend Trugen auf Pthor verschwieg.

So brach Sator Synks Streitmacht zur FE­STUNG auf.

*

Natürlich stand Diglfonk ununterbrochen in Funkkontakt mit Wolterhaven. Er berich­tete über Sator Synks Verhalten und Ent­scheidungen. In Wolterhaven war man den Umständen entsprechend zufrieden. Die Ro­boter hätten nur eingreifen müssen, falls Synk den Befehl gegeben hätte, zur Dunklen Region zu fliegen, wohin eine wahre Völ­kerwanderung der von der »Epidemie« Be­fallenen eingesetzt hatte. Synk hätte sich

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wahrscheinlich, ohne zu überlegen, auf die Trugen gestürzt. Das Problem war Synks Hypnose. Sollte sie unbegrenzt aufrechter­halten werden?

Noch konnten selbst die Robotbürger, von denen die meisten noch dabei waren, die mit einem organischen Lebewesen gemachten Erfahrungen bei einer Operation des Gehirns zu verarbeiten, nicht ahnen, wie bald schon sie gezwungen sein würden, die Hypnose wieder aufzuheben. Was dann, wenn Synk wieder im Vollbesitz all seiner Sinne war, geschehen würde, darüber dachten sie so wenig wie möglich nach. Der Vorschlag, den Orxeyaner einfach fallenzulassen und sich nicht mehr um sein weiteres Schicksal zu kümmern, wurde mit überwältigender Mehrheit abgelehnt. Es war der letzte Wunsch des Herrn Bediennark gewesen, daß man sich in Wolterhaven um Synk kümmer­te.

Sator Synk selbst, der von alledem nichts ahnte, stand hinter der Steuersäule seines Zugors wie ein Feldherr. Der Regenfluß war überquert, die halbe Strecke zur FESTUNG zurückgelegt, als der zweite Zugor plötzlich zu bocken begann. Entsetzt sah Synk, wie Eins am »Hals« des Zugors rüttelte, worauf­hin der Zugor noch wildere Sprünge in der Luft vollführte.

»Laß das!« kreischte der Orxeyaner. »Laß ihn los! Du quälst ihn, siehst du Dummkopf das nicht? Du bringst ihn um!«

In seiner Erregung stolperte er über eine am Boden des eigenen Zugors liegende Ki­ste und schlug mit dem Kopf gegen die Steuersäule. Augenblicklich neigte die Ma­schine sich zur Seite. Synk suchte nach ei­nem Halt und griff instinktiv nach einem Hebel. Er riß ihn nach unten, als er versuch­te, sich daran hochzuziehen. Der Zugor ge­riet vollends außer Kontrolle und begann ab­zustürzen. Synk erstarrte für einen Moment. Der zweite Zugor war vergessen, als er sich dann am Rand der Schale aufrichtete und mit flatternden Haaren hinabsah. Rasend schnell schien der Boden ihm entgegenzu­kommen.

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»Ihr tut nichts!« herrschte Synk die Robo­ter an, als er sah, wie Diglfonk sich an der Steuersäule zu schaffen machen wollte. Synk brachte es fertig, sich in der schaukeln-den Schale auf den Beinen zu halten, bis er die Säule erreicht hatte, und begann nun selbst, die »Hörner« zu bewegen. Doch nichts geschah. Der Zugor reagierte über­haupt nicht.

Da war es mit Sator Synks Tierliebe vor­bei. Seine aufgestaute Wut entlud sich in wilden Beschimpfungen.

»Willst du gehorchen, Kreatur?« fuhr er den »Kopf« des Zugors, den oberen Teil der Steuersäule mit den blinkenden Kontrol­lämpchen an. Er riß wie ein Besessener an den Hebeln und schlug auf die Knöpfe. Es gab einen Ruck. Das Fahrzeug neigte sich noch stärker zur Seite, so daß zwei Roboter hinausgeschleudert wurden. Synk riß sein neues Schwert aus der Scheide und drohte dem Zugor damit.

Diglfonk schwebte erschüttert hinter ihm. Als Synk nun mit dem Schwert auf die Säule losging, kam der Augenblick zum Handeln.

Diglfonk legte einen Tentakel um Synks Brust und zerrte ihn von der Steuersäule fort. Eine Injektionsdüse drückte sich in den Rücken des Orxeyaners. Synk brach be­wußtlos zusammen.

Während zwei Roboter sich um ihn küm­merten, brachte Diglfonk eine Notlandung zustande. Die beiden über Bord gegangenen Roboter schwebten langsam neben ihm her­ab. Gykogsbeeden hatte den zweiten Zugor unter Kontrolle gebracht und landete eben­falls.

Diglfonk selbst trug Sator Synk aus dem Fahrzeug und legte ihn im Gras ab. Er sah sich um. Sie befanden sich in einer ausge­dehnten Steppe, in der Ebene Kalmlech. Es war fraglich, ob die Zugors noch zu gebrau­chen waren.

Diglfonk instruierte die anderen zwölf Robotdiener. Wenn er erwachte, mußte Synk die Initiative unter allen Umständen überlassen bleiben. Auf Fragen sollte nur er selbst, Diglfonk, antworten dürfen. Im stil­

len befürchtete er, daß durch den Schock Synks Hypnose aufgehoben worden war.

Der Verdacht verstärkte sich, als der Or­xeyaner eine Stunde später die Augen öffne­te. Er blickte die Roboter der Reihe nach an. Dann blieb sein Blick auf Diglfonk gerich­tet, auch noch, als er zum Zugor ging und sein Schwert holte.

Mit zusammengekniffenen Augen und hoch erhobener Waffe ging er auf den Ro­botdiener zu.

»Warte, Sator Synk!« schnarrte dieser. »Du wirst eine Dummheit begehen. Du weißt nicht, was geschah!«

»Oh doch!« schrie Synk. »Und noch nie wußte ich so gut wie jetzt, was geschehen wird!«

10. Pthor – Leenias Stunde

Leenia sprang, als sie wußte, daß nur noch der Neffe des Dunklen Oheims, Chirmor Flog, in der Höhle war. Kolphyr, Koy und Fenrir hatten sich vor wenigen Mi­nuten aufgemacht, um die benötigten Teile für ihr Gerät zu holen.

Für das Gerät, das nach Leenias Willen nie mehr benutzt werden sollte.

Leenia materialisierte in der Höhle. Bis zuletzt hatte sie daran gezweifelt, daß es ihr gelingen würde. Wommser hatte sich entwe­der völlig verausgabt, als er sich ihr bemerk­bar machte, oder er war ganz bei Kolphyr.

Sie hörte einen Schrei und fuhr herum. Im Halbdunkel sah sie den Torso Chirmor Flogs, eine mitleiderregende Gestalt, die vollkommen hilflos war. Leenia zitterte nicht vor Flog. Er hatte keine Macht über sie.

Sie ignorierte ihn und konzentrierte sich völlig auf das Gerät in der Mitte der Höhle. Und Chirmor Flog mochte begreifen, was sie, die auf für ihn unfaßbare Weise aus dem Nichts entstanden war, nun vorhatte.

»Nicht!« brachte er hervor. »Tu es nicht, wer immer du auch bist!«

Der Klang der Stimme ließ Leenia er­

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schauern. Sie drehte sich noch einmal um und sah lange in die riesigen Augen des Tor­sos. Erst jetzt bemerkte sie, daß beide drei Pupillen hatten. Flehende Augen in einem Gebilde, das wie ein mißgestalteter Kinder­schädel aussah. Dieser Kopf und die von ihm ausgehenden Stümpfe – das war der ge­fürchtete Neffe Chirmor Flog.

Leenia konnte nichts von Flogs Prothese wissen, die ihm nicht länger zur Verfügung stand. Ein hilfloser Krüppel – wenn dieses Wort noch auf ihn zutraf. Leenia mußte sich vor Augen führen, welche Greuel im Namen dieses nun so erbarmungswürdig wirkenden Wesens geschehen waren.

»Du willst sie zerstören, nicht wahr?« sagte Flog keuchend. »Du darfst es nicht tun! Die Magier …« Der Neffe stockte. Lee­nia hatte den Eindruck, daß er sich zu bewe­gen versuchte, all seine Kraft in die wurzel­ähnlichen Stümpfe legte, um näher an sie heranzukommen. »Du bist selbst eine von ihnen … eine Magierin!«

Leenia riß sich mit Gewalt von Flogs An­blick los. Er war ein Monstrum, schlimmer als alle, die auf seinen Befehl hin gemordet und Schlimmeres getan hatten. Sie beachtete ihn nicht länger, hörte nicht auf sein Jam­mern, konzentrierte sich auf das Gerät …

Ihre Augen blitzten auf. Grelle violette Strahlen fuhren in das Gerät und zerschmol­zen es. Eine Stichflamme fuhr daraus her­vor. Leenia schlug die Hände vors Gesicht und sprang zurück bis zur Wand der Höhle.

Chirmor Flog starrte sie aus leeren Augen an, das »Gesicht« zu einer Grimasse des Schreckens verzogen.

»Verflucht sollst du sein«, sagte er dann ganz leise. »Nun ist alles verloren. Weißt du überhaupt, was du getan hast?«

Und Chirmor Flog, der ehemals uner­reichbare mächtige Neffe des Dunklen Oheims, begann zu weinen wie ein Kind.

Leenia fühlte, wie sich etwas in ihr zu­sammenkrampfte. Sie verstand nicht, wovon der Neffe sprach, und nun schirmte er seine Gedanken gegen sie ab.

Leenia gab sich einen Ruck. Sie hatte es

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tun müssen, ganz egal, was das Gerät für Flog, Kolphyr und die anderen bedeutete. Nun war die Brücke zu den Höheren Welten zerstört.

Leenia entmaterialisierte, als sie den An­blick des weinenden Krüppels nicht mehr er­tragen konnte.

Es war Nacht auf Pthor. Die Finsternis in der Dunklen Region war vollkommen. Wie­der legte Leenia das letzte Stück bis zum Ruinenschloß zu Fuß zurück.

Die Flut der auf sie einströmenden Impul­se versetzte sie in starke Erregung. Nun wa­ren es Tausende von Trägern, die sich im Tal drängten. Und immer noch hielt der Strom der neu Hinzukommenden an.

Noch wurden die Signale ausgestrahlt. Noch war das Emmorko-Tal frei von der ne­gativen Aura.

Jetzt, wo der entscheidende Moment na­hegerückt war, erkannte Leenia das ganze Ausmaß der Arbeit, die vor ihr lag. Inner­halb weniger Stunden sollte sich das Schick­sal von etwa fünftausend Körperlosen ent­scheiden. Alles hing davon ab, ob sie von den richtigen Voraussetzungen ausging.

Gebt mir die Kraft! flehte Leenia. Wenn ihr mich hören könnt, dann gebt mir die Kraft!

Sie machte einen Bogen um die Warten­den und setzte sich außerhalb ihrer Sichtwei­te ins Gras. Wenn die letzten Träger einge­troffen waren, würde sie alle Kraft brauchen, die ihr Körper zu speichern fähig war.

So wartete sie, bis der neue Tag anbrach. Als sie sich erhob und auf das Ruinenschloß zuging, war sie in eine violett schimmernde Aura gehüllt.

Die Trugen und Pthorer erstarrten, als sie sie auf der Treppe sahen.

Es kamen keine neuen mehr hinzu. Wer in der Lage gewesen war, den Signalen der Lu­nen zu folgen, befand sich nun hier im Em­morko-Tal.

Bitte, gebt mir die Kraft, flehte sie noch einmal und blickte zum dunklen Himmel empor. Dieses letzte Mal!

Dann schloß sie die Augen.

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49 Invasion aus dem Nichts

Der Schrei eines Raubvogels, der sich ir­gendwo am Rand des Tales auf seine Beute stürzte, war der einzige Laut, der die absolu­te Stille durchbrach.

E N D E

Weiter geht es in Atlan Band 443 von König von Atlantis mit: Das Urteil der Körperlosen von Horst Hoffmann